Das Rätsel der Menschwerdung - ReadingSample - Beck-Shop

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Das Rätsel der Menschwerdung
Die Entstehung des Menschen im Wechselspiel der Natur
Bearbeitet von
Josef H. Reichholf, Fritz Wendler
1. Auflage 1997. Taschenbuch. 304 S. Paperback
ISBN 978 3 423 33006 0
Format (B x L): 12,4 x 19,1 cm
Weitere Fachgebiete > Philosophie, Wissenschaftstheorie, Informationswissenschaft >
Wissenschaften: Allgemeines > Populärwissenschaftliche Werke
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dtv
Der Mensch stammt aus Afrika, das steht heute zweifelsfrei fest. Dort, im
ostafrikanischen Hochland, wo es Tiere und Pflanzen im Überfluß gab,
haben sich alle entscheidenden Veränderungen vollzogen: Dort richteten
sich unsere frühesten Vorfahren auf, entwickelten Füße, die zu langen
Wanderungen taugten, und Hände, die geschickter wurden als die jedes
anderen Primaten. Fügt man die Ergebnisse der modernsten Erforschung
der Menschwerdung zu einem Bild, so scheinen sich mehr Rätsel als
Lösungen zu ergeben. Warum sind wir Menschen so geworden, wie wir
sind? Worin besteht unser biologisches Erbe? Was hat die speziellen
Anpassungen hervorgerufen, deren Ergebnis der Homo sapiens ist?
Warum wanderte er aus dein afrikanischen Paradies aus, was trieb ihn in
den kalten Norden, nach Europa, Asien und weiter auf den amerikanischen
Doppelkontinent? Wie ein Detektiv verfolgt der renommierte Biologe
Josef H. Reichholf die unterschiedlichsten Spuren der menschlichen Entwicklungsgeschichte. »Die Kunst, ohne Sensationsmache und nur mit
den Mitteln von wissenschaftlicher Argumentation die Spannung eines
guten Romans zu erzeugen, wird hier meisterhaft ausgeübt. Ohne Frage
ein ungemein anregendes Buch.« Heinrich-Otto von Hagen in der >Süddeutschen Zeitung<.
Josef H. Reichholf, 1945 in Aigen am Inn geboren, ist Wissenschaftler
an der Zoologischen Staatssammlung in München und lehrt Evolutionsbiologie, Tiergeographie und Ökologie. Er ist unter anderem Vorstandsmitglied des deutschen World Wide Fund for Nature (WWF). Zahlreiche
Veröffentlichungen, darunter >Der Tropische Regenwald< (1990), >Erfolgsprinzip Fortbewegung<, >Der schöpferische Impuls< (beide 1992),
>Comeback der Biber< (1993) und >Der blaue Planet< (1998). >Das Rätsel
der Menschwerdung< ist in mehrere Sprachen übersetzt worden.
Josef H. Reichholf:
Das Rätsel der Menschwerdung
Die Entstehung des Menschen
im Wechselspiel mit der Natur
Mit einem Nachwort zur Neuausgabe
Mit 22 Schwarzweißzeichnungen von Fritz Wendler
Deutscher Taschenbuch Verlag
Von Josef H. Reichholf
sind im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen:
Warum wir siegen wollen (24271)
Der blaue Planet (33033)
1. Auflage Januar 1993
3., um ein Nachwort erweiterte Auflage September 1997
6. Auflage Juli 2004
1990 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
www.dtv.de
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.
Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.
Dieses Buch erschien zuerst als gebundene Ausgabe 1990
in der Deutschen Verlags-Anstalt, Stuttgart,
ISBN 3-421-02756-0
Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen
Umschlagbild: O AKG, Berlin
Gesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen
Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany . ISBN 3-423-33006-6
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1. Kapitel
Eva kam aus Afrika
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13
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23
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2. Kapitel
Die Suche nach der Wiege des Menschen
3. Kapitel
Australopithecus
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52
4. Kapitel
Jahrmillionen zurück
5. Kapitel
Unsere Menschenaffen-Verwandtschaft
6. Kapitel
Grasland, Großwild, schnelle Beine
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57
7. Kapitel
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70
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80
Die Wechselbäder der Eiszeit
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86
Die Drift der Kontinente
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B. Kapitel
Die Geburt des Golfstroms 9. Kapitel
10. Kapitel
Gestreifte Pferde
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125
11. Kapitel
Die Tsetse-Fliege
12. Kapitel
Das übergroße Gehirn
13. Kapitel
Der aufrechte Gang
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14. Kapitel
Die Nacktheit
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150
15. Kapitel
Die schmerzhafte Geburt
16. Kapitel
Die Sprache
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213
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224
17. Kapitel
Das Feuer
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18. Kapitel
Der erste Exodus
19. Kapitel
Eiszeitleben
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20. Kapitel
Der Neandertaler
21. Kapitel
Das große Sterben
22. Kapitel
Die Entstehung des Homo sapiens sapiens
23. Kapitel
Der dritte Exodus
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258
24. Kapitel
Die Vertreibung aus dem Paradies 25. Kapitel
Der Garten Eden
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26. Kapitel
Die verschlungenen Pfade der Menschwerdung
Nachwort zur Neuausgabe dieses Buches ........... 265
Einführung zur Neuausgabe 2004 .................. 273
Literaturverzeichnis .............................. 277
Register ......................................... 288
Vorwort
Der Mensch entstand in Afrika. Die Heimat unserer Urahnen lag in den
fruchtbaren Savannen des ostafrikanischen Hochlandes; dort, wo ein
gewaltiger Riß in der Erdkruste den Kontinent teilt. In den wildreichen
Grasländern unter dem Äquator entwickelte sich die Stammeslinie der
Gattung Mensch.
Sie tauchte vor gut zwei Millionen Jahren nicht einfach aus dem
Nichts auf. Ihr Ursprung reicht viel weiter zurück, und je mehr wir ihm
nachzuspüren versuchen, um so klarer zeigt sich, daß unsere ganze
Geschichte untrennbar mit der Entwicklungsgeschichte der Lebewesen
verbunden ist. Wir sind ein Produkt der natürlichen Evolution, wenngleich ein höchst ungewöhnliches und in mancher Hinsicht auch ein
unfertiges. Unsere biologische Ausstattung macht uns eine Menge
Schwierigkeiten. Wir müssen uns kleiden, weil wir weitgehend nackt
sind. Wir haben mit Haltungsschäden zu kämpfen, weil wir, obwohl
ursprünglich Vierfüßer, aufrecht gehen. Wir werden unter großen
Schmerzen geboren, weil unser hochentwickeltes Gehirn so viel Platz
beansprucht, daß der Kopf kaum durch den Geburtskanal paßt. Und
wir müssen sehr auf unsere Ernährung achten, weil es so etwas wie eine
natürliche Nahrung für uns Menschen nicht gibt.
Zieht man diese Unzulänglichkeiten in Betracht, so könnte man die
»Krone der Schöpfung« beinahe für einen »Unfall der Evolution« halten. Beide Gedanken sind freilich gleichermaßen unsinnig. Aber es ist
nicht von der Hand zu weisen, daß wir fast überall auf der Welt fehl am
Platze sind. Nirgends passen wir hinein in die natürlichen Lebensräume, so wie Löwe oder Büffel, Wolf oder Gorilla ihren Platz haben im
Haushalt der Natur. Wir brauchen eine große Menge von Hilfsmitteln
zum Überleben: Wir müssen das Land bebauen, um Nahrung ernten zu
können, und die Natur der Erde so verändern, daß sie für uns bewohnbar wird. Darin weichen wir grundsätzlich ab von anderen Organismen,
auch wenn es deren viele gibt, die ihren Lebensraum verändern. Nie hat
eine einzelne Art die Abläufe in der Natur so nachhaltig und so massiv
beeinflußt wie wir Menschen. Die Unterschiede sind übergroß, wenn
wir die heutige Menschheit in ihrer kulturell geschaffenen Umwelt mit
jenen gar nicht so fernen Vorfahren vergleichen, die sich vor einigen
zehntausend Jahren anschickten, Afrika zu verlassen, um in die Welt
hinauszuziehen.
Was mag sie dazu bewogen haben? Warum sind sie nicht in der
ostafrikanischen Heimat geblieben? Für eine Art, die im Einklang mit
der Natur lebt, haben gleichsam »paradiesische« Verhältnisse in den
Savannen und Steppen geherrscht. Großwild gab es im Überfluß, das
Klima war günstig, und die Urahnen der Menschheit lebten schon jahrmillionenlang mit den natürlichen Feinden zusammen, vor denen man
sich in acht zu nehmen hatte. Die Bedrohung durch die Raubtiere
müßte sich plötzlich erheblich vergrößert haben, uni den Auszug zu
bewirken. Doch dafür liegen keinerlei Anhaltspunkte vor.
Würden die Fakten der Evolution ergeben, daß die Menschheit ganz
allmählich entstanden ist, und zwar nicht nur in einem kleinen Gebiet
in Ostafrika, das kaum mehr als ein Fleckchen auf der Erde bildet,
sondern im ganzen riesigen Raum zwischen Westafrika und Ostasien
bis hinunter nach Australien, wäre die Menschwerdung weit weniger
rätselhaft. Noch bis in die jüngste Zeit war dies die herkömmliche Sicht
der Evolution des Menschen. Träfe sie zu, hätten nicht alle Menschen
einen gemeinsamen Ursprung. Die Befunde, welche die moderne Forschung aus den verschiedensten Quellen schöpft, sprechen dagegen.
Nicht an mehreren oder vielen Stellen hat sich die Menschwerdung
vollzogen, sondern nur an einer einzigen. Mit dem Auszug aus Afrika
waren die grundlegenden Schritte der Evolution des modernen Menschen, den die Wissenschaft Homo sapiens sapiens nennt, längst vollzogen. Die Entwicklung verlief rasch, und sie betraf nur kleine Gruppen. Unsere Ahnen verlieren sich nicht im Dunkel der Vorzeit. Ihr Weg
läßt sich zurückverfolgen.
Doch dieser Weg ist keine gerade Linie. Eher läßt er sich mit einem
verschlungenen Pfad vergleichen, der mehrfach vom Hauptstrom der
Entwicklung abzuweichen scheint. Denn — auch das lehrt uns die moderne Forschung — wir sind nicht die ersten aus der Gattung des Menschen, die den Auszug aus Afrika gewagt haben und die Welt eroberten.
Zwei vielversprechende, aber am Ende doch erfolglose Anläufe, in die
Welt hinauszukommen, hat es schon vorher gegeben. Bereits der erste
Vertreter unserer Gattung, der »aufrechte Mensch« (Homo erectus)
genannt, drang nach Europa und bis nach Nordostasien vor. Die ersten
Europäer waren nicht Angehörige unserer eigenen Art, sondern Erectus-Menschen. Sie besiedelten Europa bereits vor rund einer Million
Jahren; die ältesten Knochenfunde dieses Menschentyps sind gut
600000 Jahre alt. Jahrhunderttausende währte die Anwesenheit dieser
anderen Menschenart in Eurasien. Nach Australien kam sie nicht, weil
sie noch nicht in der Lage war, Boote zu bauen, um das Meer zu überqueren. Verglichen mit ihrer Lebensspanne als Art sind wir modernen
Menschen noch ausgesprochene Neulinge, die langfristig ihre Überlebensfähigkeit erst beweisen müssen.
Diese Erectus-Menschen verschwanden spurlos aus Eurasien. Die
Linie des Menschen wäre mit ihnen ausgelöscht worden, wenn sich
nicht inzwischen in der afrikanischen Heimat ein zweiter Menschentyp
entwickelt hätte, den wir als Neandertaler kennen. Er unternahm den
zweiten Anlauf, und auch dieser schien sehr erfolgreich zu verlaufen.
Der im Vergleich zu seinen Vorfahren hochentwickelte Neandertaler
breitete sich aus Afrika über weite Bereiche Europas, des Vorderen
Orients und Westasiens aus. Er wurde zu einer die Tierwelt beherrschenden Figur der letzten zweihunderttausend Jahre: zum Menschen
der Eiszeit. Als sie zu Ende ging, verschwand der Neandertaler genauso
spurlos wie seine Vorgänger, und wenn nicht die Linie des Menschen
durch die primitiven Neandertaler, die in Ostafrika verblieben waren,
erhalten worden wäre, hätte auch der zweite Versuch in einer Sackgasse
geendet.
So aber lief gleichsam hinter der eiszeitlichen Hauptbühne des Geschehens der dritte Akt der Menschwerdung an, bevor noch der zweite
abgeschlossen war — und erst dieser dritte brachte den modernen Menschen hervor. Er breitete sich vor rund 70000 Jahren in Afrika aus und
drang vor 40 000 Jahren nach Europa und Asien vor. Rasch besiedelte er
diesen riesigen Nordkontinent, erreichte auf dem Wasserweg Australien
und über die vor 12000 Jahren trockenliegende Bering-Landbrücke den
amerikanischen Kontinent. Rasch drangen die Menschen dort bis in
den äußersten Süden vor und besiedelten auch die Hochländer der
Anden. Sie fuhren von allen Kontinenten auf die Meere hinaus, bis sie
fast jeden Winkel der Erde erreicht hatten.
Von den frühen Primaten, die entwicklungsgeschichtlich noch weit
entfernt vom Menschen waren, bis zur Ausbreitung des Menschen über
die ganze Erde läßt sich der Ablauf des Geschehens detailliert nachzeichnen. Die Forschung fördert unablässig weitere Befunde zutage, die
das Bild ergänzen und verfeinern. Viele Bücher sind darüber geschrieben worden.
Dennoch bleibt selbst die genaueste Geschichte der Menschwerdung
unvollständig, ja unverständlich, wenn sie nichts darüber vermitteln
kann, warum der Ablauf so gewesen ist — so und nicht anders.
Der Weg zum Menschen kann nicht auf einer Verkettung von Zufällen beruhen. Die Evolution schafft nie Neues ohne Grund, ohne
Zwang, ohne »evolutionären Druck«. Solange sich das Gute bewährt
und sich eine Veränderung nicht als Vorteil auswirkt, kann die natürliche Auslese auch nicht verändernd wirken. Bleibt die Umwelt konstant,
wirkt sie sich stabilisierend aus: Sie bringt Abweichendes zum Verschwinden und erhält, was sich bewährt hat. Neues kommt dabei nicht
heraus. Die Evolution »spielt« nicht frei mit allen Möglichkeiten, sondern nur im Wechselspiel mit der Umwelt. Erst durch Umweltveränderungen, zumal wenn sich neue Verhältnisse ziemlich schnell einstellen,
wird der Zufall kanalisiert und damit dem Evolutionsprozeß Richtung
verliehen.
Hätte sich die Umwelt, in der sich die Evolution zum Menschen
vollzog, nicht in ganz bestimmter Weise verändert, wäre eine Weiterentwicklung nicht möglich gewesen. Damit sind wir bei den Ursachen der
Menschwerdung — bei der Frage, warum der Mensch zum Menschen
wurde. Sie wird sich als roter Faden durch das Buch ziehen.
Warum verließen Vertreter der Gattung Mensch dreimal ihre afrikanische Heimat und zogen in den Norden? War Afrika überfüllt? Darauf
deutet so gut wie nichts hin. Afrika ist bis heute der am dünnsten von
Menschen besiedelte Kontinent, wenn man die großen Wüstengebiete
der Erde und die polaren Eiszonen ausklammert.
Jenseits von Afrika herrschte die Eiszeit. Wie kann eine Gattung,
deren Urheimat die Tropen sind, in die Kälte der Eisrandgebiete ziehen
und dort zu größerer Blüte gelangen als in ihrem Ursprungsgebiet? Alle
wesentlichen und kennzeichnenden körperlichen Anpassungen entsprechen dem Leben in der wechselfeuchten Savannenzone der Tropen. Außerhalb der Tropenzone werden gerade die in langen Entwicklungsprozessen gewonnenen Errungenschaften zum Handicap.
Warum spielte ausgerechnet Ostafrika eine so zentrale Rolle in der
Entstehung des Menschen? Hätte sich die Menschwerdung nicht auch
in Asien oder gar in Europa vollziehen können? Was steckt hinter
diesen so rätselhaft erscheinenden Vorgängen?
Fügt man die vorliegenden Befunde zu einem neuen Bild, ergeben
sich die Antworten fast von selbst. Die Bausteine des Mosaiks passen
sehr gut zusammen, wenn wir das Augenmerk auf die großen Zusammenhänge und die Hintergründe lenken und vom oftmals verwirrenden
10
Detail absehen. Erstaunlicherweise ergeben dann bedeutende Abschnitte aus der biblischen Genesis einen ganz konkreten Sinn.
Die Mosaiksteine passen nicht nur zusammen, sondern sie bedingen
einander gegenseitig. Auf diesem Weg erhält vor allem die Eiszeit einen
ganz neuen Inhalt. Die eiszeitlichen Veränderungen werden zum
Schlüssel für das Geschehen und zum Schrittmacher für Weg und Geschwindigkeit in der Evolution des Menschen. Weltweite Umwälzungen wirkten zusammen und verketteten sich zu einem auf Ostafrika und
Europa konzentrierten Geschehen. Auch dafür gibt es gute Gründe. Die
biblische »Vertreibung aus dem Paradies« wird zu einer sehr wirklichkeitsnahen Umschreibung der Vorgänge. Mit dem Ende der Eiszeit begann die »schlechte Zeit« für den Menschen, und seine Wanderlust
wurde zur unabdingbaren Überlebensstrategie.
Dieses Buch beabsichtigt, die Menschwerdung so darzustellen, daß
das aus den Befunden gewonnene Bild nachvollziehbar ist. Jede Interpretation ist auf Widerlegbarkeit ausgerichtet — eine Grundforderung
für naturwissenschaftliches Argumentieren. Wo sie spekulativ erscheint, mag der Hinweis auf die umfangreiche Literatur zur Vertiefung
verhelfen. Viele Details, die sich in der Fachliteratur nachschlagen lassen, sind um der Klarheit willen weggelassen worden. Wenn es darum
geht, Evolutionsprozesse verständlich zu machen, Querverbindungen
aufzuzeigen und Zusammenhängen nachzuspüren, muß manche Einzelheit auf der Strecke bleiben und manche Vergröberung hingenommen werden. Die Forschung wird ohnehin unablässig neue Fakten zutage fördern, die das Bild verfeinern oder auch da und dort verändern.
Die Entwicklung der letzten Jahre hat aber ganz klar gezeigt, daß die
großen Linien mit jedem neuen Befund bestätigt werden. Das Dunkel
unserer Herkunft hat sich zu lichten begonnen. Die Konturen werden
sichtbar, weil die Forschung auf breiter Front voranschreitet. Längst
sind es nicht mehr nur Archäologie und Anthropologie oder einige
wenige Fachdisziplinen der naturwissenschaftlichen Forschung, die an
der Erhellung unserer Vergangenheit arbeiten, sondern Richtungen wie
Physik, Meteorologie, Ozeanographie und Ökologie, die ganz wesentliche Bausteine liefern. Gegenwärtig ist die moderne Genetik am Zuge,
und gleichzeitig beginnen Sprachforschung und Humanbiologie immer
wichtiger zu werden.
Zuletzt eine Frage, deren Antwort dem Leser anheimgegeben ist: Was
kann uns die Kenntnis der Vergangenheit für die Zukunftsbewältigung
bringen? Dafür mag aufschlußreich sein, unter welchen Bedingungen
der Mensch im Einklang mit der Natur lebte. Hatte er jemals in seiner
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modernen Form als Homo sapiens sapiens zu einem Gleichgewicht
gefunden? Ohne Kenntnis der Umstände, unter denen der Mensch entstanden ist, werden sich solche grundlegenden Fragen nie wirklich klären lassen.
Das Buch handelt von der Entstehung des Menschen im Wechselspiel mit der Natur. Es will die biologische Evolution des Menschen
verständlich machen, die Zusammenhänge und die Rahmenbedingungen erläutern, aber es handelt nicht von der kulturellen und geistigen
Evolution des Menschen. Dies sind andere Dimensionen des Menschseins, auch wenn sie die biologische Ausstattung des Menschen zur
Voraussetzung haben. Vielleicht ist die biologische Entstehungsgeschichte des Menschen interessant genug, um für sich betrachtet zu
werden. Wer hätte schon daran gedacht, daß man aus ein paar Stückchen Erbsubstanz, die nicht einmal dem menschlichen Erbgut direkt
angehört, ablesen kann, daß Eva aus Afrika kam? Mit dieser überraschenden Feststellung soll unsere Darstellung der Menschwerdung
beginnen.
Josef H. Reichholf
1. Kapitel
Eva kam aus Afrika
Neue wissenschaftliche Befunde pflegen meist in den Fachjournalen
steckenzubleiben. Diesmal war es aber anders. Die Nachricht schlug ein
wie eine Bombe. Dabei war das Ergebnis nicht einmal so unerwartet
ausgefallen, hatten sich doch seit Jahren die Anzeichen fast zur Gewißheit verdichtet, daß der Mensch in Afrika entstanden ist. Fossilfunde in
großer Zahl bilden das Beweismaterial dafür.
Aber so sehr die Funde auch überzeugten, sie konnten den Einwand
nicht ausräumen, daß anderswo auf der Welt, in Südostasien etwa,
Ähnliches abgelaufen war und daß sich somit die Menschwerdung an
mehreren Stellen unabhängig voneinander vollzogen hatte. Würde
diese Sicht der Evolution des Menschen die Vielfalt der Rassen nicht
ungleich besser erklären? Man sieht doch, wie groß die Unterschiede
sind! Verständlich, daß viele von einer Menschwerdung »auf breiter
Front« überzeugt waren.
Nun änderte sich alles mit einem Schlag. Forschungen an der Universität von Berkeley in Kalifornien hatten Erstaunliches zutage gefördert.
Die Nachricht wurde Anfang 1987 in einer der führenden Wissenschafts-Zeitschriften der Welt, in »Nature« (Band 325), veröffentlicht.
Kurze Zeit später machte sie Schlagzeilen in der Presse. Die Annahmen
zum Ursprung des Menschen in Afrika hatten nämlich eine höchst
überraschende, in ihrer Logik faszinierende Bestätigung bekommen,
und zwar über einen Weg, den vorher noch niemand beschritten hatte.
Allan Wilson war auf die geniale Idee gekommen, dem Ursprung des
Menschen mit Hilfe der neuen Möglichkeiten der Genetik nachzuspüren. Das hatten andere vorher auch schon versucht. Doch sie kamen
deswegen nicht weiter, weil sich die Menschen in früheren Zeiten —
nicht anders als heute — immer wieder vermischten und keine »reinen
Linien« entstehen ließen. Das ist auch der Grund dafür, weshalb die
großen Rassen mehr oder minder kontinuierlich ineinander übergehen.
Selbst die abgeschiedensten Gruppen von Menschen blieben nicht
13
ohne Einfluß von Erbgut, das von außerhalb hereingetragen worden ist.
Die Vielfalt, die sich aus dieser Vermischung der Menschen untereinander aufgebaut hat, ist so groß, daß sie sich einer Ahnenforschung über
lange Zeitspannen weitestgehend entzieht. Je weiter der Weg zurückführt, um so mehr verwischen sich die Spuren und um so unsicherer
werden die Schlußfolgerungen. Nicht einmal die nobelsten der Adelsgeschlechter lassen sich weiter als ein paar Dutzend Generationen zurückverfolgen. Nur mit dem Trick der namengebenden männlichen
Erbfolge blieben sie scheinbar frei von äußeren Einflüssen. Aber eben
nur scheinbar, weil die eingeheirateten Frauen nicht berücksichtigt
wurden. In genetischer Hinsicht brachten sie aber ebenso viele Erbeigenschaften mit wie die männliche Linie.
In genau diesem Beitrag der Frauen steckt aber, nach Allan Wilson,
ein wenig mehr. Und dieses »Wenig-Mehr« war bislang einfach unbeachtet geblieben, weil ihm keine Bedeutung beigemessen worden war.
Es steckt nämlich nicht in der eigentlichen, im Zellkern zusammengefaßten Erbinformation, im Genom, sondern in kleinsten Partikelchen
verteilt im ganzen Zellkörper. Die Rede ist von jenen merkwürdigen
Gebilden, die erst entdeckt wurden, als leistungsfähige Mikroskope entwickelt worden waren. Es sind dies die Mitochondrien.
Ihre wahre Natur offenbarte erst das Elektronenmikroskop. Das herkömmliche Lichtmikroskop reichte nicht aus, um Vergrößerungen zu
erzielen, wie sie benötigt werden, um den Feinbau der Mitochondrien
zu studieren. Ab einer 20000fachen Vergrößerung kann man sehen,
was in diesen winzigen, stäbchenförmigen Gebilden steckt. Sie sind für
die Zellen unentbehrliche Bestandteile. Man hat sie sehr treffend als die
»Kraftwerke der Zellen« charakterisiert, weil sich in den Mitochondrien äußerst Lebenswichtiges abspielt. Sie setzen auf chemischem
Wege Energie in eine Form uni, wie sie von den Lebensprozessen in der
Zelle benötigt wird. Die Zelle ist auf die Leistungen der Mitochondrien
angewiesen. Dennoch gehören sie, genau genommen, gar nicht zur
Zelle. Vielmehr handelt es sich um Abkömmlinge winziger Bakterien,
die irgendwann in ferner erdgeschichtlicher Vergangenheit von den damals wahrscheinlich noch einzeln und freilebenden Zellen aufgenommen worden sind. Ursprünglich mögen diese Mitochondrien als Nahrung gedient haben. Vielleicht waren sie auch Krankheitserreger oder
Parasiten, die in die Urzellen eindrangen und sie nach und nach zerstörten.
Jedenfalls gehören sie nicht zu all jenen Bestandteilen der Zelle,
welche diese selbst herstellt. Die moderne Biologie neigt daher zu der
14
Ansicht, es handle sich bei den Mitochondrien um fremde Helfer der
Zelle, die darin unter kontrollierten Bedingungen wachsen und gedeihen. Ein solches Zusammenleben bezeichnet man als »Symbiose«. Es
ist für beide Partner von Vorteil: für die Zelle, weil sie von den Mitochondrien mit Energie versorgt wird, und für die Mitochondrien, weil
sie in den Zellen ideale Lebensbedingungen vorfinden.
Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Zwei Partner arbeiten
zusammen und bringen es somit zu höherer Leistung. Das mit der Leistung stimmt auf jeden Fall, weil Zellen ohne Mitochondrien bei weitem
nicht so viel leisten können. Das läßt sich an einfachen, mitochondrienfreien Zellen messen und im Experiment bestimmen. Doch sagt ein
solcher Befund nichts darüber aus, ob es sich bei den Mitochondrien
wirklich um zellfremde Symbionten oder um zelleigene Bildungen handelt. Die Zellen enthalten ja so viele und so phantastische Strukturen,
daß die Annahme fremder Gäste nicht gerade naheliegt. Und doch
dürfte sie aller Wahrscheinlichkeit zutreffen — und den Bogen zur afrikanischen Eva schließen.
Die Mitochondrien besitzen nämlich eigenes Erbgut, das unabhängig
ist vom Erbgut der Zelle, letzteres im Zellkern zuammengeballt zu
Chromosomen. Die Fachbezeichnung für das Erbgut der Mitochondrien ist »mitochondriale Desoxyribonukleinsäure«. Vernünftigerweise
verkürzt man diesen komplizierten Namen auf mt-DNS. Das Entscheidende ist aber, daß dieses Erbgut die Mitochondrien in die Lage versetzt, eigenständig in der Wirtszelle zu leben und sich zu vermehren.
Die Mitochondrien verhalten sich tatsächlich so wie Bakterien, die in
eine Zelle eingedrungen sind. Haben sie genügend Material um sich
gesammelt, teilen sie sich und geben jedem Teilstück eine vollständige
Kopie ihres Erbgutes mit. Wäre das nicht der Fall, könnten die Tochterbakterien gar nicht weiterleben, weil im Erbgut die Rezeptur für all
die chemischen Prozesse steckt, von denen ihre Existenz und Lebendigkeit abhängt. Das Erbgut der Mitochondrien kopiert sich daher
immer wieder, tausendfach im Leben der einzelnen Zelle, millionenund abermillionenfach im Verlauf der Geschichte der Lebewesen. Und
es bleibt dabei gänzlich unabhängig vom Erbgut der Wirtszellen. Das
ist das Entscheidende. Denn so behält es seinen eigenen Weg bei.
Dieser »Weg« durch die Geschichte des Menschen ist nun der aufschlußreiche Aspekt, hinter dem sich die wissenschaftliche Sensation
verbirgt. Die Erbinformation der Mitochondrien verändert sich nämlich
im Laufe der Zeit: sie mutiert. Das bedeutet, daß sich Feinheiten der
Zusammensetzung Stückchen für Stückchen ein wenig verändern. Man
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bezeichnet den Vorgang als »Ticken der molekularen Uhr«, was ausdrücken soll, daß im Laufe langer Zeiträume die molekularen Feinstrukturen des Erbgutes, als die kleinsten chemischen Verbindungen,
mutieren. Am Ausmaß der Mutationen läßt sich sodann die Zeitspanne
abschätzen, die vergangen ist. Eine solche Interpretation setzt natürlich
voraus, daß die Veränderungsrate ziemlich konstant ist. Darüber weiß
man zwar noch wenig, aber ein Umstand spricht dafür, daß keine
schnellen Veränderungen anzunehmen sind. Die Mitochondrien befinden sich nämlich im Zellinneren in einer außerordentlich konstanten
Umwelt, die — anders als die Umwelt, der die Organismen selbst ausgesetzt sind — keine sich mehr oder weniger häufig wechselnden Ansprüche an die Mitochondrien stellt. Sie leben vielmehr in einem gleichbleibenden Milieu. Unbeeinflußt vom äußeren Zwang, kann daher die
molekulare Uhr weiterticken. Das ist der eine wichtige Punkt, der für
die Beurteilung des mitochondrialen Erbgutes von Bedeutung ist: Die
molekulare Uhr kann ungestört laufen.
Das allein würde aber nicht genügen, um daraus Schlüsse über den
Ursprung des Menschen ziehen zu können. Bekäme nämlich jeder
Mensch bei der Befruchtung der Eizelle auch vom väterlichen Erbteil
Mitochondrien mit, müßten sie sich mit denen der Mutter vermischen.
Selbst wenn jedes für sich eigenständig bliebe, könnte hinterher niemand mehr sagen, welches Mitochondrium vom Vater und welches von
der Mutter stammt. Genau das aber passiert nicht: Die Samenzelle
bringt zwar den väterlichen Teil des Erbgutes mit, das bei der Verschmelzung mit der Eizelle den Beginn des neuen Menschen ausmacht,
aber sie fügt der befruchteten Eizelle keine Mitochondrien zu. Diese
stammen alle von der mütterlichen Linie ab. Damit ist es gleichgültig,
Das Erbgut des Menschen steckt in feinen Doppelfäden, DNA (Desoxyribonucleinsäure, deutsch DNS) genannt, in den Chromosomen im Zellkern. Die Kernbasen
Adenin, Thymin. Cytosin und Guanin bilden darin das Alphabet des Lebens; eine
Schrift, die genaue Anweisungen für das Funktionieren der Zellen enthält. Während
diese DNA im Zellkern die eigentliche Erbsubstanz des Menschen darstellt, findet
sich davon unabhängig zusätzliche Erbsubstanz in den Mitochondrien. Sie sind die
energieliefernden » Kraftwerke« der tierischen und menschlichen Zellen. Sie vermehren sich eigenständig und von der Erbsubstanz im Zellkern gänzlich unabhängig.
Da bei der Befruchtung einer menschlichen Eizelle durch die Samenzelle keine
Mitochondrien übertragen werden, gibt ausschließlich die Mutterlinie das Erbgut
dieser Mitbewohner der Zellen weiter. An Änderungen in der Abfolge der vier Buchstaben, die das Alphabet des Lebens in Form der Kernbasen enthält, lassen sich
stammesgeschichtliche Veränderungen ablesen.
16
tierische Zelle
Chromatin
Nucleolus
Zellkern
Retikulum
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mit
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17
wie oft und wie stark das menschliche Erbgut durchmischt wird; für die
Mitochondrien bleibt alles beim alten. Sie werden von den Müttern
über die Töchter zu den Enkeln weitergegeben, ohne daß dieser Strom
jemals abreißen könnte. Es entsteht daraus eine reine »Mutterlinie«.
Für die Mitochondrien selbst ist dies aller Wahrscheinlichkeit nach
völlig bedeutungslos. Sie vermehren sich auf ihre Weise, und wenn eine
Mutation eine so starke Veränderung hervorgerufen haben sollte, daß
ihr winziger Körper nicht mehr richtig funktioniert, stirbt das betreffende Mitochondrium ab und wird von der Zelle aufgelöst. So bleiben
nur die unschädlichen Mutationen erhalten. Sie können sich ansammeln; daher der Vergleich mit dem Ticken einer Uhr. Das Ergebnis ist
eine gewisse Variabilität im Aufbau der mt-DNS, und diese läßt sich mit
raffinierten biochemischen Methoden bestimmen und »ausmessen«.
Hier setzten die neuen Untersuchungen an. Die Forscher um Jim
Wainscoat von der Universität Oxford sagten sich, wenn man die Variation der mitochondrialen DNS bei den verschiedenen Rassen und Verwandtschaftsgruppen des Menschen untersucht, müßte sich aus den
Ergebnissen ablesen lassen, ob der moderne Mensch an mehreren Stellen entstanden ist, also aus einem geographisch breit gefächerten Bestand einer »Vorläufer-Art« hervorging, oder ob er seinen Anfang an
einer ganz bestimmten Stelle genommen hat. Gesetzt den Fall, die erste
Annahme wäre richtig, sollte die Variation in der mt-DNS ungefähr
gleich groß sein, wenn Menschen verschiedenster geographischer Herkunft untersucht werden. Irifft aber die zweite Annahme zu, dann
müßte die Variation zunehmend geringer werden, je weiter der räumliche wie zeitliche Abstand vom Ursprung wird.
Genau dies zeigte sich in den Untersuchungsergebnissen. Mehr noch:
Es waren deutlich zwei Gruppen zu unterscheiden. Die eine ist durch
eine hohe Variabilität gekennzeichnet: Dies sind die Afrikaner. Und die
andere Gruppe sind alle übrigen Menschen. Ihre Variabilität ist beträchtlich geringer im Hinblick auf Unterschiede in der mt-DNS. Ja, es
sieht so aus, als ob ein »Flaschenhals« ausgebildet wäre, welcher die
Fülle der Variation in der afrikanischen Population mit einer geringeren
in den außerafrikanischen Menschengruppen verbindet. Je weiter diese
Der Auszug aus Afrika spiegelt sich in der Bandbreite der Variation der Mitochondrien-DNS. Die Variation ist innerhalb Afrikas viel größer als in den außerafrikanischen Menschengruppen, die bei ihrer Ausbreitung vier Hauptrichtungen genommen
haben. Die Populationen des Vorderen Orients und Europas liegen diesem «genetischen Flaschenhals« nahe.
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trocken^^-"^— gefallene
Landmassen
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von Afrika entfernt sind, desto größer werden die Unterschiede, und um
so mehr Zeit muß vergangen sein, die diese Unterschiede hervorgerufen
hat. Es entsteht das Bild eines sich verzweigenden (Stamm-)Baumes,
dessen weitgefächertes Wurzelwerk in Afrika liegt, und der seine Krone
in alle Welt hinausfächert. Die Verbindung schafft der Stamm, der zwischen Wurzeln und Krone vermittelt.
Nur eine Erklärung verträgt sich mit diesem Phänomen: Der Mensch
hat sich in Afrika entwickelt. Irgendwann verließ dann eine kleine
Gruppe die afrikanische Urheimat und breitete sich nach Vorderasien,
Europa, Ostasien und später bis nach Australien und Amerika aus. Mit
der Aufspaltung der ursprünglichen Gruppe in verschiedene Zweige
setzte die Ausbildung der außerafrikanischen Menschenrassen ein.
Aber alle gehen auf einen gemeinsamen Ursprung in Afrika zurück.
Damit ergibt das Schlagwort von der afrikanischen Eva durchaus
Sinn, auch wenn die heutige Menschheit natürlich nicht im strengen
Sinne von einer einzigen Stamm-Mutter abgeleitet werden kann. Doch
daß es sich um eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Menschen
gehandelt hat, die seinerzeit Afrika verließen und in der Folge ihrer
Ausbreitung die Welt eroberten, dafür sprechen die Befunde. Und sie
machen auch jede spätere Einmischung recht unwahrscheinlich. Die
aus Afrika kommenden Menschen konnten sich demnach nicht mit
einem anderen Menschenschlag, den Neandertalern, gemischt haben,
da sonst Mutterlinien vom Neandertaler vorhanden sein müßten. Sie
hätten eine eher stärkere Variabilität zur Folge haben müssen, als sie
sich schon innerhalb Afrikas entwickelt hatte. Das winzige Mitochondrium wird somit zum Testfall mit weitreichenden Folgen.
Den kalifornischen Forschern ließ diese phänomenale Entdeckung
natürlich keine Ruhe. Hatten sie nun gleichsam einen möglichen Beweis für den afrikanischen Ursprung des Menschen in der Hand, so
wollten sie auch herausbekommen, wann denn der Auszug aus Afrika
stattgefunden hatte. Sie nahmen an, daß im konstanten Zellmilieu die
molekulare Uhr in den Mitochondrien recht regelmäßig tickt. Man
müßte sie folglich »eichen« können. Wenn dies gelänge, hätte man die
Uhr gleichsam gestellt und man brauchte die Zeit, die verstrichen ist,
nur noch abzulesen. Das ist der schwierigste Teil des ganzen Unterfangens. Die Mutationen geschehen nämlich so selten, daß sich in langen
Zeiträumen nur ein ganz geringer Teil des mitochondrialen Erbgutes
ändert. In einer Million Jahre macht das nur eine Veränderung von 2 bis
4 Prozent aus. Viel mehr dürfte es auch gar nicht sein, weil sonst die
Funktionsfähigkeit der Erbinformation zugrunde gehen würde.
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