Marxistische Lesehefte 2 Erich Hahn Ideologie Ekkehard Lieberam Parlamente und Parteien Berlin 1998 Marxistische Lesehefte Heft 2 ISBN 3-932725-40-9 Redaktion: Uwe-Jens Heuer, Harry Nick, Kurt Pätzold, Arnold Schölzel Satz: Kurt Pätzold, Hans-Joachim Siegel Herstellung: GNN Verlag Sachsen/Berlin GmbH Badeweg 1, 04435 Schkeuditz Tel.: (03 42 04) 6 57 11 FAX: (03 42 04) 6 58 93 Preis: 00,00 DM Inhalt Vorwort des Redaktionskollegiums Ideologie (eingeleitet und ausgewählt von Erich Hahn) 6 I. Einführung II. Texte 9 9 13 1. Karl Marx über gesellschaftliche Grundlagen der Ideologie (1859) 13 2. Karl Marx/Friedrich Engels zur Entstehung ideologischer Vorstellungen (1845/46) 13 3. Karl Marx über die „verkehrte“ Art und Weise, in der die Verhältnisse der Warenproduktion sich im Bewußtsein der Warenproduzenten widerspiegeln (1867) 16 4. Karl Marx über die „Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn“ als Beispiel für die Verschleierung wesentlicher, grundlegender Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft durch deren Oberfläche (1867) 18 5. Friedrich Engels über die relative Selbständigkeit der Ideologien (1890) 20 6. Friedrich Engels zur Entstehung und Wirksamkeit ideologischer Vorstellungen (1893) 22 7. Wladimir I. Lenin über die Vereinigung von wissenschaftlichem Sozialismus und Arbeiterbewegung (1899) 24 8. Wladimir I. Lenin über die Quelle des politischen Bewußtseins (1901/02) 25 9. Wladimir I. Lenin über den wissenschaftlichen Sozialismus als Ideologie (1902) 25 10. Nikolai J. Bucharin zum Begriff „Ideologie“ (1922) 25 11. Antonio Gramsci über unterschiedliche Verwendungsweisen des Begriffs „Ideologie“ 26 12. Max Horkheimer über Ideologie, absoluten Geist, Wahrheit (1951) 26 13. Theodor W. Adorno über die Dialektik der Ideologie (1954) 27 14. Ernst Bloch über Ideologie, Apologie, Betrug, Ideal, Symbol, Utopie, Kultur. (1954/55) 28 15. Georg Lukács über Ideologien als „Vehikel zum Ausfechten gesellschaftlicher Konflikte“ (1964/68) 29 III.Literaturverzeichnis Inhaltsv erze ic hnis 30 3 Parlamente und Parteien (eingeleitet und ausgewählt von Ekkehard Lieberam) 32 I. Einführung II. Texte 32 38 1. Karl Marx über die repräsentative Verfassung als Fortschritt (1843) 38 2. Wilhelm Wolff zum Konflikt zwischen Bürgertum und Monarchie (1847 38 3. Karl Marx über Parteien, Klassen und Herrschaft im März 1850. Allgemeines Stimmrecht und Bourgeoisieherrschaft (1850) 38 4. Karl Marx über die parlamentarische Republik als Despotie einer Klasse, als Umwälzungsform und als Form der Herrschaft der Gesamtbourgeoisie. Einbildungen und wirkliche Interessen der Parteien (1851/52) 40 5. Karl Marx zur Kommune: nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft (1871) 41 6. Karl Marx für Arbeiter in die Parlamente (1871) 42 7. Karl Marx/Friedrich Engels zu entschiedener Opposition (1881) 42 8. Friedrich Engels über den parlamentarischen Kretinismus (1884) 42 9. Friedrich Engels für die Beachtung gegenwärtiger Bedürfnisse der Arbeiter (1884) 43 10. Friedrich Engels über Parteien als Kartelle zur Ausbeutung der Staatsmacht (1891) 43 11. Friedrich Engels über Spießbürger in der Reichstagsfraktion (1892) 44 12. Friedrich Engels über das Schaukelspiel der die Bourgeoisieherrschaft verewigenden Parteien (1892) 44 13. Friedrich Engels über die Bedeutung des Stimmenzuwachses (1893) 45 14. Karl Kautsky über Erfahrungen des Parlamentarismus in England. Das Parlament als Werkzeug der Diktatur des Proletariats (1893) 45 15. Friedrich Engels über Erfahrungen mit dem allgemeinen Stimmrecht. Reichstag als Tribüne (1895) 46 16. Eduard Bernstein über tatsächliche Teilhaberschaft als Ergebnis des Wahlrechts (1899) 47 17. Rosa Luxemburg über Parlament und Regierung: Organ der Klassenkämpfe bzw. Organ mit innerer Homogenität (1902) 47 18. Rosa Luxemburg über den Rückgang der Bedeutung des Parlamentarismus aufgrund sozialer Entwicklung (1904) 48 19. Rosa Luxemburg über Parlamentarismus als Nährboden des Opportunismus (1904) 48 20. August Bebel über scharfe Opposition als Hauptmethode parlamentarischer Arbeit (1908/1910) 49 21. Karl Kautsky über Ausnutzung der Differenzen zwischen den bürgerlichen Parteien. Ablehnung einer Koalitionsregierung (1909) 50 4 Inhaltsverzeichnis 22. Rosa Luxemburg über die Ohnmacht der rein parlamentarischen Aktion (1912) 50 23. Wladimir I. Lenin über die Suche der reaktionären Parteien nach Rückhalt in den Massen (1913) 51 24. Rosa Luxemburg über außerparlamentarische Aktionen und Parlamentarismus (1913) 51 25. Wladimir I. Lenin über die Unvermeidlichkeit der „bürgerlichen Arbeiterpartei“ (1916) 52 26. Wladimir I. Lenin über die Republik als beste politische Hülle des Kapitalismus. Vertretungsköperschaften, aber keinen Parlamentarismus (1917) 52 27. Rosa Luxemburg über das Parlament und die Erfahrungen der bürgerlichen Revolutionen. Bürgerlicher Parlamentarismus und Klassenherrschaft haben ihr Daseinsrecht verwirkt (1918) 53 28. Karl Kautsky über die Nationalversammlung und A- und S-Räte (1919) 54 29. Wolfgang Abendroth über den Funktionsverlust der Parlamente im Gesetzgebungsprozeß (1959) 55 30. Wolfgang Abendroth über Konsequenzen der Entwicklung des Parteienkampfes als Auswahl von Führungskadern (1962) 55 31. Reinhard Opitz über Monopolmacht, antimonopolistische Strategie und Parlamente (1969) 56 32. Wolfgang Abendroth über Ursachen oppositioneller Strömungen in der Sozialdemokratie (1977) 57 33. Ernest Mandel gegen Reduzierung des Klassenkampfes auf seinen politisch-parlamentarischen Aspekt (1978) 57 III.Literaturverzeichnis Inhaltsv erze ic hnis 58 5 Vorwort des Redaktionskollegiums Im Aufruf „In großer Sorge“ hatten dessen Unterzeichner 1995 vor der Gefahr einer Richtungsänderung der PDS gewarnt, die dem Anpassungsdruck nachgibt. Die Unterzeichner forderten dagegen, „gemeinsam den Versuch zu unternehmen, vernünftig, also radikal, Vergangenheit und Gegenwart zu analysieren und dabei für unsere Strategie das, was wir bei Marx Wichtiges und Richtiges gelernt haben, nicht leichtfertig zugunsten neuer Moden über Bord zu werfen“1. Der Prozeß hat sich nicht mit der Schnelligkeit vollzogen, wie viele von uns damals befürchteten, aber er geht weiter. Überwiegender Pragmatismus geht mit theoretischer Bedenkenlosigkeit einher. Eine auf radikale Veränderung der bestehenden Verhältnisse zielende Strategie der PDS bedarf unabdingbar entsprechender Theorie. Statt dessen werden auf unterschiedlichem Niveau Teilaussagen der Modernetheorien mit marxistischen Aussagen und tagespolitisch begründeten Forderungen kombiniert. Viele theoretisch Interessierte innerhalb und außerhalb der PDS finden sich dabei nicht zurecht, sind sich unsicher, was von dem früher Gelernten denn heute noch gilt, ob und inwieweit der Marxismus helfen könne, was denn heute Marxismus sei. Der ständige Druck, „durch den Zusammenbruch des europäischen Sozialismus ist der Marxismus, ist Marx widerlegt“, bleibt nicht ohne Wirkung. Manche haben auch die Sehnsucht nach der Wiederherstellung eines geschlossenen Denksystems (übrigens ist auch die heute verbreitete Ideologie weitgehend geschlossen, ohne daß diese Geschlossenheit etwas mit theoretischem Anspruch zu tun hat). Links-kritisch denkende Jugendliche suchen vergeblich nach einem Zugang zu marxistischer Theorie. Was ist in dieser Situation möglich, was könnte vielleicht das Marxistische Forum leisten? Viele veröffentlichen Arbeiten, auch in unserer Schriftenreihe. Das aber genügt diesen Anforderungen nicht. Eine theoretische Antwort auf unsere heutige Gesamtsituation kann niemand geben. Sieben Jahre nach einem solchen Zusammenbruch ist das unmöglich. Erst muß sich der Staub dieses Zusammenbruchs gelegt haben, müssen die neuen Widersprüche voll sichtbar werden, ehe überhaupt an eine solche Antwort herangegangen werden kann. Abendroth hatte schon 1967 resignierend gesagt: „Wir müssen unsere Situation im wesentlichen mit der Lage vergleichen, in welcher sich am Anfang des 19. Jahrhunderts Fourier oder Sismondi und solche Leute befunden haben.“2 Eine Lösung kann auch nicht in dem einfachen Rückgriff auf Karl Marx liegen, was er denn wirklich gesagt habe, wie dies vor Jahrzehnten Ernst Fischer und 1 Aufruf „In großer Sorge”, 1995, in: Neues Deutschland vom 18. Mai 1995 2 Wolfgang Abendroth, Gespräche mit Georg Lukàcs, Reinbek 1967, S. 93 6 Vorwort kürzlich Wolfgang Leonhard vornahmen. Hier handelt es sich um eine Reaktion auf die marxistisch-lenininstische Orthodoxie, die gegenwärtiges politisches Handeln unmittelbar aus den Aussagen der „Klassiker“ ableitete, in dem wirklich oder scheinbar entgegengesetzte Zitate aufgelesen wurden, das Werk von Marx und Engels von der anderen Seite her als Steinbruch für Zitatenschlachten benutzt wurde. Was also könnte geschehen, um bei der marxistischen Aneignung der Gegenwart zu helfen? Ein Beitrag des Marxistischen Forums soll die gemeinsame Erarbeitung eines „Marxistischen Lesebuchs“ sein. Das kann und darf keine Zusammenstellung „richtiger“, also auch einander nicht widersprechender, Texte sein. Andererseits können wir uns nicht auf die Darstellung der Methode beschränken, was ja hieße, daß es keinerlei Ergebnisse mehr gäbe. Es muß marxistisches Denken in seiner historischen Entwicklung und Widersprüchlichkeit erscheinen. Was aber ist eigentlich marxistisches Denken? Marxistisches Denken im Gefolge von Marx ist immer eingreifendes materialistisch-dialektisches Denken. Wir sagen der Welt nicht, schrieb Marx 1843 an Ruge, „Laß ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug, wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschrein. Wir zeigen ihr nur, worum sie eigentlich kämpft, und das Bewußtsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muß, wenn sie auch nicht will.“3 Praxisrelevanz der Theorie ist damit ebenso gemeint, wie die Sicht der Theorie als integrales Moment der Praxis. Der Marxismus enthält damit notwendig sowohl Aussagen über die Welt, über ihre Alternativen und Möglichkeiten wie normative Aussagen über Ziele. Das Verhältnis von Theorie und Praxis, von Theorie und Politik steht im Mittelpunkt seines Interesses. Dem Marxismus wohnt damit notwendig die Frage nach dem Adressaten, nach dem Subjekt der Veränderung inne. Das war zunächst die Arbeiterbewegung (Marx: „Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie seine geistigen Waffen.4“, später mehr und mehr die Partei und der von ihr dominierte Staat. Diese Beziehung von Theorie und Subjekt hatte zwiespältige Folgen. Für den Erfolg der Verbreitung mußte ein Preis bezahlt werden. Die Theorie wurde den Interessen und dem Verständnis des Subjekts unterworfen. Im Dienste der Überzeugungskraft einer geschlossenen Weltanschauung (Lenin: „Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist. Sie ist in sich geschlossen und harmonisch.“5 wurde der Marxismus immer stärker aus einem Paradigma, das stets an der sich 3 Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 1, Berlin 1978, S. 345 4 MEW, Bd. 1, Berlin 1978, S. 391 5 Lenin-Werke (LW), Bd. 19, Berlin 1981,S. 3 Vorwort 7 verändernden Wirklichkeit zu überprüfen war, zu einem alles erklärenden Dogma, unterlag er den Gefahren der Ideologie. Das begann schon mit dem AntiDühring, setzte sich in den Schriften von Kautsky (dem Begründer des „Marxismus“) fort und erreichte seinen Höhepunkt unter Stalin. Der Ausweg kann nicht sein, den Zusammenhang zwischen Theorie und gesellschaftlicher Praxis zu zerreißen. Er bleibt die Seele des Marxismus, war auch die Grundlage seiner wissenschaftlichen Fruchtbarkeit. Der Ausweg kann nur in einer konsequent historischen Sicht auf die eigene Geschichte und Gegenwart liegen. Der Marxismus ist als theoretische Bewegung stets mit der sich verändernden Welt verknüpft, antwortet auf sie, korrigiert seine Antworten. Er ist zu keinem Zeitpunkt ein geschlossenes System, sondern immer nur Antwort, besser ein Feld von Antworten auf die Welt. Er steht nicht nur in Auseinandersetzung mit der Welt, sondern stets auch in innerer Auseinandersetzung. Er unterliegt damit immer auch der Gefahr irriger, unreifer und apologetischer Antworten, bestimmt durch ungenügende Kenntnis, den Druck des Gegners, auch aber des eigenen Dogmatismus. Jedes neue marxistische Nachdenken muß bemüht sein, an die bisherige Gesamtentwicklung anzuknüpfen, frühere Auseinandersetzungen nicht zu wiederholen, aber fortzuführen. Ein vereinfachtes, primitives Geschichtsbild hat in vielen Fällen Kampfwillen und Kampfentschlossenheit gefördert. Es konnte aber auch dazu führen, daß - im Vertrauen auf den ohnehin sicheren Sieg - vor dem konkreten, immer unsicheren, Kampf zurückgewichen wurde. Es war dem Marsch in der Kolonne dienlich, nicht aber dem eigenverantwortlichen, selbständigen Kampf. Vor allem aber, und das ist ja heute erschreckende Wirklichkeit, führt die Niederlage dann zum ideellen Zusammenbruch. Der „Sieger der Geschichte“ ist auf Niederlagen nicht vorbereitet, er ordnet sich der neuen „objektiven Gesetzmäßigkeit“ unter. Eine neue Aneignung des marxistischen Erbes könnte durch ein Marxistisches Lesebuch unterstützt werden. Es soll auch unsere eigenen Fragen und Zweifel widerspiegeln, die Diskussion herausfordern. Es enthält klassische Texte von Marx ebenso wie von Engels, Texte von Kautsky, Bernstein, Luxemburg, Lenin, Trotzki, Stalin, Lukàcs, Gramsci, Thalheimer bis zu Mandel u. a. (keine lebenden Autoren), Texte, die in ihrer Einheit und Widersprüchlichkeit den Reichtum und die Probleme marxistischen Denkens zum Weiterdenken enthalten. Hauptkriterium der Auswahl ist theoretisches Niveau, Sprachgewalt und historische Wirksamkeit. Es werden zu etwa dreißig Begriffen Texte mit einer kurzen Einführung vorgelegt. Dabei war Textzusammenstellung und Einführung Sache des jeweiligen Autors. Sie erscheinen zunächst als Marxistische Lesehefte mit in der Regel zwei Begriffen. Später sollen sie als Buch veröffentlicht werden. 8 Vorwort Ideologie Eingeleitet und ausgewählt von Erich Hahn I. Einführung 1. Unter einer Ideologie kann man eine Gesamtheit geistiger Anschauungen, Ideen, Theorien, Normen, Werte und anderer Elemente verstehen, die bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegeln, der Lage, den Interessen und den Zielen bestimmter sozialer Gruppen - vor allem Klassen - oder Strömungen Ausdruck verleihen, auf die Erhaltung oder Veränderung gesellschaftlicher Zustände oder Ordnungen gerichtet sind und praktische Verhaltensweisen oder Aktionen hervorrufen. (Text 1, Text 10, Text 15). 2. Der ideologietheoretische Denkeinsatz von Marx und Engels bestand vor allem darin, wesentliche Merkmale der bürgerlichen Ideologie aufzudecken, auf diese Weise allgemeine Einsichten in die Struktur und Dynamik ideologischer Prozesse zu Tage zu fördern und so entscheidende ideologische Voraussetzungen zur geschichtlichen Formierung der Arbeiterbewegung zu schaffen. Natürlich stehen diese Leistungen in einem unauflöslichen Zusammenhang mit Grundpositionen der marxistischen Theorie. Sie stellen zugleich eine Fortführung der französischen Aufklärung, der klassischen deutschen Geschichtsphilosophie und der Religionskritik Ludwig Feuerbachs dar. Besonders zwei Einsichten sind zu nennen. Zum einen die detaillierte Herleitung ideologischer Auffassungen aus dem materiellen Lebensprozeß der Gesellschaft und der geschichtlichen Praxis. (Text 2) Von ausschlaggebender Bedeutung dafür, daß gesellschaftliche Gruppen sich durch ein bestimmtes Selbstverständnis, durch ein mehr oder weniger klares Bewußtsein von den Bedingungen und den Perspektiven ihrer Existenz sowie durch eine spezifische Sicht auf das Ganze der Gesellschaft auszeichnen, ist ihre objektiv gegebene Stellung in dem jeweiligen System ökonomischer und sozialer Verhältnisse. In starkem Maße vermittelt, d.h. stimuliert, gefiltert oder kanalisiert werden diese Prozesse geistiger Realitätsaneignung durch die mit dieser Stellung verbundenen Interessen. Zu berücksichtigen ist natürlich der Zusammenhang zwischen der in diesem Sinne determinierenden Rolle materieller Lebensverhältnisse und der geschichtlichen Praxis. Ideologien formieren sich nicht in einer abstrakten Konfrontation bestimmter Subjekte mit ihren materiellen Lebensbedingungen sondern dadurch, Einführung 9 daß ihre Interessen, Bestrebungen und Aktivitäten mit denen anderer in Konflikt geraten, daß sie gezwungen sind, ihre Absichten und Aktionen gegenüber Gegnern und Konkurrenten zu rechtfertigen, zu begründen, zu verteidigen und durchzusetzen. (Text 1). Derartige Selbstverständigungsprozesse bzw. Auseinandersetzungen mit aktuellen Kontrahenden stehen darüberhinaus in einem zeitlichen Kontext. Stets geht es darum, geschichtlich Überkommenes praktisch und geistig zu verarbeiten. Auffassungen, die überholte Zustände legitimieren, werden aus dem Weg geräumt. Zugleich ist es unumgänglich, sich der vorhandenen Ideen, Begriffe und nicht zuletzt ihres sprachlichen oder künstlerischen Ausdrucks zu bedienen, sich in den gegebenen geistigen Formen zu artikulieren. Hervorzuheben ist zum anderen die Analyse der Verkehrungen und Verzerrungen, denen die Widerspiegelung des gesellschaftlichen Seins durch das gesellschaftliche Bewußtsein in bestimmten Prozeßen ideologischer Realitätsaneignung unterliegt. (Text 3, Text 4). So groß die Rolle von Irrtum, Lüge und Betrug oder anderen subjektiven Faktoren bei der Erzeugung und Verbreitung falscher Auffassungen über ökonomische, soziale oder politische Sachverhalte sein kann, entscheidend sind Widersprüche in den objektiven Produktions- und Lebensverhältnissen selbst, sind Erscheinungen, die wesentliche Zusammenhänge verdecken, entstellen, einseitig oder verzerrt wiedergeben. Von bleibender Bedeutung dafür sind vor allem Marx’ Darstellung des Warenfetischismus im ersten sowie seine Enthüllung der „Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn“ im siebzehnten Kapitel des I.Bandes des „Kapital“. Ergänzt und umkleidet wird dies durch Untersuchungen zur Rolle der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, der Erfordernisse des Klassenkampfes, der internen Logik geistiger Prozesse und anderer Faktoren. (Text 5, Text 6). 3. Elemente der Marxschen Ideologietheorie und -begrifflichkeit wurden zu Bestandteilen des wissenschaftlichen Fundus des zwanzigsten Jahrhunderts. Weitergeführt und kritisch verarbeitet wurden sie u.a. in den Werken von Georg Lukács, Antonio Gramsci und Leo Kofler, in den Debatten der Wissenssoziologie (Karl Mannheim) und der Frankfurter Schule (Max Horkheimer, Theodor W.Adorno, Walter Benjamin, Herbert Marcuse) sowie durch bestimmte Aspekte der Psychoanalyse und der Systemtheorie. Lenin und andere Theoretiker der russischen Arbeiterbewegung sahen sich im Zusammenhang mit der Oktoberrevolution vor die Aufgabe gestellt, die wechselseitigen und widersprüchlichen Verbindungen von Ideologie, Massenbewußtsein und Arbeiterbewegung zu analysieren und praktisch zu gestalten. (Text 7, Text 8, Text 9). 10 Einführung Das Scheitern der an den Prinzipien und Erfahrungen der Oktoberrevolution orientierten sozialistischen Systeme macht es zwingend erforderlich, diese Fragen neu zu durchdenken und Tendenzen der Dogmatisierung und Realitätsblindheit als Konsequenz der politischen Institutionalisierung ideologischer Prozeße entgegenzuwirken. 4. Seit Jahrzehnten unentschieden ist der Streit um die Frage, ob Ideologien in jedem Falle falsches Bewußtsein darstellen oder ob es auch Ideologien gibt, auf die dieses Merkmal nicht zutrifft, ob insofern der Ideologiebegriff ausschließlich kritischen Charakter trägt oder auch ein neutraler Ideologiebegriff legitim ist, ob die zahlreichen negativen Urteile über ideologische Prozesse von Marx und Engels hauptsächlich der bürgerlichen Ideologie bzw. idealistischen, religiösen oder ähnlichen Systemen gelten oder auf Ideologien generell zutreffen. (Text 11, Text 12, Text 13, Text 14). Die Herausarbeitung des falschen, des verkehrten und verkehrenden Charakters ideologischer Vorstellungen hat zweifelsohne erhebliche Bedeutung. Die Aufbrechung von Selbsttäuschungen und Irrationalismen, der Nachweis von Nichtübereinstimmungen zwischen Meinungen und Tatsachen, ein realistisches Weltbild und unverfälschte, wissenschaftlich gestützte Einsichten in gesellschaftliche Zusammenhänge sind auch am Ende dieses Jahrhunderts unverzichtbar für Aufklärung und Emanzipation. Andererseits ist davon auszugehen, daß die aktuelle und geschichtliche Wirksamkeit von Ideen, Theorien oder anderen geistigen Entwürfen niemals allein von ihrem Wahrheitsgehalt abhängt. Zudem belegen zahlreiche Erfahrungen, daß Ideologien in der Regel weder nur durch falsche noch nur durch wahre Auffassungen gekennzeichnet sind. Marx hat klassische Verkehrungsmechanismen ideologischer Vorstellungen in der Neuzeit aufgedeckt. Konkrete Ideologien lassen sich jedoch keinesfalls auf diese Mechanismen und ihre Resultate reduzieren. In der bisherigen Geschichte waren Ideologien wesentlich zunächst Emanzipations- und dann Herrschaftswissen. Die Eigenart von Ideologien ist es, praktische Erfordernisse einer geschichtlichen Situation auszudrücken. Sie sind auf die Erzielung von Handlungsfähigkeit und praktischer Aktion angelegt. Und der Erfolg dieser Funktion hängt von einem angemessenen Realitätsbezug ab. Dieser aber enthält mehr als die Wahrheitsrelation. Gefordert sind nicht nur der diskursive sondern beispielsweise auch der bildhaft-künstlerische Aufweis sich abzeichnender Möglichkeiten und die adaequate Artikulation von Erfahrungen, Bedürfnissen, Forderungen und Hoffnungen. Künftiges muß antizipiert, Normen muß zur Geltung und Anerkennung verholfen werden. All das sind Realitätsbezüge, die sinnvoller Weise kaum nach dem Wahrheitskriterium beurteilt und bewertet werden können. Einführung 11 5. Die notwendige Reproduktion einer kritischen marxistischen Ideologietheorie sieht sich mit gravierenden Problemen und Herausforderungen konfrontiert. Erstens ist entgegen mehrfachen Voraussagen ein „Ende“ klassischer Ideologien nicht absehbar. Das kann auch nicht anders sein, da Ideologien eine notwendige Bewegungsform und Funktion geschichtlicher Widersprüche darstellen. Die Situation ist zur Zeit dadurch gekennzeichnet, daß eine Reihe traditioneller Ideologien in modifizierter Gestalt auftreten und kontinuierlich oder sporadisch eine zum Teil beträchtliche Wirkung zeitigen - sei es als geistige Grundlage von Massenbewegungen (islamischer Fundamentalismus) oder militanter Minderheiten (Rassismus), als Legitimation politischer Konzepte (Nationalismus und christlicher Fundamentalismus) oder als Begründung und Rechtfertigung ökonomischer Strategien (Neoliberalismus). Zweitens ist eine entschiedene Ausweitung und Vermehrung objektiver Faktoren festzustellen, die das ideologische Leben der gegenwärtigen Welt konstituieren und die ideologische Herrschaft des Kapitals ausweiten. Marx’ Diktum vom „stummen Zwang der Verhältnisse“ bezieht seine außergewöhnliche Relevanz aus der demoralisierenden und disziplinierenden Wirkung der Massenarbeitslosigkeit ebenso wie aus der Rolle bestimmter Ästhetisierungsprozesse und der Verankerung bestimmter Konsummuster als domierende Leitbilder für die Lebensgestaltung in den entwickelten Industrieländern oder der manipulativen Reproduktion kollektiver Psychosen in Ansehung zahlloser Staus und Barrieren bei der Lösung drängender Gattungsprobleme. Drittens. Marxistische Ideologietheorie bedarf der Verarbeitung der Resultate moderner Medientheorien. Daß die gegenwärtig einsetzende Medienrevolution mit Veränderungen der menschlichen Sinneswahrnehmung einhergeht, ist unstrittig. Offen sind die Konsequenzen derartiger Veränderungen für die Realitätsverarbeitung als Ganzes und insofern für die geistige Struktur und die ideologische Stabilität - oder Brüchigkeit - sozialer Systeme. Viertens. Das Kardinalproblem kritischer Ideologietheorie überhaupt besteht möglicherweise darin, daß sich der Grundansatz klassischer Ideologiekritik, falsches Bewußtsein durch Aufklärung aus der Welt zu schaffen, die Wirkung von Ideologie dadurch aufzuheben, daß die Produktion und der Charakter von Ideologie durchschaubar gemacht werden, überlebt hat. Klarheit über die Mechanismen ideologischer Manipulation und Einsicht in die Verflechtung von Ideologie, Interessen und Macht konnten deren Wirkung nicht beeinträchtigen oder überwinden. Die Unterscheidung von Subjekt und Objekt ideologischer Aktivität, zwischen dem Betrüger und dem Betrogenen scheint fragwürdiger denn je. 12 Einführung II. Texte 1. Karl Marx über gesellschaftliche Grundlagen der Ideologie (1859) Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten. (Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW, Bd. 13, Berlin 1961, S. 8 und 9) 2. Karl Marx/Friedrich Engels zur Entstehung ideologischer Vorstellungen (1845/46) S.26: Die Produktion der Ideen, Vorstellungen, des Bewußtseins ist zunächst unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit und den materiellen Verkehr der Menschen, Sprache des wirklichen Lebens. Das Vorstellen, Denken, der geistige Verkehr der Menschen erscheinen hier noch als direkter Ausfluß ihres materiellen Verhaltens. Von der geistigen Produktion, wie sie in der Sprache der Politik, der Gesetze, der Moral, der Religion, Metaphysik usw. eines Volkes sich darstellt, gilt dasselbe. Die Menschen sind die Produzenten ihrer Vorstellungen, Ideen pp., aber die wirklichen, wirkenden Menschen, wie sie bedingt sind durch eine bestimmte Entwicklung ihrer Produktivkräfte und des denselben entsprechenden Verkehrs bis zu seinen weitesten Formen hinauf. Das Bewußtsein kann nie etwas Andres sein als das bewußte Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozeß. Wenn in der ganzen Ideologie die Menschen und ihre Verhältnisse wie in einer Camera obscura auf den Kopf gestellt erscheinen, so Texte 13 geht dies Phänomen ebensosehr aus ihrem historischen Lebensprozeß hervor, wie die Umdrehung der Gegenstände auf der Netzhaut aus ihrem unmittelbar physischen. Ganz im Gegensatz zur deutschen Philosophie, welche vom Himmel auf die Erde herabsteigt, wird hier von der Erde zum Himmel gestiegen. D.h. es wird nicht ausgegangen von dem, was die Menschen sagen, sich einbilden, sich vorstellen, auch nicht von den gesagten, gedachten, eingebildeten, vorgestellten Menschen, um davon aus bei den leibhaftigen Menschen anzukommen; es wird von den wirklich tätigen Menschen ausgegangen und aus ihrem wirklichen Lebensprozeß auch die Entwicklung der ideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses dargestellt. Auch die Nebelbildungen im Gehirn der Menschen sind notwendige Sublimate ihres materiellen, empirisch konstatierbaren und an materielle Voraussetzungen geknüpften Lebensprozesses. Die Moral, Religion, Metaphysik und sonstige Ideologie und die ihnen entsprechenden Bewußtseinsformen behalten hiermit nicht länger den Schein der Selbstständigkeit. Sie haben keine Geschichte, sie haben keine Entwicklung, sondern die ihre materielle Produktion und ihren materiellen Verkehr entwickelnden Menschen ändern mit dieser ihrer Wirklichkeit auch ihr Denken und die Produkte ihres Denkens. ... S.31/32: Die Teilung der Arbeit wird erst wirklich Teilung von dem Augenblicke an, wo eine Teilung der materiellen und geistigen Arbeit eintritt. Von diesem Augenblicke an kann sich das Bewußtsein wirklich einbilden, etwas Andres als das Bewußtsein der bestehenden Praxis zu sein, wirklich etwas vorzustellen, ohne etwas Wirkliches vorzustellen - von diesem Augenblicke an ist das Bewußtsein imstande, sich von der Welt zu emanzipieren und zur Bildung der „reinen“ Theorie, Theologie, Philosophie, Moral etc. überzugehen. Aber selbst wenn diese Theorie, Theologie, Philosophie, Moral etc. in Widerspruch mit den bestehenden Verhältnissen treten, so kann dies nur dadurch geschehen, daß die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse mit der bestehenden Produktionskraft in Widerspruch getreten sind. ... S.46: Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so daß ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind. Die herrschenden Gedanken sind weiter Nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die als Gedanken gefaßten herrschenden materiellen Verhältnisse; also der Verhältnisse, die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft. 14 Te xt e S.47/48: Löst man nun bei der Auffassung des geschichtlichen Verlaufs die Gedanken der herrschenden Klasse von der herrschenden Klasse los, verselbständigt man sie, bleibt dabei stehen, daß in einer Epoche diese und jene Gedanken geherrscht haben, ohne sich um die Bedingungen der Produktion und um die Produzenten dieser Gedanken zu bekümmern, läßt man also die den Gedanken zugrunde liegenden Individuen und Weltzustände weg, so kann man z.B. sagen, daß während der Zeit, in der die Aristokratie herrschte, die Begriffe Ehre, Treue etc., während der Herrschaft der Bourgeoisie die Begriffe Freiheit, Gleichheit etc. herrschten. Die herrschende Klasse selbst bildet sich dies im Durchschnitt ein... Jede neue Klasse, die sich an die Stelle einer vor ihr herrschenden setzt, ist genötigt, schon um ihren Zweck durchzuführen, ihr Interesse als das gemeinschaftliche Interesse aller Mitglieder der Gesellschaft darzustellen, d.h. ideell ausgedrückt: ihren Gedanken die Form der Allgemeinheit zu geben, sie als die einzig vernünftigen, allgemein gültigen darzustellen. Die revolutionierende Klasse tritt von vornherein, schon weil sie einer Klasse gegenübersteht, nicht als Klasse, sondern als Vertreterin der Gesellschaft auf, sie erscheint als die ganze Masse der Gesellschaft gegenüber der einzig herrschenden Klasse. Sie kann dies, weil im Anfange ihr Interesse wirklich noch mehr mit dem gemeinschaftlichen Interesse aller übrigen nichtherrschenden Klassen zusammenhängt, sich unter dem Druck der bisherigen Verhältnisse noch nicht als besonderes Interesse einer besonderen Klasse entwickeln konnte. S.274: Je mehr die normale Verkehrsform der Gesellschaft und damit die Bedingungen der herrschenden Klasse ihren Gegensatz gegen die fortgeschrittene Produktionsweise entwickeln, je größer daher der Zwiespalt in der herrschenden Klasse selbst und mit der beherrschten Klasse wird, desto unwahrer wird natürlich das dieser Verkehrsform ursprünglich entsprechende Bewußtsein, d.h. es hört auf, das ihr entsprechende Bewußtsein zu sein, desto mehr sinken die früheren überlieferten Vorstellungen dieser Verkehrsverhältnisse, worin die wirklichen persönlichen Interessen ppp. als allgemeine ausgesprochen werden, zu bloß idealisierenden Phrasen, zur bewußten Illusion, zur absichtlichen Heuchelei herab. Je mehr sie aber durch das Leben Lügen gestraft werden und je weniger sie dem Bewußtsein selbst gelten, desto entschiedner werden sie geltend gemacht, desto heuchlerischer, moralischer und heiliger wird die Sprache dieser normalen Gesellschaft. S.405: „Beruf, Bestimmung, Aufgabe, Ideal“ sind...entweder 1. die Vorstellung von den revolutionären Aufgaben, die einer unterdrückten Klasse materiell vorgeschrieben sind; oder 2. bloße idealistische Paraphrasen oder auch entsprechender bewußter Ausdruck der durch die Teilung der Arbeit zu verschiedenen Geschäften verselbständigten Betätigungsweisen der Individuen; oder Texte 15 3. der bewußte Ausdruck der Notwendigkeit, in der Individuen, Klassen, Nationen sich jeden Augenblick befinden, durch eine ganz bestimmte Tätigkeit ihre Stellung zu behaupten: oder 4. die in den Gesetzen, der Moral pp. ideell ausgedrückten Existenzbedingungen der herrschenden Klasse (bedingt durch die bisherige Entwicklung der Produktion), die von ihren Ideologen mit mehr oder weniger Bewußtsein theoretisch verselbständigt werden, in dem Bewußtsein der einzelnen Individuen dieser Klasse als Beruf pp. sich darstellen können und den Individuen der beherrschten Klasse als Lebensnorm entgegengehalen werden, teils als Beschönigung oder Bewußtsein der Herrschaft, teils als moralisches Mittel derselben. Hier, wie überhaupt bei den Ideologen, ist zu bemerken, daß sie die Sache notwendig auf den Kopf stellen und ihre Ideologie sowohl für die erzeugende Kraft wie für den Zweck aller gesellschaftlichen Verhältnisse ansehen, während sie nur ihr Ausdruck und Symptom sind. (Karl Marx, Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, MEW, Bd. 3, Berlin 1958, S. 26, 31-32, 46, 47-48, 274, 405) 3. Karl Marx über die „verkehrte“ Art und Weise, in der die Verhältnisse der Warenproduktion sich im Bewußtsein der Warenproduzenten widerspiegeln (1867) S.85-87: Der mystische Charakter der Ware entspringt also nicht aus ihrem Gebrauchswert. Er entspringt ebensowenig aus dem Inhalt der Wertbestimmungen. Denn erstens, wie verschieden die nützlichen Arbeiten oder produktiven Tätigkeiten sein mögen, es ist eine physiologische Wahrheit, daß sie Funktionen des menschlichen Organismus sind, und daß jede solche Funktion, welches immer ihr Inhalt und ihre Form, wesentlich Verausgabung von menschlichem Hirn, Nerv, Muskel, Sinnesorgan usw. ist. Was zweitens der Bestimmung der Wertgröße zugrunde liegt, die Zeitdauer jener Verausgabung oder die Quantität der Arbeit, so ist die Quantität sogar sinnfällig von der Qualität der Arbeit unterscheidbar. In allen Zuständen mußte die Arbeitszeit, welche die Produktion der Lebensmittel kostet, den Menschen interessieren, obgleich nicht gleichmäßig auf verschiedenen Entwicklungsstufen. Endlich, sobald die Menschen in irgendeiner Weise füreinander arbeiten, erhält ihre Arbeit auch eine gesellschaftliche Form. Woher entspringt also der rätselhafte Charakter des Arbeitsprodukts, sobald es Warenform annimmt? Offenbar aus dieser Form selbst. Die Gleichheit der menschlichen Arbeiten erhält die sachliche Form der gleichen Wertgegenständlichkeit der Arbeitsprodukte, das Maß der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft durch ihre Zeitdauer erhält die Form der Wertgröße der Arbeitsprodukte, endlich die Verhältnisse der Produzenten, worin jene gesellschaftlichen Bestim- 16 Te xt e mungen ihrer Arbeiten bestätigt werden, erhalten die Form eines gesellschaftlichen Verhältnisses der Arbeitsprodukte. Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. Durch dies Quidproquo werden die Arbeitsprodukte Waren, sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge. So stellt sich der Lichteindruck eines Dings auf den Sehnerv nicht als subjektiver Reiz des Sehnervs selbst, sondern als gegenständliche Form eines Dings außerhalb des Auges dar. Aber beim Sehen wird wirklich Licht von einem Ding, dem äußeren Gegenstand, auf ein andres Ding, das Auge, geworfen. Es ist ein physisches Verhältnis zwischen physischen Dingen. Dagegen hat die Warenform und das Wertverhältnis der Arbeitsprodukte, worin sie sich darstellt, mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher der Warenproduktion unzertrennlich ist. Dieser Fetischcharakter der Warenwelt enspringt, wie die vorhergehende Analyse bereits gezeigt hat, aus dem eigentümlichen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, welche Waren produziert. Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhängig betriebner Privatarbeiten sind. Der Komplex dieser Privatarbeiten bildet die gesellschaftliche Gesamtarbeit. Da die Produuzenten erst in gesellschaftlichen Kontakt treten durch den Austausch ihrer Arbeitsprodukte, erscheinen auch die spezifisch gesellschaftlichen Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb dieses Austausches. Oder die Privatarbeiten betätigen sich in der Tat erst als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeit durch die Beziehungen, worin der Austausch die Arbeitsprodukte und vermittelst derselben die Produzenten versetzt. Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern Texte 17 vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen. S.89-90: Das Nachdenken über die Formen des menschlichen Lebens, also auch ihre wissenschaftliche Analyse, schlägt überhaupt einen der wirklichen Entwicklung entgegengesetzten Weg ein. Es beginnt post festum und daher mit den fertigen Resultaten des Entwicklungsprozesses. Die Formen, welche Arbeitsprodukte zu Waren stempeln und daher der Warenzirkulation vorausgesetzt sind, besitzen bereits die Festigkeit von Naturformen des gesellschaftlichen Lebens, bevor die Menschen sich Rechenschaft zu geben suchen, nicht über den historischen Charakter dieser Formen, die ihnen vielmehr bereits als unwandelbar gelten, sondern über deren Gehalt. So war es nur die Analyse der Warenpreise, die zur Bestimmung der Wertgröße, nur der gemeinschaftliche Geldausdruck der Waren, der zur Fixierung ihres Wertcharakters führte. Es ist aber eben diese fertige Form - die Geldform - der Warenwelt, welche den gesellschaftlichen Charakter der Privatarbeiten und daher die gesellschaftlichen Verhältnisse der Privatarbeiter sachlich verschleiert, statt sie zu offenbaren. Wenn ich sage, Rock, Stiefel usw. beziehen sich auf Leinwand als die allgemeine Verkörperung abstrakter menschlicher Arbeit, so springt die Verrücktheit dieses Ausdrucks ins Auge. Aber wenn die Produzenten von Rock, Stiefel usw. diese Waren auf Leinwand - oder auf Gold und Silber, was nichts an der Sache ändert - als allgemeines Äquivalent beziehn, erscheint ihnen die Beziehung ihrer Privatarbeiten zu der gesellschaftlichen Gesamtarbeit genau in dieser verrückten Form. Derartige Formen bilden eben die Kategorien der bürgerlichen Ökonomie. Es sind gesellschaftlich gültige, also objektive Gedankenformen für die Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftlichen Produktionsweise, der Warenproduktion. (Karl Marx, Das Kapital. Erster Band, MEW, Bd. 23, Berlin 1962, S. 85-87, 89-90) 4. Karl Marx über die „Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn“ als Beispiel für die Verschleierung wesentlicher, grundlegender Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft durch deren Oberfläche (1867) S.557: Auf der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft erscheint der Lohn des Arbeiters als Preis der Arbeit, ein bestimmtes Quantum Geld, das für ein bestimmtes Quantum Arbeit gezahlt wird. S.559/560: Was dem Geldbesitzer auf dem Warenmarkt direkt gegenübertritt, ist in der Tat nicht die Arbeit, sondern der Arbeiter. Was letztrer verkauft, ist seine Arbeitskraft. Sobald seine Arbeit wirklich beginnt, hat sie bereis aufgehört, ihm 18 Te xt e zu gehören, kann also nicht mehr von ihm verkauft werden. Die Arbeit ist die Substanz und das immanente Maß der Werte, aber sie selbst hat keinen Wert. Im Ausdruck: „Wert der Arbeit“ ist der Wertbegriff nicht nur völlig ausgelöscht, sondern in sein Gegenteil verkehrt. Es ist ein imaginärer Ausdruck, wie etwa Wert der Erde. Diese imaginären Ausdrücke entspringen jedoch aus den Produktionsverhältnissen selbst. Sie sind Kategorien für Erscheinungsformen wesentlicher Verhältnisse. Daß in der Erscheinung die Dinge sich oft verkehrt darstellen, ist ziemlich in allen Wissenschaften bekannt, außer in der politischen Ökonomie. Die klassische politische Ökonomie entlehnte dem Alltagsleben ohne weitere Kritik die Kategorie „Preis der Arbeit“, um sich dann hinterher zu fragen, wie wird dieser Preis bestimmt?. S.560/561: Aber was sind die Produktionskosten - des Arbeiters, d.h. die Kosten, um den Arbeiter selbst zu produzieren oder zu reproduzieren? Diese Frage schob sich der politischen Ökonomie bewußtlos für die ursprüngliche unter, da sie mit den Produktionskosten der Arbeit als solcher sich im Kreise drehte und nicht vom Flecke kam. Was sie also Wert der Arbeit... nennt, ist in der Tat der Wert der Arbeitskraft, die in der Persönlichkeit des Arbeiters existiert, und von ihrer Funktion, der Arbeit, ebenso verschieden ist, wie eine Maschine von ihren Operationen. ... Da der Wert der Arbeit nur ein irrationeller Ausdruck für den Wert der Arbeitskraft, ergibt sich von selbst, daß der Wert der Arbeit stets kleiner sein muß als ihr Wertprodukt, denn der Kapitalist läßt die Arbeitskraft stets länger funktionieren als zu Reproduktion ihres eignen Werts nötig ist. S.562/63: Die Form des Arbeitslohns löscht also jede Spur der Teilung des Arbeitstags in notwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit. Bei der Fronarbeit unterscheiden sich räumlich und zeitlich, handgreiflich sinnlich, die Arbeit des Fröners für sich selbst und seine Zwangsarbeit für den Grundherrn. Bei der Sklavenarbeit erscheint selbst der Teil des Arbeitstags, worin der Sklave nur den Wert seiner eignen Lebensmittel ersetzt, den er in der Tat also für sich selbst arbeitet, als Arbeit für seinen Meister. Alle seine Arbeit erscheint als unbezahlte Arbeit. Bei der Lohnarbeit erscheint umgekehrt selbst die Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit als bezahlt. Dort verbirgt das Eigentumsverhältnis das Fürsichselbstarbeiten des Sklaven, hier das Geldverhältnis das Umsonstarbeiten des Lohnarbeiters. Man begreift daher die entscheidende Wichtigkeit der Verwandlung von Wert und Preis der Arbeitskraft in die Form des Arbeitslohns oder in Wert und Preis der Arbeit selbst. Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und grade sein Gegenteil zeigt, beruhn alle Rechtsvorstellungen des Texte 19 Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie. Braucht die Weltgeschichte viele Zeit, um hinter das Geheimnis des Arbeitslohns zu kommen, so ist dagegen nichts leichter zu verstehn als die Notwendigkeit...dieser Erscheinungsform. Der Austausch zwischen Kapital und Arbeit stellt sich der Wahrnehmung zunächst ganz in derselben Art dar wie der Kauf und Verkauf aller andren Waren. Der Käufer gibt eine gewisse Geldsumme, der Verkäufer einen von Geld verschiednen Artikel. Das Rechtsbewußtsein erkennt hier höchstens einen stofflichen Unterschied...Daß dieselbe Arbeit nach einer andren Seite hin allgemeines wertbildendes Element ist, eine Eigenschaft, wodurch sie sich von allen andren Waren unterscheidet, fällt außerhalb des Bereichs des gewöhnlichen Bewußtseins. S.564: Übrigens gilt von der Erscheinungsform „Wert und Preis der Arbeit“ oder „Arbeitslohn“, im Unterschied zum wesentlichen Verhältnis, welches erscheint, dem Wert und Preis der Arbeitskraft, dasselbe, was von allen Erscheinungsformen und ihrem verborgnen Hintergrund. Die ersteren reproduzieren sich unmittelbar spontan, als gang und gäbe Denkformen, der andre muß durch die Wissenschaft erst entdeckt werden. Die klassische politische Ökonomie stößt annähernd auf den wahren Sachverhalt, ohne ihn jedoch bewußt zu formulieren. Sie kann das nicht, solange sie in ihrer bürgerlichen Haut steckt. (Karl Marx, Das Kapital. Erster Band, MEW, Bd. 23, Berlin 1962, S. 557, 559-560, 560-561, 562-563, 564) 5. Friedrich Engels über die relative Selbständigkeit der Ideologien (1890) S.490: Die Sache faßt sich am leichtesten vom Standpunkt der Teilung der Arbeit. Die Gesellschaft erzeugt gewisse gemeinsame Funktionen, deren sie nicht entraten kann. Die hierzu ernannten Leute bilden einen neuen Zweig der Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft. Sie erhalten damit besondre Interessen auch gegenüber ihren Mandataren, sie verselbständigen sich ihnen gegenüber, und - der Staat ist da. Und nun geht es ähnlich wie beim Warenhandel und später beim Geldhandel: die neue selbstände Macht hat zwar im ganzen und großen der Bewegung der Produktion zu folgen, reagiert aber auch, kraft der ihr innewohnenden, d.h. ihr einmal übertragnen und allmählich weiterentwickelten relativen Selbständigkeit, wiederum auf die Bedingungen und den Gang der Produktion. Es ist Wechselwirkung zweier ungleicher Kräfte, der ökonomischen Bewegung auf der einen, der nach möglichster Selbständigkeit strebenden und, weil einmal eingesetzten, auch mit einer Eigenbewegung begabten neuen politischen 20 Te xt e Macht; die ökonomische Bewegung setzt sich im ganzen und großen durch, aber sie muß auch Rückwirkung erleiden von der durch sie selbst eingesetzten und mit relativer Selbständigkeit begabten politischen Bewegung, der Bewegung einerseits der Staatsmacht, andrerseits der mit ihr gleichzeitig erzeugten Opposition. Wie im Geldmarkt sich die Bewegung des Industriemarkts im ganzen und großen, und unter oben angedeuteten Vorbehalten, widerspiegelt, und natürlich verkehrt, so spiegelt sich im Kampf zwischen Regierung und Opposition der Kampf der vorher schon bestehenden und kämpfenden Klassen wider, aber ebenfalls verkehrt, nicht mehr direkt, sondern indirekt, nicht als Klassenkampf, sondern als Kampf um politische Prinzipien, und so verkehrt, daß es Jahrtausende gebracht hat, bis wir wieder dahinterkamen. S.491/492: Mit dem Jus ist es ähnlich: Sowie die neue Arbeitsteilung nötig wird, die Berufsjuristen schafft, ist wieder ein neues, selbständiges Gebiet eröffnet, das bei aller seiner allgemeinen Abhängigkeit von der Produktion und dem Handel doch auch eine besondre Reaktionsfähigkeit gegen diese Gebiete besitzt. In einem modernen Staat muß das Recht nicht nur der allgemeinen ökonomischen Lage entsprechen, ihr Ausdruck sein, sondern auch ein in sich zusammenhängender Ausdruck, der sich nicht durch innere Widersprüche selbst ins Gesicht schlägt. Und um das fertigzubringen, geht die Treue der Abspiegelung der ökonomischen Verhältnisse mehr und mehr in die Brüche. ... Die Widerspieglung ökonomischer Verhältnisse als Rechtsprinzipien ist notwendig ebenfalls eine auf den Kopf stellende: Sie geht vor, ohne daß sie den Handelnden zum Bewußtsein kommt, der Jurist bildet sich ein, mit aprioristischen Sätzen zu operieren, während es doch nur ökonomische Reflexe sind - so steht alles auf dem Kopf. Und daß diese Umkehrung, die, solange sie nicht erkannt ist, das konstituiert, was wir ideologische Anschauung nennen, ihrerseits wieder auf die ökonomische Basis zurückwirkt und sie innerhalb gewisser Grenzen modifizieren kann, scheint mir selbstverständlich. S.492/493: Was nun die noch höher in der Luft schwebenden ideologischen Gebiete angeht, Religion, Philosophie etc., so haben diese einen vorgeschichtlichen, von der geschichtlichen Periode vorgefundnen und übernommnen Bestand von - was wir heute Blödsinn nennen würden. Diesen verschiednen falschen Vorstellungen von der Natur, von der Beschaffenheit des Menschen selbst, von Geistern, Zauberkräften etc. liegt meist nur negativ Ökonomisches zugrunde; die niedrige ökonomische Entwicklung der vorgeschichtlichen Periode hat zur Ergänzung, aber auch stellenweise zur Bedingung und selbst Ursache, die falschen Vorstellungen von der Natur. Und wenn auch das ökonomische Bedürfnis die Haupttriebfeder der fortschreitenden Naturerkenntnis war und immer mehr geworden ist, so wäre es doch pedantisch, wollte man für all diesen urzuständlichen Blödsinn ökonomische Ursachen suchen. Die Geschichte der Wis- Texte 21 senschaften ist die Geschichte der allmählichen Beseitigng dieses Blödsinns, respektive seiner Ersetzung durch neuen, aber immer weniger absurden Blödsinn. Die Leute, die dies besorgen, gehören wieder besondern Sphären der Teilung der Arbeit an und kommen sich vor, als bearbeiteten sie ein unabhängiges Gebiet. Und insofern sie eine selbständige Gruppe innerhalb der gesellschaftlichen Arbeitsteilung bilden, insofern haben ihre Produktionen, inklusive ihrer Irrtümer, einen rückwirkenden Einfluß auf die ganze gesellschaftliche Entwicklung, selbst auf die ökonomische. Aber bei alledem stehn sie selbst wieder unter dem beherrschenden Einfluß der ökonomischen Entwicklung. Z.B. in der Philosophie läßt sich dies am leichtesten für die bürgerliche Periode nachweisen. Hobbes war der erste moderne Materialist (im Sinne des 18.Jahrhunderts), aber Absolutist zur Zeit, wo die absolute Monarchie in ganz Europa ihre Blütezeit hatte und in England den Kampf mit dem Volk aufnahm. Locke war in Religion wie Politik der Sohn des Klassenkompromisses von 1688. Die englischen Deisten und ihre konsequenten Fortsetzer, die französischen Malterialisten, waren die echten Philosophen der Bourgeoisie, die Franzosen sogar der bürgerlichen Revolution. In der deutschen Philosophie von Kant bis Hegel geht der deutsche Spießbürger durch - bald positiv, bald negativ. Aber als bestimmtes Gebiet der Arbeitsteilung hat die Philosophie jeder Epoche ein bestimmtes Gedankenmaterial zur Voraussetzung, das ihr von ihren Vorgängern überliefert worden und wovon sie ausgeht. ... Die schließliche Suprematie der ökonomischen Entwicklung auch über diese Gebiete steht mir fest, aber sie findet statt innerhalb der duch das einzelne Gebiet selbst vorgeschriebnen Bedingungen: in der Philosophie z.B. durch Einwirkung ökonomischer Einflüsse (die meist wieder erst in ihrer politischen usw. Verkleidung wirken) auf das vorhandne philosophische Material, das die Vorgänger geliefert haben. Die Ökonomie schafft hier nichts a novo, sie bestimmt aber die Art der Abänderung und Fortbildung des vorgefundnen Gedankenstoffs, und auch das meist indirekt, indem es die politischen, juristischen, moralischen Reflexe sind, die die größte direkte Wirkung auf die Philosophie üben. (Friedrich Engels, F. Engels an Conrad Schmidt, 27. Oktober 1890, MEW, Bd. 37, Berlin 1967, S. 490, 491-492, 492-493) 6. Friedrich Engels zur Entstehung und Wirksamkeit ideologischer Vorstellungen (1893) Sonst fehlt nur noch ein Punkt, der aber auch in den Sachen von Marx und mir regelmäßig nicht genug hervorgehoben ist und in Beziehung auf den uns alle gleiche Schuld trifft. Nämlich wir alle haben zunächst das Hauptgewicht auf die Ableitung der politischen, rechtlichen und sonstigen ideologischen Vorstellungen und durch diese Vorstellungen vermittelten Handlungen aus den ökonomischen 22 Te xt e Grundtatsachen gelegt und legen müssen. Dabei haben wir dann die formelle Seite über der inhaltlichen vernachlässigt: die Art und Weise, wie diese Vorstellungen etc. zustande kommen. Das hat denn den Gegnern willkommnen Anlaß zu Mißverständnissen resp. Entstellungen gegeben. ... Die Ideologie ist ein Prozeß, der zwar mit Bewußtsein vom sogenannten Denker vollzogen wird, aber mit einem falschen Bewußtsein. Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewegen, bleiben ihm unbekannt; sonst wäre es eben kein ideologischer Prozeß. Er imaginiert sich also falsche resp. scheinbare Triekbräfte. Weil es ein Denkprozeß ist, leitet er seinen Inhalt wie seine Form aus dem reinen Denken ab, entweder seinem eignen oder dem seiner Vorgänger. Er arbeitet mit bloßem Gedankematerial, das er unbesehen als durchs Denken erzeugt hinnimmt und sonst nicht weiter auf einen entfernteren, vom Denken unabhängigen Ursprung untersucht, und zwar ist ihm dies selbstverständlich, da ihm alles Handeln, weil durchs Denken vermittelt, auch in letzter Instand im Denken begründet erscheint. Der historische Ideolog (historisch soll hier einfach zusammenfassend stehn für politisch, juristisch, philosophisch, theologisch, kurz für alle Gebiete, die der Gesellschaft angehören und nicht bloß der Natur) - der historische Ideolog hat also auf jedem wissenschaftlichen Gebiet einen Stoff, der sich selbständig aus dem Denken früherer Generationen gebildet und im Gehirn dieser einander folgenden Generationen eine selbständige, eigne Entwicklungsweise durchgemacht hat. Allerdings mögen äußere Tatsachen, die dem einen oder andren Gebiete angehören, mitbestimmend auf diese Entwicklung eingewirkt haben, aber diese Tatsachen sind nach der stillschweigenden Voraussetzung ja selbst wieder bloße Früchte eines Denkprozesses, und so bleiben wir immer noch im Bereich des bloßen Denkens, das selbst die härtesten Tatsachen anscheindend glücklich verdaut hat. Es ist dieser Schein einer selbständigen Geschichte der Staatsverfassungen, der Rechtssysteme, der ideologischen Vorstellungen auf jedem Sondergebiet, der die meisten Leute vor allem blendet. Wenn Luther und Calvin die offizielle katholische Religion, wenn Hegel den Fichte und Kant, Rousseau indirekt mit seinem republikanischen „Contrat social“ den konstitutionellen Montesquieu „überwindet“, so ist das ein Vorgang, der innerhalb der Theologie, der Philosophie, der Staatswissenschaft bleibt, eine Etappe in der Geschichte dieser Denkgebiete darstellt und gar nicht aus dem Denkgebiet herauskommt. Und seitdem die bürgerliche Illusion von der Ewigkeit und Letztinstanzlichkeit der kapitalistischen Produktion dazugekommen, gilt ja sogar die Überwindung der Merkantilisten durch die Physiokraten und A.Smith für einen bloßen Sieg des Gedankens; nicht für den Gedankenreflex veränderter ökonomischer Tatsachen, sondern für die endlich errungene richtige Einsicht in stets und überall bestehende tsatsächliche Texte 23 Bedingungen; hätten Richard Löwenherz und Philipp August den Freihandel eingeführt statt sich in Kreuzzüge zu verwickeln, so blieben uns fünfhundert Jahre Elend und Dummheit erspart. Diese Seite der Sache, die ich hier nur andeuten kann, haben wir, glaube ich, alle mehr vernachlässigt, als sie verdient. Es ist die alte Geschichte: Im Anfang wird stets die Form über den Inhalt vernachlässigt. Wie gesagt, ich habe das ebenfalls getan, und der Fehler ist mir immer erst post festum aufgestoßen. Ich bin also nicht nur weit entfernt davon, Ihnen irgendeinen Vorwurf daraus zu machen dazu bin ich als älterer Mitschuldiger ja gar nicht berechtigt, im Gegenteil - aber ich möchte Sie doch für die Zukunft auf diesen Punkt aufmerksam machen. Damit zusammen hängt auch die blödsinnige Vorstellung der Ideologen: weil wir den verschiednen ideologischen Sphären, die in der Geschichte eine Rolle spielen, eine selbständige historische Entwicklung absprechen, sprächen wir ihnen auch jede historische Wirksamkeit ab. Es liegt hier die ordinäre undialektische Vorstellung von Ursache und Wirklung als starr einander entgegengesetzten Polen zugrunde, die ablosute Vergessung der Wechselwirkung. Daß ein historisches Moment, sobald es einmal durch andre, schließlich ökonomische Ursachen, in die Welt gesetzt, nun auch reagiert, auf seine Umgebung und selbst seine eignen Ursachen zurückwirken kann, vergessen die Herren oft fast absichtlich. (Friedrich Engels, F. Engels an Franz Mehring, 14. Juli 1893, MEW, Bd. 39, Berlin 1968, S. 96-97) 7. Wladimir I. Lenin über die Vereinigung von wissenschaftlichem Sozialismus und Arbeiterbewegung (1899) Die Sozialdemokratie reduziert sich nicht auf einfachen Dienst an der Arbeiterbewegung: sie ist die „Vereinigung von Sozialismus und Arbeiterbewegung“ (um die Definition K.Kaustskys zu gebrauchen, die die Hauptideen des „Kommunistischen Manifests“ wiedergibt); es ist ihre Aufgabe, in die spontane Arbeiterbewegung bestimmte sozialistische Ideale hineinzutragen, sie mit sozialistischen Überzeugungen, die auf dem Niveau der modernen Wissenschaft stehen müssen, zu verbinden, sie mit dem systematischen politischen Kampf für die Demokratie als ein Mittel zur Verwirklichung des Sozialismus zu verbinden, ... (Wladimir I. Lenin, Artikel für die „Rabotschaja Gazeta“, LW, Bd. 4, Berlin 1955, S. 211) 24 Te xt e 8. Wladimir I. Lenin über die Quelle des politischen Bewußtseins (1901/02) Das politische Bewußtsein kann dem Arbeiter nur von außen gebracht werden, das heißt aus einem Bereich außerhalb des ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern. Das Gebiet, aus dem allein dieses Wissen geschöpft werden kann, sind die Beziehungen aller Klassen und Schichten zum Staat und zur Regierung, sind die Wechselbeziehungen zwischen sämtlichen Klassen. (Wladimir I. Lenin, Was tun?, LW, Bd. 5, Berlin 1955, S. 436) 9. Wladimir I. Lenin über den wissenschaftlichen Sozialismus als Ideologie (1902) Das „Klasseninteresse“ zwingt die Proletarier, sich zu vereinigen, gegen die Kapitalisten zu kämpfen, über die Bedingungen ihrer Befreiung nachzudenken. Das „Klasseninteresse“ macht sie für den Sozialismus empfänglich. Aber der Sozialismus, als Ideologie des proletarischen Klassenkampfes, ist den allgemeinen Bedingungen der Entstehung, Entwicklung und Festigung einer Ideologie untergeordnet, d.h. er fußt auf dem gesamten Rüstzeug des menschlichen Wissens, setzt eine hohe Entwicklung der Wissenschaft voraus, erfordert wissenschaftliche Arbeit usw. usf. (Wladimir I. Lenin, Brief an den Nordbund, LW, Bd. 6, Berlin 1956, S. 155) 10. Nikolai J. Bucharin zum Begriff „Ideologie“ (1922) S.238: Unter der gesellschaftlichen Ideologie werden wir das System der Gedanken, Gefühle oder Verhaltensmaßregeln (Normen) verstehen. Dazu gehören folglich solche Erscheinungen wie der Inhalt der Wissenschaft... und der Kunst, die Gesamtheit der Normen, der Sitten oder der Moral usw. Unter gesellschaftlicher Psychologie werden wir die nichtsystematisierten oder wenig systematisierten Gefühle, Gedanken und Stimmungen verstehen, die die gegebene Gesellschaft, Klasse, Gruppe, Profession usw. aufweist. ... S.247/48: Die gesellschaftliche Psychologie ist ein gewisses Reservoir für die Ideologie...Die Ideologien sind das Geronnene der gesellschaftlichen Psychologie...Die Ideologie ist nicht von der Psychologie durch einen Grenzpfahl mit der Aufschrift: „Eintritt streng verboten“ getrennt. Im Gegenteil, in Wirklichkeit vollzieht sich stets ein ununterbrochener Prozeß der Befestigung, der Verdich- Texte 25 tung, der Verhärtung der gesellschaftlichen Psychologie zur gesellschaftlichen Ideologie. (Nikolai I. Bucharin, Theorie des historischen Materialismus, Hamburg 1922, S. 238, 247-248) 11. Antonio Gramsci über unterschiedliche Verwendungsweisen des Begriffs „Ideologie“ Wenn man den Wert der Ideologien in Betracht zieht, so scheint mir, daß ein Element des Irrtums in der Tatsache zu suchen ist (was andererseits nicht zufällig ist), daß man mit dem Namen Ideologie einmal den für eine bestimmte Basis notwendigen Überbau, zum anderen die willkürlichen Hirngespinster gewisser Individuen bezeichnet. Die abfällige Bedeutung des Wortes ist extensiv geworden, und das hat die theoretische Analyse des Begriffs Ideologie verändert und denaturiert. Der Prozeß dieses Irrtums kann leicht rekonstruiert werden: 1. die Ideologie wird als von der Basis unterschieden festgestellt, und man behauptet, daß nicht die Ideologien die Basis verändern, sondern umgekehrt; 2. man behauptet, eine gewisse politische Lösung sei „ideologische“, d.h. nicht ausreichend, um die Basis zu ändern, während sie sie zu ändern glaubt; man behauptet, sie sei unnütz, stupide etc.; 3. man geht zu der Behauptung über, jede Ideologie sei „reiner Schein, unnütz, stupide etc. Man muß also unterscheiden zwischen historisch organischen Ideologien, die für eine gewisse Struktur notwendig sind, und willkürlichen, rationalistisch „gewollten“ Ideologien. Soweit sie historisch notwendig sind, sind sie gültig, „psychologisch“ gültig, sie „organisieren“ die Menschenmassen, bilden das Terrain, auf denen die Menschen sich bewegen, ein Bewußtsein ihrer Lage erhalten, kämpfen etc. Soweit sie „willkürlich“ sind, bringen sie nur „Bewegungen“ in Form individueller Polemik hervor etc. (Antonio Gramsci, Philosophie der Praxis, Frankfurt am Main 1967, S. 169-170) 12. Max Horkheimer über Ideologie, absoluten Geist, Wahrheit (1951) S.11: Wenngleich das Wort Ideologie heute in einem verschwommenen und universalen Sinn gebraucht wird, enthält es doch immer noch ein Element, das im Gegensatz zu dem Anspruch des Geistes steht, seinem Dasein oder seinem Inhalt nach für unbedingt zu gelten. Selbst in seiner verflachten Form widerspricht der Ideologiebegriff somit der idealistischen Anschauungsweise. Geist als Ideologie ist nicht absolut... S.21: Geist ist in der Tat in der Geschichte verflochten, er hängt unlöslich mit dem Willen, den Interessen und Trieben der Menschen, mit ihrer realen Lage 26 Te xt e zusammen. Aber der Unterschied zwischen dem als Unbedingtem sich aufspreizenden Bedingten einerseits und der Erkenntnis, zu der wir mit unseren besten Kräften jeweils kommen, andererseits, dieser Unterschied fällt damit keineswegs dahin. Es ist der Unterschied zwischen Wahrheit und Unwahrheit. Der Name der Ideologie sollte dem seiner Abhängigkeit nicht bewußten, geschichtlich aber bereits durchschaubaren Wissen, dem vor der fortgeschrittensten Erkenntnis bereits zum Schein herabgesunkenen Meinen, im Gegensatz zur Wahrheit vorbehalten werden. (Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. 7, Frankfurt am Main 1985, S. 11, 21) 13. Theodor W. Adorno über die Dialektik der Ideologie (1954) S.472/473: Die Ideologienlehre bricht auseinander in einen höchst abstrakten, der bündigen Artikulation entratenden Totalentwurf und monographische Studien. In dem Vakuum dazwischen verliert sich das dialektische Problem der Ideologien: daß diese zwar falsches Bewußtsein, aber doch nicht nur falsch sind. Der Schleier, der notwendig zwischen der Gesellschaft und deren Einsicht in ihr eigenes Wesen liegt, drückt zugleich kraft solcher Notwendigkeit auch dies Wesen selbst aus. Unwahr werden eigentliche Ideologien erst durch ihr Verhältnis zu der bestehenden Wirklichkeit. Sie können „an sich“ wär sein, so wie die Ideen Freiheit, Menschlichkeit, Gerechtigkeit es sind, aber sie gebärden sich, als wären sie bereits realisiert. Die Etikettierung solcher Ideen als Ideologien, die der totale Ideologiebegriff gestattet, zeugt vielfach weniger von Unversöhnlichkeit mit dem falschen Bewußtsein, als von Wut auf das, was in sei’s auch noch so ohnmächtiger geistiger Reflexion auf die Möglichkeit eines Besseren verweisen könnte... S.474: Von Ideologie läßt sich sinnvoll nur soweit reden, wie ein Geistiges selbständig, substantiell und mit eigenem Anspruch aus dem gesellschaftlichen Prozeß hervortritt. Ihre Unwahrheit ist stets der Preis eben dieser Ablösung, der Verleugnung des gesellschaftlichen Grundes. Aber auch ihr Wahrheitsmoment haftet an solcher Selbständigkeit, an einem Bewußtsein, das mehr ist als der bloße Abdruck des Seienden, und danach trachtet, das Seiende zu durchdringen. Heute ist die Signatur der Ideologien eher die Absenz dieser Selbständigkeit als der Trug ihres Anspruchs. (Theodor W. Adorno, Beitrag zur Ideologienlehre, in: Theodor W. Adorno, Soziologische Schriften I, Frankfurt am Main 1979, S. 472-473, 474) Texte 27 14. Ernst Bloch über Ideologie, Apologie, Betrug, Ideal, Symbol, Utopie, Kultur (1954/55) S.126/27: Die Frage ist nun, ob und wieweit sich der vorwegnehmende Gegenzug mit einem bloß verschönernden berührt. Besonders dann, wenn das bloß Verschönernde, obwohl es durchaus überleuchtet, über die Hälfte gar keinen Gegenzug, sondern ein bloßes bedenkliches Polieren des Vorhandenen in sich hat. Und das mit keineswegs revolutionärem Auftrag dahinter, sondern mit apologetischem, mit einem also, der das Subjekt mit dem Vorhandenen versöhnen soll. Diese Absicht erfüllt vor allem die Ideologie in den nicht mehr revolutionären, obzwar noch aufsteigenden, weil die Entwicklung der Produktivkräfte noch fördernden Zeiten einer Klassengesellschaft. Das Überleuchten des Vorhandenen geschieht dann als täuschende, bestenfalls verfrühte Harmonisierung, und es ist umgeben von lauter Rauch oder Weihrauch des falschen Bewußtseins. (Die faule Ideologie in den absinkenden Zeiten einer Klassengesellschaft, besonders also die des Spätbürgertums von heute, gehört freilich überhaupt nicht hierher; denn sie ist bereits gewußtes falsches Bewußtsein, mithin Betrug.) Weiterhin aber gibt es in der Ideologie gewisse Verdichtungs-, Vervollkommnungs- und Bedeutungsfiguren des Vorhandenen, die, wenn überwiegend auf Verdichtung bezogen, als Archetypen, wenn überwiegend auf Vervollkommnung bezogen, als Ideale, wenn überwiegend auf Bedeutung bezogen, als Allegorien und Symbole bekannt sind. Die in alledem, auf so verschiedene Weise, intendierte Verschönerung des Vorhandenen ist immerhin keine des Schlecht-Vorhandenen, und sie will von letzterem nicht bewußt, also betrügerisch ablenken. Vielmehr wird hier das Vorhandene ergänzt, zwar auf keine dialektisch sprengende und reale, jedoch so, daß eine eigentümliche, eine uneigentliche Antizipation des Besseren nicht fehlt... Und nun ist die Frage konkreter geworden: ob und wieweit sich der vorwegnehmende Gegenzug mit einem bloß verschönernden berührt. Denn in Ideologie, anders in Archetypen, anders in Idealen, anders in Allegorien und Symbolen liegt zwar kein Gegenzug vor, wohl aber ein Übersteigen des Vorhandenen durch seine verschönernde, verdichtende, vervollkommnende oder bedeutungshafte Übersteigerung. Und diese wiederum ist nicht möglich ohne eine verzerrte oder versetzte utopische Funktion... S.131: Ein scharfer Blick bewährt sich nicht bloß darin, daß er duchschaut. Sondern ebenso in der Weise, daß er nicht jedes als so klar wie Wasser sieht. Indem eben nicht alles so fertig klar ist, sondern zuweilen ein Gären, Sich-Bilden vorliegt, dem gerade der scharfe Blick gerecht wird. Am breitesten wie gemischtesten erscheint dieses Unabgeschlossene in der Ideologie, sofern sie mit der bloßen Bindung an ihre Zeit nicht erschöpft ist. Und auch nicht mit dem bloßen falschen Bewußtsein über ihre Zeit, das alle bisherigen Kulturen begleitet hat... 28 Te xt e S.134: Das Klassische in jeder Klassik steht vor jeder Zeit genauso als revolutionäre Romantik da, nämlich als vorwärts weisende Aufgabe und als Lösung, die aus der Zukunft, nicht aus der Vergangenheit entgegenkommt und selber noch voll Zukunft spricht, anspricht, weiterruft. Das aber, samt Bescheidenerem, ist nur deshalb der Fall, weil Ideologien nach dieser Seite mit dem falschen Bewußtsein ihrer Basis und auch mit der aktiven Arbeit für ihre jeweilige Basis nicht erschöpft sind. Keine Suche nach dem Überschuß ist möglich im falschen Bewußtsein selbst, wie es die Ideologie der Klassengesellschaften getragen hat, und keine ist notwendig in der Ideologie der sozialistischen Revolution, an der überhaupt kein falsches Bewußtsein teilnimmt. Der Sozialismus als Ideologie des revolutionären Proletariats ist überhaupt nur wahres Bewußtsein, bezogen auf die begriffene Bewegung und die ergriffene Tendenz der Wirklichkeit... S.135: Auch die Klassenideologien, worin die Großwerke der Vergangenheit stehen, führen genau auf jenen Überschuß über das standortgebundene falsche Bewußtsein, der fortwirkende Kultur heißt, also Substrat des antretbaren Kulturerbes ist. Und es erhellt nun: eben dieser Überschuß wird erzeugt durch nichts anderes als durch die Wirkung der utopischen Funktion in den ideologischen Gebilden der kulturellen Seite. Ja, falsches Bewußtsein allein wäre noch nicht einmal ausreichend, um die ideologische Einhüllung so, wie es geschah, zu vergolden. Es allein wäre außerstande, eines der wichtigsten Merkmale der Ideologie herzustellen, nämlich verfrühte Harmonisierung der gesellschaftlichen Widersprüche. Wie viel weniger erst ist Ideologie als Medium fortwirkenden Kultursubstrats ohne ihre Begegnung mit utopischer Funktion begreifbar. (Ernst Bloch, Das antizipierende Bewußtsein, Frankfurt am Main 1972, S. 126127, 131, 135) 15. Georg Lukács über Ideologien als „Vehikel zum Ausfechten gesellschaftlicher Konflikte“ (1964/68) Ideologie ist vor allem jene Form der gedanklichen Bearbeitung der Wirklichkeit, die dazu dient, die gesellschaftliche Praxis der Menschen bewußt und aktionsfähig zu machen... Diese Determiniertheit aller menschlichen Äußerungsweisen durch das hic et nunc des gesellschaftlich-geschichtlichen Geradesoseins ihrer Entstehung hat zur notwendigen Folge, daß eine jede Reaktion der Menschen auf ihre ökonomisch-soziale Umwelt unter bestimmten Umständen zur Ideologie werden kann. Diese universelle Möglichkeit zur Ideologie beruht seinsmäßig darauf, daß ihr Inhalt (und in vielen Fällen auch ihre Form) untilgbare Zeichen ihrer Genesis in sich bewahrt. Ob diese Zeichen eventuell bis zur Unwahrnehmbarkeit verblassen oder prägnant sichtbar werden, hängt von ihren - möglichen - Funktionen im Prozeß der gesellschaftlichen Konflikte ab... In solchen Kämpfen entsteht auch die historisch so wichtig gewordene pejorative Bedeutung der IdeoloTexte 29 gie. Die sachliche Unvereinbarkeit der gegeneinander streitenden Ideologien nimmt im Laufe der Geschichte die verschiedensten Formen auf, sie kann als Auslegung von Traditionen, von religiösen Überzeugungen, von wissenschaftlichen Theorien und Methoden usw. erscheinen... Weder eine individuell richtige oder falsche Ansicht, noch eine richtige oder falsche wissenschaftliche Hypothese, Theorie etc. ist an und für sich eine Ideologie: sie kann nur... zur Ideologie werden. Erst nachdem sie theoretisches oder praktisches Vehikel zum Ausfechten gesellschaftlicher Konflikte geworden ist, mögen diese größere oder kleinere, schicksalhafte oder episodische sein, kann sie zu einer Ideologie werden. (Georg Lukács, Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins, 2. Halbband, Darmstadt und Neuwied 1986, S. 389-401) III. Literaturverzeichnis Theodor W. Adorno, Beitrag zur Ideologienlehre, in: Theodor W. Adorno, Soziologische Schriften I, Frankfurt am Main 1979 Louis Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate, Hamburg/Westberlin 1977 Hans Barth, Wahrheit und Ideologie, Suhrkamp Taschenbuch Verlag 1974 Manfred Behrens, u.a. (Hrsg.), Theorien über Ideologie. Argument-Sonderband 40, Berlin 1979 Ernst Bloch, Das antizipierende Bewußtsein, Frankfurt am Main 1972 Nikolai I. Bucharin, Theorie des historischen Materialismus, Hamburg 1922 Terry Eagleton, Ideologie. Eine Einführung, Stuttgart/Weimar 1993 Friedrich Engels, F. Engels an Conrad Schmidt, 27. Oktober 1890, MEW, Bd. 37, Berlin 1967 Friedrich Engels, F. Engels an Franz Mehring, 14. Juli 1893, MEW, Bd. 39 Antonio Gramsci, Philosophie der Praxis, Frankfurt am Main 1967 Sebastian Herkommer, Einführung Ideologie, Hamburg 1985 Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. 7, Frankfurt am Main 1985 Leo Kofler, Soziologie des Ideologischen, Stuttgart 1975 Wladimir I. Lenin, Artikel für die „Rabotschaja Gazeta“, LW, Bd. 4, Berlin 1955 Wladimir I. Lenin, Was tun?, LW, Bd. 5, Berlin 1955 Wladimir I. Lenin, Brief an den Nordbund, LW, Bd. 6, Berlin 1956 Kurt Lenk (Hrsg.), Ideologie, Neuwied und Berlin 1967 30 Literaturverzeichnis Hans-Joachim Lieber, Ideologie. Eine historisch-systematische Einführung, Paderborn/München/Wien/Zürich 1985 Hans-Joachim Lieber (Hrsg.), Ideologie - Wissenschaft - Gesellschaft, Darmstadt 1976 Georg Lukács, Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins, 2. Halbband, Darmstadt und Neuwied 1986 Karl Mannheim, Ideologie und Utopie, Frankfurt/Main 1952 Karl Marx, Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, MEW, Bd. 3, Berlin 1958 Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW, Bd. 13, Berlin 1961 Karl Marx, Das Kapital. Erster Band, MEW, Bd. 23, Berlin 1962 Volker Meja und Nico Stehr (Hrsg.), Der Streit um die Wissenssoziologie. Zwei Bände, Frankfurt am Main 1982 Adam Schaff, Geschichte und Wahrheit, Wien/Frankfurt/Zürich 1970 Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft. Zwei Bände, Frankfurt am Main 1983 Peter Zima, Ideologie und Theorie, Tübingen 1989 Literaturverzeichnis 31 Parlamente und Parteien Eingeleitet und ausgewählt von Ekkehard Lieberam I. Einführung Die Spezifik der marxistischen Sicht auf die politischen Institutionen Parlamente und Parteien ist die Aufdeckung ihres Klassencharakters, ihrer konkreten Rolle in den Klassenkämpfen und Machtkonstellationen ihrer Zeit (beispielhaft: Text 27). Die marxistische Diskussion um Parlamentarismus und Parteien bzw. Parteiensysteme ist so auch Teil der Debatte um die Strukturen der Macht, um die Funktionsweise der bürgerlichen Demokratie und um die politischen Kräfteverhältnisse in der kapitalistischen Gesellschaft, deren Beeinflussung und Veränderung, sowie um die Konsequenzen, die sich aus alldem für die Politik und Arbeitsweise einer sozialistischen Partei ergeben.1 Als widersprüchlicher Erkenntnisprozeß ist diese Diskussion zum einen durch die vielgestaltigen sich wandelnden Tendenzen und Erscheinungsformen im Parlaments- und Parteiensystem des 19. und 20. Jahrhunderts geprägt, die z. T. eine eindeutige begriffliche Bewertung schwierig machten (z. B. Ist die parlamentarische Republik „Umwälzungsform“ oder „Lebensform“ der bürgerlichen Gesellschaft? - Text 4). Dieser Erkenntnisprozeß war zum anderen auch deshalb kompliziert, weil es immer wieder, insbesondere unter dem Eindruck jäher revolutionärer Wendungen (so im Zusammenhang mit den Revolutionen 1917/1918), zu heftigen Kontroversen unter Marxisten über die Grundfragen der Haltung zum Parlamentarismus, zur „Eroberung oder Beseitigung des bürgerlichen Parlaments“ kam (Text 26, Text 27, Text 28). Dabei ist nicht zu übersehen, daß der „parlamentarische Kretinismus“ (Text 8, Text 18) zu einem wichtigen Vehikel des Übergang von Marxisten auf opportunistische Positionen wurde, verbunden mit einer Interpretation des allgemeinen Wahlrechts und der parlamentarischen Demokratie als Garantie für „tatsächliche Teilhaberschaft“ (Text 16). Die Unterschätzung von außerparlamentarischen Machtmitteln bzw. der Verzicht darauf, die Erhebung des Parlaments zur „Zentralachse des sozialen Lebens“ (Text 18) erscheint als Teil und Ausdruck realer Anpassungsprozesse ehemals marxistischer Parteien an das politische System des Kapitalismus, die in der Funktionsweise des bürgerlichen Parlamentarismus selbst einen wichtigen „Nährboden“ haben (Text 19). Karl Marx und Friedrich Engels konnten bereits auf eine mehrhundertjährige Geschichte des Parlaments zurückblicken. Sie sahen im Prinzip der Repräsentation einen großen Fortschritt (Text 1). Begrüßt wurde von Wilhelm Wolff das Auftreten des Bürgertums gegen die unbeschränkte Monarchie im Vereinigten Land32 Einführung tag in Preußen (Text 2). Marx und Engels nahmen selbst Anteil an den Klassenkämpfen um das allgemeine Wahlrecht und um die parlamentarische Republik in Frankreich (Text 3 und Text 4), um den Einzug der Sozialisten in die parlamentarischen Vertretungen in Deutschland, in Frankreich und England. Sie sahen im Parlament eine Tribüne des Klassenkampfes und in den Parlamentswahlen vor allem ein Barometer für die Siegeschancen des Proletariats (Text 15). Sie gaben im besonderen Maße August Bebel konkrete Ratschläge für die parlamentarische Arbeit (Text 7, Text 9, Text 11, Text 13). Zu ihrer Zeit, um die Mitte und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das darf dabei nicht übersehen werden, war das Parlament in der überwiegenden Mehrzahl der europäischen Staaten (Ausnahme: USA, England und Frankreich) ein recht bedeutungsloses Anhängsel halbabsolutistischer Regierungssysteme. Parteien gab es erst in Gestalt von Zusammenschlüssen monarchistischer, bürgerlicher und kleinbürgerlicher Politiker, die sich aus Parlamentsgruppen und Wahlvereinen zu recht lockeren Parteigebilden entwickelten sowie in Gestalt von ersten Arbeiterparteien, die sich zunächst außerhalb des Parlaments formierten. Der von der Arbeiterbewegung getragene Kampf um das allgemeine Wahlrecht hatte in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts mit der Chartistenbewegung einen Höhepunkt, aber auch eine Niederlage erfahren. In den USA, wo das allgemeine Wahlrecht für weiße Männer weitgehend realisiert war, wurde es durch die Praxis der offenen Abstimmungen, durch das Kartell der beiden großen korrupten Parteien (Text 10) und infolge verbreiteter Wahlfälschungen stark entwertet. Vor allem nach der Revolution vom Februar 1848 in Frankreich (Text 3 und Text 4) wurden kurzzeitig in einer Art politischen Großexperiments die Konturen jenes Modells einer „parlamentarischen“ bzw. „konstitutionellen Republik“ (so Karl Marx) sichtbar, wie es sich dann mit Modifikationen im 20. Jahrhundert in den entwickelten kapitalistischen Staaten durchsetzte: allgemeines und gleiches Wahlrecht, Beherrschung des Parlaments durch der Bourgeoisie ergebene Parteien, Inbesitznahme des staatlichen Apparates als „Hauptbeute“ durch die siegreichen Parteien. Im Zusammenhang mit den „Klassenkämpfen in Frankreich“ entwickelte Karl Marx denn auch seine wichtigsten Thesen zur Funktionsweise des bürgerlichen Parlaments: Es ist jene politische Form, die die Herrschaft der Gesamtbourgeoisie gewährleistet. Der Organismus der in ihm vertretenen Parteien wurzelt in den materiellen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft. Das Parlament spiegelt den Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit wider. Es erweist sich als Bollwerk der Bourgeoisie gegenüber dem Proletariat und wird beseitigt, wenn die Kontrolle der Bourgeoisie verloren geht. Als in den folgenden Jahrzehnten insbesondere in Deutschland der Kampf um selbständige Arbeiterparteien mit Massenanhang wachsende Wahlerfolge und Einführung 33 eine stetige Zunahme der Reichstagsmandate brachte, rückten drei Fragen in den Vordergrund: erstens die Frage nach der Bedeutung von Wahlerfolgen und parlamentarischen Positionen für den Kampf um die Eroberung der politischen Macht bzw. für das Herankommen an die sozialistische Revolution (Text 14, Text 15, Text 24); zweitens die Frage nach dem Verhältnis von parlamentarischer Tätigkeit und außerparlamentarischer Aktion (Text 20 und Text 22); drittens nach dem Sinn und den Risiken einer Regierungsbeteiligung (Text 17 und Text 21). Nicht übersehen werden darf, daß Karl Marx und Friedrich Engels (Text 5) und dann auch Lenin (Text 26) aus dem ersten, kurzzeitigen Versuch einer sozialistischen Revolution in Gestalt der Pariser Kommune 1871 sehr weitreichende Schlußfolgerungen für die Überwindung des Parlamentarismus, für einen neuen Typ der gewählten Vertretungskörperschaften, der Regierung und des Gemeinwesens ableiteten. Im Verlaufe des 20. Jahrhunderts kam es zu einem tiefgreifenden, qualitativen Wandel der parlamentarischen Institutionen und Regierungssysteme, der Parteien und Parteiensysteme. Auch die bürgerlichen Parteien mußten „Rückhalt in den Massen“ suchen (Text 23). Die schon von Engels erkannte Tendenz zur Herausbildung „bürgerlicher Arbeiterparteien“ (Text 25) verstärkte sich qualitativ, indem sie in zunehmendem Maße auch die sozialdemokratischen Parteien erfaßte. Die Bedienung der ebablierten Parteien an der Staatskrippe (Text 14) schloß eine sich ausweitende Ämterpatronage ein; der Verschmelzung der Staatsspitze mit den Führungen dieser Parteien entsprach die Tendenz zur bürokratischen Parteienherrschaft. Die Parteien wurden vergleichbar mit kapitalistischen Betrieben, in denen unten gearbeitet und oben Geld verdient wird. Es kam zu einem Funktionsverlust der Parlamente gegenüber der Regierung gerade auch im Gesetzgebungsprozeß. Dies ging einher mit einem Anwachsen der legislativen Rolle der eng mit dem Großkapital liierten Ministerialbürokratie (Text 29). Neue Methoden der Wählermanipulierung und der Ausgestaltung des Wahlrechts trugen dazu bei, allgemeines Wahlrecht und Bourgeoisiesherrschaft zu vereinbaren (Text 30 und Text 31). Aus der Sicht am Ende dieses Jahrhunderts besteht das wohl wichtigste Resultat der Transformation parlamentarischer Demokratie darin, daß sie - und damit Parlamente, allgemeines Wahlrecht und Parteien - sowohl in den parlamentarischen Republiken und Monarchien als auch in den präsidentiellen bzw. semipräsidentiellen Republiken zu einer insgesamt stabilen Bewegungs- und Entwicklungsform einer sich wandelnden kapitalistischen Gesellschaft geworden sind. Es entstand ein Parlaments- und Parteienmechanismus, der Kapitalmacht und parlamentarisches System nicht nur vereinbar werden ließ, sondern beide im System des sozialstaatlichen Klassenkompromisses fest miteinander verband. Aus einem Anhängsel des monarchistischen Regierungssystems wurde das Parlament zum 34 Einführung formalen Dreh- und Angelpunkt der Staatspolitik, zum realen Zentrum der Hervorbringung der politischen und administrativen Elite wie auch jener Integrationsmechanismen, die der Kapitalherrschaft Massenloyalität und Legitimation sichern. 2 Mittels ihrer in den Parlamenten vertretenen Parteien war es der Arbeiterbewegung sowie anderen sozialen und politischen Bewegungen möglich, ihre Interessen und Forderungen partiell durchzusetzen, die Staatspolitik und die Art und Weise der Machtausübung zu beeinflussen. Die zeitweilige Übernahme der Regierung durch sozialdemokratische und kommunistische Parteien beförderte diese Entwicklung, erklärt sie aber nur teilweise. Sie wurde möglich unter dem Druck machtvoller außerparlamentarischer Bewegungen und unter dem anhaltenden Druck des Realsozialismus. Sie kam zum Stillstand bzw. ist regressiv seit sich das politische Kräfteverhältnis in den siebziger und achtziger Jahren zugunsten des Kapitals veränderte. Nicht zu übersehen ist, daß die neoliberale Politik der Umverteilung des Reichtums von unten nach oben von den meisten Parlamenten befördert wird. Die sich gerade auch angesichts dieser Politik verschärfenden sozialen Konflikte und Verteilungskämpfe bewirken, daß die Parlamente wieder stärker zu Arenen der Klassenauseinandersetzung werden. Zugleich geht es um enorm praktisch-politische Fragen: Kern einer Widerstandsstrategie gegen die neoliberale Offensive, auf die sich ein Großteil der wirtschaftlichen und politischen Elite verständigt hat, muß die Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses sein. Ohne den Aufbau von realer Gegenmacht gegen die Macht des Kapitals wird es den Linkskräften in den Parlamenten nicht gelingen, diese Offensive zu stoppen und eine gesellschaftliche Wende zugunsten der Lohnabhängigen, der sozialen und demokratischen Bewegungen und überhaupt „der Gesellschaft von unten“ einzuleiten. Verhängnisvoll wäre in dieser Situation die Reduzierung des Klassenkampfes auf seinen parlamentarischen Aspekt (Text 33) oder gar die Anpassung an die vom Neoliberalismus bestimmten parlamentarischen Spielregeln. Aktueller denn je ist der Gedanke von Rosa Luxemburg von der Ohnmacht der rein parlamentarischen Aktion und ihre Erkenntnis, daß die Kraft der parlamentarischen Aktion allein von der „eigenen Machtentfaltung“ der Massen abhängt (Text 22). 1 Zur aktuellen Diskussion in der PDS um derartige Konsequenzen vgl. u. a. M. Böttcher, A. Dost, U.-J. Heuer, E. Lieberam, Opposition als Gegenmacht, Disput 11/1995; U.-J. Heuer, Zur Einführung und W. Richter, Zur außerparlamentarischen Arbeit der PDS, in: In großer Sorge, was ist, was denkt, was will das Marxistische Forum, Köln 1995; E. Lieberam, Opposition als Gegenmacht, Marxistische Blätter, 1-96; Ekkehard Lieberam, Die PDS und der Integrationsmechanismus des parlamentarischen Systems, Marxistisches Forum, Heft 5, Januar 1996, U.-J. Heuer, E. Lieberam, G. Schirmer, Zur Regierungsbeteiligung der PDS, Disput 8/1996; J. Bischoff, In Bonn angekommen, Sozialismus, 9/96 Einführung 35 2 36 Vgl. E. Lieberam, Marxistische Demokratietheorie und bürgerliches Parlament, in: Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 30, Juni 1997. Eine sehr instruktive Sicht auf die Transformation der parlamentarischen Demokratie kennzeichnet die Publikationen von Johannes Agnoli. Vgl. insbesondere: J. Agnoli, Thesen zur Transformation der Demokratie, Berlin 1968; Zur Parlamentarismus-Diskussion in der Bundesrepublik, Sozialistische Politik, 1/1969; Revolutionäre Strategie und Parlamentarismus, in: Überlegungen zum bürgerlichen Staat, Berlin 1975 und Krise des Parlamentarismus?, Demokratie und Recht, 15/1987. In seinen „Thesen zur Transformation der Demokratie“ führt Agnoli u.a. aus: „Denn die klassische parlamentarische Demokratie gibt es schon längst nicht mehr. Nicht nur entsprachen ihre soziale Funktion und ihre institutionelle Struktur einer vergangenen Periode der Geschichte. Der liberale Staat war die öffentlich-rechtliche Organisationsform der Herrschaft in einer Gesellschaft, die zwar kapitalistisch produzierte (und daher sind einige seiner Institute noch vorhanden), jedoch mit der Kraft der Dampfmaschine arbeitete. Mit einem solchen Staat kann unsere Gesellschaft, die Atomkraft produziert und mit Atomkraft produzieren wird, sehr wenig anfangen. Überdies aber: die klassische parlamentarische Qualität des früheren bürgerlichen Staates: die Vormacht des Parlaments, seine Souveränität und seine politische wie legislative Entscheidungskompetenz, ist selbst verfassungsrechtlich überwunden. Das Grundgesetz postuliert die Vormacht der Exekutive gegenüber der Legislative, sei es in der Frage der Richtlinienkompetenz, sei es in der Frage der Kontrolle der Regierung über das Parlament. ... Die Schwierigkeit lag - und liegt - in dem ambivalenten Charakter, den das Parlament unter Umständen annehmen kann. In einer dynamisch gewordenen bürgerlichen Gesellschaft, die ebenso durch den Antagonismus der Produktion gekennzeichnet ist wie durch die Interessenpluralität der Distribution, können sich Vertretungskörperschaften als Instrumente bieten, den Antagonismus staatlich zum Ausdruck zu bringen und so den (gesellschaftlichen) Klassenkampf zum politischen Herrschaftskonflikt zu potenzieren. So gesehen kann das parlamentarische Regierungssystem nur dann die bürgerliche Herrschaft garantieren und den Kapitalismus schützen, wenn es gelingt, seine Ambivalenz zurückzudrängen. Es muß als Mechanismus funktionieren, der antagonistische Konflikte so weit wie möglich politisch „irrelevant“ macht und plurale Interessenkonflikte staatlich kontrolliert und befriedet. Die von Friedrich Engels entwickelte Perspektive kehrt sich derart um: die „bürgerliche Republik“, nach Engels die beste Form für die offene, unter Umständen sogar friedliche Austragung des Klassenkampfes und des Herrschaftskonflikts, versucht bürgerlich zu bleiben und transformiert sich zur besten Form, die abhängige Klasse in das kapitalistische System der Produktion und in das bürgerliche System der Herrschaft zu integrieren. Das „Volk“ wird zur bloßen Manövriermasse im Konkurrenzstreit politischer Führungsgruppen degradiert. Beispielhaft, durchaus vorbildlich für andere „parlamentarisch“ regierte Länder vollzog sich diese Transformation in der Bundesrepublik. ... Die verstaatlichten Parteien entwickeln eine neuartige gesellschaftliche Qualität, die mit ihrer eigenen materiellen Interessenlage verbunden ist: Sie sind an der Aufrechterhaltung der Verhältnisse interessiert, die ihre eigene Verstaatlichung und feste Etablierung an der Macht ermöglichen. Dadurch koppeln sie sich - ganz gleich, ob sie Massenparteien sind oder nicht - mit den Interessen derjenigen gesellschaftlichen Einführung Gruppen, denen es ebenso an der Konservation der gegebenen Strukturen gelegen ist. Insofern ist die alte Frage müßig, ob die politisch herrschenden Gruppen Handlanger der herrschenden Klasse sind oder ob sie eine selbständige gesellschaftliche Klasse (die politische Klasse) darstellen. Sie sind selbst ein Teil, nämlich der politische, der herrschenden Klasse. Genauer: sie sind deren staatliche Funktion. Auf diese Weise wird der gesellschaftliche Antagonismus im Parteiensystem nicht mehr widerspiegelt. ... Ideologisch bezeichnen sich gerade solche Parteien, die sich den breiten Massen entfremdet haben, selbst als Volksparteien. Die Volksparteien entwickeln einen neuartigen, durch die Zusammenarbeit der eigenen Führungsstäbe bedingten Herrschaftsmechanismus, in dem verdinglichte, obrigkeitliche Machtzentren in sich zirkulierend ein Konkurrenzverhältnis eingehen. Nur ist dieses Konkurrenzverhältnis obligatorisch organisiert und hat mit dem Prinzip der freien Konkurrenz ebenso wenig zu tun wie die organisierte Marktaufteilung des modernen Oligopolkapitalismus mit dem freien Wettbewerb. Die offene Konkurrenzzirkulation politischer Führungsgruppen, die sich gegenseitig bekämpfen und ausschließen, wird abgelöst von einer assimilativen Zirkulation, die in letzter Konsequenz zur Selbstauflösung treibt: zur durchgängigen Assimilation der (schein)konkurrierenden Parteien und ihrer gemeinsamen Beteiligung an der Staatsgewalt - sei es im Zusammenspiel und im Wechselmechanismus von Mehrheits- und Minderheitsfraktion, sei es in der Form der Großen Koalition. So kämpfen die Parteien untereinander um die Regierungsmacht und bilden dennoch eine symbiotische Einheit, in deren Kreis ein abstrakter Führungskonflikt ausgefochten werden kann. Sie bilden die plurale Fassung einer Einheitspartei. ... Das bedeutet: die Perspektive einer „systemimmanenten“ Evolution des Parlamentarismus scheitert an seiner eigenen, systembedingten, d.h. durch seine Herrschaftsfunktion bedingten Involutionstendenz. Wie diese Involutionstendenz langfristig stärker durchschlägt als die Möglichkeit, das Parlament vertretungsfunktional auszunutzen, zeigt die Entwicklung in noch desintegrierten Gesellschaften. Die fundamentaloppositionellen Parteien, die sich auf das parlamentarische Spiel einlassen und den außerparlamentarischen Kampf nicht mehr als das wesentliche Mittel des Herrschaftskonflikts praktizieren, drohen ihre emanzipatorische Qualität zu verlieren und sich in bürokratische Integrationsapparate zu verwandeln. Anders gesagt: der politische und (warum denn nicht) auch moralische Niedergang der Sozialdemokratie (ein historischer Verrat an der Befreiung der Menschen) ist ein Warnzeichen für die sozialistischen und kommunistischen Parteien in den kapitalistischen Ländern.“ (Konturen, Zeitschrift für Berliner Studenten, Nr. 31, 1968) Einführung 37 II. Texte 1. Karl Marx über die repräsentative Verfassung als Fortschritt (1843) Es ist die Streitfrage zwischen repräsentativer und ständischer Verfassung. Die repräsentative Verfassung ist ein großer Fortschritt, weil sie der offene, unverfälschte, konsequente Ausdruck des modernen Staatszustandes ist. Sie ist der unverhohlene Widerspruch. (Karl Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW, Bd. 1, Berlin 1978, S. 279) 2. Wilhelm Wolff zum Konflikt zwischen Bürgertum und Monarchie (1847) Die Wichtigkeit seiner Verhandlungen (des „Vereinigten Landtages“ in Preußen E. L.) beruht darauf, daß die öffentliche Meinung in Preußen während der 11 Wochen einen Fortschritt gemacht hat, zu welchem ohne den Landtag viele Jahre erforderlich gewesen wären. Zum ersten Mal kämpfte hier das preußische Bürgertum mit der Bürokratie und der unbeschränkten Monarchie gleichsam vor den Augen des Publikums. (Wilhelm Wolff, Der preußische Landtag und das Proletariat in Preußen wie überhaupt in Deutschland, in: Der Bund der Kommunisten, Dokumente und Materialien, Bd. 1, Berlin 1983, S. 516) 3. Karl Marx über Parteien, Klassen und Herrschaft im März 1850. Allgemeines Stimmrecht und Bourgeoisieherrschaft (1850) In der Nationalversammlung saß ganz Frankreich zu Gericht über das Pariser Proletariat. Sie brach sofort mit den sozialen Illusionen der Februarrevolution, sie proklamierte rundheraus die bürgerliche Republik, nichts als die bürgerliche Republik. Sofort schloß sie aus der von ihr ernannten Exekutivkommission die Vertreter des Proletariats aus: Louis Blanc und Albert; sie verwarf den Vorschlag eines besondern Arbeitsministeriums, sie empfing mit stürmischem Beifallsrufe die Erklärung des Ministers Trélat: „Es handle sich nur noch darum, die Arbeit auf ihre alten Bedingungen zurückzuführen.“ Aber das alles genügte nicht. Die Februarrepublik war von den Arbeitern erkämpft unter dem passiven Beistande der Bourgeoisie. Die Proletarier betrachteten sich mit Recht als die Sieger des Februar, und sie machten die hochmütigen Ansprüche des Siegers. Sie mußten auf der Straße besiegt, es mußte ihnen gezeigt werden, 38 Te xt e daß sie unterlagen, sobald sie nicht mit der Bourgeoisie, sondern gegen die Bourgeoisie kämpften. ... Und die wirkliche Geburtsstätte der bürgerlichen Republik, es ist nicht der Februarsieg, es ist die Juniniederlage. ... Seit Anfang März hatte die Wahlagitation für die gesetzgebende Nationalversammlung begonnen. Zwei Hauptgruppen traten sich gegenüber, die Partei der Ordnung und die demokratisch-sozialistische oder rote Partei, zwischen beiden standen die Freunde der Konstitution, unter welchem Namen die trikoloren Republikaner des „National“ eine Partei vorzustellen suchten. Die Partei der Ordnung bildete sich unmittelbar nach den Junitagen; erst nachdem der 10. Dezember ihr erlaubt hatte, die Koterie des „National“, der Bourgeoisierepublikaner, von sich abzustoßen, enthüllte sich das Geheimnis ihrer Existenz, die Koalition der Orleanisten und Legitimisten zu einer Partei. Die Bourgeoisieklasse zerfiel in zwei große Fraktionen, die abwechselnd, das große Grundeigentum unter der restaurierten Monarchie, die Finanzaristokratie und die industrielle Bourgeoisie unter der Julimonarchie, das Monopol der Herrschaft behauptet hatten. Bourbon war der königliche Name für den überwiegenden Einfluß der Interessen der einen Fraktion, Orleans der königliche Name für den überwiegenden Einfluß der Interessen der andern Fraktion - das namenlose Reich der Republik war das einzige, worin beide Fraktionen in gleichmäßiger Herrschaft das gemeinsame Klasseninteresse behaupten konnten, ohne ihre wechselseitige Rivalität aufzugeben. ... Die Bourgeoisherrschaft als Ausfluß und Resultat des allgemeinen Stimmrechts, als ausgesprochener Akt des souveränen Volkswillens, das ist der Sinn der Bourgeoiskonstituion. Aber von dem Augenblick an, wo der Inhalt dieses Stimmrechts, dieses souveränen Willens nicht mehr die Bourgeoisherrschaft ist, hat die Konstitution noch einen Sinn? Ist es nicht die Pflicht der Bourgeoisie, das Stimmrecht so zu regeln, daß es das Vernünftige will, ihre Herrschaft? Das allgemeine Wahlrecht, indem es die vorhandene Staatsmacht beständig wieder aufhebt und von neuem aus sich erschafft, hebt es nicht alle Stabilität auf, stellt es nicht jeden Augenblick alle bestehenden Gewalten in Frage, vernichtet es nicht die Autorität, droht es nicht die Anarchie selbst zur Autorität zu erheben? Nach dem 10. März 1850, wer sollte noch zweifeln? Die Bourgeoisie, indem sie das allgemeine Wahlrecht, mit dem sie sich bisher drapiert hatte, aus dem sie ihre Allmacht saugte, verwirft, gesteht unverhohlen: „Unsre Diktatur hat bisher bestanden durch den Volkswillen, sie muß jetzt befestigt werden wider den Volkswillen“. (Karl Marx, Die Klassenkämpfe in Frankreich, MEW, Bd. 7, Berlin 1960, S. 30, 58, 59 und 93) Texte 39 4. Karl Marx über die parlamentarische Republik als Despotie einer Klasse, als Umwälzungsform und als Form der Herrschaft der Gesamtbourgeoisie. Einbildungen und wirkliche Interessen der Parteien (1851/52) Die Niederlage der Juniinsurgenten hatte nun allerdings das Terrain vorbereitet, geebnet, worauf die bürgerliche Republik begründet, aufgeführt werden konnte; aber sie hatte zugleich gezeigt, daß es sich in Europa um andre Fragen handelt als um „Republik oder Monarchie“. Sie hatte offenbart, daß bürgerliche Republik hier die uneingeschränkte Despotie einer Klasse über andre Klassen bedeute. Sie hatte bewiesen, daß in altzivilisierten Ländern mit entwickelnder Klassenbildung, mit modernen Produktionsbedingungen und mit einem geistigen Bewußtsein, worin alle überlieferten Ideen durch jahrhundertelange Arbeit aufgelöst sind, die Republik überhaupt nur die politische Umwälzungsform der bürgerlichen Gesellschaft bedeutet und nicht ihre konservative Lebensform, wie z. B. in den Vereinigten Staaten von Nordamerika... Auf den verschiedenen Formen des Eigentums, auf den sozialen Existenzbedingungen erhebt sich ein ganzer Überbau verschiedener und eigentümlich gestalteter Empfindungen, Illusionen, Denkweisen und Lebensanschauungen. Die ganze Klasse schafft und gestaltet sie aus ihren materiellen Grundlagen heraus und aus den entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Das einzelne Individuum, dem sie durch Tradition und Erziehung zufließen, kann sich einbilden, daß sie die eigentlichen Bestimmungsgründe und den Ausgangspunkt seines Handelns bilden: Wenn Oreanisten, Legitimisten, jede Fraktion sich selbst und der andern vorzureden suchte, daß die Anhänglichkeit an ihre zwei Königshäuser sie trenne, bewies später die Tatsache, daß vielmehr ihr gespaltenes Interesse die Vereinigung der zwei Königshäuser verbot. Und wie man im Privatleben unterscheidet zwischen dem, was ein Mensch von sich meint und sagt, und dem, was er wirklich ist und tut, so muß man noch mehr in geschichtlichen Kämpfen die Phrasen und Einbildungen der Parteien von ihrem wirklichen Organismus und ihren wirklichen Interessen, ihre Vorstellung von ihrer Realität unterscheiden. ... Der koalisierten Bourgeoisie gegenüber hatte sich eine Koalition zwischen Kleinbürgern und Arbeitern gebildet, die sogenannte sozialdemokratische Partei. Die Kleinbürger sahen sich nach den Junitagen 1848 schlecht belohnt, ihre materiellen Interessen gefährdet und die demokratischen Garantien, die ihnen die Geltendmachung dieser Interessen sichern sollten, von der Konterrevolution in Frage gestellt. Sie näherten sich daher den Arbeitern. Ihre parlamentarische Repräsentation andrerseits, die Montagne, während der Diktatur der Bourgeoisrepublikaner beseite geschoben, hatte in der letzten Lebenshälfte der Konstituante durch den Kampf mit Bonaparte und den royalistischen Ministern ihre verlorene Popu- 40 Te xt e larität wiedererobert. Sie hatte mit den sozialistischen Führern eine Allianz geschlossen. Februar 1849 wurden Versöhnungsbankette gefeiert. Ein gemeinschaftliches Programm wurde entworfen, gemeinschaftliche Wahlkomitees wurden gestiftet und gemeinschaftliche Kandidaten aufgestellt. Den sozialen Forderungen des Proletariats ward die revolutionäre Pointe abgebrochen und eine demokratische Wendung gegeben, den demokratischen Ansprüchen des Kleinbürgertums die bloß politische Form abgestreift und ihre sozialistische Pointe herausgekehrt. So entstand die Sozialdemokratie. ... Es (das Kleinbürgertum - E. L.) glaubt vielmehr, daß die besondern Bedingungen seiner Befreiung die allgemeinen Bedingungen sind, innerhalb deren allein die moderne Gesellschaft gerettet und der Klassenkampf vermieden werden kann. ... Die parlamentarische Republik endlich sah sich in ihrem Kampfe wider die Revolution gezwungen, mit den Repressivmaßregeln die Mittel und die Zentralisation der Regierungsgewalt zu verstärken. Alle Umwälzungen vervollkommneten diese Maschine statt sie zu brechen. Die Parteien, die abwechselnd um die Herrschaft rangen, betrachteten die Besitznahme dieses ungeheuren Staatsgebäudes als die Hauptbeute des Siegers. (Karl Marx, Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte, MEW, Bd. 8, Berlin 1960, S. 122, 139, 140, 141 und 197) 5. Karl Marx zur Kommune: nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft (1871) Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken von Paris gewählten Stadträten. Sie waren verantwortlich und jederzeit absetzbar. Ihre Mehrzahl bestand selbstredend aus Arbeitern oder anerkannten Vertretern der Arbeiterklasse. Die Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit. Die Polizei, bisher das Werkzeug der Staatsregierung, wurde sofort aller ihrer politischen Eigenschaften entkleidet und in das verantwortliche und jederzeit absetzbare Werkzeug der Kommune verwandelt. Ebenso die Beamten aller andern Verwaltungszweige. Von den Mitgliedern der Kommune an abwärts, mußte der öffentliche Dienst für Arbeiterlohn besorgt werden. Die erworbnen Anrechte und die Repräsentationsgelder der hohen Staatswürdenträger verschwanden mit diesen Würdenträgern selbst. Die öffentlichen Ämter hörten auf, das Privateigentum der Handlanger der Zentralregierung zu sein. (Karl Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich, MEW, Bd. 17, Berlin 1963, S. 339) Texte 41 6. Karl Marx für Arbeiter in die Parlamente (1871) Man soll keineswegs glauben, daß es von geringer Bedeutung ist, Arbeiter in den Parlamenten zu haben. Wenn man ihre Stimme erstickt, wie im Falle DePotter und Castiau, oder wen man sie hinauswirft wie Manuel - so üben diese Repressalien und diese Unterdrückung eine tiefe Wirkung auf das Volk aus. Wenn sie dagegen, wie Bebel und Liebknecht, von der Parlamentstribüne sprechen können, so hört sie die ganze Welt. Sowohl in dem einen wie in dem andern Fall verschafft das unsern Prinzipien große Publizität. Um nur ein Beispiel zu bringen: Als Bebel und Liebknecht während des Krieges, der in Frankreich geführt wurde, darangingen, gegen den Krieg zu kämpfen, um angesichts all dieser Geschehnisse die Verantwortlichkeit dafür seitens der Arbeiterklasse von sich zu weisen, war ganz Deutschland erschüttert; und sogar in München, dieser Stadt, wo Revolutionen nur wegen des Bierpreises zustandekommen, fanden große Kundgebungen statt, auf denen die Beendigung des Krieges gefordert wurde. Die Regierungen sind uns feindlich gesinnt; man muß ihnen mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln antworten. Arbeiter in die Parlamente bringen ist gleichbedeutend mit einem Sieg über die Regierungen, aber man muß die richtigen Männer auswählen, keine Tolains. (Karl Marx, Aus dem Protokoll der Sitzung der Londoner Konferenz der Internationalen Arbeiterassoziation vom 20. September 1871, MEW, Bd. 17, Berlin 1962, S. 651) 7. Karl Marx/Friedrich Engels zu entschiedener Opposition (1881) Statt entschiedner politischer Opposition - allgemeine Vermittlung; statt des Kampfs gegen Regierung und Bourgeoisie - der Versuch, sie zu gewinnen und zu überreden; statt trotzigen Widerstands gegen Mißhandlungen von oben - demütige Unterwerfung und das Zugeständnis, man habe die Strafe verdient. Alle historisch notwendigen Konflikte werden umgedeutet in Mißverständnisse und alle Diskussion beendigt mit der Bemerkung: in der Hauptsache sind wir ja alle einig. (Karl Marx, Friedrich Engels an August Bebel, Wilhelm Liebknecht u. a., MEW, Bd. 34, Berlin 1966, S. 405) 8. Friedrich Engels über den parlamentarischen Kretinismus (1884) Endlich deckten wir den parlamentarischen Kretinismus (wie Marx es nannte) der verschiedenen sogenannten Nationalversammlungen auf. Diese Herren hatten sich alle Machtmittel entschlüpfen lassen, sie zum Teil freiwillig wieder den Regierungen überliefert. Neben neugestärkten, reaktionären Regierungen standen in Berlin wie in Frankfurt machtlose Versammlungen, die trotzdem sich einbilde42 Te xt e ten, ihre ohnmächtigen Beschlüsse würden die Welt aus den Angeln haben. Bis auf die äußerste Linke herrschte diese kretinhafte Selbsttäuschung. Wir riefen ihnen zu: ihr parlamentarischer Sieg werde zusammenfallen mit ihrer wirklichen Niederlage. Und so geschah’s in Berlin wie in Frankfurt. Als die „Linke“ die Majorität erhielt, jagte die Regierung die ganze Versammlung auseinander; sie konnte es, weil die Versammlung ihren eigenen Kredit beim Volk verscherzt hatte. (Friedrich Engels, Marx und die „Neue Rheinische Zeitung“ 1848-49, MEW, Bd. 21, Berlin 1984, S. 21) 9. Friedrich Engels für die Beachtung gegenwärtiger Bedürfnisse der Arbeiter (1884) Will die Fraktion sich nicht einfach ablehnend verhalten, so kann sie nach meiner Meinung zu dieser Staatshilfe für die Bourgeoisie, die möglicherweise (was freilich erst zu beweisen) den Arbeitern indirekt zugute kommen kann, nur dann ihre Einwilligung geben, wenn ebensolche Staatshilfe für die Arbeiter zugesichert wird. „Gebt Ihr uns 4-5 Millionen jährlich für Arbeitergenossenschaften (nicht Vorschuß, sondern Schenkung, wie für die Reeder), dann lassen wir mit uns reden. Gebt Ihr uns Garantien, daß in Preußen die Domänen statt Großpächter oder an Bauern, die ohne Taglöhnerarbeit existenzunfähig sind, an Arbeitergenossenschaften ausgepachtet werden sollen, daß öffentliche Arbeiten an Arbeitergenossenschaften statt an Kapitalisten verdungen werden, gut, wir wollen ein übriges tun. Wenn nicht, nicht.“ Wenn die Fraktion solche Vorschläge macht, wofür natürlich die richtige Form gefunden werden muß, dann wird niemand den sozialdemokratischen Abgeordneten vorwerfen können, sie vernachlässigten über die Zukunft der gegenwärtigen Bedürfnisse der Arbeiter. (Friedrich Engels an Wilhelm Liebknecht in Berlin vom 29. Dezember 1884, MEW, Bd. 36, Berlin 1967, S. 259) 10. Friedrich Engels über Parteien als Kartelle zur Ausbeutung der Staatsmacht (1891) Nirgends bilden die „Politiker“ eine abgesondertere und mächtigere Abteilung der Nation als grade in Nordamerika. Hier wird jede der beiden große Parteien, denen die Herrschaft abwechselnd zufällt, selbst wieder regiert von Leuten, die aus der Politik ein Geschäft machen, die auf Sitze in den gesetzgebenden Versammlungen des Bundes wie der Einzelstaaten spekulieren oder die von de Agitation für ihre Partei leben und nach deren Sieg durch Stellen belohnt werden. Es ist bekannt, wie die Amerikaner seit 30 Jahren versuchen, dies unerträglich gewTexte 43 ordne Joch abzuschütteln, und wie sie trotz alledem immer tiefer in diesen Sumpf der Korruption hineinsinken. Gerade in Amerika können wir am besten sehn, wie diese Verselbständigung der Staatsmacht gegenüber der Gesellschaft, zu deren bloßem Werkzeug sie ursprünglich bestimmt war, vor sich geht. Hier existiert keine Dynastie, kein Adel, kein stehendes Heer, außer den paar Mann zur Bewachung der Indianer. Und dennoch haben wir hier zwei große Banden von politischen Spekulanten, die abwechselnd die Staatsmacht in Besitz nehmen und mit den korruptesten Mitteln und zu den korruptesten Zwecken ausbeuten - und die Nation ist ohnmächtig gegen diese, angeblich in ihrem Dienst stehenden, in Wirklichkeit aber sie beherrschenden und plündernden zwei großen Kartelle von Politikern. (Friedrich Engels, Der Bürgerkrieg in Frankreich, Einleitung, MEW, Bd. 22, Berlin 1963, S. 197-198) 11. Friedrich Engels über Spießbürger in der Reichstagsfraktion (1892) Ich habe noch die Jahre im Gedächtnis, wo ich - damals noch mit L[ie]bk[necht] in offizieller Korrespondenz stehend - in einem fort gegen die überall hineinsickernde urdeutsche Spießbürgerei anzukämpfen hatte. Im ganzen und großen haben wir das in Reichsdeutschland glücklich hinter uns, aber was sitzen in der Fraktion für Spießer und kommen immer wieder hinein! Eine Arbeiterpartei hat da nur die Wahl zwischen Arbeitern, die sofort gemaßregelt werden und dann leicht als Parteipensionäre verlumpen, oder Spießbürgern, die sich selbst ernähren, aber die Partei blamieren. (Friedrich Engels an Victor Adler, 30. August 1992, MEW, Bd. 38, Berlin 1968, S. 445) 12. Friedrich Engels über das Schaukelspiel der die Bourgeoisieherrschaft verewigenden Parteien (1892) Und wenn in nicht mehr ferner Zeit sich herausstellt, daß dies neue Parlament nichts mit Herrn Gladstone und Herr Gladstone nichts mit diesem Parlament anfangen kann, dann wird die englische Arbeiterpartei auch wohl hinreichend konstituiert sein, um dem Schaukelspiel der beiden alten, einander an der Regierung ablösenden aber eben dadurch die Bourgeoisieherrschaft verewigenden Parteien demnächst ein Ende zu machen. (Friedrich Engels, Vorwort zur 2. deutschen Auflage der „Lage der arbeitenden Klasse in England“, MEW, Bd. 22, Berlin 1972, S. 330) 44 Te xt e 13. Friedrich Engels über die Bedeutung des Stimmenzuwachses (1893) Unsere Wahlen nahmen einen glänzenden Verlauf. 1890 - 20 Sitze, jetzt 24 beim ersten Ansturm gewonnen; 1890 - ungefähr 60 Stichwahlen, diesmal 85. Wir haben zwei Sitze verloren und sechs neue gewonnen. Unter den 85 Stichwahlen sind 38, wo wir 1890 nicht in die Stichwahl kamen... Die Anzahl der Sitze hat jedoch eine sehr zweitrangige Bedeutung. Die Hauptsache ist der Zuwachs an Stimmen, und der wird gewiß beträchtlich sein. (Friedrich Engels an Laura Lafargne, 20. Juni 1893, MEW, Bd. 39, Berlin 1978, S. 86) 14. Karl Kautsky über Erfahrungen des Parlamentarismus in England. Das Parlament als Werkzeug der Diktatur des Proletariats (1893) Die Unterschiede zwischen beiden Parteien (den Whigs und den Tories - E. L.) schwanden immer mehr, sie waren schließlich nicht größer als die Unterschiede, wie sie innerhalb jeder der beiden Parteien vorkamen. Wenn trotzdem der Gegensatz zwischen Tories und Whigs fortdauerte, so war der Grund nur der, daß die Staatskrippe zu klein war, als daß beide Parteien gleichzeitig an sie heran konnten. Die Kämpfe im Parlament verloren damit immer mehr den Charakter von prinzipiellen Kämpfen; sie wurden immer mehr bloße Intrigen von Strebern, die sich nach Amt und Würden drängten, um Gelegenheit zu bekommen, den Staat nicht etwa in ihrem besonderen Sinne zu leiten, sondern auszubeuten. ... Gerade im Vaterland des Parlamentarismus zeigt die Entwicklung der Parteiverhältnisse, wie unrichtig die Behauptung ist, der Parlamentarismus diene ausschließlich der Kapitalistenklasse. Wir haben gesehen, daß je nach der Höhe der ökonomischen Entwicklung und nach der Art des Wahlrechts das Repräsentativsystem den verschiedensten Klasseninteressen gedient und die verschiedensten Charakterformen angenommen hat. Nachdem das englische Unterhaus über anderthalb Jahrhunderte lang ein Werkzeug der Diktatur der Aristokratie gewesen ist, wurde es für ein halbes Jahrhundert ein Werkzeug der Diktatur der industriellen Kapitalisten. Aber bereits haben diese ihre Alleinherrschaft verloren, bereits ist das Proletariat imstande, die innere Politik des Landes zu seinen Gunsten zu beeinflussen im Parlament und durch das Parlament, und die Arbeiterklasse braucht nur noch sich innerlich freizuma- Texte 45 chen vom liberalen Denken, um das englische allmächtige Parlament in ein Werkzeug der Diktatur des Proletariats zu verwandeln. (Karl Kautsky, Parlamentarismus und Demokratie, Stuttgart 1911, S. 98 , 99 und 109) 15. Friedrich Engels über Erfahrungen mit dem allgemeinen Stimmrecht. Reichstag als Tribüne (1895) Schon das Kommunistische Manifest hatte die Erkämpfung des allgemeinen Wahlrechts, der Demokratie, als eine der ersten und wichtigsten Aufgaben des streitbaren Proletariats proklamiert, und Lassalle hatte diesen Punkt wieder aufgenommen. Als nun Bismarck sich genötigt sah, dies Wahlrecht einzuführen als einziges Mittel, die Volksmassen für seine Pläne zu interessieren, da machten unsere Arbeiter sofort Ernst damit und sandten August Bebel in den ersten konstituierenden Reichstag. Und von dem Tage an haben sie das Wahlrecht benutzt in einer Weise, die sich ihnen tausendfach gelohnt und die den Arbeitern aller Länder als Vorbild gedient hat. Sie haben das Wahlrecht, in den Worten des französischen marxistischen Programms, transformé, de moyen de duperie qu’il a été jusqu’ici, en instrument d’émancipation - es verwandelt aus einem Mittel der Prellerei, was es bisher war, in ein Werkzeug der Befreiung. Und wenn das allgemeine Wahlrecht keinen anderen Gewinn geboten hätte, als daß es uns erlaubte, uns alle drei Jahre zu zählen; daß es durch die regelmäßig konstatierte, unerwartet rasche Steigerung der Stimmenzahl in gleichem Maße die Siegesgewißheit der Arbeiter wie den Schrecken der Gegner steigerte und so unser bestes Propagandamittel wurde; daß es uns genau unterrichtete über unsere eigene Stärke wie über die aller gegnerischen Parteien und uns dadurch einen Maßstab für die Proportionierung unserer Aktion lieferte, wie es keinen zweiten gibt - uns vor unzeitiger Zaghaftigkeit ebensosehr bewahrte wie vor unzeitiger Tollkühnheit -, wenn das der einzige Gewinn wäre, den wir vom Stimmrecht haben, dann wäre es schon über und übergenug. Aber es hat noch viel mehr getan. In der Wahlagitation lieferte es uns ein Mittel, wie es kein zweites gibt, um mit den Volksmassen da, wo sie uns noch fernstehen, in Berührung zu kommen, alle Parteien zu zwingen, ihre Ansichten und Handlungen unseren Angriffen gegenüber vor allem Volk zu verteidigen; und dazu eröffnete es unseren Vertretern im Reichstag eine Tribüne, von der herab sie mit ganz anderer Autorität und Freiheit zu ihren Gegnern im Parlament wie zu den Massen draußen sprechen konnten als in der Presse und in Versammlungen. (Friedrich Engels, Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, Einleitung, MEW, Bd. 22, Berlin 1963, S. 518) 46 Te xt e 16. Eduard Bernstein über tatsächliche Teilhaberschaft als Ergebnis des Wahlrechts (1899) In der Demokratie lernen die Parteien und die hinter ihnen stehenden Klassen bald die Grenzen ihrer Macht kennen und sich jedesmal nur so viel vornehmen, als sie nach Lage der Umstände vernünftigerweise hoffen können durchzusetzen... Das Wahlrecht der Demokratie macht seinen Inhaber virtuell zu einem Teilhaber am Gemeinwesen, und diese virtuelle Teilhaberschaft muß auf die Dauer zur tatsächlichen Teilhaberschaft führen. Bei einer der Zahl und Ausbildung nach unentwickelten Arbeiterklasse kann das allgemeine Wahlrecht lange als das Recht erscheinen, den „Metzger“ selbst zu wählen, mit der Zahl und Erkenntnis der Arbeiter wird es jedoch zum Werkzeug, die Volksvertreter aus Herren in wirkliche Diener des Volkes zu verwandeln. Aber das allgemeine Wahlrecht ist erst ein Stück Demokratie, wenn auch ein Stück, das auf die Dauer die anderen nach sich ziehen muß, wie der Magnet die zerstreuten Eisenteile an sich zieht. Das geht wohl langsamer vor sich, wie es mancher wünscht, aber trotzdem ist es im Werk. Und die Sozialdemokratie kann dies Werk nicht besser fördern, als wenn sie sich rückhaltlos, auch in der Doktrin, auf den Boden des allgemeinen Wahlrechts, der Demokratie, stellt, mit allen sich daraus für ihre Taktik ergebenden Konsequenzen. (Eduard Bernstein, Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie, Berlin 1991, S. 145 und 146) 17. Rosa Luxemburg über Parlament und Regierung: Organ der Klassenkämpfe bzw. Organ mit innerer Homogenität (1902) Während das Parlament ein Organ der Klassen- und Fraktionskämpfe innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, deshalb das geeignetste Terrain für den systematischen Widerstand der Sozialisten gegen die Herrschaft der Bourgeoisie bildet, ist diese Rolle der Arbeitervertreter im Schoße der Regierung von vornherein ausgeschlossen. Berufen, das fertige Ergebnis der im Parlament und im Lande ausgefochtenen Parteikämpfe in die Tat umzusetzen, ist die Zentralgewalt vor allem ein Organ der Aktion, dessen Lebensfähigkeit auf innerer Homogenität beruht. Ebenso wie in der kapitalistischen Wirtschaft ihre einzelnen Zweige, Produktion, Austausch, Kredit, Transportwesen, aufs innigste zusammenhängen und großindustrieller Welthandel bei mittelalterlichen Verkehrsmitteln, sozialistischer Austausch bei privatwirtschaftlicher Produktion undenkbar sind, ebenso muß in dem bürgerlichen Staate, der nur die politische Organisation der kapitalistischen Wirtschaft ist, zwischen den einzelnen Funktionen volle Harmonie bestehen. ... Somit stellt die Zentralregierung eines modernen Staates ein Räderwerk dar, dessen einzelne Teile von allen Seiten ineinandergreifen und gegenseitig ihre BeweTexte 47 gungen bestimmen und regulieren. Der unmittelbare Transmissionsmechanismus, der das ganze Räderwerk in Gang bringt, ist das bürgerliche Parlament, aber die treibende Kraft sind dabei zunächst die Klassen- und Parteiverhältnisse im Lande und in letzter Linie - die Produktions- und Austauschverhältnisse der gesellschaftlichen Wirtschaft. Der kapitalistischen Einheitlichkeit der Ökonomik hier entspricht die bürgerliche Einheitlichkeit der Regierungspolitik dort. (Rosa Luxemburg, Die sozialistische Krise in Frankreich, in: Gesammelte Werke, Bd. 1, Zweiter Halbband, Berlin 1970, S. 58 und 59) 18. Rosa Luxemburg über den Rückgang der Bedeutung des Parlamentarismus aufgrund sozialer Entwicklung (1904) Es ist eine historisch nicht bloß erklärliche, sondern notwendige Illusion des um die Herrschaft kämpfenden und noch mehr des zur Herrschaft gelangten Bürgertums, daß sein Parlament die Zentralachse des sozialen Lebens, die treibende Macht der Weltgeschichte sei. Eine Auffassung, deren natürliche Blüte jener famose „parlamentarische Kretinismus“ ist, der über dem selbstgefälligen Redegeplätscher von ein paar hundert Abgeordneten in einer bürgerlichen Gesetzgebungskammer die weltgeschichtlichen Riesenkräfte übersieht, die draußen im Schoße der gesellschaftlichen Entwicklung, ganz unbekümmert um die parlamentarische Gesetzmacherei, wirksam sind. ... Solange der Klassenkonflikt zwischen Bürgertum und Feudalmonarchie dauert, ist der offene Parteikampf im Parlament sein natürlicher Ausdruck. Auf dem Boden des perfekt gewordenen Kompromisses dagegen sind bürgerliche Parteikämpfe im Parlament unnütz. Die Interessenkonflikte zwischen den verschiedenen Gruppen der herrschenden bürgerlich-feudalen Reaktion werden nicht mehr durch Kraftproben im Parlament, sondern in der Form des Kuhhandels hinter den Kulissen des Parlaments ausgetragen. Was an bürgerlichen offenen Parlamentskämpfen noch übriggeblieben ist, sind nicht mehr Klassen- und Parteikonflikte, sondern höchstens in zurückgebliebenen Ländern, wie Österreich, Nationalitäten-, d. h. Cliquenhader, dessen adäquate parlamentarische Form die Raufszene, der Skandal ist. (Rosa Luxemburg, Sozialdemokratie und Parlamentarismus, in: Gesammelte Werke, Bd. 1, Zweiter Halbband, a. a. O., S. 448 und 449) 19. Rosa Luxemburg über Parlamentarismus als Nährboden des Opportunismus (1904) Die Erscheinungen im Leben der deutschen wie der französischen und der italienischen Sozialdemokratie, auf die sich Lenin beruft, sind aus einer ganz bestimmten sozialen Basis emporgewachsen, nämlich aus der des bürgerlichen Parlamen- 48 Te xt e tarismus. Wie dieser überhaupt der spezifische Nährboden der gegenwärtigen opportunistischen Strömung in der sozialistischen Bewegung Westeuropas ist, so sind auch die besonderen Tendenzen des Opportunismus zur Desorganisation aus ihm entsprossen. Der Parlamentarismus unterstützt nicht nur all die bekannten Illusionen des jetzigen Opportunismus, wie wir sie in Frankreich, Italien und Deutschland kennengelernt haben: die Überschätzung der Reformarbeit, des Zusammenwirkens der Klassen und Parteien, der friedlichen Entwicklung usw., er bildet zugleich den Boden, auf dem sich diese Illusionen praktisch betätigen können, indem er die Akademiker auch in der Sozialdemokratie als Parlamentarier von der proletarischen Masse absondert, gewissermaßen über sie emporhebt. Endlich gestaltet derselbe Parlamentarismus mit dem Wachstum der Arbeiterbewegung diese letztere zum Sprungbrett politischen Emporkommens, weshalb er sie leicht zum Unterschlupf für ehrgeizige und schiffbrüchige bürgerliche Existenzen macht. (Rosa Luxemburg, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, in: Gesammelte Werke, Bd. 1, Zweiter Halbband, a. a. O., S. 437) 20. August Bebel über scharfe Opposition als Hauptmethode parlamentarischer Arbeit (1908/1910) Unser Ziel erringen wir nicht durch kleine Konzessionen, durch Kriechen am Boden, indem wir zu den Massen heruntersteigen, sondern indem wir die Massen zu uns emporheben, indem wir sie begeistern für unsere großen Ziele. (Lebhafter Beifall.) Wenn wir in diesem Sinne arbeiten, bleibt uns der Sieg sicher, nicht aber, wenn wir glauben, wir müßten nach allen Richtungen Rechnungsträgerei treiben. (Sehr richtig!) Gewiß, kein Mensch kann mit dem Kopf durch die Wand. (Sehr richtig.) Auch im Reichstage tun wir alles, was wir nur tun können, um eine Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse herbeizuführen. Wir tun es nicht in dem Glauben, daß es in besonderem Maße geschehen wird. (Sehr wahr!) Wir tun es, um die Arbeiterklasse kampffähiger, leistungsfähiger für den Kampf um unser großes Ziel zu machen. (Lebhafte Zustimmung.)... Am 24. November 1884 gab es eine große Debatte im Reichstage darüber, wer der Haupturheber der Sozialpolitik sei, und unser verstorbener Genosse Auer erklärte, das ist die Sozialdemokratie! Ohne sie wäre die Reform nicht vorhanden. Als das bürgerlicherseits bestritten wurde, trat Bismarck auf und antwortete: wenn es keine Sozialdemokraten gäbe und nicht eine Menge sich vor ihnen fürchteten, würden die mäßigen Fortschritte, die wir bisher in der Sozialreform gemacht haben, nicht existieren. (Hört! Hört!) Bismarck erklärt also hier positiv und direkt die Sozialdemokratie als die Urheberin der Sozialpolitik. Und da spricht man auf unserer Seite von Negation, wie das Kolb getan hat. Texte 49 Die Negierer haben in der Welt oft mehr erreicht als die sogenannten positiven Arbeiter. (Bewegung.) Scharfe Kritik, scharfe Opposition fällt alle Zeit auf fruchtbaren Boden, wenn sie berechtigt ist, und unsere ist gewiß berechtigt. (Sehr richtig!) (August Bebel, SPD-Parteitag 1908 in Nürnberg, Protokoll und SPD-Parteitag 1910 in Magdeburg, Protokoll, zit. nach H. Grimberg (Hrsg.), Schlag nach bei Bebel!, Bremen 1980, S. 20 und 21) 21. Karl Kautsky über Ausnutzung der Differenzen zwischen den bürgerlichen Parteien. Ablehnung einer Koalitionsregierung (1909) Andererseits aber hält man es für möglich, daß das Proletariat zur politischen Macht gelangt ohne Revolution, das heißt, ohne erhebliche Machtverschiebung im Staat, einfach durch eine kluge Taktik des Zusammenwirkens mit dem Proletariat nahestehenden bürgerlichen Parteien, mit denen man zusammen eine Koalitionsregierung bildet, zu der jede der beteiligten Parteien allein nicht ausreichen würde. Auf diese Weise komme man um die Revolution herum, die ein ganz veraltetes, barbarisches Mittel darstelle, daß in unserem erleuchteten Jahrhundert der Demokratie, der Ethik und der Menschenliebe keinen Platz finde. Diese Auffassungen würden, wenn sie zum Durchbruch kämen, die ganze von Marx und Engels begründete sozialdemokratische Taktik über den Haufen werfen. ... Weiter handelt es sich nicht darum, ob wir Differenzen unter den bürgerlichen Parteien nicht zugunsten des Proletariats ausnützen sollen. Nicht umsonst haben Marx und Engels stets das Wort von der „reaktionären Masse“ bekämpft, weil es zu sehr die Gegensätze verdeckt, die zwischen den verschiedenen Fraktionen der besitzenden Klassen herrschen und die für den Fortschritt des Proletariats mitunter sehr wichtig wurden. Sowohl die Arbeiterschutzgesetze wie die Erweiterungen der politischen Rechte hatte es meist solchen Gegensätzen zu verdanken. Bestritten wird bloß die Möglichkeit, daß eine proletarische Partei mit bürgerlichen Parteien zusammen in normaler Weise eine R e g i e r u n g oder eine R e g i e r u n g s p a r t e i bilden kann, ohne dadurch in unüberwindliche Widersprüche zu geraten, an denen sie scheitern muß. (Karl Kautsky, Der Weg zur Macht, Frankfurt/M. 1972, S. 19 und 20) 22. Rosa Luxemburg über die Ohnmacht der rein parlamentarischen Aktion (1912) Indem das Proletariat auf diesen Liberalismus baut, auf die eigene Machtentfaltung verzichtet und all sein Hoffen ausschließlich aufs Parlament setzt, begibt es 50 Te xt e sich selbst seines Einflusses und raubt auch seiner parlamentarischen Aktion die Kraft. Es ist eine Lebensfrage für die Arbeitermassen, sich darüber vollständig klarzuwerden, daß heutzutage keine ernste, fortschrittliche Reform mehr auf rein parlamentarischem Wege erreicht werden kann. Welche Gestalt und welche Bedeutung heute eine ausschließlich parlamentarische Opposition selbst bei äußerster Zuspitzung des Kampfes gewinnt, das zeigen die jüngsten Vorgänge in Ungarn. Hier erleben wir gleichfalls eine Bündnispolitik und einen gemeinsamen Feldzug der Sozialdemokratie mit der Opposition. Was ist aus dem Feldzug im Parlament geworden? Eine Hanswurstiade mit wüstem Geschrei, Tollhäuserszenen und einem blödsinnigen Revolverattentat als Höhepunkt. Die Kindertrompete ist Waffe und Symbol zugleich dieses parlamentarischen Froschmäusekriegs. Und schließlich genügte die Handbewegung eines brutalen Kerls auf der Präsidententribüne, um die ganze Opposition durch den „Leutnant mit zehn Mann“ aus dem Tempel der bürgerlichen Gesetzgebung wie Betrunkene aus der Schenke auf die Straße zu werfen. In diesen traurigen und abstoßenden Hanswurstiaden offenbart sich eine sehr ernste Lehre der Zeitgeschichte: die Ohnmacht der rein parlamentarischen Aktion gegen die herrschende Reaktion. (Rosa Luxemburg, Schlag auf Schlag, in: Gesammelte Werke, Bd. 3, Berlin 1973, S. 170 und 171) 23. Wladimir I. Lenin über die Suche der reaktionären Parteien nach Rückhalt in den Massen (1913) In jenen Staaten, wo die Grundpfeiler der Verfassung und die Teilnahme des Volkes an Staatsangelegenheiten gesichert sind, streben nicht nur die Sozialisten danach, die Massen zu organisieren (die einzige Stärke der Sozialisten besteht ja in der Aufklärung und Organisierung der Massen), sondern auch die reaktionären Parteien. Ist die Staatsordnung demokratisiert, so müssen die Kapitalisten in den Massen Rückhalt suchen, und dafür ist es erforderlich, sie unter den Losungen des Klerikalismus (der Schwarzhundertreaktion und der Religion), des Nationalismus, Chauvinismus usw. zu organisieren. (Wladimir I. Lenin, Die Organisierung der Massen durch die Deutschen Katholiken, LW, Bd. 36, Berlin 1967, S. 218) 24. Rosa Luxemburg über außerparlamentarische Aktionen und Parlamentarismus (1913) Der jüngste, größte Wahlsieg unserer Partei hat jetzt vor aller Augen klargemacht, daß eine sozialdemokratische Fraktion von 110 Mann in der Ära der imperialistischen Delirien und der parlamentarischen Impotenz sozialreformerisch wie agitatorisch nicht mehr, sondern weniger herauszuholen imstande ist als früher eine Texte 51 Fraktion von einem Viertel dieser Stärke. Und der heutige Knotenpunkt der innerpolitischen Entwicklung Deutschlands, das preußische Wahlrecht, hat durch seine hoffnungslose Versumpfung alle Aussichten auf eine durch bloßen Druck der Wahlaktionen erzwungene parlamentarische Reform vernichtet. In Preußen wie im Reiche stößt die Sozialdemokratie in ihrer ganzen Macht ohnmächtig an die Schranke, die Lassalle schon im Jahre 1851 in den Worten formulierte: „Nie hat, nie wird eine (gesetzgebende) Versammlung den bestehenden Zustand umstürzen. Alles, was eine solche Versammlung je getan und gekonnt hat, ist, den draußen bestehenden Zustand proklamieren, den draußen schon vollzogenen Umsturz der Gesellschaft sanktionieren und ihn in seine einzelnen Konsequenzen, Gesetze usw. auszuarbeiten. Aber ewig wird eine solche Versammlung impotent sein, die Gesellschaft selber umzustürzen, die sie vertritt.“ Wir sind aber an einer Entwicklungsstufe angelangt, wo die dringendsten und unabweisbarsten Abwehrforderungen des Proletariats - das allgemeine Wahlrecht in Preußen, die allgemeine Volkswehr im Reich - einen tatsächlichen Umsturz der bestehenden preußisch-deutschen Klassenverhältnisse bedeuten. Will die Arbeiterklasse heute im Parlament ihre Lebensinteressen durchsetzen, dann muß sie erst „draußen“ den tatsächlichen Umsturz vollziehen. Will sie dem Parlamentarismus wieder politische Fruchtbarkeit verleihen, dann muß sie durch außerparlamentarische Aktionen die Masse selbst auf die politische Bühne führen. (Rosa Luxemburg, Lassalles Erbschaft, in: Gesammelte Werke, Bd. 3, Berlin 1973, S. 222 223) 25. Wladimir I. Lenin über die Unvermeidlichkeit der „bürgerlichen Arbeiterpartei“ (1916) Damals (in England um 1890 - E. L.) konnte sich die „bürgerliche Arbeiterpartei“, um das außerordentlich treffende Wort von Engels zu gebrauchen, nur in einem einzigen Land, dafür aber für lange Zeit, herausbilden, denn nur ein Land besaß eine Monopolstellung. Jetzt ist die „bürgerliche Arbeiterpartei“ unvermeidlich und typisch für alle imperialistischen Länder. (Wladimir I. Lenin, Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus, LW, Bd. 23, Berlin 1957, S. 113) 26. Wladimir I. Lenin über die Republik als beste politische Hülle des Kapitalismus. Vertretungsköperschaften, aber keinen Parlamentarismus (1917) Die demokratische Republik ist die denkbar beste politische Hülle des Kapitalismus, und daher begründet das Kapital, nachdem es (durch Paltschinski, Tschernow, Zereteli und Co.) von dieser besten Hülle Besitz ergriffen hat, seine Macht 52 Te xt e derart zuverlässig, derart sicher, daß kein Wechsel, weder der Personen noch der Institutionen, noch der Parteien der bürgerlich-demokratischen Republik, diese Macht erschüttern kann. Der Ausweg aus dem Parlamentarismus ist natürlich nicht in der Aufhebung der Vertretungskörperschaften und der Wählbarkeit zu suchen, sondern in der Umwandlung der Vertretungskörperschaften aus Schwatzbuden in „arbeitende“ Körperschaften. ... Die Vertretungskörperschaften bleiben, aber den Parlamentarismus als besonderes System, als Trennung der gesetzgebenden von der vollziehenden Tätigkeit, als Vorzugsstellung für Abgeordnete gibt es hier nicht. Ohne Vertretungskörperschaften können wir uns eine Demokratie nicht denken, auch die proletarische Demokratie nicht; ohne Parlamentarismus können und müssen wir sie uns denken, soll die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft für uns nicht ein leeres Gerede sein. (Wladimir I. Lenin, Staat und Revolution, LW, Bd. 25, Berlin 1981, S. 405 und 436) 27. Rosa Luxemburg über das Parlament und die Erfahrungen der bürgerlichen Revolutionen. Bürgerlicher Parlamentarismus und Klassenherrschaft haben ihr Daseinsrecht verwirkt (1918) Wie standen die Dinge in England? Dort ist die Wiege des bürgerlichen Parlamentarismus, dort hat er sich am frühesten, am kraftvollsten entfaltet. Als im Jahre 1649 die Stunde der ersten modernen bürgerlichen Revolution in England geschlagen hatte, blickte das englische Parlament bereits auf eine mehr als dreihundertjährige Geschichte zurück. Das Parlament wurde denn auch vom ersten Augenblick der Revolution an zu ihrem Mittelpunkt, Bollwerk, ihrem Hauptquartier. Das berühmte Lange Parlament, das alle Phasen der englischen Revolution, vom ersten Geplänkel zwischen der Opposition und der königlichen Macht bis zum Prozeß und zur Hinrichtung Karl Stuarts, im eigenen Schoße ausgetragen hat, dieses Parlament war ein unübertreffliches, gefügiges Werkzeug in den Händen der aufstrebenden Bourgeoisie. Und was ergab sich? Dieses selbe Parlament mußte sich ein besonderes „parlamentarisches Heer“ schaffen, das von ihm aus seinem Schoße gewählte Parlamentsgenerale ins Feld führten. Und in Frankreich? Dort ward der Gedanke der Nationalversammlung zuerst geboren. Es war eine geniale welthistorische Eingebung des Klasseninstinkts, als die Mirabeau und die anderen im Jahre 1789 erklärten: Die bis dahin stets getrennt gewesnen drei „Stände“, Adel, Klerus und „der dritte Stand“, müßten von nun an gemeinsam als Nationalversammlung tagen. Diese Versammlung war nämlich gerade durch die gemeinsame Tagung der Stände ein Werkzeug des bürgerlichen Texte 53 Klassenkampfes. Zusammen mit starken Minderheiten der beiden oberen Stände hatte der „dritte Stand“, das heißt das revolutionäre Bürgertum, in der Nationalversammlung von vornherein eine kompakte Majorität. Und was ergab sich wiederum? Die Vendee, die Emigration, Verrat der Generale, Zettelungen des Klerus, Aufstand von fünfzig Departements, Koalitionskriege des feudalen Europas, schließlich als das einzige Mittel, den Sieg der Revolution zu sichern, die Diktatur und als deren Abschluß die Schreckensherrschaft! So wenig taugte die parlamentarische Majorität, um die bürgerlichen Revolutionen auszufechten! Und doch, was ist der Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Feudalismus, gemessen an dem gähnenden Abgrund, der heute zwischen Arbeit und Kapital sich aufgetan!... Und dieser letzte Kampf, der an Gewaltigkeit der Aufgabe alles Dagewesene übertrifft, soll fertigbringen, was kein Klassenkampf, keine Revolution je fertiggebracht: das Todesringen zweier Welten in ein lindes Säuseln parlamentarischer Redeschlachten und Majoritätsbeschlüsse auflösen! Auch der Parlamentarismus war eine Arena des Klassenkampfes für das Proletariat, solange der ruhige Alltag der bürgerlichen Gesellschaft dauerte: Er war die Tribüne, von der aus die Massen um die Fahne des Sozialismus gesammelt, für den Kampf geschult werden konnten. Heute stehen wir mitten in der proletarischen Revolution, und es gilt heute, an den Baum der kapitalistischen Ausbeutung selbst Axt zu legen. Der bürgerliche Parlamentarismus hat, wie die bürgerliche Klassenherrschaft, deren vornehmstes politische Ziel er ist, sein Daseinsrecht verwirkt. Jetzt tritt der Klassenkampf in seiner unverhüllten, nackten Gestalt in die Schranken. Kapital und Arbeit haben sich nichts mehr zu sagen, sie haben einander nur mit eiserner Umarmung zu packen und im Endkampf zu entscheiden, wer zu Boden geworfen wird. (Rosa Luxemburg, Nationalversammlung oder Räteregierung, in: Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin 1974, S. 462, 463 und 464) 28. Karl Kautsky über die Nationalversammlung und A- und S-Räte (1919) Bisher sah unsere Partei ihre Aufgabe in der Revolutionierung der Köpfe, denn nur mit solchen läßt sich der Sozialismus durchführen. Die Spartakusse dagegen sehen ihre Aufgabe darin, eine Einrichtung zu erfinden, die uns diese mühsame Arbeit erspart, die uns den Sieg und die Herrschaft unter allen Umständen sichert, mögen die Massen für uns sein oder gegen uns. ... Die Nationalversammlung ist auf dem Marsch und nichts vermag sie aufzuhalten. Die Sozialisten, die sich ihr entgegenstellen, können nur eines erreichen: die Ver- 54 Te xt e kleinerung der sozialistischen Mehrheit in ihr. Die Schuld dieser Sozialisten wäre es, wenn die Nationalversammlung gar eine gegenrevolutionäre Mehrheit aufwies. Gerade weil diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, müssen wir um so dringender fordern, daß an Stelle des Kampfes gegen die Nationalversammlung der Kampf um sie mit voller Kraft aufgenommen wird. (Karl Kautsky, Nationalversammlung und Räteversammlung, Berlin 1919, S. 14 und 16) 29. Wolfgang Abendroth über den Funktionsverlust der Parlamente im Gesetzgebungsprozeß (1959) Das Ziel der kapitalistischen Oberschichten in der liberalen Entwicklungsperiode des vorigen Jahrhunderts - die Verdrängung der Staatsgewalt aus dem gesellschaftlichen Leben, soweit sie nicht zur polizeilichen Unterdrückung des Proletariats unentbehrlich war - ist deshalb in allen kapitalistischen Ländern durch die Ausdehnung der öffentlichen Gewalt zwecks Regelung fast aller Lebensbereiche jedoch unter der Kontrolle und im Interesse der Inhaber der ökonomischen Macht - ersetzt worden. Damit haben gleichzeitig Umfang und Kompliziertheit der Gesetzgebung erheblich zugenommen. Die Parlamente - einst das wichtigste Mittel, durch ihre legislative Gewalt den vorkapitalistischen Obrigkeitsstaat zur Anerkennung der liberalen Interessen der modernen kapitalistischen Klassen zu zwingen - haben infolge dieser Entwicklungstendenz die Fähigkeit zur Einbringung neuer Gesetze weitgehend an die hohe Bürokratie abtreten müssen. Diese kontrolliert gleichzeitig die Anwendung der Gesetze als administrative Bürokratie durch ihre Verordnungen oder als richterliche Bürokratie durch ihre Urteile. Bürokratie und Richterschaft haben, durch zahllose Generalklauseln der neuen Gesetze begünstigt, die frühere Aufgabe des Parlaments, durch seine Normierungen konkrete Tatbestände klar zu regeln, an sich gezogen. Die Macht der Bürokratie, die in immer stärkerem Maße mit der Manager-Schicht der Konzerne, Trusts und Kartelle auswechselbar wird und verschmilzt, ist dadurch gewaltig gewachsen. (Wolfgang Abendroth, Aufgaben und Ziele der deutschen Sozialdemokratie, Programmentwurf 1959, in: W. Abendroth, Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie, Neuwied und Berlin 1967, S. 412) 30. Wolfgang Abendroth über Konsequenzen der Entwicklung des Parteienkampfes als Auswahl von Führungskadern (1962) Wird nämlich die politische Auseinandersetzung zwischen den Parteien nicht mehr um wichtige inhaltliche Fragen, sondern nur noch um die Auswahl von Führungskadern, geführt, so ist die notwendige Folge, daß sich die qualitativ bes- Texte 55 seren und politisch interessierten Teile des Volkes für diese Auseinandersetzung nicht mehr so stark engagieren, daß sie noch bereit wären, ihre Zeit für die Tätigkeit in einer Partei zu opfern. Dadurch wird dann unvermeidlich die von Ossip Flechtheim geschilderte Tendenz verstärkt, daß sich die Parteimitgliedschaft (und vor allem die Schicht, die die Mitgliederversammlungen besucht) nicht mehr aus Wählern ergänzt, die in der politischen Betätigung ein sachliches Anliegen sehen, sondern aus „Anhängern, die die Partei vor allem als Stellenvermittlung betrachten“. Als weitere Folge ist die Transformation der Verhaltensweisen der Wähler in eine bloße Konsumentenreaktion, die sich auf Akklamtion auswechselbarer (aber am Ende in Krisensituationen nicht mehr auswechselbarer), mehr oder minder demagogischer „Führer“ beschränkt, unvermeidlich, die selbstverständlich stets für einen großen Teil der Wähler charakteristisch gewesen ist. So galt es bisher als Aufgabe der politischen Parteien, diese Konsumentenreaktion zurückzudrängen. Jetzt wird es ihr Hauptzweck, sie auszunutzen und also auch zu verstärken. Die notwendige weitere Folge dieser „Entideologisierung“, die in Wirklichkeit die monopolistische Beherrschung der Gesellschaft durch die jede Gesellschaftskritik negierende Ideologie der Ideologielosigkeit zum Inhalt hat, ist deshalb die Umwandlung der Wahlkämpfe in eine Konkurrenz von Werbetechnikern, die unter Verwendung aller modernen Informationsmittel (und gleichzeitig Manipulationsmittel) in Anpassung an das niedrigmögliche geistige und politische Niveau des Wählers die Wortführer der Parteien als Stars aufbauen. (Wolfgang Abendroth, Das Problem der innerparteilichen und innerverbandlichen Demokratie in der Bundesrepublik, a. a. O., S. 306) 31. Reinhard Opitz über Monopolmacht, antimonopolistische Strategie und Parlamente (1969) Antimonopolistische Alternativen haben demnach nichts mit gesellschaftlichen Endvisionen zu tun, sie sind vielmehr Kampfalternativen, mit deren Durchsetzung der Prozeß der Gesellschaftsveränderung nicht abgeschlossen, sondern forciert bzw. überhaupt erst ausgelöst wird. Hinter den ersten Reformen, die gegen den Willen des Monopolkapitals durchgesetzt werden und der Gesellschaft reale Einflußpositionen verschaffen, liegt nicht Ruhe, sondern verschärfter, die Entwicklung immer weiter treibender Klassenkampf. Die Beschaffenheit der von der Opposition jeweils zum aktuellen Kampfziel zu erhebenden Alternativen muß folglich so sein, daß sie die in einer konkreten Situation notwendigen Entwicklungsprozesse einzuleiten vermögen. Alternativen, die nicht die Massen ergreifen, helfen nichts. Ergriffene Massen aber, die für Reformen kämpfen, mit denen der Allmacht der Monopole in Wahrheit keinerlei Abbruch getan wird, helfen auch nichts. Dies sind die beiden Abwege, auf die die oppositionelle Strategie leicht geraten kann. ... 56 Te xt e Wenn es gelingt, bewußt zu machen, welche Inhalte durch Mitbestimmung durchgesetzt werden sollen, dann verwandeln sich selbst bei ungünstigerem Zahlenverhältnis die Aufsichtsräte und Vorstände von Kooperationsgremien in Stätten des Klassenkampfes. Das aber ist auch der entscheidende Punkt in der Parlamentarismusfrage. Für die Mehrheit der Bevölkerung ist die Demokratie mit der parlamentarischen Demokratie identisch. Die Entfunktionalisierung der Parlamente ist in allen kapitalistischen Ländern eine Folgeerscheinung der Verschmelzung von Monopolmacht und Staatsmacht. Diesen Vorgang der Entmachtung der Parlamente als verursacht durch das Monopolsystem der Bevölkerung erklärlich zu machen und daraus die Notwendigkeit der Entmachtung der Monopole abzuleiten, wäre wirkliche Aufklärungsarbeit, weil sie Einsicht in die Herkunft der Entdemokratisierung vermittelt und eine klare Auskunft darüber gibt, gegen wen man sich wenden muß, um ihr Einhalt zu gebieten. (Reinhard Opitz, Grundfragen oppositioneller Alternative und Strategie, in: Alternativen der Opposition, Köln 1969, S. 399 und 404) 32. Wolfgang Abendroth über Ursachen oppositioneller Strömungen in der Sozialdemokratie (1977) Innerhalb der Sozialdemokratie entstehen immer wieder oppositionelle Strömungen gegen eine Politik der Führung, die sich mehr oder weniger bewußt in die Interessenlagen des realistischen Flügels des Monopolkapitals einordnet. Zwar ist das industrielle Proletariat nicht mehr in der Partei aktiv; die Mehrheit der unteren ehrenamtlichen Funktionäre der SPD besteht aus Angestellten und Beamten der Kommunen und Länder. Gleichwohl wirken Belastungen des industriellen Proletariats schon deshalb auf die SPD zurück, weil sie auf dessen Stimmen angewiesen ist. So werden in der Partei immer wieder oppositionelle Regungen entstehen, die an ihre Tradition als Partei des proletarischen Klassenbewußtseins anknüpfen, wenn der Widerspruch zwischen den aktuellen Tagesinteressen der abhängig Arbeitenden und der Politik der Führung der SPD allzu groß wird. (Wolfgang Abendroth, Die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland und die Perspektive ihrer Linken, in: Das Argument, Juli/August 1977, S. 474 f.) 33. Ernest Mandel gegen Reduzierung des Klassenkampfes auf seinen politisch-parlamentarischen Aspekt (1978) Hinter der gesamten eurokommunistischen Strategie, genau wie hinter der „Ermattungsstrategie“ Kautskys, steht eine manipulatorische und bürokratische Auffassung von der Arbeiterbewegung, der Arbeiterpolitik und der Politik im allgemeinen, die es aufzuzeigen gilt. Der Klassenkampf ist allein auf seinen politi- Texte 57 schen, besser: politisch-parlamentarischen Aspekt reduziert. Die Beziehungen zwischen politischen Klassen sind im wesentlichen auf alleinige Beziehungen zwischen politischen Parteien, besser: zwischen den Führungen dieser Parteien reduziert. Eine Handvoll „Führer“ ist dazu ausersehen, die sozialen Interessen von Millionen Menschen, mit all ihren hochkomplexen Verwicklungen, zu repräsentieren und gültig zu artikulieren, und das einzig aufgrund von Wahlergebnissen. Diese gesellschaftlichen Klassen - d. h. Millionen, in den größeren Ländern Dutzende Millionen von Menschen - sind gehalten, Hab-acht-Stellung vor den allwissenden Führern einzunehmen, nach Kommando zu marschieren oder stehenzubleiben, wie Marionetten, die von einer Mechanik manipuliert werden, die sie strikt kontrolliert. (Ernest Mandel, Kritik des Eurokommunismus, Berlin 1978, S. 139) III. Literaturverzeichnis Wolfgang Abendroth, Aufgaben und Ziele der deutschen Sozialdemokratie, Programmentwurf 1959, in: W. Abendroth, Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie, Neuwied und Berlin 1967 Wolfgang Abendroth, Das Problem der innerparteilichen und innerverbandlichen Demokratie in der Bundesrepublik, a. a. O. Wolfgang Abendroth, Die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland und die Perspektive ihrer Linken, in: Das Argument, Juli/August 1977 August Bebel, SPD-Parteitag 1908 in Nürnberg, Protokoll und SPD-Parteitag 1910 in Magdeburg, Protokoll, zit. nach H. Grimberg (Hrsg.), Schlag nach bei Bebel!, Bremen 1980 Eduard Bernstein, Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie, Berlin 1991 Friedrich Engels, Marx und die „Neue Rheinische Zeitung“ 1848-49, MEW, Bd. 21, Berlin 1984 Friedrich Engels an Wilhelm Liebknecht in Berlin vom 29. Dezember 1884, MEW, Bd. 36, Berlin 1967 Friedrich Engels, Der Bürgerkrieg in Frankreich, Einleitung, MEW, Bd. 22, Berlin 1963 Friedrich Engels an Victor Adler, 30. August 1992, MEW, Bd. 38, Berlin 1968 Friedrich Engels, Vorwort zur 2. deutschen Auflage der „Lage der arbeitenden Klasse in England“, MEW, Bd. 22, Berlin 1972 Friedrich Engels an Laura Lafargne, 20. Juni 1893, MEW, Bd. 39, Berlin 1978 58 Literaturverzeichnis Friedrich Engels, Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, Einleitung, MEW, Bd. 22, Berlin 1963 Karl Kautsky, Parlamentarismus und Demokratie, Stuttgart 1911 Karl Kautsky, Der Weg zur Macht, Frankfurt/M. 1972 Karl Kautsky, Nationalversammlung und Räteversammlung Wladimir I. Lenin, Die Organisierung der Massen durch die Deutschen Katholiken, LW, Bd. 36, Berlin 1967 Wladimir I. Lenin, Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus, LW, Bd. 23, Berlin 1957 Wladimir I. Lenin, Staat und Revolution, LW, Bd. 25, Berlin 1981 Rosa Luxemburg, Die sozialistische Krise in Frankreich, in: Gesammelte Werke, Bd. 1, Zweiter Halbband, Berlin 1970 Rosa Luxemburg, Sozialdemokratie und Parlamentarismus, in: Gesammelte Werke, Bd. 1, Zweiter Halbband Rosa Luxemburg, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, in: Gesammelte Werke, Bd. 1, Zweiter Halbband Rosa Luxemburg, Schlag auf Schlag, in: Gesammelte Werke, Bd. 3, Berlin 1973 Rosa Luxemburg, Lassalles Erbschaft, in: Gesammelte Werke, Bd. 3, Berlin 1973 Rosa Luxemburg, Nationalversammlung oder Räteregierung, in: Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin 1974 Ernest Mandel, Kritik des Eurokommunismus, Berlin 1978 Karl Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW, Bd. 1, Berlin 1978 Karl Marx, Die Klassenkämpfe in Frankreich, MEW, Bd. 7, Berlin 1960 Karl Marx, Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte, MEW, Bd. 8, Berlin 1960 Karl Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich, MEW, Bd. 17, Berlin 1963 Karl Marx, Aus dem Protokoll der Sitzung der Londoner Konferenz der Internationalen Arbeiterassoziation vom 20. September 1871, MEW, Bd. 17, Berlin 1962 Karl Marx, Friedrich Engels an August Bebel, Wilhelm Liebknecht u. a., MEW, Bd. 34, Berlin 1966 Reinhard Opitz, Grundfragen oppositioneller Alternative und Strategie, in: Alternativen der Opposition, Köln 1969 Wilhelm Wolff, Der preußische Landtag und das Proletariat in Preußen wie überhaupt in Deutschland, in: Der Bund der Kommunisten, Dokumente und Materialien, Bd. 1, Berlin 1983 Literaturverzeichnis 59