5 Grundlagen der speziellen Therapie

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Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag
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5
5.1
Grundlagen der speziellen Therapie
Therapiestudien
M. Weller, M. Westphal
Angesichts der unsicheren Datenlage zu vielen derzeit in
der Neuroonkologie angewandten Therapieformen und
angesichts der z. T. erheblichen Beeintråchtigung der
Lebensqualitåt durch die Therapie in der Neuroonkologie
ist es besonders wichtig, Patienten mit neuroonkologischen Erkrankungen innerhalb kontrollierter Therapiestudien zu behandeln.
Bei einer klinischen Studie im engeren Sinne handelt es
sich um ein standardisiertes Procedere, nachdem Patienten mit einer definierten Erkrankung nach einem zuvor
definierten Studienprotokoll behandelt werden.
Je nach Fragestellung werden klinische Studien einer von 4
verschiedenen Phasen der Entwicklung einer Therapie
zugeordnet (Phase I±IV; Tab. 5.1).
Ein- und Ausschlusskriterien. Bei der Planung einer
klinischen Studie muss zunåchst anhand der Ein- und
Ausschlusskriterien definiert werden, welche Patienten fçr
die Beantwortung der zugrunde liegenden Fragestellung
geeignet sind.
Diese Ein- und Ausschlusskriterien umfassen u. a.:
O die Abgrenzung verwandter Krankheitsbilder,
O Altersbeschrånkungen nach oben und unten,
O Vorerkrankungen,
O Begleiterkrankungen und
O Begleitmedikationen.
Fragestellung, Endpunkte. Wichtigste Voraussetzung fçr
die erfolgreiche Durchfçhrung einer klinischen Studie sind
die Formulierung einer klaren Fragestellung und die
Definition von primåren und sekundåren Endpunkten. Die
erwarteten Werte fçr den primåren Endpunkt determinieren u. a. auch die Anzahl der Patienten, die rekrutiert
werden mçssen, um bei einer klinischen Studie zu einem
schlçssigen Ergebnis zu kommen. Die wichtigsten Endpunkte in der Neuroonkologie sind:
O Ansprechen (Response nach Macdonald et al. 1990),
O progresssionsfreies Ûberleben,
O Ûberlebenszeit,
O Lebensqualitåt.
Ansprechen wird als komplette Remission (CR), partielle
Remission (PR), Stabilitåt (stable disease, SD) oder Pro-
gression (progressive disease, PD) bewertet. Ansprechen auf
eine Therapie in diesem Sinne ist vor allem ein geeigneter
Parameter zur Bewertung der biologischen Aktivitåt neuer
Substanzen in Phase-II-Studien. Fçr Phase-III- und Phase-IVStudien in der Neuroonkologie ist das Ansprechen als
primårer Endpunkt eher ungeeignet, weil das initiale
Ansprechen auf Chemotherapie in Form partiellen Ansprechens, geringen Ansprechens oder einer Stabilitåt des
Tumors (Macdonald et al. 1990) keinen prådiktiven Wert
fçr das progressionsfreie Ûberleben besitzt (Grant et al.
1997). Es scheint zumindest bei Gliomen so zu sein, dass
schnell ansprechende Patienten auch håufig frçh ein Rezidiv
entwickeln. Fçr Phase-III-Studien, die nachweisen wollen,
dass eine neue Therapie den Krankheitsverlauf stårker
beeinflusst als die Standardtherapie, sind in der Regel das
progressionsfreie Ûberleben, oder bei primår schlechter
Prognose, das Gesamtçberleben adåquate Endpunkte (Perry
et al. 1997). Aktuelle Studien, die zum Zeitpunkt der
Drucklegung Patienten rekrutieren, werden in den Kapiteln
zu spezifischen Tumorentitåten vorgestellt.
Studien zur Therapie maligner Gliome. Im Bereich der
Neurochirurgie hat sich fçr die Therapie der malignen
Gliome in den letzten Jahren ein rasch expandierendes Feld
fçr lokale intratumorale, græûtenteils intraoperative Therapieformen ergeben. Als Therapiekonstellationen sind hier
die Primåroperation, die Rezidivoperation und ein nicht
offen operierbarer Tumor, entweder bei Progress nach
erfolgter Primårtherapie oder bei primårer Inoperabilitåt
aufgrund schwer zugånglicher Lage zu differenzieren:
O Fçr die Primårtumoroperation sind zwei internationale
Phase-III-Studien zur lokalen Therapie abgeschlossen
worden: die Suizidgentherapiestudie mit dem HSV-TKVektor, die keinen Wirksamkeitsnachweis erbrachte
(Rainov 2000), und die intrakavitåre Chemotherapie
mit Biopolymerplåttchen, die BCNU enthalten, bei der
ein marginaler, jedoch signifikanter Effekt auf die
Ûberlebenszeit zu beobachten war (Westphal et al.
2003).
O Fçr die Rezidivsituation gibt es vor allem Studien zur
intrakavitåren Therapie mit radioaktiv markierten,
spezifische Tumorantigene erkennenden Antikærpern.
Die intrakavitåre Chemotherapie mit BCNU nach Resektion eines Glioblastomrezidivs findet regelmåûig Anwendung in den USA. Eine wichtige weitere lokale
Therapieform ist die direkte interstitielle Therapie, die
im Rahmen mehrerer Phase-II- und Phase-III-Studien
derzeit mit insgesamt 4 unterschiedlichen Substanzen
ausgetestet wird (Kap. 16).
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Tabelle 5.1 Phasen I±IV der klinischen Studien
Phase
Fragestellung/Zielsetzung
Beispiele
Phase I
erster Einsatz am Menschen, Toxizitåt, Dosisfindung bei
Medikamenten
O TGF-b-Antisense-Oligonukleotide bei Glioblastomrezidiv
Phase II
Dosiseskalation, Wirksamkeit
O Temozolomid bei rezidiviertem ZNS-Lymphom
O diverse Konvektionsstudien
O Bonner Chemotherapieprotokoll bei primåren ZNSLymphomen
Phase III
Randomisierung (Vergleich mit Standard), Indikationserweiterung
O Temozolomid in der Primårtherapie des Glioblastoms (EORTC 26981), NOA-01, NOA-04
O intrakavitåre Chemotherapie bei Glioblastom (Gliadel)
Phase IV
Therapieoptimierung (Dosis und Applikationsform),
Erfassung seltener Nebenwirkungen, Kosten-NutzenAnalysen, Interaktionsstudien, spezielle Patientengruppen, z. B. Kinder, nicht einwilligungsfåhige Patienten
O G-PCNSL-SG-1 (Stellenwert der Ganzhirnbestrahlung in der Primårtherapie des primåren zerebralen
Lymphoms)
5.2
Operative Therapie
5.2.1
Perioperatives Management
M. Westphal, J.-C. Tonn
Neurochirurgische Therapie. Die operative Therapie von
primåren Hirntumoren umfasst die gesamte Neurochirurgie und çbergreifend auch Bereiche des HNO-Fachgebietes
und der ZMK-Chirurgie. Meilensteine der neurochirurgischen Entwicklung waren:
O die exakte neurologische Diagnostik und die Zuordnung
von Funktion und Hirnregion,
O zunehmende Erfahrung und technische Verbesserungen,
O Antibiotika, Medikamente gegen Krampfanfålle und
gegen Hirnædem,
O Verwendung des Operationsmikroskops,
O Bildgebung durch die CT und MRT,
O Einfçhrung der Lasertechnologie,
O Datenverarbeitung und Bildgebung.
Therapieziele. Grundsåtzlich steht bei der Indikation zur
chirurgischen Therapie der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Lebensqualitåt im Vordergrund. Die Komplexitåt des chirurgischen Vorgehens richtet sich dabei nach
Art und Lage des Tumors sowie dem angestrebtem Ziel,
d. h. ob eine radikale kurative Tumorentfernung mæglich
erscheint oder ob nur das Volumen des Tumors reduziert
werden soll zur Vorbereitung weiterer Therapieformen. In
jedem Fall sollte so viel Gewebe gewonnen werden, dass
aus einer sicheren histologischen Diagnose weitere therapeutische Schritte abzuleiten sind. Ist das Vorgehen primår
von der zu erwartenden Histologie abhångig und liegt der
Tumor ungçnstig, so kann eine Histologie çber eine
stereotaktische Biopsie gewonnen werden, wonach die
weiteren Optionen gegeneinander abgewogen werden (s. a.
Kap. 3.3). In manchen Fållen ist lediglich eine palliative
Therapie mæglich.
Diagnostik
Die pråoperative bildgebende Diagnostik besteht heute bei
klinischem Verdacht auf eine intrazerebrale Raumforderung in erster Linie in der MRT. Durch Wahl geeigneter
Sequenzen ohne und mit Kontrastmittelgabe lassen sich
nicht nur die Lage der Geschwulst, sondern auch wesentliche Hinweise zur Artdiagnose gewinnen. Dies und die
exakte Darstellung der Låsion in den 3 Ebenen sagittal,
koronar und axial ermæglicht pråoperativ die Wahl des
schonendsten und effektivsten operativen Zugangsweges ±
ein entscheidendes Moment zur Senkung der behandlungsbedingten Morbiditåt. Die CT hat noch Bedeutung fçr
den Nachweis von Verkalkungen (z. B. bei Oligodendrogliomen, Meningeomen, Kraniopharyngeomen) und zur
Darstellung der Anatomie oder knæchernen Schådelbasis
bei dort lokalisierten Tumoren. Die ¹klassischeª Katheterangiographie findet dann noch ihre Indikation, wenn
exakte Analysen der arteriellen Blutversorgung, ggf. mit
der
Mæglichkeit
der
pråoperativen
Embolisation
(Abb. 7.53), erforderlich sind (z. B. manche Meningeome,
Glomus-jugulare-Tumoren), oder zur Abbildung der venæsen Drainage, z. B. bei sinusnahen Meningeomen
(Abb. 7.49). Die Lagebeziehung der Geschwçlste zu den
groûen arteriellen und venæsen Gefåûen kann heute jedoch
auch nichtinvasiv mithilfe der Magnetresonanzangiographie (MRA) dargestellt werden.
Die Lokalisation funktionell wichtiger Areale (z. B.
Motorkortex, sprachrelevante Regionen) soll mittels funktioneller MRT (fMRT) erleichtert werden ± diese Daten
werden heute teilweise schon in die Planung der operativen Strategie eingebunden, obgleich die Validierung dieser
Technik noch nicht abgeschlossen ist (Billiveau et al. 1991,
Jannin et al. 2002).
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5.2 Operative Therapie
Abb. 5.1 a±d Intraoperative Neuronavigation.
Hier wird der Patient in einem dreidimensionalen Referenzsystem, das intraoperativ immer
wieder aufrufbar ist, gelagert und in diesem
wird ein pråoperativ gewonnener Datensatz so
referenziert, dass auch die in diesem System
registrierten Instrumente darin gefçhrt und in
ihrer Lage zum Tumor çberprçft werden kænnen. Man sieht den Tumor und als Trajekt eine
aufgesetzte Sonde, die vor der eigentlichen
Operation anzeigt, dass man sich genau an der
zu pråparierenden Grenze des postzentral gelegenen Tumors befindet.
a
b
c
d
Perioperative Anfallsprophylaxe
Die perioperative Anfallsprophylaxe wird nicht einheitlich
gehandhabt. Haben vor der Operation Anfålle bestanden,
sollte auch eine postoperative Therapie durchgefçhrt
werden. Der Wert der Prophylaxe und die bevorzugten
Medikamente werden im Kap. 4.3 dargestellt.
gangen wird. Man kann allgemein sagen, dass bei allen
Tumoren postoperativ oder zum Entlassungszeitpunkt eine
Kontrolle erfolgen sollte. Niedriggradige und hæhergradige
Gliome sollten innerhalb von 48 Stunden postoperativ
kernspintomographisch nachuntersucht werden.
Je rascher ein Tumor gewachsen war, umso enger mu
Èssen
die Kontrollen gewa
Èhlt werden.
Blutverlust bei neurochirurgischen Eingriffen
In den Zeiten der modernen Mikrochirurgie sind Operationen, bei denen Blutkonserven benætigt werden, eher eine
Seltenheit. Gelegentlich kann bei einem Schådelbasismeningeom oder einem Chemodektom (Glomus-jugulareTumor) eine Transfusion notwendig werden. Wenn eine
solche Situation absehbar ist, kann zunåchst versucht
werden, die Blutzufuhr zum Tumor durch eine pråoperative Embolisation zu reduzieren. Darçber hinaus kann
intraoperativ durch Håmodilution und langsame Autotransfusion des wåhrend der Operation gewonnenen
Blutes der tatsåchliche Blutverlust minimiert und begrenzt
ausgeglichen werden. Ist eine Transfusion wahrscheinlich
und die Operation zeitlich nicht dringlich, kann mit dem
Patienten die Eigenblutspende diskutiert werden.
Postoperative Kontrollen und Nachsorge
Jede histologisch definierte, in diesem Kapitel abgehandelte Tumorgruppe hat ihre eigenen Nachsorgekriterien, auf
die im Rahmen der speziellen Krankheitsbilder einge-
5.2.2
Chirurgische Technik
Fçr mikrochirurgische Operationen von Tumoren des ZNS
stehen heute hochentwickelte Techniken zur Verfçgung,
die zugleich die Effizienz der Behandlung gesteigert und
die chirurgisch induzierten Morbiditåt reduziert haben.
Navigation. Mittels prå- und intraoperativer Navigation
(Abb. 5.1) sowie unter Zuhilfenahme des intraoperativen
Ultraschalls kænnen Låsionen zielsicher und schonend
aufgesucht werden (Leroux et al. 1994, Sutcliffe 1991,
Unsgaard et al. 2002), wobei der Ultraschall ein direktes
Bild liefert, ohne auf die Verschiebungen wåhrend der
Operation Rçcksicht nehmen zu mçssen.
Elektrophysiologische Stimulation. Die elektrophysiologische Stimulation kortikaler Areale sowie der Hirnnerven
und spinaler Nervenwurzeln erlaubt die intraoperative
Identifikation und, in eingeschrånktem Maûe, auch die
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Abb. 5.2 Intraoperative Ableitung von der Hirnoberflåche mit einer
Streifenelektrode bei dem Patienten mit dem postzentralen Tumor
aus Abb. 5.1. Die vorderste Elektrode markiert die prå-/postzentrale Grenze, sodass man nun definitiv verifiziert hat, dass der
Tumor komplett postzentral liegt.
Funktionsdiagnostik. Diesem Zweck dient auch die intraoperative Ableitung von akustisch evozierten Potenzialen
(AEP), somatosensorisch evozierten Potenzialen (SSEP) und
motorisch evozierten Potenzialen (MEP). Ortung und Ûberwachung der entsprechenden Funktionen senken das
Risiko einer operationsbedingten Schådigung. In der Zentralregion kann eine intraoperativ abgeleitete Phasenumkehr zwischen Gyrus precentralis und Gyrus postcentralis genau die Lage eines Tumors in der Zentralregion
beschreiben (Abb. 5.2). In Kenntnis der Funktion kann die
Tumorentfernung weiter vorangetrieben oder dem Gefåhrdungspotenzial angepasst werden (Mæller 1995, Sekhar et
al. 1995).
O Wachoperation. Die Darstellung der sprachrelevanten
Areale erfolgt entweder intraoperativ im Rahmen einer
Wachoperation bei ausgeschaltetem Schmerzempfinden (Meyer et al. 2001). Alternativ wird vor dem
Resektionseingriff operativ ein System von Stimulationselektroden auf den Kortex aufgebracht und ein
¹mappingª der Sprachareale vorgenommen. Dieses
Vorgehen findet vor allem in der Epilepsiechirurgie
Anwendung.
O fMRT. Eine pråoperative ¹Kartierungª funktioneller
Areale ist mittels fMRT mæglich (Abb. 5.3, siehe Tafel
XIV), wobei die Darstellung der sprachrelevanten Areale
noch nicht ausreichend durch den ¹Goldstandardª der
elektrophysiologischen Stimulationsmethoden validiert
ist (Mçller et al. 1996, Duffeau et al. 2001, Fontaine et al.
2002), die breite Anwendung aber zu einem ståndig
wachsenden Erfahrungsschatz fçhrt (Berger et al. 1990).
Dabei stellt man bei Rezidivoperationen fest, dass sich
der Kortex umorganisieren kann (Duffau et al. 2002).
Eine besondere Weiterentwicklung der pråoperativen
Anatomiedarstellung ist die Analyse der Bahnsysteme in
Bezug zu einem Tumor durch ein dtMRT (Abb. 5.4, siehe
Farbtafel XIV), in dem dann ein ¹fiber-trackingª mæglich
wird (Basser et al. 2000, Coenen et al. 2001).
O Intraoperativer Ultraschall und MRT. Der Wunsch,
sich wåhrend der Operation Informationen çber das
Ausmaû der Tumorresektion zu verschaffen, hat vielfåltige technische Entwicklungen vorangetrieben. Wåhrend die ¹Neuronavigationª in erster Linie der Zugangsplanung und Lokalisation der Låsion dient (fortschreitende Resektion der Geschwulst und Liquorverlust
fçhren durch Verschiebung der Strukturen zu Ungenauigkeiten gegen Ende der Operation) soll die intraoperative Bildgebung hier Abhilfe schaffen. Die intraoperative MRT erfordert aufwendige und kostspielige
Ausrçstungen. Ihr Nutzen wird derzeit evaluiert (Truwit
2001, Tummala et al. 2001, Bradley 2002). Wesentlich
kostengçnstiger und in der Hand des Erfahrenen sehr
hilfreich ist der intraoperative Ultraschall (Abb. 5.5)
unter Verwendung von Geråten der neuesten Generation (Winter et al. 1996, Unsgaard et al. 2002).
Fluoreszenzgestçtzte Resektion. Derzeit wird in einer
multizentrischen Studie untersucht, inwieweit die fluoreszenzgestçtzte Resektion nach Gabe von 5-Aminolåvulinsåure bei Patienten mit Glioblastomen hilft, das Ausmaû
der Tumorentfernung und mæglicherweise die Ûberlebenszeit zu steigern (Stummer et al. 2000).
Interdisziplinårer Ansatz. Bei Geschwçlsten, die in
¹Grenzgebietenª zu Nachbardisziplinen liegen, kann die
Kombination der verschiedenen technisch-operativen Expertisen der beteiligten Fachoperateure (Neurochirurg,
HNO-Chirurg, Ophthalmo-Chirurg, ZMK-Chirurg) zu einer
deutlichen Effizienzsteigerung im interdisziplinåren Ansatz fçhren (Abb. 5.6). Gleiches gilt bezçglich der technischen Ausstattung und der persænlichen Erfahrung des/
der Chirurgen bei seltenen Tumoren/Eingriffen: Die Versorgung an speziell ausgewiesenen Zentren fçhrt zur
Qualitåtsverbesserung fçr den Patienten und zur Steigerung der nætigen Routine durch Erhæhung der ¹kritischen
Fallzahlª in dem jeweiligen Zentrum.
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5.2 Operative Therapie
c, d
a, b
Abb. 5.5 a±d Darstellung der Leistungsfåhigkeit des intraoperativen
Ultraschalls (mit freundlicher Genehmigung von Dr. Regelsberger,
Neurochirurgische Klinik, UKE, Hamburg).
a Typisches Astrozytom WHO-Grad II im MRT.
b Das Astrozytom ist im intraoperativen Ultraschall als verdichtete
Struktur abgebildet.
c Nach Abschluss der Resektion erkennt man die scharf begrenzte
OP-Hæhle.
d Unmittelbar postoperatives MRT.
a, b
f, g
c, d
Abb. 5.6 a±g Beispiel fçr ein interdisziplinår (neurochirurgisch,
neuroradiologisch und HNO) versorgtes Østhesioneuroblastom bei
einer 30-jåhrigen Patientin. Anschlieûend erfolgte eine externe
Bestrahlung.
a±c CT-Darstellung des Tumors in Weichteil- und Knochenfenster.
Der Tumor hat die Frontobasis durchbrochen und wird auf
transkranialem, transbasalem Weg vollståndig entfernt.
d u. e Rekonstruktion der knæchernen Basis
f u. g Pråoperative selektive arterielle Embolisation durch die
Neuroradiologie.
e
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Abb. 5.7 a u. b Diffuse Gliomatose beider Frontalhirne. Bereits die MR-Spektroskopie (b) zeigt
alle Anzeichen fçr einen in Malignisierung
befindlichen hirneigenen Tumor und die zusåtzlich dazu durchgefçhrte stereotaktische Biopsie
beståtigt das Vorliegen eines anaplastischen
Mischglioms, sodass nur eine Bestrahlung mit
anschlieûender Chemotherapie als Therapiemæglichkeit bleibt.
a Darstellung in der MRT. Der Balken und beide
Frontalhirne sind vollståndig tumordurchsetzt.
b siehe S. 120
5.2.3
Gliome
Indikationen und Kontraindikationen
der chirurgischen Therapie
Indikationen
Obwohl sich die operativen Mo
Èglichkeiten sta
Èndig verbessern, muss man sich bei der Indikation zur chirurgischen
Therapie der Gliome immer wieder vor Augen fu
Èhren, dass
diese Tumoren aufgrund ihres erheblichen Potenzials zur
diffusen Infiltration des umgebenden Gehirns oft u
Èber die
Grenzen der Bildgebung hinaus im eigentlichen Sinn nicht
heilbar sind (Giese et al. 1996, Giese et al. 2003).
Die Indikation zur chirurgischen Therapie ergibt sich z. T.
aus den Symptomen oder aus einer vitalen Bedrohung.
Primåre OP-Indikationen sind:
O Entfernung (bzw. Zytoreduktion) des Tumors,
O Beseitigung einer raumfordernden Wirkung der Geschwulst,
O histologische Diagnosesicherung.
Eine symptomatische Indikation sind Anfålle (Kap. 4.3)
oder ein fokales neurologisches Defizit. Eine dringliche
Indikation ist eine lokale oder generalisierte Massenverschiebung. Bei konsekutiver Bewusstseinstrçbung besteht
eine vitale OP-Indikation. In letzterem Falle kann auch
auûer einer die OP vorbereitenden Hochdosis-Cortisontherapie keine andere Behandlungsmæglichkeit eingesetzt
werden, da eine rasche Volumenreduktion erreicht werden
muss. Handelt es sich um einen zystischen Tumor, kann
zunåchst eine Bohrlochtrepanation und Zystenpunktion
erfolgen, wodurch eine rasche Entlastung erreicht wird und
Zeit fçr weitere Diagnostik zur Verfçgung steht
(Kap. 4.2).
Kontraindikationen
Eine Kontraindikation zur chirurgischen Resektion ergibt
sich aus unserer Sicht bei ausgedehnten Prozessen der
Mittellinie bzw. des Balkens oder offensichtlich malignen
Prozessen, die sich weit in der dominanten Hemisphåre
ausgedehnt haben und die insbesondere bei hæherem
Lebensalter nicht mehr gçnstig zu beeinflussen sind.
Insbesondere gehæren zu dieser Gruppe auch die Prozesse,
die die ganze Hemisphåre betreffen und als Gliomatose
119
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5.2 Operative Therapie
Abb. 5.7 b MR-Spektroskopie mit 2 unterschiedlichen Spektren,
wobei eines in der Randzone des Tumors schon eine relative
Verånderung der normalerweise zu erwartenden Intensitåten der
einzelnen Peaks zeigt (oben) wobei direkt im Tumorzentrum
(unten) ein hochpathologisches Spektrum gemessen wird (mit
freundlicher Genehmigung durch Dr. Gæbell, Abt. fçr Neuroradiologie, UKE, Hamburg).
anzusehen sind (Abb. 5.7). Insbesondere, wenn gut behandelbare Differenzialdiagnosen (z. B. Lymphom, entzçndliche ZNS-Erkrankungen) nicht ausgeschlossen werden
kænnen, sollte die histologische Diagnose bioptisch gesichert werden (Abb. 5.8).
Resektion nur dann, wenn eine Raumforderung nachweisbar ist (Kreth et al. 1999).
Vorgehensweisen
Wird unter Berçcksichtigung der o.a. Einschrånkungen
eine Operationsindikation gestellt, so profitieren nach
allgemeinem Konsens viele Patienten von einer Zytoreduktion, deren klinische Relevanz von Salcmann und anderen
zusammengestellt worden ist (Salcman 1994, Lacroix et al.
2001). Die Zytoreduktion wird allerdings, insbesondere bei
Patienten im hæheren Lebensalter, durchaus kontrovers
diskutiert (Kelly et al. 1994).
Die Resektion wird nicht uneingeschrånkt befçrwortet.
Vielmehr empfiehlt eine groûe Gruppe von Therapeuten
eher eine Biopsie mit nachfolgender Strahlentherapie
(Lunsford et al. 1995, Metcalfe et al. 2001) ± oder eine
Differenzierte Gliome, WHO-Grad I und II
Tumorbewertung. Die Tumoren haben eine gute Prognose, die Patienten sind oft jung und kænnen den Tumor
lange çberleben. Allerdings haben diese Tumoren sehr
unterschiedliche Erscheinungsbilder (Kap. 7.1.1, Kap. 7.1.2).
Oft sind sie schlecht vom Hirn abgegrenzt und wachsen
diffus infiltrativ. Gerade bei dieser Tumorgruppe ist
deshalb die pråoperative Funktionsanalyse sinnvoll (Berger
1995, Keles et al. 2001, Roux et al. 2001): Auch in den
Randbereichen eines Tumors kann noch funktionelles
Hirngewebe enthalten sein und somit durchaus eine
Ûberlappung von Tumor und pråoperativ lokalisierter
Funktion bestehen (Ojeman et al. 1996, Schiffbauer et al.
2001). Daher ist die chirurgische Therapie der niedriggradigen Gliome anspruchsvoll.
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Abb. 5.8 a u. b Anaplastisches Mischgliom des
hinteren Thalamus in der axialen MRT. Zur
Beseitigung des beginnenden okklusiven Hydrozephalus wurde eine endoskopische Biopsie
durchgefçhrt und zugleich der Boden des
III. Ventrikels endoskopisch gefenstert (Ventrikulozisternostomie) (mit freundlicher Genehmigung von PD Dr. Kehler, Neurochirurgische
Klinik, UKE, Hamburg).
a
OP-Bewertung. Mit den heutigen mikrochirurgischen
Instrumenten, moderner Operationstechnik, interoperativer Funktionsanalyse und der zur Verfçgung stehenden
kumulativen Erfahrung (Yasargil 1996) kann auch in
eloquenten Regionen weitgehend reseziert werden
(Abb. 7.4; Ojeman et al. 1987, Zentner et al. 1996, Lang et
al. 2001).
Indikationen. Die Indikation zur operativen Therapie
ergibt sich aus der klinischen Symptomatik, der Raumforderung und der Lage des Tumors zu funktionell
wichtigen Zentren. Der Wert der Tumorreduktion kann
belegt werden, allerdings in ausschlieûlich retrospektiven
Analysen, deren Wert sehr kritisch betrachtet werden muss
(Keles et al. 2001). Nach einigen solcher Studien ist die
Ûberlebenszeit direkt korreliert mit dem Ausmaû der
Resektion und dem Lebensalter der Patienten, die eine
bessere Prognose haben, je jçnger sie sind (Soffietti et al.
1989, Wilson et al. 1995, Rostomily et al. 1996, Baumann et
al. 1999).
Vorgehen. Nachdem aufgrund einer erheblichen Raumforderung, einem schwer einstellbaren Anfallsleiden oder
einem neurologischen Defizit infolge indirekter Kompression durch den Tumor die Indikation zur Operation gestellt
wurde, sollte in kritischen Regionen noch der Versuch einer
kortikalen Funktionsanalyse gemacht werden (Abb. 5.3;
Whittle 2002). Intraoperativ wird man dabei die natçrlichen Spaltråume, d. h. Sulci, bis nahe an die Låsion heran
ausnutzen und mit mæglichst kleinen Kortikotomien auszukommen versuchen. In weniger eloquenten Regionen
kænnen die Tumoren unter Ausnutzung der sulcalen
Grenzen auch en bloc reseziert werden. Die intraoperative
Bildgebung erfolgt in vielen Kliniken mittels Ultraschall
(Abb. 5.5).
Alternativen. Tumoren, die diffus groûe Teile der Hemisphåre durchwachsen, ohne dabei aber zu einer græûeren
Raumforderung zu fçhren, sind keiner chirurgischen,
volumenreduzierenden Therapie zugånglich (Abb. 5.7). Sie
b
werden stereotaktisch zur Sicherung einer Diagnose biopsiert und ± je nach Histologie und Erfahrung/Strategie des
behandelnden Zentrums ± einer interstitiellen (Ostertag
1996) oder externen Strahlentherapie oder ggf. einer
Chemotherapie zugefçhrt. Eine prospektive, kontrollierte
Studie çber den Wert der Strahlentherapie bei diesen
diffusen, niedriggradigen Gliomen ist zwar durchgefçhrt
worden, bedarf aber fçr den Einzelfall einer sorgfåltigen
Abwågung (Shaw et al. 1989, Karim et al. 1996).
Umschriebene, idealerweise sphårische Prozesse unter
4 cm Durchmesser eignen sich fçr eine stereotaktische
Biopsie mit anschlieûender Radiochirurgie (Kap. 3.3,
Kap. 5.4). Diese erfolgt entweder durch Implantation einer
Strahlenquelle, meist 125-I, anlåsslich der stereotaktischen
Biopsie und Sicherung der Histologie, oder im Anschluss
daran durch eine fokussierte Bestrahlung mit dem Linearbeschleuniger (X-Knife) oder einem Gammaknife. Die
Radiochirurgie kann auch gelegentlich mit der offenen
mikrochirurgischen Resektion kombiniert werden: Durch
Resektion græûerer Anteile eines Tumors in nicht eloquenten Arealen kann die Tumorgræûe so reduziert werden,
dass die in funktionell relevanten Arealen verbliebenen
Anteile einer radiochirurgischen Therapie zugånglich
sind.
Hæhergradige Gliome, WHO-Grad III und IV
Anaplastische Gliome (WHO-Grad III)
Tumorbewertung. Klinisch ist fçr die Tumoren der
astrozytåren Reihe und die oligoastrozytåren Mischgliome
zwischen dem WHO-Grad II und III eine bedeutende
Grenze. Die Tumoren der WHO-Grade III und IV werden
auch als hæhergradige Tumoren bezeichnet und haben eine
wesentlich schlechtere Prognose als die niedriggradigen
Tumoren, wobei auch zwischen Grad III und IV ein
erheblicher prognostischer Sprung liegt (Burger et al. 1985,
Salcman 1994, Salcman 1996).
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5.2 Operative Therapie
a, b
c, d
e
f
Abb. 5.9 En-bloc-Resektion eines frontalen, anaplastischen Glioms.
Der Vergleich der pråoperativen und unmittelbar postoperativen
Bilder zeigt eine vollståndige Resektion, und die Zerteilung des
Tumorblocks demonstriert die typische Schnittflåche des von der
Konsistenz eher derben Gewebes. Der Tumor ist weitgehend
amorph, hat aber eine Zone weicherer, verfårbter, hæher vaskularisierter Konsistenz, wo sich die anaplastischen Anteile finden.
a±c
OP-Bewertung. Wenn eine Resektion durchgefçhrt wird,
gibt es einerseits Studien, die die Prognose mit dem
Ausmaû der Resektion (Simpson 1993, Berger 1994) und
andere, die sie mit der Græûe des Tumorrests korreliert
sehen (Nazarro et al. 1990, Warnik 1991). Durch eine
weitgehende Massenreduktion werden optimale Voraussetzungen geschaffen fçr die nachfolgenden Therapien. Die
Resektion hat ein vertretbar niedriges Morbiditåtsrisiko
(Ciric et al. 1987), das fçr ein neurochirurgisches Zentrum
deutlich unter 5 % liegen sollte.
geeignete sulcale Grenzen vorhanden, kann auch hier die
Resektion en bloc erfolgen (Abb. 5.9)
Indikationen. Die chirurgische Therapie ist immer wieder
in ihrem absoluten Stellenwert umstritten und ist sicher
nur Teil einer multimodalen, multidisziplinåren Behandlung (Walker et al. 1980, Salcman 1996).
Vorgehen. Vorausgesetzt, es besteht keine Kontraindikation zur chirurgischen Therapie, ist das Ziel auch bei den
hæhergradigen Gliomen die mæglichst weitgehende Entfernung. Die Operationstechnik unterscheidet sich prinzipiell nicht von der bei den niedriggradigen Gliomen. Sind
Axiale, koronare und sagittale Darstellung des Tumors in der
pråoperativen MRT.
d
Sagittales postoperatives MRT, das die vollståndige Entfernung des Tumors zeigt.
e u. f Resezierter Tumor.
Alternativen. Unsicher ist noch, ob kleine, lokal nicht
raumfordernde Tumoren in funktionell hochrelevanten
Arealen besser nach histologischer Diagnose durch stereotaktische PE primår bestrahlt (Astrozytom WHO-Grad III)
oder chemotherapeutisch (Oligodendrogliom WHO-Grad III) behandelt werden sollten.
Glioblastom (Astrozytom oder astrozytårer Tumor
WHO-Grad IV)
Tumor- und OP-Bewertung. Der Verlauf der Erkrankung
ist durch eine Operation allenfalls kurzfristig beeinflussbar,
wenn es darum geht, akuten Hirndruck zu beseitigen. Die
operative Morbiditåt und Mortalitåt ist vertretbar niedrig
mit 8 bzw. 2,7 % (Salcmann 1996).
Ûber den Wert der chirurgischen Therapie beim Glioblastom gibt es viele Zusammenstellungen, wobei insgesamt aus ausschlieûlich retrospektiven Analysen die
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
123
Abb. 5.10 a±d Glioblastom und Lokalrezidiv
nach Primåroperation und nachfolgender Strahlentherapie. Der bis zum Rezidiv erfreuliche
Verlauf und die exzellente Lebensqualitåt des
Patienten lieûen in diesem Fall problemlos die
Indikation zur Rezidivoperation stellen.
a MRT bei okzipitalem Glioblastom.
b MRT postoperativ nach 48 h.
c MRT postoperativ nach 1 Jahr.
d Typisches Lokalrezidiv des Glioblastoms nach
2 Jahren.
a
b
c
d
Schlussfolgerung gezogen wird, dass die Radikalitåt der
Resektion mit der Ûberlebenszeit positiv korreliert (Ammirati et al. 1987 b; Qigley 1991, Simpson 1993, Lacroix et
al. 2001). Man muss dabei berçcksichtigen, dass das
Lebensalter, die Lage des Tumors und der pråoperative
Karnofsky-Index (Tab. 6.6) eine wesentliche Rolle spielen,
wobei jçngere Patienten eine deutlich bessere Prognose
haben. Darçber hinaus kænnen jçngere Patienten in einem
guten Allgemeinzustand aggressiver therapiert werden. In
diesem Zusammenhang bereitet eine weitgehende Resektion lediglich die weiteren Therapien vor (Fine et al.
1993).
Indikationen. Fçr die Indikation zur operativen Therapie
des Glioblastoms steht unbedingt der Grundsatz im
Vordergrund, dem Patienten nicht zu schaden, da die
langfristige Prognose schlecht ist. Trotz der obligaten
Nachbestrahlung (mit individuellen Ausnahmen) rezidivieren die Tumoren immer lokal, oder in 20 % der Fålle auch
weiter entfernt von der Resektionshæhle (Abb. 5.10).
Dies steht im Gegensatz zu den niedriggradigen Tumoren, bei denen eine Heilung oder långerfristige Krankheitskontrolle erreicht werden kann und ein Patient dafçr nach
entsprechender Aufklårung ein vertretbares Risiko einer
Funktionseinbuûe einzugehen bereit ist.
Alternativen. Alternativ besteht die Mæglichkeit, einen
Tumor stereotaktisch zu biopsieren und danach zu bestrahlen und ggf. eine Chemotherapie durchzufçhren. Bei
offensichtlich malignen Gliomen, die diffus den Balken
durchsetzen, kann man bei Patienten in schlechtem
Allgemeinzustand (Karnofsky-Index , 60) durchaus vertreten, keine oder nur palliative therapeutische Maûnahmen zu ergreifen (Abb. 5.11).
Rezidive
Bei allen abgehandelten Tumorentitåten muss davon
ausgegangen werden, dass die Erkrankung trotz makroskopisch weitgehender Entfernung rezidiviert bzw. dass
aus den mikroskopisch in der Infiltrationszone verbliebenen Resten neue Tumormassen nachwachsen. In einem
solchen Falle stellt sich die Frage nach der Rezidivoperation.
Niedriggradige Tumoren. Bei niedriggradigen Tumoren
ist die Frage nach einer Rezidivoperation meist positiv zu
beantworten (Piepmeyer 1996). In vielen Fållen entwickelt
sich der Tumor erneut in die alte Resektionshæhle hinein
und kann mit einem åhnlichen Risiko wie bei der Erstoperation entfernt werden (Abb. 5.12).
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5.2 Operative Therapie
Abb. 5.11 Glioblastom des Balkens mit eindeutigem Muster in der MR-Spektroskopie (rechts).
Bei stark reduziertem Allgemeinzustand ist hier
von einer Strahlentherapie abzusehen.
a, b
c
d, e
f
Abb. 5.12 a±f Jeweils coronare und axiale MRTs bei typischer
Entwicklung eines Lokalrezidivs bei einer Patientin mit einem
Mischgliom WHO-Grad II, bei der sich innerhalb von fast 4 Jahren
langsam ein Rezidiv in der vormaligen Resektionshæhle entwickelt
hat (a u. d, b u. e). Aufgrund einer Zunahme der Wachstumsdynamik in der Bildgebung wurde die erneute Entfernung indiziert
(c u. f), die erneut einen Tumor WHO-Grad II ergab, allerdings mit
langsam zunehmender Zelldichte.
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
125
Abb. 5.13 a±d Typische Individualfallentscheidung bei einem Patienten mit einem Verlauf
çber mittlerweile 12 Jahre bei initialem Oligodendrogliom Grad WHO II, dann spåter WHO III.
a u. b Zwischen den ersten beiden Bildern, die
noch keinen eindeutigen Progress zeigen,
liegen 4 Jahre.
c Erneutes Rezidiv (3. Rezidiv), das innerhalb
kurzer Zeit entstanden war.
d Bei exzellenter Lebensqualitåt ist der Tumor
noch einmal operiert worden (Zustand ein
Jahr postoperativ). Die erneute Operation ist
das sicherste Mittel zur kurzfristigen, effektiven Volumenreduktion. Konservativ bleibt nur
die Anwendung bisher noch nicht verwendeter Chemotherapieschemata, da eine
Bestrahlung schon erfolgt war.
a
b
c
d
Auch wenn der Tumor insgesamt an Græûe zugenommen und sich weiter in das Gehirn ausgedehnt hat, kann
eine Massenreduktion (¹debulkingª) gerechtfertigt sein,
um zusåtzliche Lebenszeit zu gewinnen. Auch aus epilepsiechirurgischer Sicht kann eine Rezidivoperation gerechtfertigt sein (Kap. 4.3).
Insbesondere muss bei der Indikation zur Rezidivoperation
niedriggradiger Gliome beru
Ècksichtigt werden, dass das
Rezidiv bzw. der sichtbar werdende Progress in einem
betra
Èchtlichen Anteil schon Anzeichen einer beginnenden
Anaplasie zeigt und somit weitere Therapiemodalita
Èten
zur Anwendung kommen ko
Ènnen.
Ausgenommen hiervon sind die pilozytischen Astrozytome
(WHO-Grad I), die bei dem Auftreten eines Rezidivs oder
bei Wachstum eines bekannten Resttumors nur extrem
selten in eine hæhergradige Form çbergehen. Insofern dient
die Re-Operation sowohl der erneuten Zytoreduktion und
Raumschaffung, aber auch der erneuten histologischen
Bewertung zur Entscheidungsfindung fçr Chemotherapie
oder/und Strahlentherapie.
Hæhergradige Tumoren. Die Indikation zur Rezidivoperation bei hæhergradigen Tumoren ergibt sich aus dem zu
erwartenden Gewinn an Lebensqualitåt. Da die Strahlentherapie und Chemotherapie oft schon ausgeschæpft sind,
bleibt die Massenreduktion die einzige Mæglichkeit.
International bestehen durchaus unterschiedliche Auffassungen çber die Wertigkeit einer Rezidivoperation ± nicht
zuletzt aus dem Grund, dass auf der Welt regional
erheblich unterschiedliche volkswirtschaftliche Leistungsfåhigkeiten bestehen und der Wert der Lebensverlångerung unterschiedlich eingeschåtzt wird (z. B. 50 000 US$
als ¹adåquater Preisª fçr ein Jahr Lebensverlångerung;
Hadley 1994). Unter der ganz unbestrittenen Pråmisse,
dass ein anaplastischer, hirneigener Tumor chirurgisch
nur in anekdotischen Ausnahmefållen heilbar ist, kann
eine Rezidivoperation gerechtfertigt sein, wenn der Patient in gutem Zustand ist und der Tumor ohne weiteren
Verlust von Lebensqualitåt noch einmal weitgehend zu
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126
5.2 Operative Therapie
entfernen ist (Durmaz et al. 1997, Pinsker et al. 2002,
Abb. 5.13).
Ebenso ist es mæglich, dass es sich bei demvermeintlichen
Rezidiv um eine Strahlennekrose handelt, die zwar pråoperativ anhand metabolischer, nuklearmedizinischer Untersuchungen differenziert werden kænnte, was aber nur in den
Fållen geschehen soll, in denen die Bildmorphologie Zweifel
am Tumorrezidiv aufkommen låsst, denn es ist kaum zu
rechtfertigen, dass alle Gliomrezidive einer teuren nuklearmedizinischen Untersuchung zugefçhrt werden. Eine Alternative besteht in der stereotaktischen Biopsie (Kap. 3.3).
È berlebenszeit
In der Regel liegt die durchschnittliche U
nach Rezidivoperationen bei 15±22 Monaten fu
Èr anaplastische Astrozytome und 5±9 Monaten bei Glioblastompatienten, wobei das Intervall zwischen Erstoperation und
Rezidivoperation ein wichtiger Parameter ist (Young et al.
1981, Ammirati et al. 1987, Harsh et al. 1987, Dirks et al.
1993).
Experimentelle Therapien. Es soll in diesem Zusammenhang auch erwåhnt werden, dass aufgrund der Struktur der
biomedizinischen Therapieentwicklung die Gruppe der
Rezidivpatienten diejenige ist, in der neue experimentelle
Therapieverfahren zur Anwendung kommen. Die Patienten
mit Rezidiv eines Glioblastoms sind mit den etablierten
Therapieverfahren meistens ausbehandelt und so besteht
seitens der Patienten håufig der Wunsch, neue Mæglichkeiten zur Anwendung zu bringen. Voraussetzung der
meisten Therapieprotokolle ist eine nochmalige Resektion,
da die Histologie beståtigt werden muss und eine erneute
adjuvante Situation entsteht. Aus diesem Grunde werden
manche Therapieentwicklungen, wie auch die intraoperative, intrakavitåre Chemotherapie mit BCNU-Biopolymeren, zunåchst fçr die Rezidivsituation zugelassen. Auch
dieser Aspekt kann also bei der Indikation zur Rezidivoperation einbezogen werden, allerdings darf der Wunsch,
einen Patienten in ein experimentelles Therapieprotokoll
einzubringen, nicht im Vordergrund stehen.
Nachsorge
Postoperative Kontrolle. Nach Operation eines Glioms
wird noch wåhrend des stationåren Aufenthaltes eine
neuroradiologische Kontrolle angefertigt, am besten als
MRT (Abb. 5.9). Verlåssliche Aussagen çber den postoperativen Tumorrest sind nur mæglich, wenn diese
Kontrollen
O nach 24±48 Stunden postoperativ und
O ohne und mit Kontrastmittel
angefertigt werden, da sich damit Tumorreste noch vor
Beginn der operationsbedingten Schrankenstærung nachweisen und in ihrer Græûe definieren lassen (Albert et al.
1994, Henegar et al. 1996). Nimmt ein Tumor pråoperativ
kein Kontrastmittel auf, wie die niedriggradigen Gliome,
braucht die sofortige postoperative Kontrolle allerdings
auch keine KM-Gabe.
Niedriggradige Tumoren. Patienten mit niedriggradigen
Tumoren werden zunåchst in den meisten Fållen keiner
weiteren Therapie zugefçhrt und bleiben in der Nachsorge,
die entweder von der operativen Abteilung selbst vorgenommen wird oder der kooperierenden neuroonkologischen Einrichtung bzw. der mitversorgenden onkologischen Sprechstunde. Zu empfehlen sind zunåchst Kontrolluntersuchungen in 6-monatigen Abstånden bis 2 Jahre
postoperativ, wonach auf 1-jåhrige Kontrolluntersuchungen, vorzugsweise mittels MRT, çbergegangen werden
kann. Eine Verånderung eines bekannten Anfallsleidens
sowohl bezçglich der Frequenz als auch der Semiologie
oder neue neurologische Symptome sollen zur sofortigen
Wiedervorstellung fçhren.
Hæhergradige Tumoren. Bei hæhergradigen Tumoren
WHO-Grad III und IV erfolgt zunåchst die Bestrahlung, ggf.
mit Chemotherapie (letztere insbesondere bei Oligodendrogliomen WHO-Grad III und Mischgliomen WHO-Grad
III). Am Ende dieser Therapie wird standardgemåû erneut
eine Bildgebung erfolgen. Danach sollten die Kontrollen
zunåchst in viertel- bis halbjåhrlichen Abstånden erfolgen.
Nach einem Jahr kann auf 6-monatige Intervalle çbergegangen werden, es sei denn, es ergeben sich klinische
Aspekte, die eine unverzçgliche Bildgebung zu einem
anderen Zeitpunkt rechtfertigen.
5.2.4
Meningeome
Tumorbewertung. Bei den Meningeomen handelt es sich
zumeist um langsam wachsende Tumoren. Demzufolge
beinhaltet die Therapie der Meningeome eine gånzlich
andere Philosophie als die Chirurgie der Gliome. Prådilektionsorte von Meningeomen sind z. B. die Konvexitåt und
die Falx. An der Falx kænnen die Sinus sagittalis superior,
inferior, rectus oder transversus beteiligt sein. Falx- bzw.
Tentoriumkantenmeningeome kænnen wie groûe Pinealislogentumoren aussehen (Abb. 5.14; Konovalov et al. 1987).
OP-Bewertung. Meningeome kænnen prinzipiell chirurgisch heilbar sein ± andere als chirurgische Maûnahmen
spielen bei Meningeomen nur eine untergeordnete Rolle.
Die chirurgische Kurabilitåt eines Meningeoms und damit
die Rezidivrate ist dabei abhångig von der anatomischen
Lokalisation (Jååskelåinen 1986, Philippon et al. 1991,
Simpson 1957). Sie betrågt nahezu 100 % bei den reinen
Konvexitåtsmeningeomen im Gegensatz zu den nur ganz
selten chirurgisch vollståndig heilbaren ausgedehnten
Meningeomen der Schådelbasis und insbesondere des
Sinus cavernosus. Um eine Vergleichbarkeit verschiedener
Serien zu ermæglichen, ist schon vor langer Zeit eine
Konvention eingefçhrt worden, die das Ausmaû chirurgischer Radikalitåt beschreiben soll (Simpson 1957; Tab. 5.2).
Indikationen. Meningeome sind eine Domåne der chirurgischen Therapie. Die Operationsindikation und die Behandlungsstrategie richten sich nach:
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
127
Abb. 5.14 a±d Pråoperative CT ohne (a) und mit
(b) Kontrastmittel eines Meningeoms in der
Pinealisloge, der von der Einmçndung des Sinus
sagittalis inferior in den Sinus rectus am Ûbergang von Falx und Tentorium ausgeht (obere
Reihe). Dieser Tumor ist auf direktem interhemisphåriellem Zugang postzentral operationsmikroskopisch vollståndig, mit Koagulation des
Ansatzes (Simpson-Grad II) entfernbar gewesen,
wie die sagittalen MRT pråoperativ (c) und
postoperativ (d) zeigen.
a
b
c
d
Tabelle 5.2 Resektionsgrade bei Meningeomen
Resektionsgrad nach
Simpson
Resektionscharakteristik
Haçfigstes Beispiel
Grad 1
inkl. Ansatz
Konvexitåt
Grad 2
vollståndige Resektion mit Verschorfung
Planum sphenoidale
Grad 3
vollståndige Resektion ohne Verschorfung
infiltrierte Optikusscheide
Grad 4
unvollståndige Teilentfernung, Resttumor
Sinus-cavernosus-Meningeom
Grad 5
erweiterte Biopsie
zumeist diffus infiltrative Basismeningeome
O Lebensalter,
O bestehender Symptomatik,
O Lage des Tumors,
O zu erwartenden Ausfållen,
O Græûe und Wachstumstendenz des Tumors.
Gegebenenfalls ist es sinnvoll, insbesondere bei kleinen
græûtenteils verkalkten Meningeomen mit geringer Symptomatik, zuzuwarten und den Patienten regelmåûig zu
kontrollieren (s. a. Kap. 7.6).
Chirurgisches Vorgehen. Die einfachen Konvexitåtsmeningeome werden zumeist in toto unter Resektion des
Duraansatzes entfernt (Simpson-Grad 1), wobei in den
Duradefekt entweder als Autotransplantat Periost eingenåht wird oder kçnstliches Duraersatzmaterial. Die Durabeteiligung kann dabei den eigentlichen Tumor weit
çberschreiten und zu einer Kontrastmittelanreicherung im
MRT fçhren, dem ¹meningeal signª. Wenn der Knochen
durchwachsen ist (Abb. 7.51), muss auch dieser mitentfernt
werden, wobei der Defekt mit plastischen Materialien, z. B.
Knochenzement (z. B. Palacos) gedeckt wird.
Falxmeningeome kænnen oft makroskopisch vollståndig
entfernt werden, aber auch bei Entfernung z. B. des
åuûeren Blattes des Sinus sagittalis kænnen in der Wand
Zellen zurçckbleiben, wobei eine weitere Koagulation nicht
mæglich ist (Simpson-Grad 3). Diese Tumoren neigen sehr
håufig zu Rezidiven, die aber ausschlieûlich innerhalb des
Sinus liegen kænnen. Ist der Sinus bereits pråoperativ
verschlossen, kann er insbesondere im frontalen Abschnitt
sogleich mitentfernt werden (Abb. 7.49).
Ganz im Gegensatz zu den Meningeomen der Konvexitåt stehen die Meningeome der Schådelbasis, deren
radikale Entfernung manchmal die Zusammenarbeit von
mehreren Disziplinen erfordert und zu sehr ausgedehnten
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128
5.2 Operative Therapie
Abb. 5.15 a u. b Koronare prå- und unmittelbar
postoperative MRT eines Patienten mit unbekanntem Primarius und insgesamt 3 Hirnmetastasen, von denen eine schon ausgeprågt raumfordernd war. Die weitestgehende Entfernung
fçhrte zur unmittelbaren Befindlichkeitsverbesserung und insbesondere verbesserten Orientierung und Kritikfåhigkeit des Patienten, der
dann wegen eines nachgewiesenen Bronchialkarzinoms weiterbehandelt werden konnte.
a
b
Operationen fçhren kann. Ausnahme sind kleine Meningeome mit umschriebenem Ansatz, z. B. am Klinoidfortsatz
oder an der Pyramidenhinterkante, wo auch die Koagulation und Exzision bzw. Abfråsung des Ansatzes mæglich ist
(Simpson-Grad 2). Bei ausgedehnten petroklivalen Meningeomen kann es nach Anlage eines komplexen operativen
Zuganges erforderlich sein, durch den Tumor ziehende
Gefåûe und Hirnnerven durch Interponate zu rekonstruieren, wobei långerfristige oder bleibende funktionelle
Einbuûen hinzunehmen sind. Alternativ kænnen diese
Reste auch belassen und einer radiochirurgischen Behandlung zugefçhrt werden.
Kombiniertes Vorgehen. Tumorresektion und anschlieûende radiochirurgische Behandlung zeichnet sich fçr alle
Tumoren, deren vollståndige Entfernung nur unter deutlich
erhæhtem Risiko zu erreichen wåre, als beste Alternative
ab. Meningeome, die auf den Sinus cavernosus beschrånkt
sind, sollten nur radiochirurgisch therapiert werden.
Gerade auf diesem Gebiet der Schådelbasischirurgie hat
sich allerdings durch die interdisziplinåre Zusammenarbeit
das Spektrum der behandelbaren Låsionen erheblich
erweitert, wobei einige Tumoren nur in speziell geeigneten
und in dieser Behandlung erfahrenen Zentren versorgt
werden sollten.
Die Operabilitåt kann zusåtzlich in einigen Fållen durch
eine vorausgehende Embolisation erleichtert werden. Diese
erfolgt endovaskulår durch Mikrokatheter, die in die
versorgenden meningealen Gefåûe vorgeschoben werden
und çber die dann Embolisationsmaterial in den Tumor
injiziert werden kann.
O Bei Konvexitåtsmeningeomen ist diese Option nicht so
bedeutend, weil man durch die initiale Duraumschneidung bereits schnell an die versorgenden Gefåûe
kommt.
O Hilfreich ist die Embolisation besonders bei Meningeomen an der hinteren Pyramide, wenn der Tumor aus
der A. meningica mastoidea versorgt wird, die Blutversorgung intraoperativ erst relativ spåt erreicht wird
und diese zudem diffus aus einem breiten Ansatz im
Knochen kommt.
O Besondere Indikationen hierfçr kænnen sich auch bei
der Operation von ålteren Patienten ergeben, die aus
Glaubensgrçnden eine Bluttransfusion ablehnen und
bei denen z. B. ein gut vaskularisiertes Keilbeinflçgelmeningeom operiert werden soll und eine Transfusion
nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.
Soll die Embolisation z. B. bei einem Schådelbasismeningeom auch dazu beitragen, dass der Tumor zunåchst etwas
schrumpft und so einem bedrångtem Hirnstamm wieder
etwas Raum gibt, muss sorgfåltig auf den zeitlichen Verlauf
geachtet werden. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass man
nicht zu lange warten darf (d. h. maximal 2 Monate), da die
Tumoren dann, nachdem sie teilnekrotisch geworden sind,
zu vernarben beginnen und dann jegliche Dissektion noch
schwieriger wird. Unter Umstånden kænnen hier metabolische Untersuchungen, z. B. PET und MR-Spektroskopie in
Zukunft helfen, den optimalen Operationszeitpunkt zu
finden (Bendszus et al. 2000 b).
Alternativen. Alternativ steht fçr einige kleine Tumoren
im Bereich der Schådelbasis die stereotaktische Radiochirurgie zur Verfçgung (s. a. Kap. 5.4). Eine etablierte
pharmakologische Therapie der Meningeome gibt es
derzeit noch nicht.
5.2.5
Metastasen
Bewertung. Etwa 25 % der Patienten mit einer Krebserkrankung entwickeln im Laufe ihrer Erkrankung eine
intrakraniale Metastase. Beschrånkt man sich auf Hirnmetastasen, so betrifft dies noch immer 16 %. In den USA
kommt es somit zu 80 000±100 000 Neuerkrankungen im
Jahr, woraus sich eine groûe Patientengruppe ergibt
(Patchell 1995, DeAngelis 2001). Von diesen Patienten
kommt ein kleiner Teil fçr eine neurochirurgische Resektion infrage.
OP-Bewertung. Die Wertigkeit der chirurgischen Metastasenentfernung ist immer wieder kontrovers diskutiert
worden, wobei bei Patienten mit gutem Allgemeinzustand
und solitåren Metastasen der Wert der Operation anerkannt und auch durch drei randomisierte Studien belegt
worden ist (Patchell et al. 1990, Vecht et al. 1993, Young et
al. 1996). Auch bei multiplen Metastasen kann ein
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
129
Abb. 5.16 a±d Mischgliom (WHO-Grad III) im
Bereich des Foramen Monroi.
a u. b Koronare und sagittale, kontrastmittelverstårkte MRT-Aufnahmen.
c u. d Postoperativ ist der Tumor vollståndig
entfernt, anschlieûend folgten Bestrahlung und Chemotherapie. Man erkennt
auf der axialen Schicht den minimalen
Zugang rechts fontral.
a
b
c
d
aggressives neurochirurgisches Vorgehen indiziert sein,
insbesondere wenn keine sonstigen weiteren Metastasen
bekannt sind, die Grundkrankheit in stabiler Remission ist
oder viel versprechende Therapieoptionen noch auszuschæpfen sind (Galicich 1996, Patchell 1995). Insbesondere in akuten Situationen kann so eine Druckentlastung
mit einer Diagnosestellung verbunden werden (Abb. 5.15).
Die Therapie der Metastasen ist allerdings komplex, immer
interdisziplinår und wird in einem græûeren Zusammenhang, in dem auch die Strahlentherapie, Chemotherapie
und Radiochirurgie (Bindal et al. 1996) zur Sprache
kommen, diskutiert (Kap. 11).
5.2.6
Tumoren unter topographischen
Gesichtspunkten
Ventrikeltumoren
Als Ventrikeltumoren (s. a. Kap. 7.2) bezeichnet man Prozesse, die entweder von der Ventrikelwand ausgehen und
sich exophytisch in die Ventrikel entwickeln wie Ependymome, Astrozytome oder Oligodendrogliome, oder Tumoren, die im Ventrikel entstehen, d. h. Plexuspapillome,
seltene Meningeome, Metastasen, Håmangioblastome oder
Neurozytome. Auch Kavernome kænnen im Ventrikel
vorkommen.
Tumor- und OP-Bewertung. Ventrikeltumoren sind
grundsåtzlich der chirurgischen Therapie zugånglich ± es
sei denn, man will nur biopsieren, wobei die Stereotaxie
und die direkte endoskopische Biopsie im Wettbewerb
stehen.
Vorgehen. Tumoren des Seitenventrikels werden in den
meisten Fållen transkortikal, bei Mittelliniennåhe auch
transkallosal, also durch den Balken, angegangen
(Abb. 5.16). Tumoren des III. Ventrikels werden håufig
transkallosal angegangen, aber auch transkortikal, je nach
Ausdehnung (Herrmann et al. 1992).
Zur optimalen pråoperativen Vorbereitung gehært heute
ein MRT in allen 3 Ebenen, das ggf. schon wåhrend der
ambulanten Diagnostik pråstationår angefertigt werden
kann. Bei einigen Prozessen braucht man eine Angiographie, z. B. um die Lage der inneren Hirnvenen zu sehen
oder die Gefåûversorgung eines Tumors abzuschåtzen.
Diese Diagnostik sollte in der Klinik, in der auch der
Eingriff stattfindet, durchgefçhrt werden. Insbesondere bei
Prozessen im hinteren III. Ventrikel sollen auch Hormone
der Pinealislogentumoren bestimmt werden (Abb. 5.17).
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5.2 Operative Therapie
c, d
a, b
Abb. 5.17 a±d Tumor in der Pinealisloge.
a Sagittales, pråoperatives kontrastmittelverstårktes MRT. Der
Tumor zeigte pråoperativ eine schwache Erhæhung des aFetoproteins.
b Intraoperative Ansicht des suprazerebellåren infratentoriellen
Zugangswegs mit hinterer Zirkumferenz des Tumors.
c Nach Entfernung des Tumors freier Einblick in den vorderen
III. Ventrikel mit den dort parallel verlaufenden Fornices und
daran vorbei in das linke Vorderhorn durch das offene Foramen
Monroi.
d Sagittales, frçh postoperatives MRT, die Gewebsmasse ist
entfernt. Es handelte sich um ein reifes Teratom mit einigen
wenigen kleinen Foci unreifer Wuchsform.
Zusåtzliche Verfahren. Zusåtzlich zur Mikrochirurgie hat
sich fçr die Ventrikelchirurgie die Neuroendoskopie als
technische Weiterentwicklung dahingehend einen Platz
gesichert, als dass unklare Prozesse so auf endoskopische
Weise durch ein kleines Bohrloch angegangen und unter
Sicht biopsiert werden kænnen (Abb. 5.8). Zystische Kompartimente von Tumoren lassen sich so entlasten, um zu
einer raschen Druckentlastung zu kommen, falls diese
notwendig sein sollte. Unter Umstånden wird es mæglich
sein, mit weiterentwickelten Geråten in der Zukunft einige
Tumoren auch gånzlich neuroendoskopisch anzugehen
(Cohen 1994).
Alternativen. Als Alternative zur stereotaktischen Biopsie
kann auch auf eine MR-Spektroskopie zurçckgegriffen
werden.
Balkentumoren
Tumor- und OP-Bewertung. Im Balken kommen am
håufigsten Gliome vor. In den meisten Fållen sind diese
Tumoren keiner chirurgischen Resektion zugånglich (s. a.
Abb. 5.11). Diese Tumoren werden nur in ganz seltenen
Fållen volumenreduziert, um fçr andere Therapieformen
bessere Voraussetzungen zu schaffen. In den meisten
Fållen wird die Diagnose stereotaktisch gesichert, um ggf.
eine Bestrahlung oder eine Chemotherapie anzuschlieûen.
Dies gilt insbesondere, wenn ein Lymphom differenzialdiagnostisch infrage kommt. Die sehr seltenen Lipome des
Balkens haben keinen Krankheitswert und bedçrfen weder
einer operativen noch einer anderen Therapie.
Infratentorielle Tumoren
Tumorbewertung. Das infratentorielle Kompartiment
zeichnet sich dadurch aus, dass neurologische Ausfålle bei
Raumforderungen erst sehr spåt und Krampfanfålle als
Warn- oder Leitsymptom praktisch gar nicht auftreten.
Infratentorielle Tumoren werden somit zumeist durch
Hirndruck infolge einer Behinderung der Liquorpassage
auffa
Èllig und bedu
Èrfen dann oft einer raschen Therapie.
Ausgenommen sind die Tumoren der Hirnnerven, die meist
direkte Symptome verursachen und Hirnstammtumoren,
die durch Irritation von Kerngebieten oder Bahnsystemen
richtungweisende neurologische Ausfålle hervorrufen.
Zerebellår finden sich ausgehend von den Hçllen
zunåchst Meningeome, die z. T. aufgrund ihres langsamen
Wachstums eine stattliche Græûe erreichen kænnen. Ebenfalls zu den Hçllstrukturen gehæren die weitaus selteneren
Tumoren der Knochenanlage, die Chordome des Clivus (s.
Schådelbasistumoren). Sehr håufig sind dann im Erwachsenenalter die sekundåren Tumoren, die Metastasen. Hirn-
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a, b
131
c
Abb. 5.18 a±c Håmangioblastom bei einer 26-jåhrigen Patientin.
Symptomatisch wurde diese Låsion durch eine langsam beginnende Hirndrucksymptomatik.
a u. b MRT eines typischen, kreisrunden Angioblastoms.
c Die Angiographie zeigt die fast angiomartige operationstechnische Wertigkeit.
a, b
c
Abb. 5.19 a±c Medulloblastom bei einem 7-jåhrigen Kind. Die
Raumforderung liegt zentral zerebellår und låsst sich auf den
Wurm beziehen.
a Axiale kontrastmittelverstårkte T1-Sequenz.
b Sagittale kontrastmittelverstårkte T1-Sequenz.
c Axiale T2-Wichtung.
eigene Tumoren sind im Erwachsenenalter eher selten,
stellen aber im Kindesalter den græûten Teil der Tumoren
dar. Das Kleinhirnangioblastom ist eine gesonderte Entitåt,
da diese Tumoren oft mit einer Von-Hippel-LindauErkrankung und multipler Lokalisation vergesellschaftet
sind (Abb. 5.18). Vorwiegend im Kindesalter finden sich die
meist zystischen pilozytischen Astrozytome, die Ependymome im Bereich des IV. Ventrikels und die Medulloblastome, ausgehend von der Mittellinienstruktur, dem Wurm
(Abb. 5.19).
Eine wichtige Gruppe der infratentoriellen Tumoren
sind die Neurinome der Hirnnerven (Kap. 7.8).
me werden heute zunåchst endovaskulår embolisiert und
dann extern bestrahlt oder operiert.
Die kindlichen Tumoren, d. h. die Ependymome und
Medulloblastome werden ebenfalls mikrochirurgisch mæglichst radikal entfernt, aber ohne ein funktionelles Risiko
einzugehen (Abb. 5.20).
Insbesondere bei Medulloblastomen schlieût sich dann
eine intensive adjuvante Therapie mit Radiatio und
Chemotherapie an, fçr die man bei einer mæglichst
radikalen Entfernung die besten Voraussetzungen hat.
OP-Bewertung. Mit Ausnahme der Hirnstammtumoren
und der Chemodektome (Tumoren des Glomus jugulare)
ist die Therapie der infratentoriellen Tumoren zunåchst
chirurgisch. Die Vorgehensweise bei Hirnstammtumoren
ist komplex und bedarf individueller, gesonderter Erwågungen (Kap. 7.1.7, Abb. 7.23 und Abb. 7.24). Chemodekto-
Cave: Die modernen Therapieschemata sind so wirksam,
dass keinesfalls durch eine zu radikale Resektion eine
dauerhafte Morbidita
Èt erzeugt werden sollte.
Vielmehr kann im Zweifelsfall eher ein Tumorrasen
belassen werden, der dann der Chemotherapie zugefçhrt
wird. Die Vorgehensweise ist fçr kindliche und erwachsene
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132
5.2 Operative Therapie
a, b
c
d, e
f
Abb. 5.20 Ausgedehntes Ependymom (WHO-Grad III) vom kraniozervikalen Ûbergang bis in den oberen Kleinhirnbrçckenwinkel (a±
c, KM-verstårkte MRT). Ausgang dieser ausgedehnten Tumoren ist
oft das Foramen Luschkae, sodass die Tumoren sich auch bis weit
nach pråpontin erstrecken kænnen. In diesem Fall wurde die
weitestgehende Resektion von einer Chemotherapie gefolgt. Das
Kind, das seit Geburt einen Schiefhals hatte, hat sich danach bei
radiologischer Tumorfreiheit gut entwickelt (d±f, 2 Jahre nach der
Operation).
Medulloblastome identisch. Die Resektionsergebnisse bei
Medulloblastomen werden nach dem Schema von Chang in
fçr die Nachbehandlung relevanter Weise erfasst
(Kap. 12.2.1).
Aus den vorliegenden Daten kann geschlossen werden,
dass auch Ependymome mæglichst radikal entfernt werden
sollten und Patienten mit einer makroskopisch radikalen
Entfernung bessere Langzeitergebnisse haben (Ross et al.
1989, Nazar et al. 1990, Lyons et al. 1991). Das ist
insbesondere in einer Studie klar geworden, in der die
prognostische Bedeutung von postoperativ nachgewiesenem Resttumor untersucht wurde (Healey et al. 1991).
Hinzu kommt, dass Patienten mit postoperativ darstellbarem, residualem Tumor ein 5 fach hæheres Risiko haben,
im weiteren Verlauf ihrer Erkrankung eine Dissemination
zu erfahren (Rezai et al. 1996). Bezçglich der operativen
Aggressivitåt ist zu bedenken, dass in den meisten Serien
Kinder eine insgesamt schlechtere Prognose haben und
angesichts dessen keinesfalls eine chirurgische Radikalitåt,
z. B. am Boden des IV. Ventrikels, mit erheblichem Morbiditåtsrisiko angestrebt werden darf, da der fragliche
Zugewinn an Ûberlebenszeit keine neurologischen Defizite
rechtfertigen wçrde (Lyons et al. 1991, Rezai et al. 1996).
Man muss damit rechnen, dass die meisten Tumoren,
insbesondere in der hinteren Schådelgrube, lokal rezidivieren (Shaw et al. 1987, Lyons et al. 1991), woraus schon
auf das infiltrative Wachstumsverhalten des Tumors
geschlossen werden kann.
Bei Operationen, die eine Spaltung des Wurms
beinhalten ± und dies ist sowohl bei den Ependymomen
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
a, b
133
c
Abb. 5.21 a±c MRT eines teils exophytischen Hirnstammglioms, das mikrochirurgisch mit entsprechendem elektrophysiologischem
Monitoring weitgehend entfernbar ist.
des IV. Ventrikels als auch bei den Medulloblastomen nicht
selten der Fall ±, kann es vorçbergehend zu schweren
mutistischen Stærungen kommen, die in der Regel nach 2±
3 Wochen wieder zurçckgehen (¹posterior fossa syndromeª). In hartnåckigen Fållen kann diese Operationsfolge,
insbesondere bei Kindern, so ausgeprågt sein, dass das
Kind ein Schuljahr wiederholen muss. Als Ursache hierfçr
wird eine Affektion sekundårer Sprechzentren postuliert
(Rekate et al. 1985, Ersahin et al. 1996).
Vorgehen. Kleinhirntumoren werden zumeist in Bauchoder Seitenlage (¹park benchª) oder gelegentlich auch in
sitzender Position operiert, wenn der Prozess weit rostral
im Oberwurm gelegen ist oder weit nach rostral reicht
(Abb. 7.1). Die modernen Anåsthesieverfahren erlauben es
heute, fast jeden Patienten mit einem zerebellåren Tumor
zu operieren. Die operativen Techniken unterscheiden sich
nicht von den supratentoriellen Operationen fçr Metastasen (s.u.), Gliome (s.o) oder Meningeome (s.u.). Wird die
hintere Schådelgrube osteoklastisch eræffnet, d. h. unter
Fortnahme des Knochens, wird eine Schådeldachplastik
eingepasst, um eine feste Deckung zu rekonstruieren.
Bei einigen Prozessen erscheint es ratsam, perioperativ
eine externe Drainage der Seitenventrikel anzulegen, da
diese einen Aufstau mit konsekutiver Einklemmung verhindert, wenn es zu einer postoperativen Schwellung in
der hinteren Scha
Èdelgrube kommt.
Grundsåtzlich sollte man bei pråoperativer Anlage einer
Drainage auch in der Lage sein, den Druck in der hinteren
Schådelgrube danach rasch zu entlasten, da es sonst zu
einer Einklemmung nach oben mit erheblichen Schådigungen der Vierhçgelplatte kommen kann. Ebenso gilt,
dass durch Tumorresektion die Liquorpassage wiederhergestellt werden sollte, um den Patienten shuntfrei zu
halten. Dies ist z. T. auch durch eine endoskopische
Ventrikulostomie des III. Ventrikels zu erreichen.
Tumoren des Hirnstamms
Tumorbewertung. Diese Gruppe von Tumoren ist in ihrer
Zusammensetzung sehr heterogen (Kap. 7.1.7). Bei den
Hirnstammgliomen werden intrinsische Tumoren, die den
Hirnstamm diffus auftreiben, und exophytische Tumoren
unterschieden. Die intrinsischen Hirnstammgliome haben
eine auûerordentlich schlechte Prognose, insbesondere,
wenn die Anamnese kurz ist und im MRT-Signalverhalten
schon Zeichen der beginnenden Anaplasie zur postulieren
sind (Abb. 5.21).
OP-Bewertung und Vorgehen. Bei den meisten Hirnstammtumoren wird die Diagnose stereotaktisch gesichert,
wonach ggf. eine Bestrahlung, die extern, aber auch
interstitiell sein kann, angeschlossen wird (Kap. 3.3,
Kap. 5.4, Kap. 7.1.7). Wird bei langsam wachsenden Prozessen die Liquorpassage behindert, erfolgt eine endoskopische Ventrikulozisternotomie oder, falls nicht mæglich,
Anlage eines ventrikuloperitonealen Shunts. Ein Shunt
sollte nicht bei Metastasen im Hirnstammbereich implantiert werden, da dadurch eine therapeutisch ausweglose
Situation fçr einen Patienten sehr belastend verlångert
wird.
Bei exophytischen Hirnstammtumoren kann der Versuch einer weitgehenden mikrochirurgischen Tumorentfernung gemacht werden.
Tumoren der Schådelbasis
Tumoren. Aus neuroonkologischer Sicht zåhlt man zu den
Tumoren der Schådelbasis die Hypophysentumoren (s. a.
Kap. 7.7), basale Meningeome (s. a. Kap. 7.6), Tumoren der
Hirnnerven, insbesondere Akustikusneurinome und Trige-
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134
5.3 Strahlentherapie
minusneurinome (s. a. Kap. 7.8), die Chordome des Clivus
und die Chemodektome, d. h. Tumoren des Glomus
jugulare (Robertson et al. 1994). Auf die spezielle Behandlung der meisten dieser Tumoren wird in den entsprechenden Spezialkapiteln çber die Therapie ausfçhrlich
eingegangen.
Darçber hinaus gibt es eine Fçlle von Tumoren, die
primår die Schådelbasis selbst betreffen oder beteiligen, so
die Østhesioneuroblastome (s. a. Kap. 7.3; Abb. 5.6), Nasopharynxkarzinome und die Chondrosarkome bzw. Osteosarkome der Schådelbasis. Hinzu kommen Dermoide,
Epidermoide und Cholesteatome.
OP-Bewertung. Ein Groûteil dieser letztgenannten Tumoren wird zunåchst interdisziplinår operiert, um danach
einer Strahlentherapie und/oder Chemotherapie zugefçhrt
zu werden (Ojeman et al. 1995). Es gibt viele verschiedene
Zugangswege, die je nach Lage des Tumors transfazial
(Nasopharynx), transfazial/transoral (z. B. Chordome des
Clivus), transpyramidal (Cholesteatome, Clivustumoren)
oder transkondylår (ventrale Prozesse des Foramen magnum) sein kænnen. In einer kçrzlich zusammengestellten
Serie sind bei 42 Patienten mit Chordomen der Schådelbasis eine Vielzahl unterschiedlicher Zugangswege gewåhlt
worden (Crockard et al. 2001). Nachdem die neurochirurgische Therapie der meisten intrakranialen Tumoren weitgehend standardisiert wurde, hat sich in den letzten Jahren
gerade die Schådelbasischirurgie rasch weiterentwickelt
(Lawton et al. 1995, Al Mefti 1997). Im Zusammenhang mit
solchen Operationen kænnen auch ausgedehnte Rekonstruktionen (Sen et al. 1992) oder Gewebstransplantationen
notwendig sein.
Die Entscheidung, ob oder auf welchem Weg ein Tumor
der Scha
Èdelbasis operiert wird, wird individuell gefa
Èllt und
ha
Èngt auch von den Gegebenheiten des lokalen Zentrums
und der Fokussierung der kooperierenden Abteilungen wie
HNO, Ophthalmologie und ZMK ab.
5.3
Strahlentherapie
R. Engenhart-Cabillic
Die Behandlung primårer und sekundårer Hirntumoren
stellt ein lokales Problem und damit fçr die Strahlentherapie eine besondere Herausforderung dar. Zielt die
operative Therapie auf die histologische Sicherung und die
Reduzierung der Tumormasse und des intrakranialen
Drucks ab, ist das Ziel der kurativen Strahlentherapie die
Abtætung såmtlicher klonogener Tumorzellen unter weitgehender Schonung von gesundem Gewebe. Verbesserungen der strahlentherapeutischen Planung und Technik,
bessere Kenntnisse der Dosis-Wirkungs-Beziehung des
Tumorgewebes wie der Strahlentoleranz benachbarter
Risikostrukturen, sowie rationelle Kombinationen der
Bestrahlung mit neurochirurgischen Verfahren und der
systemischen Therapie haben die Behandlungsergebnisse
bei den primåren und sekundåren Hirntumoren in den
letzten Jahrzehnten verbessert.
5.3.1
Strahlenbiologische Grundlagen
Strahlenwirkung und Reparaturmechanismen
Das Ziel der Strahlenbehandlung ist die Zerstærung der
klonogenen Tumorzelle oder zumindest die zeitweise
Eindåmmung ihres ungehemmten Wachstums. Die Wahrscheinlichkeit einer Tumorzerstærung nimmt mit steigender Dosis zu. Die Normalgewebstoleranz stellt jedoch
oftmals den limitierenden Faktor dar. Die Hæhe der fçr
eine Tumorvernichtung notwendigen Strahlendosis korreliert mit:
O dem Tumorvolumen (Zahl der klonogenen Zellen),
O der Histologie (intrinsische zellulåre Strahlensensibilitåt),
O der Sauerstoffversorgung (Anteil hypoxischer und anoxischer Tumorzellen und Reoxygenierung) sowie
O der zeitlichen Dosisverteilung (Reparatur von subletalen Strahlenschåden).
Gesichert ist, dass strahleninduzierte nicht reparierte DNAVerånderungen wie Doppelstrangbrçche chromosomale
Aberrationen verursachen, die den Verlust der Zellteilungsfåhigkeit zur Folge haben (Mitosetod). Wåhrend der Zeit
kann die morphologisch intakte und metabolisch aktive
Zelle ihre Funktion im Gewebe weiterhin erfçllen. Ein Teil
der DNA-Låsionen fçhrt jedoch vor Erreichen einer Mitose
zu einer programmierten Desintegration der Zelle, dem
Interphase-Zelltod, der vorwiegend çber eine Apoptose
ablåuft. In dem komplex aufgebauten Glia- und Hirngewebe ist zwar eine proliferative Hierarchie als regenerative
Komponente bekannt, eine eindeutige Trennung zwischen
Stamm- und Funktionszelle besteht jedoch nicht. Wenig
teilungsaktive Gewebe kænnen dennoch sehr strahlenempfindlich sein.
Strahlensensibilitåt. Entsprechend der histologischen
Vielfalt der Hirntumoren variiert auch die Strahlensensibilitåt und weist gegençber normalem Hirnparenchym eine
teils erhæhte, teils gleiche und teils geringere Empfindlichkeit auf. Relativ strahlensensibel sind Pinealome, Hypophysenadenome, Lymphome, Medulloblastome und anaplastische oligodendrogliale Tumoren (Tab. 5.3). Die Kraniopharyngeome, Meningeome, niedriggradigen Oligodendrogliome und anaplastischen Astrozytome WHO-Grad III
zåhlen zu den weniger strahlensensiblen Tumoren. Besonders strahlenresistent sind die Glioblastome (WHO-Grad
IV), die auch nicht durch Bestrahlungsdosen von 60±80 Gy
dauerhaft zu kontrollieren sind. Unbekannt ist bisher die
Ursache der interindividuellen und intraindividuellen
Strahlenempfindlichkeit. Die molekulare Radioonkologie
unternimmt groûe Anstrengungen, die Faktoren zu charakterisieren, die fçr das unterschiedliche Ansprechen
verantwortlich sind. Laufende Untersuchungen widmen
sich dem Thema der intrinsischen Strahlenempfindlichkeit,
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Tabelle 5.3 Strahlensensibilitåt von Hirntumoren
Relativ strahlensensibel
O
O
O
O
O
Pinealome
Hypophysenadenome
Lymphome
Medulloblastome
anaplastische oligodendrogliale
Tumoren
Weniger strahlensensibel
O
O
O
O
Kraniopharyngeome
Meningeome
niedriggradige Oligodendrogliome
anaplastische Astrozytome WHOGrad III
der Reparaturkapazitåt, der Repopulierung und O2-Versorgung sowie Reoxygenierung des Tumors.
Strahlenwirkung und Reparatur. Als wichtigster Mechanismus fçr die biologische Wirkung einer Bestrahlung
werden heute nicht reparierte bzw. falsch reparierte (missrepair) Doppelstrangbrçche sowie Basenverånderungen
angesehen, die zum Zelltod fçhren (z. B. dizentrische und
azentrische Aberrationen).
Nach einer einmaligen Bestrahlung mit definierter Dosis ist
die Zahl der u
Èberlebenden Zellen kleiner als nach
Applikation derselben Dosis in mehreren kleinen Fraktionen.
Die Reparatur der subletalen Schåden vollzieht sich in
einem Zeitintervall von mehreren Stunden. Unter Beachtung der Toleranz der Normalgewebe sollte der Zeitraum
zwischen 2 Fraktionen zumindest 6 Stunden betragen (Ang
et al. 1993). Das Ausmaû der Erholungs- bzw. Reparaturvorgånge variiert erheblich. So verfçgen Glioblastome çber
eine hohe Reparaturkapazitåt, weswegen sie als strahlenresistent gelten. Die Unterdrçckung der Reparatur und
damit die Steigerung der Strahlenempfindlichkeit wird
durch Ønderung der Strahlenqualitåt, Kombination mit der
Hyperthermie oder mit Zytostatika versucht. Die Repopulierung von fraktioniert bestrahltem Gewebe fçhrt durch
Steigerung der Mitoserate und der DNA-Synthese zu einer
Zellerneuerung mit der Gefahr des Tumorwachstums als
Gegenregulation. Eine akzelerierte Strahlenapplikation, bei
der die Gesamtbehandlungszeit in einem verkçrzten
Zeitraum appliziert wird, wirkt der Repopulierung entgegen. Dem Fraktionierungseffekt kommt am ZNS eine
besondere Bedeutung zu. Stellt doch die Hæhe der Einzeldosis wie die Gesamtdosis neben dem bestrahlten Volumen die limitierende Græûe fçr Spåtreaktionen dar
(Streffer et al. 1996).
Hypoxie. Seit Jahrzehnten ist die hæhere Strahlenresistenz
hypoxischer bzw. anoxischer Tumorzellen bekannt. Ein
Vergleich der Zellçberlebenskurven unter oxischen und
anoxischen Bedingungen ergab einen Sauerstoffverstårkungsfaktor (Oxygen-Enhancement-Ratio, OER) von 2,5±
3,5. Mit intratumoralen Messungen lieû sich nachweisen,
dass der Sauerstoffpartialdruck in malignen Gliomen
deutlich niedriger als im korrespondierenden Hirngewebe
Strahlenresistent
O Glioblastome (WHO-Grad IV)
ist. Rampling et al. konnten 1994 zeigen, dass bei 80 % der
Patienten mit Glioblastomen der intraoperativ erhobene
pO2-Wert unter 2,5 mmHg lag (Rampling et al. 1994).
Neuere Untersuchungen belegen, dass Hypoxie eine hæhere
Mutationsrate bedingt. Bei einem quantitativen Vergleich
von euoxischen und hypoxischen humanen Glioblastomzelllinien wurden bis 20 Hypoxia overexpressed Genes
identifiziert (Lal et al. 2001). Der Einfluss niedriger
Håmoglobinwerte auf die verminderte Tumoroxygenierung
wurde bisher bei Plattenepithelkarzinomen der Kopf-HalsRegion nachgewiesen (Becker et al. 2000). Bei Patienten
mit primåren Hirntumoren ist die Anåmie als negativer
prådiktiver Wert bisher wenig untersucht. Lutterbach
zeigte an 318 auswertbaren Patienten mit Glioblastom,
dass das relative Risiko zu versterben bei pråtherapeutischem Håmoglobinwert unterhalb des geschlechtsspezifischen Normbereichs, verglichen mit nichtanåmischen
Patienten, 1,42 betrug (Lutterbach et al. 2002). Im
Gegensatz hierzu zeigte die Analyse von 72 Kindern mit
Medulloblastomen keine prognostische Bedeutung des
Håmoglobins. Der Schwellenwert wurde allerdings bei
10 g/cK angesetzt (Chow et al. 1999). Zukçnftige Untersuchungen bei Hirntumoren haben die Bedeutung der
Hypoxie sowie den Stellenwert der therapeutischen
Einflussnahme auf die Ergebnisse einer Strahlenbehandlung zu klåren. Experimentelle Daten zur Rolle von
Erythropoietin bei nichtmalignen Låsionen belegen, dass
peripher appliziertes Erythropoietin die Blut-Hirn-Schranke passiert und auf durch Trauma oder Ischåmie geschådigtes Hirngewebe einen protektiven Effekt ausçbt (Cerami et al. 2001). Umfangreiche pråklinische Daten existieren fçr Substanzen, die die hypoxischen Zellen fçr
Strahlung sensibilisieren (Radiosensitizer) wie zytotoxische Substanzen mit synergistischer Wirkung, die bevorzugt hypoxische Zellen abtæten. Im Rahmen einer multizentrischen Studie wird von der RTOG der Effekt von
RSR13 untersucht. Diese Substanz geht eine nicht kovalente Bindung mit Håmoglobin ein und reduziert dessen
Sauerstoffaffinitåt.
Indikationen und Kontraindikationen
Obgleich die ersten kasuistischen Beitråge zur Anwendung
der Strahlentherapie bei Hirntumoren bis 1913 zurçckreichen, konnte die Leistung der Radiotherapie bei malignen Hirntumoren erst durch systematische Analysen
eines groûen Krankengutes in den 60 er- und 70 er-Jahren
135
Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag
136
5.3 Strahlentherapie
und bei den benignen Tumoren durch aktuelle Studien
geklårt werden. Wesentliche Erkenntnisse der Strahlenwirkung auf das normale Hirnparenchym und insbesondere auf die unterschiedlichen Histologien, die als Grundlage
fçr die Indikationsstellung zur Strahlentherapie dienen,
verdanken wir Zuelch et al. (1979).
Die Strahlentherapie in der Neuroonkologie stellt u
Èberwiegend eine additive und adjuvante Therapieform und
nur selten die prima
Ère Behandlungsmodalita
Èt dar.
Indikationen zur Strahlentherapie
Im Gegensatz zum operativen Vorgehen hångt die
Indikation zur Strahlentherapie in erster Linie von der
histologischen Klassifikation, aber auch von der Tumorlokalisation und Ausdehnung ab (Tab. 5.4). Die histologische oder zytologische Sicherung sollte grundsåtzlich der
erste Schritt vor Einleitung einer Strahlentherapie sein.
Nur in Ausnahmefållen, z. B. bei einem gesicherten,
metastasierenden Primårtumor, kann hierauf verzichtet
werden.
Kontraindikationen zur Strahlentherapie
Absolute
Kontraindikation. Kontraindikationen
zur
Strahlentherapie sind der Nachweis einer diffusen degenerativen Enzephalopathie (z. B. Uråmie), eine schwere
Anorexie und ein vorbestehendes generalisiertes Hirnædem
mit ausgeprågter intrakranialer Drucksteigerung. Diese
sollte vor Einleitung der Strahlentherapie medikamentæs
(Steroide, Saludiuretika, Osmodiuretika) kontrolliert sein.
Bei Patienten mit deutlich reduziertem Allgemeinzustand
bei malignem Gehirntumor bzw. disseminierter metastasierender Grunderkrankung sollte die Indikation sehr
zurçckhaltend gestellt werden.
Relative Kontraindikation. Eine relative Kontraindikation stellt eine bereits vorausgegangene, hoch dosierte
Strahlenbehandlung der identischen Region dar. Einige
experimentelle Untersuchungen zeigen jedoch, dass mit
einer gewissen Regeneration des Nervengewebes zu rechnen ist (Wong et al. 1997). So fçhrte eine erneute
Bestrahlung am Rçckenmark von Rhesusaffen 2 Jahre nach
Erstbestrahlung erst bei einer summativen Gesamtdosis
. 100 Gy zu Myelopathien. Diese Dosis liegt um 45 % çber
der isoeffektiven Dosis ohne Regenerationspause (Ang et al.
1993). Moderne, hochkonformale strahlentherapeutische
Techniken, die Brachytherapie, Radiochirurgie und stereotaktische Pråzisionsbestrahlung, erreichten bei begrenzter
Ausdehnung des Rezidivtumors nochmals mediane Ûberlebenszeiten von bis zu 1 Jahr und mehr (Shrieve et al.
1995, Shepherd et al. 1997). Die Indikation zu einer
erneuten Bestrahlung muss jedoch unter Beachtung aller
Therapieoptionen interdisziplinår abgesprochen und
streng abgewogen werden.
Indikationen der primåren Radiotherapie
Sie ist indiziert bei dem hochstrahlensensiblen Germinom,
den markerpositiven Pinealistumoren sowie in der Regel
bei allen malignen inoperablen Hirntumoren, sofern sie
symptomatisch sind oder radiologisch eine Progredienz
aufweisen. Bei solitåren Hirnmetastasen zeigen prospektive Auswertungen vergleichbare Ergebnisse der Radiochirurgie und der Resektion (Linstadt et al. 1991, Gæbel et al.
1993, Packer et al. 1994, Pirzkall et al. 1998, Sneed et al.
1999). Die Ergebnisse einer prospektiv randomisierten
Studie stehen jedoch aus. Ob eine zusåtzliche Radiochirurgie zur Ganzhirnbestrahlung einen Vorteil ergibt,
wurde in einer randomisierten Studie (RTOG-95-08)
untersucht. Die bisherigen Ergebnisse zeigen einen Ûberlebensvorteil der RS + WBRT-Gruppe im Vergleich zur
alleinigen Ganzhirnbestrahlung bei Nachweis einer solitåren Hirnmetastase, einem KPS von 70, Alter unter 50 Jahren, nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom oder Plattenepithelkarzinom sonstiger Tumorentitåt (Sperduto et al.
2002). Bei multiplen Hirnmetastasen erfahren durch eine
palliative Ganzhirnbestrahlung 75±85 % der Patienten eine
deutliche Besserung der neurologischen Symptomatik
(Haie-Meder et al. 1993, Lagerwaard et al. 1999).
Indikationen der postoperativen Bestrahlung
Maligne Tumoren. Bei den malignen intrakranialen Tumoren ist der Stellenwert der additiven oder adjuvanten
postoperativen perkutanen Strahlentherapie unbestritten
(Walker et al. 1980, Nazar et al. 1990). Auch nach
kompletter Resektion ist eine postoperative Bestrahlung
obligat. Im randomisierten Vergleich låsst sich ein signifikant långeres Ûberleben und eine långere Symptomfreiheit mit verbesserter Lebensqualitåt nachweisen (Salazar et al. 1983, Miller et al. 1990, Patchell et al. 1990, Bouffet
et al. 1992). Die postoperative Strahlentherapie wird 2±
4 Wochen nach mikrochirurgischer Resektion bei Abschluss der Wundheilung und kontrolliertem Hirndruck
ggf. unter Corticosteroidmedikation und Antikonvulsiva
begonnen.
Benigne Tumoren. Bei den differenzierten benignen
Tumoren wird der Einsatz ionisierender Strahlen kontrovers diskutiert, da Ergebnisse prospektiv randomisierter
Studien ausstehen und retrospektive Verlaufsbeobachtungen çber teils widersprçchliche Ergebnisse berichten.
Aktuell publizierte Daten an græûeren Patientenserien
belegen jedoch den Stellenwert einer postoperativen
Bestrahlung mit verbesserter Rezidiv- und Ûberlebensrate
bei subtotal resezierten benignen Tumoren wie bei nicht
resektablen Tumoren im Bereich der Schådelbasis (Regine
et al. 1992, Rajan et al. 1993, Debus et al. 2001, Eustacchio
et al. 2002, Nicolato et al. 2002). Bei den hormonaktiven,
medikamentæs refraktåren Hypophysenadenomen ist mit
der Radiotherapie nach einer Latenz von Monaten bis
Jahren eine Normalisierung der Serumspiegel mit meist
parallel verlaufender Rçckbildung der klinischen Sympto-
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Tabelle 5.4 Indikationen zur Radiotherapie und Zielvolumenkonzepte auf der Grundlage der histopathologischen Graduierung
Tumorgruppe
Tumortyp
GI
astrozytåre
Tumoren
pilozytisch
O
GII
niedriger
Malignitåtsgrad
GIII
GIV
O
anaplastisch
O
Glioblastom
Oligodendrogliome
O
niedriger Malignitåtsgrad
O
anaplastisch
Ependymome
O
Subependymom O
myxopapillår
O
O
niedriger Malignitåtsgrad
O
hoher Malignitåtsgrad
PlexuschoroideusTumoren
Papillom
O
O
O
Gangliozytom
O
Pineozytom
O
embryonale
Tumoren
ZV
fakultativ
inoperativ, inkomplette
Resektion, Rezidiv
TU
fakultativ
inoperativ, inkomplette
Resektion, Rezidiv
TU
obligat
eTU
obligat
eTU
fakultativ
inoperativ, inkomplette
Resektion, Rezidiv
TU
obligat
alternativ: PCV-Chemotherapie
eTU
nein
nur mehrfache Rezidive
TU
nein
nur mehrfache Rezidive
TU
empfohlen
Liquor - R
eTU
Liquor + R NA
obligat
Liquor - R
eTU
Liquor + R NA
nein
Karzinom
neuronale/
Gangliogliom
gliale Tumoren
anaplastisches
Gangliogliom
Tumoren der
Epiphyse
O
Strahlentherapie Indikation
O
nur mehrfache Rezidive
obligat
TU
NA
nein
O
empfohlen
O
eTU
nein
nein
keine
Pineoblastom
O
obligat
NA
Germinom
O
obligat
primår
NA
sezernierende
Keimzelltumoren*
obligat
kombinierte Chemo-/
Strahlentherapie
Liquor - R
eTU
Liquor + R NA
Teratome*
fakultativ
inkomplette Resektion,
unreife Variante
eTULiquor +/
spinale
Metastasen R
NA
unter 3 Jahren Chemotherapie
NA
Medulloblastom
O
obligat
andere PNET
O
obligat
NA
Medulloepitheliom
O
obligat
NA
Ependymoblastom
O
obligat
NA
* = erweiterte lokale Bestrahlung bei negativem Liquorbefund; bei positivem Liquorbefund oder spinalen Metastasen Bestrahlung der
Neuroachse; ZV = Zielvolumenkonzept; TU = Tumorregion mit minimalem Sicherheitssaum, idealerweise in stereotaktischer Technik; eTU:
erweiterte Tumorregion mit einem Sicherheitssaum bis zu 2 cm in Abhångigkeit von der Histologie; NA = Kraniospinalbestrahlung mit
Aufsåttigung der Dosis auf die primåre Tumorregion
137
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138
5.3 Strahlentherapie
Fortsetzung Tabelle 5.4
Tumorgruppe
Tumortyp
GI
Tumoren der
kranialen und
spinalen Nerven
Schwannom
Neurofibrom
GII
Strahlentherapie Indikation
ZV
O
fakultativ
inoperativ, inkomplette
Resektion
TU
O
fakultativ
inoperativ, inkomplette
Resektion
TU
maligner peripherer Nervenscheidentumor
meningeale
Tumoren
Meningeom
O
GIV
O
O
atypisch
O
papillår
O
anaplastisch
O
mesenchyma- Håmangioperile nichtmenin- zytom
geale Tumoren
Histiozytom
GIII
O
O
O
obligat
TU
fakultativ
inoperativ, inkomplette
Resektion, Rezidiv
TU
fakultativ
inoperativ, inkomplette
Resektion, Rezidiv
TU
fakultativ
inoperativ, inkomplette
Resektion, Rezidiv
TU
obligat
eTU
obligat
eTU
fakultativ
inoperativ, inkomplette
Resektion
TU
* = erweiterte lokale Bestrahlung bei negativem Liquorbefund; bei positivem Liquorbefund oder spinalen Metastasen Bestrahlung der
Neuroachse; ZV = Zielvolumenkonzept; TU = Tumorregion mit minimalem Sicherheitssaum, idealerweise in stereotaktischer Technik; eTU:
erweiterte Tumorregion mit einem Sicherheitssaum bis zu 2 cm in Abhångigkeit von der Histologie; NA = Kraniospinalbestrahlung mit
Aufsåttigung der Dosis auf die primåre Tumorregion
matik erzielbar (McCullough et al. 1991, Zierhut et al.
1995).
Niedriggradige Gliome. In retrospektiven Studien wurde
fçr niedriggradige Gliome gezeigt, dass durch eine zusåtzliche postoperative Bestrahlung eine Verlångerung der
medianen rezidivfreien Zeit und der Ûberlebenszeit mæglich ist (Shaw et al. 1987, Bloom et al. 1990, Berger et al.
1994). Diese Frage abschlieûend zu klåren, war Gegenstand
der EORTC-Studie (22845). Die Ergebnisse zeigen einen
signifikanten Vorteil bezçglich des progressionsfreien
Ûberlebens, nicht aber des Gesamtçberlebens (Karim et
al. 2002).
Rezidivierende Tumoren. Eine komplette Tumorexstirpation stellt bei den benignen Formen im Allgemeinen keine
Indikation zur Strahlentherapie dar. Ausnahmen bilden
jedoch jene Tumorentitåten, die aufgrund der Lokalisation
und dem invasiven Wachstumsverhalten trotz makroskopisch kompletter Exzision sehr håufig rezidivieren wie z. B.
zerebrale Chordome, Håmangioperizytome (Munzenrider
et al. 1993 u. 1987, Austin et al. 1993, Latz et al. 1995, Tai et
al. 1995).
Prophylaktische Bestrahlung
Prophylaktisch wird eine Ganzhirnbestrahlung bei Patienten, die nach Induktionschemotherapie eines kleinzelligen
Bronchialkarzinoms mit initial ¹limited diseaseª eine Vollremission erfahren haben, durchgefçhrt. Gesichert ist, dass
eine prophylaktische Ganzhirnbestrahlung mit moderaten
Bestrahlungsdosen das Risiko der Hirnmetastasierung von
50 auf ca. 10 % senkt. Dass die Senkung des intrakranialen
Rezidivrisikos auch einen signifikanten Ûberlebensvorteil
bewirkt, wurde in der von Auperin et al. 1999 publizierten
Metaanalyse mit 987 Patienten gezeigt. Neben der Verminderung einer Hirnmetastasierungshåufigkeit und der Verlångerung des rezidivfreien Intervalls war auch ein statistisch signifikanter Ûberlebensvorteil gesehen worden
(Auperin et al. 1999). Auch im Rahmen der Therapie
maligner Systemerkrankungen wie der Leukåmie wird bei
Hochrisikogruppen eine prophylaktische Ganzhirnbestrahlung durchgefçhrt.
Fraktionierung und Dosierung
Konventionell fraktionierte und hyperfraktionierte
Bestrahlung. Aufgrund von strahlenbiologischen Untersuchungen und langjåhrigen klinischen Erfahrungen wird
die hæchste therapeutische Breite durch eine zeitliche
Aufteilung der geplanten Gesamtdosis in einzelne Teildosen (Fraktionen) erreicht.
O Bei der konventionell fraktionierten Bestrahlung werden Einzeldosen bei Erwachsenen von 1,8±2 Gy/d, bei
Kindern von 1,5±1,8 Gy/d appliziert.
O Bei hyperfraktionierter Bestrahlung erfolgt die Dosisapplikation çber mehrfache, tåglich applizierte, reduzierte Einzeldosen in gleicher Gesamtbehandlungszeit.
Es werden z. B. Einzeldosen von 2 3 1,2 Gy pro Tag an
5 Tagen der Woche empfohlen. Die Gesamtdosis ist im
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Tabelle 5.5 Empfohlene Tumordosen fçr primåre Hirntumoren unterschiedlicher Histologie. Die Daten beziehen sich auf die çbliche
Fraktionierung mit 1,8±2 Gy/d Einzeldosis und 10 Gy/Woche
Histologie
Tumordosis (Gy)
Zielvolumen
Hypophysenadenom
45±50
TU
Kraniopharyngeom
50
TU
Germinom
36±50
NA
malignes Lymphom
50
Hirnschådel
Ependymom WHO-Grad II
54
eTU
malignes Ependymom
55±60
eTU
Medulloblastom
55
NA
Astrozytom WHO-Grad I, II
50±56
TU
Meningeom WHO-Grad I, II
50±56
TU
Meningeom WHO-Grad III
56±60
eTU
Astrozytom WHO-Grad III
55±60
eTU
Glioblastom
60
eTU
TU = Tumorregion mit minimalem Sicherheitssaum, idealerweise in stereotaktischer Technik; eTU = erweiterte Tumorregion mit Sicherheitssaum
von bis zu 2 cm in Abhångigkeit von der Histologie; NA = Kraniospinalbestrahlung mit Aufsåttigung der Dosis auf die primåre Tumorregion
Vergleich zur konventionellen Fraktionierung allerdings
um 5±20 % erhæht.
Derzeit wird im Rahmen einer RTOG-Studie (9006) die
Standardfraktionierung von 5 3 2 Gy pro Woche bis zu
einer Gesamtdosis von 60 Gy mit 2 3 1,2 Gy/d bis zu einer
Gesamtdosis von 72 Gy bei malignen Gliomen untersucht.
Bei der akzelerierten Hyperfraktionierung wird neben der
Reduktion der Einzeldosis auch die Gesamtbehandlungszeit reduziert. Der Einsatz der Akzelerierung kann bei
schnell proliferierenden Tumoren von Vorteil sein. Ein
wesentlicher Vorteil liegt bei Patienten mit limitierter
Lebenserwartung in der Verkçrzung der Behandlungszeit
(Gupta et al. 2002).
Alternative Schemata. Alternative Fraktionierungsschemata (Hypofraktionierung) werden derzeit fçr einige
Tumorentitåten im Rahmen von Therapiestudien untersucht. Die einmalige Applikation der gesamten Strahlendosis, die Radiochirurgie, kann fçr einige kleine, radiologisch gut abgrenzbare Tumorvolumina als gesichertes
Fraktionierungsschema gelten. Die mittels Einmalbestrahlung publizierten lokalen Kontrollraten entsprechen den
Ergebnissen der Tumorexstirpation und sind denen nach
konventionell fraktionierter Radiotherapie vergleichbar
bzw. çberlegen (Larson et al. 1990, Engenhart et al. 1993,
Flickinger et al. 1993, Eustacchio et al. 2002). Allerdings ist
bei græûeren Låsionen bzw. Låsionen mit minimaler
Distanz zu Risikostrukturen (z. B. Chiasma) das Nebenwirkungspotenzial erhæht, sodass dann die Dosis fraktioniert appliziert werden muss.
Gesamtdosis. Die Gesamtdosis hångt einerseits vom
Therapieziel ± kurativ oder palliativ ± und andererseits von
der speziellen intrinsischen Strahlenempfindlichkeit ab.
Tab. 5.5 enthålt die empfohlenen Tumordosen bei konventioneller Fraktionierung. Gesamtdosen çber 60 Gy und
Einzeldosen çber 2 Gy sind mit einem deutlich hæheren
Risiko an radiogen bedingten Verånderungen des gesunden
Hirnparenchyms verbunden (Debus et al. 1997, Wenz 1999).
Zielvolumenkonzepte
Weder das Planungszielvolumen noch die optimale Bestrahlungstechnik sind frei wåhlbare Parameter, sondern
werden maûgeblich von der Ausbreitungscharakteristik,
der radiologischen Abgrenzbarkeit und der Dosis-Wirkungs-Beziehung von Tumorgewebe und benachbarten
Risikostrukturen bestimmt. Entsprechend der Ausbreitungscharakteristik werden die im Folgenden dargestellten
3 Volumina strahlentherapeutisch erfasst, unterschiedliche
Strahlenqualitåten und Techniken eingesetzt und entsprechend der zu behandelnden Tumorentitåt mit unterschiedlichen Strahlendosen belastet. Abb. 5.22 zeigt schematisch
die 3 unterschiedlichen Zielvolumina.
Bestrahlung der (erweiterten) Tumorregion
Prinzip. Das strahlentherapeutische Zielvolumen erfasst
den neuroradiologisch abgrenzbaren Tumor einschlieûlich
eines Sicherheitssaums mit mæglichem subklinischem
Befall. Die Sicherheitszone richtet sich nach der lokalen
Infiltrationstiefe des Tumors, der Pråzision der gewåhlten
Technik und reproduzierbaren Einstellgenauigkeit. Der
139
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140
5.3 Strahlentherapie
Abb. 5.22 a±c Schematische Darstellung der 3 unterschiedlichen Zielvolumina.
a Bestrahlung der erweiterten Tumorregion eines rechts frontal lokalisierten malignen Glioms mit 6 Mev
Photonen. Durch 2 orthogonale
gleichgewichtete Photonenfelder mit
geeignet gewåhlten Keilfiltern wird
eine homogene Dosisverteilung erreicht.
b Ganzhirnbestrahlung çber ein Helmfeld bei kurativer Intention. Der
Gesichtsschådel unterhalb der Lamina cribrosa und des Bodens der
mittleren Schådelgrube wird durch
ein Individualblock abgedeckt.
c Kraniospinalbestrahlung çber 4 Felder: Die Schådelbestrahlung erfolgt
mit der Helmtechnik çber seitlich
opponierende Gegenfelder mit Beldendrehung, die Spinalbestrahlung
wird durch dorsal angepasste Felder
erfasst.
45°
2
107
45°
105
100
80
60
40
20
a
b
c
Einsatz der hochkonformalen stereotaktischen Techniken
erlaubt aufgrund der hohen Repositioniergenauigkeit bei
den nicht infiltrativ wachsenden Tumoren eine deutliche
Reduktion des Sicherheitsbereichs und dadurch Volumeneinsparung.
Nichtinfiltrativ wachsende Tumoren. Wird das Tumorvolumen bei den benignen, lokal verdrångend wachsenden
Tumoren wie Meningeomen, Akustikusneurinomen, Kraniopharyngeomen, Hypophysenadenomen oder gut abgrenzbaren Gliomen WHO-Grad I, auf der Grundlage der
modernen bildgebenden Verfahren mit MRT und Bildfusion
abgegrenzt und wird die Dosis hochkonformal appliziert,
ist kein oder nur wenige Millimeter Sicherheitsabstand
zum makroskopischen Tumor erforderlich (Abb. 5.23, Farbtafel XV).
Infiltrativ wachsende Tumoren. Chordome, Håmangioperizytome oder niedriggradige Gliome (WHO-Grad II)
erfordern aufgrund der Infiltration eine græûere Sicherheitszone von 5 und mehr Millimetern. Diffus infiltrieren-
de maligne Låsionen mçssen groûråumig erfasst werden.
Ausgehend von der computer- oder kernspintomographisch nachgewiesenen Tumorgrenze soll die Bezugsisodose so gewåhlt werden, dass ein zumindest 2 cm groûer
Sicherheitsbereich einbezogen wird, wobei das Planungszielvolumen auf der Basis der pråoperativen CT- oder MRTDaten festgelegt werden muss (Abb. 5.22 a).
Ganzhirnbestrahlung
Die Ganzhirnbestrahlung wird prophylaktisch bei malignen Systemerkrankungen wie Leukåmien und dem kleinzelligen Bronchialkarzinom oder aus therapeutischer Notwendigkeit eingesetzt.
Cave: Bei der prophylaktischen Strahlenbehandlung ist
darauf zu achten, dass die gesamte Scha
Èdelbasis unter
Einschluss der Retrobulba
Èrra
Èume, der Fossa cribriformis
und der teils seitlich weit nach kaudal reichenden
Temporallappen erfasst wird.
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Eingeschlossen werden all diese Strukturen durch die
Helmtechnik (Abb. 5.22 b). Zur Vermeidung von Rezidiven
ist eine Abweichungen von dieser Feldform lediglich in der
palliativen Situation, bei Vorliegen von Hirnmetastasen
solider Tumoren erlaubt (Kortmann et al. 1995).
Kraniospinalbestrahlung
Indikationen. Die Bestrahlung des gesamten Liquorraums
ist als systemische Therapie bei den Tumorentitåten
indiziert, die zur liquorigenen Metastasierung neigen.
O Medulloblastom PNET: Aus Grçnden der Prophylaxe
wird die Liquorraumbestrahlung mit Dosisaufsåttigung
¹Boostª auf die Tumorregion beim Medulloblastom und
den primitiv neuroektodermalen Tumoren (PNET)
durchgefçhrt (Bouffet et al. 1990).
O Ependymome: Bei Ependymomen ist das Risiko einer
leptomeningealen Absiedelung gering. Retrospektive
Analysen wie die prospektive Auswertung der Studien
HIT 88/89 und HIT 91 ergaben keinen Ûberlebensvorteil,
sodass eine Bestrahlung des gesamten Liquorraums nur
bei positiver Liquorzytologie bzw. nachgewiesener
Metastasierung gerechtfertigt ist (Timmermann et al.
2000, Van Veelen-Vincent et al. 2000).
O Keimzelltumoren: Bei den intrakranialen Keimzelltumoren orientiert sich das Therapiekonzept anhand
der Artdiagnose und dem Nachweis von Tumormarkern
in Serum und Liquor (Gæbel et al. 1995). Die reinen
Germinome sollten primår entsprechend der SIOP-95
Studie mit alleiniger Strahlenbehandlung der gesamten
Neuroachse therapiert werden. Bei den sonstigen Keimzelltumoren kann bei multimodalem Therapiekonzept
eine lokale Bestrahlung erwogen werden. Bei positivem
Liquornachweis oder spinaler Metastasierung ist eine
Bestrahlung der kraniospinalen Achse erforderlich.
O Lymphome: Seit dem von DeAngelis et al. 1992 eingefçhrten multimodalen Regime beschrånkt sich bei
malignen zerebralen Lymphomen die Strahlenbehandlung auf das Gehirn unter Einschluss der Meningen. Bei
alleiniger Strahlenbehandlung und gesichertem Liquorbefall wåre die Bestrahlung der gesamten Neuroachse
zu bedenken.
Planungszielvolumen. Das Planungszielvolumen schlieût
den zerebralen Liquorraum ein, umfasst den gesamten
Spinalbereich einschlieûlich der Durataschen an den
Spinalwurzeln und reicht bis in Hæhe von S3. Fçr die
Bestrahlung der Spinalachse werden in Abhångigkeit von
der Kærpergræûe ein oder zwei dorsale spinale Bestrahlungsfelder angeschlossen. Die Schådelbestrahlung erfolgt
çber zwei seitlich opponierende individuell geformte
Helmfelder (Abb. 5.22 c). Diese Technik erfordert einen
hohen Qualitåtsstandard mit exakter Lagerung und individueller, reproduzierbarer Fixierung der Patienten, sodass
an den Schnittstellen der Felder Dosislçcken bzw. Ûberschneidungen ausgeschlossen sind.
Meningeosis neoplastica. Bei der Meningeosis neoplastica ist Grundlage fçr eine effektive Behandlung die
systematische Erfassung des gesamten Liquorraums. Neben einer alleinigen intrathekalen Chemotherapie bietet
sich auch die alleinige Bestrahlung der zerebrospinalen
Achse an, die aber durch die Belastung der Knochenmarkreserve den Einsatz weiterer Chemotherapien infrage stellt.
Als Basistherapie hat sich die Kombination von Radio- und
Chemotherapie bewåhrt. Aufgrund der hohen Neurotoxizitåt sollte die Kombinationstherapie sich nur auf fokale
raumfordernde Låsionen unter Aussparung der nicht
befallenen Lokalisationen beschrånken.
Bestrahlungsplanung
Um die Heilungsraten zu erhæhen und die Strahlenbelastung der Nachbarregionen auf ein vertretbares Minimum
zu reduzieren, kommt eine ausgefeilte Bestrahlungsplanung und -technik zum Einsatz. Der Prozess der Strahlentherapieplanung kann in verschiedene unabhångige Schritte unterteilt werden (Abb. 5.24). Nach der Tumorlokalisation, die auf klinischen und radiologischen Daten
basiert, werden das Zielvolumen und die Risikostrukturen
in den modernen bildgebenden Schnittbildverfahren definiert. Die Form der Dosisverteilung wird durch Variation
der Bestrahlungstechniken und -parameter (z. B. Anzahl
der Strahlenfelder, Einstrahlwinkel, Absorber) optimiert.
Bei der Dosisberechnung erlauben physikalische Modelle
eine Abschåtzung der Tumorkontrollwahrscheinlichkeit
(Tumor Control Probability, TCP) und der Nebenwirkungswahrscheinlichkeit (Normal Tissue Complication Probability, NTCP) des gesunden Gewebes und insbesondere der
Risikoorgane (Brahme et al. 1994).
Tumorlokalisation. Grundlage fçr die Bestrahlungsplanung sind CT- und MRT-Bilder. Bei Tumoren des ZNS ist
die MRT der CT durch die verbesserte Abgrenzung der
Tumoren çberlegen (Sartor et al. 1992). Moderne Bestrahlungsplanungssysteme erlauben es, die Bildinformationen
der verschiedenen Untersuchungsverfahren und Sequenzen zu korrelieren, was im Einzelfall zu einer optimalen
Konturierbarkeit von Tumor und Risikostruktur fçhrt.
Speziell bei den niedriggradigen Gliomen sollte die
Planungsuntersuchung auf der Basis einer T2-gewichteten
MRT-Untersuchung erfolgen. Eine optimale Planungsgrundlage der Schådelbasistumoren (Meningeome, Chordome, Hypophysenadenome, Optikusgliome u. a.) stellen
fettunterdrçckte Gradientenechosequenzen dar. Abb. 5.25
zeigt das in einem fettunterdrçckten T1-Bild optimal
abgrenzbare Tumorvolumen vor und 6 Monate nach
Pråzisionsbestrahlung.
Homogene Zielvolumina. Ziel jeder Bestrahlungstechnik
ist, die Zielvolumina homogen zu bestrahlen und soweit
mæglich empfindliche Strukturen wie Sehnerv, Chiasma,
Hirnstamm nicht mit zu erfassen. Im ICRU-Report Nr. 50
(International Comission for Radiation Units) werden die
fçr die Planung, Durchfçhrung und Dokumentation einer
141
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142
5.3 Strahlentherapie
Abb. 5.24 Unabhångige Schritte beim Ablauf
einer Strahlentherapieplanung.
Tumorlokalisation (CT/MRT)
Definition von Zielvolumen und Risikoorganen (CT/MRT)
Therapiesimulation
der
Bestrahlungstechnik und -parameter
Dosisberechnung
Optimierung
Beurteilung der Dosisverteilung
Übertragung der Bestrahlungsparameter auf den Patienten
Bestrahlung
Strahlentherapie relevanten Volumina definiert und standardisierte Dosisspezifikationen, die eine Vergleichbarkeit
zwischen unterschiedlichen Bestrahlungstechniken ermæglichen, festgelegt. Es wird angestrebt, dass im Planungszielvolumen die Minimaldosis nicht kleiner als 95 % und
die Maximaldosis 107 % der Referenzdosis erreicht. Zum
Erreichen dieses Ziels sind je nach Topographie unterschiedliche Techniken notwendig.
Dosis-Volumen-Histogramm. Am Cerebrum kommt der
3D-Bestrahlungsplanung und 3D-Dosisapplikation wegen
der engen Nachbarschaft zu Risikostrukturen eine besondere Bedeutung zu. Sie ermæglicht die råumliche Optimierung der Dosisapplikation durch beliebige Wahl planarer
und nonkoplanarer irregulårer Feldformen, Feldeintrittspforten und Absorber. Die råumliche Dosisverteilung wird
wåhrend der Bestrahlung individuell tumorkonform angepasst, indem Individualabsorber gegossen oder im Strahlerkopf des Therapiegeråtes integrierte Lamellenblenden
verwendet werden (Multileafkollimator, MLC). Diese modernen Verfahren der Konformationsstrahlentherapie dienen dazu, das zu bestrahlende Volumen mæglichst individuell eng zu erfassen, damit die Bestrahlungsdosis auûerhalb des Zielvolumens steil abfållt. Die råumlichen Dosisverteilungen mit Dosisbelastung eines Organs oder
Teilvolumens wird als Dosis-Volumen-Histogramm quantitativ beschrieben. Ein Vergleich der Dosis-VolumenHistogramme erlaubt durch Optimierung der Technik eine
qualitative Aussage çber die Erfassung des Zielvolumens
und Abschåtzung des radiogenen Risikos (Abb. 5.26).
Geråte
Die in der Neuroonkologie am håufigsten verwendeten
Geråte zur Erzeugung ionisierender Strahlung sind Telegammageråte und Linearbeschleuniger.
Linearbeschleuniger. Bei den modernen Linearbeschleunigern werden Elektronen in einem elektrischen Feld
nahezu auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt.
Durch das Auftreten der Elektronen auf einen kleinen
Metallblock (Target) entsteht eine hochenergetische
Bremsstrahlung, die als stark gebu
Èndelte, ultraharte
Photonenstrahlung therapeutisch genutzt wird.
Die Elektronen kænnen auch direkt nach Aufstreuung des
Strahls durch eine Metallfolie klinisch angewandt werden.
Die Verwendung schneller Elektronen mit ihrer steuerbaren Eindringtiefe ist fçr spezielle Indikationen wie z. B.
die Behandlung peripher gelegener oder die Kalotte
infiltrierender Tumoren geeignet.
Telekobaltgeråte. Telekobaltgeråte verwenden die Gammastrahlung, die beim Zerfall des radioaktiven Isotops
Kobalt-60 entsteht. Die Telegammageråte sind weitestgehend durch die modernen Linearbeschleuniger ersetzt.
Das radioaktive Isotop Kobalt-60 wird im Rahmen der
Radiochirurgie mit dem Leksell-System ,,Gammaknife"
klinisch genutzt.
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
143
Abb. 5.25 a u. b Meningeom im Bereich des
rechten Sinus cavernosus vor und nach Pråzisionsbestrahlung.
a Die T1-gewichtete SE-Sequenz fettunterdrçckt mit Gadolinium-DTPA erlaubt die
optimale Abgrenzung der initialen Raumforderung und den Ausschluss der Infiltration
der Orbita (dunkelblaue Linie).
b Im volumetrischen Vergleich 6 Monate nach
stereotaktischer Pråzisionsbestrahlung ist
eine deutliche Volumenreduzierung nachweisbar (hellblaue Linie).
a
b
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5.3 Strahlentherapie
Volumen (%)
144
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
strukturen wie Sehnerven, Chiasma und Hirnstamm
ausgespart werden kænnen.
6
4
1
2
3
0
10
8
5
7
20 30 40 50 60
70
80 90 100 110
Dosis (%)
Abb. 5.26 Dosis-Volumen-Histogramm (DVH). Das DVH erlaubt
eine Aussage çber die råumliche Dosisbelastung im Zielvolumen
(Tumor, Kurve 8) und in den angrenzenden Risikostrukturen
(Kurvenschar 1±7).
Protonen und dicht ionisierende Strahlenarten besitzen
gegençber den Photonen und Elektronen teils biologische,
teils physikalische Vorteile. So werden Protonen in speziell
ausgewiesenen Zentren bei bestimmten Indikationen wie
z. B. Clivuschordomen und Chondrosarkomen eingesetzt
(Munzenrider et al. 1993, Debus et al. 1997). Dicht
ionisierende Strahlenarten wie Neutronen, Pi-Mesonen,
Bor-Neutroneneinfang haben bisher keinen klinischen
Vorteil erbracht.
5.3.2
Stereotaktische Bestrahlungstechniken
Stereotaktisch fraktionierte
Pråzisionsbestrahlung
Prinzip. Moderne Verfahren der Konformationsstrahlentherapie mit dem Linearbeschleuniger dienen dazu, dass
das zu bestrahlende Volumen individuell eng angepasst
wird, hocheloquente Strukturen ausgespart werden und
die Bestrahlungsdosis auûerhalb des Zielvolumens steil
abfållt. Hierfçr war die Entwicklung eines reproduzierbaren rigiden Fixationssystems notwendig. Durch Implementierung des stereotaktischen Grundringes mit den in
der Radiochirurgie entwickelten stereotaktischen Positionier- und Zieleinstellsystemen wird eine exakte hohe
Reproduzierbarkeit der Bestrahlungsparameter erreicht
(Gross et al. 2002, Debus et al. 1996 a). Die irregulåre
dreidimensionale Festlegung des Zielvolumens wie der
Risikostrukturen erfolgt bereits mit stereotaktischer CTbzw. MRT-Bildakquisition und Bildfusion. Die Bestrahlungsdosis wird çber mehrere, teils nonkoplanar ausgerichtete Bestrahlungsfelder appliziert. Die hohe Tumorkonformitåt wird mithilfe sehr schmaler Lamellenblenden (Mikro-MLC), welche eine beliebige Anpassung an
ganz irregulåre Zielvolumina erlaubt, ermæglicht.
Abb. 5.23 (Farbtafel XV) zeigt am Beispiel eines Beamseye View, wie durch Konformierung mittels eines MikroMLC und frei wåhlbarer Einstrahlrichtungen Risiko-
Damit erlaubt das Verfahren der fraktionierten stereotaktischen Radiotherapie eine weitere deutliche Wirkungssteigerung mit Reduktion des bestrahlten Volumens und
Minimierung der radiogen bedingten Begleitreaktionen.
Durch die Fraktionierung wird auch die bessere Erholungsfåhigkeit des Normalgewebes gegençber dem Tumorgewebe genutzt und eine zusåtzliche Schonung des gesunden
Hirnparenchyms erreicht. Neuere Untersuchungen haben
den klinisch relevanten Effekt der Reduktion des Bestrahlungsvolumens dieser modernen Bestrahlungstechnik belegt (Gregor et al. 1996, Wenz et al. 1996, Haines et al.
2002)
Indikationen. Die stereotaktisch fraktionierte Pråzisionsbestrahlung ist bei allen benignen Tumoren indiziert wie
z. B. den Meningeomen, Akustikusneurinomen, Hypophysenadenomen (Debus et al. 2001, Fuû et al. 2001).
Besonders sinnvoll anzuwenden ist sie bei subtotal
resezierten Kraniopharyngeomen und bei der Dosisaufsåttigung im Bereich der hinteren Schådelgrube bei kindlichen Tumoren, bei Tumoren der Orbita wie Optikusmeningeomen/Gliomen sowie bei Schådelbasistumoren, bei
denen die Radiochirurgie aufgrund der Græûe wie der
Nåhe zu den Risikostrukturen ein erhæhtes Nebenwirkungspotenzial besitzt (Dunbar et al. 1994, Eng et al. 1992).
Auch bei der Planung einer Rebestrahlung bei kleineren
Rezidiven ist diese Technik indiziert.
Stereotaktische Radiochirurgie
Die Radiochirurgie oder ¹Radioneurochirurgieª wird in
Bezug auf ihre Indikationen, Behandlungsergebnisse und
mæglichen Komplikationen in der Neuroonkologie ausfçhrlich im Kap. 5.4 dargestellt.
Prinzip. Als nichtinvasive Methode zur Ausschaltung
kleiner Gewebsvolumina hat die Einmalbestrahlung ¹Radiochirurgieª ihren Platz zwischen mikrochirurgischer
Resektion und fraktionierter Radiotherapie erlangt. Die
tumorzellspezifische Strahlenempfindlichkeit spielt dabei,
im Gegensatz zur perkutanen Radiotherapie, nur eine
untergeordnete Rolle. Ziel der Radiochirurgie ist die
komplette Devitalisierung gesunder und pathologischer
Zellen innerhalb des Gewebevolumens. Die Schonung des
angrenzenden gesunden Hirnparenchyms wird durch einen extrem steilen Abfall der Dosis auûerhalb des Targets
erreicht.
Die klinischen Ergebnisse des vergangenen Jahrzehnts
zeigen, dass die radiochirurgischen Methoden bei einigen
Indikationen sowohl die mikrochirurgische Resektion als
auch die perkutane Radiotherapie sinnvoll ergånzen (Engenhart et al. 1994, Flickinger et al. 1993, Steiner et al. 1972,
Eustacchio et al. 2002, Nicolato et al. 2002).
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Verfahren. In der klinischen Routine werden vorwiegend
2 Verfahren angewandt:
O Invasive Radiochirurgie (Abb. 5.27 a): Radioaktive Seeds
werden in das Gewebe implantiert bzw. radioaktive
Kolloidlæsungen in pråformierte Zysten deponiert (intrakavitåre Therapie); die Dosisleistung ist dabei durch
Wahl des Isotops (Ir-192; J-125) und die Dauer modifizierbar.
O Nichtinvasive Radiochirurgie mit dem Gammaknife
(Abb. 5.27 b) oder X-Knife (Abb. 5.27 c); die gesamte
Dosis wird jeweils in kurzer Zeit (wenige Minuten)
appliziert.
Cave: Generell sind beide radiochirurgischen Verfahren
auf wenige Indikationen begrenzt. Dabei handelt es sich
um radiologisch gut abgrenzbare, umschriebene, bis
maximal 3 cm groûe Prozesse.
Voraussetzungen. Die einmalige Applikation der gesamten Strahlendosis stellt hæchste Anforderungen an die
Reproduzierbarkeit der Patientenlagerung wåhrend der
Bildakquisition, Simulation und Behandlung. Grundsåtzlich
sind sowohl die Fixierung als auch die fçr die Planung
erforderlichen Schritte fçr alle Verfahren identisch. Die
erforderliche Pråzision låsst sich am sichersten erreichen,
indem der stereotaktische Rahmen in Lokalanåsthesie am
Kopf des Patienten invasiv fixiert wird. Die stereotaktische
multimodale Bildgebung wird gestçtzt durch dieses externe Referenzsystem. Es dient als Grundlage fçr die Berechnung der stereotaktischen Zielpunktkoordinaten und des
exakten Schichtabstandes. Auch die Abgrenzung des
Zielvolumens ist fçr die unterschiedlichen radiochirurgischen Techniken identisch. Grundvoraussetzung jeder
radiochirurgischen Technik ist, wie bei der Mikrochirurgie,
dass das Gewebsvolumen råumlich wie ærtlich genau
demarkiert werden kann. Zur Festlegung des Zielvolumens
wie Abgrenzung der Risikostrukturen dienen CT- und MRTDatensåtze mit minimalem Schichtabstand. Lediglich die
Dosisapplikation wird mit unterschiedlichen Verfahren
vorgenommen.
a
Interstitielle Radiochirurgie b
c
Perkutane Radiochirurgie
(„X-Knife“)
Perkutane Radiochirurgie
(„Gammaknife“)
Abb. 5.27 a±c Dosiskonzentrierung durch unterschiedliche radiochirurgische Verfahren (Schema).
a Radiochirurgie mit aktiven Seeds. Die Strahler werden interstitiell in das Zielvolumen eingebracht.
b Radiochirurgie mit der Gammaeinheit (Gammaknife). Schematische Darstellung der Einstrahlrichtung der 201 konzentrisch
angeordeten Kobalt-60-Quellen. Die Einzelstrahlen sind so
fokussiert, dass sie sich çber die gesamte Kopfhaut verteilen
und in einem Punkt, dem Isozentrum, schneiden.
c Radiochirurgie mit dem Linearbeschleuniger. Die Dosiskonzentrierung erfolgt, indem der eingeengte Strahl in mehreren
Bægen um den Patientenkopf rotiert und sich in einem Punkt,
dem Isozentrum, schneidet. Wåhrend der Dosisapplikation fçhrt
sowohl die Strahlenquelle als auch die Patientenliege sequenzielle oder simultane Bewegungen durch.
Invasive Radiochirurgie
Prinzip. Gestçtzt auf die stereotaktische Bildinformation
wird bei der invasiven (interstitiellen) Radiochirurgie der
radioaktive Strahler direkt in das Tumorareal oder die
Zysten eingebracht. Das operative Vorgehen ist auf eine fast
atraumatische stereotaktische Punktion beschrånkt, die in
Lokalanåsthesie durchgefçhrt wird. Die Mæglichkeit der
stereotaktischen Serienbiopsie erlaubt die Sicherung der
Artdiagnose. Unmittelbar im gleichen Arbeitsschritt werden dann ein oder mehrere Kunststoffkatheter tumorkonform eingefçhrt, welche mit temporåren radioaktiven
Strahlern beladen werden. Iod-125 ist das heute am
håufigsten verwendete Radioisotop. Die temporåre Implantation macht eine optimale Dosisverteilung durch Zeitund Ortswichtung mæglich.
Indikationen. Auch wenn Langzeitergebnisse prospektiv
randomisierter Studien bisher fehlen, sind die Erfahrungen
bei niedriggradigen Gliomen groû. Insbesondere bei der
Lokalisation in eloquenten Hirnarealen ist die invasive
Radiochirurgie der Resektion u. U. çberlegen (Ostertag et
al. 1992). Bei den malignen Gliomen scheint bei Subgruppen mit kleinem Tumorvolumen ein Ûberlebensvorteil
von wenigen Monaten durch eine interstitielle Dosisaufsåttigung mæglich zu sein (Gutin et al. 1987, Green et
al. 1994). Die Instillation von Gold-198- oder Yttrium-90Suspensionen in zystische Tumoren hat sich klinisch nicht
bewåhrt.
145
Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag
146
5.3 Strahlentherapie
Nichtinvasive Radiochirurgie
Mit dieser Methode kænnen radiologisch abgrenzbare
kleine Tumorvolumina effizient und sicher behandelt
werden. Das Spektrum der Indikationen ist bei den
unterschiedlichen Geråtetypen identisch, es wird von der
Græûe der Låsion, der Nåhe zu hocheloquenten Strukturen
und der Histologie begrenzt. Als gesicherte Indikationen
gelten neben den inoperablen arteriovenæsen Gefåûfehlbildungen kleine benige Tumoren wie Akustikusneurinome, Meningeome und solitåre Hirnmetastasen (Flickinger
et al. 1993, Noren et al. 1993, Engenhart et al. 1993 u. 1994,
Loeffler et al. 1994, Pirzkall et al. 1998, Eustacchio et al.
2002, Nicolato et al. 2002). Neuere klinische Studien haben
den Stellenwert der Kombinationsbehandlung mit subtotaler Resektion und Radiochirurgie gezeigt. In einer
prospektiv randomisierten Studie der RTOG (95-08) wurde
fçr die Kombinationsbehandlung von Radiochirurgie und
Ganzhirnbestrahlung bei Patienten mit Hirnmetastasen in
den prognostisch gçnstigen Gruppen im Vergleich zur
alleinigen Ganzhirnbestrahlung ein signifikanter Ûberlebensvorteil gesehen (Sperduto et al. 2002).
Gammaknife. Die Bestrahlungseinheit mit dem LeksellSystem, das als Gammaknife bekannt ist, wurde speziell fçr
die Radiochirurgie konzipiert und besteht aus einem
schalenfærmig angeordneten Zentralkærper mit 201 60CoQuellen. Die Co-Quellen sind im Zentralkærper so positioniert, dass sich die Strahlen in einem Punkt, dem Isozentrum, treffen (Abb. 5.27). Die patientenspezifische Kollimierung erfolgt durch einen an der Patientenliege befestigten inneren Helm, fçr den verschiedene Kollimatorgræûen zwischen 4, 8, 14 und 18 mm Durchmesser zur
Verfçgung stehen. Eine hochpråzise, tumorkonforme Dosisanpassung erfolgt durch unterschiedliche Dosiswichtung wie durch Kombination verschiedener Zielpunkte,
d. h. durch eine Kombination von Isozentren. Bei dieser
Superpositionsmethode kænnen im Zielvolumen Dosisinhomogenitåten mit Dosisçberhæhungen auftreten.
Die Gammaeinheit ist apparativ einfach zu handhaben
und mechanisch åuûerst stabil. Die Reproduzierbarkeit der
physikalischen Bestrahlungsparameter liegt bei weniger als
1 mm. Diese hohe Genauigkeit gilt daher als Standard fçr
die Pråzision, mit der die X-Knife-Technik verglichen
werden muss.
X-Knife. Bei der Anwendung des Linearbeschleunigers wird
die extreme Konzentrierung der Energiedosis auf das
vorgegebene Zielvolumen durch unterschiedliche Rotationstechniken ermæglicht (Abb. 5.27). Zum Einsatz kommt
die Rotationsbestrahlung çber viele, nicht koplanare Ebenen, oder die dynamische Konvergenzbestrahlung, bei der
sich der Patient und Bestrahlungsquelle synchron im
Isozentrum bewegen. Die geforderte Pråzision wird durch
Ûberschneiden der einzelnen Bewegungsablåufe in einem
Punkt, dem Isozentrum erreicht (Hartmann et al. 1985).
Durch die computergesteuerten Bewegungsablåufe werden
mit dem X-Knife nahezu kugelfærmige Dosisverteilungen
erzielt. Bei irregulår geformten Zielvolumina kommt daher,
wie beim Gammaknife, die Superpositionsmethode zum
Einsatz. Eine neuere Entwicklung der Dosiskonzentrierung
stellen die dynamischen Bestrahlungstechniken mit dem
Mikro-MLC zur Konformierung dar. Diese Kollimatoren
werden mit stereotaktischer Genauigkeit justiert und erlauben eine ideale tumorkonforme, homogene Dosisanpassung. Bei Beachtung der hohen physikalisch-technischen
Qualitåtssicherung ergaben physikalische Vergleichsmessungen identische Genauigkeiten wie bei Verwendung des
Gammaknifes (Luxton et al. 1993). Auch gab es bei multizentrisch durchgefçhrten klinischen Therapiestudien bisher
keinen Unterschied zwischen beiden Applikationsformen
im Hinblick auf Tumorkontrolle und therapeutisches Risiko
(Sanghavi et al. 2001, Sperduto et al. 2002).
5.3.3
Strahlenfolgen
Allgemeines
Morphologische Verånderungen. Im Vordergrund der
morphologisch fassbaren Strahlenverånderungen des ZNS
steht eine Demyelinisierung der Nervenfasern. Persistierende Strahleneffekte stellen sich als vaskulåre, gliale und
neuronale Schåden dar, die teilweise von einer Entzçndungsreaktion mit Údem begleitet sind. Fokale Nekrosen
kænnen in eine Kolliquationsnekrose mçnden. Entsprechend der unterschiedlichen Differenzierung der einzelnen
Zellsysteme des ZNS weisen die proliferierenden Endothelzellen des Blut- und Bindegewebes die hæchste Strahlensensibilitåt auf; sie werden gefolgt von Oligodendroglia
und Astroglia. Die Neurone und Ganglien besitzen eine
hohe Strahlenresistenz, die auf den ausgereiften Zustand
zurçckzufçhren ist. Klinische Daten weisen darauf hin,
dass bei frçher Manifestation von Strahlenschåden Oligodendrozyten, bei spåter Manifestation Gefåûendothelien
im Mittelpunkt stehen.
Allgemeine radiogene Låsionen. An radiogen bedingten
Folgen ist bei der ZNS-Bestrahlung auf die Beeintråchtigung der endokrinologischen, neuropsychologischen und
intellektuellen Funktionen zu achten, die aber teils multifaktoriell durch Tumorwachstum, Hirndruck, chirurgische
Resektion, Chemo- und Strahlentherapie verursacht sind
(Ochs et al. 1991, Wenz et al. 1996, Debus et al. 1997).
Nachgewiesen ist, dass eine simultane oder sequenzielle
Chemotherapie mit z. B. Methotrexat oder Cytosin-Arabinosid die Regenerationsleistung vermindert und die Toleranzdosis senkt (van der Kogel et al. 1985). Auch individuelle Faktoren wie Hypertonie und Diabetes mellitus
nehmen durch Gefåûverånderungen auf die Strahlentoleranz Einfluss.
Topographisch bedingte radiogene Låsionen. Die
Kenntnis der unterschiedlich topographisch-funktionellen
Gebiete ist fçr die Abschåtzung des Therapierisikos fçr den
Strahlentherapeuten von immenser Wichtigkeit.
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
O Bei Schådigung der Hirnrinde sind in Abhångigkeit von
der Lokalisation und Dominanz der Hemisphåre unterschiedlich ausgeprågte neurologische Symptombilder
zu erwarten. Radiogen gesetzte Låsionen der sprachdominanten Region fçhren bis zur Aphasie.
O Bei Schådigung des visuellen Systems folgt ein Visusund Gesichtsfeldausfall bis zur Blindheit. Eine radiogene
Beeintråchtigung der Sehfunktion nach Bestrahlung am
Sehnerv und/oder Chiasma opticum ist bei der fraktionierten Dosisapplikation mit Gesamtdosen bis 50 Gy
und Einzeldosen von 1,8 Gy weitestgehend ausgeschlossen. Bei der Einmalbestrahlung der ¹Radiochirurgieª
liegt die Schwellendosis bei 8 Gy.
O Aus den vitalen Funktionen der Mittellinienstruktur
kann eine besondere Strahlenempfindlichkeit abgeleitet
werden, welche dosis- und volumenabhångig ist (Debus
et al. 1997). Bei Einschluss des hypophysår-hypothalamischen Systems ist mit einer strahleninduzierten
Reduktion der Hormone ab 6 Monate zu rechnen.
Verånderungen kænnen jedoch auch erst nach Jahren
durch die radiogen bedingte Obliteration der Kapillaren
auftreten (Jiang et al. 1994).
O Kognitive Strahlenfolgen wurden im Rahmen von Ganzhirnbestrahlung jedoch vor allem bei Kindern mit
Testverfahren zur Erfassung der allgemeinen Intelligenz
untersucht. Die Ergebnisse bei Ganzhirnbestrahlung
zeigen, dass messbare Einschrånkungen ab 30 Gy auftreten. Bei Teilhirnbestrahlung werden deutlich hæhere
Dosen toleriert (Emami et al. 1991).
O In Abhångigkeit von der auf die Haut verabreichten
Dosis ist im Bereich des Strahlungseintrittfeldes mit
dem Auftreten eines Erythems und einer temporåren
Alopezie zu rechnen.
Besonderheiten bei Kindern. Ist im Kindesalter eine
kraniospinale Bestrahlung erforderlich, ist von einer Verkçrzung des Långenwachstums auszugehen. Bei Kindern
ist der Reifungsgrad des Gehirns zu berçcksichtigen.
Die abgeschlossene Ausreifung des Gehirns mit einer
Radiotoleranz, die der des Erwachsenen entspricht, wird
erst im 5. Lebensjahr erreicht.
Um Spåtfolgen an diesen vulnerablen Hirngeweben zu
vermeiden, wird empfohlen, die Einzel- und Gesamtdosen
um bis zu 20 % zu reduzieren oder, wenn mæglich, mit einer
Chemotherapie den Zeitpunkt der Strahlentherapie hinauszuzægern. Zu bedenken ist jedoch, dass dies mit einer
Einbuûe an Heilungschancen verbunden sein kann (Bloom
et al. 1990).
Besonderheiten bei multimodaler Therapie. Eine multimodale Therapie mit sensibilisierenden Substanzen, Hyperthermie oder auch simultaner oder sequenzieller Gabe
von Zytostatika stellen besondere Risikofaktoren dar, da
ihre Auswirkungen am Nervensystem nicht ausreichend
bekannt sind. Methotrexat ist die am håufigsten in
Kombination mit der Strahlentherapie verwendete Substanz. Spåtfolgen sind charakterisiert durch Persænlichkeitsverånderungen, auch werden neurologische Ausfålle
und Krampfanfålle beschrieben. Weitere Substanzen, die
eine Leukoenzephalopathie verursachen kænnen, sind
BCNU und Cytosinarabinosid (Fossa et al. 1992, van der
Kogel et al. 1985, Ball et al. 1992). Neben der sorgfåltigen
Nutzen-Risiko-Abwågung sollte bei multimodalen Therapien die Einzeldosis herabgesetzt und die Zahl der
Fraktionen erhæht werden, da zuverlåssige Daten zur
Dosis-Wirkungs-Beziehung bisher fehlen. Bei Kombination
mit Methotrexat sollte der Zeitabstand bis zur Strahlentherapie mindestens 24 Stunden betragen, um das Risiko
einer Leukoenzephalopathie zu minimieren.
Karzinominduktion. Die Karzinominduktion nach ionisierender Strahlung ist bekannt, jedoch bei Verwendung
der modernen Hochvolttherapie extrem selten (Tsang et al.
1994). Als håufigste Zweittumoren nach hoch dosierter
Orthovoltbestrahlung wurden Meningeome nach einer
medianen Latenz von 16 Jahren, gefolgt von Fibrosarkomen
mit einer Latenz von 7,5 Jahren beschrieben (Brada et al.
1995).
Verlauf der Strahlenreaktionen
Die Strahlenreaktionen des Hirnparenchyms lassen sich
nach ihrem zeitlichen Verlauf in 3 Phasen unterteilen.
O Die akute Phase ist eine Frçhreaktion, die innerhalb von
Stunden bis Wochen nach Bestrahlung auftreten kann
und in der Regel vollståndig reversibel ist. Es kommt zu
einer transienten Zunahme eines peritumoralen Údems
mit Verschlechterung der vorbestehenden neurologischen Defizite. Beim nicht vorgeschådigten Hirnparenchym tritt erst ab Einzeldosen çber 6 Gy eine akute
Vaskulitis mit Údembildung und Hirndrucksteigerung
auf.
O Die frçhe Spåtphase tritt 2 Wochen bis 4 Monate nach
der Strahlentherapie auf und ist ebenfalls voll reversibel. Sie ist durch uncharakteristische neurologische
Symptome wie Ûbelkeit, Erbrechen, Lethargie und
selten Somnolenz gekennzeichnet. Ursåchlich sind
reversible herdfærmige Demyelinisierungen. Bei der
Leukoenzephalopathie, die klinisch als Somnolenzsyndrom gelegentlich bei der kindlichen ALL beobachtet
wurde, ist neben einem pathologischen EEG eine
Erhæhung des basischen Myelinproteins als Folge der
Demyelinisierung nachzuweisen. Im Verlauf weniger
Wochen bildet sich das Krankheitsbild zurçck. In
Verbindung mit Methotrexat kann es jedoch zu Intelligenzdefekten und selten auch zum Tod durch Ausbildung einer nekrotischen Leukoenzephalopathie fçhren (Bleyer et al. 1980, Ball et al. 1992).
O Die spåte Spåtphase erstreckt sich von milden, diskret
ausgeprågten neuropsychologischen Defiziten çber
neurologische fokale Befunde bis zur letalen Hirnnekrose. Die Inzidenz der progredienten Hirnschrankenstærung mit Ausbildung einer Hirnnekrose hångt von
147
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148
5.3 Strahlentherapie
Tabelle 5.6 Toleranzdosen von Risikoorganen in Abhångigkeit des bestrahlten Volumens (nach Rubin 1975, Emami 1993, Debus 1997)
Organ
Strahlenfolge
TD5/5 [Gy]
TD50/5 [Gy]
Zielvolumen
Gehirn
Nekrose, Infarkt
60
70
gesamt
70
80
25 %
50
65
gesamt
Hirnstamm
Nekrose, Infarkt
1 mm3
60
Chiasma opticum
Erblindung
50
65
gesamt
N. opticus
Erblindung
50
65
volumenunabhångig
Retina
Visusverlust
55
70
gesamt
Linse
Katarakt
5
12
volumenunabhångig
Rçckenmark
Myelopathie, Nekrose
50
70
10 cm Långe
peripherer Nerv
Neuropathie
60
75
10 cm Långe
Tabelle 5.7 Toleranzdosen verschiedener Hirnnerven bzw. Hirnareale, gçltig fçr die Radiochirurgie/Einzeitbestrahlung
Struktur
Toleranzdosis [Gy]
N. II
8
Nn. III, IV, VI
15±18
Nn. V, VI
15
N. VIII
12±15
Chiasma opticum
8
Sehbahn
8±12
Hirnstamm
12
der Nachbeobachtungszeit, der biologisch wirksamen
Gesamtdosis und dem Bestrahlungsvolumen ab. Sie tritt
Monate bis Jahre nach der Strahlentherapie auf. Neuroradiologisch ist die Differenzierung gegençber einem
Tumorrezidiv in der Regel nicht mæglich. Auch fçr die
neueren funktionellen Verfahren (MR-Spektroskopie,
MR-Perfusion, nuklearmedizinische Tracerverfahren,
PET) ist ihre endgçltige Eignung zur Differenzierung
noch nicht belegt. Die Behandlung der Hirnnekrose
besteht in der medikamentæsen Therapie des Údems
und ± falls mæglich ± der frçhen operativen Ausråumung der Nekrose, da sich hierdurch die Prognose
gçnstig beeinflussen låsst (Woo et al. 1987).
Beurteilung der Strahlentoleranz von Organen
Einflussfaktoren. Neben individuellen Faktoren wie Alter
bzw. Reifungsgrad, Traumata, Stoffwechselerkrankungen,
und den gewebespezifischen Unterschieden wird die
Toleranz des Gehirns vor allem von Bestrahlungsparametern beeinflusst: Die Hæhe der Gesamtdosis, die Hæhe der
Einzelfraktion, also die Zahl der Fraktionen und die Græûe
des bestrahlten Volumens stellen die entscheidenden
Faktoren dar.
Abschåtzung des Strahlenrisikos. Zur Charakterisierung
der Strahlentoleranz der unterschiedlichen Organe (Funktionsgruppen) dienen TD5/5- und TD50/5-Werte. Hierunter
versteht man die Gesamtdosis eines homogen bestrahlten
Organs, bei der in 5 % bzw. 50 % der Fålle innerhalb von
5 Jahren nach Bestrahlung eine schwere Schådigung zu
erwarten ist (Emami et al. 1991, Rubin et al. 1989). Einen
ganz wesentlichen Beitrag zur Abschåtzung des Strahlenrisikos bildet das von Sheline et al. entwickelte NominalStandarddosis-Konzept (NSD-, Neuret-Konzept). Danach
liegt das Risiko einer Hirnnekrose bei einer Ganzhirnbestrahlung bei 52 Gy 6 2 Gy Gesamtdosis in çblicher
Fraktionierung mit 2 Gy Einzeldosis unter 0,5 %. Erhæht
man die Gesamtdosis auf 60 Gy, liegt das Risiko bei 5 %
(Pezner et al. 1981, Cohen et al. 1983). Wird die Einzeldosis
auf 2,5 Gy und mehr erhæht, steigt das Risiko einer
radiogenen ZNS-Schådigung deutlich an (Caveness et al.
1980).
Das gegenwårtig beste Modell fçr Isoeffekt-Berechnungen ist das linear-quadratische Modell. Es berçcksichtigt
den Einfluss der Dosis pro Fraktion. Legt man die
Toleranzdosis einer konventionell fraktionierten Strahlentherapie mit 5 3 2 Gy pro Woche zugrunde, dann sagt ein
a/b-Quotient von 3 Gy fçr Hirnparenchym, dass mit
Einzeldosen von 1 Gy die Toleranzdosis auf das 1,25 fache
zunimmt.
Bestrahlungsvolumen. Ein weiterer entscheidender Faktor fçr die Strahlentoleranz des ZNS stellt die Græûe des
bestrahlten Volumens dar. Das Bestrahlungsvolumen ist
kein frei wåhlbarer Parameter, sondern von dem Zielvolumen und der Bestrahlungstechnik abhångig. Im Idealfall
stimmt das Bestrahlungsvolumen mit dem Zielvolumen
çberein und ist nur durch die Tumorausdehnung unter
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Einschluss eines Infiltrationssaums mit dem subklinischen
Befall definiert. Emami et al. publizierten 1991 Toleranzdosen des gesunden ZNS in Abhångigkeit der Bestrahlungsvolumina. Bei Ganzhirnbestrahlung çber 60 Gy, mit Einzeldosen von tåglich 2 Gy, wird ein steiler Anstieg der
Nekrosewahrscheinlichkeit beobachtet. Bei 60 Gy gibt er
das Nekroserisiko innerhalb von 5 Jahren mit 50 % an
(TD50/5). Bei einer Volumenbelastung von nur einem
Drittel belåuft sich das Nekroserisiko bei 60 Gy auf nur
5 % in 5 Jahren (TD5/5), bei 75 Gy hingegen auf 50 %/TD50/
5) (Pezner et al. 1981, Emami et al. 1991). Entscheidend fçr
die Vermeidung von Spåtfolgen ist die Hæhe der Einzeldosis, welche 1,8 Gy in der Risikostruktur nicht çberschreiten sollte. Tab. 5.6 zeigt die Toleranzdosen unterschiedlicher Risikostrukturen in Abhångigkeit der Græûe
des bestrahlten Volumens bei konventioneller Fraktionierung, Tab. 5.7 bei Einmalbestrahlung. Da die Therapiefolgen oft erst nach Jahren manifest werden, sind regelmåûige langjåhrige strahlentherapeutische Nachkontrollen
notwendig.
5.4
Radiochirurgie
J. Voges, V. Sturm
Der Begriff Radiochirurgie wurde erstmalig 1951 durch den
schwedischen Neurochirurgen Lars Leksell sinngemåû wie
folgt geprågt: Durch die Kombination extrem fokussierter
energiereicher Strahlung, die von einer externen Strahlenquelle bereitgestellt wird, mit stereotaktischen Zielpunktlokalisationsverfahren ist es mæglich, eine hohe Einzeldosis
auf ein zuvor genau definiertes Zielvolumen zu applizieren
und gleichzeitig aufgrund des dabei generierten steilen
Dosisgradienten das umliegende Gewebe optimal zu
schonen (Leksell 1951).
Einer allgemein gehaltenen Definition zufolge versteht
man unter Radiochirurgie ¹jede Form der Applikation
energiereicher ionisierender Strahlen, die ± sei es in der
experimentellen Biologie oder der klinischen Medizin ±
mit der Absicht vorgenommen wird, eine zuvor definierte
Zielstruktur, die gesunde und/oder pathologisch verånderte Zellen enthålt, pråzise und vollståndig zu zerstæren,
ohne das Gewebe in der Umgebung im Sinne eines frçhen
oder spåten Strahlenschadens zu schådigenª (Larsson
1992).
Weiterhin ist es sinnvoll, zwischen ¹nichtinvasiver
Radiochirurgieª (= externe Strahlenquelle) und ¹invasiver
Radiochirurgieª (= stereotaktisch-neurochirurgische Implantation einer Strahlenquelle) zu unterscheiden. Anstelle
der invasiven Radiochirurgie werden auch synonym die
Ausdrçcke ¹interstitielle Bestrahlungª bzw. ¹Brachytherapieª gebraucht. Die ¹intrakavitåre Bestrahlungª ist eine
Sonderform der invasiven Radiochirurgie, die fçr die
Behandlung von zystischen Raumforderungen reserviert
ist.
5.4.1
Apparative Voraussetzungen
Die allgemeinen methodische Voraussetzungen entsprechen teilweise der bereits im Kap. 3.3 beschriebenen
Vorgehensweise. Zusammengefasst sind folgende Maûnahmen durchzufçhren:
O zuverlåssige Fixierung des Patientenkopfes in einem
stereotaktischen Rahmen,
O Integration von hoch auflæsenden 3D-CT- und/oder
MRT-Bildern in das stereotaktische Koordinatensystem,
O rechnergestçtzte, multiplanare 3D-Behandlungsplanung.
Nichtinvasive Radiochirurgie
Theoretisch sind Protonen bzw. andere schwere Ionen
aufgrund einer bestimmten physikalischen Eigenschaft ±
dem sog. Bragg-Peak (= definierter Punkt, an dem korpuskulåre Strahlen, kurz bevor sie sich abschwåchen, nahezu
ihre gesamte Energie deponieren) ± sehr geeignet zur
Durchfçhrung nichtinvasiver radiochirurgischer Behandlungen. Geråte, die Protonen bzw. schwere Ionen generieren (Zyklotron bzw. Synchrotron), sind jedoch extrem teuer
und stehen weltweit nur in wenigen Institutionen zur
Verfçgung, sodass im Folgenden die Behandlungseinheiten
beschrieben werden, die Photonen emittieren. Abhångig
vom Ursprung der Photonen wird zwischen Gammastrahlung (natçrlicher radioaktiver Zerfall, Gammaknife) und
Ræntgenstrahlung (kçnstlich erzeugte Bremsstrahlung,
Linearbeschleuniger [LINAC]) unterschieden (Verhey u.
Smith 1995).
Gammaknife. In dieser Behandlungseinheit sind 201 Cobalt-60-Quellen in einer Halbkugel derart konzentrisch
angebracht, dass sich die Achsen der emittierten Strahlung
an einem bestimmten Punkt ± dem Dosismaximum ±
schneiden. Wåhrend des natçrlichen Zerfalls von Co-60
entsteht eine Photonenstrahlung mit einer mittleren
Energie von 1,25 MeV. Die Halbwertszeit von Co-60 betrågt
5,26 Jahre. Im Regelfall ist ca. 5 Jahre nach Installation der
Strahlenquellen ein Austausch erforderlich.
Linearbeschleuniger (LINAC). Linearbeschleuniger generieren Photonenstrahlung durch den Vorgang der ¹Bremsstrahlungª. Die emittierte Energie wird von der Ausgangsleistung des LINAC bestimmt (bei 6 MeV z. B. 2 MeV). Die
im LINAC vorkollimierte Strahlung wird fçr die Radiochirurgie zusåtzlich durch sog. tertiåre Kollimatoren eingeblendet. Tertiåre Kollimatoren mit kreisfærmiger Úffnung
generieren eine kugelfærmige Dosisverteilung. Flexibler als
mit dem Gammaknife kann ein Set von mehreren Kollimatoren genutzt werden, sodass die Felddurchmesser in
kleinen Schritten von 4±40 mm zunehmen.
149
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150
5.4 Radiochirurgie
a
b
Abb. 5.28 a u. b Gammaknife und Linearbeschleuniger.
a Schematischer Aufbau eines Gammaknife (modifiziert nach
Verhey u. Smith 1995): Strahlenquellen und Úffnungen bilden
zusammen die eigentliche Bestrahlungseinheit (A). Der an die
bewegliche Patientenliege (D) adaptierte Kollimatorhelm (C)
bestimmt die definitive Græûe des Bestrahlungsfeldes. Ûber
austauschbare Kollimatoren lassen sich 4 verschiedene Feldgræûen (Durchmesser: 4, 8, 14 und 18 mm) generieren. Zur
Behandlung wird der mit seinem Kopf im stereotaktischen
Rahmen (C) fixierte Patient auf der Patientenliege positioniert
und der Stereotaxierahmen so im Helm befestigt, dass der
errechnete Zielpunkt mit dem geometrischen Dosismaximum
çbereinstimmt. Nach Úffnen des Verschlusses der Bestrahlungseinheit (B) fåhrt die Patientenliege in die Behandlungsposition,
wobei der Kollimator mit der Bestrahlungseinheit verbunden
wird.
Invasive Radiochirurgie
I-125 Seed. Fçr die Anwendung bei soliden Tumoren wird
I-125 an Ionenaustauschharz gebunden und zusammen
mit einem Ræntgenmarker in einer Titankapsel eingeschweiût. Dieses ¹Seedª hat eine Långe von 4,5 mm und
einen Auûendurchmesser von 0,8 mm. Emittiert wird eine
extrem niederenergetische Gammastrahlung (Tab. 5.8; Hilaris 1968). Die çblicherweise applizierte Tumoroberflåchendosis betrågt 60±80 Gy (50±65 Gy nach TG43; Nath et
al. 1995).
b Darstellung der mechanischen Funktion eines Linearbeschleunigers: Die Gantry rotiert in einer vertikalen Ebene (A) und trågt
den Bestrahlungskopf. Die Patientenliege rotiert um eine
horizontale Ebene (B) und låsst sich zusåtzlich durch Schrittmotoren in den 3 Raumachsen bewegen. Das Isozentrum des
LINAC (C) markiert den Schnittpunkt der Drehachsen von
Patientenliege und Gantry und sollte sich idealerweise unabhångig von deren Position immer an der gleichen Stelle
befinden. Der Stereotaxierahmen ist entweder fest mit der
Patientenliege verbunden oder wird durch eine auf dem
Fuûboden stehende Halterung unterstçtzt. Nach Justierung des
errechneten Zielpunkts in das Isozentrum des LINAC wird in
mehreren Tischpositionen bzw. mit unterschiedlichen Rotationswinkeln der Gantry bestrahlt.
Y-90, P-32. Diese Strahlenquellen werden als kolloidale
Læsungen angeboten. Sie unterscheiden sich bezçglich
Halbwertszeit, emittierter Energie sowie Eindringtiefe im
Gewebe (Tab. 5.8) und ermæglichen die Gabe einer sehr
hohen Strahlendosis von z. B. 200 Gy auf die Wand einer
Zyste.
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Tabelle 5.8 Wesentliche physikalische Eigenschaften von stereotaktisch applizierbaren Strahlenquellen
Parameter
Y-90
P-32
I-125
emittierte Strahlung
Betastrahlung
Betastrahlung
Gammastrahlung
Halbwertszeit
2,7 Tage
14,3 Tage
60,3 Tage
maximal emittierte Energie
2,27 MeV
1,7 MeV
28±32 KeV
Halbwertschichtdicke fçr
Gewebe (Blei)
1,1 mm
0,8 mm
20 mm
(0,025 mm)
a
b
c
d
e
f
Abb. 5.29 a±f Computerassistierte multiplanare 3D-Bestrahlungsplanung.
a ± c Invasive Radiochirurgie; I-125-Seeds, anaplastisches Astrozytom.
d ± f Nichtinvasive Radiochirurgie; LINAC, hormoninaktives Hypophysenadenom.
5.4.2
Indikationen und klinische Daten
Nichtinvasive Radiochirurgie
Meningeome. Ideale Indikationen sind kleine bis mittelgroûe (maximaler Durchmesser 35±40 mm), nichtresezierbare oder teilresezierte Meningeome der Schådelbasis bzw.
in parasagittaler Lokalisation (Tab. 5.9). Im Bereich der
Schådelbasis ist auf einen ausreichenden Sicherheitsabstand (mind. 2 mm) des Tumors zum vorderen optischen
System zu achten (Abb. 5.30 a u. b).
Akustikusneurinome. Eine radiochirurgische Behandlung
ist fçr kleine Neurinome indiziert (Abb. 5.30 d), wenn diese
Tumoren nicht oder nur unwesentlich den angrenzenden
Hirnstamm bzw. das Kleinhirn komprimieren (Kap. 7.8).
MRT-gestçtzte Behandlungsplanung sowie eine deutliche
Reduktion der therapeutischen Dosis hatten wåhrend der
letzten Jahre eine deutliche Verbesserung der Ergebnisse
zur Folge mit signifikanter Zunahme des Anteils von
Patienten mit erhaltenem Hærvermægen bzw. Reduktion
der Inzidenz radiogener Neuropathien von Hirnnerven
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5.4 Radiochirurgie
Tabelle 5.9 Zusammenfassung klinischer Ergebnisse nach radiochirurgischer Behandlung von Meningeomen der Schådelbasis
Autor
TK
Dosis [Gy] Lokalisati- Pat. [n]
on
FU [Mon.] Klinische
Verbesserung
[%]
Lokale Tumor- Morbiditåt [%]
Mortalitåt
kontrolle [%]
[%]
transient permanent
Muthukumar 1998
GK
15
Tent
41
36
46
98
2,5
0
0
Lee 2002
GK
13
SC
159
39
29
94
1,9
5,0
0
Nicolato
2001
GK
15
HSG
62
29
k. A.
95
6,5
0
0
Nicolato
2002
GK
14,6
SC
122
49
k. A.
97,5
3,0
1,0
0
Villavicencio LC
2001
15
SB
56
28
34
96
1,0
9,0
0
Kæln, akt.
Daten
(2002)
12
SB
69
53
32
93
6,0
3,0
0
LC
TK = radiochirurgische Technik; GK = Gammaknife; LC = LINAC-Radiochirurgie; Tent = Tentorium; SC = Sinus cavernosus; HSG = hintere
Schådelgrube; SB = Schådelbasis; FU = Nachbeobachtung; k. A. = keine Angabe. Die Angaben zu Dosis bzw. Nachbeobachtungszeit sind Medianoder Mittelwerte.
Tabelle 5.10 Zusammenfassung der klinischen Ergebnisse nach radiochirurgischer Behandlung von Akustikusneurinomen
Autor
TK
Dosis
[Gy]
Pat.
[n]
FU
Lokale
[Mon.] Tumorkontrolle [%]
Neuropathie N. V [%]
Neuropathie N. VII [%]
transient
permanent
transient
permanent
HV [%]
Norn 1993 GK
18±20 254
54
94 UL
84 BL
15
4
13
4
60
Norn 1998 GK
10±15 55
35
93
0
1,8
0
0
71
Flickinger
2001
13
190
30
97
1
2
0
1
(a) 71.0
(b) 73.5
Spiegelman LC
2001
14.6
44
32
98
0
18
16
8
71
Foote 2001 LC
14
149
36
93
k. A.
29 (vor 1994)
2 (seit 1994)
GK
29 (vor 1994) k. A.
5 (seit 1994)
TK = radiochirurgische Technik; GK = Gammaknife; LC = LINAC-Radiochirurgie; FU = Nachbeobachtung; UL = unilateral; BL = bilateral;
HV = Erhalt des pråoperativ dokumentierten Hærvermægens; k.A. = keine Angaben. Die Angaben zu Dosis bzw. Nachbeobachtungszeit
sind Median- oder Mittelwerte. Angegeben ist der prozentuale Anteil von Patienten, bei denen ein bestimmter vor Radiochirurgie
dokumentierter Status erhalten werden konnte. Norn (1993, 1998): Status 2 Jahre nach Radiochirurgie fçr Patienten mit einem
Hærvermægen der Klasse I±II nach Gardner-Robertson. Flickinger (2001): aktualisierte 5-Jahres-Werte fçr (a) Gardner-Robertson I±IV
bzw. (b) Gardner-Robertson I±II. Spiegelman: Erhalt eines ¹nçtzlichenª Hærvermægens
(Tab. 5.10; Norn et al. 1993, Norn 1998, Friedman et al.
2000, Foote et al. 2001).
Hypophysenadenome. Radiochirurgie ist indiziert bei
nichtresezierbaren, teilresezierten oder rezidivierenden
Makroadenomen mit einem Maximaldurchmesser von ca.
30 mm und einem Abstand von mind. 2 mm zum vorderen
optischen System (Engenhardt et al. 1999). Lokale Tumorkontrollraten (. 90 %) und Neurotoxizitåt (0±4 %) sind mit
den Ergebnissen nach fraktionierter Strahlentherapie vergleichbar. Das Risiko einer Hypophyseninsuffizienz liegt
mit 0±16 % deutlich unterhalb der fçr die fraktionierte
Strahlentherapie publizierten Werte. Eine Normalisierung
des Hormonexzesses wird bei STH und ACTH sezernierenden Adenomen fçr etwa 50 % der Patienten innerhalb der
ersten 2 Jahre nach Therapie und damit wesentlich frçher
als nach fraktionierter Strahlentherapie dokumentiert
(Grosu et al. 2000, Voges u. Kocher 2002).
Zerebrale Metastasen. Im Jahre 1987 von Sturm et al.
(Sturm et al. 1987) zur Therapie von strahlenresistenten,
singulåren zerebralen Metastasen implementiert, wurden
Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag
5 Grundlagen der speziellen Therapie
Abb. 5.30 a±d Fallbeispiele zur nichtinvasiven Radiochirurgie.
a Falxmeningeom, vor und 3 Jahre nach Radiochirurgie.
b Schådelbasismeningeom, vor und 7 Jahre nach Radiochirurgie.
bis 1998 weltweit ca. 2700 Filiae unterschiedlicher Strahlensensibilitåt radiochirurgisch behandelt (Boyd u. Mehta
1999). Ideal sind Metastasen bis zu einem maximalen
Durchmesser von 30 mm. Die einzeitige Behandlung von
bis zu 3 Tumoren ist mæglich. Auch kann die radiochirurgische Behandlung im Einzelfall wiederholt angewendet werden. Eine bioptische Klårung ist nach Auffassung der Autoren nicht erforderlich, wenn 3±5 Jahre
nach Erstmanifestation der Grunderkrankung CT- oder
MRT-Bilder einen typischen intrazerebralen Befund dokumentieren. Allerdings lag die Rate nichtmetastatischer
zerebraler Raumforderungen bei bekanntem Primårtumor
in einer Studie bei 10 % (Patchell et al. 1990). Die lokale
Tumorkontrollrate betrågt nach Radiochirurgie etwa 87 %.
Die Morbiditåt ist gering (Strahlennekrose ca. 4 %, Schådigung von Hirnnerven ca. 1 %). Retrospektiven Daten zufolge
bewirkt die Radiochirurgie eine Lebensverlångerung von
im Median 11±16 Monaten (16 Publikationen, Ûbersicht
bei Boyd u. Mehta 1999). Eine Kombination von Radiochirurgie und fraktionierter Strahlentherapie ist mæglich,
Bedeutung und zeitliche Abfolge der Strahlentherapie in
Zusammenhang mit der Radiochirurgie sind allerdings
noch nicht hinlånglich durch prospektiv-randomisierte
Studien geklårt.
c Adenokarzinommetastase vor und 3 Monate nach Radiochirurgie.
d Akustikusneurinom vor und 7 Jahre nach Radiochirurgie.
Maligne zerebrale Gliome. Im Rahmen einer prospektiven Multicenter-Studie wurden 115 Patienten mit malignem Gliom durch eine Kombination bestehend aus
Operation, RT (54±60 Gy) und LINAC-Radiochirurgie behandelt (Sarkaria et al. 1995). Einschlusskriterien waren:
histologische Diagnose (anaplastisches Astrozytom [AA]
oder Glioblastom [GBM]), klinischer Status des Patienten
(Karnofsky-Index von mindestens 70 %) und Tumorgræûe
(# 4 cm). Das mediane Ûberleben fçr Patienten mit einem
GBM betrug 21 Monate bei einer 2-Jahres-Ûberlebenswahrscheinlichkeit von 38 %. Patienten mit einem AA
hatten bei einer 2-Jahres-Ûberlebensrate von 72 % zu
Studienende das mediane Ûberleben noch nicht erreicht
(Sarkaria et al. 1995).
In einer zweiten, monozentrisch durchgefçhrten Studie
wurden 64 Patienten mit einem GBM und 43 Patienten mit
einem AA entweder als Teil des initialen Therapiekonzepts
(GBM: 70 %, AA: 47 %) oder bei Auftreten eines Tumorrezidivs durch Gammaknife therapiert (mittlere therapeutische Dosis: 15 Gy, mittleres Tumorvolumen: 6,5 ml)
(Kondziolka et al. 1997). Medianes Ûberleben bzw. 2Jahres-Ûberlebenswahrscheinlichkeit nach Behandlung
waren fçr GBM-Patienten 16 Monate bzw. 38 % und bei
Erkrankung an einem AA 21 Monate bzw. 49 % (Kondziolka
153
Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag
154
5.4 Radiochirurgie
Abb. 5.31 a±d Fallbeispiele zur invasiven Radiochirurgie.
a Pilozytisches Astrozytom des Caput nuclei caudati, vor und
4 Jahre nach Seed-Implantation.
b Pilozytisches Astrozytom des Thalamus, vor und 8 Jahre nach
Seed-Implantation.
c Oligoastrozytom WHO-Grad II der Insel in der dominanten
Hemisphåre, vor und 4 Jahre nach Seed-Implantation.
d Astrozytom WHO-Grad II des Mesenzephalon, vor und 7 Jahre
nach Seed-Implantation.
Tabelle 5.11 Klinische Ergebnisse nach invasiv radiochirurgischer Behandlung von nicht resezierbaren niedermalignen Gliomen
Tumor
Autor
Pat. [n]
FU
[Mon.]
Lokalisation [%]
Ûberlebenswahrscheinlichkeit [%]
ML
ST
HSG
nach 5 J.
nach 10 J.
pilozytisches As- Kreth 1995
trozytom (WHOKæln aktual. DaGrad I)
ten, 2001
97
57
91
9,0
-
85
96
82
58
80,7
16,7
2,6
83
82
Gliome (WHOGrad II)
Kreth 1995
358
57
44,0
56,0
-
55
47
Kæln aktual. Daten, 2001
139
48
9,4
90,2
1,4
71
36
ML = Mittellinie; ST = supratentoriell; HSG = hintere Schådelgrube
et al. 1997). Bei 20 % (Kondziolka et al. 1997) bis 29 % der
Patienten (Sarkaria et al. 1995) wurde nach Radiochirurgie
erneut eine Tumorresektion durchgefçhrt. Histolopathologisch wurde bei 3±7 % dieser Patienten eine Radionekrose
diagnostiziert.
Aufgrund der folgenden Punkte kann nach derzeitiger
Datenlage die nichtinvasive Radiochirurgie von malignen
Gliomen auûerhalb von Studienprotokollen nicht regelhaft
empfohlen werden:
O Weil sich Strahlennekrosen ausbilden kænnen, kænnen
im Prinzip nur die Tumoren therapiert werden, bei
denen aufgrund ihrer Lokalisation die chirurgische
Entfernung dieser Raumforderung mæglich ist.
O Es fehlt bisher der definitive Wirkungsnachweis im
Rahmen einer randomisierten Studie.
O Kleines Tumorvolumen und guter Karnofsky-Index
(Tab. 6.6) der Patienten, die nach den hier zitierten
Protokollen radiochirurgisch behandelt wurden, spre-
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
chen dafçr, dass sie zu einer Gruppe gehæren, die bereits
a priori als prognostisch gçnstig einzustufen ist (Curran
et al. 1993, Florell et al. 1992).
Invasive Radiochirurgie
I-125-Seeds bei zerebralen Gliomen
Indikationen. Ideale Indikationen sind im MRT gut abgrenzbare pilozytische Astrozytome (WHO-Grad I) oder
Gliome WHO-Grad II bis zu einem maximalen Durchmesser von 3,5 cm, lokalisiert in tiefen Hirnstrukturen
(Basalganglien, Thalamus, Hirnstamm) sowie in kritischen
kortikalen Arealen (sensomotorischer bzw. visueller Kortex, dominante Hemisphåre) (Kreth et al. 1995, Voges et al.
1993). Unter Verwendung niederaktiver Seeds wird eine
kumulative Tumoroberflåchendosis von 60±80 Gy (50±
65 Gy nach TG43 [Nath et al. 1995]) appliziert (Abb. 5.31,
Tab. 5.11).
Komplikationen. Die innerhalb des Tumors kumulierende, extrem hohe Strahlendosis kann eine radiogene Stærung
der Blut-Hirn-Schranke mit nachfolgendem vasogenen
Údem induzieren. Wesentlicher Risikofaktor fçr das Auftreten dieser Komplikation, die bei 2,1 % (Kreth et al. 1997)
bzw. 4 % (Eigene Daten 2001) der Patienten zu bleibenden
neurologischen Defiziten fçhrt, ist das Volumen der
intratumoralen 200-Gy-Isodose (kritisches Volumen:
4,5 ml). Wird diese Beziehung durch behandlungsrelevante
Parameter ausgedrçckt, dann gehæren bei Applikation
einer therapeutischen Dosis von 60 Gy Patienten, die ein
Tumorvolumen von , 23 ml aufweisen, in die Gruppe mit
deutlich reduziertem Risiko fçr das Auftreten radiogener
Komplikationen (, 3 %) (Kreth et al. 1997).
Niederaktive I-125-Seeds. Im Falle von malignen Gliomen (WHO-Grad III oder IV) wird einer retrospektiven
Analyse von Ostertag und Kreth zufolge (75 Patienten)
durch alleinige Radiochirurgie mit niederaktiven I-125Seeds ein medianes Ûberleben von 8 Monaten und eine 2Jahres-Ûberlebenswahrscheinlichkeit von 36 % erreicht
(Ostertag u. Kreth 1992). Im Gegensatz dazu haben
Patienten, bei denen in der eigenen Klinik nach einem
prospektiven Protokoll nichtresezierbare Gliome vom
WHO-Grad III primår durch eine Kombination von Radiochirurgie unter Verwendung niederaktiver I-125-Seeds
(kumulative Tumoroberflåchendosis 60 Gy) und konventioneller Bestrahlung (reduzierte Boostdosis von 15±
25 Gy) behandelt wurden, eine 5-Jahres-Ûberlebenswahrscheinlichkeit von 48 % (Voges et al. 1993, aktualisierte
Daten aus 2001 von 81 Patienten mit einer medianen
aktualisierten Nachbeobachtungszeit von 60 Monaten).
Wurden Glioblastompatienten (WHO-Grad IV) primår
nach dem gleichen Protokoll bzw. mit moderat erhæhter
Dosisleistung behandelt, betrug die mittlere Ûberlebenszeit etwa 16 Monate (Voges et al. 1993). Auch in dem
eigenen Untersuchungskollektiv ist eine Positivselektion
als Mitursache fçr die guten Behandlungsergebnisse nicht
auszuschlieûen.
I-125-Seeds mit hoher Dosisleistung und Strahlendosis. Zwei prospekive Studien zeigten, dass auch eine
massive Erhæhung von Dosisleistung und Strahlendosis,
d. h. die Kombination von RT (Dosis: 50±60 Gy) mit
invasiver Radiochirurgie unter Verwendung von I-125Seeds hoher Aktivitåt die Prognose fçr Glioblastompatienten nicht verbessert. In einer unizentrischen Studie wurde
randomisiert bei insgesamt 140 Patienten mit supratentoriell lokalisiertem malignen Astrozytomen der Effekt von
invasiver Radiochirurgie als Boost (Dosis: 60 Gy, Dosisleistung: 16,8 Gy/d) in Kombination mit RT (Dosis 50 Gy,
71 Patienten) gegen Bestrahlung alleine (Dosis: 50 Gy:
69 Patienten) verglichen (Laperriere et al. 1998). Das
mediane Ûberleben war in den beiden Behandlungsarmen
statistisch nicht signifikant unterschiedlich (13,8 Monaten
nach I-125-Seed-Implantation, 13,2 Monate nach alleiniger
Bestrahlung). Ziel einer durch die Brain Tumor Cooperative
Group multizentrisch organisierten Studie war die Evaluierung des Effekts einer zusåtzlich zu Resektion, RT mit
60 Gy und systemischer Chemotherapie (BCNU) durchgefçhrten invasiv-radiochirurgischen Behandlung (kumulative Dosis: 60 Gy, Dosisleistung: 9,6 Gy/d). 85 % der
insgesamt 277 ausgewerteten Patienten waren an einem
GBM erkrankt. Die mediane Ûberlebenszeit wurde fçr
diese Patienten ebenfalls statistisch nicht signifikant
unterschiedlich mit 64,0 Wochen (I-125-Seeds) bzw.
58,1 Wochen (ohne I-125-Seeds) angegeben (Selker et al.
2002).
I-125-Seeds bei zerebralen Metastasen
Die initiale lokale Tumorkontrollrate ist einer retrospektiven Auswertung zufolge mit 92 % åhnlich gut wie nach
nichtinvasiver Radiochirurgie (Ostertag u. Kreth 1995). Die
Indikation wird in der Kælner Klinik bei solitåren Låsionen
alternativ dann gestellt, wenn aufgrund der Tumorgræûe
(. 3,5 cm) nichtinvasive Radiochirurgie nur nach deutlicher Dosisreduktion und dadurch vergleichsweise geringerer Wahrscheinlichkeit fçr einen therapeutischen Effekt
durchfçhrbar wåre.
Intrakavitåre Bestrahlung
Diese Form der invasiven Radiochirurgie wird weltweit in
wenigen Zentren zur Bestrahlung zystischer Kraniopharyngeomanteile eingesetzt. Eine signifikante Verkleinerung
der behandelten Zyste wird in 74±98 % der Fålle beobachtet
(Backlund et al. 1989, Pollock et al. 1995, Voges et al. 1997).
Radiogene Nebenwirkungen betreffen im Wesentlichen die
Funktion der Nn. optici bzw. des Chiasma opticum (5±
6,5 %) sowie des hypothalamisch-hypophysåren Systems
(4±10 %). Durch Instillation von P-32 anstelle von Y-90, das
eine vergleichsweise hæhere Eindringtiefe im Gewebe hat,
konnten diese Nebenwirkungen wesentlich reduziert werden (Voges et al. 1997).
155
Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag
156
5.5 Chemotherapie
5.5
Chemotherapie
M. Weller, U. Schlegel
5.5.1
Allgemeine Prinzipien
Bedeutung, Formen und Wirksamkeit
Bedeutung. Die Chemotherapie besitzt in der Behandlung
der meisten Hirntumoren gegençber Operation und Strahlentherapie eine nachgeordnete Bedeutung. Dies gilt
besonders fçr die astrozytåren Tumoren, bei denen in den
letzten Jahren die intensivsten Bemçhungen um einen
Durchbruch in der medikamentæsen Therapie unternommen wurden. Eine wirksame Chemotherapie wird vor
allem fçr lokal infiltrierende, schlecht abgegrenzte Tumoren benætigt, weil hier die lokalen Therapiekonzepte wie
Operation und Strahlentherapie an ihre Grenzen stoûen.
Trotz zahlreicher Enttåuschungen in der Chemotherapie
des Glioblastoms wurden jedoch fçr andere seltenere
Tumorentitåten wirksame Chemotherapiestrategien etabliert, insbesondere fçr die anaplastischen Oligodendrogliome und die primåren zerebralen Lymphome. Des Weiteren
wurden Fortschritte in der Chemotherapie der Keimzelltumoren, der Medulloblastome und zerebraler Metastasen
einzelner Tumortypen erzielt. Bei anderen Tumoren wie
z. B. den malignen Meningeomen oder den Ependymomen
sind relevante Erfolge ausgeblieben.
Formen. Chemotherapie wird entweder als Salvage-Therapie bei nach Standard-(Strahlen-)Therapie progredienten
Tumoren (z. B. Glioblastome, Hirnmetastasen) oder kombiniert mit Strahlentherapie in der Primårtherapie (z. B.
Glioblastom) oder als alleinige Primårtherapie nach Biopsie
oder Resektion (z. B. primåre zerebrale Lymphome, Oligodendrogliome) eingesetzt.
Der Begriff der adjuvanten und neoadjuvanten Chemotherapie wird in der Neuroonkologie oft unscharf eingesetzt. Adjuvant bezeichnet allgemein den Einsatz der
Chemotherapie nach einer Komplettremission infolge
zuvor verabreichter Therapie, in der Regel Operation und
Strahlentherapie, z. B. bei malignen Gliomen und Hirnmetastasen, wenn nach der Strahlentherapie kein Resttumor mehr nachweisbar ist. Neoadjuvant bezeichnet den
Einsatz der Chemotherapie vor jeder anderen Therapie und
kommt streng genommen nur beim primåren zerebralen
Lymphom zum Einsatz, weil dieser Tumor nur biopsiert
und eine Resektion nicht angestrebt wird.
Beurteilung der Wirksamkeit. Die Wirksamkeit der
Chemotherapie wird heute meist nach den MacDonaldKriterien (MacDonald et al. 1990) beurteilt, sofern ein
neuroradiologisch messbarer Resttumor vorliegt:
O Complete Response (CR) entspricht der kompletten
Rçckbildung der Kontrastmittel aufnehmenden Tumorareale in der CT oder der MRT.
O Partial Response (PR) bedeutet die Reduktion des
Kontrastmittel aufnehmenden Tumorvolumens um
mindestens 50 %.
O Progressive Disease (PD) liegt bei einer Zunahme des
Tumorvolumens um mindestens 25 % oder bei Nachweis
neuer Låsionen vor.
O Stable disease (SD) wird konstatiert, wenn weder die
Kriterien fçr PR noch die fçr PD erfçllt sind.
Fu
Èr CR und PR gilt die Forderung, dass die Steroiddosis im
Intervall nicht erho
Èht worden sein darf. Fu
Èr CR, PR oder PD
darf die Beurteilung fru
Èhestens einen Monat nach Einleitung der Therapie erfolgen.
Fehlt nach der Operation ein messbarer Resttumor, der
innerhalb von 24±72 h nach dem Eingriff durch CT oder
MRT festgestellt werden sollte, so kann nur das progressionsfreie Ûberleben als Indikator fçr den Erfolg der
Therapie herangezogen werden. Fçr Tumoren, die keine
Kontrastmittelaufnahme zeigen, u. a. die Mehrzahl der
Gliome des WHO-Grads II, mçssen modifizierte Kriterien
zur Beurteilung der Wirkung der Chemotherapie herangezogen werden. Das initiale Ansprechen auf die Chemotherapie darf aber nicht çberbewertet werden, weil sich bei
Patienten mit malignen Gliomen, die unter Chemotherapie
entweder CR, PR oder SD gezeigt hatten, kein Unterschied
in der Ûberlebenszeit nachweisen lieû (Grant et al.
1997).
Indikationen
Kriterien. Wichtigstes Kriterium fçr die Indikationsstellung zur Chemotherapie ist die histologische Diagnose
gemåû der aktuellen WHO-Klassifikation der Hirntumoren
(Kleihues u. Cavenee 2000). Zusåtzlich gehen in die
Planung der individuellen Therapiestrategie vor allem die
prognostisch wichtigen Faktoren Alter und KarnofskyIndex (Tab. 6.6) ein (DeAngelis et al. 1998), wie in den
Kapiteln zu den einzelnen Tumorentitåten ausgefçhrt ist.
Weitere Parameter. Vermutlich werden in Zukunft zusåtzliche Parameter etabliert werden, mittels derer innerhalb definierter Tumorentitåten Subgruppen von Patienten
identifiziert werden kænnen, die besonders gut oder
schlecht auf spezifische Therapieformen ansprechen. Solche Anstrengungen konzentrieren sich sowohl auf Parameter der Tumorphysiologie wie Durchblutung, Gefåûpermeabilitåt oder Glucose-Utilisation, die mittels moderner bildgebender Verfahren erfasst werden (s. a. Kap. 3.2),
als auch auf molekulargenetische und biochemische
Parameter (s. a. Kap. 2). Auf molekularer Ebene ist z. B. der
Verlust genetischen Materials auf den Chromosomenabschnitten 1 p und 19 q ein positiver Prådiktor dafçr, dass
Oligodendrogliome auf eine Chemotherapie nach dem
PCV-Protokoll (Procarbazin, CCNU, Vincristin, s.u.) ansprechen (Cairncross et al. 1998) (s. a. Kap. 7.1.6). Bei malignen
astrozytåren Tumoren scheint der Verlust der Expression
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Tabelle 5.12 Wirksamkeit von Chemotherapie bei verschiedenen Tumorentitåten
Tumor
Substanzen/Protokolle
Chemotherapie sicher wirksam
Glioblastom im Rezidiv
Temozolomid, Nitrosoharnstoffe, Procarbazin, PCV
anaplastisches Astrozytom im Rezidiv
Temozolomid, Nitrosoharnstoffe, PCV
anaplastisches Oligodendrogliom, Primårtherapie und Rezidiv
PCV, Nitrosoharnstoffe, Temozolomid
primåres zerebrales Lymphom, Primårtherapie und Rezidiv
Corticosteroide, MTX, Ara-C, PCV, Temozolomid
Hirnmetastasen bestimmter Tumoren (Keimzelltumor,
kleinzelliges Bronchialkarzinom, Mammakarzinom, malignes
Melanom)
Kap. 11
primåre intrakraniale Keimzelltumoren, Primårtherapie und
Rezidiv
platinhaltige Protokolle
Chemotherapie fraglich wirksam
Glioblastom, Primårtherapie
Nitrosoharnstoffe, ACNU + VM26, Temozolomid
Medulloblastom, Primårtherapie zusåtzlich zur Strahlentherapie
Kombinationsprotokolle, z. B. CCNU + Cisplatin + Vincristin
PNET, Primårtherapie
Kombinationsprotokolle, z. B. CCNU + Cisplatin + Vincristin
Hirnmetastasen bestimmter Tumoren (nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom)
Kap. 11
des DNA-Reparaturenzyms O6-Methylguanin-DNA-Methyltransferase (MGMT), z. B. durch Methylierung des
entsprechenden Gens, gçnstige Voraussetzungen fçr das
Ansprechen auf Carmustin (BCNU) und vermutlich auch
andere Alkylanzien zu schaffen (Esteller et al. 2000). Bevor
solche Parameter aber nicht durch prospektive Studien in
ihrer prognostischen Bedeutung validiert wurden, sollen
sie nicht zur individuellen Therapieplanung herangezogen
werden. Tab. 5.12 fasst die Tumorentitåten zusammen, bei
denen Chemotherapie gesichert oder fraglich Wirksamkeit
zeigt.
5.5.2
Applikationsformen
Systemische Chemotherapie
Prinzip. Die intravenæse Applikation ist die håufigste
Verabreichungsform von Zytostatika. Fçr die intravenæse
Gabe von Pharmaka spricht die Ûberlegung, dass alle
Tumorzellen mittelbar Zugang zur Zirkulation besitzen
mçssen, um çberleben zu kænnen, und dass deshalb nur
der Zugang çber die Zirkulation potenziell die Abtætung
aller Tumorzellen erlaubt.
Einschrånkungen. In der Neuroonkologie stehen dieser
Applikationsform aber natçrliche Barrieren entgegen. Fçr
wasserlæsliche Zytostatika stellt die zumindest im Randbereich der meisten Gliome intakte Blut-Hirn-Schranke ein
pharmakokinetisches Hindernis dar, das umso ausgeprågter ist, je wasserlæslicher das Zytostatikum bzw. je intakter
die Blut-Hirn-Schranke ist. Obwohl die Kontrastmittel-
aufnahme maligner Tumoren in CT und MRT nahelegt, dass
hier keine relevante Blut-Hirn-Schranke bzw. Blut-TumorSchranke vorliegt, kann nicht gefolgert werden, dass das
Zentrum dieser Tumoren tatsåchlich adåquat durchblutet
wird, weil einzelne Tumorareale aufgrund von arteriovenæsen Shunts durchaus auch im Tumorzentrum minderperfundiert sein kænnen.
Sowohl fu
Èr niedriggradige Gliome ohne Kontrastmittelaufnahme als auch fu
Èr Mikrometastasen ist davon auszugehen, dass wasserlo
Èsliche, nichtlipophile Zytostatika
kaum eine Wirkung entfalten ko
Ènnen, da sie die Tumorzellen nicht erreichen.
Bei hirneigenen Tumoren kommt hinzu, dass keinesfalls
alle Zellen Kontakt zu Blutgefåûen haben und gerade die
nicht resezierten Zellen als Einzelzellen diffus im Gewebe
inmitten des Parenchyms verteilt sind. Strategien, die
lokale Wirkstoffkonzentration am Hirntumor durch transiente Eræffnung der Blut-Hirn-Schranke mittels hyperosmolarer Læsungen (McAllister et al. 2000) oder des
Bradykininagonisten RMP-7 (Ford et al. 1998) zu erhæhen,
haben sich nicht durchgesetzt bzw. in Phase-III-Studien
keine Wirksamkeit gezeigt. Weitere Limitationen erfåhrt
die systemische Chemotherapie bei Tumoren mit leptomeningealer Tumorzellaussaat, die nicht nur aus soliden
Tumorzellrasen besteht, die çber die Blutzirkulation
erreicht werden, sondern bei der der Liquor selbst
nichtadhårente vitale Tumorzellen enthålt. Aufgrund dieser Einschrånkungen wurden verschiedene alternative
Strategien der Zytostatikaapplikation entwickelt, unter
157
Schlegel, Weller, Westphal. Neuroonkologie (ISBN 3131090626) © 2003 Georg Thieme Verlag
158
5.5 Chemotherapie
denen nur die intrathekale Chemotherapie bei wenigen
Indikationen einen festen Stellenwert besitzt. Allen im
Folgenden diskutierten alternativen Applikationsformen
ist das Ziel gemeinsam, die Wirkstoffkonzentration an den
Tumorzellen unter Reduktion systemischer Toxizitåt zu
erhæhen.
Intrathekale Chemotherapie
Prinzip. Bei der intrathekalen Chemotherapie wird das
Zytostatikum çber einen ventrikulåren oder lumbalen
Zugang direkt in das Liquorkompartiment eingebracht. Die
intraventrikulåre Gabe çber ein Ommaya-Reservoir oder
ein Rickham-Reservoir ist der Applikation çber wiederholte Lumbalpunktionen vorzuziehen, da bei intraventrikulårer Applikation eine gleichmåûigere Verteilung des
Zytostatikums im Liquorkompartiment gewåhrleistet ist
und da wiederholte Lumbalpunktionen mit Zytostatikainstillation håufig zu lokalen Komplikationen fçhren. Bei
intrathekaler Chemotherapie ist mit einer Eindringtiefe
von nur wenigen Millimetern aus dem Liquorkompartiment in das angrenzende Hirnparenchym zu rechnen,
sodass die intrathekale Chemotherapie meist in Kombination mit Strahlentherapie oder systemischer Chemotherapie eingesetzt wird.
Medikamente und Indikationen. In Deutschland zugelassen fçr die intrathekale Therapie sind Methotrexat
(MTX), Cytosinarabinosid (Ara-C) und Thiotriethylenphosphoramid (Thio-TEPA), meist kurz als Thiotepa
bezeichnet. Indikationen fçr die intrathekale Chemotherapie sind einige Formen der Meningeosis neoplastica
(s. a. Leitlinien der neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft [NOA] in der Deutschen Krebsgesellschaft,
www.neuroonkologie.de, und der Deutschen Gesellschaft
fçr Neurologie, www.dgn.de), insbesondere bei lymphoproliferativen Erkrankungen (Kap. 7.9, Kap. 11). Auf die
Toxizitåt der intrathekalen Chemotherapie wird weiter
unten sowie in den Kapiteln zu speziellen Tumorentitåten
hingewiesen.
Intraarterielle Chemotherapie
Prinzip. Die intraarterielle supraselektive Injektion eines
Zytostatikums im Rahmen der konventionellen Angiographie soll ein begrenztes, tumortragendes Hirnkompartiment mit der Wirksubstanz perfundieren und dadurch
bei geringerer systemischer Toxizitåt die Dosis im Tumor
erhæhen. Sinnvoll erscheint dieser Ansatz a priori nur bei
lipophilen Substanzen, die sehr rasch in den Tumor
diffundieren.
Beurteilung. Die klinischen Erfahrungen mit dieser Strategie çber 2 Dekaden haben den theoretischen Vorteil des
Prinzips nicht beståtigt: Die meist mit Nitrosoharnstoffen
und in letzter Zeit mit Platinderivaten durchgefçhrte
intraarterielle Therapie war der konventionellen systemischen Applikation nicht çberlegen ± im Gegenteil traten
sowohl mehr akute Nebenwirkungen wie zerebrale
Krampfanfålle und transiente Ischåmien auf (McAllister et
al. 2000) als auch permanente Komplikationen wie
Erblindung, Ertaubung und neue neurologische Defizite.
Dies galt auch bei zusåtzlicher Gabe des Bradykininagonisten RMP-7 (Cloughesy et al. 1999). Lediglich eine
Publikation beurteilt die Option der intraarteriellen Chemotherapie mit Cisplatin und Teniposid bei malignen
Gliomen weiterhin positiv (Madajewicz et al. 2000).
Insgesamt sollte eine intraarterielle Chemotherapie auûerhalb klinischer Studien nicht durchgefçhrt werden.
Interstitielle und intrakavitåre Chemotherapie
Prinzip. Prinzipiell kænnen Pharmaka nach der Resektion
einmalig oder wiederholt çber ein subkutanes Reservoir
mit Anschluss an die Resektionshæhle lokal appliziert
werden. Dieser Zugang wurde bei zahlreichen experimentellen, håufig immunologischen Therapieverfahren eingesetzt. Am besten untersucht wurde die lokale Applikation
von Carmustin (BCNU), das in biologisch abbaubaren
Polymerplåttchen (¹wafersª) als Slow-Release-Form zubereitet und in die Tumorhæhle eingebracht wurde.
Beurteilung. Diese Therapie wurde in einer randomisierten Studie bei Rezidiven maligner Gliome gut vertragen
und fçhrte zu eine geringen, aber signifikanten Verlångerung der Ûberlebenszeit (Brem et al. 1995). Diese Wirksamkeit konnte auch bei Primårtumoren nachgewiesen
werden (Westphal et al. 2003). Im Rahmen individueller
Heilversuche wurden auch verschiedene andere Zytostatika lokal appliziert, z. B. Doxorubicin und Lomustin (CCNU)
fçr postoperativ und nach Strahlentherapie progrediente
oder rezidivierte Kraniopharyngeome. Fçr diese Therapiestrategien fehlt der Wirknachweis aus kontrollierten
Studien.
5.5.3
Substanzgruppen und Resistenz
Substanzgruppen
Im Folgenden werden die wichtigsten Substanzgruppen fçr
die Chemotherapie in der Neuroonkologie vorgestellt
(Tab. 5.13). Die Indikationsstellung wird jeweils in den
Kapiteln zu den einzelnen Tumorentitåten abgehandelt.
Nitrosoharnstoffe
Wirkung. Nitrosoharnstoffe wirken unabhångig vom Zellzyklus çber die Alkylierung der DNA und hemmen dadurch
DNA- und RNA-Synthese. Resistenz gegençber Nitrosoharnstoffen wird u. a. çber das DNA-Reparaturenzym
MGMT vermittelt.
Bedeutung. Nitrosoharnstoffe sind çber die letzten Jahrzehnte die wichtigsten Pharmaka fçr die Behandlung
maligner Gliome geblieben. Es handelt sich um lipophile
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Tabelle 5.13 Wichtige Substanzen fçr die neuroonkologische Chemotherapie
Substanz
Dosis und Applikation
Blut-Hirn-SchrankenPenetration*
Nebenwirkungen**
ACNU
100 mg/m2 i. v. 3 6 Wochen
+
Lungenfibrose
BCNU
150±200 mg/m2 i. v. 3 6 Wochen oder 80 mg/m2/d an den
Tagen 1±3 3 8 Wochen
+
Lungenfibrose
CCNU
100±130 mg/m2 p.o. 3 6 Wochen
+
Lungenfibrose
Etoposid (VP16)
verschiedene Schemata i. v. und p.o.
±
±
Teniposid (VM26)
verschiedene Schemata i. v.
±
±
Cisplatin
verschiedene Schemata i. v.
-
Polyneuropathie
Ototoxizitåt
Carboplatin
verschiedene Schemata i. v.
-
Polyneuropathie
Procarbazin
130±150 mg/m2 p.o. Tage 1±28 3 4 Wochen
+
Allergie
Temozolomid
150±200 mg/m2 Tage 1±5 3 4 Wochen
+
Diarrhæ
Topotecan
1,5 mg/m2 Tage 1±5 3 3 Wochen
+
±
Methotrexat (MTX)
bis 8 g/m2 3 2 Wochen i. v.
10±15 mg i.t. 2±3/Woche
±/+
Nephrotoxizitåt
Cytosinarabinosid
(Ara-C)
verschiedene Schemata i. v.30±40 mg i.t. 2±3/Woche
-/+
Neurotoxizitåt
(zerebellår)
Vincristin
meist 1,4 mg/m2 i. v. (maximal 2 mg gesamt!) im Rahmen von
Kombinationsprotokollen
±
Polyneuropathie
Hydroxyharnstoff
20 mg/kg/d p.o.
+
±
Tamoxifen
20±200 mg/d p.o.
±
Retinotoxizitåt,
Thrombosen
Steroide
hohe Dosen i. v. oder p.o.
±
Nitrosoharnstoffe
Podophyllotoxine
Platinderivate
Andere Substanzen
* + = Liquorspiegel . 30 % Serumspiegel, ± = Liquorspiegel , 30 % Serumspiegel
** zusåtzlich zu Ûbelkeit und Myelosuppression
Zytostatika mit guter Penetration der Blut-Hirn-Schranke
(Tab. 5.13).
Substanzen. Die wichtigsten Nitrosoharnstoffe sind:
O BCNU: 1,3-bis-2-Chlorethyl-1-nitrosoharnstoff (BCNU,
Carmustin); BCNU ist in zahlreichen Phase-III-Studien
in der Primårtherapie maligner Gliome zusåtzlich zur
Strahlentherapie untersucht worden (Fine et al. 1993,
DeAngelis et al. 1998). Die groûen Metaanalysen, die
einen geringen positiven Effekt der Chemotherapie in
der Primårtherapie konstatiert haben, beziehen sich im
Wesentlichen auf Studien mit Nitrosoharnstoffen, besonders BCNU (Glioma Metaanalysis Trialists Group
2002).
O ACNU: 1-[(4-Amino-2-methyl-5-pyrimidinyl)methyl]3-(2-chlorethyl)-3-nitrosoharnstoff (ACNU, Nimustin);
ACNU wird vor allem in Deutschland und in Japan
eingesetzt, so u. a. in Kombination mit Teniposid
(VM26) oder Cytosinarabinosid (Ara-C) in der NOA-01Studie (Tab. 5.14; NOA 2003).
O CCNU:
1-(2-Chlorethyl)-3-cyclohexyl-1-nitrosoharnstoff (CCNU, Lomustin); CCNU hat vor allem in Kombinationsprotokollen wie dem PCV-Regime (Procarbazin, CCNU, Vincristin) fçr die Behandlung maligner
Gliome und primårer zerebraler Lymphome und dem
CCV-Regime (CCNU, Cisplatin, Vincristin) in der Therapie der Medulloblastome eine Bedeutung erlangt
(Kap. 12.2.3).
159
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160
5.5 Chemotherapie
Nebenwirkungen. Die wichtigsten Nebenwirkungen der
Nitrosoharnstoffe bestehen in einer wenige Stunden nach
Applikation auftretenden heftigen Ûbelkeit und einer
verzægerten Myelosuppression mit einem Nadir der Leukozyten- und Thrombozytenzahlen etwa 4±6 Wochen nach
der Behandlung. Zudem ist bei Behandlung mit BCNU mit
einem Risiko von 5±10 % fçr die Entwicklung einer
interstitiellen Lungenfibrose mit ungçnstiger Prognose zu
rechnen. Ob und um wie viel dieses Risiko bei Ersatz des
BCNU durch ACNU oder CCNU reduziert wird, ist nicht
durch kontrollierte Studien untersucht worden. Die unveræffentlichten Beobachtungen der Deutsch-Ústerreichischen
Gliomstudie (DÚG), in der BCNU mit BCNU plus VM26
verglichen wurde, und der nachfolgenden NOA-01-Studie,
in der ACNU plus VM26 und ACNU plus Ara-C verglichen
wurden, sprechen fçr ein deutlich geringeres Risiko der
ACNU-Therapie (B. Mçller, persænliche Mitteilung).
Procarbazin
Wirkung. Procarbazin fçhrt zur Methylierung der DNA
und Bildung eines spezifischen DNA-Adduktes (O6-Methyldeoxyguanosin), das die Replikation von DNA und die
RNA-Synthese behindert. Von Procarbazin induzierte Schåden werden durch MGMT-Aktivitåt repariert.
Bedeutung. Procarbazin hat als lipophiles Zytostatikum
ebenfalls frçhzeitig Eingang in die Chemotherapie maligner Gliome gefunden. Die Substanz wurde bis zur
Einfçhrung von Temozolomid (s.u.) håufig bei Gliomen als
Second-Line-Chemotherapie nach Versagen von Nitrosoharnstoffen eingesetzt und war in dieser Indikation nach
dem Ergebnis einer multzentrischen randomisierten Studie
dem Temozolomid marginal, aber statistisch signifikant
unterlegen (Yung et al. 2000). Derzeit besitzt Procarbazin
vor allem Bedeutung als Bestandteil der PCV-Therapie.
Nebenwirkungen. Die wichtigsten Nebenwirkungen sind
Ûbelkeit, Myelosuppression und allergische Reaktionen,
die bei 5±10 % der Patienten zum Abbruch der Therapie
fçhren.
Temozolomid
Wirkung. Temozolomid ist eine alkylierende Substanz, die
in vivo spontan den zytotoxischen methylierenden Metaboliten 5-(3-Methyltriazen-1-yl)-imidazol-4-carboxamid
(MTIC) bildet. Dass die Inaktivierung der temozolomidinduzierten DNA-Schåden durch MGMT die zellulåren Resourcen an MGMT erschæpft, wird fçr die Wirksamkeit von
Temozolomid bei prolongierter Gabe çber mehrere Tage
verantwortlich gemacht.
Bedeutung. Die meisten Erfahrungen mit Temozolomid
wurden bei der Therapie maligner Gliome gesammelt.
Aufgrund der Ergebnisse einer einarmigen Studie bei
anaplastischen Gliomen (Yung et al. 1999) und einem
randomisierten Vergleich mit Procarbazin (Yung et al.
2000) wurde Temozolomid in Deutschland fçr die Behandlung maligner Gliome zugelassen. Die Ergebnisse der im
Mårz 2002 geschlossenen EORTC-Studie 26981, die Temozolomid wåhrend und nach der Strahlentherapie mit
alleiniger Strahlentherapie in der Primårtherapie des
Glioblastoms verglich, stehen aus. Weitere Indikationsgebiete fçr Temozolomid in der Neuroonkologie deuten
sich bei der Behandlung von Hirnmetastasen und primåren
zerebralen Lymphomen an. Temozolomid ist in Tablettenform verfçgbar und wird nçchtern am Morgen eingenommen.
Nebenwirkungen. Die Vertråglichkeit ist gut.
Podophyllotoxine
Wirkung. Die Podophyllotoxinderivate Etoposid (VP16)
und Teniposid (VM26) sind Hemmstoffe der Topoisomerase
II, eines Enzyms, das fçr die Strukturintegritåt der DNA von
groûer Bedeutung ist.
Bedeutung. Teniposid wurde in der Deutsch-Ústerreichischen Gliomstudie mit BCNU kombiniert. Die Kombination war wirksamer als BCNU allein in der Gruppe der
Patienten mit hæherem Karnofsky-Index (unpublizierte
Daten). In der NOA-01-Studie wurde VM26 mit ACNU
kombiniert und zeigte dort eine ebenso gute Wirksamkeit
wie die Kombination aus Ara-C und ACNU. Etoposid ist in
einer Kombinationschemotherapie mit Platinderivaten und
anderen Zytostatika Bestandteil mehrerer Therapieprotokolle in der pådiatrischen Neuroonkologie und wird in
Kombination mit Platinderivaten bei Rezidiven anaplastischer Oligodendrogliome sowie bei Hirnmetastasen von
Bronchialkarzinomen eingesetzt.
Nebenwirkungen. Auûer der Myelosuppression fehlen
relevante Nebenwirkungen.
Platinderivate
Wirkung. Die Platinderivate Cisplatin und Carboplatin
induzieren DNA-Schåden in Form von DNA-Addukten, die
mit der Replikation und Transkription von DNA interferieren.
Bedeutung. Cisplatin und Carboplatin sind Bestandteil
zahlreicher Kombinationsbehandlungen und werden vor
allem bei nichtglialen Hirntumoren und Hirnmetastasen
eingesetzt.
Topotecan
Wirkung. Topotecan ist ein Hemmstoff der Topoisomerase
I, eines weiteren Enzyms mit Bedeutung fçr den DNAStoffwechsel.
Bedeutung. Topotecan wird als Radiosensitizer in der
Behandlung maligner Gliome und zerebraler Metastasen
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Tabelle 5.14 Håufige Chemotherapieprotokolle
Protokoll
Aufbau
Studien
PCV
(6±)8 Wochen:
O CCNU 110 mg/m2 p.o. Tag 1
O Procarbazin 60 mg/m2 p.o. Tage 8±21
O Vincristin 1,4 mg/m2 i. v. Tag 8 + Tag 29
O EORTC 26951
O MRC (2001)
O NOA-04
ACNU + VM26
6 Wochen:
O ACNU 90 mg/m2 Tag 1
O VM26 60 mg/m2 Tage 1±3
NOA-01
CCV
6±7 Wochen:
O CCNU 75 mg/m2 p.o. Tag 1
O Cisplatin 70 mg/m2 i. v. Tag 1
O Vincristin 1.4 mg/m2 i. v. Tage 1, 8, 15
NOA-06 (Medulloblastome im Erwachsenenalter, in Vorbereitung)
evaluiert und zeigt gute Wirksamkeit bei der Monotherapie zerebraler Metastasen kleinzelliger Bronchialkarzinome.
Nebenwirkung. Wichtigste Nebenwirkung ist die Myelosuppression.
Methotrexat (MTX)
Wirkung. Der Folsåureantagonist Methotrexat (MTX) ist
ein Antimetabolit.
Bedeutung. Methotrexat wird in der Neuroonkologie vor
allem systemisch in hohen Dosierungen (. 1±3 g/m2) bei
der Therapie primårer zerebraler Lymphome (Kap. 7.9) und
intrathekal bei der ZNS-Prophylaxe von Leukåmien und der
Therapie der Meningeosis neoplastica (Kap. 11.4) eingesetzt.
Nebenwirkung. Bei den in der Neuroonkologie eingesetzten Dosierungen von MTX ist die systemische Gabe von
Folinsåure einige Stunden nach Abschluss der MTXInfusion (in Abhångigkeit von dem jeweiligen Protokoll fçr
etwa 48 h) zur Vermeidung einer letalen Myelotoxizitåt
obligat. Die Folinsåure penetriert zwar die Blut-HirnSchranke, erreicht aber bei oraler Applikation in dieser
Dosis vermutlich nur geringe Konzentrationen, die nicht
mit der Wirkung der im Hirnparenchym oder im Liquorraum erreichten MTX-Konzentrationen interferieren.
Cytosinarabinosid (Ara-C)
Wirkung. Ara-C hemmt çber die Bildung der wirksamen
Metaboliten Ara-C-Diphosphat und Ara-C-Triphosphat die
DNA-Synthese. Wie bei MTX werden nur bei Hochdosistherapie (z. B. 3 g/m2) zytotoxische Konzentrationen in
Hirnparenchym und Liquorraum erreicht.
Bedeutung. Auch Ara-C wird intrathekal eingesetzt, vor
allem zur Behandlung der Liquoraussaat von Leukåmien
und Lymphomen (Kap. 11).
Vinca-Alkaloide
Wirkung. Die Vinca-Alkaloide Vincristin, Vindesin und
Vinorelbin sind Mitosehemmer, die Tubulin binden und die
Polymerisierung bei der Mikrotubulibildung stæren.
Bedeutung. Vincristin wird håufig in Kombinationschemotherapieprotokollen eingesetzt, u. a. als Bestandteil der
PCV-Chemotherapie
und
der
CCV-Chemotherapie
(Tab. 5.14). Vindesin ist Bestandteil eines Kombinationschemotherapieprotokolls bei primåren ZNS-Lymphomen
(Kap. 7.9). Vinorelbine wird zur Behandlung von Hirnmetastasen nichtkleinzelliger Bronchialkarzinome eingesetzt.
Hydroxyharnstoff
Wirkung. Hydroxyharnstoff hemmt das Enzym Ribonukleosiddiphosphatreduktase, das Deoxyribonukleotide
fçr die DNA-Synthese bereitstellt. Da die Substanz einen
G0/1-Zellzyklusarrest induziert, wurde sie eingehend als
Radiosensitizer evaluiert.
Bedeutung. Hydroxyharnstoff wurde in unkontrollierten
Serien als Monotherapie bei Meningeomen eingesetzt, fçr
die operative und strahlentherapeutische Ansåtze nicht
mehr infrage kamen (Schrell et al. 1997, Mason et al. 2002).
Tamoxifen
Wirkung. Tamoxifen ist ein kompetitiver Ústrogenrezeptorantagonist, der vor allem bei der Behandlung von
Mammakarzinomen eine Rolle spielt. In hæheren Dosen
soll Tamoxifen auch die Proteinkinase C hemmen und
mit der Migration und Invasion von Gliomzellen interferieren.
Bedeutung. Ûberzeugende Daten zur klinischen Wirksamkeit bei malignen Gliomen fehlen (Puchner et al.
2000). Hirnmetastasen von Mammakarzinomen sollen im
Einzelfall auf eine alleinige Tamoxifenbehandlung angesprochen haben.
161
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162
5.5 Chemotherapie
Steroide
Wirkung und Bedeutung. Corticosteroide wie Prednison,
Prednisolon und Dexamethason besitzen bei lymphoproliferativen Erkrankungen einen zytotoxischen Effekt. Sie
sind deshalb Bestandteil der systemischen Therapie bei
primåren zerebralen Lymphomen und bei einer Beteiligung
des Nervensystems im Rahmen primår extraneuraler
Lymphome und bei Leukåmien (Kap. 11). Der ausgeprågte
zytotoxische Effekt bei Lymphomen kann dazu fçhren, dass
die Gabe von Dexamethason zur Behandlung des peritumoralen Údems bei einer neu diagnostizierten Raumforderung zu erheblicher Græûenregredienz oder zur
Komplettremission eines primåren zerebralen Lymphoms
fçhrt, sodass die histologische Sicherung der Diagnose
nicht mehr mæglich ist (Kap. 7.9).
Nebenwirkung. Dexamethason vermittelt zumindest in
vitro einen Schutz verschiedener Tumorzelllinien vor
Zytostatika, sodass die Indikation zur Corticosteroidtherapie immer kritisch geprçft werden sollte.
Mechanismen der Resistenz gegençber
Chemotherapie
Definition. Zahlreiche Faktoren sind fçr die nur begrenzte
Wirksamkeit der Chemotherapie bei den meisten Hirntumoren verantwortlich. Resistenz ist ein relativer Begriff,
der meist die Wirkungslosigkeit der Therapie bei Dosierungen bezeichnet, die vom gesunden Organismus ohne
nichttolerable Nebenwirkungen erreicht werden kænnen.
So stellt die Hochdosistherapie z. B. mit autologer Stammzelltransplantation einen Versuch dar, ¹Chemoresistenzª
dadurch zu umgehen, dass die Dosis eskaliert wird.
Chemoresistenz kann eine prima
Ère ,,konstitutive" Eigenschaft von Tumorzellen sein oder im Verlauf der Therapie
sekunda
Èr erworben werden.
Mechanische Schrankenfunktion. Voraussetzung fçr die
Wirksamkeit der Chemotherapie ist das Erreichen suffizienter Wirkspiegel an der Tumorzelle in vivo. Wichtige
Parameter bei systemischer Applikation sind die kapillåre
Perfusion des Tumors, die aufgrund arteriovenæser Kurzschlçsse reduziert sein kann, und die Entfernung, die die
Substanz vom Gefåû zur Tumorzelle durch Diffusion oder
¹bulk flowª zurçcklegen muss. Fçr infiltrierende Tumorzellen (¹guerilla cellsª), die sich von der zentralen
Tumormasse abgesetzt haben, stellt die Blut-Hirn-Schranke eine Barriere dar. Strukturelles Korrelat dieser Schranke
sind die Tight Junctions zwischen den Kapillarendothelien
des normalen Gehirns. Die Epithelzellen des Plexus
choroideus bilden eine åhnliche Schranke zwischen Blut
und Liquor. Membrangångige lipophile, unpolare Medikamente dringen deshalb eher in den Extrazellularraum des
Gehirns ein als hydrophile, polare Substanzen.
Pharmakologische Barriere. Zusåtzlich zu der mechanischen Schrankenfunktion bildet die Blut-Hirn-Schranke
durch die endotheliale Expression des P-Glykoproteins, das
durch das Multidrug-Resistance-(MDR-)Gen kodiert wird,
oder des MDR-assoziierten Protein, MRP-1, eine pharmakologische Barriere. Diese Proteine, die auch von Tumorzellen exprimiert werden, verhindern die intrazellulåre
Anreicherung verschiedener, nicht notwendigerweise
strukturverwandter Medikamente, wie z. B. Vincristin,
Doxorubicin oder Teniposid wahrscheinlich durch einen
aktiven Transportmechanismus aus der Zelle heraus.
Die Expression der MDR-assoziierten Proteine wird bei
Gliomen vermutlich nicht durch Strahlen- oder Chemotherapie induziert (Rieger et al. 2000) und spielt deshalb,
anders als bei anderen Tumorarten, bei der erworbenen
(sekundåren) Chemoresistenz von Gliomen keine Rolle. Da
MDR-Mechanismen die Aktivitåt von Nitrosoharnstoffen
und Temozolomid nicht beeinflussen, kænnen sie nicht fçr
die primåre Resistenz vieler Gliome auch gegençber
Alkylanzien verantwortlich gemacht werden.
Steroide. Zellkulturuntersuchungen legen nahe, dass Steroide die Resistenz von Gliomzellen gegençber zytostatikainduziertem Zelltod erhæhen (Weller et al. 1997, Naumann et al. 1998). Tierexperimentelle Daten und die
Modulation der Kontrastmittelaufnahme durch Steroide
legen nahe, dass hæherdosierte Steroidkomedikation zusåtzlich zu einer Verringerung der Zytostatikaanflutung in
Hirntumoren fçhrt. Deshalb sollte die Indikation zur
Steroidtherapie wåhrend der Chemotherapie maligner
Gliome kritisch geprçft werden.
Mikromilieu. Die Bedeutung des Mikromilieus in Tumoren, insbesondere Effekte von Azidose und Hypoxie, sind
bisher nur unzureichend untersucht, zumal geeignete
Modellsysteme fehlen. Zellkulturuntersuchungen zeigen,
dass Azidose die Wirkung von Nitrosoharnstoffen vermutlich durch chemische Stabilisierung færdert, wåhrend die
Wirkung zahlreicher anderer Zytostatika durch Azidose
abgeschwåcht wird (Reichert et al. 2002).
Zytotoxischer oder klonogener Zelltod. Auf zellulårer
Ebene kann sich Chemosensitivitåt oder Chemoresistenz
auf die Induktion von zytotoxischem oder klonogenem
Zelltod beziehen. Wåhrend die Chemotherapie bei manchen Tumoren wie primåren zerebralen Lymphomen und
anaplastischen Oligodendrogliomen neuroradiologisch
komplette Remissionen (CR) erzielt, bei denen die massive
Induktion von zytotoxischem Zelltod postuliert werden
kann, wird z. B. bei Glioblastomen in der Regel allenfalls
eine Stabilisierung fçr einige Monate erreicht. Hier ist
anzunehmen, dass das proliferative Potenzial (Klonogenitåt) erheblich geschådigt wird, ohne dass es zu individuellem Zelltod in relevantem Ausmaû kommt. Ob molekulare Faktoren fçr die unterschiedliche Chemosensitivitåt
von anaplastischen Oligodendrogliomen und Astrozytomen direkt verantwortlich sind, bleibt offen. Zu den
molekularen Verånderungen, die bei Gliomen und anderen
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5 Grundlagen der speziellen Therapie
Tumoren fçr Strahlen- und Chemoresistenz verantwortlich
gemacht werden, zåhlen u. a.:
O der Verlust der p53-Aktivitåt,
O die gesteigerte Aktivitåt des Epidermal Growth Factor
Receptor (EGFR) und
O die Expression von antiapoptotischen Proteinen der
BCL-2-Familie oder von Inhibitor-of-apoptosis-Proteinen (IAP).
Jede dieser Verånderungen fçhrt unter definierten Zellkulturbedingungen zu gesteigerter Resistenz der Tumoren
gegençber spontanem Zelltod durch Apoptose. Es ist
deshalb nahe liegend zu vermuten, dass sie auch vor
extern induziertem Zelltod schçtzen, z. B. nach Zytostatikaexposition. Fçr keine dieser Verånderungen wurde jedoch
ein prådiktiver Wert im Sinne der Sensitivitåt gegençber
Zytostatika in vitro nachgewiesen (Weller et al. 1998).
Entsprechend wurde auch in zahlreichen immunhistochemischen Analysen von Gliomgewebe kein prådiktiver Wert
der Expression von p53 oder Proteinen der BCL-2-Familie
fçr das Ansprechen auf Radiochemotherapie definiert. Bei
den meisten soliden Tumoren bleibt bei klinisch erreichbaren Konzentrationen von Zytostatika die Aktivierung von
Zelltodkaskaden, einschlieûlich Todesrezeptor- und caspasenabhångiger Prozesse, offensichtlich aus (Herr u. Debatin
2001). Neben den o.a. Hinweisen zur Verringerung der
Pharmakaanflutung durch Corticosteroide liegen auch
Beobachtungen zu direkten antiapoptotischen Wirkungen
von Dexamethason bei verschiedenen Tumorzelltypen
einschlieûlich Gliomzellen vor (Weller et al. 1997). Ob
diese Steroidwirkungen das klinische Ansprechen auf
Chemotherapie modulieren, bleibt offen.
5.5.4
Hinweise zur praktischen
Durchfçhrung
Myelosuppression
Die håufigste und vorhersagbare Wirkung der Chemotherapie vor allem bei systemischer Applikation ist die
Myelosuppression, die in der Regel transient ist und vor
allem Leukozyten und Thrombozyten und weniger das rote
Blutbild betrifft. Der niedrigste Wert der Leukozyten und
der Thrombozyten wird als Nadir bezeichnet. Er wird bei
den meisten Chemotherapeutika zwischen dem 7. und
14. Tag nach der Behandlung beobachtet. Eine Ausnahme
bilden Nitrosoharnstoffe, deren Nadires erst nach 4±
6 Wochen auftreten. Der substanzspezifische Nadir legt
den Zeitplan der Chemotherapie fest.
Wa
Èhrend der Chemotherapie sind wo
Èchentliche Bestimmungen der Leukozyten- und Thrombozytenzahlen notwendig.
Kontrollen. Vor dem Beginn eines neuen Zyklus der
Chemotherapie mçssen die Thrombozyten çber 100 000/
ml, die Leukozyten çber 3500/ml und die absoluten
Neutrophilen çber 1500/ml liegen. Wenn die Zahl der
neutrophilen Granulozyten unter 1500/ml oder die der
Thrombozyten unter 50 000/ml fållt, mçssen 2 Kontrolluntersuchungen pro Woche durchgefçhrt werden. Bei
Neutrophilenzahlen unter 1000/ml oder Thrombozytenzahlen unter 25 000/ml sind tågliche Bestimmungen erforderlich.
Therapie. Eine verbindliche Therapieempfehlung zur medikamentæsen Begleitung bzw. Behandlung der Myelosuppression kann nicht gegeben werden. Mæglich ist
jedoch das folgende Vorgehen:
O Bei drohendem Absinken der neutrophilen Granulozyten unter 500/ml oder Neutrophilenzahlen, die bereits
unter 500/ml liegen, wird Granulocyte Colony-stimulating Factor (G-CSF, 300 mg bzw. 480 mg in Abhångigkeit
vom Kærpergewicht tåglich) gegeben, bis die Werte
mindestens 2 Tage çber 500/ml liegen.
± Patienten, deren Werte fçr die neutrophilen Granulozyten unter 500/ml fallen, ohne dass Fieber oder
andere Infektzeichen auftreten, erhalten eine prophylaktische Antibiotikatherapie, z. B. 200 mg Ofloxacin und 100 mg Fluconazol p.o./d. Diese Prophylaxe wird fortgefçhrt, bis die Neutrophilen wieder çber
500/ml liegen. Werden die Patienten parallel mit
Corticosteroiden behandelt, so erhalten sie zur
Pråvention der Pneumocystis-carinii-Pneumonie zusåtzlich 80 mg Trimethoprim und 400 mg Sulfamethoxazol 3-mal pro Woche bis 2 Wochen nach
Absetzen der Steroide.
± Myelosupprimierte Patienten mit Fieber oder anderen Infektzeichen werden zur Gabe intravenæser
Antibiotika, z. B. Piperacillin/Tazobactam, 3 3 4,5 g/
d, und ggf. Gentamicin, 240 mg/d, unverzçglich
stationår aufgenommen.
O Patienten mit Thrombozytenzahlen unter 10 000/ml
werden ebenfalls unverzçglich aufgenommen und bezçglich der Entwicklung von Blutungszeichen stationår
çberwacht. Die Indikation zur Thrombozytengabe wird
von der Gesamtsituation abhångig gemacht, insbesondere von den plasmatischen Gerinnungswerten und von
klinischen Blutungszeichen wie z. B. Petechien. Bis zum
Erreichen von mehr als 25 000 Thrombozyten/ml ist oft
die Transfusion von Thrombozytenkonzentraten alle
24±48 h erforderlich.
Nichthåmatologische Nebenwirkungen
Neben der vorhersagbaren Myelosuppression kommt es
bei der Chemotherapie von Hirntumorpatienten zu substanzspezifischen nichthåmatologischen Nebenwirkungen,
die beachtet werden mçssen.
Ûbelkeit, Erbrechen. Die unter Gabe von Nitrosoharnstoffen ohne antiemetischen Schutz håufige und heftige
Nausea mit Emesis tritt wenige Stunden nach Applikation
auf. Sie kann zuverlåssig durch vorherige Gabe von
Serotonin-(5-HT3-)Antagonisten verhindert werden, z.B
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164
5.5 Chemotherapie
mit Tropisetron 5 mg oral 1±2 h vor Applikation und dann
1-mal/d, durch Ondansetron 8 mg oral 1±2 h vor Applikation und dann 2-mal/d oder durch andere. Die durch
Procarbazin verursachte Ûbelkeit ist fakultativ und geringer ausgeprågt. Sie ist in der Regel durch 3 3 20 Tropfen
Metoclopramid/d, in schweren Fållen durch Serotonin-(5HT3-)Antagonisten, zu verhindern.
Lungenfibrose. Bei Patienten, die Nitrosoharnstoffe erhalten, muss vor Therapiebeginn und nach jedem zweiten
Therapiezyklus die Lungenfunktion evaluiert werden, um
frçhzeitig eine beginnende Lungenfibrose aufzudecken.
Allergie. Wenn Patienten wåhrend der PCV-Therapie eine
Procarbazin-Allergie entwickeln, kann auf eine Lomustin-
(CCNU-)Monotherapie mit erhæhter Dosis (130 mg/m2 3
6±8 Wochen) umgestellt werden, unter Verzicht auf Vincristin.
Polyneuropathie. Vincristin wird weggelassen, wenn sich
wåhrend der PCV-Therapie Zeichen einer klinisch relevanten Polyneuropathie entwickeln. In diesem Fall wird die
Dosis von CCNU und Procarbazin nicht veråndert.
Hoch dosierte, komplexe Chemotherapieprotokolle machen eine umfassende Begleitmedikation zur Verhçtung
von Nebenwirkungen erforderlich, die in diesem Buch bei
der Darstellung der Protokolle in den jeweiligen Kapiteln
besprochen wird.
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