Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 114 5 5.1 Grundlagen der speziellen Therapie Therapiestudien M. Weller, M. Westphal Angesichts der unsicheren Datenlage zu vielen derzeit in der Neuroonkologie angewandten Therapieformen und angesichts der z. T. erheblichen Beeintråchtigung der Lebensqualitåt durch die Therapie in der Neuroonkologie ist es besonders wichtig, Patienten mit neuroonkologischen Erkrankungen innerhalb kontrollierter Therapiestudien zu behandeln. Bei einer klinischen Studie im engeren Sinne handelt es sich um ein standardisiertes Procedere, nachdem Patienten mit einer definierten Erkrankung nach einem zuvor definierten Studienprotokoll behandelt werden. Je nach Fragestellung werden klinische Studien einer von 4 verschiedenen Phasen der Entwicklung einer Therapie zugeordnet (Phase I±IV; Tab. 5.1). Ein- und Ausschlusskriterien. Bei der Planung einer klinischen Studie muss zunåchst anhand der Ein- und Ausschlusskriterien definiert werden, welche Patienten fçr die Beantwortung der zugrunde liegenden Fragestellung geeignet sind. Diese Ein- und Ausschlusskriterien umfassen u. a.: O die Abgrenzung verwandter Krankheitsbilder, O Altersbeschrånkungen nach oben und unten, O Vorerkrankungen, O Begleiterkrankungen und O Begleitmedikationen. Fragestellung, Endpunkte. Wichtigste Voraussetzung fçr die erfolgreiche Durchfçhrung einer klinischen Studie sind die Formulierung einer klaren Fragestellung und die Definition von primåren und sekundåren Endpunkten. Die erwarteten Werte fçr den primåren Endpunkt determinieren u. a. auch die Anzahl der Patienten, die rekrutiert werden mçssen, um bei einer klinischen Studie zu einem schlçssigen Ergebnis zu kommen. Die wichtigsten Endpunkte in der Neuroonkologie sind: O Ansprechen (Response nach Macdonald et al. 1990), O progresssionsfreies Ûberleben, O Ûberlebenszeit, O Lebensqualitåt. Ansprechen wird als komplette Remission (CR), partielle Remission (PR), Stabilitåt (stable disease, SD) oder Pro- gression (progressive disease, PD) bewertet. Ansprechen auf eine Therapie in diesem Sinne ist vor allem ein geeigneter Parameter zur Bewertung der biologischen Aktivitåt neuer Substanzen in Phase-II-Studien. Fçr Phase-III- und Phase-IVStudien in der Neuroonkologie ist das Ansprechen als primårer Endpunkt eher ungeeignet, weil das initiale Ansprechen auf Chemotherapie in Form partiellen Ansprechens, geringen Ansprechens oder einer Stabilitåt des Tumors (Macdonald et al. 1990) keinen prådiktiven Wert fçr das progressionsfreie Ûberleben besitzt (Grant et al. 1997). Es scheint zumindest bei Gliomen so zu sein, dass schnell ansprechende Patienten auch håufig frçh ein Rezidiv entwickeln. Fçr Phase-III-Studien, die nachweisen wollen, dass eine neue Therapie den Krankheitsverlauf stårker beeinflusst als die Standardtherapie, sind in der Regel das progressionsfreie Ûberleben, oder bei primår schlechter Prognose, das Gesamtçberleben adåquate Endpunkte (Perry et al. 1997). Aktuelle Studien, die zum Zeitpunkt der Drucklegung Patienten rekrutieren, werden in den Kapiteln zu spezifischen Tumorentitåten vorgestellt. Studien zur Therapie maligner Gliome. Im Bereich der Neurochirurgie hat sich fçr die Therapie der malignen Gliome in den letzten Jahren ein rasch expandierendes Feld fçr lokale intratumorale, græûtenteils intraoperative Therapieformen ergeben. Als Therapiekonstellationen sind hier die Primåroperation, die Rezidivoperation und ein nicht offen operierbarer Tumor, entweder bei Progress nach erfolgter Primårtherapie oder bei primårer Inoperabilitåt aufgrund schwer zugånglicher Lage zu differenzieren: O Fçr die Primårtumoroperation sind zwei internationale Phase-III-Studien zur lokalen Therapie abgeschlossen worden: die Suizidgentherapiestudie mit dem HSV-TKVektor, die keinen Wirksamkeitsnachweis erbrachte (Rainov 2000), und die intrakavitåre Chemotherapie mit Biopolymerplåttchen, die BCNU enthalten, bei der ein marginaler, jedoch signifikanter Effekt auf die Ûberlebenszeit zu beobachten war (Westphal et al. 2003). O Fçr die Rezidivsituation gibt es vor allem Studien zur intrakavitåren Therapie mit radioaktiv markierten, spezifische Tumorantigene erkennenden Antikærpern. Die intrakavitåre Chemotherapie mit BCNU nach Resektion eines Glioblastomrezidivs findet regelmåûig Anwendung in den USA. Eine wichtige weitere lokale Therapieform ist die direkte interstitielle Therapie, die im Rahmen mehrerer Phase-II- und Phase-III-Studien derzeit mit insgesamt 4 unterschiedlichen Substanzen ausgetestet wird (Kap. 16). Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Tabelle 5.1 Phasen I±IV der klinischen Studien Phase Fragestellung/Zielsetzung Beispiele Phase I erster Einsatz am Menschen, Toxizitåt, Dosisfindung bei Medikamenten O TGF-b-Antisense-Oligonukleotide bei Glioblastomrezidiv Phase II Dosiseskalation, Wirksamkeit O Temozolomid bei rezidiviertem ZNS-Lymphom O diverse Konvektionsstudien O Bonner Chemotherapieprotokoll bei primåren ZNSLymphomen Phase III Randomisierung (Vergleich mit Standard), Indikationserweiterung O Temozolomid in der Primårtherapie des Glioblastoms (EORTC 26981), NOA-01, NOA-04 O intrakavitåre Chemotherapie bei Glioblastom (Gliadel) Phase IV Therapieoptimierung (Dosis und Applikationsform), Erfassung seltener Nebenwirkungen, Kosten-NutzenAnalysen, Interaktionsstudien, spezielle Patientengruppen, z. B. Kinder, nicht einwilligungsfåhige Patienten O G-PCNSL-SG-1 (Stellenwert der Ganzhirnbestrahlung in der Primårtherapie des primåren zerebralen Lymphoms) 5.2 Operative Therapie 5.2.1 Perioperatives Management M. Westphal, J.-C. Tonn Neurochirurgische Therapie. Die operative Therapie von primåren Hirntumoren umfasst die gesamte Neurochirurgie und çbergreifend auch Bereiche des HNO-Fachgebietes und der ZMK-Chirurgie. Meilensteine der neurochirurgischen Entwicklung waren: O die exakte neurologische Diagnostik und die Zuordnung von Funktion und Hirnregion, O zunehmende Erfahrung und technische Verbesserungen, O Antibiotika, Medikamente gegen Krampfanfålle und gegen Hirnædem, O Verwendung des Operationsmikroskops, O Bildgebung durch die CT und MRT, O Einfçhrung der Lasertechnologie, O Datenverarbeitung und Bildgebung. Therapieziele. Grundsåtzlich steht bei der Indikation zur chirurgischen Therapie der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Lebensqualitåt im Vordergrund. Die Komplexitåt des chirurgischen Vorgehens richtet sich dabei nach Art und Lage des Tumors sowie dem angestrebtem Ziel, d. h. ob eine radikale kurative Tumorentfernung mæglich erscheint oder ob nur das Volumen des Tumors reduziert werden soll zur Vorbereitung weiterer Therapieformen. In jedem Fall sollte so viel Gewebe gewonnen werden, dass aus einer sicheren histologischen Diagnose weitere therapeutische Schritte abzuleiten sind. Ist das Vorgehen primår von der zu erwartenden Histologie abhångig und liegt der Tumor ungçnstig, so kann eine Histologie çber eine stereotaktische Biopsie gewonnen werden, wonach die weiteren Optionen gegeneinander abgewogen werden (s. a. Kap. 3.3). In manchen Fållen ist lediglich eine palliative Therapie mæglich. Diagnostik Die pråoperative bildgebende Diagnostik besteht heute bei klinischem Verdacht auf eine intrazerebrale Raumforderung in erster Linie in der MRT. Durch Wahl geeigneter Sequenzen ohne und mit Kontrastmittelgabe lassen sich nicht nur die Lage der Geschwulst, sondern auch wesentliche Hinweise zur Artdiagnose gewinnen. Dies und die exakte Darstellung der Låsion in den 3 Ebenen sagittal, koronar und axial ermæglicht pråoperativ die Wahl des schonendsten und effektivsten operativen Zugangsweges ± ein entscheidendes Moment zur Senkung der behandlungsbedingten Morbiditåt. Die CT hat noch Bedeutung fçr den Nachweis von Verkalkungen (z. B. bei Oligodendrogliomen, Meningeomen, Kraniopharyngeomen) und zur Darstellung der Anatomie oder knæchernen Schådelbasis bei dort lokalisierten Tumoren. Die ¹klassischeª Katheterangiographie findet dann noch ihre Indikation, wenn exakte Analysen der arteriellen Blutversorgung, ggf. mit der Mæglichkeit der pråoperativen Embolisation (Abb. 7.53), erforderlich sind (z. B. manche Meningeome, Glomus-jugulare-Tumoren), oder zur Abbildung der venæsen Drainage, z. B. bei sinusnahen Meningeomen (Abb. 7.49). Die Lagebeziehung der Geschwçlste zu den groûen arteriellen und venæsen Gefåûen kann heute jedoch auch nichtinvasiv mithilfe der Magnetresonanzangiographie (MRA) dargestellt werden. Die Lokalisation funktionell wichtiger Areale (z. B. Motorkortex, sprachrelevante Regionen) soll mittels funktioneller MRT (fMRT) erleichtert werden ± diese Daten werden heute teilweise schon in die Planung der operativen Strategie eingebunden, obgleich die Validierung dieser Technik noch nicht abgeschlossen ist (Billiveau et al. 1991, Jannin et al. 2002). 115 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 116 5.2 Operative Therapie Abb. 5.1 a±d Intraoperative Neuronavigation. Hier wird der Patient in einem dreidimensionalen Referenzsystem, das intraoperativ immer wieder aufrufbar ist, gelagert und in diesem wird ein pråoperativ gewonnener Datensatz so referenziert, dass auch die in diesem System registrierten Instrumente darin gefçhrt und in ihrer Lage zum Tumor çberprçft werden kænnen. Man sieht den Tumor und als Trajekt eine aufgesetzte Sonde, die vor der eigentlichen Operation anzeigt, dass man sich genau an der zu pråparierenden Grenze des postzentral gelegenen Tumors befindet. a b c d Perioperative Anfallsprophylaxe Die perioperative Anfallsprophylaxe wird nicht einheitlich gehandhabt. Haben vor der Operation Anfålle bestanden, sollte auch eine postoperative Therapie durchgefçhrt werden. Der Wert der Prophylaxe und die bevorzugten Medikamente werden im Kap. 4.3 dargestellt. gangen wird. Man kann allgemein sagen, dass bei allen Tumoren postoperativ oder zum Entlassungszeitpunkt eine Kontrolle erfolgen sollte. Niedriggradige und hæhergradige Gliome sollten innerhalb von 48 Stunden postoperativ kernspintomographisch nachuntersucht werden. Je rascher ein Tumor gewachsen war, umso enger mu Èssen die Kontrollen gewa Èhlt werden. Blutverlust bei neurochirurgischen Eingriffen In den Zeiten der modernen Mikrochirurgie sind Operationen, bei denen Blutkonserven benætigt werden, eher eine Seltenheit. Gelegentlich kann bei einem Schådelbasismeningeom oder einem Chemodektom (Glomus-jugulareTumor) eine Transfusion notwendig werden. Wenn eine solche Situation absehbar ist, kann zunåchst versucht werden, die Blutzufuhr zum Tumor durch eine pråoperative Embolisation zu reduzieren. Darçber hinaus kann intraoperativ durch Håmodilution und langsame Autotransfusion des wåhrend der Operation gewonnenen Blutes der tatsåchliche Blutverlust minimiert und begrenzt ausgeglichen werden. Ist eine Transfusion wahrscheinlich und die Operation zeitlich nicht dringlich, kann mit dem Patienten die Eigenblutspende diskutiert werden. Postoperative Kontrollen und Nachsorge Jede histologisch definierte, in diesem Kapitel abgehandelte Tumorgruppe hat ihre eigenen Nachsorgekriterien, auf die im Rahmen der speziellen Krankheitsbilder einge- 5.2.2 Chirurgische Technik Fçr mikrochirurgische Operationen von Tumoren des ZNS stehen heute hochentwickelte Techniken zur Verfçgung, die zugleich die Effizienz der Behandlung gesteigert und die chirurgisch induzierten Morbiditåt reduziert haben. Navigation. Mittels prå- und intraoperativer Navigation (Abb. 5.1) sowie unter Zuhilfenahme des intraoperativen Ultraschalls kænnen Låsionen zielsicher und schonend aufgesucht werden (Leroux et al. 1994, Sutcliffe 1991, Unsgaard et al. 2002), wobei der Ultraschall ein direktes Bild liefert, ohne auf die Verschiebungen wåhrend der Operation Rçcksicht nehmen zu mçssen. Elektrophysiologische Stimulation. Die elektrophysiologische Stimulation kortikaler Areale sowie der Hirnnerven und spinaler Nervenwurzeln erlaubt die intraoperative Identifikation und, in eingeschrånktem Maûe, auch die Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Abb. 5.2 Intraoperative Ableitung von der Hirnoberflåche mit einer Streifenelektrode bei dem Patienten mit dem postzentralen Tumor aus Abb. 5.1. Die vorderste Elektrode markiert die prå-/postzentrale Grenze, sodass man nun definitiv verifiziert hat, dass der Tumor komplett postzentral liegt. Funktionsdiagnostik. Diesem Zweck dient auch die intraoperative Ableitung von akustisch evozierten Potenzialen (AEP), somatosensorisch evozierten Potenzialen (SSEP) und motorisch evozierten Potenzialen (MEP). Ortung und Ûberwachung der entsprechenden Funktionen senken das Risiko einer operationsbedingten Schådigung. In der Zentralregion kann eine intraoperativ abgeleitete Phasenumkehr zwischen Gyrus precentralis und Gyrus postcentralis genau die Lage eines Tumors in der Zentralregion beschreiben (Abb. 5.2). In Kenntnis der Funktion kann die Tumorentfernung weiter vorangetrieben oder dem Gefåhrdungspotenzial angepasst werden (Mæller 1995, Sekhar et al. 1995). O Wachoperation. Die Darstellung der sprachrelevanten Areale erfolgt entweder intraoperativ im Rahmen einer Wachoperation bei ausgeschaltetem Schmerzempfinden (Meyer et al. 2001). Alternativ wird vor dem Resektionseingriff operativ ein System von Stimulationselektroden auf den Kortex aufgebracht und ein ¹mappingª der Sprachareale vorgenommen. Dieses Vorgehen findet vor allem in der Epilepsiechirurgie Anwendung. O fMRT. Eine pråoperative ¹Kartierungª funktioneller Areale ist mittels fMRT mæglich (Abb. 5.3, siehe Tafel XIV), wobei die Darstellung der sprachrelevanten Areale noch nicht ausreichend durch den ¹Goldstandardª der elektrophysiologischen Stimulationsmethoden validiert ist (Mçller et al. 1996, Duffeau et al. 2001, Fontaine et al. 2002), die breite Anwendung aber zu einem ståndig wachsenden Erfahrungsschatz fçhrt (Berger et al. 1990). Dabei stellt man bei Rezidivoperationen fest, dass sich der Kortex umorganisieren kann (Duffau et al. 2002). Eine besondere Weiterentwicklung der pråoperativen Anatomiedarstellung ist die Analyse der Bahnsysteme in Bezug zu einem Tumor durch ein dtMRT (Abb. 5.4, siehe Farbtafel XIV), in dem dann ein ¹fiber-trackingª mæglich wird (Basser et al. 2000, Coenen et al. 2001). O Intraoperativer Ultraschall und MRT. Der Wunsch, sich wåhrend der Operation Informationen çber das Ausmaû der Tumorresektion zu verschaffen, hat vielfåltige technische Entwicklungen vorangetrieben. Wåhrend die ¹Neuronavigationª in erster Linie der Zugangsplanung und Lokalisation der Låsion dient (fortschreitende Resektion der Geschwulst und Liquorverlust fçhren durch Verschiebung der Strukturen zu Ungenauigkeiten gegen Ende der Operation) soll die intraoperative Bildgebung hier Abhilfe schaffen. Die intraoperative MRT erfordert aufwendige und kostspielige Ausrçstungen. Ihr Nutzen wird derzeit evaluiert (Truwit 2001, Tummala et al. 2001, Bradley 2002). Wesentlich kostengçnstiger und in der Hand des Erfahrenen sehr hilfreich ist der intraoperative Ultraschall (Abb. 5.5) unter Verwendung von Geråten der neuesten Generation (Winter et al. 1996, Unsgaard et al. 2002). Fluoreszenzgestçtzte Resektion. Derzeit wird in einer multizentrischen Studie untersucht, inwieweit die fluoreszenzgestçtzte Resektion nach Gabe von 5-Aminolåvulinsåure bei Patienten mit Glioblastomen hilft, das Ausmaû der Tumorentfernung und mæglicherweise die Ûberlebenszeit zu steigern (Stummer et al. 2000). Interdisziplinårer Ansatz. Bei Geschwçlsten, die in ¹Grenzgebietenª zu Nachbardisziplinen liegen, kann die Kombination der verschiedenen technisch-operativen Expertisen der beteiligten Fachoperateure (Neurochirurg, HNO-Chirurg, Ophthalmo-Chirurg, ZMK-Chirurg) zu einer deutlichen Effizienzsteigerung im interdisziplinåren Ansatz fçhren (Abb. 5.6). Gleiches gilt bezçglich der technischen Ausstattung und der persænlichen Erfahrung des/ der Chirurgen bei seltenen Tumoren/Eingriffen: Die Versorgung an speziell ausgewiesenen Zentren fçhrt zur Qualitåtsverbesserung fçr den Patienten und zur Steigerung der nætigen Routine durch Erhæhung der ¹kritischen Fallzahlª in dem jeweiligen Zentrum. 117 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 118 5.2 Operative Therapie c, d a, b Abb. 5.5 a±d Darstellung der Leistungsfåhigkeit des intraoperativen Ultraschalls (mit freundlicher Genehmigung von Dr. Regelsberger, Neurochirurgische Klinik, UKE, Hamburg). a Typisches Astrozytom WHO-Grad II im MRT. b Das Astrozytom ist im intraoperativen Ultraschall als verdichtete Struktur abgebildet. c Nach Abschluss der Resektion erkennt man die scharf begrenzte OP-Hæhle. d Unmittelbar postoperatives MRT. a, b f, g c, d Abb. 5.6 a±g Beispiel fçr ein interdisziplinår (neurochirurgisch, neuroradiologisch und HNO) versorgtes Østhesioneuroblastom bei einer 30-jåhrigen Patientin. Anschlieûend erfolgte eine externe Bestrahlung. a±c CT-Darstellung des Tumors in Weichteil- und Knochenfenster. Der Tumor hat die Frontobasis durchbrochen und wird auf transkranialem, transbasalem Weg vollståndig entfernt. d u. e Rekonstruktion der knæchernen Basis f u. g Pråoperative selektive arterielle Embolisation durch die Neuroradiologie. e Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Abb. 5.7 a u. b Diffuse Gliomatose beider Frontalhirne. Bereits die MR-Spektroskopie (b) zeigt alle Anzeichen fçr einen in Malignisierung befindlichen hirneigenen Tumor und die zusåtzlich dazu durchgefçhrte stereotaktische Biopsie beståtigt das Vorliegen eines anaplastischen Mischglioms, sodass nur eine Bestrahlung mit anschlieûender Chemotherapie als Therapiemæglichkeit bleibt. a Darstellung in der MRT. Der Balken und beide Frontalhirne sind vollståndig tumordurchsetzt. b siehe S. 120 5.2.3 Gliome Indikationen und Kontraindikationen der chirurgischen Therapie Indikationen Obwohl sich die operativen Mo Èglichkeiten sta Èndig verbessern, muss man sich bei der Indikation zur chirurgischen Therapie der Gliome immer wieder vor Augen fu Èhren, dass diese Tumoren aufgrund ihres erheblichen Potenzials zur diffusen Infiltration des umgebenden Gehirns oft u Èber die Grenzen der Bildgebung hinaus im eigentlichen Sinn nicht heilbar sind (Giese et al. 1996, Giese et al. 2003). Die Indikation zur chirurgischen Therapie ergibt sich z. T. aus den Symptomen oder aus einer vitalen Bedrohung. Primåre OP-Indikationen sind: O Entfernung (bzw. Zytoreduktion) des Tumors, O Beseitigung einer raumfordernden Wirkung der Geschwulst, O histologische Diagnosesicherung. Eine symptomatische Indikation sind Anfålle (Kap. 4.3) oder ein fokales neurologisches Defizit. Eine dringliche Indikation ist eine lokale oder generalisierte Massenverschiebung. Bei konsekutiver Bewusstseinstrçbung besteht eine vitale OP-Indikation. In letzterem Falle kann auch auûer einer die OP vorbereitenden Hochdosis-Cortisontherapie keine andere Behandlungsmæglichkeit eingesetzt werden, da eine rasche Volumenreduktion erreicht werden muss. Handelt es sich um einen zystischen Tumor, kann zunåchst eine Bohrlochtrepanation und Zystenpunktion erfolgen, wodurch eine rasche Entlastung erreicht wird und Zeit fçr weitere Diagnostik zur Verfçgung steht (Kap. 4.2). Kontraindikationen Eine Kontraindikation zur chirurgischen Resektion ergibt sich aus unserer Sicht bei ausgedehnten Prozessen der Mittellinie bzw. des Balkens oder offensichtlich malignen Prozessen, die sich weit in der dominanten Hemisphåre ausgedehnt haben und die insbesondere bei hæherem Lebensalter nicht mehr gçnstig zu beeinflussen sind. Insbesondere gehæren zu dieser Gruppe auch die Prozesse, die die ganze Hemisphåre betreffen und als Gliomatose 119 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 120 5.2 Operative Therapie Abb. 5.7 b MR-Spektroskopie mit 2 unterschiedlichen Spektren, wobei eines in der Randzone des Tumors schon eine relative Verånderung der normalerweise zu erwartenden Intensitåten der einzelnen Peaks zeigt (oben) wobei direkt im Tumorzentrum (unten) ein hochpathologisches Spektrum gemessen wird (mit freundlicher Genehmigung durch Dr. Gæbell, Abt. fçr Neuroradiologie, UKE, Hamburg). anzusehen sind (Abb. 5.7). Insbesondere, wenn gut behandelbare Differenzialdiagnosen (z. B. Lymphom, entzçndliche ZNS-Erkrankungen) nicht ausgeschlossen werden kænnen, sollte die histologische Diagnose bioptisch gesichert werden (Abb. 5.8). Resektion nur dann, wenn eine Raumforderung nachweisbar ist (Kreth et al. 1999). Vorgehensweisen Wird unter Berçcksichtigung der o.a. Einschrånkungen eine Operationsindikation gestellt, so profitieren nach allgemeinem Konsens viele Patienten von einer Zytoreduktion, deren klinische Relevanz von Salcmann und anderen zusammengestellt worden ist (Salcman 1994, Lacroix et al. 2001). Die Zytoreduktion wird allerdings, insbesondere bei Patienten im hæheren Lebensalter, durchaus kontrovers diskutiert (Kelly et al. 1994). Die Resektion wird nicht uneingeschrånkt befçrwortet. Vielmehr empfiehlt eine groûe Gruppe von Therapeuten eher eine Biopsie mit nachfolgender Strahlentherapie (Lunsford et al. 1995, Metcalfe et al. 2001) ± oder eine Differenzierte Gliome, WHO-Grad I und II Tumorbewertung. Die Tumoren haben eine gute Prognose, die Patienten sind oft jung und kænnen den Tumor lange çberleben. Allerdings haben diese Tumoren sehr unterschiedliche Erscheinungsbilder (Kap. 7.1.1, Kap. 7.1.2). Oft sind sie schlecht vom Hirn abgegrenzt und wachsen diffus infiltrativ. Gerade bei dieser Tumorgruppe ist deshalb die pråoperative Funktionsanalyse sinnvoll (Berger 1995, Keles et al. 2001, Roux et al. 2001): Auch in den Randbereichen eines Tumors kann noch funktionelles Hirngewebe enthalten sein und somit durchaus eine Ûberlappung von Tumor und pråoperativ lokalisierter Funktion bestehen (Ojeman et al. 1996, Schiffbauer et al. 2001). Daher ist die chirurgische Therapie der niedriggradigen Gliome anspruchsvoll. Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie 121 Abb. 5.8 a u. b Anaplastisches Mischgliom des hinteren Thalamus in der axialen MRT. Zur Beseitigung des beginnenden okklusiven Hydrozephalus wurde eine endoskopische Biopsie durchgefçhrt und zugleich der Boden des III. Ventrikels endoskopisch gefenstert (Ventrikulozisternostomie) (mit freundlicher Genehmigung von PD Dr. Kehler, Neurochirurgische Klinik, UKE, Hamburg). a OP-Bewertung. Mit den heutigen mikrochirurgischen Instrumenten, moderner Operationstechnik, interoperativer Funktionsanalyse und der zur Verfçgung stehenden kumulativen Erfahrung (Yasargil 1996) kann auch in eloquenten Regionen weitgehend reseziert werden (Abb. 7.4; Ojeman et al. 1987, Zentner et al. 1996, Lang et al. 2001). Indikationen. Die Indikation zur operativen Therapie ergibt sich aus der klinischen Symptomatik, der Raumforderung und der Lage des Tumors zu funktionell wichtigen Zentren. Der Wert der Tumorreduktion kann belegt werden, allerdings in ausschlieûlich retrospektiven Analysen, deren Wert sehr kritisch betrachtet werden muss (Keles et al. 2001). Nach einigen solcher Studien ist die Ûberlebenszeit direkt korreliert mit dem Ausmaû der Resektion und dem Lebensalter der Patienten, die eine bessere Prognose haben, je jçnger sie sind (Soffietti et al. 1989, Wilson et al. 1995, Rostomily et al. 1996, Baumann et al. 1999). Vorgehen. Nachdem aufgrund einer erheblichen Raumforderung, einem schwer einstellbaren Anfallsleiden oder einem neurologischen Defizit infolge indirekter Kompression durch den Tumor die Indikation zur Operation gestellt wurde, sollte in kritischen Regionen noch der Versuch einer kortikalen Funktionsanalyse gemacht werden (Abb. 5.3; Whittle 2002). Intraoperativ wird man dabei die natçrlichen Spaltråume, d. h. Sulci, bis nahe an die Låsion heran ausnutzen und mit mæglichst kleinen Kortikotomien auszukommen versuchen. In weniger eloquenten Regionen kænnen die Tumoren unter Ausnutzung der sulcalen Grenzen auch en bloc reseziert werden. Die intraoperative Bildgebung erfolgt in vielen Kliniken mittels Ultraschall (Abb. 5.5). Alternativen. Tumoren, die diffus groûe Teile der Hemisphåre durchwachsen, ohne dabei aber zu einer græûeren Raumforderung zu fçhren, sind keiner chirurgischen, volumenreduzierenden Therapie zugånglich (Abb. 5.7). Sie b werden stereotaktisch zur Sicherung einer Diagnose biopsiert und ± je nach Histologie und Erfahrung/Strategie des behandelnden Zentrums ± einer interstitiellen (Ostertag 1996) oder externen Strahlentherapie oder ggf. einer Chemotherapie zugefçhrt. Eine prospektive, kontrollierte Studie çber den Wert der Strahlentherapie bei diesen diffusen, niedriggradigen Gliomen ist zwar durchgefçhrt worden, bedarf aber fçr den Einzelfall einer sorgfåltigen Abwågung (Shaw et al. 1989, Karim et al. 1996). Umschriebene, idealerweise sphårische Prozesse unter 4 cm Durchmesser eignen sich fçr eine stereotaktische Biopsie mit anschlieûender Radiochirurgie (Kap. 3.3, Kap. 5.4). Diese erfolgt entweder durch Implantation einer Strahlenquelle, meist 125-I, anlåsslich der stereotaktischen Biopsie und Sicherung der Histologie, oder im Anschluss daran durch eine fokussierte Bestrahlung mit dem Linearbeschleuniger (X-Knife) oder einem Gammaknife. Die Radiochirurgie kann auch gelegentlich mit der offenen mikrochirurgischen Resektion kombiniert werden: Durch Resektion græûerer Anteile eines Tumors in nicht eloquenten Arealen kann die Tumorgræûe so reduziert werden, dass die in funktionell relevanten Arealen verbliebenen Anteile einer radiochirurgischen Therapie zugånglich sind. Hæhergradige Gliome, WHO-Grad III und IV Anaplastische Gliome (WHO-Grad III) Tumorbewertung. Klinisch ist fçr die Tumoren der astrozytåren Reihe und die oligoastrozytåren Mischgliome zwischen dem WHO-Grad II und III eine bedeutende Grenze. Die Tumoren der WHO-Grade III und IV werden auch als hæhergradige Tumoren bezeichnet und haben eine wesentlich schlechtere Prognose als die niedriggradigen Tumoren, wobei auch zwischen Grad III und IV ein erheblicher prognostischer Sprung liegt (Burger et al. 1985, Salcman 1994, Salcman 1996). Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 122 5.2 Operative Therapie a, b c, d e f Abb. 5.9 En-bloc-Resektion eines frontalen, anaplastischen Glioms. Der Vergleich der pråoperativen und unmittelbar postoperativen Bilder zeigt eine vollståndige Resektion, und die Zerteilung des Tumorblocks demonstriert die typische Schnittflåche des von der Konsistenz eher derben Gewebes. Der Tumor ist weitgehend amorph, hat aber eine Zone weicherer, verfårbter, hæher vaskularisierter Konsistenz, wo sich die anaplastischen Anteile finden. a±c OP-Bewertung. Wenn eine Resektion durchgefçhrt wird, gibt es einerseits Studien, die die Prognose mit dem Ausmaû der Resektion (Simpson 1993, Berger 1994) und andere, die sie mit der Græûe des Tumorrests korreliert sehen (Nazarro et al. 1990, Warnik 1991). Durch eine weitgehende Massenreduktion werden optimale Voraussetzungen geschaffen fçr die nachfolgenden Therapien. Die Resektion hat ein vertretbar niedriges Morbiditåtsrisiko (Ciric et al. 1987), das fçr ein neurochirurgisches Zentrum deutlich unter 5 % liegen sollte. geeignete sulcale Grenzen vorhanden, kann auch hier die Resektion en bloc erfolgen (Abb. 5.9) Indikationen. Die chirurgische Therapie ist immer wieder in ihrem absoluten Stellenwert umstritten und ist sicher nur Teil einer multimodalen, multidisziplinåren Behandlung (Walker et al. 1980, Salcman 1996). Vorgehen. Vorausgesetzt, es besteht keine Kontraindikation zur chirurgischen Therapie, ist das Ziel auch bei den hæhergradigen Gliomen die mæglichst weitgehende Entfernung. Die Operationstechnik unterscheidet sich prinzipiell nicht von der bei den niedriggradigen Gliomen. Sind Axiale, koronare und sagittale Darstellung des Tumors in der pråoperativen MRT. d Sagittales postoperatives MRT, das die vollståndige Entfernung des Tumors zeigt. e u. f Resezierter Tumor. Alternativen. Unsicher ist noch, ob kleine, lokal nicht raumfordernde Tumoren in funktionell hochrelevanten Arealen besser nach histologischer Diagnose durch stereotaktische PE primår bestrahlt (Astrozytom WHO-Grad III) oder chemotherapeutisch (Oligodendrogliom WHO-Grad III) behandelt werden sollten. Glioblastom (Astrozytom oder astrozytårer Tumor WHO-Grad IV) Tumor- und OP-Bewertung. Der Verlauf der Erkrankung ist durch eine Operation allenfalls kurzfristig beeinflussbar, wenn es darum geht, akuten Hirndruck zu beseitigen. Die operative Morbiditåt und Mortalitåt ist vertretbar niedrig mit 8 bzw. 2,7 % (Salcmann 1996). Ûber den Wert der chirurgischen Therapie beim Glioblastom gibt es viele Zusammenstellungen, wobei insgesamt aus ausschlieûlich retrospektiven Analysen die Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie 123 Abb. 5.10 a±d Glioblastom und Lokalrezidiv nach Primåroperation und nachfolgender Strahlentherapie. Der bis zum Rezidiv erfreuliche Verlauf und die exzellente Lebensqualitåt des Patienten lieûen in diesem Fall problemlos die Indikation zur Rezidivoperation stellen. a MRT bei okzipitalem Glioblastom. b MRT postoperativ nach 48 h. c MRT postoperativ nach 1 Jahr. d Typisches Lokalrezidiv des Glioblastoms nach 2 Jahren. a b c d Schlussfolgerung gezogen wird, dass die Radikalitåt der Resektion mit der Ûberlebenszeit positiv korreliert (Ammirati et al. 1987 b; Qigley 1991, Simpson 1993, Lacroix et al. 2001). Man muss dabei berçcksichtigen, dass das Lebensalter, die Lage des Tumors und der pråoperative Karnofsky-Index (Tab. 6.6) eine wesentliche Rolle spielen, wobei jçngere Patienten eine deutlich bessere Prognose haben. Darçber hinaus kænnen jçngere Patienten in einem guten Allgemeinzustand aggressiver therapiert werden. In diesem Zusammenhang bereitet eine weitgehende Resektion lediglich die weiteren Therapien vor (Fine et al. 1993). Indikationen. Fçr die Indikation zur operativen Therapie des Glioblastoms steht unbedingt der Grundsatz im Vordergrund, dem Patienten nicht zu schaden, da die langfristige Prognose schlecht ist. Trotz der obligaten Nachbestrahlung (mit individuellen Ausnahmen) rezidivieren die Tumoren immer lokal, oder in 20 % der Fålle auch weiter entfernt von der Resektionshæhle (Abb. 5.10). Dies steht im Gegensatz zu den niedriggradigen Tumoren, bei denen eine Heilung oder långerfristige Krankheitskontrolle erreicht werden kann und ein Patient dafçr nach entsprechender Aufklårung ein vertretbares Risiko einer Funktionseinbuûe einzugehen bereit ist. Alternativen. Alternativ besteht die Mæglichkeit, einen Tumor stereotaktisch zu biopsieren und danach zu bestrahlen und ggf. eine Chemotherapie durchzufçhren. Bei offensichtlich malignen Gliomen, die diffus den Balken durchsetzen, kann man bei Patienten in schlechtem Allgemeinzustand (Karnofsky-Index , 60) durchaus vertreten, keine oder nur palliative therapeutische Maûnahmen zu ergreifen (Abb. 5.11). Rezidive Bei allen abgehandelten Tumorentitåten muss davon ausgegangen werden, dass die Erkrankung trotz makroskopisch weitgehender Entfernung rezidiviert bzw. dass aus den mikroskopisch in der Infiltrationszone verbliebenen Resten neue Tumormassen nachwachsen. In einem solchen Falle stellt sich die Frage nach der Rezidivoperation. Niedriggradige Tumoren. Bei niedriggradigen Tumoren ist die Frage nach einer Rezidivoperation meist positiv zu beantworten (Piepmeyer 1996). In vielen Fållen entwickelt sich der Tumor erneut in die alte Resektionshæhle hinein und kann mit einem åhnlichen Risiko wie bei der Erstoperation entfernt werden (Abb. 5.12). Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 124 5.2 Operative Therapie Abb. 5.11 Glioblastom des Balkens mit eindeutigem Muster in der MR-Spektroskopie (rechts). Bei stark reduziertem Allgemeinzustand ist hier von einer Strahlentherapie abzusehen. a, b c d, e f Abb. 5.12 a±f Jeweils coronare und axiale MRTs bei typischer Entwicklung eines Lokalrezidivs bei einer Patientin mit einem Mischgliom WHO-Grad II, bei der sich innerhalb von fast 4 Jahren langsam ein Rezidiv in der vormaligen Resektionshæhle entwickelt hat (a u. d, b u. e). Aufgrund einer Zunahme der Wachstumsdynamik in der Bildgebung wurde die erneute Entfernung indiziert (c u. f), die erneut einen Tumor WHO-Grad II ergab, allerdings mit langsam zunehmender Zelldichte. Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie 125 Abb. 5.13 a±d Typische Individualfallentscheidung bei einem Patienten mit einem Verlauf çber mittlerweile 12 Jahre bei initialem Oligodendrogliom Grad WHO II, dann spåter WHO III. a u. b Zwischen den ersten beiden Bildern, die noch keinen eindeutigen Progress zeigen, liegen 4 Jahre. c Erneutes Rezidiv (3. Rezidiv), das innerhalb kurzer Zeit entstanden war. d Bei exzellenter Lebensqualitåt ist der Tumor noch einmal operiert worden (Zustand ein Jahr postoperativ). Die erneute Operation ist das sicherste Mittel zur kurzfristigen, effektiven Volumenreduktion. Konservativ bleibt nur die Anwendung bisher noch nicht verwendeter Chemotherapieschemata, da eine Bestrahlung schon erfolgt war. a b c d Auch wenn der Tumor insgesamt an Græûe zugenommen und sich weiter in das Gehirn ausgedehnt hat, kann eine Massenreduktion (¹debulkingª) gerechtfertigt sein, um zusåtzliche Lebenszeit zu gewinnen. Auch aus epilepsiechirurgischer Sicht kann eine Rezidivoperation gerechtfertigt sein (Kap. 4.3). Insbesondere muss bei der Indikation zur Rezidivoperation niedriggradiger Gliome beru Ècksichtigt werden, dass das Rezidiv bzw. der sichtbar werdende Progress in einem betra Èchtlichen Anteil schon Anzeichen einer beginnenden Anaplasie zeigt und somit weitere Therapiemodalita Èten zur Anwendung kommen ko Ènnen. Ausgenommen hiervon sind die pilozytischen Astrozytome (WHO-Grad I), die bei dem Auftreten eines Rezidivs oder bei Wachstum eines bekannten Resttumors nur extrem selten in eine hæhergradige Form çbergehen. Insofern dient die Re-Operation sowohl der erneuten Zytoreduktion und Raumschaffung, aber auch der erneuten histologischen Bewertung zur Entscheidungsfindung fçr Chemotherapie oder/und Strahlentherapie. Hæhergradige Tumoren. Die Indikation zur Rezidivoperation bei hæhergradigen Tumoren ergibt sich aus dem zu erwartenden Gewinn an Lebensqualitåt. Da die Strahlentherapie und Chemotherapie oft schon ausgeschæpft sind, bleibt die Massenreduktion die einzige Mæglichkeit. International bestehen durchaus unterschiedliche Auffassungen çber die Wertigkeit einer Rezidivoperation ± nicht zuletzt aus dem Grund, dass auf der Welt regional erheblich unterschiedliche volkswirtschaftliche Leistungsfåhigkeiten bestehen und der Wert der Lebensverlångerung unterschiedlich eingeschåtzt wird (z. B. 50 000 US$ als ¹adåquater Preisª fçr ein Jahr Lebensverlångerung; Hadley 1994). Unter der ganz unbestrittenen Pråmisse, dass ein anaplastischer, hirneigener Tumor chirurgisch nur in anekdotischen Ausnahmefållen heilbar ist, kann eine Rezidivoperation gerechtfertigt sein, wenn der Patient in gutem Zustand ist und der Tumor ohne weiteren Verlust von Lebensqualitåt noch einmal weitgehend zu Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 126 5.2 Operative Therapie entfernen ist (Durmaz et al. 1997, Pinsker et al. 2002, Abb. 5.13). Ebenso ist es mæglich, dass es sich bei demvermeintlichen Rezidiv um eine Strahlennekrose handelt, die zwar pråoperativ anhand metabolischer, nuklearmedizinischer Untersuchungen differenziert werden kænnte, was aber nur in den Fållen geschehen soll, in denen die Bildmorphologie Zweifel am Tumorrezidiv aufkommen låsst, denn es ist kaum zu rechtfertigen, dass alle Gliomrezidive einer teuren nuklearmedizinischen Untersuchung zugefçhrt werden. Eine Alternative besteht in der stereotaktischen Biopsie (Kap. 3.3). È berlebenszeit In der Regel liegt die durchschnittliche U nach Rezidivoperationen bei 15±22 Monaten fu Èr anaplastische Astrozytome und 5±9 Monaten bei Glioblastompatienten, wobei das Intervall zwischen Erstoperation und Rezidivoperation ein wichtiger Parameter ist (Young et al. 1981, Ammirati et al. 1987, Harsh et al. 1987, Dirks et al. 1993). Experimentelle Therapien. Es soll in diesem Zusammenhang auch erwåhnt werden, dass aufgrund der Struktur der biomedizinischen Therapieentwicklung die Gruppe der Rezidivpatienten diejenige ist, in der neue experimentelle Therapieverfahren zur Anwendung kommen. Die Patienten mit Rezidiv eines Glioblastoms sind mit den etablierten Therapieverfahren meistens ausbehandelt und so besteht seitens der Patienten håufig der Wunsch, neue Mæglichkeiten zur Anwendung zu bringen. Voraussetzung der meisten Therapieprotokolle ist eine nochmalige Resektion, da die Histologie beståtigt werden muss und eine erneute adjuvante Situation entsteht. Aus diesem Grunde werden manche Therapieentwicklungen, wie auch die intraoperative, intrakavitåre Chemotherapie mit BCNU-Biopolymeren, zunåchst fçr die Rezidivsituation zugelassen. Auch dieser Aspekt kann also bei der Indikation zur Rezidivoperation einbezogen werden, allerdings darf der Wunsch, einen Patienten in ein experimentelles Therapieprotokoll einzubringen, nicht im Vordergrund stehen. Nachsorge Postoperative Kontrolle. Nach Operation eines Glioms wird noch wåhrend des stationåren Aufenthaltes eine neuroradiologische Kontrolle angefertigt, am besten als MRT (Abb. 5.9). Verlåssliche Aussagen çber den postoperativen Tumorrest sind nur mæglich, wenn diese Kontrollen O nach 24±48 Stunden postoperativ und O ohne und mit Kontrastmittel angefertigt werden, da sich damit Tumorreste noch vor Beginn der operationsbedingten Schrankenstærung nachweisen und in ihrer Græûe definieren lassen (Albert et al. 1994, Henegar et al. 1996). Nimmt ein Tumor pråoperativ kein Kontrastmittel auf, wie die niedriggradigen Gliome, braucht die sofortige postoperative Kontrolle allerdings auch keine KM-Gabe. Niedriggradige Tumoren. Patienten mit niedriggradigen Tumoren werden zunåchst in den meisten Fållen keiner weiteren Therapie zugefçhrt und bleiben in der Nachsorge, die entweder von der operativen Abteilung selbst vorgenommen wird oder der kooperierenden neuroonkologischen Einrichtung bzw. der mitversorgenden onkologischen Sprechstunde. Zu empfehlen sind zunåchst Kontrolluntersuchungen in 6-monatigen Abstånden bis 2 Jahre postoperativ, wonach auf 1-jåhrige Kontrolluntersuchungen, vorzugsweise mittels MRT, çbergegangen werden kann. Eine Verånderung eines bekannten Anfallsleidens sowohl bezçglich der Frequenz als auch der Semiologie oder neue neurologische Symptome sollen zur sofortigen Wiedervorstellung fçhren. Hæhergradige Tumoren. Bei hæhergradigen Tumoren WHO-Grad III und IV erfolgt zunåchst die Bestrahlung, ggf. mit Chemotherapie (letztere insbesondere bei Oligodendrogliomen WHO-Grad III und Mischgliomen WHO-Grad III). Am Ende dieser Therapie wird standardgemåû erneut eine Bildgebung erfolgen. Danach sollten die Kontrollen zunåchst in viertel- bis halbjåhrlichen Abstånden erfolgen. Nach einem Jahr kann auf 6-monatige Intervalle çbergegangen werden, es sei denn, es ergeben sich klinische Aspekte, die eine unverzçgliche Bildgebung zu einem anderen Zeitpunkt rechtfertigen. 5.2.4 Meningeome Tumorbewertung. Bei den Meningeomen handelt es sich zumeist um langsam wachsende Tumoren. Demzufolge beinhaltet die Therapie der Meningeome eine gånzlich andere Philosophie als die Chirurgie der Gliome. Prådilektionsorte von Meningeomen sind z. B. die Konvexitåt und die Falx. An der Falx kænnen die Sinus sagittalis superior, inferior, rectus oder transversus beteiligt sein. Falx- bzw. Tentoriumkantenmeningeome kænnen wie groûe Pinealislogentumoren aussehen (Abb. 5.14; Konovalov et al. 1987). OP-Bewertung. Meningeome kænnen prinzipiell chirurgisch heilbar sein ± andere als chirurgische Maûnahmen spielen bei Meningeomen nur eine untergeordnete Rolle. Die chirurgische Kurabilitåt eines Meningeoms und damit die Rezidivrate ist dabei abhångig von der anatomischen Lokalisation (Jååskelåinen 1986, Philippon et al. 1991, Simpson 1957). Sie betrågt nahezu 100 % bei den reinen Konvexitåtsmeningeomen im Gegensatz zu den nur ganz selten chirurgisch vollståndig heilbaren ausgedehnten Meningeomen der Schådelbasis und insbesondere des Sinus cavernosus. Um eine Vergleichbarkeit verschiedener Serien zu ermæglichen, ist schon vor langer Zeit eine Konvention eingefçhrt worden, die das Ausmaû chirurgischer Radikalitåt beschreiben soll (Simpson 1957; Tab. 5.2). Indikationen. Meningeome sind eine Domåne der chirurgischen Therapie. Die Operationsindikation und die Behandlungsstrategie richten sich nach: Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie 127 Abb. 5.14 a±d Pråoperative CT ohne (a) und mit (b) Kontrastmittel eines Meningeoms in der Pinealisloge, der von der Einmçndung des Sinus sagittalis inferior in den Sinus rectus am Ûbergang von Falx und Tentorium ausgeht (obere Reihe). Dieser Tumor ist auf direktem interhemisphåriellem Zugang postzentral operationsmikroskopisch vollståndig, mit Koagulation des Ansatzes (Simpson-Grad II) entfernbar gewesen, wie die sagittalen MRT pråoperativ (c) und postoperativ (d) zeigen. a b c d Tabelle 5.2 Resektionsgrade bei Meningeomen Resektionsgrad nach Simpson Resektionscharakteristik Haçfigstes Beispiel Grad 1 inkl. Ansatz Konvexitåt Grad 2 vollståndige Resektion mit Verschorfung Planum sphenoidale Grad 3 vollståndige Resektion ohne Verschorfung infiltrierte Optikusscheide Grad 4 unvollståndige Teilentfernung, Resttumor Sinus-cavernosus-Meningeom Grad 5 erweiterte Biopsie zumeist diffus infiltrative Basismeningeome O Lebensalter, O bestehender Symptomatik, O Lage des Tumors, O zu erwartenden Ausfållen, O Græûe und Wachstumstendenz des Tumors. Gegebenenfalls ist es sinnvoll, insbesondere bei kleinen græûtenteils verkalkten Meningeomen mit geringer Symptomatik, zuzuwarten und den Patienten regelmåûig zu kontrollieren (s. a. Kap. 7.6). Chirurgisches Vorgehen. Die einfachen Konvexitåtsmeningeome werden zumeist in toto unter Resektion des Duraansatzes entfernt (Simpson-Grad 1), wobei in den Duradefekt entweder als Autotransplantat Periost eingenåht wird oder kçnstliches Duraersatzmaterial. Die Durabeteiligung kann dabei den eigentlichen Tumor weit çberschreiten und zu einer Kontrastmittelanreicherung im MRT fçhren, dem ¹meningeal signª. Wenn der Knochen durchwachsen ist (Abb. 7.51), muss auch dieser mitentfernt werden, wobei der Defekt mit plastischen Materialien, z. B. Knochenzement (z. B. Palacos) gedeckt wird. Falxmeningeome kænnen oft makroskopisch vollståndig entfernt werden, aber auch bei Entfernung z. B. des åuûeren Blattes des Sinus sagittalis kænnen in der Wand Zellen zurçckbleiben, wobei eine weitere Koagulation nicht mæglich ist (Simpson-Grad 3). Diese Tumoren neigen sehr håufig zu Rezidiven, die aber ausschlieûlich innerhalb des Sinus liegen kænnen. Ist der Sinus bereits pråoperativ verschlossen, kann er insbesondere im frontalen Abschnitt sogleich mitentfernt werden (Abb. 7.49). Ganz im Gegensatz zu den Meningeomen der Konvexitåt stehen die Meningeome der Schådelbasis, deren radikale Entfernung manchmal die Zusammenarbeit von mehreren Disziplinen erfordert und zu sehr ausgedehnten Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 128 5.2 Operative Therapie Abb. 5.15 a u. b Koronare prå- und unmittelbar postoperative MRT eines Patienten mit unbekanntem Primarius und insgesamt 3 Hirnmetastasen, von denen eine schon ausgeprågt raumfordernd war. Die weitestgehende Entfernung fçhrte zur unmittelbaren Befindlichkeitsverbesserung und insbesondere verbesserten Orientierung und Kritikfåhigkeit des Patienten, der dann wegen eines nachgewiesenen Bronchialkarzinoms weiterbehandelt werden konnte. a b Operationen fçhren kann. Ausnahme sind kleine Meningeome mit umschriebenem Ansatz, z. B. am Klinoidfortsatz oder an der Pyramidenhinterkante, wo auch die Koagulation und Exzision bzw. Abfråsung des Ansatzes mæglich ist (Simpson-Grad 2). Bei ausgedehnten petroklivalen Meningeomen kann es nach Anlage eines komplexen operativen Zuganges erforderlich sein, durch den Tumor ziehende Gefåûe und Hirnnerven durch Interponate zu rekonstruieren, wobei långerfristige oder bleibende funktionelle Einbuûen hinzunehmen sind. Alternativ kænnen diese Reste auch belassen und einer radiochirurgischen Behandlung zugefçhrt werden. Kombiniertes Vorgehen. Tumorresektion und anschlieûende radiochirurgische Behandlung zeichnet sich fçr alle Tumoren, deren vollståndige Entfernung nur unter deutlich erhæhtem Risiko zu erreichen wåre, als beste Alternative ab. Meningeome, die auf den Sinus cavernosus beschrånkt sind, sollten nur radiochirurgisch therapiert werden. Gerade auf diesem Gebiet der Schådelbasischirurgie hat sich allerdings durch die interdisziplinåre Zusammenarbeit das Spektrum der behandelbaren Låsionen erheblich erweitert, wobei einige Tumoren nur in speziell geeigneten und in dieser Behandlung erfahrenen Zentren versorgt werden sollten. Die Operabilitåt kann zusåtzlich in einigen Fållen durch eine vorausgehende Embolisation erleichtert werden. Diese erfolgt endovaskulår durch Mikrokatheter, die in die versorgenden meningealen Gefåûe vorgeschoben werden und çber die dann Embolisationsmaterial in den Tumor injiziert werden kann. O Bei Konvexitåtsmeningeomen ist diese Option nicht so bedeutend, weil man durch die initiale Duraumschneidung bereits schnell an die versorgenden Gefåûe kommt. O Hilfreich ist die Embolisation besonders bei Meningeomen an der hinteren Pyramide, wenn der Tumor aus der A. meningica mastoidea versorgt wird, die Blutversorgung intraoperativ erst relativ spåt erreicht wird und diese zudem diffus aus einem breiten Ansatz im Knochen kommt. O Besondere Indikationen hierfçr kænnen sich auch bei der Operation von ålteren Patienten ergeben, die aus Glaubensgrçnden eine Bluttransfusion ablehnen und bei denen z. B. ein gut vaskularisiertes Keilbeinflçgelmeningeom operiert werden soll und eine Transfusion nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Soll die Embolisation z. B. bei einem Schådelbasismeningeom auch dazu beitragen, dass der Tumor zunåchst etwas schrumpft und so einem bedrångtem Hirnstamm wieder etwas Raum gibt, muss sorgfåltig auf den zeitlichen Verlauf geachtet werden. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass man nicht zu lange warten darf (d. h. maximal 2 Monate), da die Tumoren dann, nachdem sie teilnekrotisch geworden sind, zu vernarben beginnen und dann jegliche Dissektion noch schwieriger wird. Unter Umstånden kænnen hier metabolische Untersuchungen, z. B. PET und MR-Spektroskopie in Zukunft helfen, den optimalen Operationszeitpunkt zu finden (Bendszus et al. 2000 b). Alternativen. Alternativ steht fçr einige kleine Tumoren im Bereich der Schådelbasis die stereotaktische Radiochirurgie zur Verfçgung (s. a. Kap. 5.4). Eine etablierte pharmakologische Therapie der Meningeome gibt es derzeit noch nicht. 5.2.5 Metastasen Bewertung. Etwa 25 % der Patienten mit einer Krebserkrankung entwickeln im Laufe ihrer Erkrankung eine intrakraniale Metastase. Beschrånkt man sich auf Hirnmetastasen, so betrifft dies noch immer 16 %. In den USA kommt es somit zu 80 000±100 000 Neuerkrankungen im Jahr, woraus sich eine groûe Patientengruppe ergibt (Patchell 1995, DeAngelis 2001). Von diesen Patienten kommt ein kleiner Teil fçr eine neurochirurgische Resektion infrage. OP-Bewertung. Die Wertigkeit der chirurgischen Metastasenentfernung ist immer wieder kontrovers diskutiert worden, wobei bei Patienten mit gutem Allgemeinzustand und solitåren Metastasen der Wert der Operation anerkannt und auch durch drei randomisierte Studien belegt worden ist (Patchell et al. 1990, Vecht et al. 1993, Young et al. 1996). Auch bei multiplen Metastasen kann ein Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie 129 Abb. 5.16 a±d Mischgliom (WHO-Grad III) im Bereich des Foramen Monroi. a u. b Koronare und sagittale, kontrastmittelverstårkte MRT-Aufnahmen. c u. d Postoperativ ist der Tumor vollståndig entfernt, anschlieûend folgten Bestrahlung und Chemotherapie. Man erkennt auf der axialen Schicht den minimalen Zugang rechts fontral. a b c d aggressives neurochirurgisches Vorgehen indiziert sein, insbesondere wenn keine sonstigen weiteren Metastasen bekannt sind, die Grundkrankheit in stabiler Remission ist oder viel versprechende Therapieoptionen noch auszuschæpfen sind (Galicich 1996, Patchell 1995). Insbesondere in akuten Situationen kann so eine Druckentlastung mit einer Diagnosestellung verbunden werden (Abb. 5.15). Die Therapie der Metastasen ist allerdings komplex, immer interdisziplinår und wird in einem græûeren Zusammenhang, in dem auch die Strahlentherapie, Chemotherapie und Radiochirurgie (Bindal et al. 1996) zur Sprache kommen, diskutiert (Kap. 11). 5.2.6 Tumoren unter topographischen Gesichtspunkten Ventrikeltumoren Als Ventrikeltumoren (s. a. Kap. 7.2) bezeichnet man Prozesse, die entweder von der Ventrikelwand ausgehen und sich exophytisch in die Ventrikel entwickeln wie Ependymome, Astrozytome oder Oligodendrogliome, oder Tumoren, die im Ventrikel entstehen, d. h. Plexuspapillome, seltene Meningeome, Metastasen, Håmangioblastome oder Neurozytome. Auch Kavernome kænnen im Ventrikel vorkommen. Tumor- und OP-Bewertung. Ventrikeltumoren sind grundsåtzlich der chirurgischen Therapie zugånglich ± es sei denn, man will nur biopsieren, wobei die Stereotaxie und die direkte endoskopische Biopsie im Wettbewerb stehen. Vorgehen. Tumoren des Seitenventrikels werden in den meisten Fållen transkortikal, bei Mittelliniennåhe auch transkallosal, also durch den Balken, angegangen (Abb. 5.16). Tumoren des III. Ventrikels werden håufig transkallosal angegangen, aber auch transkortikal, je nach Ausdehnung (Herrmann et al. 1992). Zur optimalen pråoperativen Vorbereitung gehært heute ein MRT in allen 3 Ebenen, das ggf. schon wåhrend der ambulanten Diagnostik pråstationår angefertigt werden kann. Bei einigen Prozessen braucht man eine Angiographie, z. B. um die Lage der inneren Hirnvenen zu sehen oder die Gefåûversorgung eines Tumors abzuschåtzen. Diese Diagnostik sollte in der Klinik, in der auch der Eingriff stattfindet, durchgefçhrt werden. Insbesondere bei Prozessen im hinteren III. Ventrikel sollen auch Hormone der Pinealislogentumoren bestimmt werden (Abb. 5.17). Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 130 5.2 Operative Therapie c, d a, b Abb. 5.17 a±d Tumor in der Pinealisloge. a Sagittales, pråoperatives kontrastmittelverstårktes MRT. Der Tumor zeigte pråoperativ eine schwache Erhæhung des aFetoproteins. b Intraoperative Ansicht des suprazerebellåren infratentoriellen Zugangswegs mit hinterer Zirkumferenz des Tumors. c Nach Entfernung des Tumors freier Einblick in den vorderen III. Ventrikel mit den dort parallel verlaufenden Fornices und daran vorbei in das linke Vorderhorn durch das offene Foramen Monroi. d Sagittales, frçh postoperatives MRT, die Gewebsmasse ist entfernt. Es handelte sich um ein reifes Teratom mit einigen wenigen kleinen Foci unreifer Wuchsform. Zusåtzliche Verfahren. Zusåtzlich zur Mikrochirurgie hat sich fçr die Ventrikelchirurgie die Neuroendoskopie als technische Weiterentwicklung dahingehend einen Platz gesichert, als dass unklare Prozesse so auf endoskopische Weise durch ein kleines Bohrloch angegangen und unter Sicht biopsiert werden kænnen (Abb. 5.8). Zystische Kompartimente von Tumoren lassen sich so entlasten, um zu einer raschen Druckentlastung zu kommen, falls diese notwendig sein sollte. Unter Umstånden wird es mæglich sein, mit weiterentwickelten Geråten in der Zukunft einige Tumoren auch gånzlich neuroendoskopisch anzugehen (Cohen 1994). Alternativen. Als Alternative zur stereotaktischen Biopsie kann auch auf eine MR-Spektroskopie zurçckgegriffen werden. Balkentumoren Tumor- und OP-Bewertung. Im Balken kommen am håufigsten Gliome vor. In den meisten Fållen sind diese Tumoren keiner chirurgischen Resektion zugånglich (s. a. Abb. 5.11). Diese Tumoren werden nur in ganz seltenen Fållen volumenreduziert, um fçr andere Therapieformen bessere Voraussetzungen zu schaffen. In den meisten Fållen wird die Diagnose stereotaktisch gesichert, um ggf. eine Bestrahlung oder eine Chemotherapie anzuschlieûen. Dies gilt insbesondere, wenn ein Lymphom differenzialdiagnostisch infrage kommt. Die sehr seltenen Lipome des Balkens haben keinen Krankheitswert und bedçrfen weder einer operativen noch einer anderen Therapie. Infratentorielle Tumoren Tumorbewertung. Das infratentorielle Kompartiment zeichnet sich dadurch aus, dass neurologische Ausfålle bei Raumforderungen erst sehr spåt und Krampfanfålle als Warn- oder Leitsymptom praktisch gar nicht auftreten. Infratentorielle Tumoren werden somit zumeist durch Hirndruck infolge einer Behinderung der Liquorpassage auffa Èllig und bedu Èrfen dann oft einer raschen Therapie. Ausgenommen sind die Tumoren der Hirnnerven, die meist direkte Symptome verursachen und Hirnstammtumoren, die durch Irritation von Kerngebieten oder Bahnsystemen richtungweisende neurologische Ausfålle hervorrufen. Zerebellår finden sich ausgehend von den Hçllen zunåchst Meningeome, die z. T. aufgrund ihres langsamen Wachstums eine stattliche Græûe erreichen kænnen. Ebenfalls zu den Hçllstrukturen gehæren die weitaus selteneren Tumoren der Knochenanlage, die Chordome des Clivus (s. Schådelbasistumoren). Sehr håufig sind dann im Erwachsenenalter die sekundåren Tumoren, die Metastasen. Hirn- Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie a, b 131 c Abb. 5.18 a±c Håmangioblastom bei einer 26-jåhrigen Patientin. Symptomatisch wurde diese Låsion durch eine langsam beginnende Hirndrucksymptomatik. a u. b MRT eines typischen, kreisrunden Angioblastoms. c Die Angiographie zeigt die fast angiomartige operationstechnische Wertigkeit. a, b c Abb. 5.19 a±c Medulloblastom bei einem 7-jåhrigen Kind. Die Raumforderung liegt zentral zerebellår und låsst sich auf den Wurm beziehen. a Axiale kontrastmittelverstårkte T1-Sequenz. b Sagittale kontrastmittelverstårkte T1-Sequenz. c Axiale T2-Wichtung. eigene Tumoren sind im Erwachsenenalter eher selten, stellen aber im Kindesalter den græûten Teil der Tumoren dar. Das Kleinhirnangioblastom ist eine gesonderte Entitåt, da diese Tumoren oft mit einer Von-Hippel-LindauErkrankung und multipler Lokalisation vergesellschaftet sind (Abb. 5.18). Vorwiegend im Kindesalter finden sich die meist zystischen pilozytischen Astrozytome, die Ependymome im Bereich des IV. Ventrikels und die Medulloblastome, ausgehend von der Mittellinienstruktur, dem Wurm (Abb. 5.19). Eine wichtige Gruppe der infratentoriellen Tumoren sind die Neurinome der Hirnnerven (Kap. 7.8). me werden heute zunåchst endovaskulår embolisiert und dann extern bestrahlt oder operiert. Die kindlichen Tumoren, d. h. die Ependymome und Medulloblastome werden ebenfalls mikrochirurgisch mæglichst radikal entfernt, aber ohne ein funktionelles Risiko einzugehen (Abb. 5.20). Insbesondere bei Medulloblastomen schlieût sich dann eine intensive adjuvante Therapie mit Radiatio und Chemotherapie an, fçr die man bei einer mæglichst radikalen Entfernung die besten Voraussetzungen hat. OP-Bewertung. Mit Ausnahme der Hirnstammtumoren und der Chemodektome (Tumoren des Glomus jugulare) ist die Therapie der infratentoriellen Tumoren zunåchst chirurgisch. Die Vorgehensweise bei Hirnstammtumoren ist komplex und bedarf individueller, gesonderter Erwågungen (Kap. 7.1.7, Abb. 7.23 und Abb. 7.24). Chemodekto- Cave: Die modernen Therapieschemata sind so wirksam, dass keinesfalls durch eine zu radikale Resektion eine dauerhafte Morbidita Èt erzeugt werden sollte. Vielmehr kann im Zweifelsfall eher ein Tumorrasen belassen werden, der dann der Chemotherapie zugefçhrt wird. Die Vorgehensweise ist fçr kindliche und erwachsene Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 132 5.2 Operative Therapie a, b c d, e f Abb. 5.20 Ausgedehntes Ependymom (WHO-Grad III) vom kraniozervikalen Ûbergang bis in den oberen Kleinhirnbrçckenwinkel (a± c, KM-verstårkte MRT). Ausgang dieser ausgedehnten Tumoren ist oft das Foramen Luschkae, sodass die Tumoren sich auch bis weit nach pråpontin erstrecken kænnen. In diesem Fall wurde die weitestgehende Resektion von einer Chemotherapie gefolgt. Das Kind, das seit Geburt einen Schiefhals hatte, hat sich danach bei radiologischer Tumorfreiheit gut entwickelt (d±f, 2 Jahre nach der Operation). Medulloblastome identisch. Die Resektionsergebnisse bei Medulloblastomen werden nach dem Schema von Chang in fçr die Nachbehandlung relevanter Weise erfasst (Kap. 12.2.1). Aus den vorliegenden Daten kann geschlossen werden, dass auch Ependymome mæglichst radikal entfernt werden sollten und Patienten mit einer makroskopisch radikalen Entfernung bessere Langzeitergebnisse haben (Ross et al. 1989, Nazar et al. 1990, Lyons et al. 1991). Das ist insbesondere in einer Studie klar geworden, in der die prognostische Bedeutung von postoperativ nachgewiesenem Resttumor untersucht wurde (Healey et al. 1991). Hinzu kommt, dass Patienten mit postoperativ darstellbarem, residualem Tumor ein 5 fach hæheres Risiko haben, im weiteren Verlauf ihrer Erkrankung eine Dissemination zu erfahren (Rezai et al. 1996). Bezçglich der operativen Aggressivitåt ist zu bedenken, dass in den meisten Serien Kinder eine insgesamt schlechtere Prognose haben und angesichts dessen keinesfalls eine chirurgische Radikalitåt, z. B. am Boden des IV. Ventrikels, mit erheblichem Morbiditåtsrisiko angestrebt werden darf, da der fragliche Zugewinn an Ûberlebenszeit keine neurologischen Defizite rechtfertigen wçrde (Lyons et al. 1991, Rezai et al. 1996). Man muss damit rechnen, dass die meisten Tumoren, insbesondere in der hinteren Schådelgrube, lokal rezidivieren (Shaw et al. 1987, Lyons et al. 1991), woraus schon auf das infiltrative Wachstumsverhalten des Tumors geschlossen werden kann. Bei Operationen, die eine Spaltung des Wurms beinhalten ± und dies ist sowohl bei den Ependymomen Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie a, b 133 c Abb. 5.21 a±c MRT eines teils exophytischen Hirnstammglioms, das mikrochirurgisch mit entsprechendem elektrophysiologischem Monitoring weitgehend entfernbar ist. des IV. Ventrikels als auch bei den Medulloblastomen nicht selten der Fall ±, kann es vorçbergehend zu schweren mutistischen Stærungen kommen, die in der Regel nach 2± 3 Wochen wieder zurçckgehen (¹posterior fossa syndromeª). In hartnåckigen Fållen kann diese Operationsfolge, insbesondere bei Kindern, so ausgeprågt sein, dass das Kind ein Schuljahr wiederholen muss. Als Ursache hierfçr wird eine Affektion sekundårer Sprechzentren postuliert (Rekate et al. 1985, Ersahin et al. 1996). Vorgehen. Kleinhirntumoren werden zumeist in Bauchoder Seitenlage (¹park benchª) oder gelegentlich auch in sitzender Position operiert, wenn der Prozess weit rostral im Oberwurm gelegen ist oder weit nach rostral reicht (Abb. 7.1). Die modernen Anåsthesieverfahren erlauben es heute, fast jeden Patienten mit einem zerebellåren Tumor zu operieren. Die operativen Techniken unterscheiden sich nicht von den supratentoriellen Operationen fçr Metastasen (s.u.), Gliome (s.o) oder Meningeome (s.u.). Wird die hintere Schådelgrube osteoklastisch eræffnet, d. h. unter Fortnahme des Knochens, wird eine Schådeldachplastik eingepasst, um eine feste Deckung zu rekonstruieren. Bei einigen Prozessen erscheint es ratsam, perioperativ eine externe Drainage der Seitenventrikel anzulegen, da diese einen Aufstau mit konsekutiver Einklemmung verhindert, wenn es zu einer postoperativen Schwellung in der hinteren Scha Èdelgrube kommt. Grundsåtzlich sollte man bei pråoperativer Anlage einer Drainage auch in der Lage sein, den Druck in der hinteren Schådelgrube danach rasch zu entlasten, da es sonst zu einer Einklemmung nach oben mit erheblichen Schådigungen der Vierhçgelplatte kommen kann. Ebenso gilt, dass durch Tumorresektion die Liquorpassage wiederhergestellt werden sollte, um den Patienten shuntfrei zu halten. Dies ist z. T. auch durch eine endoskopische Ventrikulostomie des III. Ventrikels zu erreichen. Tumoren des Hirnstamms Tumorbewertung. Diese Gruppe von Tumoren ist in ihrer Zusammensetzung sehr heterogen (Kap. 7.1.7). Bei den Hirnstammgliomen werden intrinsische Tumoren, die den Hirnstamm diffus auftreiben, und exophytische Tumoren unterschieden. Die intrinsischen Hirnstammgliome haben eine auûerordentlich schlechte Prognose, insbesondere, wenn die Anamnese kurz ist und im MRT-Signalverhalten schon Zeichen der beginnenden Anaplasie zur postulieren sind (Abb. 5.21). OP-Bewertung und Vorgehen. Bei den meisten Hirnstammtumoren wird die Diagnose stereotaktisch gesichert, wonach ggf. eine Bestrahlung, die extern, aber auch interstitiell sein kann, angeschlossen wird (Kap. 3.3, Kap. 5.4, Kap. 7.1.7). Wird bei langsam wachsenden Prozessen die Liquorpassage behindert, erfolgt eine endoskopische Ventrikulozisternotomie oder, falls nicht mæglich, Anlage eines ventrikuloperitonealen Shunts. Ein Shunt sollte nicht bei Metastasen im Hirnstammbereich implantiert werden, da dadurch eine therapeutisch ausweglose Situation fçr einen Patienten sehr belastend verlångert wird. Bei exophytischen Hirnstammtumoren kann der Versuch einer weitgehenden mikrochirurgischen Tumorentfernung gemacht werden. Tumoren der Schådelbasis Tumoren. Aus neuroonkologischer Sicht zåhlt man zu den Tumoren der Schådelbasis die Hypophysentumoren (s. a. Kap. 7.7), basale Meningeome (s. a. Kap. 7.6), Tumoren der Hirnnerven, insbesondere Akustikusneurinome und Trige- Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 134 5.3 Strahlentherapie minusneurinome (s. a. Kap. 7.8), die Chordome des Clivus und die Chemodektome, d. h. Tumoren des Glomus jugulare (Robertson et al. 1994). Auf die spezielle Behandlung der meisten dieser Tumoren wird in den entsprechenden Spezialkapiteln çber die Therapie ausfçhrlich eingegangen. Darçber hinaus gibt es eine Fçlle von Tumoren, die primår die Schådelbasis selbst betreffen oder beteiligen, so die Østhesioneuroblastome (s. a. Kap. 7.3; Abb. 5.6), Nasopharynxkarzinome und die Chondrosarkome bzw. Osteosarkome der Schådelbasis. Hinzu kommen Dermoide, Epidermoide und Cholesteatome. OP-Bewertung. Ein Groûteil dieser letztgenannten Tumoren wird zunåchst interdisziplinår operiert, um danach einer Strahlentherapie und/oder Chemotherapie zugefçhrt zu werden (Ojeman et al. 1995). Es gibt viele verschiedene Zugangswege, die je nach Lage des Tumors transfazial (Nasopharynx), transfazial/transoral (z. B. Chordome des Clivus), transpyramidal (Cholesteatome, Clivustumoren) oder transkondylår (ventrale Prozesse des Foramen magnum) sein kænnen. In einer kçrzlich zusammengestellten Serie sind bei 42 Patienten mit Chordomen der Schådelbasis eine Vielzahl unterschiedlicher Zugangswege gewåhlt worden (Crockard et al. 2001). Nachdem die neurochirurgische Therapie der meisten intrakranialen Tumoren weitgehend standardisiert wurde, hat sich in den letzten Jahren gerade die Schådelbasischirurgie rasch weiterentwickelt (Lawton et al. 1995, Al Mefti 1997). Im Zusammenhang mit solchen Operationen kænnen auch ausgedehnte Rekonstruktionen (Sen et al. 1992) oder Gewebstransplantationen notwendig sein. Die Entscheidung, ob oder auf welchem Weg ein Tumor der Scha Èdelbasis operiert wird, wird individuell gefa Èllt und ha Èngt auch von den Gegebenheiten des lokalen Zentrums und der Fokussierung der kooperierenden Abteilungen wie HNO, Ophthalmologie und ZMK ab. 5.3 Strahlentherapie R. Engenhart-Cabillic Die Behandlung primårer und sekundårer Hirntumoren stellt ein lokales Problem und damit fçr die Strahlentherapie eine besondere Herausforderung dar. Zielt die operative Therapie auf die histologische Sicherung und die Reduzierung der Tumormasse und des intrakranialen Drucks ab, ist das Ziel der kurativen Strahlentherapie die Abtætung såmtlicher klonogener Tumorzellen unter weitgehender Schonung von gesundem Gewebe. Verbesserungen der strahlentherapeutischen Planung und Technik, bessere Kenntnisse der Dosis-Wirkungs-Beziehung des Tumorgewebes wie der Strahlentoleranz benachbarter Risikostrukturen, sowie rationelle Kombinationen der Bestrahlung mit neurochirurgischen Verfahren und der systemischen Therapie haben die Behandlungsergebnisse bei den primåren und sekundåren Hirntumoren in den letzten Jahrzehnten verbessert. 5.3.1 Strahlenbiologische Grundlagen Strahlenwirkung und Reparaturmechanismen Das Ziel der Strahlenbehandlung ist die Zerstærung der klonogenen Tumorzelle oder zumindest die zeitweise Eindåmmung ihres ungehemmten Wachstums. Die Wahrscheinlichkeit einer Tumorzerstærung nimmt mit steigender Dosis zu. Die Normalgewebstoleranz stellt jedoch oftmals den limitierenden Faktor dar. Die Hæhe der fçr eine Tumorvernichtung notwendigen Strahlendosis korreliert mit: O dem Tumorvolumen (Zahl der klonogenen Zellen), O der Histologie (intrinsische zellulåre Strahlensensibilitåt), O der Sauerstoffversorgung (Anteil hypoxischer und anoxischer Tumorzellen und Reoxygenierung) sowie O der zeitlichen Dosisverteilung (Reparatur von subletalen Strahlenschåden). Gesichert ist, dass strahleninduzierte nicht reparierte DNAVerånderungen wie Doppelstrangbrçche chromosomale Aberrationen verursachen, die den Verlust der Zellteilungsfåhigkeit zur Folge haben (Mitosetod). Wåhrend der Zeit kann die morphologisch intakte und metabolisch aktive Zelle ihre Funktion im Gewebe weiterhin erfçllen. Ein Teil der DNA-Låsionen fçhrt jedoch vor Erreichen einer Mitose zu einer programmierten Desintegration der Zelle, dem Interphase-Zelltod, der vorwiegend çber eine Apoptose ablåuft. In dem komplex aufgebauten Glia- und Hirngewebe ist zwar eine proliferative Hierarchie als regenerative Komponente bekannt, eine eindeutige Trennung zwischen Stamm- und Funktionszelle besteht jedoch nicht. Wenig teilungsaktive Gewebe kænnen dennoch sehr strahlenempfindlich sein. Strahlensensibilitåt. Entsprechend der histologischen Vielfalt der Hirntumoren variiert auch die Strahlensensibilitåt und weist gegençber normalem Hirnparenchym eine teils erhæhte, teils gleiche und teils geringere Empfindlichkeit auf. Relativ strahlensensibel sind Pinealome, Hypophysenadenome, Lymphome, Medulloblastome und anaplastische oligodendrogliale Tumoren (Tab. 5.3). Die Kraniopharyngeome, Meningeome, niedriggradigen Oligodendrogliome und anaplastischen Astrozytome WHO-Grad III zåhlen zu den weniger strahlensensiblen Tumoren. Besonders strahlenresistent sind die Glioblastome (WHO-Grad IV), die auch nicht durch Bestrahlungsdosen von 60±80 Gy dauerhaft zu kontrollieren sind. Unbekannt ist bisher die Ursache der interindividuellen und intraindividuellen Strahlenempfindlichkeit. Die molekulare Radioonkologie unternimmt groûe Anstrengungen, die Faktoren zu charakterisieren, die fçr das unterschiedliche Ansprechen verantwortlich sind. Laufende Untersuchungen widmen sich dem Thema der intrinsischen Strahlenempfindlichkeit, Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Tabelle 5.3 Strahlensensibilitåt von Hirntumoren Relativ strahlensensibel O O O O O Pinealome Hypophysenadenome Lymphome Medulloblastome anaplastische oligodendrogliale Tumoren Weniger strahlensensibel O O O O Kraniopharyngeome Meningeome niedriggradige Oligodendrogliome anaplastische Astrozytome WHOGrad III der Reparaturkapazitåt, der Repopulierung und O2-Versorgung sowie Reoxygenierung des Tumors. Strahlenwirkung und Reparatur. Als wichtigster Mechanismus fçr die biologische Wirkung einer Bestrahlung werden heute nicht reparierte bzw. falsch reparierte (missrepair) Doppelstrangbrçche sowie Basenverånderungen angesehen, die zum Zelltod fçhren (z. B. dizentrische und azentrische Aberrationen). Nach einer einmaligen Bestrahlung mit definierter Dosis ist die Zahl der u Èberlebenden Zellen kleiner als nach Applikation derselben Dosis in mehreren kleinen Fraktionen. Die Reparatur der subletalen Schåden vollzieht sich in einem Zeitintervall von mehreren Stunden. Unter Beachtung der Toleranz der Normalgewebe sollte der Zeitraum zwischen 2 Fraktionen zumindest 6 Stunden betragen (Ang et al. 1993). Das Ausmaû der Erholungs- bzw. Reparaturvorgånge variiert erheblich. So verfçgen Glioblastome çber eine hohe Reparaturkapazitåt, weswegen sie als strahlenresistent gelten. Die Unterdrçckung der Reparatur und damit die Steigerung der Strahlenempfindlichkeit wird durch Ønderung der Strahlenqualitåt, Kombination mit der Hyperthermie oder mit Zytostatika versucht. Die Repopulierung von fraktioniert bestrahltem Gewebe fçhrt durch Steigerung der Mitoserate und der DNA-Synthese zu einer Zellerneuerung mit der Gefahr des Tumorwachstums als Gegenregulation. Eine akzelerierte Strahlenapplikation, bei der die Gesamtbehandlungszeit in einem verkçrzten Zeitraum appliziert wird, wirkt der Repopulierung entgegen. Dem Fraktionierungseffekt kommt am ZNS eine besondere Bedeutung zu. Stellt doch die Hæhe der Einzeldosis wie die Gesamtdosis neben dem bestrahlten Volumen die limitierende Græûe fçr Spåtreaktionen dar (Streffer et al. 1996). Hypoxie. Seit Jahrzehnten ist die hæhere Strahlenresistenz hypoxischer bzw. anoxischer Tumorzellen bekannt. Ein Vergleich der Zellçberlebenskurven unter oxischen und anoxischen Bedingungen ergab einen Sauerstoffverstårkungsfaktor (Oxygen-Enhancement-Ratio, OER) von 2,5± 3,5. Mit intratumoralen Messungen lieû sich nachweisen, dass der Sauerstoffpartialdruck in malignen Gliomen deutlich niedriger als im korrespondierenden Hirngewebe Strahlenresistent O Glioblastome (WHO-Grad IV) ist. Rampling et al. konnten 1994 zeigen, dass bei 80 % der Patienten mit Glioblastomen der intraoperativ erhobene pO2-Wert unter 2,5 mmHg lag (Rampling et al. 1994). Neuere Untersuchungen belegen, dass Hypoxie eine hæhere Mutationsrate bedingt. Bei einem quantitativen Vergleich von euoxischen und hypoxischen humanen Glioblastomzelllinien wurden bis 20 Hypoxia overexpressed Genes identifiziert (Lal et al. 2001). Der Einfluss niedriger Håmoglobinwerte auf die verminderte Tumoroxygenierung wurde bisher bei Plattenepithelkarzinomen der Kopf-HalsRegion nachgewiesen (Becker et al. 2000). Bei Patienten mit primåren Hirntumoren ist die Anåmie als negativer prådiktiver Wert bisher wenig untersucht. Lutterbach zeigte an 318 auswertbaren Patienten mit Glioblastom, dass das relative Risiko zu versterben bei pråtherapeutischem Håmoglobinwert unterhalb des geschlechtsspezifischen Normbereichs, verglichen mit nichtanåmischen Patienten, 1,42 betrug (Lutterbach et al. 2002). Im Gegensatz hierzu zeigte die Analyse von 72 Kindern mit Medulloblastomen keine prognostische Bedeutung des Håmoglobins. Der Schwellenwert wurde allerdings bei 10 g/cK angesetzt (Chow et al. 1999). Zukçnftige Untersuchungen bei Hirntumoren haben die Bedeutung der Hypoxie sowie den Stellenwert der therapeutischen Einflussnahme auf die Ergebnisse einer Strahlenbehandlung zu klåren. Experimentelle Daten zur Rolle von Erythropoietin bei nichtmalignen Låsionen belegen, dass peripher appliziertes Erythropoietin die Blut-Hirn-Schranke passiert und auf durch Trauma oder Ischåmie geschådigtes Hirngewebe einen protektiven Effekt ausçbt (Cerami et al. 2001). Umfangreiche pråklinische Daten existieren fçr Substanzen, die die hypoxischen Zellen fçr Strahlung sensibilisieren (Radiosensitizer) wie zytotoxische Substanzen mit synergistischer Wirkung, die bevorzugt hypoxische Zellen abtæten. Im Rahmen einer multizentrischen Studie wird von der RTOG der Effekt von RSR13 untersucht. Diese Substanz geht eine nicht kovalente Bindung mit Håmoglobin ein und reduziert dessen Sauerstoffaffinitåt. Indikationen und Kontraindikationen Obgleich die ersten kasuistischen Beitråge zur Anwendung der Strahlentherapie bei Hirntumoren bis 1913 zurçckreichen, konnte die Leistung der Radiotherapie bei malignen Hirntumoren erst durch systematische Analysen eines groûen Krankengutes in den 60 er- und 70 er-Jahren 135 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 136 5.3 Strahlentherapie und bei den benignen Tumoren durch aktuelle Studien geklårt werden. Wesentliche Erkenntnisse der Strahlenwirkung auf das normale Hirnparenchym und insbesondere auf die unterschiedlichen Histologien, die als Grundlage fçr die Indikationsstellung zur Strahlentherapie dienen, verdanken wir Zuelch et al. (1979). Die Strahlentherapie in der Neuroonkologie stellt u Èberwiegend eine additive und adjuvante Therapieform und nur selten die prima Ère Behandlungsmodalita Èt dar. Indikationen zur Strahlentherapie Im Gegensatz zum operativen Vorgehen hångt die Indikation zur Strahlentherapie in erster Linie von der histologischen Klassifikation, aber auch von der Tumorlokalisation und Ausdehnung ab (Tab. 5.4). Die histologische oder zytologische Sicherung sollte grundsåtzlich der erste Schritt vor Einleitung einer Strahlentherapie sein. Nur in Ausnahmefållen, z. B. bei einem gesicherten, metastasierenden Primårtumor, kann hierauf verzichtet werden. Kontraindikationen zur Strahlentherapie Absolute Kontraindikation. Kontraindikationen zur Strahlentherapie sind der Nachweis einer diffusen degenerativen Enzephalopathie (z. B. Uråmie), eine schwere Anorexie und ein vorbestehendes generalisiertes Hirnædem mit ausgeprågter intrakranialer Drucksteigerung. Diese sollte vor Einleitung der Strahlentherapie medikamentæs (Steroide, Saludiuretika, Osmodiuretika) kontrolliert sein. Bei Patienten mit deutlich reduziertem Allgemeinzustand bei malignem Gehirntumor bzw. disseminierter metastasierender Grunderkrankung sollte die Indikation sehr zurçckhaltend gestellt werden. Relative Kontraindikation. Eine relative Kontraindikation stellt eine bereits vorausgegangene, hoch dosierte Strahlenbehandlung der identischen Region dar. Einige experimentelle Untersuchungen zeigen jedoch, dass mit einer gewissen Regeneration des Nervengewebes zu rechnen ist (Wong et al. 1997). So fçhrte eine erneute Bestrahlung am Rçckenmark von Rhesusaffen 2 Jahre nach Erstbestrahlung erst bei einer summativen Gesamtdosis . 100 Gy zu Myelopathien. Diese Dosis liegt um 45 % çber der isoeffektiven Dosis ohne Regenerationspause (Ang et al. 1993). Moderne, hochkonformale strahlentherapeutische Techniken, die Brachytherapie, Radiochirurgie und stereotaktische Pråzisionsbestrahlung, erreichten bei begrenzter Ausdehnung des Rezidivtumors nochmals mediane Ûberlebenszeiten von bis zu 1 Jahr und mehr (Shrieve et al. 1995, Shepherd et al. 1997). Die Indikation zu einer erneuten Bestrahlung muss jedoch unter Beachtung aller Therapieoptionen interdisziplinår abgesprochen und streng abgewogen werden. Indikationen der primåren Radiotherapie Sie ist indiziert bei dem hochstrahlensensiblen Germinom, den markerpositiven Pinealistumoren sowie in der Regel bei allen malignen inoperablen Hirntumoren, sofern sie symptomatisch sind oder radiologisch eine Progredienz aufweisen. Bei solitåren Hirnmetastasen zeigen prospektive Auswertungen vergleichbare Ergebnisse der Radiochirurgie und der Resektion (Linstadt et al. 1991, Gæbel et al. 1993, Packer et al. 1994, Pirzkall et al. 1998, Sneed et al. 1999). Die Ergebnisse einer prospektiv randomisierten Studie stehen jedoch aus. Ob eine zusåtzliche Radiochirurgie zur Ganzhirnbestrahlung einen Vorteil ergibt, wurde in einer randomisierten Studie (RTOG-95-08) untersucht. Die bisherigen Ergebnisse zeigen einen Ûberlebensvorteil der RS + WBRT-Gruppe im Vergleich zur alleinigen Ganzhirnbestrahlung bei Nachweis einer solitåren Hirnmetastase, einem KPS von 70, Alter unter 50 Jahren, nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom oder Plattenepithelkarzinom sonstiger Tumorentitåt (Sperduto et al. 2002). Bei multiplen Hirnmetastasen erfahren durch eine palliative Ganzhirnbestrahlung 75±85 % der Patienten eine deutliche Besserung der neurologischen Symptomatik (Haie-Meder et al. 1993, Lagerwaard et al. 1999). Indikationen der postoperativen Bestrahlung Maligne Tumoren. Bei den malignen intrakranialen Tumoren ist der Stellenwert der additiven oder adjuvanten postoperativen perkutanen Strahlentherapie unbestritten (Walker et al. 1980, Nazar et al. 1990). Auch nach kompletter Resektion ist eine postoperative Bestrahlung obligat. Im randomisierten Vergleich låsst sich ein signifikant långeres Ûberleben und eine långere Symptomfreiheit mit verbesserter Lebensqualitåt nachweisen (Salazar et al. 1983, Miller et al. 1990, Patchell et al. 1990, Bouffet et al. 1992). Die postoperative Strahlentherapie wird 2± 4 Wochen nach mikrochirurgischer Resektion bei Abschluss der Wundheilung und kontrolliertem Hirndruck ggf. unter Corticosteroidmedikation und Antikonvulsiva begonnen. Benigne Tumoren. Bei den differenzierten benignen Tumoren wird der Einsatz ionisierender Strahlen kontrovers diskutiert, da Ergebnisse prospektiv randomisierter Studien ausstehen und retrospektive Verlaufsbeobachtungen çber teils widersprçchliche Ergebnisse berichten. Aktuell publizierte Daten an græûeren Patientenserien belegen jedoch den Stellenwert einer postoperativen Bestrahlung mit verbesserter Rezidiv- und Ûberlebensrate bei subtotal resezierten benignen Tumoren wie bei nicht resektablen Tumoren im Bereich der Schådelbasis (Regine et al. 1992, Rajan et al. 1993, Debus et al. 2001, Eustacchio et al. 2002, Nicolato et al. 2002). Bei den hormonaktiven, medikamentæs refraktåren Hypophysenadenomen ist mit der Radiotherapie nach einer Latenz von Monaten bis Jahren eine Normalisierung der Serumspiegel mit meist parallel verlaufender Rçckbildung der klinischen Sympto- Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Tabelle 5.4 Indikationen zur Radiotherapie und Zielvolumenkonzepte auf der Grundlage der histopathologischen Graduierung Tumorgruppe Tumortyp GI astrozytåre Tumoren pilozytisch O GII niedriger Malignitåtsgrad GIII GIV O anaplastisch O Glioblastom Oligodendrogliome O niedriger Malignitåtsgrad O anaplastisch Ependymome O Subependymom O myxopapillår O O niedriger Malignitåtsgrad O hoher Malignitåtsgrad PlexuschoroideusTumoren Papillom O O O Gangliozytom O Pineozytom O embryonale Tumoren ZV fakultativ inoperativ, inkomplette Resektion, Rezidiv TU fakultativ inoperativ, inkomplette Resektion, Rezidiv TU obligat eTU obligat eTU fakultativ inoperativ, inkomplette Resektion, Rezidiv TU obligat alternativ: PCV-Chemotherapie eTU nein nur mehrfache Rezidive TU nein nur mehrfache Rezidive TU empfohlen Liquor - R eTU Liquor + R NA obligat Liquor - R eTU Liquor + R NA nein Karzinom neuronale/ Gangliogliom gliale Tumoren anaplastisches Gangliogliom Tumoren der Epiphyse O Strahlentherapie Indikation O nur mehrfache Rezidive obligat TU NA nein O empfohlen O eTU nein nein keine Pineoblastom O obligat NA Germinom O obligat primår NA sezernierende Keimzelltumoren* obligat kombinierte Chemo-/ Strahlentherapie Liquor - R eTU Liquor + R NA Teratome* fakultativ inkomplette Resektion, unreife Variante eTULiquor +/ spinale Metastasen R NA unter 3 Jahren Chemotherapie NA Medulloblastom O obligat andere PNET O obligat NA Medulloepitheliom O obligat NA Ependymoblastom O obligat NA * = erweiterte lokale Bestrahlung bei negativem Liquorbefund; bei positivem Liquorbefund oder spinalen Metastasen Bestrahlung der Neuroachse; ZV = Zielvolumenkonzept; TU = Tumorregion mit minimalem Sicherheitssaum, idealerweise in stereotaktischer Technik; eTU: erweiterte Tumorregion mit einem Sicherheitssaum bis zu 2 cm in Abhångigkeit von der Histologie; NA = Kraniospinalbestrahlung mit Aufsåttigung der Dosis auf die primåre Tumorregion 137 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 138 5.3 Strahlentherapie Fortsetzung Tabelle 5.4 Tumorgruppe Tumortyp GI Tumoren der kranialen und spinalen Nerven Schwannom Neurofibrom GII Strahlentherapie Indikation ZV O fakultativ inoperativ, inkomplette Resektion TU O fakultativ inoperativ, inkomplette Resektion TU maligner peripherer Nervenscheidentumor meningeale Tumoren Meningeom O GIV O O atypisch O papillår O anaplastisch O mesenchyma- Håmangioperile nichtmenin- zytom geale Tumoren Histiozytom GIII O O O obligat TU fakultativ inoperativ, inkomplette Resektion, Rezidiv TU fakultativ inoperativ, inkomplette Resektion, Rezidiv TU fakultativ inoperativ, inkomplette Resektion, Rezidiv TU obligat eTU obligat eTU fakultativ inoperativ, inkomplette Resektion TU * = erweiterte lokale Bestrahlung bei negativem Liquorbefund; bei positivem Liquorbefund oder spinalen Metastasen Bestrahlung der Neuroachse; ZV = Zielvolumenkonzept; TU = Tumorregion mit minimalem Sicherheitssaum, idealerweise in stereotaktischer Technik; eTU: erweiterte Tumorregion mit einem Sicherheitssaum bis zu 2 cm in Abhångigkeit von der Histologie; NA = Kraniospinalbestrahlung mit Aufsåttigung der Dosis auf die primåre Tumorregion matik erzielbar (McCullough et al. 1991, Zierhut et al. 1995). Niedriggradige Gliome. In retrospektiven Studien wurde fçr niedriggradige Gliome gezeigt, dass durch eine zusåtzliche postoperative Bestrahlung eine Verlångerung der medianen rezidivfreien Zeit und der Ûberlebenszeit mæglich ist (Shaw et al. 1987, Bloom et al. 1990, Berger et al. 1994). Diese Frage abschlieûend zu klåren, war Gegenstand der EORTC-Studie (22845). Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten Vorteil bezçglich des progressionsfreien Ûberlebens, nicht aber des Gesamtçberlebens (Karim et al. 2002). Rezidivierende Tumoren. Eine komplette Tumorexstirpation stellt bei den benignen Formen im Allgemeinen keine Indikation zur Strahlentherapie dar. Ausnahmen bilden jedoch jene Tumorentitåten, die aufgrund der Lokalisation und dem invasiven Wachstumsverhalten trotz makroskopisch kompletter Exzision sehr håufig rezidivieren wie z. B. zerebrale Chordome, Håmangioperizytome (Munzenrider et al. 1993 u. 1987, Austin et al. 1993, Latz et al. 1995, Tai et al. 1995). Prophylaktische Bestrahlung Prophylaktisch wird eine Ganzhirnbestrahlung bei Patienten, die nach Induktionschemotherapie eines kleinzelligen Bronchialkarzinoms mit initial ¹limited diseaseª eine Vollremission erfahren haben, durchgefçhrt. Gesichert ist, dass eine prophylaktische Ganzhirnbestrahlung mit moderaten Bestrahlungsdosen das Risiko der Hirnmetastasierung von 50 auf ca. 10 % senkt. Dass die Senkung des intrakranialen Rezidivrisikos auch einen signifikanten Ûberlebensvorteil bewirkt, wurde in der von Auperin et al. 1999 publizierten Metaanalyse mit 987 Patienten gezeigt. Neben der Verminderung einer Hirnmetastasierungshåufigkeit und der Verlångerung des rezidivfreien Intervalls war auch ein statistisch signifikanter Ûberlebensvorteil gesehen worden (Auperin et al. 1999). Auch im Rahmen der Therapie maligner Systemerkrankungen wie der Leukåmie wird bei Hochrisikogruppen eine prophylaktische Ganzhirnbestrahlung durchgefçhrt. Fraktionierung und Dosierung Konventionell fraktionierte und hyperfraktionierte Bestrahlung. Aufgrund von strahlenbiologischen Untersuchungen und langjåhrigen klinischen Erfahrungen wird die hæchste therapeutische Breite durch eine zeitliche Aufteilung der geplanten Gesamtdosis in einzelne Teildosen (Fraktionen) erreicht. O Bei der konventionell fraktionierten Bestrahlung werden Einzeldosen bei Erwachsenen von 1,8±2 Gy/d, bei Kindern von 1,5±1,8 Gy/d appliziert. O Bei hyperfraktionierter Bestrahlung erfolgt die Dosisapplikation çber mehrfache, tåglich applizierte, reduzierte Einzeldosen in gleicher Gesamtbehandlungszeit. Es werden z. B. Einzeldosen von 2 3 1,2 Gy pro Tag an 5 Tagen der Woche empfohlen. Die Gesamtdosis ist im Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Tabelle 5.5 Empfohlene Tumordosen fçr primåre Hirntumoren unterschiedlicher Histologie. Die Daten beziehen sich auf die çbliche Fraktionierung mit 1,8±2 Gy/d Einzeldosis und 10 Gy/Woche Histologie Tumordosis (Gy) Zielvolumen Hypophysenadenom 45±50 TU Kraniopharyngeom 50 TU Germinom 36±50 NA malignes Lymphom 50 Hirnschådel Ependymom WHO-Grad II 54 eTU malignes Ependymom 55±60 eTU Medulloblastom 55 NA Astrozytom WHO-Grad I, II 50±56 TU Meningeom WHO-Grad I, II 50±56 TU Meningeom WHO-Grad III 56±60 eTU Astrozytom WHO-Grad III 55±60 eTU Glioblastom 60 eTU TU = Tumorregion mit minimalem Sicherheitssaum, idealerweise in stereotaktischer Technik; eTU = erweiterte Tumorregion mit Sicherheitssaum von bis zu 2 cm in Abhångigkeit von der Histologie; NA = Kraniospinalbestrahlung mit Aufsåttigung der Dosis auf die primåre Tumorregion Vergleich zur konventionellen Fraktionierung allerdings um 5±20 % erhæht. Derzeit wird im Rahmen einer RTOG-Studie (9006) die Standardfraktionierung von 5 3 2 Gy pro Woche bis zu einer Gesamtdosis von 60 Gy mit 2 3 1,2 Gy/d bis zu einer Gesamtdosis von 72 Gy bei malignen Gliomen untersucht. Bei der akzelerierten Hyperfraktionierung wird neben der Reduktion der Einzeldosis auch die Gesamtbehandlungszeit reduziert. Der Einsatz der Akzelerierung kann bei schnell proliferierenden Tumoren von Vorteil sein. Ein wesentlicher Vorteil liegt bei Patienten mit limitierter Lebenserwartung in der Verkçrzung der Behandlungszeit (Gupta et al. 2002). Alternative Schemata. Alternative Fraktionierungsschemata (Hypofraktionierung) werden derzeit fçr einige Tumorentitåten im Rahmen von Therapiestudien untersucht. Die einmalige Applikation der gesamten Strahlendosis, die Radiochirurgie, kann fçr einige kleine, radiologisch gut abgrenzbare Tumorvolumina als gesichertes Fraktionierungsschema gelten. Die mittels Einmalbestrahlung publizierten lokalen Kontrollraten entsprechen den Ergebnissen der Tumorexstirpation und sind denen nach konventionell fraktionierter Radiotherapie vergleichbar bzw. çberlegen (Larson et al. 1990, Engenhart et al. 1993, Flickinger et al. 1993, Eustacchio et al. 2002). Allerdings ist bei græûeren Låsionen bzw. Låsionen mit minimaler Distanz zu Risikostrukturen (z. B. Chiasma) das Nebenwirkungspotenzial erhæht, sodass dann die Dosis fraktioniert appliziert werden muss. Gesamtdosis. Die Gesamtdosis hångt einerseits vom Therapieziel ± kurativ oder palliativ ± und andererseits von der speziellen intrinsischen Strahlenempfindlichkeit ab. Tab. 5.5 enthålt die empfohlenen Tumordosen bei konventioneller Fraktionierung. Gesamtdosen çber 60 Gy und Einzeldosen çber 2 Gy sind mit einem deutlich hæheren Risiko an radiogen bedingten Verånderungen des gesunden Hirnparenchyms verbunden (Debus et al. 1997, Wenz 1999). Zielvolumenkonzepte Weder das Planungszielvolumen noch die optimale Bestrahlungstechnik sind frei wåhlbare Parameter, sondern werden maûgeblich von der Ausbreitungscharakteristik, der radiologischen Abgrenzbarkeit und der Dosis-Wirkungs-Beziehung von Tumorgewebe und benachbarten Risikostrukturen bestimmt. Entsprechend der Ausbreitungscharakteristik werden die im Folgenden dargestellten 3 Volumina strahlentherapeutisch erfasst, unterschiedliche Strahlenqualitåten und Techniken eingesetzt und entsprechend der zu behandelnden Tumorentitåt mit unterschiedlichen Strahlendosen belastet. Abb. 5.22 zeigt schematisch die 3 unterschiedlichen Zielvolumina. Bestrahlung der (erweiterten) Tumorregion Prinzip. Das strahlentherapeutische Zielvolumen erfasst den neuroradiologisch abgrenzbaren Tumor einschlieûlich eines Sicherheitssaums mit mæglichem subklinischem Befall. Die Sicherheitszone richtet sich nach der lokalen Infiltrationstiefe des Tumors, der Pråzision der gewåhlten Technik und reproduzierbaren Einstellgenauigkeit. Der 139 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 140 5.3 Strahlentherapie Abb. 5.22 a±c Schematische Darstellung der 3 unterschiedlichen Zielvolumina. a Bestrahlung der erweiterten Tumorregion eines rechts frontal lokalisierten malignen Glioms mit 6 Mev Photonen. Durch 2 orthogonale gleichgewichtete Photonenfelder mit geeignet gewåhlten Keilfiltern wird eine homogene Dosisverteilung erreicht. b Ganzhirnbestrahlung çber ein Helmfeld bei kurativer Intention. Der Gesichtsschådel unterhalb der Lamina cribrosa und des Bodens der mittleren Schådelgrube wird durch ein Individualblock abgedeckt. c Kraniospinalbestrahlung çber 4 Felder: Die Schådelbestrahlung erfolgt mit der Helmtechnik çber seitlich opponierende Gegenfelder mit Beldendrehung, die Spinalbestrahlung wird durch dorsal angepasste Felder erfasst. 45° 2 107 45° 105 100 80 60 40 20 a b c Einsatz der hochkonformalen stereotaktischen Techniken erlaubt aufgrund der hohen Repositioniergenauigkeit bei den nicht infiltrativ wachsenden Tumoren eine deutliche Reduktion des Sicherheitsbereichs und dadurch Volumeneinsparung. Nichtinfiltrativ wachsende Tumoren. Wird das Tumorvolumen bei den benignen, lokal verdrångend wachsenden Tumoren wie Meningeomen, Akustikusneurinomen, Kraniopharyngeomen, Hypophysenadenomen oder gut abgrenzbaren Gliomen WHO-Grad I, auf der Grundlage der modernen bildgebenden Verfahren mit MRT und Bildfusion abgegrenzt und wird die Dosis hochkonformal appliziert, ist kein oder nur wenige Millimeter Sicherheitsabstand zum makroskopischen Tumor erforderlich (Abb. 5.23, Farbtafel XV). Infiltrativ wachsende Tumoren. Chordome, Håmangioperizytome oder niedriggradige Gliome (WHO-Grad II) erfordern aufgrund der Infiltration eine græûere Sicherheitszone von 5 und mehr Millimetern. Diffus infiltrieren- de maligne Låsionen mçssen groûråumig erfasst werden. Ausgehend von der computer- oder kernspintomographisch nachgewiesenen Tumorgrenze soll die Bezugsisodose so gewåhlt werden, dass ein zumindest 2 cm groûer Sicherheitsbereich einbezogen wird, wobei das Planungszielvolumen auf der Basis der pråoperativen CT- oder MRTDaten festgelegt werden muss (Abb. 5.22 a). Ganzhirnbestrahlung Die Ganzhirnbestrahlung wird prophylaktisch bei malignen Systemerkrankungen wie Leukåmien und dem kleinzelligen Bronchialkarzinom oder aus therapeutischer Notwendigkeit eingesetzt. Cave: Bei der prophylaktischen Strahlenbehandlung ist darauf zu achten, dass die gesamte Scha Èdelbasis unter Einschluss der Retrobulba Èrra Èume, der Fossa cribriformis und der teils seitlich weit nach kaudal reichenden Temporallappen erfasst wird. Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Eingeschlossen werden all diese Strukturen durch die Helmtechnik (Abb. 5.22 b). Zur Vermeidung von Rezidiven ist eine Abweichungen von dieser Feldform lediglich in der palliativen Situation, bei Vorliegen von Hirnmetastasen solider Tumoren erlaubt (Kortmann et al. 1995). Kraniospinalbestrahlung Indikationen. Die Bestrahlung des gesamten Liquorraums ist als systemische Therapie bei den Tumorentitåten indiziert, die zur liquorigenen Metastasierung neigen. O Medulloblastom PNET: Aus Grçnden der Prophylaxe wird die Liquorraumbestrahlung mit Dosisaufsåttigung ¹Boostª auf die Tumorregion beim Medulloblastom und den primitiv neuroektodermalen Tumoren (PNET) durchgefçhrt (Bouffet et al. 1990). O Ependymome: Bei Ependymomen ist das Risiko einer leptomeningealen Absiedelung gering. Retrospektive Analysen wie die prospektive Auswertung der Studien HIT 88/89 und HIT 91 ergaben keinen Ûberlebensvorteil, sodass eine Bestrahlung des gesamten Liquorraums nur bei positiver Liquorzytologie bzw. nachgewiesener Metastasierung gerechtfertigt ist (Timmermann et al. 2000, Van Veelen-Vincent et al. 2000). O Keimzelltumoren: Bei den intrakranialen Keimzelltumoren orientiert sich das Therapiekonzept anhand der Artdiagnose und dem Nachweis von Tumormarkern in Serum und Liquor (Gæbel et al. 1995). Die reinen Germinome sollten primår entsprechend der SIOP-95 Studie mit alleiniger Strahlenbehandlung der gesamten Neuroachse therapiert werden. Bei den sonstigen Keimzelltumoren kann bei multimodalem Therapiekonzept eine lokale Bestrahlung erwogen werden. Bei positivem Liquornachweis oder spinaler Metastasierung ist eine Bestrahlung der kraniospinalen Achse erforderlich. O Lymphome: Seit dem von DeAngelis et al. 1992 eingefçhrten multimodalen Regime beschrånkt sich bei malignen zerebralen Lymphomen die Strahlenbehandlung auf das Gehirn unter Einschluss der Meningen. Bei alleiniger Strahlenbehandlung und gesichertem Liquorbefall wåre die Bestrahlung der gesamten Neuroachse zu bedenken. Planungszielvolumen. Das Planungszielvolumen schlieût den zerebralen Liquorraum ein, umfasst den gesamten Spinalbereich einschlieûlich der Durataschen an den Spinalwurzeln und reicht bis in Hæhe von S3. Fçr die Bestrahlung der Spinalachse werden in Abhångigkeit von der Kærpergræûe ein oder zwei dorsale spinale Bestrahlungsfelder angeschlossen. Die Schådelbestrahlung erfolgt çber zwei seitlich opponierende individuell geformte Helmfelder (Abb. 5.22 c). Diese Technik erfordert einen hohen Qualitåtsstandard mit exakter Lagerung und individueller, reproduzierbarer Fixierung der Patienten, sodass an den Schnittstellen der Felder Dosislçcken bzw. Ûberschneidungen ausgeschlossen sind. Meningeosis neoplastica. Bei der Meningeosis neoplastica ist Grundlage fçr eine effektive Behandlung die systematische Erfassung des gesamten Liquorraums. Neben einer alleinigen intrathekalen Chemotherapie bietet sich auch die alleinige Bestrahlung der zerebrospinalen Achse an, die aber durch die Belastung der Knochenmarkreserve den Einsatz weiterer Chemotherapien infrage stellt. Als Basistherapie hat sich die Kombination von Radio- und Chemotherapie bewåhrt. Aufgrund der hohen Neurotoxizitåt sollte die Kombinationstherapie sich nur auf fokale raumfordernde Låsionen unter Aussparung der nicht befallenen Lokalisationen beschrånken. Bestrahlungsplanung Um die Heilungsraten zu erhæhen und die Strahlenbelastung der Nachbarregionen auf ein vertretbares Minimum zu reduzieren, kommt eine ausgefeilte Bestrahlungsplanung und -technik zum Einsatz. Der Prozess der Strahlentherapieplanung kann in verschiedene unabhångige Schritte unterteilt werden (Abb. 5.24). Nach der Tumorlokalisation, die auf klinischen und radiologischen Daten basiert, werden das Zielvolumen und die Risikostrukturen in den modernen bildgebenden Schnittbildverfahren definiert. Die Form der Dosisverteilung wird durch Variation der Bestrahlungstechniken und -parameter (z. B. Anzahl der Strahlenfelder, Einstrahlwinkel, Absorber) optimiert. Bei der Dosisberechnung erlauben physikalische Modelle eine Abschåtzung der Tumorkontrollwahrscheinlichkeit (Tumor Control Probability, TCP) und der Nebenwirkungswahrscheinlichkeit (Normal Tissue Complication Probability, NTCP) des gesunden Gewebes und insbesondere der Risikoorgane (Brahme et al. 1994). Tumorlokalisation. Grundlage fçr die Bestrahlungsplanung sind CT- und MRT-Bilder. Bei Tumoren des ZNS ist die MRT der CT durch die verbesserte Abgrenzung der Tumoren çberlegen (Sartor et al. 1992). Moderne Bestrahlungsplanungssysteme erlauben es, die Bildinformationen der verschiedenen Untersuchungsverfahren und Sequenzen zu korrelieren, was im Einzelfall zu einer optimalen Konturierbarkeit von Tumor und Risikostruktur fçhrt. Speziell bei den niedriggradigen Gliomen sollte die Planungsuntersuchung auf der Basis einer T2-gewichteten MRT-Untersuchung erfolgen. Eine optimale Planungsgrundlage der Schådelbasistumoren (Meningeome, Chordome, Hypophysenadenome, Optikusgliome u. a.) stellen fettunterdrçckte Gradientenechosequenzen dar. Abb. 5.25 zeigt das in einem fettunterdrçckten T1-Bild optimal abgrenzbare Tumorvolumen vor und 6 Monate nach Pråzisionsbestrahlung. Homogene Zielvolumina. Ziel jeder Bestrahlungstechnik ist, die Zielvolumina homogen zu bestrahlen und soweit mæglich empfindliche Strukturen wie Sehnerv, Chiasma, Hirnstamm nicht mit zu erfassen. Im ICRU-Report Nr. 50 (International Comission for Radiation Units) werden die fçr die Planung, Durchfçhrung und Dokumentation einer 141 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 142 5.3 Strahlentherapie Abb. 5.24 Unabhångige Schritte beim Ablauf einer Strahlentherapieplanung. Tumorlokalisation (CT/MRT) Definition von Zielvolumen und Risikoorganen (CT/MRT) Therapiesimulation der Bestrahlungstechnik und -parameter Dosisberechnung Optimierung Beurteilung der Dosisverteilung Übertragung der Bestrahlungsparameter auf den Patienten Bestrahlung Strahlentherapie relevanten Volumina definiert und standardisierte Dosisspezifikationen, die eine Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Bestrahlungstechniken ermæglichen, festgelegt. Es wird angestrebt, dass im Planungszielvolumen die Minimaldosis nicht kleiner als 95 % und die Maximaldosis 107 % der Referenzdosis erreicht. Zum Erreichen dieses Ziels sind je nach Topographie unterschiedliche Techniken notwendig. Dosis-Volumen-Histogramm. Am Cerebrum kommt der 3D-Bestrahlungsplanung und 3D-Dosisapplikation wegen der engen Nachbarschaft zu Risikostrukturen eine besondere Bedeutung zu. Sie ermæglicht die råumliche Optimierung der Dosisapplikation durch beliebige Wahl planarer und nonkoplanarer irregulårer Feldformen, Feldeintrittspforten und Absorber. Die råumliche Dosisverteilung wird wåhrend der Bestrahlung individuell tumorkonform angepasst, indem Individualabsorber gegossen oder im Strahlerkopf des Therapiegeråtes integrierte Lamellenblenden verwendet werden (Multileafkollimator, MLC). Diese modernen Verfahren der Konformationsstrahlentherapie dienen dazu, das zu bestrahlende Volumen mæglichst individuell eng zu erfassen, damit die Bestrahlungsdosis auûerhalb des Zielvolumens steil abfållt. Die råumlichen Dosisverteilungen mit Dosisbelastung eines Organs oder Teilvolumens wird als Dosis-Volumen-Histogramm quantitativ beschrieben. Ein Vergleich der Dosis-VolumenHistogramme erlaubt durch Optimierung der Technik eine qualitative Aussage çber die Erfassung des Zielvolumens und Abschåtzung des radiogenen Risikos (Abb. 5.26). Geråte Die in der Neuroonkologie am håufigsten verwendeten Geråte zur Erzeugung ionisierender Strahlung sind Telegammageråte und Linearbeschleuniger. Linearbeschleuniger. Bei den modernen Linearbeschleunigern werden Elektronen in einem elektrischen Feld nahezu auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Durch das Auftreten der Elektronen auf einen kleinen Metallblock (Target) entsteht eine hochenergetische Bremsstrahlung, die als stark gebu Èndelte, ultraharte Photonenstrahlung therapeutisch genutzt wird. Die Elektronen kænnen auch direkt nach Aufstreuung des Strahls durch eine Metallfolie klinisch angewandt werden. Die Verwendung schneller Elektronen mit ihrer steuerbaren Eindringtiefe ist fçr spezielle Indikationen wie z. B. die Behandlung peripher gelegener oder die Kalotte infiltrierender Tumoren geeignet. Telekobaltgeråte. Telekobaltgeråte verwenden die Gammastrahlung, die beim Zerfall des radioaktiven Isotops Kobalt-60 entsteht. Die Telegammageråte sind weitestgehend durch die modernen Linearbeschleuniger ersetzt. Das radioaktive Isotop Kobalt-60 wird im Rahmen der Radiochirurgie mit dem Leksell-System ,,Gammaknife" klinisch genutzt. Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie 143 Abb. 5.25 a u. b Meningeom im Bereich des rechten Sinus cavernosus vor und nach Pråzisionsbestrahlung. a Die T1-gewichtete SE-Sequenz fettunterdrçckt mit Gadolinium-DTPA erlaubt die optimale Abgrenzung der initialen Raumforderung und den Ausschluss der Infiltration der Orbita (dunkelblaue Linie). b Im volumetrischen Vergleich 6 Monate nach stereotaktischer Pråzisionsbestrahlung ist eine deutliche Volumenreduzierung nachweisbar (hellblaue Linie). a b Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5.3 Strahlentherapie Volumen (%) 144 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 strukturen wie Sehnerven, Chiasma und Hirnstamm ausgespart werden kænnen. 6 4 1 2 3 0 10 8 5 7 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 Dosis (%) Abb. 5.26 Dosis-Volumen-Histogramm (DVH). Das DVH erlaubt eine Aussage çber die råumliche Dosisbelastung im Zielvolumen (Tumor, Kurve 8) und in den angrenzenden Risikostrukturen (Kurvenschar 1±7). Protonen und dicht ionisierende Strahlenarten besitzen gegençber den Photonen und Elektronen teils biologische, teils physikalische Vorteile. So werden Protonen in speziell ausgewiesenen Zentren bei bestimmten Indikationen wie z. B. Clivuschordomen und Chondrosarkomen eingesetzt (Munzenrider et al. 1993, Debus et al. 1997). Dicht ionisierende Strahlenarten wie Neutronen, Pi-Mesonen, Bor-Neutroneneinfang haben bisher keinen klinischen Vorteil erbracht. 5.3.2 Stereotaktische Bestrahlungstechniken Stereotaktisch fraktionierte Pråzisionsbestrahlung Prinzip. Moderne Verfahren der Konformationsstrahlentherapie mit dem Linearbeschleuniger dienen dazu, dass das zu bestrahlende Volumen individuell eng angepasst wird, hocheloquente Strukturen ausgespart werden und die Bestrahlungsdosis auûerhalb des Zielvolumens steil abfållt. Hierfçr war die Entwicklung eines reproduzierbaren rigiden Fixationssystems notwendig. Durch Implementierung des stereotaktischen Grundringes mit den in der Radiochirurgie entwickelten stereotaktischen Positionier- und Zieleinstellsystemen wird eine exakte hohe Reproduzierbarkeit der Bestrahlungsparameter erreicht (Gross et al. 2002, Debus et al. 1996 a). Die irregulåre dreidimensionale Festlegung des Zielvolumens wie der Risikostrukturen erfolgt bereits mit stereotaktischer CTbzw. MRT-Bildakquisition und Bildfusion. Die Bestrahlungsdosis wird çber mehrere, teils nonkoplanar ausgerichtete Bestrahlungsfelder appliziert. Die hohe Tumorkonformitåt wird mithilfe sehr schmaler Lamellenblenden (Mikro-MLC), welche eine beliebige Anpassung an ganz irregulåre Zielvolumina erlaubt, ermæglicht. Abb. 5.23 (Farbtafel XV) zeigt am Beispiel eines Beamseye View, wie durch Konformierung mittels eines MikroMLC und frei wåhlbarer Einstrahlrichtungen Risiko- Damit erlaubt das Verfahren der fraktionierten stereotaktischen Radiotherapie eine weitere deutliche Wirkungssteigerung mit Reduktion des bestrahlten Volumens und Minimierung der radiogen bedingten Begleitreaktionen. Durch die Fraktionierung wird auch die bessere Erholungsfåhigkeit des Normalgewebes gegençber dem Tumorgewebe genutzt und eine zusåtzliche Schonung des gesunden Hirnparenchyms erreicht. Neuere Untersuchungen haben den klinisch relevanten Effekt der Reduktion des Bestrahlungsvolumens dieser modernen Bestrahlungstechnik belegt (Gregor et al. 1996, Wenz et al. 1996, Haines et al. 2002) Indikationen. Die stereotaktisch fraktionierte Pråzisionsbestrahlung ist bei allen benignen Tumoren indiziert wie z. B. den Meningeomen, Akustikusneurinomen, Hypophysenadenomen (Debus et al. 2001, Fuû et al. 2001). Besonders sinnvoll anzuwenden ist sie bei subtotal resezierten Kraniopharyngeomen und bei der Dosisaufsåttigung im Bereich der hinteren Schådelgrube bei kindlichen Tumoren, bei Tumoren der Orbita wie Optikusmeningeomen/Gliomen sowie bei Schådelbasistumoren, bei denen die Radiochirurgie aufgrund der Græûe wie der Nåhe zu den Risikostrukturen ein erhæhtes Nebenwirkungspotenzial besitzt (Dunbar et al. 1994, Eng et al. 1992). Auch bei der Planung einer Rebestrahlung bei kleineren Rezidiven ist diese Technik indiziert. Stereotaktische Radiochirurgie Die Radiochirurgie oder ¹Radioneurochirurgieª wird in Bezug auf ihre Indikationen, Behandlungsergebnisse und mæglichen Komplikationen in der Neuroonkologie ausfçhrlich im Kap. 5.4 dargestellt. Prinzip. Als nichtinvasive Methode zur Ausschaltung kleiner Gewebsvolumina hat die Einmalbestrahlung ¹Radiochirurgieª ihren Platz zwischen mikrochirurgischer Resektion und fraktionierter Radiotherapie erlangt. Die tumorzellspezifische Strahlenempfindlichkeit spielt dabei, im Gegensatz zur perkutanen Radiotherapie, nur eine untergeordnete Rolle. Ziel der Radiochirurgie ist die komplette Devitalisierung gesunder und pathologischer Zellen innerhalb des Gewebevolumens. Die Schonung des angrenzenden gesunden Hirnparenchyms wird durch einen extrem steilen Abfall der Dosis auûerhalb des Targets erreicht. Die klinischen Ergebnisse des vergangenen Jahrzehnts zeigen, dass die radiochirurgischen Methoden bei einigen Indikationen sowohl die mikrochirurgische Resektion als auch die perkutane Radiotherapie sinnvoll ergånzen (Engenhart et al. 1994, Flickinger et al. 1993, Steiner et al. 1972, Eustacchio et al. 2002, Nicolato et al. 2002). Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Verfahren. In der klinischen Routine werden vorwiegend 2 Verfahren angewandt: O Invasive Radiochirurgie (Abb. 5.27 a): Radioaktive Seeds werden in das Gewebe implantiert bzw. radioaktive Kolloidlæsungen in pråformierte Zysten deponiert (intrakavitåre Therapie); die Dosisleistung ist dabei durch Wahl des Isotops (Ir-192; J-125) und die Dauer modifizierbar. O Nichtinvasive Radiochirurgie mit dem Gammaknife (Abb. 5.27 b) oder X-Knife (Abb. 5.27 c); die gesamte Dosis wird jeweils in kurzer Zeit (wenige Minuten) appliziert. Cave: Generell sind beide radiochirurgischen Verfahren auf wenige Indikationen begrenzt. Dabei handelt es sich um radiologisch gut abgrenzbare, umschriebene, bis maximal 3 cm groûe Prozesse. Voraussetzungen. Die einmalige Applikation der gesamten Strahlendosis stellt hæchste Anforderungen an die Reproduzierbarkeit der Patientenlagerung wåhrend der Bildakquisition, Simulation und Behandlung. Grundsåtzlich sind sowohl die Fixierung als auch die fçr die Planung erforderlichen Schritte fçr alle Verfahren identisch. Die erforderliche Pråzision låsst sich am sichersten erreichen, indem der stereotaktische Rahmen in Lokalanåsthesie am Kopf des Patienten invasiv fixiert wird. Die stereotaktische multimodale Bildgebung wird gestçtzt durch dieses externe Referenzsystem. Es dient als Grundlage fçr die Berechnung der stereotaktischen Zielpunktkoordinaten und des exakten Schichtabstandes. Auch die Abgrenzung des Zielvolumens ist fçr die unterschiedlichen radiochirurgischen Techniken identisch. Grundvoraussetzung jeder radiochirurgischen Technik ist, wie bei der Mikrochirurgie, dass das Gewebsvolumen råumlich wie ærtlich genau demarkiert werden kann. Zur Festlegung des Zielvolumens wie Abgrenzung der Risikostrukturen dienen CT- und MRTDatensåtze mit minimalem Schichtabstand. Lediglich die Dosisapplikation wird mit unterschiedlichen Verfahren vorgenommen. a Interstitielle Radiochirurgie b c Perkutane Radiochirurgie („X-Knife“) Perkutane Radiochirurgie („Gammaknife“) Abb. 5.27 a±c Dosiskonzentrierung durch unterschiedliche radiochirurgische Verfahren (Schema). a Radiochirurgie mit aktiven Seeds. Die Strahler werden interstitiell in das Zielvolumen eingebracht. b Radiochirurgie mit der Gammaeinheit (Gammaknife). Schematische Darstellung der Einstrahlrichtung der 201 konzentrisch angeordeten Kobalt-60-Quellen. Die Einzelstrahlen sind so fokussiert, dass sie sich çber die gesamte Kopfhaut verteilen und in einem Punkt, dem Isozentrum, schneiden. c Radiochirurgie mit dem Linearbeschleuniger. Die Dosiskonzentrierung erfolgt, indem der eingeengte Strahl in mehreren Bægen um den Patientenkopf rotiert und sich in einem Punkt, dem Isozentrum, schneidet. Wåhrend der Dosisapplikation fçhrt sowohl die Strahlenquelle als auch die Patientenliege sequenzielle oder simultane Bewegungen durch. Invasive Radiochirurgie Prinzip. Gestçtzt auf die stereotaktische Bildinformation wird bei der invasiven (interstitiellen) Radiochirurgie der radioaktive Strahler direkt in das Tumorareal oder die Zysten eingebracht. Das operative Vorgehen ist auf eine fast atraumatische stereotaktische Punktion beschrånkt, die in Lokalanåsthesie durchgefçhrt wird. Die Mæglichkeit der stereotaktischen Serienbiopsie erlaubt die Sicherung der Artdiagnose. Unmittelbar im gleichen Arbeitsschritt werden dann ein oder mehrere Kunststoffkatheter tumorkonform eingefçhrt, welche mit temporåren radioaktiven Strahlern beladen werden. Iod-125 ist das heute am håufigsten verwendete Radioisotop. Die temporåre Implantation macht eine optimale Dosisverteilung durch Zeitund Ortswichtung mæglich. Indikationen. Auch wenn Langzeitergebnisse prospektiv randomisierter Studien bisher fehlen, sind die Erfahrungen bei niedriggradigen Gliomen groû. Insbesondere bei der Lokalisation in eloquenten Hirnarealen ist die invasive Radiochirurgie der Resektion u. U. çberlegen (Ostertag et al. 1992). Bei den malignen Gliomen scheint bei Subgruppen mit kleinem Tumorvolumen ein Ûberlebensvorteil von wenigen Monaten durch eine interstitielle Dosisaufsåttigung mæglich zu sein (Gutin et al. 1987, Green et al. 1994). Die Instillation von Gold-198- oder Yttrium-90Suspensionen in zystische Tumoren hat sich klinisch nicht bewåhrt. 145 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 146 5.3 Strahlentherapie Nichtinvasive Radiochirurgie Mit dieser Methode kænnen radiologisch abgrenzbare kleine Tumorvolumina effizient und sicher behandelt werden. Das Spektrum der Indikationen ist bei den unterschiedlichen Geråtetypen identisch, es wird von der Græûe der Låsion, der Nåhe zu hocheloquenten Strukturen und der Histologie begrenzt. Als gesicherte Indikationen gelten neben den inoperablen arteriovenæsen Gefåûfehlbildungen kleine benige Tumoren wie Akustikusneurinome, Meningeome und solitåre Hirnmetastasen (Flickinger et al. 1993, Noren et al. 1993, Engenhart et al. 1993 u. 1994, Loeffler et al. 1994, Pirzkall et al. 1998, Eustacchio et al. 2002, Nicolato et al. 2002). Neuere klinische Studien haben den Stellenwert der Kombinationsbehandlung mit subtotaler Resektion und Radiochirurgie gezeigt. In einer prospektiv randomisierten Studie der RTOG (95-08) wurde fçr die Kombinationsbehandlung von Radiochirurgie und Ganzhirnbestrahlung bei Patienten mit Hirnmetastasen in den prognostisch gçnstigen Gruppen im Vergleich zur alleinigen Ganzhirnbestrahlung ein signifikanter Ûberlebensvorteil gesehen (Sperduto et al. 2002). Gammaknife. Die Bestrahlungseinheit mit dem LeksellSystem, das als Gammaknife bekannt ist, wurde speziell fçr die Radiochirurgie konzipiert und besteht aus einem schalenfærmig angeordneten Zentralkærper mit 201 60CoQuellen. Die Co-Quellen sind im Zentralkærper so positioniert, dass sich die Strahlen in einem Punkt, dem Isozentrum, treffen (Abb. 5.27). Die patientenspezifische Kollimierung erfolgt durch einen an der Patientenliege befestigten inneren Helm, fçr den verschiedene Kollimatorgræûen zwischen 4, 8, 14 und 18 mm Durchmesser zur Verfçgung stehen. Eine hochpråzise, tumorkonforme Dosisanpassung erfolgt durch unterschiedliche Dosiswichtung wie durch Kombination verschiedener Zielpunkte, d. h. durch eine Kombination von Isozentren. Bei dieser Superpositionsmethode kænnen im Zielvolumen Dosisinhomogenitåten mit Dosisçberhæhungen auftreten. Die Gammaeinheit ist apparativ einfach zu handhaben und mechanisch åuûerst stabil. Die Reproduzierbarkeit der physikalischen Bestrahlungsparameter liegt bei weniger als 1 mm. Diese hohe Genauigkeit gilt daher als Standard fçr die Pråzision, mit der die X-Knife-Technik verglichen werden muss. X-Knife. Bei der Anwendung des Linearbeschleunigers wird die extreme Konzentrierung der Energiedosis auf das vorgegebene Zielvolumen durch unterschiedliche Rotationstechniken ermæglicht (Abb. 5.27). Zum Einsatz kommt die Rotationsbestrahlung çber viele, nicht koplanare Ebenen, oder die dynamische Konvergenzbestrahlung, bei der sich der Patient und Bestrahlungsquelle synchron im Isozentrum bewegen. Die geforderte Pråzision wird durch Ûberschneiden der einzelnen Bewegungsablåufe in einem Punkt, dem Isozentrum erreicht (Hartmann et al. 1985). Durch die computergesteuerten Bewegungsablåufe werden mit dem X-Knife nahezu kugelfærmige Dosisverteilungen erzielt. Bei irregulår geformten Zielvolumina kommt daher, wie beim Gammaknife, die Superpositionsmethode zum Einsatz. Eine neuere Entwicklung der Dosiskonzentrierung stellen die dynamischen Bestrahlungstechniken mit dem Mikro-MLC zur Konformierung dar. Diese Kollimatoren werden mit stereotaktischer Genauigkeit justiert und erlauben eine ideale tumorkonforme, homogene Dosisanpassung. Bei Beachtung der hohen physikalisch-technischen Qualitåtssicherung ergaben physikalische Vergleichsmessungen identische Genauigkeiten wie bei Verwendung des Gammaknifes (Luxton et al. 1993). Auch gab es bei multizentrisch durchgefçhrten klinischen Therapiestudien bisher keinen Unterschied zwischen beiden Applikationsformen im Hinblick auf Tumorkontrolle und therapeutisches Risiko (Sanghavi et al. 2001, Sperduto et al. 2002). 5.3.3 Strahlenfolgen Allgemeines Morphologische Verånderungen. Im Vordergrund der morphologisch fassbaren Strahlenverånderungen des ZNS steht eine Demyelinisierung der Nervenfasern. Persistierende Strahleneffekte stellen sich als vaskulåre, gliale und neuronale Schåden dar, die teilweise von einer Entzçndungsreaktion mit Údem begleitet sind. Fokale Nekrosen kænnen in eine Kolliquationsnekrose mçnden. Entsprechend der unterschiedlichen Differenzierung der einzelnen Zellsysteme des ZNS weisen die proliferierenden Endothelzellen des Blut- und Bindegewebes die hæchste Strahlensensibilitåt auf; sie werden gefolgt von Oligodendroglia und Astroglia. Die Neurone und Ganglien besitzen eine hohe Strahlenresistenz, die auf den ausgereiften Zustand zurçckzufçhren ist. Klinische Daten weisen darauf hin, dass bei frçher Manifestation von Strahlenschåden Oligodendrozyten, bei spåter Manifestation Gefåûendothelien im Mittelpunkt stehen. Allgemeine radiogene Låsionen. An radiogen bedingten Folgen ist bei der ZNS-Bestrahlung auf die Beeintråchtigung der endokrinologischen, neuropsychologischen und intellektuellen Funktionen zu achten, die aber teils multifaktoriell durch Tumorwachstum, Hirndruck, chirurgische Resektion, Chemo- und Strahlentherapie verursacht sind (Ochs et al. 1991, Wenz et al. 1996, Debus et al. 1997). Nachgewiesen ist, dass eine simultane oder sequenzielle Chemotherapie mit z. B. Methotrexat oder Cytosin-Arabinosid die Regenerationsleistung vermindert und die Toleranzdosis senkt (van der Kogel et al. 1985). Auch individuelle Faktoren wie Hypertonie und Diabetes mellitus nehmen durch Gefåûverånderungen auf die Strahlentoleranz Einfluss. Topographisch bedingte radiogene Låsionen. Die Kenntnis der unterschiedlich topographisch-funktionellen Gebiete ist fçr die Abschåtzung des Therapierisikos fçr den Strahlentherapeuten von immenser Wichtigkeit. Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie O Bei Schådigung der Hirnrinde sind in Abhångigkeit von der Lokalisation und Dominanz der Hemisphåre unterschiedlich ausgeprågte neurologische Symptombilder zu erwarten. Radiogen gesetzte Låsionen der sprachdominanten Region fçhren bis zur Aphasie. O Bei Schådigung des visuellen Systems folgt ein Visusund Gesichtsfeldausfall bis zur Blindheit. Eine radiogene Beeintråchtigung der Sehfunktion nach Bestrahlung am Sehnerv und/oder Chiasma opticum ist bei der fraktionierten Dosisapplikation mit Gesamtdosen bis 50 Gy und Einzeldosen von 1,8 Gy weitestgehend ausgeschlossen. Bei der Einmalbestrahlung der ¹Radiochirurgieª liegt die Schwellendosis bei 8 Gy. O Aus den vitalen Funktionen der Mittellinienstruktur kann eine besondere Strahlenempfindlichkeit abgeleitet werden, welche dosis- und volumenabhångig ist (Debus et al. 1997). Bei Einschluss des hypophysår-hypothalamischen Systems ist mit einer strahleninduzierten Reduktion der Hormone ab 6 Monate zu rechnen. Verånderungen kænnen jedoch auch erst nach Jahren durch die radiogen bedingte Obliteration der Kapillaren auftreten (Jiang et al. 1994). O Kognitive Strahlenfolgen wurden im Rahmen von Ganzhirnbestrahlung jedoch vor allem bei Kindern mit Testverfahren zur Erfassung der allgemeinen Intelligenz untersucht. Die Ergebnisse bei Ganzhirnbestrahlung zeigen, dass messbare Einschrånkungen ab 30 Gy auftreten. Bei Teilhirnbestrahlung werden deutlich hæhere Dosen toleriert (Emami et al. 1991). O In Abhångigkeit von der auf die Haut verabreichten Dosis ist im Bereich des Strahlungseintrittfeldes mit dem Auftreten eines Erythems und einer temporåren Alopezie zu rechnen. Besonderheiten bei Kindern. Ist im Kindesalter eine kraniospinale Bestrahlung erforderlich, ist von einer Verkçrzung des Långenwachstums auszugehen. Bei Kindern ist der Reifungsgrad des Gehirns zu berçcksichtigen. Die abgeschlossene Ausreifung des Gehirns mit einer Radiotoleranz, die der des Erwachsenen entspricht, wird erst im 5. Lebensjahr erreicht. Um Spåtfolgen an diesen vulnerablen Hirngeweben zu vermeiden, wird empfohlen, die Einzel- und Gesamtdosen um bis zu 20 % zu reduzieren oder, wenn mæglich, mit einer Chemotherapie den Zeitpunkt der Strahlentherapie hinauszuzægern. Zu bedenken ist jedoch, dass dies mit einer Einbuûe an Heilungschancen verbunden sein kann (Bloom et al. 1990). Besonderheiten bei multimodaler Therapie. Eine multimodale Therapie mit sensibilisierenden Substanzen, Hyperthermie oder auch simultaner oder sequenzieller Gabe von Zytostatika stellen besondere Risikofaktoren dar, da ihre Auswirkungen am Nervensystem nicht ausreichend bekannt sind. Methotrexat ist die am håufigsten in Kombination mit der Strahlentherapie verwendete Substanz. Spåtfolgen sind charakterisiert durch Persænlichkeitsverånderungen, auch werden neurologische Ausfålle und Krampfanfålle beschrieben. Weitere Substanzen, die eine Leukoenzephalopathie verursachen kænnen, sind BCNU und Cytosinarabinosid (Fossa et al. 1992, van der Kogel et al. 1985, Ball et al. 1992). Neben der sorgfåltigen Nutzen-Risiko-Abwågung sollte bei multimodalen Therapien die Einzeldosis herabgesetzt und die Zahl der Fraktionen erhæht werden, da zuverlåssige Daten zur Dosis-Wirkungs-Beziehung bisher fehlen. Bei Kombination mit Methotrexat sollte der Zeitabstand bis zur Strahlentherapie mindestens 24 Stunden betragen, um das Risiko einer Leukoenzephalopathie zu minimieren. Karzinominduktion. Die Karzinominduktion nach ionisierender Strahlung ist bekannt, jedoch bei Verwendung der modernen Hochvolttherapie extrem selten (Tsang et al. 1994). Als håufigste Zweittumoren nach hoch dosierter Orthovoltbestrahlung wurden Meningeome nach einer medianen Latenz von 16 Jahren, gefolgt von Fibrosarkomen mit einer Latenz von 7,5 Jahren beschrieben (Brada et al. 1995). Verlauf der Strahlenreaktionen Die Strahlenreaktionen des Hirnparenchyms lassen sich nach ihrem zeitlichen Verlauf in 3 Phasen unterteilen. O Die akute Phase ist eine Frçhreaktion, die innerhalb von Stunden bis Wochen nach Bestrahlung auftreten kann und in der Regel vollståndig reversibel ist. Es kommt zu einer transienten Zunahme eines peritumoralen Údems mit Verschlechterung der vorbestehenden neurologischen Defizite. Beim nicht vorgeschådigten Hirnparenchym tritt erst ab Einzeldosen çber 6 Gy eine akute Vaskulitis mit Údembildung und Hirndrucksteigerung auf. O Die frçhe Spåtphase tritt 2 Wochen bis 4 Monate nach der Strahlentherapie auf und ist ebenfalls voll reversibel. Sie ist durch uncharakteristische neurologische Symptome wie Ûbelkeit, Erbrechen, Lethargie und selten Somnolenz gekennzeichnet. Ursåchlich sind reversible herdfærmige Demyelinisierungen. Bei der Leukoenzephalopathie, die klinisch als Somnolenzsyndrom gelegentlich bei der kindlichen ALL beobachtet wurde, ist neben einem pathologischen EEG eine Erhæhung des basischen Myelinproteins als Folge der Demyelinisierung nachzuweisen. Im Verlauf weniger Wochen bildet sich das Krankheitsbild zurçck. In Verbindung mit Methotrexat kann es jedoch zu Intelligenzdefekten und selten auch zum Tod durch Ausbildung einer nekrotischen Leukoenzephalopathie fçhren (Bleyer et al. 1980, Ball et al. 1992). O Die spåte Spåtphase erstreckt sich von milden, diskret ausgeprågten neuropsychologischen Defiziten çber neurologische fokale Befunde bis zur letalen Hirnnekrose. Die Inzidenz der progredienten Hirnschrankenstærung mit Ausbildung einer Hirnnekrose hångt von 147 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 148 5.3 Strahlentherapie Tabelle 5.6 Toleranzdosen von Risikoorganen in Abhångigkeit des bestrahlten Volumens (nach Rubin 1975, Emami 1993, Debus 1997) Organ Strahlenfolge TD5/5 [Gy] TD50/5 [Gy] Zielvolumen Gehirn Nekrose, Infarkt 60 70 gesamt 70 80 25 % 50 65 gesamt Hirnstamm Nekrose, Infarkt 1 mm3 60 Chiasma opticum Erblindung 50 65 gesamt N. opticus Erblindung 50 65 volumenunabhångig Retina Visusverlust 55 70 gesamt Linse Katarakt 5 12 volumenunabhångig Rçckenmark Myelopathie, Nekrose 50 70 10 cm Långe peripherer Nerv Neuropathie 60 75 10 cm Långe Tabelle 5.7 Toleranzdosen verschiedener Hirnnerven bzw. Hirnareale, gçltig fçr die Radiochirurgie/Einzeitbestrahlung Struktur Toleranzdosis [Gy] N. II 8 Nn. III, IV, VI 15±18 Nn. V, VI 15 N. VIII 12±15 Chiasma opticum 8 Sehbahn 8±12 Hirnstamm 12 der Nachbeobachtungszeit, der biologisch wirksamen Gesamtdosis und dem Bestrahlungsvolumen ab. Sie tritt Monate bis Jahre nach der Strahlentherapie auf. Neuroradiologisch ist die Differenzierung gegençber einem Tumorrezidiv in der Regel nicht mæglich. Auch fçr die neueren funktionellen Verfahren (MR-Spektroskopie, MR-Perfusion, nuklearmedizinische Tracerverfahren, PET) ist ihre endgçltige Eignung zur Differenzierung noch nicht belegt. Die Behandlung der Hirnnekrose besteht in der medikamentæsen Therapie des Údems und ± falls mæglich ± der frçhen operativen Ausråumung der Nekrose, da sich hierdurch die Prognose gçnstig beeinflussen låsst (Woo et al. 1987). Beurteilung der Strahlentoleranz von Organen Einflussfaktoren. Neben individuellen Faktoren wie Alter bzw. Reifungsgrad, Traumata, Stoffwechselerkrankungen, und den gewebespezifischen Unterschieden wird die Toleranz des Gehirns vor allem von Bestrahlungsparametern beeinflusst: Die Hæhe der Gesamtdosis, die Hæhe der Einzelfraktion, also die Zahl der Fraktionen und die Græûe des bestrahlten Volumens stellen die entscheidenden Faktoren dar. Abschåtzung des Strahlenrisikos. Zur Charakterisierung der Strahlentoleranz der unterschiedlichen Organe (Funktionsgruppen) dienen TD5/5- und TD50/5-Werte. Hierunter versteht man die Gesamtdosis eines homogen bestrahlten Organs, bei der in 5 % bzw. 50 % der Fålle innerhalb von 5 Jahren nach Bestrahlung eine schwere Schådigung zu erwarten ist (Emami et al. 1991, Rubin et al. 1989). Einen ganz wesentlichen Beitrag zur Abschåtzung des Strahlenrisikos bildet das von Sheline et al. entwickelte NominalStandarddosis-Konzept (NSD-, Neuret-Konzept). Danach liegt das Risiko einer Hirnnekrose bei einer Ganzhirnbestrahlung bei 52 Gy 6 2 Gy Gesamtdosis in çblicher Fraktionierung mit 2 Gy Einzeldosis unter 0,5 %. Erhæht man die Gesamtdosis auf 60 Gy, liegt das Risiko bei 5 % (Pezner et al. 1981, Cohen et al. 1983). Wird die Einzeldosis auf 2,5 Gy und mehr erhæht, steigt das Risiko einer radiogenen ZNS-Schådigung deutlich an (Caveness et al. 1980). Das gegenwårtig beste Modell fçr Isoeffekt-Berechnungen ist das linear-quadratische Modell. Es berçcksichtigt den Einfluss der Dosis pro Fraktion. Legt man die Toleranzdosis einer konventionell fraktionierten Strahlentherapie mit 5 3 2 Gy pro Woche zugrunde, dann sagt ein a/b-Quotient von 3 Gy fçr Hirnparenchym, dass mit Einzeldosen von 1 Gy die Toleranzdosis auf das 1,25 fache zunimmt. Bestrahlungsvolumen. Ein weiterer entscheidender Faktor fçr die Strahlentoleranz des ZNS stellt die Græûe des bestrahlten Volumens dar. Das Bestrahlungsvolumen ist kein frei wåhlbarer Parameter, sondern von dem Zielvolumen und der Bestrahlungstechnik abhångig. Im Idealfall stimmt das Bestrahlungsvolumen mit dem Zielvolumen çberein und ist nur durch die Tumorausdehnung unter Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Einschluss eines Infiltrationssaums mit dem subklinischen Befall definiert. Emami et al. publizierten 1991 Toleranzdosen des gesunden ZNS in Abhångigkeit der Bestrahlungsvolumina. Bei Ganzhirnbestrahlung çber 60 Gy, mit Einzeldosen von tåglich 2 Gy, wird ein steiler Anstieg der Nekrosewahrscheinlichkeit beobachtet. Bei 60 Gy gibt er das Nekroserisiko innerhalb von 5 Jahren mit 50 % an (TD50/5). Bei einer Volumenbelastung von nur einem Drittel belåuft sich das Nekroserisiko bei 60 Gy auf nur 5 % in 5 Jahren (TD5/5), bei 75 Gy hingegen auf 50 %/TD50/ 5) (Pezner et al. 1981, Emami et al. 1991). Entscheidend fçr die Vermeidung von Spåtfolgen ist die Hæhe der Einzeldosis, welche 1,8 Gy in der Risikostruktur nicht çberschreiten sollte. Tab. 5.6 zeigt die Toleranzdosen unterschiedlicher Risikostrukturen in Abhångigkeit der Græûe des bestrahlten Volumens bei konventioneller Fraktionierung, Tab. 5.7 bei Einmalbestrahlung. Da die Therapiefolgen oft erst nach Jahren manifest werden, sind regelmåûige langjåhrige strahlentherapeutische Nachkontrollen notwendig. 5.4 Radiochirurgie J. Voges, V. Sturm Der Begriff Radiochirurgie wurde erstmalig 1951 durch den schwedischen Neurochirurgen Lars Leksell sinngemåû wie folgt geprågt: Durch die Kombination extrem fokussierter energiereicher Strahlung, die von einer externen Strahlenquelle bereitgestellt wird, mit stereotaktischen Zielpunktlokalisationsverfahren ist es mæglich, eine hohe Einzeldosis auf ein zuvor genau definiertes Zielvolumen zu applizieren und gleichzeitig aufgrund des dabei generierten steilen Dosisgradienten das umliegende Gewebe optimal zu schonen (Leksell 1951). Einer allgemein gehaltenen Definition zufolge versteht man unter Radiochirurgie ¹jede Form der Applikation energiereicher ionisierender Strahlen, die ± sei es in der experimentellen Biologie oder der klinischen Medizin ± mit der Absicht vorgenommen wird, eine zuvor definierte Zielstruktur, die gesunde und/oder pathologisch verånderte Zellen enthålt, pråzise und vollståndig zu zerstæren, ohne das Gewebe in der Umgebung im Sinne eines frçhen oder spåten Strahlenschadens zu schådigenª (Larsson 1992). Weiterhin ist es sinnvoll, zwischen ¹nichtinvasiver Radiochirurgieª (= externe Strahlenquelle) und ¹invasiver Radiochirurgieª (= stereotaktisch-neurochirurgische Implantation einer Strahlenquelle) zu unterscheiden. Anstelle der invasiven Radiochirurgie werden auch synonym die Ausdrçcke ¹interstitielle Bestrahlungª bzw. ¹Brachytherapieª gebraucht. Die ¹intrakavitåre Bestrahlungª ist eine Sonderform der invasiven Radiochirurgie, die fçr die Behandlung von zystischen Raumforderungen reserviert ist. 5.4.1 Apparative Voraussetzungen Die allgemeinen methodische Voraussetzungen entsprechen teilweise der bereits im Kap. 3.3 beschriebenen Vorgehensweise. Zusammengefasst sind folgende Maûnahmen durchzufçhren: O zuverlåssige Fixierung des Patientenkopfes in einem stereotaktischen Rahmen, O Integration von hoch auflæsenden 3D-CT- und/oder MRT-Bildern in das stereotaktische Koordinatensystem, O rechnergestçtzte, multiplanare 3D-Behandlungsplanung. Nichtinvasive Radiochirurgie Theoretisch sind Protonen bzw. andere schwere Ionen aufgrund einer bestimmten physikalischen Eigenschaft ± dem sog. Bragg-Peak (= definierter Punkt, an dem korpuskulåre Strahlen, kurz bevor sie sich abschwåchen, nahezu ihre gesamte Energie deponieren) ± sehr geeignet zur Durchfçhrung nichtinvasiver radiochirurgischer Behandlungen. Geråte, die Protonen bzw. schwere Ionen generieren (Zyklotron bzw. Synchrotron), sind jedoch extrem teuer und stehen weltweit nur in wenigen Institutionen zur Verfçgung, sodass im Folgenden die Behandlungseinheiten beschrieben werden, die Photonen emittieren. Abhångig vom Ursprung der Photonen wird zwischen Gammastrahlung (natçrlicher radioaktiver Zerfall, Gammaknife) und Ræntgenstrahlung (kçnstlich erzeugte Bremsstrahlung, Linearbeschleuniger [LINAC]) unterschieden (Verhey u. Smith 1995). Gammaknife. In dieser Behandlungseinheit sind 201 Cobalt-60-Quellen in einer Halbkugel derart konzentrisch angebracht, dass sich die Achsen der emittierten Strahlung an einem bestimmten Punkt ± dem Dosismaximum ± schneiden. Wåhrend des natçrlichen Zerfalls von Co-60 entsteht eine Photonenstrahlung mit einer mittleren Energie von 1,25 MeV. Die Halbwertszeit von Co-60 betrågt 5,26 Jahre. Im Regelfall ist ca. 5 Jahre nach Installation der Strahlenquellen ein Austausch erforderlich. Linearbeschleuniger (LINAC). Linearbeschleuniger generieren Photonenstrahlung durch den Vorgang der ¹Bremsstrahlungª. Die emittierte Energie wird von der Ausgangsleistung des LINAC bestimmt (bei 6 MeV z. B. 2 MeV). Die im LINAC vorkollimierte Strahlung wird fçr die Radiochirurgie zusåtzlich durch sog. tertiåre Kollimatoren eingeblendet. Tertiåre Kollimatoren mit kreisfærmiger Úffnung generieren eine kugelfærmige Dosisverteilung. Flexibler als mit dem Gammaknife kann ein Set von mehreren Kollimatoren genutzt werden, sodass die Felddurchmesser in kleinen Schritten von 4±40 mm zunehmen. 149 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 150 5.4 Radiochirurgie a b Abb. 5.28 a u. b Gammaknife und Linearbeschleuniger. a Schematischer Aufbau eines Gammaknife (modifiziert nach Verhey u. Smith 1995): Strahlenquellen und Úffnungen bilden zusammen die eigentliche Bestrahlungseinheit (A). Der an die bewegliche Patientenliege (D) adaptierte Kollimatorhelm (C) bestimmt die definitive Græûe des Bestrahlungsfeldes. Ûber austauschbare Kollimatoren lassen sich 4 verschiedene Feldgræûen (Durchmesser: 4, 8, 14 und 18 mm) generieren. Zur Behandlung wird der mit seinem Kopf im stereotaktischen Rahmen (C) fixierte Patient auf der Patientenliege positioniert und der Stereotaxierahmen so im Helm befestigt, dass der errechnete Zielpunkt mit dem geometrischen Dosismaximum çbereinstimmt. Nach Úffnen des Verschlusses der Bestrahlungseinheit (B) fåhrt die Patientenliege in die Behandlungsposition, wobei der Kollimator mit der Bestrahlungseinheit verbunden wird. Invasive Radiochirurgie I-125 Seed. Fçr die Anwendung bei soliden Tumoren wird I-125 an Ionenaustauschharz gebunden und zusammen mit einem Ræntgenmarker in einer Titankapsel eingeschweiût. Dieses ¹Seedª hat eine Långe von 4,5 mm und einen Auûendurchmesser von 0,8 mm. Emittiert wird eine extrem niederenergetische Gammastrahlung (Tab. 5.8; Hilaris 1968). Die çblicherweise applizierte Tumoroberflåchendosis betrågt 60±80 Gy (50±65 Gy nach TG43; Nath et al. 1995). b Darstellung der mechanischen Funktion eines Linearbeschleunigers: Die Gantry rotiert in einer vertikalen Ebene (A) und trågt den Bestrahlungskopf. Die Patientenliege rotiert um eine horizontale Ebene (B) und låsst sich zusåtzlich durch Schrittmotoren in den 3 Raumachsen bewegen. Das Isozentrum des LINAC (C) markiert den Schnittpunkt der Drehachsen von Patientenliege und Gantry und sollte sich idealerweise unabhångig von deren Position immer an der gleichen Stelle befinden. Der Stereotaxierahmen ist entweder fest mit der Patientenliege verbunden oder wird durch eine auf dem Fuûboden stehende Halterung unterstçtzt. Nach Justierung des errechneten Zielpunkts in das Isozentrum des LINAC wird in mehreren Tischpositionen bzw. mit unterschiedlichen Rotationswinkeln der Gantry bestrahlt. Y-90, P-32. Diese Strahlenquellen werden als kolloidale Læsungen angeboten. Sie unterscheiden sich bezçglich Halbwertszeit, emittierter Energie sowie Eindringtiefe im Gewebe (Tab. 5.8) und ermæglichen die Gabe einer sehr hohen Strahlendosis von z. B. 200 Gy auf die Wand einer Zyste. Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Tabelle 5.8 Wesentliche physikalische Eigenschaften von stereotaktisch applizierbaren Strahlenquellen Parameter Y-90 P-32 I-125 emittierte Strahlung Betastrahlung Betastrahlung Gammastrahlung Halbwertszeit 2,7 Tage 14,3 Tage 60,3 Tage maximal emittierte Energie 2,27 MeV 1,7 MeV 28±32 KeV Halbwertschichtdicke fçr Gewebe (Blei) 1,1 mm 0,8 mm 20 mm (0,025 mm) a b c d e f Abb. 5.29 a±f Computerassistierte multiplanare 3D-Bestrahlungsplanung. a ± c Invasive Radiochirurgie; I-125-Seeds, anaplastisches Astrozytom. d ± f Nichtinvasive Radiochirurgie; LINAC, hormoninaktives Hypophysenadenom. 5.4.2 Indikationen und klinische Daten Nichtinvasive Radiochirurgie Meningeome. Ideale Indikationen sind kleine bis mittelgroûe (maximaler Durchmesser 35±40 mm), nichtresezierbare oder teilresezierte Meningeome der Schådelbasis bzw. in parasagittaler Lokalisation (Tab. 5.9). Im Bereich der Schådelbasis ist auf einen ausreichenden Sicherheitsabstand (mind. 2 mm) des Tumors zum vorderen optischen System zu achten (Abb. 5.30 a u. b). Akustikusneurinome. Eine radiochirurgische Behandlung ist fçr kleine Neurinome indiziert (Abb. 5.30 d), wenn diese Tumoren nicht oder nur unwesentlich den angrenzenden Hirnstamm bzw. das Kleinhirn komprimieren (Kap. 7.8). MRT-gestçtzte Behandlungsplanung sowie eine deutliche Reduktion der therapeutischen Dosis hatten wåhrend der letzten Jahre eine deutliche Verbesserung der Ergebnisse zur Folge mit signifikanter Zunahme des Anteils von Patienten mit erhaltenem Hærvermægen bzw. Reduktion der Inzidenz radiogener Neuropathien von Hirnnerven 151 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 152 5.4 Radiochirurgie Tabelle 5.9 Zusammenfassung klinischer Ergebnisse nach radiochirurgischer Behandlung von Meningeomen der Schådelbasis Autor TK Dosis [Gy] Lokalisati- Pat. [n] on FU [Mon.] Klinische Verbesserung [%] Lokale Tumor- Morbiditåt [%] Mortalitåt kontrolle [%] [%] transient permanent Muthukumar 1998 GK 15 Tent 41 36 46 98 2,5 0 0 Lee 2002 GK 13 SC 159 39 29 94 1,9 5,0 0 Nicolato 2001 GK 15 HSG 62 29 k. A. 95 6,5 0 0 Nicolato 2002 GK 14,6 SC 122 49 k. A. 97,5 3,0 1,0 0 Villavicencio LC 2001 15 SB 56 28 34 96 1,0 9,0 0 Kæln, akt. Daten (2002) 12 SB 69 53 32 93 6,0 3,0 0 LC TK = radiochirurgische Technik; GK = Gammaknife; LC = LINAC-Radiochirurgie; Tent = Tentorium; SC = Sinus cavernosus; HSG = hintere Schådelgrube; SB = Schådelbasis; FU = Nachbeobachtung; k. A. = keine Angabe. Die Angaben zu Dosis bzw. Nachbeobachtungszeit sind Medianoder Mittelwerte. Tabelle 5.10 Zusammenfassung der klinischen Ergebnisse nach radiochirurgischer Behandlung von Akustikusneurinomen Autor TK Dosis [Gy] Pat. [n] FU Lokale [Mon.] Tumorkontrolle [%] Neuropathie N. V [%] Neuropathie N. VII [%] transient permanent transient permanent HV [%] Norn 1993 GK 18±20 254 54 94 UL 84 BL 15 4 13 4 60 Norn 1998 GK 10±15 55 35 93 0 1,8 0 0 71 Flickinger 2001 13 190 30 97 1 2 0 1 (a) 71.0 (b) 73.5 Spiegelman LC 2001 14.6 44 32 98 0 18 16 8 71 Foote 2001 LC 14 149 36 93 k. A. 29 (vor 1994) 2 (seit 1994) GK 29 (vor 1994) k. A. 5 (seit 1994) TK = radiochirurgische Technik; GK = Gammaknife; LC = LINAC-Radiochirurgie; FU = Nachbeobachtung; UL = unilateral; BL = bilateral; HV = Erhalt des pråoperativ dokumentierten Hærvermægens; k.A. = keine Angaben. Die Angaben zu Dosis bzw. Nachbeobachtungszeit sind Median- oder Mittelwerte. Angegeben ist der prozentuale Anteil von Patienten, bei denen ein bestimmter vor Radiochirurgie dokumentierter Status erhalten werden konnte. Norn (1993, 1998): Status 2 Jahre nach Radiochirurgie fçr Patienten mit einem Hærvermægen der Klasse I±II nach Gardner-Robertson. Flickinger (2001): aktualisierte 5-Jahres-Werte fçr (a) Gardner-Robertson I±IV bzw. (b) Gardner-Robertson I±II. Spiegelman: Erhalt eines ¹nçtzlichenª Hærvermægens (Tab. 5.10; Norn et al. 1993, Norn 1998, Friedman et al. 2000, Foote et al. 2001). Hypophysenadenome. Radiochirurgie ist indiziert bei nichtresezierbaren, teilresezierten oder rezidivierenden Makroadenomen mit einem Maximaldurchmesser von ca. 30 mm und einem Abstand von mind. 2 mm zum vorderen optischen System (Engenhardt et al. 1999). Lokale Tumorkontrollraten (. 90 %) und Neurotoxizitåt (0±4 %) sind mit den Ergebnissen nach fraktionierter Strahlentherapie vergleichbar. Das Risiko einer Hypophyseninsuffizienz liegt mit 0±16 % deutlich unterhalb der fçr die fraktionierte Strahlentherapie publizierten Werte. Eine Normalisierung des Hormonexzesses wird bei STH und ACTH sezernierenden Adenomen fçr etwa 50 % der Patienten innerhalb der ersten 2 Jahre nach Therapie und damit wesentlich frçher als nach fraktionierter Strahlentherapie dokumentiert (Grosu et al. 2000, Voges u. Kocher 2002). Zerebrale Metastasen. Im Jahre 1987 von Sturm et al. (Sturm et al. 1987) zur Therapie von strahlenresistenten, singulåren zerebralen Metastasen implementiert, wurden Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Abb. 5.30 a±d Fallbeispiele zur nichtinvasiven Radiochirurgie. a Falxmeningeom, vor und 3 Jahre nach Radiochirurgie. b Schådelbasismeningeom, vor und 7 Jahre nach Radiochirurgie. bis 1998 weltweit ca. 2700 Filiae unterschiedlicher Strahlensensibilitåt radiochirurgisch behandelt (Boyd u. Mehta 1999). Ideal sind Metastasen bis zu einem maximalen Durchmesser von 30 mm. Die einzeitige Behandlung von bis zu 3 Tumoren ist mæglich. Auch kann die radiochirurgische Behandlung im Einzelfall wiederholt angewendet werden. Eine bioptische Klårung ist nach Auffassung der Autoren nicht erforderlich, wenn 3±5 Jahre nach Erstmanifestation der Grunderkrankung CT- oder MRT-Bilder einen typischen intrazerebralen Befund dokumentieren. Allerdings lag die Rate nichtmetastatischer zerebraler Raumforderungen bei bekanntem Primårtumor in einer Studie bei 10 % (Patchell et al. 1990). Die lokale Tumorkontrollrate betrågt nach Radiochirurgie etwa 87 %. Die Morbiditåt ist gering (Strahlennekrose ca. 4 %, Schådigung von Hirnnerven ca. 1 %). Retrospektiven Daten zufolge bewirkt die Radiochirurgie eine Lebensverlångerung von im Median 11±16 Monaten (16 Publikationen, Ûbersicht bei Boyd u. Mehta 1999). Eine Kombination von Radiochirurgie und fraktionierter Strahlentherapie ist mæglich, Bedeutung und zeitliche Abfolge der Strahlentherapie in Zusammenhang mit der Radiochirurgie sind allerdings noch nicht hinlånglich durch prospektiv-randomisierte Studien geklårt. c Adenokarzinommetastase vor und 3 Monate nach Radiochirurgie. d Akustikusneurinom vor und 7 Jahre nach Radiochirurgie. Maligne zerebrale Gliome. Im Rahmen einer prospektiven Multicenter-Studie wurden 115 Patienten mit malignem Gliom durch eine Kombination bestehend aus Operation, RT (54±60 Gy) und LINAC-Radiochirurgie behandelt (Sarkaria et al. 1995). Einschlusskriterien waren: histologische Diagnose (anaplastisches Astrozytom [AA] oder Glioblastom [GBM]), klinischer Status des Patienten (Karnofsky-Index von mindestens 70 %) und Tumorgræûe (# 4 cm). Das mediane Ûberleben fçr Patienten mit einem GBM betrug 21 Monate bei einer 2-Jahres-Ûberlebenswahrscheinlichkeit von 38 %. Patienten mit einem AA hatten bei einer 2-Jahres-Ûberlebensrate von 72 % zu Studienende das mediane Ûberleben noch nicht erreicht (Sarkaria et al. 1995). In einer zweiten, monozentrisch durchgefçhrten Studie wurden 64 Patienten mit einem GBM und 43 Patienten mit einem AA entweder als Teil des initialen Therapiekonzepts (GBM: 70 %, AA: 47 %) oder bei Auftreten eines Tumorrezidivs durch Gammaknife therapiert (mittlere therapeutische Dosis: 15 Gy, mittleres Tumorvolumen: 6,5 ml) (Kondziolka et al. 1997). Medianes Ûberleben bzw. 2Jahres-Ûberlebenswahrscheinlichkeit nach Behandlung waren fçr GBM-Patienten 16 Monate bzw. 38 % und bei Erkrankung an einem AA 21 Monate bzw. 49 % (Kondziolka 153 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 154 5.4 Radiochirurgie Abb. 5.31 a±d Fallbeispiele zur invasiven Radiochirurgie. a Pilozytisches Astrozytom des Caput nuclei caudati, vor und 4 Jahre nach Seed-Implantation. b Pilozytisches Astrozytom des Thalamus, vor und 8 Jahre nach Seed-Implantation. c Oligoastrozytom WHO-Grad II der Insel in der dominanten Hemisphåre, vor und 4 Jahre nach Seed-Implantation. d Astrozytom WHO-Grad II des Mesenzephalon, vor und 7 Jahre nach Seed-Implantation. Tabelle 5.11 Klinische Ergebnisse nach invasiv radiochirurgischer Behandlung von nicht resezierbaren niedermalignen Gliomen Tumor Autor Pat. [n] FU [Mon.] Lokalisation [%] Ûberlebenswahrscheinlichkeit [%] ML ST HSG nach 5 J. nach 10 J. pilozytisches As- Kreth 1995 trozytom (WHOKæln aktual. DaGrad I) ten, 2001 97 57 91 9,0 - 85 96 82 58 80,7 16,7 2,6 83 82 Gliome (WHOGrad II) Kreth 1995 358 57 44,0 56,0 - 55 47 Kæln aktual. Daten, 2001 139 48 9,4 90,2 1,4 71 36 ML = Mittellinie; ST = supratentoriell; HSG = hintere Schådelgrube et al. 1997). Bei 20 % (Kondziolka et al. 1997) bis 29 % der Patienten (Sarkaria et al. 1995) wurde nach Radiochirurgie erneut eine Tumorresektion durchgefçhrt. Histolopathologisch wurde bei 3±7 % dieser Patienten eine Radionekrose diagnostiziert. Aufgrund der folgenden Punkte kann nach derzeitiger Datenlage die nichtinvasive Radiochirurgie von malignen Gliomen auûerhalb von Studienprotokollen nicht regelhaft empfohlen werden: O Weil sich Strahlennekrosen ausbilden kænnen, kænnen im Prinzip nur die Tumoren therapiert werden, bei denen aufgrund ihrer Lokalisation die chirurgische Entfernung dieser Raumforderung mæglich ist. O Es fehlt bisher der definitive Wirkungsnachweis im Rahmen einer randomisierten Studie. O Kleines Tumorvolumen und guter Karnofsky-Index (Tab. 6.6) der Patienten, die nach den hier zitierten Protokollen radiochirurgisch behandelt wurden, spre- Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie chen dafçr, dass sie zu einer Gruppe gehæren, die bereits a priori als prognostisch gçnstig einzustufen ist (Curran et al. 1993, Florell et al. 1992). Invasive Radiochirurgie I-125-Seeds bei zerebralen Gliomen Indikationen. Ideale Indikationen sind im MRT gut abgrenzbare pilozytische Astrozytome (WHO-Grad I) oder Gliome WHO-Grad II bis zu einem maximalen Durchmesser von 3,5 cm, lokalisiert in tiefen Hirnstrukturen (Basalganglien, Thalamus, Hirnstamm) sowie in kritischen kortikalen Arealen (sensomotorischer bzw. visueller Kortex, dominante Hemisphåre) (Kreth et al. 1995, Voges et al. 1993). Unter Verwendung niederaktiver Seeds wird eine kumulative Tumoroberflåchendosis von 60±80 Gy (50± 65 Gy nach TG43 [Nath et al. 1995]) appliziert (Abb. 5.31, Tab. 5.11). Komplikationen. Die innerhalb des Tumors kumulierende, extrem hohe Strahlendosis kann eine radiogene Stærung der Blut-Hirn-Schranke mit nachfolgendem vasogenen Údem induzieren. Wesentlicher Risikofaktor fçr das Auftreten dieser Komplikation, die bei 2,1 % (Kreth et al. 1997) bzw. 4 % (Eigene Daten 2001) der Patienten zu bleibenden neurologischen Defiziten fçhrt, ist das Volumen der intratumoralen 200-Gy-Isodose (kritisches Volumen: 4,5 ml). Wird diese Beziehung durch behandlungsrelevante Parameter ausgedrçckt, dann gehæren bei Applikation einer therapeutischen Dosis von 60 Gy Patienten, die ein Tumorvolumen von , 23 ml aufweisen, in die Gruppe mit deutlich reduziertem Risiko fçr das Auftreten radiogener Komplikationen (, 3 %) (Kreth et al. 1997). Niederaktive I-125-Seeds. Im Falle von malignen Gliomen (WHO-Grad III oder IV) wird einer retrospektiven Analyse von Ostertag und Kreth zufolge (75 Patienten) durch alleinige Radiochirurgie mit niederaktiven I-125Seeds ein medianes Ûberleben von 8 Monaten und eine 2Jahres-Ûberlebenswahrscheinlichkeit von 36 % erreicht (Ostertag u. Kreth 1992). Im Gegensatz dazu haben Patienten, bei denen in der eigenen Klinik nach einem prospektiven Protokoll nichtresezierbare Gliome vom WHO-Grad III primår durch eine Kombination von Radiochirurgie unter Verwendung niederaktiver I-125-Seeds (kumulative Tumoroberflåchendosis 60 Gy) und konventioneller Bestrahlung (reduzierte Boostdosis von 15± 25 Gy) behandelt wurden, eine 5-Jahres-Ûberlebenswahrscheinlichkeit von 48 % (Voges et al. 1993, aktualisierte Daten aus 2001 von 81 Patienten mit einer medianen aktualisierten Nachbeobachtungszeit von 60 Monaten). Wurden Glioblastompatienten (WHO-Grad IV) primår nach dem gleichen Protokoll bzw. mit moderat erhæhter Dosisleistung behandelt, betrug die mittlere Ûberlebenszeit etwa 16 Monate (Voges et al. 1993). Auch in dem eigenen Untersuchungskollektiv ist eine Positivselektion als Mitursache fçr die guten Behandlungsergebnisse nicht auszuschlieûen. I-125-Seeds mit hoher Dosisleistung und Strahlendosis. Zwei prospekive Studien zeigten, dass auch eine massive Erhæhung von Dosisleistung und Strahlendosis, d. h. die Kombination von RT (Dosis: 50±60 Gy) mit invasiver Radiochirurgie unter Verwendung von I-125Seeds hoher Aktivitåt die Prognose fçr Glioblastompatienten nicht verbessert. In einer unizentrischen Studie wurde randomisiert bei insgesamt 140 Patienten mit supratentoriell lokalisiertem malignen Astrozytomen der Effekt von invasiver Radiochirurgie als Boost (Dosis: 60 Gy, Dosisleistung: 16,8 Gy/d) in Kombination mit RT (Dosis 50 Gy, 71 Patienten) gegen Bestrahlung alleine (Dosis: 50 Gy: 69 Patienten) verglichen (Laperriere et al. 1998). Das mediane Ûberleben war in den beiden Behandlungsarmen statistisch nicht signifikant unterschiedlich (13,8 Monaten nach I-125-Seed-Implantation, 13,2 Monate nach alleiniger Bestrahlung). Ziel einer durch die Brain Tumor Cooperative Group multizentrisch organisierten Studie war die Evaluierung des Effekts einer zusåtzlich zu Resektion, RT mit 60 Gy und systemischer Chemotherapie (BCNU) durchgefçhrten invasiv-radiochirurgischen Behandlung (kumulative Dosis: 60 Gy, Dosisleistung: 9,6 Gy/d). 85 % der insgesamt 277 ausgewerteten Patienten waren an einem GBM erkrankt. Die mediane Ûberlebenszeit wurde fçr diese Patienten ebenfalls statistisch nicht signifikant unterschiedlich mit 64,0 Wochen (I-125-Seeds) bzw. 58,1 Wochen (ohne I-125-Seeds) angegeben (Selker et al. 2002). I-125-Seeds bei zerebralen Metastasen Die initiale lokale Tumorkontrollrate ist einer retrospektiven Auswertung zufolge mit 92 % åhnlich gut wie nach nichtinvasiver Radiochirurgie (Ostertag u. Kreth 1995). Die Indikation wird in der Kælner Klinik bei solitåren Låsionen alternativ dann gestellt, wenn aufgrund der Tumorgræûe (. 3,5 cm) nichtinvasive Radiochirurgie nur nach deutlicher Dosisreduktion und dadurch vergleichsweise geringerer Wahrscheinlichkeit fçr einen therapeutischen Effekt durchfçhrbar wåre. Intrakavitåre Bestrahlung Diese Form der invasiven Radiochirurgie wird weltweit in wenigen Zentren zur Bestrahlung zystischer Kraniopharyngeomanteile eingesetzt. Eine signifikante Verkleinerung der behandelten Zyste wird in 74±98 % der Fålle beobachtet (Backlund et al. 1989, Pollock et al. 1995, Voges et al. 1997). Radiogene Nebenwirkungen betreffen im Wesentlichen die Funktion der Nn. optici bzw. des Chiasma opticum (5± 6,5 %) sowie des hypothalamisch-hypophysåren Systems (4±10 %). Durch Instillation von P-32 anstelle von Y-90, das eine vergleichsweise hæhere Eindringtiefe im Gewebe hat, konnten diese Nebenwirkungen wesentlich reduziert werden (Voges et al. 1997). 155 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 156 5.5 Chemotherapie 5.5 Chemotherapie M. Weller, U. Schlegel 5.5.1 Allgemeine Prinzipien Bedeutung, Formen und Wirksamkeit Bedeutung. Die Chemotherapie besitzt in der Behandlung der meisten Hirntumoren gegençber Operation und Strahlentherapie eine nachgeordnete Bedeutung. Dies gilt besonders fçr die astrozytåren Tumoren, bei denen in den letzten Jahren die intensivsten Bemçhungen um einen Durchbruch in der medikamentæsen Therapie unternommen wurden. Eine wirksame Chemotherapie wird vor allem fçr lokal infiltrierende, schlecht abgegrenzte Tumoren benætigt, weil hier die lokalen Therapiekonzepte wie Operation und Strahlentherapie an ihre Grenzen stoûen. Trotz zahlreicher Enttåuschungen in der Chemotherapie des Glioblastoms wurden jedoch fçr andere seltenere Tumorentitåten wirksame Chemotherapiestrategien etabliert, insbesondere fçr die anaplastischen Oligodendrogliome und die primåren zerebralen Lymphome. Des Weiteren wurden Fortschritte in der Chemotherapie der Keimzelltumoren, der Medulloblastome und zerebraler Metastasen einzelner Tumortypen erzielt. Bei anderen Tumoren wie z. B. den malignen Meningeomen oder den Ependymomen sind relevante Erfolge ausgeblieben. Formen. Chemotherapie wird entweder als Salvage-Therapie bei nach Standard-(Strahlen-)Therapie progredienten Tumoren (z. B. Glioblastome, Hirnmetastasen) oder kombiniert mit Strahlentherapie in der Primårtherapie (z. B. Glioblastom) oder als alleinige Primårtherapie nach Biopsie oder Resektion (z. B. primåre zerebrale Lymphome, Oligodendrogliome) eingesetzt. Der Begriff der adjuvanten und neoadjuvanten Chemotherapie wird in der Neuroonkologie oft unscharf eingesetzt. Adjuvant bezeichnet allgemein den Einsatz der Chemotherapie nach einer Komplettremission infolge zuvor verabreichter Therapie, in der Regel Operation und Strahlentherapie, z. B. bei malignen Gliomen und Hirnmetastasen, wenn nach der Strahlentherapie kein Resttumor mehr nachweisbar ist. Neoadjuvant bezeichnet den Einsatz der Chemotherapie vor jeder anderen Therapie und kommt streng genommen nur beim primåren zerebralen Lymphom zum Einsatz, weil dieser Tumor nur biopsiert und eine Resektion nicht angestrebt wird. Beurteilung der Wirksamkeit. Die Wirksamkeit der Chemotherapie wird heute meist nach den MacDonaldKriterien (MacDonald et al. 1990) beurteilt, sofern ein neuroradiologisch messbarer Resttumor vorliegt: O Complete Response (CR) entspricht der kompletten Rçckbildung der Kontrastmittel aufnehmenden Tumorareale in der CT oder der MRT. O Partial Response (PR) bedeutet die Reduktion des Kontrastmittel aufnehmenden Tumorvolumens um mindestens 50 %. O Progressive Disease (PD) liegt bei einer Zunahme des Tumorvolumens um mindestens 25 % oder bei Nachweis neuer Låsionen vor. O Stable disease (SD) wird konstatiert, wenn weder die Kriterien fçr PR noch die fçr PD erfçllt sind. Fu Èr CR und PR gilt die Forderung, dass die Steroiddosis im Intervall nicht erho Èht worden sein darf. Fu Èr CR, PR oder PD darf die Beurteilung fru Èhestens einen Monat nach Einleitung der Therapie erfolgen. Fehlt nach der Operation ein messbarer Resttumor, der innerhalb von 24±72 h nach dem Eingriff durch CT oder MRT festgestellt werden sollte, so kann nur das progressionsfreie Ûberleben als Indikator fçr den Erfolg der Therapie herangezogen werden. Fçr Tumoren, die keine Kontrastmittelaufnahme zeigen, u. a. die Mehrzahl der Gliome des WHO-Grads II, mçssen modifizierte Kriterien zur Beurteilung der Wirkung der Chemotherapie herangezogen werden. Das initiale Ansprechen auf die Chemotherapie darf aber nicht çberbewertet werden, weil sich bei Patienten mit malignen Gliomen, die unter Chemotherapie entweder CR, PR oder SD gezeigt hatten, kein Unterschied in der Ûberlebenszeit nachweisen lieû (Grant et al. 1997). Indikationen Kriterien. Wichtigstes Kriterium fçr die Indikationsstellung zur Chemotherapie ist die histologische Diagnose gemåû der aktuellen WHO-Klassifikation der Hirntumoren (Kleihues u. Cavenee 2000). Zusåtzlich gehen in die Planung der individuellen Therapiestrategie vor allem die prognostisch wichtigen Faktoren Alter und KarnofskyIndex (Tab. 6.6) ein (DeAngelis et al. 1998), wie in den Kapiteln zu den einzelnen Tumorentitåten ausgefçhrt ist. Weitere Parameter. Vermutlich werden in Zukunft zusåtzliche Parameter etabliert werden, mittels derer innerhalb definierter Tumorentitåten Subgruppen von Patienten identifiziert werden kænnen, die besonders gut oder schlecht auf spezifische Therapieformen ansprechen. Solche Anstrengungen konzentrieren sich sowohl auf Parameter der Tumorphysiologie wie Durchblutung, Gefåûpermeabilitåt oder Glucose-Utilisation, die mittels moderner bildgebender Verfahren erfasst werden (s. a. Kap. 3.2), als auch auf molekulargenetische und biochemische Parameter (s. a. Kap. 2). Auf molekularer Ebene ist z. B. der Verlust genetischen Materials auf den Chromosomenabschnitten 1 p und 19 q ein positiver Prådiktor dafçr, dass Oligodendrogliome auf eine Chemotherapie nach dem PCV-Protokoll (Procarbazin, CCNU, Vincristin, s.u.) ansprechen (Cairncross et al. 1998) (s. a. Kap. 7.1.6). Bei malignen astrozytåren Tumoren scheint der Verlust der Expression Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Tabelle 5.12 Wirksamkeit von Chemotherapie bei verschiedenen Tumorentitåten Tumor Substanzen/Protokolle Chemotherapie sicher wirksam Glioblastom im Rezidiv Temozolomid, Nitrosoharnstoffe, Procarbazin, PCV anaplastisches Astrozytom im Rezidiv Temozolomid, Nitrosoharnstoffe, PCV anaplastisches Oligodendrogliom, Primårtherapie und Rezidiv PCV, Nitrosoharnstoffe, Temozolomid primåres zerebrales Lymphom, Primårtherapie und Rezidiv Corticosteroide, MTX, Ara-C, PCV, Temozolomid Hirnmetastasen bestimmter Tumoren (Keimzelltumor, kleinzelliges Bronchialkarzinom, Mammakarzinom, malignes Melanom) Kap. 11 primåre intrakraniale Keimzelltumoren, Primårtherapie und Rezidiv platinhaltige Protokolle Chemotherapie fraglich wirksam Glioblastom, Primårtherapie Nitrosoharnstoffe, ACNU + VM26, Temozolomid Medulloblastom, Primårtherapie zusåtzlich zur Strahlentherapie Kombinationsprotokolle, z. B. CCNU + Cisplatin + Vincristin PNET, Primårtherapie Kombinationsprotokolle, z. B. CCNU + Cisplatin + Vincristin Hirnmetastasen bestimmter Tumoren (nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom) Kap. 11 des DNA-Reparaturenzyms O6-Methylguanin-DNA-Methyltransferase (MGMT), z. B. durch Methylierung des entsprechenden Gens, gçnstige Voraussetzungen fçr das Ansprechen auf Carmustin (BCNU) und vermutlich auch andere Alkylanzien zu schaffen (Esteller et al. 2000). Bevor solche Parameter aber nicht durch prospektive Studien in ihrer prognostischen Bedeutung validiert wurden, sollen sie nicht zur individuellen Therapieplanung herangezogen werden. Tab. 5.12 fasst die Tumorentitåten zusammen, bei denen Chemotherapie gesichert oder fraglich Wirksamkeit zeigt. 5.5.2 Applikationsformen Systemische Chemotherapie Prinzip. Die intravenæse Applikation ist die håufigste Verabreichungsform von Zytostatika. Fçr die intravenæse Gabe von Pharmaka spricht die Ûberlegung, dass alle Tumorzellen mittelbar Zugang zur Zirkulation besitzen mçssen, um çberleben zu kænnen, und dass deshalb nur der Zugang çber die Zirkulation potenziell die Abtætung aller Tumorzellen erlaubt. Einschrånkungen. In der Neuroonkologie stehen dieser Applikationsform aber natçrliche Barrieren entgegen. Fçr wasserlæsliche Zytostatika stellt die zumindest im Randbereich der meisten Gliome intakte Blut-Hirn-Schranke ein pharmakokinetisches Hindernis dar, das umso ausgeprågter ist, je wasserlæslicher das Zytostatikum bzw. je intakter die Blut-Hirn-Schranke ist. Obwohl die Kontrastmittel- aufnahme maligner Tumoren in CT und MRT nahelegt, dass hier keine relevante Blut-Hirn-Schranke bzw. Blut-TumorSchranke vorliegt, kann nicht gefolgert werden, dass das Zentrum dieser Tumoren tatsåchlich adåquat durchblutet wird, weil einzelne Tumorareale aufgrund von arteriovenæsen Shunts durchaus auch im Tumorzentrum minderperfundiert sein kænnen. Sowohl fu Èr niedriggradige Gliome ohne Kontrastmittelaufnahme als auch fu Èr Mikrometastasen ist davon auszugehen, dass wasserlo Èsliche, nichtlipophile Zytostatika kaum eine Wirkung entfalten ko Ènnen, da sie die Tumorzellen nicht erreichen. Bei hirneigenen Tumoren kommt hinzu, dass keinesfalls alle Zellen Kontakt zu Blutgefåûen haben und gerade die nicht resezierten Zellen als Einzelzellen diffus im Gewebe inmitten des Parenchyms verteilt sind. Strategien, die lokale Wirkstoffkonzentration am Hirntumor durch transiente Eræffnung der Blut-Hirn-Schranke mittels hyperosmolarer Læsungen (McAllister et al. 2000) oder des Bradykininagonisten RMP-7 (Ford et al. 1998) zu erhæhen, haben sich nicht durchgesetzt bzw. in Phase-III-Studien keine Wirksamkeit gezeigt. Weitere Limitationen erfåhrt die systemische Chemotherapie bei Tumoren mit leptomeningealer Tumorzellaussaat, die nicht nur aus soliden Tumorzellrasen besteht, die çber die Blutzirkulation erreicht werden, sondern bei der der Liquor selbst nichtadhårente vitale Tumorzellen enthålt. Aufgrund dieser Einschrånkungen wurden verschiedene alternative Strategien der Zytostatikaapplikation entwickelt, unter 157 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 158 5.5 Chemotherapie denen nur die intrathekale Chemotherapie bei wenigen Indikationen einen festen Stellenwert besitzt. Allen im Folgenden diskutierten alternativen Applikationsformen ist das Ziel gemeinsam, die Wirkstoffkonzentration an den Tumorzellen unter Reduktion systemischer Toxizitåt zu erhæhen. Intrathekale Chemotherapie Prinzip. Bei der intrathekalen Chemotherapie wird das Zytostatikum çber einen ventrikulåren oder lumbalen Zugang direkt in das Liquorkompartiment eingebracht. Die intraventrikulåre Gabe çber ein Ommaya-Reservoir oder ein Rickham-Reservoir ist der Applikation çber wiederholte Lumbalpunktionen vorzuziehen, da bei intraventrikulårer Applikation eine gleichmåûigere Verteilung des Zytostatikums im Liquorkompartiment gewåhrleistet ist und da wiederholte Lumbalpunktionen mit Zytostatikainstillation håufig zu lokalen Komplikationen fçhren. Bei intrathekaler Chemotherapie ist mit einer Eindringtiefe von nur wenigen Millimetern aus dem Liquorkompartiment in das angrenzende Hirnparenchym zu rechnen, sodass die intrathekale Chemotherapie meist in Kombination mit Strahlentherapie oder systemischer Chemotherapie eingesetzt wird. Medikamente und Indikationen. In Deutschland zugelassen fçr die intrathekale Therapie sind Methotrexat (MTX), Cytosinarabinosid (Ara-C) und Thiotriethylenphosphoramid (Thio-TEPA), meist kurz als Thiotepa bezeichnet. Indikationen fçr die intrathekale Chemotherapie sind einige Formen der Meningeosis neoplastica (s. a. Leitlinien der neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft [NOA] in der Deutschen Krebsgesellschaft, www.neuroonkologie.de, und der Deutschen Gesellschaft fçr Neurologie, www.dgn.de), insbesondere bei lymphoproliferativen Erkrankungen (Kap. 7.9, Kap. 11). Auf die Toxizitåt der intrathekalen Chemotherapie wird weiter unten sowie in den Kapiteln zu speziellen Tumorentitåten hingewiesen. Intraarterielle Chemotherapie Prinzip. Die intraarterielle supraselektive Injektion eines Zytostatikums im Rahmen der konventionellen Angiographie soll ein begrenztes, tumortragendes Hirnkompartiment mit der Wirksubstanz perfundieren und dadurch bei geringerer systemischer Toxizitåt die Dosis im Tumor erhæhen. Sinnvoll erscheint dieser Ansatz a priori nur bei lipophilen Substanzen, die sehr rasch in den Tumor diffundieren. Beurteilung. Die klinischen Erfahrungen mit dieser Strategie çber 2 Dekaden haben den theoretischen Vorteil des Prinzips nicht beståtigt: Die meist mit Nitrosoharnstoffen und in letzter Zeit mit Platinderivaten durchgefçhrte intraarterielle Therapie war der konventionellen systemischen Applikation nicht çberlegen ± im Gegenteil traten sowohl mehr akute Nebenwirkungen wie zerebrale Krampfanfålle und transiente Ischåmien auf (McAllister et al. 2000) als auch permanente Komplikationen wie Erblindung, Ertaubung und neue neurologische Defizite. Dies galt auch bei zusåtzlicher Gabe des Bradykininagonisten RMP-7 (Cloughesy et al. 1999). Lediglich eine Publikation beurteilt die Option der intraarteriellen Chemotherapie mit Cisplatin und Teniposid bei malignen Gliomen weiterhin positiv (Madajewicz et al. 2000). Insgesamt sollte eine intraarterielle Chemotherapie auûerhalb klinischer Studien nicht durchgefçhrt werden. Interstitielle und intrakavitåre Chemotherapie Prinzip. Prinzipiell kænnen Pharmaka nach der Resektion einmalig oder wiederholt çber ein subkutanes Reservoir mit Anschluss an die Resektionshæhle lokal appliziert werden. Dieser Zugang wurde bei zahlreichen experimentellen, håufig immunologischen Therapieverfahren eingesetzt. Am besten untersucht wurde die lokale Applikation von Carmustin (BCNU), das in biologisch abbaubaren Polymerplåttchen (¹wafersª) als Slow-Release-Form zubereitet und in die Tumorhæhle eingebracht wurde. Beurteilung. Diese Therapie wurde in einer randomisierten Studie bei Rezidiven maligner Gliome gut vertragen und fçhrte zu eine geringen, aber signifikanten Verlångerung der Ûberlebenszeit (Brem et al. 1995). Diese Wirksamkeit konnte auch bei Primårtumoren nachgewiesen werden (Westphal et al. 2003). Im Rahmen individueller Heilversuche wurden auch verschiedene andere Zytostatika lokal appliziert, z. B. Doxorubicin und Lomustin (CCNU) fçr postoperativ und nach Strahlentherapie progrediente oder rezidivierte Kraniopharyngeome. Fçr diese Therapiestrategien fehlt der Wirknachweis aus kontrollierten Studien. 5.5.3 Substanzgruppen und Resistenz Substanzgruppen Im Folgenden werden die wichtigsten Substanzgruppen fçr die Chemotherapie in der Neuroonkologie vorgestellt (Tab. 5.13). Die Indikationsstellung wird jeweils in den Kapiteln zu den einzelnen Tumorentitåten abgehandelt. Nitrosoharnstoffe Wirkung. Nitrosoharnstoffe wirken unabhångig vom Zellzyklus çber die Alkylierung der DNA und hemmen dadurch DNA- und RNA-Synthese. Resistenz gegençber Nitrosoharnstoffen wird u. a. çber das DNA-Reparaturenzym MGMT vermittelt. Bedeutung. Nitrosoharnstoffe sind çber die letzten Jahrzehnte die wichtigsten Pharmaka fçr die Behandlung maligner Gliome geblieben. Es handelt sich um lipophile Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Tabelle 5.13 Wichtige Substanzen fçr die neuroonkologische Chemotherapie Substanz Dosis und Applikation Blut-Hirn-SchrankenPenetration* Nebenwirkungen** ACNU 100 mg/m2 i. v. 3 6 Wochen + Lungenfibrose BCNU 150±200 mg/m2 i. v. 3 6 Wochen oder 80 mg/m2/d an den Tagen 1±3 3 8 Wochen + Lungenfibrose CCNU 100±130 mg/m2 p.o. 3 6 Wochen + Lungenfibrose Etoposid (VP16) verschiedene Schemata i. v. und p.o. ± ± Teniposid (VM26) verschiedene Schemata i. v. ± ± Cisplatin verschiedene Schemata i. v. - Polyneuropathie Ototoxizitåt Carboplatin verschiedene Schemata i. v. - Polyneuropathie Procarbazin 130±150 mg/m2 p.o. Tage 1±28 3 4 Wochen + Allergie Temozolomid 150±200 mg/m2 Tage 1±5 3 4 Wochen + Diarrhæ Topotecan 1,5 mg/m2 Tage 1±5 3 3 Wochen + ± Methotrexat (MTX) bis 8 g/m2 3 2 Wochen i. v. 10±15 mg i.t. 2±3/Woche ±/+ Nephrotoxizitåt Cytosinarabinosid (Ara-C) verschiedene Schemata i. v.30±40 mg i.t. 2±3/Woche -/+ Neurotoxizitåt (zerebellår) Vincristin meist 1,4 mg/m2 i. v. (maximal 2 mg gesamt!) im Rahmen von Kombinationsprotokollen ± Polyneuropathie Hydroxyharnstoff 20 mg/kg/d p.o. + ± Tamoxifen 20±200 mg/d p.o. ± Retinotoxizitåt, Thrombosen Steroide hohe Dosen i. v. oder p.o. ± Nitrosoharnstoffe Podophyllotoxine Platinderivate Andere Substanzen * + = Liquorspiegel . 30 % Serumspiegel, ± = Liquorspiegel , 30 % Serumspiegel ** zusåtzlich zu Ûbelkeit und Myelosuppression Zytostatika mit guter Penetration der Blut-Hirn-Schranke (Tab. 5.13). Substanzen. Die wichtigsten Nitrosoharnstoffe sind: O BCNU: 1,3-bis-2-Chlorethyl-1-nitrosoharnstoff (BCNU, Carmustin); BCNU ist in zahlreichen Phase-III-Studien in der Primårtherapie maligner Gliome zusåtzlich zur Strahlentherapie untersucht worden (Fine et al. 1993, DeAngelis et al. 1998). Die groûen Metaanalysen, die einen geringen positiven Effekt der Chemotherapie in der Primårtherapie konstatiert haben, beziehen sich im Wesentlichen auf Studien mit Nitrosoharnstoffen, besonders BCNU (Glioma Metaanalysis Trialists Group 2002). O ACNU: 1-[(4-Amino-2-methyl-5-pyrimidinyl)methyl]3-(2-chlorethyl)-3-nitrosoharnstoff (ACNU, Nimustin); ACNU wird vor allem in Deutschland und in Japan eingesetzt, so u. a. in Kombination mit Teniposid (VM26) oder Cytosinarabinosid (Ara-C) in der NOA-01Studie (Tab. 5.14; NOA 2003). O CCNU: 1-(2-Chlorethyl)-3-cyclohexyl-1-nitrosoharnstoff (CCNU, Lomustin); CCNU hat vor allem in Kombinationsprotokollen wie dem PCV-Regime (Procarbazin, CCNU, Vincristin) fçr die Behandlung maligner Gliome und primårer zerebraler Lymphome und dem CCV-Regime (CCNU, Cisplatin, Vincristin) in der Therapie der Medulloblastome eine Bedeutung erlangt (Kap. 12.2.3). 159 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 160 5.5 Chemotherapie Nebenwirkungen. Die wichtigsten Nebenwirkungen der Nitrosoharnstoffe bestehen in einer wenige Stunden nach Applikation auftretenden heftigen Ûbelkeit und einer verzægerten Myelosuppression mit einem Nadir der Leukozyten- und Thrombozytenzahlen etwa 4±6 Wochen nach der Behandlung. Zudem ist bei Behandlung mit BCNU mit einem Risiko von 5±10 % fçr die Entwicklung einer interstitiellen Lungenfibrose mit ungçnstiger Prognose zu rechnen. Ob und um wie viel dieses Risiko bei Ersatz des BCNU durch ACNU oder CCNU reduziert wird, ist nicht durch kontrollierte Studien untersucht worden. Die unveræffentlichten Beobachtungen der Deutsch-Ústerreichischen Gliomstudie (DÚG), in der BCNU mit BCNU plus VM26 verglichen wurde, und der nachfolgenden NOA-01-Studie, in der ACNU plus VM26 und ACNU plus Ara-C verglichen wurden, sprechen fçr ein deutlich geringeres Risiko der ACNU-Therapie (B. Mçller, persænliche Mitteilung). Procarbazin Wirkung. Procarbazin fçhrt zur Methylierung der DNA und Bildung eines spezifischen DNA-Adduktes (O6-Methyldeoxyguanosin), das die Replikation von DNA und die RNA-Synthese behindert. Von Procarbazin induzierte Schåden werden durch MGMT-Aktivitåt repariert. Bedeutung. Procarbazin hat als lipophiles Zytostatikum ebenfalls frçhzeitig Eingang in die Chemotherapie maligner Gliome gefunden. Die Substanz wurde bis zur Einfçhrung von Temozolomid (s.u.) håufig bei Gliomen als Second-Line-Chemotherapie nach Versagen von Nitrosoharnstoffen eingesetzt und war in dieser Indikation nach dem Ergebnis einer multzentrischen randomisierten Studie dem Temozolomid marginal, aber statistisch signifikant unterlegen (Yung et al. 2000). Derzeit besitzt Procarbazin vor allem Bedeutung als Bestandteil der PCV-Therapie. Nebenwirkungen. Die wichtigsten Nebenwirkungen sind Ûbelkeit, Myelosuppression und allergische Reaktionen, die bei 5±10 % der Patienten zum Abbruch der Therapie fçhren. Temozolomid Wirkung. Temozolomid ist eine alkylierende Substanz, die in vivo spontan den zytotoxischen methylierenden Metaboliten 5-(3-Methyltriazen-1-yl)-imidazol-4-carboxamid (MTIC) bildet. Dass die Inaktivierung der temozolomidinduzierten DNA-Schåden durch MGMT die zellulåren Resourcen an MGMT erschæpft, wird fçr die Wirksamkeit von Temozolomid bei prolongierter Gabe çber mehrere Tage verantwortlich gemacht. Bedeutung. Die meisten Erfahrungen mit Temozolomid wurden bei der Therapie maligner Gliome gesammelt. Aufgrund der Ergebnisse einer einarmigen Studie bei anaplastischen Gliomen (Yung et al. 1999) und einem randomisierten Vergleich mit Procarbazin (Yung et al. 2000) wurde Temozolomid in Deutschland fçr die Behandlung maligner Gliome zugelassen. Die Ergebnisse der im Mårz 2002 geschlossenen EORTC-Studie 26981, die Temozolomid wåhrend und nach der Strahlentherapie mit alleiniger Strahlentherapie in der Primårtherapie des Glioblastoms verglich, stehen aus. Weitere Indikationsgebiete fçr Temozolomid in der Neuroonkologie deuten sich bei der Behandlung von Hirnmetastasen und primåren zerebralen Lymphomen an. Temozolomid ist in Tablettenform verfçgbar und wird nçchtern am Morgen eingenommen. Nebenwirkungen. Die Vertråglichkeit ist gut. Podophyllotoxine Wirkung. Die Podophyllotoxinderivate Etoposid (VP16) und Teniposid (VM26) sind Hemmstoffe der Topoisomerase II, eines Enzyms, das fçr die Strukturintegritåt der DNA von groûer Bedeutung ist. Bedeutung. Teniposid wurde in der Deutsch-Ústerreichischen Gliomstudie mit BCNU kombiniert. Die Kombination war wirksamer als BCNU allein in der Gruppe der Patienten mit hæherem Karnofsky-Index (unpublizierte Daten). In der NOA-01-Studie wurde VM26 mit ACNU kombiniert und zeigte dort eine ebenso gute Wirksamkeit wie die Kombination aus Ara-C und ACNU. Etoposid ist in einer Kombinationschemotherapie mit Platinderivaten und anderen Zytostatika Bestandteil mehrerer Therapieprotokolle in der pådiatrischen Neuroonkologie und wird in Kombination mit Platinderivaten bei Rezidiven anaplastischer Oligodendrogliome sowie bei Hirnmetastasen von Bronchialkarzinomen eingesetzt. Nebenwirkungen. Auûer der Myelosuppression fehlen relevante Nebenwirkungen. Platinderivate Wirkung. Die Platinderivate Cisplatin und Carboplatin induzieren DNA-Schåden in Form von DNA-Addukten, die mit der Replikation und Transkription von DNA interferieren. Bedeutung. Cisplatin und Carboplatin sind Bestandteil zahlreicher Kombinationsbehandlungen und werden vor allem bei nichtglialen Hirntumoren und Hirnmetastasen eingesetzt. Topotecan Wirkung. Topotecan ist ein Hemmstoff der Topoisomerase I, eines weiteren Enzyms mit Bedeutung fçr den DNAStoffwechsel. Bedeutung. Topotecan wird als Radiosensitizer in der Behandlung maligner Gliome und zerebraler Metastasen Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Tabelle 5.14 Håufige Chemotherapieprotokolle Protokoll Aufbau Studien PCV (6±)8 Wochen: O CCNU 110 mg/m2 p.o. Tag 1 O Procarbazin 60 mg/m2 p.o. Tage 8±21 O Vincristin 1,4 mg/m2 i. v. Tag 8 + Tag 29 O EORTC 26951 O MRC (2001) O NOA-04 ACNU + VM26 6 Wochen: O ACNU 90 mg/m2 Tag 1 O VM26 60 mg/m2 Tage 1±3 NOA-01 CCV 6±7 Wochen: O CCNU 75 mg/m2 p.o. Tag 1 O Cisplatin 70 mg/m2 i. v. Tag 1 O Vincristin 1.4 mg/m2 i. v. Tage 1, 8, 15 NOA-06 (Medulloblastome im Erwachsenenalter, in Vorbereitung) evaluiert und zeigt gute Wirksamkeit bei der Monotherapie zerebraler Metastasen kleinzelliger Bronchialkarzinome. Nebenwirkung. Wichtigste Nebenwirkung ist die Myelosuppression. Methotrexat (MTX) Wirkung. Der Folsåureantagonist Methotrexat (MTX) ist ein Antimetabolit. Bedeutung. Methotrexat wird in der Neuroonkologie vor allem systemisch in hohen Dosierungen (. 1±3 g/m2) bei der Therapie primårer zerebraler Lymphome (Kap. 7.9) und intrathekal bei der ZNS-Prophylaxe von Leukåmien und der Therapie der Meningeosis neoplastica (Kap. 11.4) eingesetzt. Nebenwirkung. Bei den in der Neuroonkologie eingesetzten Dosierungen von MTX ist die systemische Gabe von Folinsåure einige Stunden nach Abschluss der MTXInfusion (in Abhångigkeit von dem jeweiligen Protokoll fçr etwa 48 h) zur Vermeidung einer letalen Myelotoxizitåt obligat. Die Folinsåure penetriert zwar die Blut-HirnSchranke, erreicht aber bei oraler Applikation in dieser Dosis vermutlich nur geringe Konzentrationen, die nicht mit der Wirkung der im Hirnparenchym oder im Liquorraum erreichten MTX-Konzentrationen interferieren. Cytosinarabinosid (Ara-C) Wirkung. Ara-C hemmt çber die Bildung der wirksamen Metaboliten Ara-C-Diphosphat und Ara-C-Triphosphat die DNA-Synthese. Wie bei MTX werden nur bei Hochdosistherapie (z. B. 3 g/m2) zytotoxische Konzentrationen in Hirnparenchym und Liquorraum erreicht. Bedeutung. Auch Ara-C wird intrathekal eingesetzt, vor allem zur Behandlung der Liquoraussaat von Leukåmien und Lymphomen (Kap. 11). Vinca-Alkaloide Wirkung. Die Vinca-Alkaloide Vincristin, Vindesin und Vinorelbin sind Mitosehemmer, die Tubulin binden und die Polymerisierung bei der Mikrotubulibildung stæren. Bedeutung. Vincristin wird håufig in Kombinationschemotherapieprotokollen eingesetzt, u. a. als Bestandteil der PCV-Chemotherapie und der CCV-Chemotherapie (Tab. 5.14). Vindesin ist Bestandteil eines Kombinationschemotherapieprotokolls bei primåren ZNS-Lymphomen (Kap. 7.9). Vinorelbine wird zur Behandlung von Hirnmetastasen nichtkleinzelliger Bronchialkarzinome eingesetzt. Hydroxyharnstoff Wirkung. Hydroxyharnstoff hemmt das Enzym Ribonukleosiddiphosphatreduktase, das Deoxyribonukleotide fçr die DNA-Synthese bereitstellt. Da die Substanz einen G0/1-Zellzyklusarrest induziert, wurde sie eingehend als Radiosensitizer evaluiert. Bedeutung. Hydroxyharnstoff wurde in unkontrollierten Serien als Monotherapie bei Meningeomen eingesetzt, fçr die operative und strahlentherapeutische Ansåtze nicht mehr infrage kamen (Schrell et al. 1997, Mason et al. 2002). Tamoxifen Wirkung. Tamoxifen ist ein kompetitiver Ústrogenrezeptorantagonist, der vor allem bei der Behandlung von Mammakarzinomen eine Rolle spielt. In hæheren Dosen soll Tamoxifen auch die Proteinkinase C hemmen und mit der Migration und Invasion von Gliomzellen interferieren. Bedeutung. Ûberzeugende Daten zur klinischen Wirksamkeit bei malignen Gliomen fehlen (Puchner et al. 2000). Hirnmetastasen von Mammakarzinomen sollen im Einzelfall auf eine alleinige Tamoxifenbehandlung angesprochen haben. 161 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 162 5.5 Chemotherapie Steroide Wirkung und Bedeutung. Corticosteroide wie Prednison, Prednisolon und Dexamethason besitzen bei lymphoproliferativen Erkrankungen einen zytotoxischen Effekt. Sie sind deshalb Bestandteil der systemischen Therapie bei primåren zerebralen Lymphomen und bei einer Beteiligung des Nervensystems im Rahmen primår extraneuraler Lymphome und bei Leukåmien (Kap. 11). Der ausgeprågte zytotoxische Effekt bei Lymphomen kann dazu fçhren, dass die Gabe von Dexamethason zur Behandlung des peritumoralen Údems bei einer neu diagnostizierten Raumforderung zu erheblicher Græûenregredienz oder zur Komplettremission eines primåren zerebralen Lymphoms fçhrt, sodass die histologische Sicherung der Diagnose nicht mehr mæglich ist (Kap. 7.9). Nebenwirkung. Dexamethason vermittelt zumindest in vitro einen Schutz verschiedener Tumorzelllinien vor Zytostatika, sodass die Indikation zur Corticosteroidtherapie immer kritisch geprçft werden sollte. Mechanismen der Resistenz gegençber Chemotherapie Definition. Zahlreiche Faktoren sind fçr die nur begrenzte Wirksamkeit der Chemotherapie bei den meisten Hirntumoren verantwortlich. Resistenz ist ein relativer Begriff, der meist die Wirkungslosigkeit der Therapie bei Dosierungen bezeichnet, die vom gesunden Organismus ohne nichttolerable Nebenwirkungen erreicht werden kænnen. So stellt die Hochdosistherapie z. B. mit autologer Stammzelltransplantation einen Versuch dar, ¹Chemoresistenzª dadurch zu umgehen, dass die Dosis eskaliert wird. Chemoresistenz kann eine prima Ère ,,konstitutive" Eigenschaft von Tumorzellen sein oder im Verlauf der Therapie sekunda Èr erworben werden. Mechanische Schrankenfunktion. Voraussetzung fçr die Wirksamkeit der Chemotherapie ist das Erreichen suffizienter Wirkspiegel an der Tumorzelle in vivo. Wichtige Parameter bei systemischer Applikation sind die kapillåre Perfusion des Tumors, die aufgrund arteriovenæser Kurzschlçsse reduziert sein kann, und die Entfernung, die die Substanz vom Gefåû zur Tumorzelle durch Diffusion oder ¹bulk flowª zurçcklegen muss. Fçr infiltrierende Tumorzellen (¹guerilla cellsª), die sich von der zentralen Tumormasse abgesetzt haben, stellt die Blut-Hirn-Schranke eine Barriere dar. Strukturelles Korrelat dieser Schranke sind die Tight Junctions zwischen den Kapillarendothelien des normalen Gehirns. Die Epithelzellen des Plexus choroideus bilden eine åhnliche Schranke zwischen Blut und Liquor. Membrangångige lipophile, unpolare Medikamente dringen deshalb eher in den Extrazellularraum des Gehirns ein als hydrophile, polare Substanzen. Pharmakologische Barriere. Zusåtzlich zu der mechanischen Schrankenfunktion bildet die Blut-Hirn-Schranke durch die endotheliale Expression des P-Glykoproteins, das durch das Multidrug-Resistance-(MDR-)Gen kodiert wird, oder des MDR-assoziierten Protein, MRP-1, eine pharmakologische Barriere. Diese Proteine, die auch von Tumorzellen exprimiert werden, verhindern die intrazellulåre Anreicherung verschiedener, nicht notwendigerweise strukturverwandter Medikamente, wie z. B. Vincristin, Doxorubicin oder Teniposid wahrscheinlich durch einen aktiven Transportmechanismus aus der Zelle heraus. Die Expression der MDR-assoziierten Proteine wird bei Gliomen vermutlich nicht durch Strahlen- oder Chemotherapie induziert (Rieger et al. 2000) und spielt deshalb, anders als bei anderen Tumorarten, bei der erworbenen (sekundåren) Chemoresistenz von Gliomen keine Rolle. Da MDR-Mechanismen die Aktivitåt von Nitrosoharnstoffen und Temozolomid nicht beeinflussen, kænnen sie nicht fçr die primåre Resistenz vieler Gliome auch gegençber Alkylanzien verantwortlich gemacht werden. Steroide. Zellkulturuntersuchungen legen nahe, dass Steroide die Resistenz von Gliomzellen gegençber zytostatikainduziertem Zelltod erhæhen (Weller et al. 1997, Naumann et al. 1998). Tierexperimentelle Daten und die Modulation der Kontrastmittelaufnahme durch Steroide legen nahe, dass hæherdosierte Steroidkomedikation zusåtzlich zu einer Verringerung der Zytostatikaanflutung in Hirntumoren fçhrt. Deshalb sollte die Indikation zur Steroidtherapie wåhrend der Chemotherapie maligner Gliome kritisch geprçft werden. Mikromilieu. Die Bedeutung des Mikromilieus in Tumoren, insbesondere Effekte von Azidose und Hypoxie, sind bisher nur unzureichend untersucht, zumal geeignete Modellsysteme fehlen. Zellkulturuntersuchungen zeigen, dass Azidose die Wirkung von Nitrosoharnstoffen vermutlich durch chemische Stabilisierung færdert, wåhrend die Wirkung zahlreicher anderer Zytostatika durch Azidose abgeschwåcht wird (Reichert et al. 2002). Zytotoxischer oder klonogener Zelltod. Auf zellulårer Ebene kann sich Chemosensitivitåt oder Chemoresistenz auf die Induktion von zytotoxischem oder klonogenem Zelltod beziehen. Wåhrend die Chemotherapie bei manchen Tumoren wie primåren zerebralen Lymphomen und anaplastischen Oligodendrogliomen neuroradiologisch komplette Remissionen (CR) erzielt, bei denen die massive Induktion von zytotoxischem Zelltod postuliert werden kann, wird z. B. bei Glioblastomen in der Regel allenfalls eine Stabilisierung fçr einige Monate erreicht. Hier ist anzunehmen, dass das proliferative Potenzial (Klonogenitåt) erheblich geschådigt wird, ohne dass es zu individuellem Zelltod in relevantem Ausmaû kommt. Ob molekulare Faktoren fçr die unterschiedliche Chemosensitivitåt von anaplastischen Oligodendrogliomen und Astrozytomen direkt verantwortlich sind, bleibt offen. Zu den molekularen Verånderungen, die bei Gliomen und anderen Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 5 Grundlagen der speziellen Therapie Tumoren fçr Strahlen- und Chemoresistenz verantwortlich gemacht werden, zåhlen u. a.: O der Verlust der p53-Aktivitåt, O die gesteigerte Aktivitåt des Epidermal Growth Factor Receptor (EGFR) und O die Expression von antiapoptotischen Proteinen der BCL-2-Familie oder von Inhibitor-of-apoptosis-Proteinen (IAP). Jede dieser Verånderungen fçhrt unter definierten Zellkulturbedingungen zu gesteigerter Resistenz der Tumoren gegençber spontanem Zelltod durch Apoptose. Es ist deshalb nahe liegend zu vermuten, dass sie auch vor extern induziertem Zelltod schçtzen, z. B. nach Zytostatikaexposition. Fçr keine dieser Verånderungen wurde jedoch ein prådiktiver Wert im Sinne der Sensitivitåt gegençber Zytostatika in vitro nachgewiesen (Weller et al. 1998). Entsprechend wurde auch in zahlreichen immunhistochemischen Analysen von Gliomgewebe kein prådiktiver Wert der Expression von p53 oder Proteinen der BCL-2-Familie fçr das Ansprechen auf Radiochemotherapie definiert. Bei den meisten soliden Tumoren bleibt bei klinisch erreichbaren Konzentrationen von Zytostatika die Aktivierung von Zelltodkaskaden, einschlieûlich Todesrezeptor- und caspasenabhångiger Prozesse, offensichtlich aus (Herr u. Debatin 2001). Neben den o.a. Hinweisen zur Verringerung der Pharmakaanflutung durch Corticosteroide liegen auch Beobachtungen zu direkten antiapoptotischen Wirkungen von Dexamethason bei verschiedenen Tumorzelltypen einschlieûlich Gliomzellen vor (Weller et al. 1997). Ob diese Steroidwirkungen das klinische Ansprechen auf Chemotherapie modulieren, bleibt offen. 5.5.4 Hinweise zur praktischen Durchfçhrung Myelosuppression Die håufigste und vorhersagbare Wirkung der Chemotherapie vor allem bei systemischer Applikation ist die Myelosuppression, die in der Regel transient ist und vor allem Leukozyten und Thrombozyten und weniger das rote Blutbild betrifft. Der niedrigste Wert der Leukozyten und der Thrombozyten wird als Nadir bezeichnet. Er wird bei den meisten Chemotherapeutika zwischen dem 7. und 14. Tag nach der Behandlung beobachtet. Eine Ausnahme bilden Nitrosoharnstoffe, deren Nadires erst nach 4± 6 Wochen auftreten. Der substanzspezifische Nadir legt den Zeitplan der Chemotherapie fest. Wa Èhrend der Chemotherapie sind wo Èchentliche Bestimmungen der Leukozyten- und Thrombozytenzahlen notwendig. Kontrollen. Vor dem Beginn eines neuen Zyklus der Chemotherapie mçssen die Thrombozyten çber 100 000/ ml, die Leukozyten çber 3500/ml und die absoluten Neutrophilen çber 1500/ml liegen. Wenn die Zahl der neutrophilen Granulozyten unter 1500/ml oder die der Thrombozyten unter 50 000/ml fållt, mçssen 2 Kontrolluntersuchungen pro Woche durchgefçhrt werden. Bei Neutrophilenzahlen unter 1000/ml oder Thrombozytenzahlen unter 25 000/ml sind tågliche Bestimmungen erforderlich. Therapie. Eine verbindliche Therapieempfehlung zur medikamentæsen Begleitung bzw. Behandlung der Myelosuppression kann nicht gegeben werden. Mæglich ist jedoch das folgende Vorgehen: O Bei drohendem Absinken der neutrophilen Granulozyten unter 500/ml oder Neutrophilenzahlen, die bereits unter 500/ml liegen, wird Granulocyte Colony-stimulating Factor (G-CSF, 300 mg bzw. 480 mg in Abhångigkeit vom Kærpergewicht tåglich) gegeben, bis die Werte mindestens 2 Tage çber 500/ml liegen. ± Patienten, deren Werte fçr die neutrophilen Granulozyten unter 500/ml fallen, ohne dass Fieber oder andere Infektzeichen auftreten, erhalten eine prophylaktische Antibiotikatherapie, z. B. 200 mg Ofloxacin und 100 mg Fluconazol p.o./d. Diese Prophylaxe wird fortgefçhrt, bis die Neutrophilen wieder çber 500/ml liegen. Werden die Patienten parallel mit Corticosteroiden behandelt, so erhalten sie zur Pråvention der Pneumocystis-carinii-Pneumonie zusåtzlich 80 mg Trimethoprim und 400 mg Sulfamethoxazol 3-mal pro Woche bis 2 Wochen nach Absetzen der Steroide. ± Myelosupprimierte Patienten mit Fieber oder anderen Infektzeichen werden zur Gabe intravenæser Antibiotika, z. B. Piperacillin/Tazobactam, 3 3 4,5 g/ d, und ggf. Gentamicin, 240 mg/d, unverzçglich stationår aufgenommen. O Patienten mit Thrombozytenzahlen unter 10 000/ml werden ebenfalls unverzçglich aufgenommen und bezçglich der Entwicklung von Blutungszeichen stationår çberwacht. Die Indikation zur Thrombozytengabe wird von der Gesamtsituation abhångig gemacht, insbesondere von den plasmatischen Gerinnungswerten und von klinischen Blutungszeichen wie z. B. Petechien. Bis zum Erreichen von mehr als 25 000 Thrombozyten/ml ist oft die Transfusion von Thrombozytenkonzentraten alle 24±48 h erforderlich. Nichthåmatologische Nebenwirkungen Neben der vorhersagbaren Myelosuppression kommt es bei der Chemotherapie von Hirntumorpatienten zu substanzspezifischen nichthåmatologischen Nebenwirkungen, die beachtet werden mçssen. Ûbelkeit, Erbrechen. Die unter Gabe von Nitrosoharnstoffen ohne antiemetischen Schutz håufige und heftige Nausea mit Emesis tritt wenige Stunden nach Applikation auf. Sie kann zuverlåssig durch vorherige Gabe von Serotonin-(5-HT3-)Antagonisten verhindert werden, z.B 163 Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag 164 5.5 Chemotherapie mit Tropisetron 5 mg oral 1±2 h vor Applikation und dann 1-mal/d, durch Ondansetron 8 mg oral 1±2 h vor Applikation und dann 2-mal/d oder durch andere. Die durch Procarbazin verursachte Ûbelkeit ist fakultativ und geringer ausgeprågt. Sie ist in der Regel durch 3 3 20 Tropfen Metoclopramid/d, in schweren Fållen durch Serotonin-(5HT3-)Antagonisten, zu verhindern. Lungenfibrose. Bei Patienten, die Nitrosoharnstoffe erhalten, muss vor Therapiebeginn und nach jedem zweiten Therapiezyklus die Lungenfunktion evaluiert werden, um frçhzeitig eine beginnende Lungenfibrose aufzudecken. Allergie. Wenn Patienten wåhrend der PCV-Therapie eine Procarbazin-Allergie entwickeln, kann auf eine Lomustin- (CCNU-)Monotherapie mit erhæhter Dosis (130 mg/m2 3 6±8 Wochen) umgestellt werden, unter Verzicht auf Vincristin. Polyneuropathie. Vincristin wird weggelassen, wenn sich wåhrend der PCV-Therapie Zeichen einer klinisch relevanten Polyneuropathie entwickeln. In diesem Fall wird die Dosis von CCNU und Procarbazin nicht veråndert. Hoch dosierte, komplexe Chemotherapieprotokolle machen eine umfassende Begleitmedikation zur Verhçtung von Nebenwirkungen erforderlich, die in diesem Buch bei der Darstellung der Protokolle in den jeweiligen Kapiteln besprochen wird.