Irrungen und Wirrungen im Alter – eine medikamentöse

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Klinik Allerheiligenberg, Solothurner Spitäler AG
D. Breil
Irrungen und Wirrungen im
Alter – eine medikamentöse
Gratwanderung
Delirium or Behavioral and Psychological Symptoms of Dementia in the
Elderly Patient: Diagnosis and Treatment
Zusammenfassung
Der akute Verwirrtheitszustand, das
Delir und die als Verwirrtheitszustand
imponierenden, nicht kognitiven Störungen des Verhaltens bei Demenz,
wie z.B. Wahn und Aggression, gehören zu den häufigsten psychischen
Störungen des alten Menschen. Nosologisch handelt es sich um zwei verschiedene Entitäten, deren Ätiologie
bei Konfrontation im klinischen Alltag
primär oft unklar ist, insbesondere
dann, wenn der Patient gleichzeitig
auch von einem dementiellen Abbauprozess betroffen ist. So steht «umtriebiges Verhalten» oft als gemeinsame
Endstrecke für eine Vielzahl von Auslösern. Entsprechend der Vielfalt
möglicher Einflussfaktoren erfordern
sowohl Diagnose und Behandlung,
wie auch die Prävention ein interdisziplinäres Vorgehen. Welche pharmakologischen Interventionen sollen in
Erwägung gezogen werden, wenn die
nicht medikamentösen Massnahmen
nicht mehr ausreichen?
Schlüsselwörter: Geriatrie – Delir –
Demenz – Verhaltensweise – Therapie
Die Versorgung akut verwirrter alter
Menschen, insbesondere nächtliche Unruhe, Aggressivität, Schreien und Weglauftendenz stellen für Betreuende eine
hohe Belastung dar. Der hinzu gezogene
© 2010 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
Dienstarzt steht oft unter massivem
Handlungsdruck, um die «soziale Verträglichkeit» zu gewährleisten. Die von
ihm verlangte «Ruhigstellung» als Notlösung gestaltet sich meist schwierig und
resultiert nicht selten in einer Negativspirale mit medizinischen Komplikationen wie Stürzen und Frakturen, Mobilitätsverlust und schliesslich schweren
Infektionen. Zweifellos ist hier die Differentialdiagnose zwischen Delir und
Demenz besonders bedeutsam, handelt
es sich doch beim Delir um einen lebensbedrohlichen Notfall, dessen Auslöser es,
aufgrund der damit verbundenen therapeutischen Konsequenz, zu finden gilt.
Das Delir
Früher, in der amerikanischen Nomenklatur als «acute dementia», bei uns auch
häufig als «Durchgangssyndrom» oder
«akuter Verwirrtheitszustand» bezeichnet, stellt das Delir mit seinem plötzlichen
Beginn und fluktuierendem Verlauf keineswegs nur eine lästige Begleiterscheinung anderer Krankheitsbilder dar,
vielmehr ist das Delir oft das einzige
Symptom einer akuten, ernsten Erkrankung im Alter und geht mit einer
erhöhten Mortalität einher. Somit haben
Delirien eine eigenständige medizinische Bedeutung und dienen nicht selten
auch als Frühwarnsystem für andere
Pathologien wie beispielsweise eine Sepsis. Je nach untersuchter Population sind
im Spital bis zu 80% der Intensivpatienten davon betroffen [1,2], operierte
Patienten meist im Zeitraum von 24–
78 Stunden postoperativ. Bis zu 40% und
mehr der in Allgemeinkrankenhäusern
behandelten älteren Patienten entwickeln
im stationären Verlauf ein Delir [3]. Dementielle Abbauprozesse sind hierfür
wichtige prädisponierende Faktoren,
weshalb ein Delir beim älteren Patienten
nicht selten die Erstmanifestation einer
zuvor subklinisch verlaufenen Demenz
darstellt.
Klinisches Bild
Gemäss den diagnostischen Leitlinien
nach ICD-10 (Abb. 1) handelt es sich
beim Delir um eine schwerwiegende,
akute psychische Störung mit fluktuierenden Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsdefiziten sowie gestörtem Orientierungs- und Denkvermögen. Die Sprache
ist typischerweise inkohärent und ver-
Im Artikel verwendete Abkürzungen:
BPSD Behavioral and Psychological
Symptoms of Dementia
CAM Confusion Assessment Method
ChE-H Cholinesterasehemmer
DLB Demenz mit Lewykörperchen
EPMS extrapyramidal-motorischen
Bewegungsstörungen
NPI
Neuropsychiatrische Inventar
SSRI Serotonin-WiederaufnahmeHemmer
DOI 10.1024/1661-8157/a000255
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rung überprüft werden sollten, kann
doch bei Alzheimerpatienten ein Delir
zu einem beschleunigten kognitiven Abbau führen [4]; beim Delir darf somit
keineswegs nur von einer passageren
Störung ausgegangen werden.
nach ICD-10
Für die definitive Diagnose müssen Symptome
aus allen fünf Bereichen vorhanden sein:
1.
2.
3.
4.
5.
Akute Störung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit
tion, Wahrnehmungsstörung
Psychomotorische Störung (hyper-hypoaktiv, Redefluss)
Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus (schlaflos-schläfrig)
Affektive Störung (Angst, Depression, Reizbarkeit, Wahn)
Abb. 1: Diagnose des Delirs nach ICD-10 WHO (deutsche Version 2006).
ICD: International Classification of Diseases, Injuries and Causes of Death
Abb. 2: Differentialdiagnostische Überlegungen beim Delir.
waschen. Assoziiert sind psychomotorische Unruhe oder Apathie und Verlangsamung sowie ein gestörter SchlafWach-Rhythmus. Auch Halluzinationen
und Wahnsymptome sind möglich, oft
begleitet von vegetativen Symptomen
wie Tachykardie, Schwitzen, Zittern und
Harninkontinenz. Entsprechend dem
Ausmass der psychomotorischen Aktivi-
tät wird in eine hyperaktive, eine gemischte und eine hypoaktive Form
unterteilt. Die gemischte Delirform tritt
mit 55% klinisch am häufigsten auf, gefolgt von der v.a. bei älteren Menschen
auftretenden hypoaktiven Form (40%),
den «angenehm Stillen», die aufgrund
der wenig dramatischen Symptomatik
regelmässig auf Wachheit und Orientie-
Diagnostik
Erschwerend in der Praxis ist die Tatsache, dass die Symptomatik typischerweise fluktuiert, tagsüber meist wenig
prominent ist und erst im Rahmen
nächtlicher Unruhe entdeckt wird. In der
Nacht potenzieren Dunkelheit, Einsamkeit und Angst die oft vorbestehenden,
sensorischen Orientierungsdefizite noch
zusätzlich – quasi als Delirium-Provokationstest! In der Anamnese (Fremdanamnese erheben bezüglich Medikamenten, Alkoholkonsum, Kognition,
St.n. Delir) und bei der klinischen Untersuchung sollten, nebst differentialdiagnostischen Überlegungen aus der Inneren Medizin (Abb. 2), auch mögliche
Auslöser wie Seh- und Hörschwäche,
Milieuänderung (Neueintritt, hausinterner Transfer), Harnverhalt oder nicht
drainierende Katheter und Koprostase,
wie auch die Risikofaktoren Alter ⬎65
Jahren und männliches Geschlecht berücksichtigt werden. Diagnostisch hilfreich beim Delirscreening und mit vertretbarem Zeitaufwand am Krankenbett
auch durchführbar, ist, nebst zahlreichen
anderen Tests, die Kurzform der Confusion Assessment Method (CAM) von
Inouye (Tab. 1), ein aus vier Kriterien bestehender Diagnosealgorithmus, der in
erweiterter Variante (CAM-ICU) auch
bei beatmeten Patienten angewendet
werden kann. Die oft im Spital von der
Pflege angewandte Delirium Observatie
Screening Schaal (DOS) ist ein reines
Beobachtungsinstrument und sollte bei
Verdacht auf Delir mittels CAM weiter
differenziert werden. Der allseits bekannte Uhrentest, in der Krankengeschichte meist als Ausgangswert vorliegend, dient nicht nur als Baustein zur
Demenzdiagnostik, sondern eignet sich
auch als Verlaufsparameter eines Delirs,
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Tab. 1: Confusion Assessment Method (CAM) Kurzversion [22].
Score
Akuter Beginn und
fluktuierender Verlauf
(Fremdanamnese)
– Gibt es Hinweise für eine akute Veränderung
des geistigen Zustandes des Patienten gegenüber seinem Normalverhalten?
– Gibt es Tagesschwankungen innerhalb der
qualitativen oder quantitativen Bewusstseinsstörung?
Ja = 1*
Störung der
Aufmerksamkeit
– Hat der Patient Mühe, sich zu konzentrieren? Ist er leicht ablenkbar?
Ja = 1*
Denkstörungen
– Hat der Patient Denkstörungen im Sinne
von inkohärentem, sprunghaftem unlogischem Denken?
Ja = 1
Quantitative
Bewusstseinsstörung
– Jeder Zustand ausser «wach» wie hyperalert, schläfrig, stuporös, komatös
Ja = 1
Bewertung: Die mit * bezeichneten Punkte sind für die Diagnose obligatorisch.
Beurteilung: ⱖ3 Punkte: Delir wahrscheinlich.
Tab. 2: Nicht medikamentöse Massnahmen zur Prävention von akuten Verwirrtheitszuständen.
앫 Tagesstrukturierende Massnahmen: Frühmobilisation, fixe Essenszeiten, Aktivierung,
Schulung zur Selbsthilfe
앫 Orientierung mit allen Mitteln fördern: Klare Orientierungshilfen wie grosse Uhr und
Datumsanzeige, vertraute Gegenstände und Fotos im Zimmer, wo nötig Sinnesorgane mit
Brille und Gehörapparat schärfen; gute Beleuchtungsverhältnisse, Raum- und Personalwechsel vermeiden
앫 Kommunikationsregeln: Augenkontakt halten, klare und einfache Sätze (Ist der Patient
bereits verwirrt, so gilt: Nicht logisch argumentieren, die Weltsicht des Verwirrten nicht
versuchen gerade zu rücken, sondern sich selbst in diese Welt einfühlen und Wahninhalte
nutzen, direktes Fordern vermeiden, aggressives Verhalten nie persönlich nehmen)
앫 Vermeiden von Reizüberflutung: Lärmeinwirkung (Radio, TV, Alarm von Überwachungsgeräten), Umgangstonlautstärke an Situation anpassen, tagsüber Besucherfrequenz regeln,
nachts Pflegeverrichtungen minimieren
앫 Regelmässiger Kontakt und Informationsfluss zu den Angehörigen
앫 Ausreichende Hydratation und Ernährung
Abb. 3: Therapieoptionen beim Delir im Alter: Goldstandard ist Haloperidol (nach [9]
und [23]).
da er mit Verbesserung des kognitiven
Zustandes sich wieder normalisierende
Uhrkonturen dokumentiert.
Therapie
Vor dem Einsatz einer medikamentösen
Therapie sollten immer die nicht-pharmakologischen Massnahmen (Tab. 2)
ausgeschöpft werden, mit dem Ziel den
Patienten wieder zur Orientierung zu
befähigen, mit hohem Stellenwert sowohl
bezüglich Primärprävention als auch
als Begleitmassnahme zur medikamentösen Intervention! Pathophysiologisch
kommt es beim Delir zu einem multifaktoriell verursachten Acetylcholin-Mangel, der letztendlich zur «Entgleisung»
des Patienten führt (lateinisch «de lira» =
«aus der Spur»). So trägt die Überprüfung der aktuellen Medikation bezüglich
anticholinerg wirksamer Substanzen
(Tab. 3) oft schon zu einer Beruhigung
der Situation bei. Sogar bei gesunden
jungen Probanden kann mittels eines
Anticholinergikums (z.B. Atropin) ein
Delir provoziert und durch Cholinagonisten wieder in Remission gebracht
werden [5,6]. Bisher konnte keine Evidenz für die Wirksamkeit einer cholinergen «Basistherapie» (perioperative Gabe
von Rivastigmin 3⫻ 1.5 mg pro Tag) als
postoperative Delirprophylaxe gezeigt
werden [7], bedenkt man aber, dass die
Wirksamkeit von Rivastigmin bei der
Behandlung der Demenz erst ab einer
Tagesdosis von 6 mg belegt ist, so sind
aus pathophysiologischer Sicht weitere
Studien sinnvoll. Auch in der 2005 veröffentlichten Studie von Kalisvaart et al.
konnte an 430 Patienten mit Hüftfraktur, die älter als 70 Jahre waren, eine
perioperative Haloperidolgabe (1.5 mg/d
für 3–5 Tage) die Delirinzidenz zwar
nicht senken, den Schweregrad des Delirs aber vermindern und die Delirdauer
verkürzen, sodass die Patienten früher
aus dem Spital entlassen werden konnten [8]. So ist für die medikamentöse
Prävention und Therapie des Delirs als
«usually agent of choice» nach wie vor
Haloperidol der Standard [9], ein typi-
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sches Neuroleptikum, das in Dosen
⬍6 mg/d primär antipsychotisch und
erst in höherer Dosis auch sedierend
wirkt. Ab 3 mg/d ist allerdings mit extrapyramidal-motorischen Bewegungsstörungen (EPMS) zu rechnen, was den
Einsatz von Biperiden nötig machen
kann. Nach zwei Tagen wird die Dosis
reevaluiert und wenn möglich bereits
halbiert, falls sich der Uhrentest zu normalisieren beginnt, um nach frühestens
5–6 Tagen Haloperidol ganz abzusetzen.
Zwar zeigt Haloperidol eine gute Wirkung gegen psychotische Symptome wie
Wahn und Halluzination, beim sehr
unruhigen Patienten hingegen vermag
es kaum, die von der Umgebung meist
geforderte «Ruhigstellung» zu erzielen,
da seine sedative Wirkung, wie bereits
erwähnt, erst im höheren Dosisbereich
auftritt. Hier ist die Kombination mit
Pipamperon (20–40 mg) oder einem
sedierenden atypischen Neuroleptikum
hilfreich, weshalb Quetiapin, Risperidon
und Olanzapin weitere Therapieoptionen beim Delir darstellen (Abb. 3). Bereits 2005 warnte die FDA wegen hoher
Nebenwirkungsrisiken, gehäuft auftretenden zerebrovaskulären Ereignissen
und erhöhter Mortalität vor dem Einsatz
von atypischen Neuroleptika bei dementen Patienten, und auch im Februar 2009
kam Ballard im Lancet Neurology zum
Schluss: «Neuroleptika rauben Lebenszeit» [10]. In der Tat müssen bei der
Verordnung von Neuroleptika, nebst den
erwähnten auch weitere Nebenwirkungen wie QT-Zeitverlängerung (Gefahr
der Torsade de pointes), Krampfschwellensenkung (Vorsicht bei erhöhter
Krampfbereitschaft, bspw. bei zerebrovaskulären Läsionen), Orthostase (Sturz)
und Blutbildveränderungen (Agranulozytose) berücksichtigt werden.
Benzodiazepine haben ihren Stellenwert
in der Therapie von Delirien, die auf
Alkohol oder Hypnotikaentzug beruhen,
wie auch bei schweren Angstzuständen;
hier kann der Einsatz von kurzwirksamen
Substanzen wie Oxazepam oder Lorazepam (0.5–1 mg p.o. alle 4 h), ausnahmsweise erwogen werden, vor einer länger
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Tab. 3: Einige in der Schweiz gebräuchliche Medikamente mit anticholinerger Wirkung (unvollständige Auswahl).
Neuroleptika
Chlorpromazin (Chlorazin®), Levomepromazin (Nozinan®), Chlorprothixen
(Truxal®) Zuclopenthixol (Clopixol®), Haloperidol (Haldol®)
Antidepressiva
Amitriptylin (Saroten®, Tryptizol®), Clomipramin (Anafranil®), Trimipramin
(Surmontil®, Trimin®)
Parkinsontherapeutika
Biperiden (Akineton®), Amantadin (PK-Merz®, Symmetrel®)
Spasmolytika
Scopolaminbutylbromid (Buscopan®), Oxybutynin (Ditropan®), Trospiumchlorid (Spasmo-Urgenin®), Tolterodine (Detrusitol®)
Antibiotika
Chinolone (Ciproflox®, Norfloxacin®), Clindamycin (Dalacin®), Cefuroxim
(Zinat®)
Andere
Atropin, Diltiazem, Captopril (Lopirin®), Cetirizin (Cetallerg®)
Tab. 4: Klinische Unterschiede zwischen Delir, Demenz und Depression.
Delir
Demenz
Depression
Störungsbeginn
akut, oft nachts
chronisch, schleichend
variabel, Auslöser?
Symptomdauer
Stunden bis Wochen
Monate bis Jahre
variabel
Tagesverlauf
fluktuierend
Exazerbation nachts
meist stabil
variabel
Bewusstsein
gestört
(lethargisch, hyperalert)
oft klar, wach
klar (leidend)
Sprache
inkohärent, verwaschen
Sprachverarmung
Wortfindungsstörungen
weitschweifig,
bagatellisierend
normal, leise
«weiss nicht»Antworten typisch
Psychomotorik
Tremor, nesteln,
hypoaktiv, kataton
meist normal
normal, verlangsamt
Halluzinationen
häufig
selten
kaum
Behavioral and Psychological Symptoms of Dementia
(BPSD): Verhaltensstörungen bei Demenz
dienen bei der Behandlung einen entsprechend hohen Stellenwert, sind sie
doch auch der häufigste Anlass für eine
Institutionalisierung. Einige Demenzformen wie die FrontotemporallappenDemenz und die Demenz mit Lewykörperchen (DLB) manifestieren sich
mit frühem Auftreten von Verhaltensstörungen.
80–90% aller demenzkranken Menschen entwickeln im Verlauf psychische
Symptome wie Depression, Unruhe,
Wahn- und Angstzustände, Aggression
und Schlafstörungen [11]. Diese Erlebensund Verhaltensauffälligkeiten stellen für
Patient und pflegende Angehörige oft
einen noch grösseren Stressfaktor dar als
die beeinträchtigte Kognition und ver-
Klinisches Bild
Klinisch präsentiert sich die Demenz als
Geflecht von kognitiven Einbussen wie
z.B. im Denkvermögen und der Sprache,
Verhaltensstörungen mit gestörtem Antrieb und Affekt und im späteren Verlauf
auch psychotischen Symptomen (Wahn,
dauernden Therapie bei Betagten ist aber
abzusehen (vgl. auch Therapie der BPSD).
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Halluzination) sowie somatischen Störungen wie z.B. Inkontinenz, Gangstörung und pathologischen Schlaf-WachRhythmus. Somit ist die syndromale
Überlappung von Demenz-, Delir-, aber
auch Depressions-assoziierter Symptomatik vorgegeben, was die Diagnostik
am Krankenbett nicht einfacher macht.
Diagnostik
Für die Erfassung der genannten Verhaltensauffälligkeiten stehen heute zahlreiche standardisierte und validierte
Messinstrumente zur Verfügung, u.a. das
bewährte Neuropsychiatrische Inventar
(NPI) von Cummings [12]. Ein wichtiges Kriterium, das klinisch bei der Differenzierung zwischen BPSD und Delir
weiterhilft, ist die normale und wache
Bewusstseinslage, bei recht guter Aufmerksamkeit bei Demenzkranken, selbst
wenn der Patient schon völlig desorientiert ist und Aufforderungen nicht mehr
adäquat befolgen kann. Auch verändert
sich die Sprache gewöhnlich beim Demenzpatienten nicht akut, beim Delir
hingegen schon (Tab. 4).
Therapie
Wie beim Delir ist auch vor dem Beginn
einer medikamentösen Behandlung von
BPSD eine sorgfältige Ursachenanalyse
unabdingbar (z.B. Unruhe aufgrund von
Schmerzen); ausserdem sollten die in
Tab. 2 aufgeführten Strukturierungsmassnahmen des psychosozialen Umfeldes ausgeschöpft werden. Wird damit
der gewünschte Erfolg nicht erzielt,
bietet sich eine Reihe von Substanzen an,
wobei keine von ihnen die Kriterien für
eine problemlose Verschreibung erfüllt.
Die drei verfügbaren Cholinesterasehemmer (Donepezil, Rivastigmin und
Galantamin) haben, nebst ihrer Wirkung auf die Kognition, auch einen
günstigen Effekt auf die Verhaltensauffälligkeiten demenzkranker Menschen
gezeigt. So ist es primär die Minussymptomatik (Apathie, Affektverflachung,
Ängstlichkeit), die durch sie beeinflusst
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Cholinesterase-Hemmer kassenzulässig für:
leichte bis mittelschwere Alzheimer-Demenz mit Mini-Mental Status (MMS) >10
Rivastigmin (Exelon®) zusätzlich auch bei Demenz, assoziiert mit Parkinson
Memantin kassenzulässig für:
mittelschwere bis schwere Alzheimer-Demenz MMS 3 -19
Auflagen von Seite der Krankenkassen:
1.
2.
3.
4.
Minimentalstatus als Grundlage vor Therapiebeginn vorliegend
MMS-Zwischenevaluation nach 3 Monaten, dann alle 6 Monate
Cholinesterasetherapie
p e stop bei einem MMS <10
Memantin zugelassen
assen für MMS 3 -19
nur Monotherapie
herapie (keine Kombination ChE-H und Memantin) erlaubt
(trotz synergistischem Effekt der beiden Wirkungsmechanismen)
Abb. 4: Bedingungen und Auflagen für den Einsatz von Cholinesterase-Hemmern und
Memantin in der Schweiz.
wird [13,14]. Speziell positiv wirken sich
die Cholinesterasehemmer (ChE-H) auf
das Verhalten bei Demenz mit Lewykörperchen (DLB) aus, die typischerweise
mit einem Parkinsonsyndrom einhergeht und ein besonders ausgeprägtes
cholinerges Defizit aufweist [15]. Diese
Patienten können extrem empfindlich
auf Neuroleptika reagieren und bereits
auf geringste Dosen schwere extrapyramidale Bewegungsstörungen entwickeln
bis hin zum malignen neuroleptischen
Syndrom, weshalb ChE-H bei Verhaltensauffälligkeiten bei DLB als erste Wahl in
der Behandlung gelten [16]. An Nebenwirkungen können, bedingt durch die
gesteigerte cholinerge Wirkung der
ChE-H, Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle sowie bradykarde Rhythmusstörungen auftreten, handelt es sich doch bei
Acetylcholin nicht nur um einen wichtigen Nuntius der Kognition, sondern
auch um den prä- wie auch postganglionären Transmitter des Parasympathikus.
Aufgrund der nachgewiesenen DosisWirkungsbeziehung soll möglichst ausdosiert werden, um einen optimalen
Effekt zu erzielen.
Memantin, ein Glutamat-Rezeptorantagonist, reduziert die Überstimulation
der Neuronen durch Glutamat und führt
so zu einer Dezeleration der Neurodegeneration. Wie bei den ChE-H ist auch für
Memantin, nebst der Stabilisierung bzw.
Verzögerung des kognitiven Abbaus, eine
günstige Wirkung auf das Verhalten bei
Demenzpatienten ausgewiesen, im Speziellen auf die Plussymptomatik wie
Agitation und Aggression [17]. An Nebenwirkungen können selten Unruhe,
Schwindel und Übelkeit auftreten. Im
Gegensatz zu den ChE-H Donepezil und
Galantamin wird Memantin nicht durch
das Cytochrom P450 metabolisiert, was
bei der im Alter typischen Polypharmazie von Vorteil sein kann; es sollte aber
bei mittelschwerer Niereninsuffizienz
eine Dosisanpassung erfahren. Gemäss
dem im Schweizerischen Medizin-Forum 2008 publizierten Konsensuspapier
zur Diagnostik und Betreuung von
Demenzkranken in der Schweiz [18],
kommt die Expertengruppe zum
Schluss, dass ChE-H und Memantin auch
bei der Behandlung von Verhaltensstörungen zur Basistherapie der Demenz
gehören, wobei die Schwierigkeit des
Off-Label-Gebrauchs berücksichtigt werden sollte (Abb. 4).
Stehen unruhig-agitierte Symptomatik
und Schlafstörungen im Vordergrund,
bedarf es gerade beim betagten, multimorbiden und deshalb meist polypharmazeutisch versorgten Patienten einer
grossen Umsicht bei der Auswahl des
geeigneten Präparates. Angesichts der
Nebenwirkungsrisiken von Neuroleptika, insbesondere den bereits erwähnten
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EPMS wie Zungenschlundkrämpfe,
Parkinsonoide, tardive Dyskinesien (in
50% irreversibel, auch nach Absetzen
des Neuroleptikums!) bieten sich als
favorisierte Alternative mit günstigem
Neben- und Wechselwirkungsprofil
hierfür geeignete, sedierende Antidepressiva an. Ein valables Präparat ist
Mirtazapin (15–30 (–45) mg abends),
ein die Serotonin- und Noradrenalintransmission beeinflussender präsynaptischer ␣2-Antagonist mit guter sedativer und antidepressiver Wirkung, geeignet auch bei Schmerzsymptomatik mit
Inappetenz, die beide positiv beeinflusst
werden. Gegenüber den «guten alten»
trizyklischen Antidepressiva (Amitriptylin, Trimipramin, Doxepin) hat Mirtazapin den Vorteil, dass es nicht anticholinerg wirkt und nahezu keine Orthostase
verursacht. Mögliche Nebenwirkungen
sind Müdigkeit und Nausea. Als weitere
Option bietet sich Trazodon (25–150
(–200) mg abends) an, ein SerotoninWiederaufnahme-Hemmmer (SSRI) und
5HT2-Rezeptorblocker, was seine sedierende und angstlösende Wirkung erklärt.
Auch Trazodon ist weder anticholinerg,
noch übermässig Orthostase-fördernd,
hingegen kann es vorübergehend zu
Kopfschmerzen, Übelkeit und Leberfunktionsstörungen kommen. Weiter sei
Mianserin (15–60 mg abends) in diesem
Kontext als nebenwirkungsarmes, sedierendes und im Alter gut verträgliches
Antidepressivum erwähnt. Die bei älteren Patienten oft eingesetzten SSRI wie
Citalopram oder Sertralin (Indikation
auch für Zwangs- und Panikstörung)
wirken eher aktivierend und finden daher weniger Anwendung im Zusammenhang mit Agitation und Schlafstörungen,
sind sie im Einsatz, muss regelmässig
auf Hyponatriämien und Blutbildveränderungen (Thrombopenie) geachtet
werden.
Der bei Agitiertheit oft praktizierte Benzodiazepineinsatz ist in der Geriatrie
wegen den zahlreichen Nebenwirkungen
fragwürdig und führt nicht selten zu
juristischen Diskussionen. Wegen ihrer
muskelrelaxierenden und (tages)sedie-
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Key messages
● Die Differenzierung zwischen Delir und Verhaltensstörung bei Demenz
●
●
●
●
●
(Behavioral and Psychological Symptoms of Dementia, BPSD) ist besonders
bedeutsam, handelt es sich doch beim Delir um einen ernsten Notfall, dessen
Auslöser es, aufgrund der damit verbundenen therapeutischen Konsequenz,
zu finden gilt. Daran denken ist die halbe Diagnose!
Nicht selten ist ein Delir beim Betagten die Erstmanifestation einer zuvor
subklinsch verlaufenen Demenz, oder aber das einzige Symptom einer ernsten Erkrankung überhaupt, z.B. einer Sepsis und soll als Frühwarnsystem die
entsprechenden diagnostischen und therapeutischen Massnahmen einleiten.
Wird die Diagnose «Delir» gestellt, sollen zunächst die kausalen Therapieoptionen ausgeschöpft werden (Antibiotika, Hydrierung etc.), in Ergänzung mit
den Prinzipien des therapeutischen Umgangs mit akut verwirrten Patienten.
Erst in letzter Instanz und unter Beachtung des Nebenwirkungspotentials,
sollen Psychopharmaka eingesetzt werden, wobei Mittel der Wahl nach wie
vor Haloperidol ist.
Bei demenzkranken Menschen sind die primär zur Verbesserung der Kognition eingesetzten Cholinesterase-Hemmer und Memantin auch geeignet zur
Behandlung diverser Verhaltensstörungen (BPSD) und gehören somit zur
Basistherapie. Memantin hat sich vorteilhaft bei agitativ-aggressivem Verhalten gezeigt, Cholinesterase-Hemmer sind geeignet bei Negativsymptomatik,
wie Apathie und Affektverflachung. Die Indikation ist aufgrund der OffLabel-Problematik sorgfältig zu stellen.
Ausgewählte Benzodiazepine sollen im Alter lediglich als kurzzeitige (⬍14 Tage) Krisenmanager bei Angst- und Panikstörungen, wie auch beim Alkoholentzug eingesetzt werden. In palliativ-terminalen Situationen mit überwiegender Bettlägerigkeit kann die, aufgrund des Nebenwirkungsprofils in der
Geriatrie strenge Indikationsstellung, gelockert werden.
Agitation und Schlafstörungen beim betagten Patienten sollten in erster Linie
mit sedierenden, nicht anticholinergen Antidepressiva angegangen werden,
bevor ein zeitlich limitierter Einsatz von Neuroleptika erwogen wird. Bei akut
verwirrten Patienten mit Parkinsonismus oder bei der Demenzverdacht mit
Lewykörperchen bewähren sich Zweitgeneration-Neuroleptika wie Clozapin
und Quetiapin in tiefer Dosis.
renden Wirkung kommt es oft zu Stürzen und Frakturen [19] und auch die
nächtliche Atemdepression, das Abhängigkeitspotential sowie die paradoxen
Reaktionen ermuntern nicht zu einem
Einsatz. Somit sind sie als Dauermedikation im Alter nicht zu empfehlen,
sondern lediglich als Krisenmanager bei
akuten Angst- und Erregungszuständen
und beim Alkoholentzug hilfreich. Dabei
sollten kurzwirksame Substanzen ohne
aktive Metaboliten zum Einsatz kommen
wie Oxazepam, Lorazepam, Temazepam
oder Lormetazepam. Non-Benzodiazepin-Hypnotika wie Zolpidem oder Zopi-
klon, so genannte Benzodiazepin-Rezeptoragonisten, bergen leider ähnliche
Risken. Allenfalls von Vorteil ist die
ultrakurze Halbwertszeit (1 h) von Zaleplon, das selten mal auch noch nach
Mitternacht bei Schlafstörungen gegeben werden kann. Gegenüber Neuroleptika haben Benzodiazepine allerdings
den Vorteil, dass sie bei Überdosierung
(Apnoegefahr) mit Flumazenil antagonisiert werden können.
Der Einsatz von Antipsychotika, der
Name sagt es, soll erwogen werden, wenn
psychotische Symptome dazukommen,
wenn also zusätzlich zu Agitation und
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Aggression paranoid-halluzinatorische
Symptome auftreten. Kassenzulässiges
Mittel der Wahl, auch bei Demenz, ist das
atypische Neuroleptikum Risperidon
(0.5–2 mg/d). Leucht et al. [20] kommen
in einer Metanalyse über Typika und
Atypika vom Februar 2009 im Lancet
zum Schluss, dass die ZweitgenerationAntipsychotika nur deshalb so gut weg
kommen, weil sie vorwiegend mit Haloperidol als Referenzsubstanz verglichen
wurden, dem Antipsychotikum mit den
meisten Nebenwirkungen. Letztlich
räumten die Autoren aber den Atypika
Clozapin und Quetiapin trotzdem eine
sehr effektive Sedation ein, bei deutlich
tieferer EPMS-Rate, wofür mancher
Mediziner im klinischen Alltag schon
dankbar war, und dies nicht nur bei
agitierten Lewy-body-Dementen oder
Parkinson-Patienten! Bei aller Kritik gegenüber den Atypika, sie haben die Vielfalt der therapeutischen Möglichkeiten
erweitert. Dies kann bedeuten, dass
im Einzelfall durchaus Neuroleptika gewechselt, beziehungsweise kombiniert
werden können, vorausgesetzt das Nutzen-Risiko-Verhältnis wird fortlaufend
überprüft und nicht in einer sakrosankten Dauermedikation etabliert [21]. So
kann beispielsweise das Typikum, Pipamperon, (20–40 mg um 17.00 Uhr) als
«Einstimmung» auf die Nacht gegeben
werden und mit einem gut sedierenden
Atypikum wie Risperidon, Quetiapin
oder Clozapin aufdosierend kombiniert werden, falls Unruhe in grösserem
Ausmass vorprogrammiert sein sollte;
eine ideale Kombination auch bei TagNacht-Umkehr, sollte sich letztere unter
sedierenden Antidepressiva als therapieresistent erwiesen haben (vgl. oben).
Pipamperon soll fix dosiert werden und
aufgrund seiner sehr langsamen Resorption nicht als Reservemedikament eingesetzt werden. Auch Levomepromazin
wirkt in steigender Dosis gut sedierend,
dies aber zu einem höheren Preis bezüglich Nebenwirkungen. Ebenso erweist
sich Zuclopenthixol, einsetzbar auch in
der bequemen Tropfenform, (2% Tropflösung: 1 Trpf = 1 mg) als effektiver
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Lernfragen
1. Ein 72-jähriger ehemaliger Swissair-Pilot leidet seit zwei Jahren an einem
stark fluktuierenden demenziellen Syndrom. Vor einem Jahr wurde neu auch
ein Parkinson-Syndrom diagnostiziert, das mit Madopar® 250 mg 1–1⁄2–1⁄2–1
gut eingestellt ist. Obwohl die Bewegungsabläufe deutlich besser geworden
sind, stürzt der Patient oft. Nachts ist er unruhig, hat Alpträume und schreit.
Die Ehefrau wünscht «dass jetzt etwas geht», ihr Mann sehe sogar dunkle
Gestalten in der Wohnung. Was unternehmen Sie? (Einfachauswahl)
a) Aufgrund der geschilderten Halluzinationen verordnen Sie Haldol® auf
die Nacht.
b) Sie gehen davon aus, dass es sich um eine Nebenwirkung von Madopar
handelt und halbieren die abendliche Dosis.
c) Wegen einer leichten depressiven Verstimmung erhält der Patient Saroten®
25 mg abends. Sie verdoppeln nun die Dosis.
d) Sie geben neu einen Cholinesterase-Hemmer und auf die Nacht, anstelle
von Saroten, tiefdosiert ein atypisches Neuroleptikum.
e) Sie verordnen zusätzlich auf die Nacht Nozinan®, ein typisches Neuroleptikum mit sedativem Effekt.
2. Eine 63-jährige «spitalbekannte» Alkoholikerin wird schweissgebadet und
zitternd auf die Notfallstation gebracht. Sie halluziniert und ist tachykard. Ihr
Partner berichtet, dass sie seit zwei Tagen an massivem Brechdurchfall leide,
jetzt sei sie auf der Toilette kollabiert und habe stark am ganzen Körper geschüttelt. Sie vermuten ein Delirium tremens. Welches sind Ihre nächsten
Schritte? (Einfachauswahl)
a) Sie geben Distraneurin® und Benerva® und lassen die Patientin überwachen.
b) Die Patientin halluziniert massiv und scheint sich bedroht zu fühlen. Sie
entscheiden sich für das gut antipsychotisch wirksame Haldol®, verordnen
ein Trinkprotokoll und lassen die Patientin überwachen.
c) Sie hydrieren mittels NaCl-Infusion und geben 1 Ampulle Catapresan®, ein
präsynaptischer ␣2-Agonist mit zentral sympathikolytischem Effekt, hinzu.
d) Sie hydrieren mittels Glukose-Infusion 5% und Benerva® i.v. und verabreichen ein Benzodiazepin in fixer Basisdosierung (3–4⫻ pro Tag) mit
Reservegabe falls nötig. Die Patientin wird überwacht.
e) Sie finden in der Untersuchung zwar keine neurologischen Herdsymptome,
die halluzinierende Patientin ist aber nicht klar bei Bewusstsein, weshalb
sie primär eine Computertomographie des Schädels veranlassen.
3. Eine 78-jährige Kettenraucherin mit schwerem Lungenemphysem wird wegen
einem symptomatischen Harnwegsinfekt mit Noroxin® behandelt. Aufgrund
einer lästigen Übelkeit unter Antibiotikatherapie erhält die schlanke Frau 3⫻
täglich Motilium®. Ihr Ehemann verlangt notfallmässig einen Arzt, weil die
febrile, stark dyspnoische Patientin eine Art «Würgeanfälle» habe und fantasiere. Was tun Sie? (Einfachauswahl)
a) Sie geben Sauerstoff und ein Temesta Expidet® und wechseln bei neu
aufgetretenem Fieber von Noroxin® auf Bactrim forte®.
b) Sie injizieren langsam Akineton® i.v. und geben Sauerstoff und weisen die
delirante Patientin zur weiteren Abklärung ins Spital ein.
c) Sie beobachten Zungenkrämpfe und geben zur Sedation und Beruhigung
Haldoltropfen; im Falle einer Verschlechterung solle man Sie wieder benachrichtigen.
d) Sie bemerken Erdnüsschen auf dem Tisch und weisen mit Verdacht auf
«Fremdkörperaspiration» notfallmässig ein.
e) Aufgrund der komischen Schlundkrämpfe, teils auch unter Miteinbezug
der mimischen Muskulatur, gehen Sie von einem Krampfgeschehen aus
und geben Diazepam Rectal Tubes® und weisen ins Spital ein.
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Verhaltensstörungen bei Demenz
medikamentöse Optionen
Depressive /
Angstsymptome
akut
«Krisen»
chronisch
Antidepressiva:
SSRI, Mirtazapin,
Venlafaxin,
Trazodon
Benzodiazepine:
«short term only»
– Lorazepam
– Oxazepam
– Zolpidem
Psychotische aggressive
Symptome
Tag-NachtUmkehr
– ChE-H / Memantin
– atypische Neuroleptika
– Trazodon
– Pipamperon
– «Atypika»
BPSD bestehen fort
Selbst- /
Fremdgefährdung
Typische Neuroleptika:
– Chlorpromazin
– Levomepromazin
– Zuclopenthixol
ev. Antikonvulsiva:
– Valproat
– Carbamazepin
– Gabapentin
Abb. 5: Einsatz von Medikamenten bei Verhaltensstörungen bei Demenz (BPSD).
Helfer in der Not. Bei akutem, tätlichem
Störverhalten stehen Medikamente wie
Chlorpromazin (25–50 mg intramuskulär, selten auch langsam intravenös verabreicht) oder Aripiprazol, allenfalls
auch kurzwirksame Benzodiazepine
parenteral zur Verfügung. Eine Alternative zur Behandlung von verstärkter
Impulsivität und anderem Störverhalten
(Schreien, stereotypes Poltern) sind
Antiepileptika wie Carbamazepin und
Valproat. Ihr Einsatz ist unter Berücksichtigung der Nebenwirkungen speziell
auch bei vaskulär fortgeschrittenen
zerebralen Prozessen mit der Wahrscheinlichkeit für (non)konvulsive Anfälle gerechtfertigt. Abschliessend zeigt
Abbildung 5 mögliche medikamentöse
Optionen bei BPSD auf, wobei bezüglich
Präparatewahl kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird, existiert doch
eine Vielzahl von medikamentösen
Möglichkeiten. Es gibt keinen «evidenten» Grund für therapeutischen Nihilismus bei Verhaltensstörungen, ausser
deren Prävention!
Abstract
Acute confusional state, delirium,
occurs in up to 80% of patients in the
intensive care unit and is also a common, life-threatening and potentially
preventable clinical syndrome among
persons who are 65 years of age or
older in general hospital. The cause of
acute confusional state is typically
multifactorial. Delirium and dementia
are highly interrelated and dementia is
the leading risk factor for delirium. So
the key steps to distinguish between
delirium and behavioural and psychological symptoms of dementia are to
address all evident causes, e.g. dementia, dehydration, infection, polymedication and to prevent complications
and treat behavioral symptoms. First
nonpharmacologic approaches should
be instituted, including a calm, comfortable environment with the use of
orienting influences. Pharmacologic
management should be reserved for
patients whose symptoms would
threaten their own safety or the safety
of other persons. Therapeutic drug
options include modern antidepressants and neuroleptics.
Key words: geriatrics – delirium –
dementia – behavioral disorder – drug
options
Résumé
Les états de confusion et le comportement nerveux font partie des principaux troubles non cognitifs chez les
personnes âgées. Ils décrivent un état
d’étiologie non spécifiée, ce qui est
un phénomène qui se fonde sur différentes sources. A cause de leur
multimorbidité, les personnes âgées
montrent une tendence particulièrement élevée à développer des états de
confusion et de délire graves, surtout
quand ils sont atteints de démence
dégénerative. A l’origine de ces maladies, il faut penser à des souffrances
cérébrales et extracérébrales ainsi qu’à
des traitements médicaux et à des facteurs liés à l’entourage. Vu la diversité
des facteurs d’influence, la prévention
et le traitement des syndromes de
confusion aigus requiert une démarche
interdisciplinaire.
Mots-clés: gériatrie – délire – démence – comportement – thérapie
Korrespondenzadresse
Dr. med. Dieter Breil
Chefarzt
soH Klinik Allerheiligenberg
Allerheiligenberg 15
4615 Allerheiligenberg
[email protected]
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Antworten zu den Lernfragen
1. Antwort d) ist richtig.
Die Anamnese ist typisch für eine Lewykörperchen-Demenz (DLB) mit ausgeprägtem cholinergem Defizit. Diese Patienten profitieren von Cholinesterase-Hemmern
und sollten keine anticholinergen Medikamente erhalten. Saroten® wirkt anticholinerg und verursacht Orthostase (Sturz!), was sich bei diesem Patienten doppelt
negativ auswirkt. Bei Verdacht auf DLB soll Agitation und Aggression primär mit
Zweitgeneration-Neuroleptika begegnet werden, besteht bei ihnen doch eine ausgeprägte Sensitivität auf typische Neuroleptika mit paradoxen Reaktionen. Wegen
der Agranulozytosegefahr müssen regelmässige Blutbildkontrollen durchgeführt
werden.
2. Antwort d) ist richtig.
Selbstverständlich muss bei dieser Patientin ein ausgedehntes Labor, inklusive
Elektrolyte, gemacht werden. Alkoholiker haben aber eine verminderte Glukoneogenese, weshalb die Glukosezufuhr, immer in Kombination mit Thiamin, gewährleistet werden soll. Thiamin muss einerseits wegen der Malnutrition bei Alkoholabusus, andererseits als Coenzym im Kohlenhydratstoffwechsel mitsubstituiert
werden (cave: Wernicke-Enzephalopathie). Distraneurin® kann bei Alkoholentzug
gegeben werden und wirkt auch sedativ und antikonvulsiv, hat aber ein hohes
Abhängigkeitspotential und führt zu einer bronchialen Hypersekretion. Haldol®
als Monotherapie ist aufgrund seiner krampfbegünstigenden Wirkung bei
Krampfneigung nicht geeignet. Catapresan wirkt über die zentrale Sympathikolyse gut gegen die vegetative Symptomatik, wirkt aber nicht antipsychotisch oder
antikonvulsiv. Intravenös verabreicht birgt es Gefahren wie Bradykardie und
Blockbildungen, aber auch schwere Orthostase. Bei fehlenden neurologischen
Herdsymptomen darf in diesem Falle vorerst auf eine «personalintensive» computertomographische Abklärung verzichtet werden.
3. Antwort b) ist richtig.
Motilium® ist, wie die Neuroleptika auch, ein Dopamin-Antagonist und kann extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen, im vorliegenden Fall sog. Frühdyskinesien verursachen. Frühdyskinesien treten meist in der ersten Therapiewoche auf.
Es handelt sich um Dyskinesien der mimischen Muskulatur, Zungenkrämpfe,
Blickkrämpfe, Torticollis etc. Zungenkrämpfe sind sehr unangenehm und können
auch zu Dyspnoe und Aspiration führen. Meist kommen die Leute auf die Notfallstation, wo Akineton® schliesslich zur Entspannung führt; Haldol verschlimmert
die Symptomatik. Unsere Patientin hatte aufgrund der Schlundkrämpfe eine Aspirationspneumonie entwickelt, die auch für den deliranten Zustand verantwortlich
gewesen sein dürfte und sofort antibiotisch behandelt werden musste.
NB: Stark anticholinerege Antibiotika wie Noroxin® und Bactrim® sind hier wenig
hilfreich. Zur Sedation qualifizieren hier kurzfristig Benzodiazepine, beseitigen
aber die EPMS nicht entscheidend.
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