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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Musikstunde mit Sabine Weber
„L’empire de la Viole“
Sendung: Samstag, 21. Februar 2009, 9.05 – 10.00 Uhr
Redaktion: Martin Roth
Manuskript
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SWR 2 Musikstunde/ Redaktion: Martin Roth- Gesamtlänge: 53’30
8. Woche SWR 2, Samstag, 21.02.2009, 9.00-10.00 Uhr
„L’empire de la Viole“ –
Mit Sabine Weber
„Das Reich der Viola da gamba ist von Marin Marais gegründet und
mächtig aufgebaut worden.“ Das schreibt Hubert le Blanc 1740. So
beginnt er eine Abhandlung unter dem Titel „Defense de la basse de
viole…“. In Paris stritt man nicht nur über Opern, sondern auch über die
Vorzüge von Instrumenten und den guten Geschmack. Le Blanc, von
Haus aus zwar Jurist aber ein leidenschaftlicher Hobbygambist, war ein
genauer Beobachter der Gambenszene. Er ist heute einer der wichtigsten
Gewährsmänner aus dieser Zeit. Der aristokratisch näselnde Klang der
Viola da gamba, so beschreibt ihn Le Blanc, galt als Inbegriff des guten
Geschmacks. Und keine Frage, es war Marin Marais, der die Basse de
viole hoffähig machte. Mit ihm wurde sie zur Favoritin der französischen
Kammermusik.
Als das Orchesterzeitalter laute und große Säle füllende Streicher
verlangte, konnte der intime Gambenklang nicht mithalten. Ende des 18.
Jahrhunderts ist die Basse de viole in Frankreich wieder wie vom
Erdboden verschluckt.
Aber ihre glorreichen Zeiten zur Zeit Ludwigs des Vierzehnten, die
großartigen Werke eines Marin Marais oder die seines Kontrahenten
Antoine Forqueray, sind von Interpreten und auch vom Plattenmarkt
längst wieder entdeckt worden.
(1’25)
Musik 1
EDELCLASSICS WINTER & WINTER 910050-2LC 02829 <2> 2’39
Marin Marais
L’Arabesque
Vittorio Ghielmi (Viola da gamba)
Luca Pianca (Laute)
Vittorio Ghielmi, Viola da gamba, und Luca Pianca auf der Erzlaute, mit
L’Arabesque. Eine Pièce von einem Marin Marais auf der Höhe seiner
Kunst, die in dem wiederkehrenden Rondeau immer neue, arabeske
Blüten treibt.
Als Marais diese Pièce in seinem vierten von insgesamt fünf GambenBüchern veröffentlicht, ist er 61 Jahre. Am französischen Hof ist er längst
der Star. Während der Jours d’appartements, den Abendunterhaltungen
in den königlichen Gemächern, wo sich Ludwig der Vierzehnte und das
Hofvolk gesellig geben, präsentiert er seine Gambenpiècen. Er wird aber
auch gerufen, wenn sich diplomatisch hochrangiger Besuch ansagt. So,
als der Kurfürst von Bayern im November 1709 nach Versailles kommt.
„Am Abend lies man den berühmten Gambenspieler hören“ berichtet der
Marquis de Sourches in seinem Tagebuch. „Und er bereitete eine
ungemeine Freude durch sein Spiel. Er spielt, wie nur einer spielen kann,
der mehr wie alle anderen die Wissenschaft der Marai’schen Kunst
beherrscht! Aber er ist ja selbst Marais! Und nach dem Souper wollte die
Gesellschaft ihn nochmals hören.“ (1’12)
Musik 2
RICERCAR 205982/ MU/ 750 LC <26> 4’56
Marin Marais
Cloches ou carillon
Philippe Pierlot (Viola da gamba)
Robert Kohnen (Cembalo)
Die Gambe muss wie die Kirchenglocke von Saint Germain klingen,
schreibt Hubert Le Blanc. Deshalb würden die großen Pariser
Gambenmeister den Bogen nach jedem Strich von der Saite heben und
sie ausschwingen lassen. In dieser Pièce „Cloche au Carillon“ – Die
Glocke oder das Carillon - aus dem zweiten Buch von Marin Marais sind
die Glockentöne sogar programmatisch. Philippe Pierlot ließ den
Gambenbogen schwingen, begleitet von Robert Kohnen am Cembalo.
Fünf Bücher gibt Marais zwischen 1686 und 1725 heraus - also über
einen Zeitraum von fast 40 Jahren. An die 600 Préludes, Tanzsätze und
Charakterstücke zu Suiten geordnet. Und gespickt mit kleinen
Verzierungen und Nebennötchen. Agréments – Annehmlichkeiten –
werden sie in Frankreich genannt. Und sie machen, wie Marais im
Vorwort zum ersten Buch ankündigt, die Delikatesse des französischen
Gambenspiels aus. Nur wer sie elegant einfließen lässt beweist „guten
Geschmack“. Und auf „Le bon goût“ kommt es in Frankreich an. In der
Tat, Marais baut das „Empire de la viole“ nicht nur auf, sondern
formuliert Benimm-Regeln. Und er verfeinert sie von Buch zu Buch.
Raffiniert und raffinierter, so beschreibt es der Gambist Wieland
Kuijken, lässt er sogar immer mehr Noten weg, bis am Ende nur noch
Parfüm übrig bleibt. (1’25)
Musik 3
ACCENT ACC 787442 LC <11-13> 2’07 ; 0’46 ; 1’58 <18-19> 1’52 ; 0’49
Marin Marais
Prélude „Le Soligni“;Petit Caprice, Allemande „La Facile“, Gigue „La Mutine“,
La Bagatelle aus der Suite in a-moll 5ème livre de Pièces de viole
Wieland Kuijken, Kaori Uemura (Viola da gamba)
Robert Kohnen (Cembalo)
Wieland Kuijken begleitet von Robert Kohnen am Cembalo und Kaori
Uemura an der Continuo-Gambe mit Prélude „La Soligni“, Petit Caprice,
Allemande „La Facile“, Gigue „La Mutine“ und Bagatelle aus der Suite amoll aus dem fünften Buch der Pièces de viole von Marin Marais.
Liebt der Franzose alles, was schmeichelt und fließt, so der Italiener –
aus französischer Sicht - das ruppige und bizarre Spiel. Das „L’empire de
la viole“ eines Marin Marais’ bleibt vor italienischen Einflüssen nicht
verschont. Antoine Forqueray, eine Generation jünger als Marais,
versucht die Grenzen des Gambenreichs Richtung Italien zu verschieben,
schreibt Hubert Le Blanc. Was die Italiener auf der Geige veranstalten,
veranstaltet Forqueray auf der Gambe. Und wenn Hubert Le Blanc
schreibt, Marais spiele „wie ein Engel“ und sein Konkurrent Forqueray
„wie der Teufel“, dann dürfte das für beide ein Kompliment gewesen
sein. Forqueray – im Gegensatz zu Marais – muss allerdings ein
uanngenehmer Zeitgenosse gewesen sein. Seinen gambespielenden Sohn
lässt er aus Eifersucht vom Hof verbannen. Da passt Gott Jupiter ja
bestens ins Bild, den Forqueray im Schlusssatz einer Suite in c-moll
ungnädig seine Blitze schleudern lässt. (1’24)
Musik 4
BMG GD 77145 LC 0761 <10> 3’52
Antoine Forqueray
Le Jupiter aus der 5ème Suite in c-moll
Wieland Kuijken (Viola da gamba)
Gustav Leonhardt (Cembalo)
Die Blitze Jupiters entluden sich über dem Griffbrett der Gambe.
„Jupiter“ nennt Antoine Forqueray den Schlusssatz aus seiner fünften
Suite in c-moll. Gustav Leonhardt am Cembalo begleitete Wieland
Kuijken, der auch die tiefste Saite seiner Gambe ordentlich grollen ließ.
Die tiefste, die siebente Saite, noch eine Terz tiefer als die tiefste Saite des
Violoncellos, ist ein, wenn nicht das typische Merkmal der französischen
Gambe. Ein Franzose soll sie auch erfunden haben: Sieur de SainteColombe. Er ist die erste große Gamben-Autorität in Paris. Und das ist so
ziemlich das einzige, was man über Sainte-Colombe weiß, den man
übrigens Monsieur nennt, weil man seinen Vornamen nicht kennt.
Schon zu Lebzeiten umwittert ihn eine Aura des Mysteriösen. Angeblich,
das berichtet Titon de Tillet in seinem Parnasse francois (1732), lässt
sich Sainte-Colombe in seinem Garten ein Baumhaus bauen, um
ungestört auf der Gambe experimentieren zu können. Und keine einzige
Komposition gibt er je freiwillig heraus. Als zweistimmige
Gambenkonzerten von ihm auftauchen, ist das eine Sensation. Die
Manuskripte mit insgesamt 64 Concerts à deux violes esgales tauchen
Anfang der 1960er im Nachlass eines Pianisten in Lausanne auf. Wie sie
in Alfred Cortots Besitz gelangt sind, ist bis auf den heutigen Tag ein
Rätsel. 1966 werden sie veröffentlicht, und 1976 stellen erstmals zwei
Gambisten vier der Concerts à deux violes im Konzert vor: (1’36)
Musik 5
ASTRÉE AS10 (von Schallplatte kopiert) <6-7><9> 1’37; 1’42; 4’45
Sieur de Sainte-Colombe
Concert à deux violes esgales Nr. 48 „Le Raporté”
Wieland Kuijken, Jordi Savall (Viola da gamba)
Ein Konzert für zwei Bassgamben, das Sieur de Sainte-Colombe mit „La
Raporté“ überschreibt und das mit einer Chaconne endet.
1976 nehmen Wieland Kuijken und Jordi Savall erstmals vier Konzerte
von Sieur de Sainte-Colombe auf. Und es ist diese Schallplatte, die dem
Regisseur Pascal Quignard in die Hände fällt und ihn zu einem Drehbuch
inspiriert. Zu einem Film über Marin Marais und seinen Gambenlehrer
Sainte-Colombe.
„Tous les matins du monde“ kommt 1992 als „Die siebte Saite“ auch in
die deutschen Kinos. Die Geschichte rankt um eine Anekdote, die Marin
Marais’ Biograf Titon de Tillet überliefert. Sainte-Colombe habe Marais
als Schüler zwar angenommen, sich aber nach wenigen Monaten
geweigert, ihm weiter Unterricht zu erteilen. Wohl weil er ihm nichts
mehr habe beibringen können. Um vom Meister noch zu profitieren,
habe Marais Sainte-Colombe beim Üben in seinem Gartenhäuschen
heimlich belauscht. Im Film ist Sainte-Colombe ein schwarz gekleideter
und allem Lebensfreudigen abholder Calvinist, der vor allem in die
Gartenhütte geht, um bei einem Glas Rotwein von seiner verstorbenen
Frau zu fantasieren. Marin Marais verführt derweil seine Tochter, lässt
sie dann aber für seine Hofkarriere fallen. Viel Liebesdrama begleitet von
melodramatischer Gambenmusik. Und Guillaume und Gerard
Depardieu, in der Rolle vom jungen und alten Marais, mussten bei Jordi
Savall die ersten und einzigen Gambenstunden ihres Lebens absolvieren.
Wohl damit sie im Bild nicht allzu hilflos auf Gambengriffbrett und
Saiten rumfingerten.
Musik 6
AUVIDIS K 4640 LC <3>bis 1’06
Jordi Savall
Prélude pour Mr. Vauquelin
Jordi Savall (Viola da gamba)
Gambenmusik für einen Film, der Marin Marais und seinen Lehrer
Monsieur de Sainte-Colombe zu Leinwandberühmtheiten machte.
Jordi Savall spielte 1991 den Soundtrack zu dem Film “Die siebte Saite”
ein. Und steuerte auch eigene Improvisationen, wie dieses Prélude bei –
natürlich im Stil der Zeit.
Sie hören die SWR2 Musikstunde, in der es um die Basse de viole, die
Viola da gamba in Frankreich geht.
Und vom Film machen wir jetzt ein Sprung ins Theater. Auch in
französischen Opern hat die Basse de Viole, wie die Viola da gamba zur
Zeit Ludwigs des Vierzehnten in Frankreich genannt wird, ihre Rolle –
natürlich nicht im Tutti (des Grand choeur(s)), sondern im sogenannten
Petit choeur. Das war eine erlesene Truppe, die kleiner besetzte
Ensemblenummern begleitete. 1676 berichten die Pariser
Theaterannalen von einem Gambisten, der in einer Oper sogar auf der
Bühne sitzt. Umgeben von Wolkenkulissen begleitet er Blockflöten und
die Träume eines Schlafenden. In der berühmten Schlafszene aus JeanBaptiste Lullys Oper „Atys“. (0’54)
Musik 7
HARMONIA MUNDI FRANCE HMT 7901249 LC 7045 <9> 7’31
Jean-Baptiste Lully
Auszug aus der 4. Szene 3. Akt „Atys”
Guy de Mey, Jean-Paul Fouchécourt, Michel Laplénie (Tenor)
Ragon Gilles (Bariton)
Bernard Deletré (Bass)
Les Arts Florissants
William Christie (Leitung)
Ein Auszug aus Le Sommeil – der berühmten Schlafszene aus dem
dritten Akt von Jean-Baptiste Lullys Tragédie Lyrique „Atys“. Mit den
Solisten Guy de Mey, Jean-Paul Fochécourt, Michel Laplénie, Ragon
Gilles, Bernard Deletré und Les Arts Florissants unter der Leitung von
William Christie.
Jean-Baptiste Lully war das musikalische Pendant von Ludwig dem
Vierzehnten. Er war der Sonnenkönig der Musik. Und er hielt das
prestigeträchtige französische Operngeschehen fest in der Hand. Ohne
seine Erlaubnis durfte auf keiner Bühne ein Ton gespielt werden. Und
eifersüchtig überwachte er seine Kollegen. Der junge Marin Marais
machte da allerdings eine Ausnahme! Lully förderte und protegierte den
jungen Gambisten, erteilte ihm sogar Kompositionsunterricht und nahm
ihn ins Opernorchester auf. Bald durfte Marais ihn bei der Leitung von
Opernaufführungen vertreten. Marais schlug dann mit einem großen
Baton den Takt. Dass Marais auch Opern komponieren würde, war nur
eine Frage der Zeit. Er wartete, Zufall oder nicht, bis nach Lullys Tod.
Sechs Bühnenwerke brachte er mit großem Erfolg heraus. Wobei seine
vierte Oper „Alcyone“ von 1706 die französische Operngeschichte im
wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig erschütterte. Marais präsentierte
einen Bühnensturm, der die Wände wackeln ließ und natürlich sofort in
Mode kam. (0’36)
Musik 8
ERATO 2292-45522-2 LC 0200 CD 3 <9> 2’48
Marin Marais
Sturmszene aus 5. Akt „Alcyone“
Giles Ragon (Countertenor)
Ein Solistenchor
Les Musiciens du Louvre
Marc Minkowski (Leitung)
„Ou-suis je – wo bin ich?“ Nicht nur Alcyone auf der Bühne, die den eben
gehörten Sturm im Traum erlebt, sondern auch: das Publikum im Salle
du Palais Royal in der Rue Saint Honoré reagierte erschüttert. Marin
Marais ließ in dieser Sturmszene drei Minuten lang die Wände wackeln.
Am 18. Februar 1706 bei der Uraufführung seiner vierten Oper
„Alcyone“.
Einer der ebenfalls seiner tumultuösen Opernpartituren wegen
bewundert aber auch gehasst wurde, war Jean-Philippe Rameau.
Aber was bewog Rameau im Alter von 57 Jahren zum ersten und einzigen
Mal Kammermusik zu schreiben? Und zwar in Form von
Cembalostücken mit Begleitung von Violine und Viola da gamba?
Sonaten für Cembalo mit Violinbegleitung waren in Paris gerade in Mode
gekommen. Und Rameau, von Haus aus Cembalist, ihn reizte wohl diese
Gattung. Mit dem kleinen aber feinen Unterschied, das er zur Violine
noch eine Gambenstimme hinzu fügte.
1741 gibt er fünf meist dreisätzige „Pièces de clavecin en concert“ heraus.
Viele der Sätze sind als klingende Portraits angelegt und Pariser
Persönlichkeiten, darunter auch Musiker, gewidmet.
In seinem fünften Konzert verewigt er gleich zwei berühmte
Gambennamen. Forqueray im ersten.
Mit einer Hommage an Marais schließt er das Konzert. Mit dem
Rondement „La Marais“. (1’30)
Musik 9
Arte nova 74321 96020-LC 03480 <16> 2’28
Jean-Philippe Rameau
Cinquième Concert
La Marais (Rondement)
Trio Arcangelo Corelli
Anke Fackert (Violine)
Peter Lamprecht (Viola da gamba)
Joachim Vogelsänger (Cembalo)
Absage
an Anke Fackert, Violine, Peter Lamprecht, Viola da gamba, und Joachim
Vogelsänger, Cembalo spielten La Marais aus dem Cinquième Concert
der Pièces de clavecin en concerts von Jean-Philippe Rameau.
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