Rebirth März 2014 Seite 1 Ein Kloß steckt im Hals Die jetzt 52

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Ein Kloß steckt im Hals
Die jetzt 52-jährige Maria J., eine kaufmännische Angestellte bei einem NahrungsergänzungsmittelVertrieb in Bad Vilbel, hat ein kloßiges Gefühl beim Schlucken. Auf der rechten Halsseite meint sie,
auch eine Schwellung zu tasten. Wegen der Schluckbeschwerden geht Maria zu ihrem Hausarzt.
Maria ist verheiratet, sie hat keine Kinder. Seit jetzt 27 Jahren arbeitet sie in dem Vertrieb im Büro.
Mit 31 Jahren fanden sich bei einer Untersuchung wegen Infertilität beidseits multiple Ovarzysten.
Mit 43 Jahren wurde nach einer Leistungsminderung eine myxödematöse Schwellung der
Mitralklappe mit einer Mitralinsuffizienz gefunden; bei der eingehenden kardiologischen Abklärung
lassen sich im EKG auch vorzeitige Kammerkontraktionen nachweisen. Aufgrund von
Blutungsunregelmäßigkeiten ging Maria mit 46 Jahren zum Frauenarzt, der uterine submuköse
Raumforderungen fand, die bioptisch als uterine Fibrome charakterisiert wurden. Maria wurde
hysterektomiert und rechtsseitig salpingo-oophorektomiert. Seit jetzt 29 Jahren nimmt sie wegen
einer Angststörung Medikamente. Ihre derzeitige Medikamentenliste besteht aus Atenolol,
Lisinopril, Fluoxetin, Calcium-Karbonat, Multivitamin-Kapseln sowie Amoxicillin bei
zahnärztlichen Eingriffen. Maria hat keine bekannten Allergien; sie raucht nicht und trinkt nur
gelegentlich etwas Alkohol.
Ihr Vater ist mit 64 Jahren an Lungenkarzinom gestorben, er hatte eine lange bestehende
Hypothyreose, eine Tante hatte eine Strume, eine Schwester, die jetzt in Greifswald lebt, hat
„Schilddrüsenprobleme“. Eine weitere Schwester und ihr Bruder sind gesund.
Der Hausarzt weist Maria stationär ein.
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Bei der Aufnahme wird Maria von der Blockpraktikantin untersucht: HF 66 / min, RR 128 / 74 mm
Hg, AF 15/min, Gewicht 66 kg, Größe 165 cm. Inspektorisch finden sich keine Hautzeichen, bei der
eingehenden Palpation finden sich – auch am Hals und in den Achseln – keine vergrößert tastbaren
Lymphknoten.
Auskultatorisch besteht ein 2/6 Systolikum mit PM über der Herzspitze, das Geräusch wird nicht
fortgeleitet. Die weitere Untersuchung von Thorax, Abdomen und Extremitäten, sowie die
orientierende neurologische Untersuchung sind unauffällig.
Auf Station wird auch ein EKG abgeleitet, welches aber keine spezifischen Auffälligkeiten zeigt,
die PQ-Zeit von 0,14 sec, und die kleine T-Welle werden auch vom kardiologischen Konsil als
unspezifisch bezeichnet.
Zwei Stunden nach Abnahme kommen auch die Laborergebnisse auf Station an:
Kleines Blutbild unauffällig
Elektrolyte unauffällig
Retentionswerte unauffällig
Leberwerte unauffällig
Schilddrüsenwerte unauffällig
Eine Sonographie des Halses wird durchgeführt:
Sonographie Hals
Sonographie Hals, schräge Darstellung
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Eine Sonographie des Halses ergibt an der Schilddrüse einen heterogenen, hypoechogenen Knoten
von etwa 4 x 3 x 2,5 cm in der Mitte des rechten Lappens. Die Ränder sind gelappt, zentral finden
sich wenige feine Verkalkungen, und im Dopplermodus ist der Blutfluss zentral mäßig ausgeprägt.
Ein zweiter hypoechogener Knoten hinter und unter dem ersten Knoten enthält kleine
Verkalkungen, er misst 24 x 19 x 34 mm. Eine einzelner Lymphknoten am rechten unteren
Halsbereich, direkt an der A. carotis, erscheint vergrößert.
Maria wird auf die Endokrinologie verlegt. Bei genauem Nachfragen gibt sie einen leichten Husten
mit etwas gelbem Auswurf an, gelegentliches Herzrasen, dem sie aber keine Bedeutung
beigemessen hat, und eine leicht heisere Stimme, die sie auf eine gerade überwundene Erkältung
zurückführt. Sie hat keine Bestrahlungen erhalten oder wurde mit Radioiod untersucht. Bei einer
genauen Palpation des Halses sind die beiden Raumforderungen aus der Sonographie auch tastbar,
ebenso wie der nahe gelegene Lymphknoten.
Die Raumforderungen werden im CT nachuntersucht:
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Im CT ist der erste Knoten bis zu 6,5 cm groß, die zweite Raumforderung stellt sich als ein hinter
der Schilddrüse gelegener Lymphknoten dar, der sich weit in die tracheoösophageale Loge
ausdehnt, diese beiden Strukturen verdrängt und von ihnen nicht abgegrenzt werden kann. ein
weiterer retropharyngealer Lymphknoten ist oben im Hals erkennbar.
Die beiden Knoten in der Schilddrüse werden punktiert (Feinnadelpunktion):
Die pathologische Befundung kommt schnell: „zeigen Zellen unterschiedlicher Größe, mit
abgerundeten Kernen und inhomogenem Chromatin. Einzelne Zellen haben ein gestreiftes
Chromatin oder ein Kometen-ähnlichen Kern. Die zytologischen Zeichen sind verdächtig auf ein
papilläres Schilddrüsenkarzinom“.
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Maria hat ein Schilddrüsenkarzinom, welches klinisch als cT2-3N1Mx gekennzeichnet ist. Für das
operative Vorgehen ist wichtig, inwieweit Trachea und Ösophagus infiltriert sind, und ob der
Recurrens beidseits geschont werden kann. Eine endgültige Entscheidung konnte auch hier nur
intraoperativ getroffen werden. Hier findet sich Infiltration des Muskels, so dass dikeser, sowie ein
drei cm langes Segment des N. recurrens und die rechte Seite des oberen Ösophagus reseziert
werden. Durch intraoperative elektrophysiologische Kontrollen wird sichergestellt, dass keine
komplette Denervierung des Kehlkopfes entsteht. Das distale Segment des N. recurrens wird
darüber hinaus mobilisiert und anastomosiert.
Makroskopisch wiegt der resezierte rechts Schilddrüsenlappen 59 g, und besteht überwiegend aus
einer 7 x 8 cm großen weißen, festen, gelappten Masse.
SD makroskopisch
RF, histologisch
SD, histologisch
Lymphknoten
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Der postoperative Befund zeigt typische Zellen eines medullären Karzinoms; hierauf weisen die
Pfeffer-und Salz-Struktur der Zellkerne, und das vollständige Fehlen von Globulin hin.
In 6 von 30 lokalen und regionalen Lymphknoten (perithyreoideal und rechts-lateral am Hals), mit
einer maximalen Ausdehnung von 1,9 cm. Immunhistochemisch sind alle Tumorzellen gleichartig,
sie färben positiv mit TTF1 (thyroid transcriptionfactor 1), Calcitonin und CEA.
Eine weitere Runde Staging schließt sich an. Dabei ist das cCT unauffällig, in der Leber werden
aber multiple Raumforderungen sichtbar. Eine PET-CT-Untersuchung des Halses zeigt
aufleuchtende retropharyngeale und mediastinale Bereiche, die als Lymphknoten interpretiert
werden; auch die Raumforderungen in der Leber reichern 19F-DG an. Im Vergleich zum
präoperativen CT erscheinen die Lymphknoten vergrößert. Der größte Leberknoten wird punktiert;
die Zellen entsprechen denjenigen, die bereits in der ersten Schilddrüsenpunktion nachgewiesen
werden konnten.
Marias Familienangehörigen werden über die Diagnose informiert und eine genetische Testung auf
MEN2A und MEN2B wird angeboten.
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Das pathologische Stadium ist damit pT4apN1pM1, entsprechend einem Stadium UICC IV. Eine
kurative Therapie ist damit nicht mehr möglich; aber auch bei dieser Situation mit Fernmetastasen
und ausgedehnter LK-Beteiligung ist der Tumor nur langsam progredient, und 10-JahresÜberlebensraten schwanken stark, betragen aber etliche Jahre.
Bei Marias Angehörigen – und auch bei Maria selbst – findet sich keine Mutation im RET-Gen.
Leider sind keine präoperativen Werte für Calcitonin und CEA vorhanden, die bei sporadischen und
familiären medullären Schilddrüsenkarzinomen aussagekräftige Parameter sind. Postoperativ wurde
das Calcitonin mit 281 pg/ml gemessen; dieser Wert ist prognostisch ungünstig (n.d.: <3% Rezidiv;
<150 pg/ml Sonographie; sonst ausgedehntere Bildgebung). Für eine Abschätzung des weiteren
Überlebens ist Calcitonin ein geeigneter Marker, insbesondere die Verdoppelungszeit des SerumCalcitonins, welches offensichtlich proportional zur Tumormasse ausgeschüttet wird. Bewertet
werden daher das Gesamt-Calcitonin (welches bei Maria relativ niedrig ist) und das Verhältnis von
Calcitonin zu CEA (wobei ein niedriges CEA ein prognostisch ungünstiger Parameter ist).
Für medulläre Schilddrüsenkarzinome gibt es keine „geeignete“ Zytostatika-Therapie. Bisherige
Studien nutzten Cytarabin, Fluoruracil und Doxorubicin als unspezifische Medikamente; die
Erfolge waren eher mäßig.
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Neue Ansätze nutzen die Tatsache, dass das RET-Gen eine Rezeptor-gebundene Tyrosin-Kinase ist.
Mittlerweile sind Tyrosin-Kinase-hemmende Medikamente eingeführt, z.B. Vandetanib; die
Wirksamkeit ist auch bei den Patienten belegt, bei denen keine der bekannten RET-Mutationen
nachgewiesen werden kann.
Auch Maria bekommt Vandetanib, da sie eine ausgedehnte Metastasierung hat, und die Werte von
Calcitonin und CEA eine eher schlechte Prognose andeuten. Maria entwickelt nach 4 Wochen ein
long QT-Syndrom, eine der bekannten unerwünschten Wirkungen, sowie gastrointestinale
Nebenwirkungen. Der Inhibitor wird nach einer Woche Pause in reduzierter Dosis wieder angesetzt.
Nach 2 Monaten Therapie ist das Calcitonin um 87% gefallen, das CEA um 48%, ein neues PET-CT
zeigt eine verminderte Aufnahme vor allem der großen Raumforderungen. Nach weiteren 8
Monaten unter Vandetanib besteht radiologisch eine stabile Metastasierung, der Calcitonin-Spiegel
beginnt langsam wieder anzusteigen.
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