Kasuistik - Intensiv

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Kasuistik: Hypernephrom-assoziierte disseminierte intravaskuläre Gerinnung
Anamnese:
Die Einweisung des 72jährigen Patienten erfolgte unter dem Verdacht auf eine dekompensierte Leberzirrhose mit Koagulopathie. Bei dem Patienten war es in den Tagen vor stat.
Aufnahme zu petechialen Einblutungen der Mundschleimhäute sowie der abhängigen und
streckseitigen Körperpartien gekommen.
Ansonsten beklagte der Patient keinerlei Einschränkungen. Fieber, Nachtschweiß oder
Gewichtsverlust werden ebenso verneint wie Stuhlauffälligkeiten oder Appetitverlust. Der
Pat. streitet einen aktuellen Alkoholkonsum ab.
Anamnestisch ist eine ethyltoxische Leberzirrhose seit 2007 mit leichter Thrombozytopenie vorbeschrieben, der Patient wies bereits im Jahre 2003 im Rahmen einer ambulanten
Untersuchung eine gering verminderte Thrombozytenzahl von 149.000/µl auf. Im Oktober
2008 erlitt der Patient einen PICA-Infarkt mit Schwindel, weshalb er stationär in der Neurologie unseres Hauses behandelt wurde. Zu diesem Zeitpunkt wies er eine stabile Thrombozytopenie von 104.000/µl auf. Die Leberwerte AST und ALT waren jener Zeit unauffällig,
dagegen zeigte die AP eine Erhöhung auf 180 U/l, die yGT auf 190 U/l.
Medikation bei stationärer Aufnahme: Ticlopidin, Valsartan, Amlodipin, Metoprolol, Pantoprazol, Citalopram
Untersuchungsbefund
72jähriger Patient in leicht reduziertem Ernährungs- und Allgemeinzustand, zahlreiche Petechien der Unterschenkel und der Füße, nach RR-Messung am rechten Unterarm entwickeln sich bei der Aufnahme auch am Handrücken Petechien im Sinne eines positiven
Rumpel-Leede-Testes. Cor und Pulmo auskultatorisch und perkutorisch unauffällig, ebenso der Lymphknotenstatus in den tastbaren Bereichen. Leber 2 QF unter dem Rippenbogen tastbar, keine tastbare Splenomegalie. Darmgeräusche unauffällig, kein Druckschmerz im Abdomen. Kein Fieber.
Labor bei Aufnahme:
Blutbild: Hb 13,5 g/dl, Ery 4,2 Mio/µl, HbE 32pg, MCHC 35,7 g/dl, MCV 89,6 fl, Hkt 38%,
Leukozyten 6,4 * 10³/µl, Neutrophile 71%, Lymphozyten 17,9%, Monozyten 10,7%, Eosinophile 0,2%, Basophile 0,2%, Reticulozyten 35,7%o, Thrombozyten 11.000/µl, Thrombozyten aus Citratblut 8500/µl, keine Fragmentozyten.
Gerinnungsparameter: Quick 19%, INR 3,56, Fibrinogen < 60 mg/dl, AT III 48%, D-Dimere 6441 µg/l
Laborchemie: AST 77 U/l, ALT 23 U/l, LDH 836 U/l, CK 196 U/l, yGT 158 U/l, Hst 58
mg/dl, Krea 1,2 mg/dl, Bilirubin gesamt 4,2 mg/dl, Bilirubin direkt 1,5 mg/dl, CRP
3,79mg/dl, Eisen 244 µg/dl, Ferritin 803 µg/l, Transferrin 195 mg/dl. Keine Zeichen der Lebersynthesestörung.
Normale Elektrophorese und Immunfixationselektrophorese, Hepatitis-Serologie negativ,
Vitamin B12 mit 326 ng/l normwertig, die Folsäure wurde nicht bestimmt.
Erweiterte Diagnostik
Die Sonographie zeigte eine Hepatosplenomegalie sowie Kriterien eines zirrhotischen Umbaus. Es bestanden keine Hinweise für eine Pfortaderthrombose, keine portalen Umgehungskreisläufe. Cholezystolithiasis. Prostata leichtgradig vergrößert. Auffällig war jedoch
eine rechts kortikale Raumforderung der Niere von 3 x 3,5cm Größe.
In der Computertomografie wurde ein Nierentumor re.-seitig mit 4 cm Größe bestätigt, die
Nierenvene zeigte sich frei. Es lag eine mäßige Lymphknotenvermehrung im Paraaortalbereich vor, ebenso mediastinal. Die abgebildeten Anteile der BWS und LWS blieben ohne
Nachweis für umschriebene Osteolysen bei Zeichen eines stattgehabten M. Scheuermann.
Diagnose:
Tumor-assoziierte disseminierte intravasale Gerinnung im Stadium III bei hochgradigem Verdacht auf ein Hypernephrom rechts.
Wir interpretierten die Laborwerte als eine paraneoplastische disseminierte intravasale
Gerinnung ohne klinische oder laborchemische Hinweise für eine Sepsis als Trigger der
Entgleisung.
Differenzialdiagnostische Überlegungen betrafen eine hämotologische Neoplasie, insbesondere eine Leukämie oder Lymphomerkrankung und eine Medikamenten-assoziierte
Thrombozytopenie, letztere hätte allerdings die Entgleisung der plasmatischen Gerinnung
nicht erklärt. Aus gleichem Grunde geriet auch eine thrombotisch-thrombozytopenische
Purpura nicht in das Zentrum unserer Betrachtungen.
Therapie und Verlauf:
Die klinisch apperente Blutungsneigung verbot eine offene Tumorexzision als kausale
Maßnahme zur Beseitigung der DIC. Eine Substitution von Gerinnungsfaktoren und
Thrombozyten kam ebenfalls nicht in Betracht, da die DIC durch derartige Maßnahmen
hätte verstärkt werden können.
Wir entschlossen uns daher zunächst zur interventionellen Tumorembolisation. Für die arterielle Schleusenanlage verzichteten wir unter Transfusionsbereitschaft auf die prophylaktische Gabe von Thrombozytenkonzentraten, um dem Mechanismus der vermuteten Verbrauchskoagulopathie keinen Vorschub zu leisten.
Die digitale Substraktionsangiografie der Nierengefäße rechts zeigte den stark vaskulierten, etwas mehr als 4cm großen Tumor am Unterpol der rechten Niere medial gelegen.
Angiomorphologisch entsprach der Befund einem Nierenzellkarzinom.
Mit einem Rebar-18-Mikrokatheter wurde direkt das tumorversorgende Gefäß sondiert. Zunächst Embolisation mit wenigen ml Partikeln 500 bis 700 Embozeene (ca. ¼ eines 2ml
vials), anschließend Ausgießen des Gefäßes mit 0,7ml Onyx 34.
Die Kontrollangiografie zeigte eine gute Ausschaltung der lateralen Tumoranteile. Allerdings war der Tumor noch geringfügig von medial her versorgt. Deswegen erneute Sondierung mit neuem Katheter u. Auffüllen nach proximal mit erneuter Injektion von 0,5 ml
Onyx 34. Auch die restlichen Anteile der tumorversorgenden Gefäße konnten hierbei erfolgreich embolisiert werden.
Postinterventionelle Phase
Der Laborverlauf der wichtigsten Gerinnungsparameter und der Thrombozyten ist in Abbildung 1 dargestellt:
Bereits wenige Stunden nach Tumorembolisation konnte ein Abfall des INR-Wertes festgestellt werden. Im Verlauf kam es zu einer vollständigen Normalisierung der Gerinnungsparameter und der Thrombozyten.
Am 08.04.09 wurde bei nunmehr unauffälligen Laborparametern die radikale lumbale Nephrektomie rechts problemlos durchgeführt. Histologisch zeigte sich ein mäßig bis schlecht
differenziertes klarzelliges Nierenkarzinom (Tumorstadium: pT3a, G3, pNX, pMX, L0, V0,
Pn0 [low risk], R0).
Das bisherige Follow up zeigt ein rezidivfreies Überleben.
Diskussion
Wir präsentieren einen Fall einer paraneoplastischen DIC im kausalen Zusammenhang mit
einem Hypernephrom und dessen Management. Den Autoren liegt nur eine einzige Fallbeschreibung aus dem Jahr 1976 für das Auftreten einer Hypernephrom-induzierten DIC vor
(10).
Pathophysiologie
Eine paraneoplastische Thrombophilie, in der Mehrzahl der Fälle klinisch manifestiert
durch eine venöse Thrombembolie, charakterisiert die große Mehrzahl maligner Grunderkrankungen und stellt nicht selten deren erste klinische Manifestation dar. Wesentlich seltner dagegen findet sich eine paraneoplastische DIC (1). Während die Mechanismen der
Thrombophilie weitgehend identifiziert wurden (Erhöhung des Tissuefactors, endotheliale
Dysfunktion, Zytokin-vermittelte Minderaktivität antikoagulatorischer Faktoren und verminderte fibrinolytische Kapazität), bleibt es unklar, warum es bei bestimmten Tumorentitäten
verstärkt zur Ausbildung einer DIC kommt (4).
Die Inzidenz einer DIC beträgt in einer Studie aus dem Jahre 2001 7% bei soliden Tumoren, 15-20% bei lymphatischen Leukämien und sogar 90% bei Promyelozytenleukämien
(11).
Unter den soliden Tumoren spielen vor allem disseminierte Adenokarzinome unterschiedlicher Primärlokalisationen eine führende Rolle, insbesondere das Adenokarzinom der Lun-
ge (3). Dagegen findet das Hypernephrom als Ursache einer DIC in der Literatur bisher
nur eine Erwähnung (10).
Wenngleich die Promyelozytenleukämie daher als Modell der paraneoplastischen DIC angesehen werden könnte, scheint sich der Mechanismus der Gerinnungsaktivierung gegenüber dem solider Tumoren deutlich zu unterscheiden (4). Solide Tumoren exprimieren unter anderem Tissue Factor (TF), der über die Bindung an Faktor VII(a) die Aktivierung von
Faktor IX und X vermittelt. Ein weiteres Tumorprokoagulanz führt zur direkten Faktor X-Aktivierung. Auf der anderen Seite können solide Tumoren über Plasminogenaktivatoren mit
struktureller Ähnlichkeit zur Urokinase eine Hyperfibrinolyse induzieren (2,4,7).
Bei einer paraneoplastischen DIC können darüber hinaus oft auch hohe Interleukin-6Spiegel nachgewiesen werden, ein proinflammatorisches Zytokin, dass im Rahmen einer
Sepsis-induzierten DIC ebenfalls eine führende Rolle spielt (2,4).
Klinisches Erscheinungsbild der paraneoplastischen DIC
Üblicherweise verläuft eine paraneoplastische DIC weniger heftig als die septisch-entzündlich getriggerte (1). In seltenen Fällen – wie dem unsrigen – ist die Blutungsneigung
das erste Symptom der malignen Erkrankung. In Abwesenheit einer systemischen Inflammation (CRP und Procalcitonin normal) führt der Ausschluss einer Lebersynthesestörung
einerseits und der Nachweis hoher Spiegel von Fibrinogenspaltprodukten gemeinsam mit
den Kardinalsymptomen der DIC zur Verdachtsdiagnose und triggert eine Tumorsuche.
Unser Patient wurde mit petechialen Blutungen stationär eingewiesen. Die Labordaten
zeigten die Konstellation einer disseminierten intravasalen Gerinnung im Stadium III ohne
klinische oder laborchemische Anhaltspunkte für eine Sepsis als Trigger des Geschehens.
Der Allgemeinzustand des Patienten war vollkommen unbeeinträchtigt.
'Treat the cause, not the lab' (2)
Nachdem sich in unserem Fall ein Hypernephrom rechts anhand der Schnittbildgebung mit
hoher Wahrscheinlichkeit vermuten ließ, stellte das therapeutische Management aufgrund
der katastrophalen Gerinnungssituation zum Diagnosezeitpunkt eine Herausforderung dar.
Allgemein wird von einer Substitutionstherapie und symptomatischen Korrektur des Gerinnungsfaktorenmangels und der Thrombozytopenie gewarnt, da die ursächlichen Mechanismen der Gerinnungsaktivierung und Hyperfibrinolyse fortbestehen und durch die Substitution neue Nahrung bekommen (2). Eine Tumornephrektomie war aber in einer unkorrigierten Gerinnungskonstellation nicht durchführbar.
Nach Konsultationen mit unseren hämatologischen und urologischen Fachkollegen entschlossen wir uns zu einer vorläufigen interventionellen Tumorbekämpfung. Von einer
Embolisation versprachen wir uns zwei Effekte: Sollte es gelingen, über eine Tumorembolisation die DIC zu kontrollieren, so wäre die kausale Beziehung bewiesen und gleichzeitig
therapiert.
Kasuistisch wird jedoch auch eine gerade durch eine Embolisation getriggerte DIC in einem Einzelfall beschrieben (8).
Erfreulicherweise zeigte in unserem Fall die interventionelle Therapie einen raschen Erfolg
und bereitete so den weiteren Weg für eine definitive Kuration des Patienten.
Abstract
Wir beschreiben den seltenen Fall einer Hypernephrom-assoziierten disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) als Erstmanifestation der Tumorerkrankung. Über eine Tumorembolisation konnte mit geringstmöglicher Invasivität bei derangierter Gerinnung die Ursache der DIC beseitigt und damit eine weitere definitive Kuration der Tumorerkrankung
ermöglicht werden.
Da eine paraneplastische DIC über eine vielzahl humoraler und endothelialer Trigger un-
terhalten wird, führt eine symptomatische Substituionstherapie nicht zur Besserung des
Leidens, sondern nur eine kausale Therapie.
We report a rare case of a hypernephroma associated disseminated intravascular coagulation as primary manifestation of carcinoma. Via embolisation we could manage the cause of dic with minimal invasive strategy and path the way for definite curative therapy.
Due to multiple and different humoral and endothelium-derived pathways a symptomatic
therapy just by substitution of coagulant factors cannot improve the situation but only causal treatment.
Literatur:
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