Das Verhältnis zwischen Kirche und Königtum Ziel der vorliegenden Arbeit ist der Versuch, eine Erklärung für die Frage zu finden, wie sich das Papsttum ab 1073 – mit dem Beginn des Pontifikats Gregors - als machtpolitische Institution etablieren konnte, obwohl der römische Bischof zu der Zeit keinerlei politische Macht, geschweige denn eine Rolle auf dem europäischen, politischen Spielfeld besaß. Das gespannte Verhältnis zwischen Königtum, repräsentiert durch Heinrich IV. und Papsttum, repräsentiert durch Gregor VII., fand seinen Höhepunkt im so genannten Investiturstreit, dem eine Reihe von Streitigkeiten, Zerwürfnissen und Meinungsdiskrepanzen in den Jahren davor vorausgingen. Mit seinen Kirchenreformen erhob Gregor den Anspruch auf Freiheit und Loslösung der Kirche von weltlichen Gewalten und folgte damit der Tradition seines Vorgängers, Alexander II., der „unter allen Umständen vermeiden wollte, dass jemand in den Episkopat aufstieg, der sein Amt ausschließlich der weltlichen Gewalt zu verdanken hatte.“1 Diese Forderung beinhaltete sowohl die Frage nach der Verfügungsgewalt über die Einsetzung von Bischöfen als auch die simonistische Ämtervergabe. Primäres Anliegen war ihm, „die von den weltlichen Herrschern praktizierte Ring- und Stabübergabe auf eine rechtssymbolische Bestätigung einer Personalentscheidung zu reduzieren, die zuvor auf der Basis des Kirchenrechts gefällt worden war.“2 Er war fest entschlossen, „das Prinzip der electio canonica (eine Konsenserklärung durch den König mit einer schon vorher getroffenen Personalentscheidung durch Klerus und Volk) unter allen Umständen zum Durchbruch zu verhelfen.“3 Dazu brauchte er allerdings eine „juristische Handhabe“, um Heinrich wirksam entgegentreten zu können, was er einerseits durch das 1075 ausgesprochene generelle Verbot der Ämterübertragung durch Laienhand erzielte und andererseits durch seinen Dictatus Papae versuchte zu untermauern (wobei dieser eher theologischen Richtlinien folgte und nicht Propagandazwecken).4 Was Gregor, in seiner Funktion als Stellvertreter Christi auf Erden forderte, war, „dass alle Bischöfe, Erzbischöfe und Primaten ihre Stellung einer Einsetzung durch den Apostolischen Stuhl verdanken würden“ und nur er allein habe die Berechtigung die Binde- und Lösegewalt auszuüben.5 Diese Binde- und Lösegewalt wird an anderer Stelle noch eine wichtige Rolle spielen, erstreckt sie sich nicht nur auf die geistliche Welt, sondern geht so weit, 1 Laudage, Johannes: Gregorianische Reform und Investiturstreit, Darmstadt 1993, S. 34. Ebd., S. 35. 3 Ebd., S. 36. 4 Ebd., S. 39. 5 Ebd., S. 98. 2 1 „dass er Untergebene vom Treueid gegenüber Sündern lösen kann.“6 An dieser Stelle sollte man bedenken, dass Bischöfe zu dieser Zeit de facto nicht dem römischen Bischof unterstellt und somit Rom gegenüber nicht zur Rechenschaft verpflichtet waren! Mit den Fürsten zusammen bildeten sie die adlige Elite im Reich und waren als Vasallen des Königs, ihrem Lehnsherrn, zu Treue verpflichtet. Im Gegenzug erhielten sie Schenkungen in Form von riesigen Ländereien, die automatisch in den Besitz der Kirche gingen. Der Vorteil dessen war erstens, dass diese Lehnsgüter nicht durch Erbfolge o. Ä. gesplittet wurden und zweitens, dass der König durch politisches Intervenieren letztendlich über die tatsächliche Macht verfügte, denn er war derjenige, der die Machthaber (in diesem Fall die Bischöfe) über die Ländereien ein- und wieder absetzen konnte. Dass die päpstlichen Reformen dem König ein Dorn im Auge waren, kann man nachvollziehen, bedeutete es doch „die Preisgabe ihres Verfügungsanspruches über die weltlichen Güter und Rechte des Kirchen“, so dass die Quintessenz des Streits letztendlich auch „um lehnrechtliche Fragen kreiste.“ 7 Wie konnte also Gregor VII., der laut des Papstwahldekrets von 1059 unrechtmäßig den Papststuhl bestieg und dadurch einen Meineid beging, es dazu bringen - hinsichtlich seiner politisch völlig irrelevanten Funktion - Machtansprüche an Heinrich zu formulieren und diesen durch die Exkommunikation abzusetzen? Zum einen entdeckte er das Kirchenrecht für sich (zumindest die Beachtung dessen) und konnte somit einen Autoritätsanspruch formulieren, basierend auf der Bibelstelle im Matthäusevangelium im 16. Kapitel, die Verse 18 und 19: Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Und ich will dir des Himmelsreichs Schlüssel geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein.8 Aus dieser Überzeugung leitete er schließlich eine „Fülle von rechtlichen Konsequenzen für die hierarchische Kirchenverfassung“9 ab und konnte auf dieser Rechtsgrundlage im Jahr 1076 schließlich zu drastischen Maßnahmen greifen und den Bann über Heinrich verhängen. Zum anderen kommt in der Auseinandersetzung zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. einem dritten Akteur eine prominente Bedeutung zu: die Fürsten, deren politisch oppositionelle Haltung – meiner Meinung 6 Ebd., S. 99. Ebd., S. 133. 8 http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/matthaeus/16/ 9 Laudage, Johannes: Gregorianische Reform und Investiturstreit, Darmstadt 1993, S. 100. 7 2 nach – Gregor für sich und seine Reformen instrumentalisierte. Wie genau dies vonstatten ging, soll nun anhand einer ausgewählten Hauptquelle untersucht werden. Die vorliegende Quelle, das Ultimatum der Fürsten an Heinrich vom 25. Oktober 1076, soll dahin gehend untersucht werden, wie die Fürsten auf Gregors Schreiben vom 25. Juli 1076 reagierten und in ebendiesem Ultimatum ihre Haltung dem König gegenüber bekundeten. Wir finden den in lateinischer Sprache verfassten Bericht in den Annalen des Lampert von Hersfeld, dessen Lebensdaten auf etwa 1028-1081/82 datiert werden. Sein Bericht ist deshalb von Relevanz, weil er als Zeitzeuge unmittelbar an den Geschehnissen beteiligt war. Er berichtet nun folgendermaßen, dass sich die sächsischen und schwäbischen Fürsten am 16. Oktober des Jahres 1076 in Tribur versammelten und gemeinsam beratschlagten, wie König Heinrich abzusetzen und ein anderer zu wählen sei „[...] obstinatis mentibus ad summovendum a negociis regni regem Heinricum et alium, in quem communis electio consensisset, creandum.“10 Sie schlossen sich zu einer Allianz zusammen, die einhellig der Meinung war, weder mit dem König noch mit einer Person, die mit dem Exkommunizierten in Verbindung stand, zu verkehren, es sei denn, der Bann würde gelöst werden „Hi nec principi nec privato cuiquam, qui regi Heinrico dicto vel facto aliquatenus post excommunicationem communicasset, communicare volebant, donec publice professus penitentiam per Altmannum vicarium Romani pontificis anathemate absolveretur.“11 Der springende Punkt der Verhandlung war, dass sich die Fürsten in ihrer Ehre verletzt und sich von Heinrich ungerecht behandelt fühlten, weil er „ remotis a familiaritate sua principibus, infimos homines et nullis maioribus ortos summis honoribus extulisset et cum eis noctes perinde ac dies in deliberationibus insumens, ultimum, si possit, nobilitati exterminium machinaretur.“12 Zudem sei der König derjenige, der durch seine „temeritate sacra et prophana, divina et humana, fasque nefasque“13 verwirrt habe, so dass die einzige logische Konsequenz sei, ihn abzusetzen. Lampert weiß zu berichten, dass Heinrich sich zu der gleichen Zeit auf der anderen Rheinseite in Oppenheim aufhielt. Er versprach zwar Besserung und sei bereit auf ihre Forderungen einzugehen, jedoch unter keinen Umständen abzudanken. Den Fürsten reichte es nicht. Dass Heinrich sich nicht an seine königlichen Versprechen hielt, führte zum Verlust seiner Integrität, so dass die neuen Versprechen für die Fürsten keine Be10 Lamperti Annales, XIII, S. 382. Ebd., S. 382. 12 Ebd., S. 384. 13 Ebd., S. 385. 11 3 deutung mehr hatten. Da außerdem keine Einigung zwischen Heinrich und Gregor in Aussicht stünde, seien die Fürsten nicht bereit, das Risiko einzugehen, selbst exkommuniziert zu werden „cum ei communicare sine communionis ecclesiasticae damno et fidei iactura non possimus.“14 Die Situation scheint zu eskalieren, beide Parteien stellen Truppen auf und bereiten sich auf ein Gefecht vor. Doch die Situation wendet sich, denn im Morgengrauen des 25. Oktober 1076 senden die Fürsten erneut Gesandte an den König, in dem sie ihm endgültig ein Ultimatum stellen. Dieses Schreiben beinhaltet einige Anklagepunkte bzw. Forderungen, von denen für diesen Zusammenhang nur die ersten drei genannt werden sollen. Zum einen solle Heinrich sich bemühen, innerhalb einer Jahresfrist, vom Bann losgesprochen zu werden, denn sonst würde ihm die Königswürde aberkannt werden „quodsi ante diem anniversarium excommunicationis suae, suo presertim vicio, excommunicatione non absolvatur, absque retractatione inperpetuum causa ceciderit, nec legibus deinceps regnum repetere possit, quod legibus ultra administrare annuam passus excommunicationem non possit.“15 Bis dahin habe er sich von ebenfalls Exkommunizierten fernzuhalten „omnes, quos ille excommunicavit, extemplo a convictu / contubernioque suo amoveat“16 und müsse dem Papst unbedingten Gehorsam versprechen „Romano pontifici per omnia subditum se dictoque obtemperantem.“17 Lampert zufolge geht Heinrich auf die Bedingungen ein und zwar deshalb, weil es nur dann für ihn und seine aktuelle Situation Rettung gäbe „rex etiam certo sciens omnem suam in eo verti salutem, si ante anniversariam diem excommunicationeabsolveretur, nec satis tutum suis rationibus existimans, ut expectato intra Gallias Romani pontificis adventu, sic infesto iudici, sic obstinatis accusatoribus causam suam addiceret ventilandam […].“18 Wären die religiösen Schwierigkeiten erstmal beseitigt, so Lampert, würden die anderen Probleme leichter zu beheben sein „hac impetrata, caeteram rebus difficultatem facile adimendam […].“19 Dass die Fürsten eine so starke Opposition bildeten, dass Heinrich sich ihren Forderungen unterwarf, muss in einem historischen Kontext näher betrachtet werden. Allerdings sei an dieser Stelle festzuhalten, dass dieser Umstand kein Novum in der Geschichte akzentuierte, gibt es doch in einem Wahlkönigtum immer eine Opposition, gegen die ein Machthaber sich behaupten muss. Summa summarum sind es die üblichen Konflik- 14 Ebd., S. 388. Ebd., S. 390. 16 Ebd., S. 390. 17 Ebd., S. 390. 18 Ebd., S. 392. 19 Ebd., S. 392. 15 4 te, mit denen ein Herrscher bei Machtantritt und –inhabe konfrontiert wird. Als Heinrich die volle Regierungsfähigkeit erlangte, „nahm er die Politik seines Vaters wieder auf und baute das Krongut […] im östlichen Sachsen und Thüringen aus“20, indem er durch Burgenbau Verwaltungszentren einrichtete und diese mit Personal aus Schwaben besetzte.21 Das Problem war, dass während seiner Minderjährigkeit die Reichsfürsten sich an Reichsgütern und Rechten bereicherten, der König sich jetzt aber auf das Lehnsrecht berief.22 Gleichzeitig führten aber diese andauernden Kämpfe zur „Ausbildung eines räumlichen Oppositionszentrums in Ostsachsen, dessen Schwerpunkte in Halberstadt und Magdeburg lagen.“23 Diese Parteien vertraten vornehmlich die päpstlichen Reformbestrebungen, so dass Heinrich seinen Geltungsanspruch in diesen Gebieten fast vollständig verlor. Zudem bargen innervölkische (zwischen Sachsen und Schwaben) Spannungen Konfliktpotential und die Sachsen empfanden die offensive Politik Heinrichs als „Kolonialpolitik“ und dadurch in ihrer Freiheit beschränkt.24 Allerdings muss man einräumen, dass „salische Könige auch von Sachsen gewählt wurden und von ihnen den Treueid empfingen.“25 Zusammengefasst kann man sagen, dass viele Elemente zu einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der heinrich’schen Regierung führten, so dass dieser Unmut in einen offenen Widerstand mündete. Die Frage ist, wie es überhaupt zu dieser Forderung seitens der Fürsten kommen konnte. Haben die Fürsten in dem Konflikt zwischen Gregor und Heinrich eine Möglichkeit für sich entdeckt, sich offensiv gegen den König zu erheben? Oder erhoffte sich vielmehr Gregor – durch die Exkommunikation des Königs – die Unterstützung der oppositionellen Fürsten letztendlich für Durchsetzung seiner Reformen zu instrumentalisieren? Man sollte bedenken, dass genau in dieser Zeit, viele Adlige sich um Klostergründungen bemühten und im Gegenzug die libertas Romana (den Schutz des Apostolischen Stuhls) erhielten.26 Diese Einsatzbereitschaft für Kirche und Reform brachte den Großen des 20 Becher, Matthias: Die Auseinandersetzung Heinrichs IV. mit den Sachsen. Freiheitskampf oder Adelsrevolte?, in: Jarnut, Jörg und Matthias Wemhoff (Hgg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung, München 2006, S. 357. 21 Vgl., Ebd., S. 357. 22 Vgl., Ebd., S. 357. 23 Fenske, Lutz: Adelsopposition und kirchliche Reformbewegung im östlichen Sachsen. Entstehung und Wirkung des sächsischen Widerstandes gegen das salische Königtum während des Investiturstreits, Göttingen 1977, S. 328. 24 Becher, Matthias: Die Auseinandersetzung Heinrichs IV. mit den Sachsen. Freiheitskampf oder Adelsrevolte?, in: Jarnut, Jörg und Matthias Wemhoff (Hgg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung, München 2006, S. 358. 25 Ebd., S. 359. 26 Vgl., Zotz, Thomas: Die Situation des Adels im 11. und frühen 12. Jahrhundert, in: Jarnut, Jörg und Matthias Wemhoff (Hgg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung, München 2006, S. 350. 5 Reiches (u. a. zählte der schwäbische Gegenkönig Rudolf zu den Förderern) „eine neue Art von Legitimation ihrer Herrschaft als milites sancti Petri, die ihre Position durch eine transzendente Autorität festigen konnten.“ Um die Wirkung Gregors auf die Fürsten genauer nachvollziehen zu können, müssen zwei weitere Quellen herangezogen werden. Zum einen der Brief Gregors vom 25. Juli 1076, indem er zunächst Heinrichs Fehlverhalten in Erinnerung ruft und dann seine Erwartungen an die Fürsten formuliert, wie sie mit Heinrich umzugehen haben. Zum anderen muss man das Wormser Absageschreiben an Gregor vom 24. Januar 1076 beachten, um zu verstehen, warum Gregor Schwierigkeiten hatte, seine Reformen durchzusetzen, denn auch er stieß nicht unbedingt auf allgemeinen Konsens, vielmehr musste er seine Inthronisierung verteidigen, wurde diese doch vor allem von den deutschen Bischöfen als nicht legitim angesehen. Am 24. Januar 1076 formulierten deutsche Bischöfe, eben jene, die vom Papst gebannt wurden, bei einer Zusammenkunft in Worms ein Schreiben, indem sie Gregors Papstwürde aberkannten „weil niemand von uns, wie du öffentlich erklärtest, Dir bisher als Bischof galt, wirst auch du keinem von uns als Papst gelten.“27 Dass sie Gregor als Papst nicht anerkennen, wird bereits zu Beginn des Briefes deutlich: sie verweigern die ihm gebührende, respektvolle Anrede, die einem Papst zusteht; stattdessen wird er durch die Anrede „Bruder Hildebrand“28 auf seinen Status als einfacher Mönch degradiert. Der Brief beinhaltet viele Anklagen und Vorwürfe bezüglich seiner Ruhmessucht. "Unerhörte Selbsterhöhung“, „ein ruhmvoller Name“29 sind dabei noch recht harmlose Vorwürfe. Hingegen führen die Anklagen der Anbiederung, die Gregor anscheinend von seinen Priestern erwartet „während nun niemand mehr Bischof oder Priester ist außer dem, der es in unwürdigster Schmeichelei von deiner stolzen Verachtung erbettelt“30, zu einer prekären Lage, denn „durch deine ruhmsüchtigen Dekrete ging der Name Christi fast zugrunde.“31 Nicht der König sei dem zufolge Schuld an der Spaltung der Kirche, sondern Gregor selbst soll die Ursache sein. Man könnte daraus schließen, dass Gregor machtpolitisch übermotiviert war, schließlich nahm er sich das Recht heraus, einen König, der sich in seinem Selbstverständnis als Gesalbter des Herrn sah, zu exkommunizieren und dadurch die weltliche Herrschaftsautorität zu untergraben. Aller27 Das Wormser Absageschreiben an Gregor VII. (24. Januar 1076), in: Laudage/Schrör: Der Investiturstreit. Quellen und Materialien, S. 121. 28 Ebd., S. 115. 29 Ebd., S. 117. 30 Ebd., S. 117. 31 Ebd., S. 117. 6 dings weiß man von keinem Aufbegehren hinsichtlich der Exkommunikation, was die Vermutung nahe lässt, dass diese durchaus Anerkennung fand, zumindest im oppositionellen Lager. Wie aus dem Wormser Absageschreiben hervorgeht, können viele der Bischöfe bezeugen, dass Gregor einst beeidete, „weder zu Lebzeiten des Kaisers selbst noch seines Sohnes […] die Papstwürde selbst anzunehmen, oder zu dulden, dass ein anderer sie annehme ohne Zustimmung und Einverständnis des Vaters, so lange dieser lebe, oder des Sohnes, solange auch dieser lebe.“32 Gregor, damals einer der Verfasser, Berater und Unterzeichner, stimmte dem Dekret zu, „dass niemals jemand Papst werden solle außer durch die Wahl der Kardinäle, das Einverständnis des Volkes und die Zustimmung und Bestätigung von Seiten des Königs.“33 Wie könnte man die Situation nun beurteilen? Das Papstwahldekret von 1059 (kurz nach dem Tod des Papstes Stephan führte Papst Nikolaus den Vorsitz in der Versammlung) sieht in der Tat eine Wahl vor, bei der „zunächst die Kardinalbischöfe […] beraten sollen, dass sie dann möglichst bald die Kardinalkleriker zu sich heranziehen sollen und dass der übrige Klerus und das Volk erst anschließend zum Konsens der neuen Wahl herbeikommen sollen.“34 Der König hat in dieser Angelegenheit nur ein geringes Mitspracherecht, weil „der apostolische Sitz allen Kirchen auf dem Erdkreis vorangestellt ist und demzufolge über sich keinen Metropoliten haben kann, fungieren zweifelsohne die Kardinalbischöfe anstelle eines Metropoliten[…].“35 Allerdings besagt das offizielle Protokoll der Wahl Gregors Gegenteiliges, nämlich, dass Gregor durchaus rechtmäßig inthronisiert wurde „wir wählten […] uns im Beisein ehrwürdiger Bischöfe und Äbte, mit der Zustimmung der Kleriker und Mönche und unter Akklamation einer zahlreichen Menge beiderlei Geschlechts und unterschiedlichen Standes zum Hirten und Bischof einen gottesfürchtigen Mann […].“36 Dass die deutschen Bischöfe, Gregor als Papst nicht mehr anerkannten (anerkennen wollten) mag darauf zurückzuführen sein, dass er ja diese exkommunizierte. Betrachten wir nun, was Gregor in seinem Schreiben vom 25. Juli 1076 an die Fürsten formulierte. Er ermahnte sie, Abstand vom exkommunizierten König und seinen ebenfalls exkommunizierten Gefolgsleuten zu halten. Zwar drohte er nicht direkt damit, dass er die Fürsten sonst auch exkommunizieren würde, drückt aber unmissverständlich aus, dass man automatisch „zustimmt, wenn man schlechten Menschen nicht widerspricht; 32 Ebd., S. 119. Ebd., S. 119. 34 Ebd., S. 67. 35 Ebd., S. 69. 36 Ebd., S. 79. 33 7 und wer nicht beseitigt, was wegzuschneiden ist, versündigt sich.“37 Man kann Gregor auch nicht vorwerfen, dass er die Fürsten zu einem offenen Aufstand aufrief; aus seinem Brief geht zunächst hervor, dass sie danach trachten, ihn „in jeglicher Weise der Hand des Teufels zu entreißen und zu aufrichtiger Buße zu veranlassen, damit wir ihn mit Gottes Gunst an den Busen unserer gemeinsamen Mutter, die er zu zerfleischen versuchte, in brüderlicher Liebe zurückrufen können.“38 Aber, und hier kommt die Crux: „falls er nicht auf euch hört und es eher dem Teufel als Christus zu folgen vorzieht und statt euch lieber den Rat derjenigen will, die schon seit langem wegen simonistischer Irrlehre exkommuniziert sind, wollen wir […] der ganzen Kirche […] männlich zur Hilfe kommen.“39 Gab Gregor mit dieser unterschwelligen Formulierung den Fürsten die päpstliche Legitimation für einen kriegerischen Aufstand? Dass ein gespanntes Verhältnis zwischen den Fürsten und Heinrich bestand ist unumstritten, dass Gregor seinen Konsens für einen Krieg gab, um letztendlich seine Reformen durchzusetzen, bleibt an dieser Stelle leider nur eine Hypothese. Die auch dadurch nicht bestätigt werden kann, dass Gregor z. B. als kriegerischer Papst bezeichnet wird. Selbst Petrus Damiani nennt ihn den „Heiligen Satan“. Gregor war ein Reformpapst. Es war ihm ein wichtiges Anliegen, seine Reformen durchzusetzen. Aber sie waren für ihn auch ein Mittel seine politisch motivierten Ziele zu erreichen: als Stellvertreter Christi auf Erden die absolute Macht über die gesamte Christenheit (inklusive der Königsherrschaft) in seine Machtkompetenz einzugliedern. Die Fürsten machte er sich nutzbar; es war ihm ein Leichtes, sie für seine Partei zu gewinnen, hegten sie sowieso Abneigung gegen Heinrich. Als Heinrich einsehen musste, dass eine starke Opposition sich auf Gregors Seite schlug, sah er keine andere Möglichkeit, als auf deren (und somit auch Gregors) Forderungen einzugehen. 37 Ausgewählte Briefe Papst Gregors VII., Brief Nr. 72, S. 223. Ebd., S. 221. 39 Ebd., S. 221. 38 8 Bibliographie 1. Quellentexte Von den Zugeständnissen Heinrichs IV., übers. v. Adolf Schmidt u. erl. v. Wolfgang Dietrich Fritz, in: Lampert von Hersfeld: Annalen, begr. v. Rudolf Buchner u. fortgef. v. Franz-Josef Schmale, FSTGA 13, Darmstadt 1985, S. 383-393. Brief Nr. 72, übers. v. Franz-Josef Schmale, in: Quellen zum Investiturstreit, erster Teil: Ausgewählte Briefe Papst Gregors VII., hgg. v. Rudolf Buchner u. Franz-Josef Schmale FSTGA 12a, Darmstadt 1978, S. 219-223. Das Wormser Absageschreiben an Gregor VII. (24. Januar 1076), in: Der Investiturstreit. Quellen und Materialen, hgg. v. Johannes Laudage u. Matthias Schrör, Köln 2006, S. 115-121. 1.1 zur Vertiefung: Das Papstwahldekret von 1059, in: Der Investiturstreit. Quellen und Materialen, hgg. v. Johannes Laudage u. Matthias Schrör, Köln 2006, S. 67-73. Offiziöses Protokoll der Wahl Gregors VII, in: Der Investiturstreit. Quellen und Materialen, hgg. v. Johannes Laudage u. Matthias Schrör, Köln 2006, S. 79-81. Bonizo von Sutri, Liber ad amicum, in: Der Investiturstreit. Quellen und Materialen, hgg. v. Johannes Laudage u. Matthias Schrör, Köln 2006, S. 81. 2. Sekundärliteratur Becher, Matthias: Die Auseinandersetzung Heinrichs IV. mit den Sachsen. Freiheitskampf oder Adelsrevolte?, in: Jarnut, Jörg und Matthias Wemhoff (Hgg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung, München 2006. Blumenthal, Uta-Renate: Gregor VII. und die christliche Hierarchie, in: Jarnut, Jörg und Matthias Wemhoff (Hgg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung, München 2006. Fenske, Lutz: Adelsopposition und kirchliche Reformbewegung im östlichen Sachsen, Göttingen 1977. Fried, Johannes: Canossa. Entlarvung einer Legende. Eine Streitschrift, Berlin 2012. Hartmann, Wilfried: Der Investiturstreit, München 1993. Laudage, Johannes: Gregorianische Reform und Investiturstreit, Darmstadt 1993. Laudage, Johannes: Nochmals: Wie kam es zum Investiturstreit?, in: Jarnut, Jörg und Matthias Wemhoff (Hgg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung, München 2006. 9 Struve, Tilman: Salierzeit im Wandel. Zur Geschichte Heinrichs IV. und des Investiturstreites, Köln 2006. Zotz, Thomas: Die Situation des Adels im 11. und frühen 12. Jahrhundert, in: Jarnut, Jörg und Matthias Wemhoff (Hgg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung, München 2006. 3. Internet http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/matthaeus/16/ 10