93.105 Beiheft-Text als

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Hector Berlioz (1803–1869)
Benvenuto Cellini
INHALT DER OPER
ERSTER AKT
Am späten Rosenmontag ist Schatzmeister Balducci auf dem Weg zu seinem
Dienstherrn, Papst Clemens VII., der ihm Anweisungen für einen Auftrag an den
Goldschmied Cellini geben will. Balducci hätte die Arbeit, eine Perseus-Statue, lieber
bei Cellinis Rivalen Fieramosca gesehen, den er auch als möglichen Kandidaten für
die Hand seiner Tochter Teresa ins Auge gefasst hat. Nachdem er gegangen ist,
beklagt Teresa ihr Dilemma: Zwar möchte sie ihrem Vater keinen Kummer bereiten,
aber ihr Herz schlägt eindeutig für Cellini. Wenig später erscheint der Geliebte und
unterbreitet ihr einen gewagten Plan: Am nächsten Abend soll sie sich mit ihrem
Vater zu Cassandros Theater auf der Piazza Colonna begeben. Dort würden er und
sein Lehrjunge Ascanio sie als Mönche verkleidet erwarten und im Karnevalstrubel
entführen. Allerdings hat Fieramosca, der unbemerkt in den Raum getreten ist, alles
mitangehört. Balduccis plötzliche Rückkehr zwingt ihn, sich in Teresas Schlafzimmer
zu verstecken, während Cellini leise hinausschlüpft. Balducci ist erstaunt, seine
Tochter noch wach zu finden. Doch Teresa behauptet, sie habe in ihrem Zimmer
Geräusche gehört, und sicher verberge sich dort ein Eindringling. Zu ihrer großen
Freude entpuppt sich die Ausrede als wahr, und Fieramosca kann nur knapp den
aufgebrachten Nachbarinnen entkommen, die ihm ein Bad im nächsten Brunnen
androhen.
ZWEITER AKT In einer Osteria auf der Piazza Colonna sinnt Cellini am nächsten
Abend darüber nach, wie seine Liebe zu Teresa seine Arbeit beflügelt hat, und
zusammen mit seinen Kollegen stimmt er ein Loblied auf das Handwerk des
Goldschmieds an. Als der Vorschuss des Papstes für den Perseus unerwartet mager
ausfällt, wollen sich die Goldschmiede hierfür an Balducci rächen: Mit einem
satirischen Spiel soll der Schatzmeister zum Gespött der Römer gemacht werden.
Fieramosca beschließt unterdessen mit seinem Freund Pompeo, einem
stadtbekannten Raufbold, in derselben Verkleidung wie Cellini und Ascanio am
Theater zu erscheinen, um auf diese Weise die Entführung zu vereiteln. Während
auf Cassandros Bühne ein Schiedsrichter mit Eselsohren, in dem die Menge sofort
Balducci erkennt, einen Kunststreit zwischen Arlecchino und Pasquarello schlichten
soll, sieht sich Teresa darum im Karnevalstrubel mit zwei Mönchspaaren
konfrontiert. Es kommt zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf Cellini Pompeo
ersticht. Von der Engelsburg verkünden drei Kanononschüsse das Ende des
Karnevals, alle Lichter werden gelöscht, und in der plötzlichen Dunkelheit kann sich
Cellini in Sicherheit bringen.
DRITTER AKT Am Morgen des Aschermittwoch herrscht in Cellinis Werkstatt im
Kolosseum eine gedrückte Stimmung. Teresa konnte zwar mit Ascanio entkommen,
doch von Cellini fehlt jede Spur. Umso glücklicher ist sie, als der Vermisste wenig
später unversehrt eintritt. Ihm dicht auf den Fersen folgen allerdings Balducci und
Fieramosca, die den Bildhauer als Mörder und Entführer zur Rechenschaft ziehen
wollen. Da erscheint Kardinal Salviati, um sich nach dem Fortgang der Perseus-
Statue zu erkundigen. Cellini verspricht, den Guss binnen einer Stunde zu
vollenden, wenn er dafür vom Mordvorwurf freigesprochen werde und zudem
Teresas Hand erhalte. Salviati willigt ein, will die Arbeit aber persönlich überwachen.
Als der komplizierte Guss zu scheitern droht, weil es an Metall mangelt, wirft Cellini
alle seine bisherigen Arbeiten in den Schmelztiegel. Der Guss gelingt, und
angesichts der grandiosen Figur sind selbst Balducci und Fieramosca versöhnt. Der
Kardinal hält sein Wort und gewährt Cellini Pardon, und gemeinsam preisen alle
Anwesenden die hohe Kunst des Goldschmieds.
WIDRIGKEITEN DES KÜNSTLERLEBENS
Für Hector Berlioz galt es diverse Widerstände zu überwinden, bevor er seiner
Berufung zur Musik folgen konnte. Sein Vater, ein angesehener Arzt in der
südfranzösischen Provinz, mochte sich nicht so recht damit abfinden, dass sein Sohn
das Medizinstudium an der Pariser Universität zugunsten einer musikalischen
Ausbildung an den Nagel hängen wollte. An die Fortsetzung seiner finanziellen
Unterstützung knüpfte er darum die Erwartung, dass Hector nun in Windeseile die
musikalische Karriereleiter erklimmen müsse: »Zum Wettbewerb im Institut
zugelassen werden, den ersten Preis davontragen, eine dreiaktige Oper schreiben,
deren Erstaufführung glänzenden Erfolg haben würde, mit dem Kreuz der
Ehrenlegion ausgezeichnet werden, vom Staat ein Stipendium erhalten usw.«
Doch schon für die erste Etappe brauchte Berlioz nicht weniger als vier Anläufe: Erst
1830 erhielt er für die Kantate La mort de Sordanapale den begehrten Rom-Preis,
nachdem drei frühere Wettbewerbsbeiträge als »unspielbar« abgelehnt worden
waren. Den mit dieser Auszeichnung verbundenen Italien-Aufenthalt absolvierte der
junge Musiker allerdings eher widerwillig, denn gerade war die Pariser Musikwelt auf
das eigenwillige Talent aufmerksam geworden. Die 15 Monate, die Berlioz in Italien
verbrachte, bescherten ihm dennoch viele wichtige Anregungen für seinen weiteren
Weg, und die mediterrane Wärme und Sinnlichkeit von Werken wie Harold en Italie
oder Beatrice et Bénédict wäre ohne diese Erfahrung kaum denkbar.
Kein Wunder also, dass Berlioz, als er nach seiner Rückkehr aus Italien die zweite
Stufe seines persönlichen Karriereplanes in Angriff nahm, die Opernbühne mit
einem italienischen Sujet erobern wollte: »Inzwischen ist meine Wahl auf Benvenuto
Cellini als Stoff für eine zweiaktige Opera-comique gefallen. […] Seine Persönlichkeit
bietet mir in vielerlei Hinsicht ein vorzügliches Thema.« Die Autobiografie des
Florentiner Goldschmieds und Bildhauers, ein wichtiges Zeugnis der italienischen
Renaissance, war zu Beginn des 19. Jahrhunderts in ganz Europa populär, und kein
Geringerer als Goethe hatte 1797/98 die erste Übertragung ins Deutsche besorgt.
Berlioz lernte sie in der 1833 erschienenen französischen Übersetzung von Farjasse
kennen und zeigte sich spontan begeistert von der abenteuerlichen
Lebensgeschichte dieses »genialen Banditen«.
Mit der Abfassung des Librettos beauftragte er Leon de Wailly und Henri Auguste
Barbier, die allerdings sehr frei mit der Vorlage umgingen. Natürlich übernahmen sie
den Guss der Perseus-Statue als dramatische Schluss-Szene, aber das Geschehen
wurde von Florenz nach Rom verlegt, der Auftraggeber ist nicht Cosimo de’ Medici,
sondern Papst Clemens VII. (dem der historische Cellini in jungen Jahren gedient
hatte). Cellinis Gegenspieler Fieramosca ist dem realen Rivalen Bandinello
nachempfunden, auch einen päpstlichen Schatzmeister namens Balducci erwähnt
der Bildhauer in seinem Lebensbericht. Die gesamte Liebesintrige hingegen stammt
aus einer anderen Quelle und hat ihr Vorbild, bis hin zur versuchten Entführung der
Geliebten während einer Theatervorstellung im römischen Kanerval, in der Novelle
Signor Formica aus den Serapionsbrüdern von E.T.A. Hoffmann.
Im Sommer 1834 stellten die drei Autoren ihr Projekt an der Opera comique vor,
wie Berlioz berichtete: »Die Oper wurde in unserer Gegenwart vorgelesen und –
abgelehnt. […] Man betrachtet mich an der Opera comique als […] einen Umstürzler
des nationalen Genres […]. Folglich hat man das Libretto abgewiesen, um sich nicht
genötigt zu sehen, die Musik eines Verrückten zulassen zu müssen. « Von der Musik
lag zu diesem Zeitpunkt allerdings erst eine Nummer vor, der Chor der
Goldschmiede aus dem zweiten Akt, und wie engagiert Berlioz nach der Ablehnung
durch die Opera comique an seiner Partitur weiterarbeitete, bleibt unklar.
Natürlich wurde als Alternative auch eine Aufführung an der Opera, der »großen«
Oper von Paris, ins Auge gefasst, doch deren Direktor war ein erklärter BerliozGegner. Erst ein Wechsel an der Spitze dieses Hauses brachte 1835 neue Hoffnung:
Das Libretto wurde akzeptiert, allerdings musste es den Gepflogenheiten der Opera
angepasst werden, sodass u.a. die geplanten Dialoge durch Rezitative ersetzt
wurden. Mit Feuereifer arbeitete Berlioz jetzt an der Musik, die ihn das ganze Jahr
1836 hindurch beschäftigte, und noch im folgenden Jahr waren einzelne Stellen zu
orchestrieren und zu revidieren. Im Februar 1838 reichte Berlioz die Partitur
schließlich bei der Opera ein, wo am 8. März die Proben begannen.
Die Stimmung am Haus war von Anfang an ungünstig für das neue Stück, kaum
einer der Beteiligten glaubte an einen Erfolg dieser in ihren Augen komplizierten,
neuartigen Musik. »Wir beginnen, die Orchesterstimmen zu entziffern, trotz des
Gezänks aller Alten, die behaupten, so etwas hätten sie in ihrem ganzen Leben noch
nicht spielen müssen. Millionen falscher Noten […] und vor allem widersinnige
Rhythmen haben mich grausam gefoltert«, schrieb Berlioz einem Freund bei Beginn
der Orchesterproben. Außerdem bestand die Zensurbehörde darauf, dass man in
einer Oper, noch dazu einer komischen, keinen Papst zeigen dürfe, und aus
Clemens VII. wurde Kardinal Salviati. Die Premiere musste mehrfach verschoben
werden, zuletzt wegen einer Indisposition des Star-Tenors Gilbert Duprez, der den
Cellini sang. Schließlich war es am 10. September 1838 so weit, und der Vorhang
hob sich für Berlioz’ erste Opernpremiere. Leider hatten jedoch Gerüchte über die
Absonderlichkeit seiner Musik bereits die Runde gemacht, und so kam es, wie es
kommen musste: »Man bereitete der Ouvertüre einen übertriebenen Erfolg und
zischte alles Übrige mit bewunderswürdiger Einmütigkeit und Beharrlichkeit aus.«
Zwei weitere Vorstellungen waren so schlecht besucht, dass Duprez die Titelrolle
niederlegte. Sein Ersatz brauchte drei Monate, um die Partie zu studieren, und nach
einer letzten vollständigen Aufführung im Januar 1839 wurde nur noch dreimal der
erste Akt gegeben, als Ergänzung zu verschiedenen Balletten, bevor Berlioz seine
Partitur offiziell zurückzog.
Als Liszt, seit der Uraufführung der Symphonie fantastique im Jahr 183o ein Freund
und glühender Bewunderer von Berlioz, von diesem Fiasko erfuhr, griff er sofort zur
Feder und verteidigte seinen Kollegen – obwohl er das fragliche Werk noch gar nicht
gehört hatte. In einem Artikel über Cellinis Perseus-Statue verglich Liszt den
Musiker mit dem Bildhauer: »Kampf, Schmerz und Ruhm sind das Schicksal des
Genies. Es war das deine, Cellini; es ist auch das deine, Berlioz. […] Wie Cellini
kämpft Berlioz gegen blinde Vorurteile, gegen eine hartnäckige Böswilligkeit; aber
er ist jenem gegenüber im Nachteil, denn sein Werk kann zum unparteiischen
Publikum, zum Volk, nur durch die Vermittlung gerade derjenigen gelangen, die
gegen ihn sind. Die Mehrzahl seiner Interpreten ist ihm feindlich gesonnen.«
Die Gelegenheit, diesem Missstand abzuhelfen und seinen Worten auch Taten folgen
zu lassen, ergab sich für Lizst in seiner späteren Funktion als Hofkapellmeister in
Weimar, wo er im März 1852 Benvenuto Cellini zur ersten Wiederaufführung
brachte. Trotz der recht positiven Aufnahme rieten Liszt und sein junger
Kapellmeister Hans von Bülow zu einer Straffung der Handlung, vor allem im
Schlussteil, und fassten mit Berlioz’ Hilfe die vier Bilder zu drei Akten zusammen.
Diese so genannte »Weimarer Fassung« ging im November 1852 erstmals über die
Bühne, in Anwesenheit des Komponisten und zu dessen größter Zufriedenheit:
»Wirklich, bei meiner Ehre, so wie er jetzt ist, ist Benvenuto ein lieber Junge. […]
Diese Partitur hat ein teuflisches Feuer in sich, und in ihrer gegenwärtigen Gestalt
verdient sie es meines Erachtens, einem aufmerksamen, unvoreingenommenen
Publikum zur Kenntnis gebracht zu werden. « Eva Reisinger
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