Lernziele Tollwut • Übertragungswege und Risiko der Tollwutübertragung • Klinischer Verlauf einer Tollwutvirus-Infektion • Hauptüberträger in verschiedenen geographischen Regionen Jun.-Prof. Dr. Baki Akgül • Prävention • Maßnahmen nach einem Tierbiss Tollwut = Rabies (lat.) lat.) • • • • • • • Die Tollwut ist eine seit Jahrtausenden bekannte Virusinfektion; 2300 v.Chr. Babylon, gab es hohe Geldstrafen für Besitzer „verrückter“ Hunde, die Menschen bissen; 400 v.Chr. Aristoteles beschrieb Übertragung durch Bis 1804 erste experimentelle Übertragung (Hundespeichel auf Kaninchen) 1885 entwickelte Pasteur erste Konzepte für eine protektive Impfung (abgeschwächte Viren aus dem Rückenmark von Kaninchen) Joseph Meister erster erfolgreich gegen Tollwut geimpfter Mensch 1953 erster berichteter Fall einer Übertragung durch Fledermäuse Erreger - Tollwut-Virus Ordnung der Mononegavirales Familie der Rhabdoviren Genus Lyssaviren, neurotrop • das Genom besteht aus einer einzelnen, nicht segmentierten RNA (12 kb) negativer Polarität (-)ssRNA (d.h. die Sequenz ist komplementär zur mRNA) • umhüllte, patronenförmige Viruspartikel (Länge 180 nm, ø 80 nm) mit kodiert fünf Gene: Nukleoprotein (N), Phosphoprotein (P), Matrixprotein (M), Hüllprotein (G) und Polymerase (L). • RNA ist von ca 1100 Kopien des N komplett eingeschlossen, was die bekannte Stabilität der RNA gegenüber RNAsen erklärt; Widerstandsfähigkeit von Tollwutviren Rasche Inaktivierung durch • UV-Licht • Austrocknung • Desinfektionsmittel • Können in Kadavern verendeter Tiere lange infektiös sein ! Genotypen (gt (gt)) und Phylogruppen (pg) pg) der Lyssaviren Virus Genotypen (gt), Phylogruppe (pg) gt1, pg1 Wirtsspektrum Lagos Bat Virus (LBV) gt2, pg2 Fledermäuse, Mungos, Katzen Afrika Mokola Virus (MOKV) gt3, pg2 Spitzmäuse, Katzen Afrika Duvenhage Virus gt4, pg1 Fledermäuse Afrika European-BatLyssavirus 2 (EBLV 1, 2) Austral. Fledermausvirus (ABLV) gt5,6, pg1 Fledermäuse Europa gt7, pg1 Fledermäuse Australien Rabiesvirus (RABV, Klassische Tollwut) Verbreitung Wild- und Haustiere, weltweit Fledermäuse, Mensch Impfstoffe sind nicht gegen Viren der Gruppe 2 (pg2) wirksam. Tollwutübertragung • Biß eines infizierten Tieres • Speichel auf Hautabschürfung, Schleimhaut • Speichel-Einreibung Konjunktiva • Aerosole Fledermaushöhlen, • Hornhaut-Transplantat Tollwut • Tollwut = akute Enzephalomyelitis • TV infizieren Myozyten an der Eintrittsstelle Das Glykoprotein G ist für die Pathogenese bzw. Attenuierung am relevantesten • notwendig für die Anheftung-und Membranfusion • Rezeptoren: Ganglioside, Phospholipide, der nikotinische Acetylcholin-Rezeptor, das neuronales Zelladhäsionsmolekül CD56, p75-Neurotropin-Rezeptor • verantwortlich für den retrograden Transport zum ZNS • Das G-Protein ist das einzige Antigen, das die Bildung von neutralisierende AK stimulieren kann; diese erscheinen bei einer natürlichen Infektion leider zu spät; • Nervenzellen keine MHC-Moleküle zur Präsentation von Fremdepitopen haben Tollwut hat die höchste Mortalitätsrate aller Infektionskrankheiten . 5. ...ins Gehirn weiterleitet; 6. zentrifugale Verbreitung in verschiedene Organe mit einer Hauptanreicherung in den Speicheldrüsen; Replikation findet im Speicheldrüsen, Nasenepithel, Cornea, Zungenpapillen, Klinisches Bild der Tollwut beim Menschen 1. Inkubationszeit (IKZ) IKZ 1-3 Monate (kürzeste beobachtetet: 4 Tage, längste beschriebene: 7 Jahre) Ausschlaggebend: Tiefe des Bisses und der Abstand der Bissstelle vom Zentralnervensystem, Inkubationszeit bei einem Biss in Kopfnähe auf wenige Tage verkürzt 4. Virus wird passiv (retrograd) aus der Peripherie zu den Spinalganglien, in das Rückenmark und schließlich .... 3. Über motorische Endplatte findet der Übertritt in die Axone statt 2. Prodromalstadium (2-10 Tage) unspezifische Symptome (Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit, Konzentrationsprobleme, Erbrechen) 2-10 d Brennen, Jucken, Schmerzen um Bissstelle 1. Viruseintritt über Tierbiss 2. Virusreplikation im Muskel 3. Akute neurologische Phase = Exzitationsstadium 2 - 7 d Halluzinationen, Reizbarkeit, Angstgefühle, Photophobie, Krämpfe, Spasmen, Hydro- u. Aerophopie, Speichelfluss, 4. Paralyse: Zunehmende paralytische Symptomatik, Koma, Tod durch Atemlähmung Virusausbreitung Tollwut Diagnostik Klinische Falldefinition Tollwut des RKI Mindestens 2 der 7 folgenden Kriterien: • Schmerzen im Körperteil der Bissstelle • Erregtheit mit Spasmen der Schluckmuskulatur • Lähmungen • Verwirrtheit • Krämpfe • Angstzustände • Hydrophobie PCR und Immunfluoreszenz-Färbung Ante mortem: Nackenhaut-Biopsie Kornea-Abdruck ZNS-Biopsie Speichel Liquor Zu Lebzeiten gelingt die Labordiagnose nur in 50-80% Post mortem ZNS-Biopsie (Hirnhomogenat: Cerebellum, Cortex, Medulla, Hippocampus Speicheldrüsen-Biopsie Final hohe Viruskonzentration ! Vorsicht bei Autopsie: Alle Körperflüssigkeiten u. Aerosole sind infektiös ! AK-Nachweis Serum (nicht bei allen Pat.) , Liquor (alle Patienten) erst ab 8.-10 Krankheitstag ! Postmortale Diagnosesicherung Ehemaliger Goldstandard: Nachweis von Negri-Körperchen Virusaggregate im Zytoplasma infizierter Neuronen (Aldechi Negri, 1903) Wichtigsten Überträger in verschiedenen Regionen der Welt Region Überträger Nordamerika arktischer Fuchs, Fuchs, Stinktier, Waschbär Fledermaus, Hund, Katze Fuchs, Hund, Katze Hund, Schakal, Katze, Mungo Wolf, arktischer Fuchs, Hund, Katze Mittel-/Südamerika Europa Afrika Asien Tollwut Epidemiologie Inzidenz (WHO-Schätzung) • ww 55.000 - > 70.000 humane Fälle/a, insbes. Afrika/Asien Indien 15.000-30.000/a, China ca. 6000/a 30 - 60% Kinder < 15 a Rückgang in S-Amerika und einigen asiat. Ländern: verbesserte PEP bei Menschen u. Impfung von Hunden ca. 10 MIO Personen erhalten pro Jahr eine PEP nach Tierbiss • Tollwut-frei: UK, Irland, Skandinavien, Island, Schweiz, Iber. Halbinsel, Italien, Belgien, Luxemburg, Tschechien, Griechenland, Zypern, Australien, Neuseeland, Papua-Neuguinea, Japan, Taiwan, viele kleine Inseln Hauptrisiko-Gebiet in Europa: Türkei, Baltikum, Ukraine, Weißrussland Bekämpfung der Wildtollwut Orale Immunisierung mit Ködern • Attenuiertes Tollwutvirus (Deutschland !) GPS-gesteuerter Abwurf mit Flugzeugen • Rekombinante Vaccinia Viren mit Glykoprotein G des Tollwutvirus Hauptrisiko bei Deutschen bei Reisen in Länder mit endemischen Vorkommen der Tollwut 95% deutscher Reisender in TollwutHochrisikogebiete haben keinen Impfschutz ! Köder-Aufsicht 4x4x1,5 cm,Fischmehl geruchsintensiv) Köder eröffnet mit Impfkapsel u. Impfstoff Quelle: WHO, ImpfDialog 1-2006, 4-2006 Letzte humane Tollwut-Erkrankungsfälle in Deutschland 1996 2004 2005 2007 nach Hundebiss in Sri Lanka Fallbericht 2004 51jähriger Mann, 5-monatiger Indienaufenthalt mit Kontakt zu Hunden. 6 w nach Rückkehr: Mann, 51 a, nach Indien-Aufenthalt mit Kontakt zu jungen Hunden, 4 w nach Rückkehr erkrankt, Tod 05/04 Anf. Mai grippeartige Beschwerden, Fieber, Abgeschlagenheit 3 Transplantat-Empfänger + Spenderin 06.05. Schmerzen rechte Schulter + Arm Mann, 55 a, 10 w nach Hundebiss in N-Afrika erkrankt 07.05. Hydrophobie, Aerophobie, Schlundkrämpfe Biss 04.03.07, erste Symptome 14.04.07, Tod 13.05.07 09.05. Bewusstseins-Trübung, blutiges Erbrechen; V.a. Enzephalitis bei Tollwut (Notarzt), Einweisung auf neurolog. Intensivstation Österreich 2004 29.05. Tod infolge respiratorischer Insuffizienz Mann, 24 a, Hundebiss, Strand Marroko 08/04, keine PEP, Ende 08/04 erkrankt, Tod 09/04 Europa 2007 6x Russische Föderation, 2x Ukraine, 1x Rumänien 2008 1x Russische Föderation, 2x Ukraine 2009 4x Russische Föderation, 1x Nord-Irland Alle Tollwut-Tests zu Lebzeiten negativ. Obduktion: Virusisolierung aus Hirnbiopsie + Notarzt, Sanitäter, Klinikpersonal sofort aktiv geimpft. Bei jeder akuten, schnell fortschreitenden Enzephalitis an Tollwut denken, auch wenn kein Tierbiss erinnerlich ist ! Epidem. Bulletin 49/02, 42/04, 28/05, 24/07; Lancet 365: 358, 2005, www.rbe.fli.bund.de Epidem. Bulletin 42/04 Humaner Tollwut-Impfstoff Präexpositionelle Tollwutimpfung Inaktiviertes Tollwutvirus (Serotyp 1) Vermehrung in Zellkulturen: • Humane diploide Zellen (HDC) • Hühnerzellen (Primary Chicken Embryo Fibroblasts (PCEF) • • • • Schutzwirkung: Serotyp 1 Australisches Fledermausvirus Europäische Fledermausviren Duvenhage Virus (Serotyp 4) Lagos Bat Virus (Serotyp 2) Mokola Virus (Serotyp 3) • Laborpersonal mit Tollwutrisiko (halbjährliche Titerkontrolle) 100% ja partiell partiell keine keine • Reisende in Entwicklungsländer (bes. SO-Asien und Afrika/ Hunde) Langzeitaufenthalt, Rucksack-Touristen, Abenteuer-Reisen Postexpositionelle Tollwut Impfung Tollwut Impfung • Aktiv (Inaktivierte TV) HDC-Vakzine HDC-Vakzine, (Oberarmmuskel) PCEF-Vakzine PCEF-Vakzine • Passiv Tollwut-Immunglobulin Tollwut-Immunglobulin:: Wunde + Gesäßmuskel • 100% Schutz bei immunkompeten Personen Aktiv & Passiv sofort ! Nur während der Frühphase der Erkrankung wirkt die Impfung. Sobald die Viren das Gehirn erreicht haben, ist sie nutzlos. • Präexpositionell Grundimmunisierung 3x d 0, 7, 21 oder 28 Auffrischung Auffrischung 1x 1x alle 2-5 a nach 1 a, dann alle 5 a Rabipur HDC Tierärzte & Tierarzthelferinnen Jäger & Forstpersonal Personen mit Umgang mit Tieren in Wildtollwut-Gebieten Personen mit Kontakt zu Feldermäusen Aktiv 5 x d 0, 3, 7, 14, 28 Passiv Tollwut-Immunglobulin: Tollwut-Immunglobulin: Wunde + M.glutaeus soviel wie möglich in und um Wunde; Wunde; Wunde und kontaminierte Körperstellen sofort reinigen + spülen ! Wasser, Seife, 70% Alkohol oder Jod-Präparat Wunde nicht primär nähen ! Tetanus-Impfstatus prüfen ! Postexpositions-Prophylaxe bei Sonderfällen: Postexpositions-Prophylaxe nach Tierbiss bei bereits präexpositionell vollständig Geimpften • Immunsupprimierte • Patienten mit multiplen Wunden oder Wunden am Kopf • Bei verspätetem Behandlungsbeginn • 2 Dosen Aktiv-Impfstoff an d 0 und d 3 Wie Immunkompetente, nur: An d 0 zwei statt 1 Dosis Aktiv-Impfstoff: je 1 ml rechter und linker M. deltoideus • Falls letzte Impfung länger als 2-5 Jahre zurückliegt ggf. 5-Dosen Schema (ohne passive Impfung) Sofortige Wundbehandlung ist bei Immunsupprimierten entscheidend ! Immunsupprimierte: 14 d nach 1. Impfung Titer-Bestimmung > falls < 0,5 IE/ml, so schnell wie möglich nochmals 2 Impfdosen simultan. Weitere Titerkontrollen und wenn notwendig weitere Impfdosen. Meldepflicht Tollwut • Infektionsschutzgesetz § 6 (namentliche Meldepflicht) Krankheitsverdacht, Erkrankung oder Tod an Tollwut Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, - verdächtiges, oder ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers • Infektionsschutzgesetz § 7 direkter oder indirekter Nachweis Rabiesvirus ! Gesundheitsamt innerhalb von 24 h • Tierseuchengesetz: Anzeigepflicht beim Veterinäramt