Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ABBAS POYA Gestalt des Abraham im Koran und in der islamischen Tradition Originalbeitrag erschienen in: Reinhard Möller (Hrsg.): Interreligiöser Dialog : Chancen abrahamischer Initiativen. Berlin: LIT-Verl., 2006, S. [83] - 99 Inhalt Geleitwort 1 Einleitung 3 Theoretischer Teil Säkularisierung und Revitalisierung von Religion Reinhard Möller, Münster Von Identitäten und Identitätsunterschieden in einem sich wandelnden Europa 7 11 Hans Ucko, Genf Der religiöse Fundamentalismus in Christentum, Judentum und Islam 31 Reinhard Möller, Münster „Du sollst zu einem Vater vieler Völker werden" Die Gestalt Abrahams in der Hebräischen Bibel 51 Rainer Kessler, Marburg Die Gestalt des Abraham im Neuen Testament 61 Florian Wilk, Göttingen Gestalt des Abraham im Koran und in der islamischen Tradition 83 Abbas Poya, Freiburg i. Br. Vom „Götzenzerstörer" zum Protagonisten des Dialogs — Der Erzvater Abraham in 1800 Jahren jüdischer Tradition 101 Matthias Morgenstern, Tübingen Verwandtschaft verpflichtet — Erwägungen zum Projekt einer „Abraharnitischen Ökumene" 127 Volker Küster, Kampen/Niederlande Ist Spanien ein interreligiöser Glücksfall für Europa? Anmerkungen zur Bedeutung der Geschichte für das Religionsgespräch der Gegenwart Matthias M. Tischler, Frankfurt 145 ii INHALT Friede durch Verständigung: Hans Küngs ‚Projekt Weltethos` und die Abrahamische Ökumene Johannes J. Frühbauer, Augsburg 163 Praktischer Teil Erfahrungen mit dem Dialog am Beispiel der interreligiösen Arbeit in Kiel Klaus Onnasch, Kiel 177 Abrahamitischer Dialog — Konkretionen Hans-Christoph Goßmann, Hamburg 209 Abraharnische Dialoge in Deutschland Jürgen Micksch, Darmstadt 215 Real-Trialog oder die Quadratur des Kreises Rache] Herweg, Rabeya Müller, Berlin und Köln 223 Autorenprofile 231 Gestalt des Abraham im Koran und in der islamischen Tradition Abbas Poya Einleitung Neben vielen positiven Einflüssen ist die Liste negativer Erscheinungen in den Religionen lang und erschütternd. „Soviel Streit, blutige Konflikte, ja „Religionskriege" gehen auf ihre Konten; so viele ökonomisch-politisch-militärische Konflikte wurden von Religionen teils ausgelöst, teils eingefärbt, inspiriert und — dies gilt auch für die beider) Weltkriege — legitimiert. Viele Massaker und Kriege nicht nur im Nahen Osten, sondern auch zwischen Iran und Irak, zwischen Indern und Pakistanis, Hindus und Sikhs, singhalesischen Buddhisten und tamilischen Hindus, früher auch zwischen buddhistischen Mönchen und dem katholischen Regime in Vietnam, aber auch heute zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland waren und sind deshalb so unbeschreiblich fanatisch, blutig und gnadenlos, weil sie religiös fundiert sind." ' So nüchtern konstatiert Hans Küng, der gemeinsam mit seinem Schüler Karl-Joseph Kusche' 1993 das programmatische Buch „Weltfrieden durch Religionsfrieden" herausgegeben hat. Die Liste kann seither um einige blutige und zerstörerische Kriege und Einzelaktionen erweitert werden: Bürgerkrieg und Zerstörung in Afghanistan in der Zeit der Mujahidin (1992 - 1996) und der Taliban (1996 - 2001), Bluttaten des 11. September 2001 in den USA, amerikanischer Angriff auf Irak und der daraus resultierende Bürgerkriegszustand in Irak, um nur einige Beispiele zu nennen. Man mag bei dem einen oder anderen Beispiel auch andere Gründe für die gewaltsamen Auseinandersetzungen finden. Doch stellt Hans Küng die Logik, die hinter einer religiös legitimierten Bluttat steht, richtig fest: "Wenn Gott selbst mit uns" ist, mit unserer Religion, Konfession, Nation, unserer Partei, dann ist gegenüber der Gegen-Partei, die dann ja logischerweise des Teufels sein muß, alles erlaubt. Dann darf sogar im Namen Gottes hemmungslos verletzt, verbrannt, zerstört und gemordet werden." 2 So sehen sich Küng und Kuschel und mit ihnen viele andere verpflichtet, allgemein das Projekt des "religiösen Dialogs" und speziell das Projekt der „abrahamischen Ökumene" für die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam 2 Hans Kling/Karl-Josef Kuschel (Hg.), Weltfrieden durch Religionsfrieden. Antworten aus Weltreligionen, Hamburg 1993, 23. Ebd. 84 ABBAS l'OYA mit dem „gemeinsamen Stammvater" Abraham voranzutreiben. 3 Hierbei sind auch viele muslimische Denker und Schriftsteller aktiv. 4 Ein derartiges Engagement steht im Einklang mit dem modernen Zeitgeist, der wiederum von der Idee der Menschenrechte und Toleranz geprägt ist. Bei Küng kann auch deutlich gelesen werden, wovon seine Idee der "abrahamischen Ökumene" herrührt, wenn er vorschlägt: „mit Berufung auf die gemeinsame Menschlichkeit aller Menschen ein allgemein-ethisches, ein wahrhaft ökumenisches Grundkriterium zu formulieren, das auf dem Humanum, dem wahrhaft Menschlichen, konkret auf der Menschenwürde und ihr zugeordneten Grundwerten beruht." Solange es sich bei dem Projekt der „abrahamischen Ökumene" und der ihm zugrunde liegenden Annahme, Abraham sei der gemeinsame geistliche Vater aller drei monotheistischen Religionen, um einen religiös-politischen Appell und um eine öffentlichkeitswirksame Aktion im Interesse des Weltfriedens handelt, hat es bestimmt seine berechtigten Gründe. Bei einer Quellenuntersuchung lassen sich allerdings wenig stichhaltige Beweise dafür finden, Abraham als die einende Figur anzusehen, die die Anhänger der drei Religionen zur gegenseitigen Anerkennung oder gar zum gemeinsamen Gebet auffordern könnte. 6 Barbara Huber stellt in ihrem Bericht über eine am 1. und 2. Dezember 1992 in Köln abgehaltene Tagung unter dem Titel "Juden, Muslime, Christen in einer Welt" zu Recht fest: „Abraham — Stammvater der Gläubigen nennen ihn einmütig die monotheistischen Religionen. Aber oft interpretieren deren Anhänger mehr Gemeinsamkeiten in die Figur, als sie diese nachweisen."' Im Rahmen des vorliegenden Beitrags wird nun versucht, beruhend auf Originalquellen, das Bild Abrahams im Koran, der islamischen Tradition und des neuzeitlichen ideologisierten Islam möglichst authentisch und nicht programmatisch zu skizzieren, um die Grenzen einer abrahamischen Ökumene und überhaupt des Versuches, mit Bezug auf Abraham für gegenseitige Toleranz zu plädieren, zu verdeutlichen. Dabei ist es unvermeidlich, daß sich der Text an einigen Stellen wiederholt. Schließlich handelt es sich hier um die Darstellung ein und derselben Person aus verschiedenen — koranischen, historisierten, ideologisierten — Perspektiven. Dies geschieht jedoch mit der Absicht, verschiedene "islamische" Abrahambilder miteinander vergleichen und abschließend die Frage beantworten zu können, welches Bild eine tolerante Haltung unterstützen würde. 3 4 5 6 7 Exemplarisch sei hier auf einige Bücher verwiesen: Francis E. Peters, Children of Abraham, Princeton 1984; Küng/Kuschel (Hg.), Weltfrieden durch Religionsfrieden; Karl-Josef Kuschel, Streit um Abraham. Was Juden, Christen und Muslime trennt und was sie eint, Düsseldorf 2 2002; Hans Kü'ng (Hg.), Friedenspolitik. Ethische Grundlagen internationaler Beziehungen, Zürich 2003; DERS., Erkämpfte Freiheit, München 2004; Thomas Bauer/Thorsten Gerald Schneiders (Hg.), „Kinder Abrahams". Religiöser Austausch im lebendigen Kontext. Festschrift zur Eröffnung des Centers für religiöse Studien, Münster 2005; Douglas Pratt, The challenge of Islam. Encounters in interfaith dialogue, Aldershot 2005. Auch hier exemplarisch vgl. Abdoldjavad Falaturi/Hasan Askari, Drei Wege zu dem einen Gott, Freiburg 1976; Muhammad Salim Albdullah, Islam für das Gespräch mit Christen, Altenberge 3 1990. Hans Küng, Kein Weltfriede ohne Religionsfriede. Ein ökumenischer Weg zwischen Wahrheitsfanatismus und Wahrheitsvergessenheit, in: Küng/Kuschel, Weltfrieden durch Religionsfrieden, 37. Kuschel führt einige Texte als mögliche gemeinsame Gebetstexte für eine „abrahamitische Ökumene" an. Vgl. Kuschel, Streit um Abraham, 301 -304. Barbara Huber, „Abraham eint — Abraham scheidet". Tagungsbericht: „Juden, Muslime, Christen in einer Welt". Köln am 1. und 2. Dezember 1992, in: CIBEDO, 6/1992, 176. GESTALT DES ABRAHAM IM KORAN UND IN DER ISLAMISCHEN TRADITION 85 Das Abrahambild im Islam Wie in allen anderen Fragen auch ist es eine kaum lösbare Aufgabe, ein repräsentativ und authentisch islamisches Bild von Abraham (arabisch: Ibrähim) zu präsentieren. Im Koran findet der Name Abraham 69-mal Erwähnung. Damit ist er nach Moses (136mal) die am häufigsten erwähnte biblische Figur und steht statistisch sogar vor Jesus (26-mal). Dies geschieht allerdings in zeitlich weit auseinanderliegenden und aus unterschiedlichen Anlässen herabgesandten Versen, die keine zusammenhängende Geschichte darbieten. Auch wenn eine ganze Sura (14) mit 52 Versen den Namen Abrahams trägt, widmet sich doch nur ein kleiner Teil dieser Sura der Gestalt Abrahams. Nichtsdestotrotz wird in der Islamwissenschaft seit geraumer Zeit versucht, anhand der vorhandenen Informationen im Koran die Gestalt Abrahams zu rekonstruieren. Dabei wird besonders darauf aufmerksam gemacht, daß das Bild Abrahams im Koran in mekkanischer Zeit anders gefärbt ist als in der medinensischen Zeit. Während Abraham in der ersten Phase der jüdisch-christlichen Vorstellung näher steht und als Urheber aller drei monotheistischen Religionen und Vorkämpfer gegen die Polytheisten hervorsticht, wird er in der medinensischen Zeit, in der es zu Auseinandersetzungen mit den Juden kam, als Urvater des Islam instrumentatisiert und ideologisiert, um sich von Judentum und Christentum abzusetzen und die blutigen Kämpfe gegen die Juden und die Umorientierung beim Beten von Jerusalem nach Mekka zu rechtfertigen. 8 In dem vorliegenden Beitrag wird aus zweierlei Gründen auf diese Unterscheidung der koranischen Verse in mekkanische und medinensische verzichtet. Zum einen wurde die Diskussion schon ausgiebig in der Literatur geführt und zwar mit der Tendenz, die Unterscheidung zu relativieren. 9 Eine Wiederholung der Debatte wäre wenig fruchtbar. Zum anderen würde ein solches koranisches Bild Abrahams letzten Endes ein religions- bzw. islamwissenschaftliches Bild, aber kein "islamisches" darbieten, denn die Muslime sehen den Koran und damit die Verse über Abraham als eine heilige Einheit an. Danach darf der Koran nicht als ein historisches Phänomen betrachtet werden und schon gar nicht als ein ideologisches Werk. Für eine vollständige Darstellung der Gestalt Abrahams im Islam ist es allerdings unentbehrlich, die Hadithwerke, die Koranexegesen, aber vor allem die Geschichtsbücher, die sich mit den Prophetengeschichten befassen, heranzuziehen. Und hier tut sich dann das zweite Problem auf, nämlich, daß in verschiedenen Werken unterschiedliche Schwerpunkte bei der Darstellung des Abrahmbilds gesetzt und vor allem in den entscheidenden Fragen divergente Standpunkte vertreten werden. Eine dieser strittigen Fragen, die im Koran nicht eindeutig beantwortet wurde, ist die Frage danach, welchen Sohn, Ismael (arabisch: Ismäll) oder Isaak (arabisch: IsIgq), Abraham als Zeichen seiner Dankbarkeit und Ergebenheit Gott gegenüber opfern wollte. Während z.B. at-Tabari (839 - 923), nach einer ausführlichen Darstellung beider Standpunkte, ganz eindeutig für die Opferung Isaaks Position bezieht und damit die Angaben in der Genesis bekräftigt, Artikel „Ibrähim"; Rudi Paret, Mohammed und der Koran. Hierzu vgl. z. B. Arent J. Wensinck, Geschichte und Verkündung des arabischen Propheten, Stuttgart 8 2001, 120- 121; Hans Küng, Der Islam. Geschichte, Gegenwart, Zukunft, München 2004, 84. 9 Vgl. ebd. 8 86 ABBAS POYA hält der spätere Geschichtsschreiber Ibn Kathir (1301 - 1373) diesen Standpunkt für eine aus der Judarla (isrä'rliyyät) stammende Haltung, die offenkundig mit den koranischen Angaben nicht übereinstimmt.' Es ist allerdings davon auszugehen, daß die wichtigste und interessanteste Quelle in diesem Zusammenhang das Werk „Tärildr ar-rusul wa 1-mulük" (die Geschichte der Propheten und der Herrscher) des oben genannten und aus dem heutigen Iran stammenden großen arabischen Historikers at-Tabarl ist. Denn er legt in seiner Eigenschaft als Historiker, Hadithsammler und Koranexeget ein ziemlich vollständiges und gleichzeitig kontroverses Bild Abrahams dar. In dem 1. Band seines größtenteils verlorengegangenen und in seiner Leidener 12 1/2 bändigen Edition immer noch monumentalen Geschichtswerks geht er auch auf den Patriarchen Abraham ein. Es gibt freilich auch andere Quellen für die Prophetengeschichte im Islam. Sie sind aber entweder, wie im Falle von Ibn Ishäq (704 - 767), gänzlich verloren gegangen" oder wie im Falle von Ibn Qutayba (828 -889) sehr auf nicht islamische Quellen gestützt.' Als jemand, der sich in den einst wichtigsten islamischen Zentren Ray, Bagdad, Syrien und Ägypten lange aufhielt, um Hadithe, Wissenschaften und Geschichten zu erwerben, hat at-Tabati bestimmt auch vieles über die nicht islamischen Quellen in Erfahrung gebracht. Darüber hinaus standen ihm offensichtlich die Arbeiten von Ibn Isträq zur Verfügung. 13 Es steht aber fest, „daß Tabari, fest dem islamischen Traditionswesen verhaftet — man denke hier besonders auch an seinen Korankommentar —, nicht auf außerislamische Quellen zurückgreifen kann, zumindest nicht direkt. Denn selbst in den Fällen, in denen er die Ahl at-Tawra [Juden] o. a. zitiert, kann man nicht sicher auf eine direkte Belehrung durch Juden bzw. Christen schließen."' Im Folgenden wird nun im Rahmen dessen, was sich zunächst aus dem Koran erschließen läßt, Abraham zu beschreiben sein. In einem weiteren Schritt wird die Gestalt Abrahams, unter Zuhilfenahme von at-Tabaris Angaben, islam-historisch rekonstruiert. 10 Vgl. Muhammad Ibn Jarir at-Tabari, Tärikh ar-rusul wa 1-mulük, Kairo 1960, Bd. 1, 64 -271; Ismäll Ibn 'Umar Ibn Kathir, Qi§ae al-anbiyä', hrsg. von Said Muharnxnad Lahhäm, Beirdt 1988, 164- 168; Ismäll Ibn 'Umar Ibn Kathir, Tafsir al-qur'än aVagrn, o. 0. u. o. Z., Bd. 4, 14; diese Position wird auch in der schiitischen Koranexegese vertreten. Vgl. Muhammad klusayn at-Tabätabn al-Mizän fi tafsir al-qur'än, Beirut 1991, Bd. 7, 224, Bd. 17, 155. 11 Das älteste noch vorhandene islamische Geschichtswerk wurde von Ibn Ishäq ursprünglich in vier Teilen konzipiert. Während die zwei mittleren Teile, die sich mit der Geschichte Muhamrnads befassen, erhalten geblieben sind, gingen der erste Teil über die Geschichte der Welterschaffung und der Propheten vor Muhammad und der letzte Teil über die Zeit nach dem Propheten, abgesehen von zersplitterten Zitaten bei den späteren Autoren, gänzlich verloren. At-Tabati stützt sich auch oft bei seiner Darstellung der Prophetengeschichte auf Ibn Ishäq. Vgl. Johann Fück, Muhanunad ibn Ishäq, Frankfurt, 1925, 29 ff.; Tilman Nagel, Die Qisa§ al-anbiyä'. Ein Beitrag zur arabischen Literaturgeschichte, Bonn 1967, 78 79; Gernot Rotter, Ibn Ishäq. Das Leben des Propheten, Spohr 1999, 10. 12 Vgl. Nagel, Die Qise al-anbiyä', 11 - 12. 13 Vgl. Nagel, Die Qi§ae al-anbiyä', 78-79. 14 Nagel, Die Qisas al-anbiyr, 10. GESTALT DES ABRAHAM IM KORAN UND IN DER ISLAMISCHEN TRADITION 87 Der koranische Abraham In der Sura Josef (arabisch: Yüsuf), einleitend zur Geschichte von Josef und seinen Brüdern, charakterisiert der Koran sich selbst dahingehend, daß er "die beste Geschichte" (atisan al-qisas) erzähle (12/3). 15 In den weiteren Stellen wird ebenfalls bekräftigt, daß der Koran Geschichten und insbesondere Pmphetengeschichten beinhaltet. ' 6 Doch ist der Koran kein Geschichtsbuch. Er beinhaltet die göttliche Botschaft. Und die Geschichten interessieren ihn, soweit sie dieser Botschaft dienen. Am Ende der Sura Josef wird betont, daß der Grund für die Erzählung der Geschichte im "Nachdenken für diejenigen, die Verstand haben" läge (12/112). Auch in bezug auf Abraham können keine detaillierten Angaben vom Koran erwartet werden. Der wohl bekannteste zeitgenössische iranische Koranexeget Tabätabäl ist empört über die Versuche einiger Korankommentatoren, die im Koran erfolglos z. B. danach suchen, wer die Ahnen Abrahams waren oder woher er stammte. Das Anliegen des Korans sei nicht, Historie zu erzählen, er wolle den Menschen den Weg Gottes zeigen und sie auffordern, ihm zu folgen.' In diesem Sinne verrät der Koran kaum etwas über die Herkunft Abrahams, über seine Eltern und über seine Kindheit. Allein der Name seines Vaters wird genannt: Äzar 18 . Abraham gerät aber sehr schnell als „Gottsuchender" (Haie in Auseinandersetzungen mit seinem Umfeld und in erster Linie mit seinem Vater: „Und (schon) früher haben wir doch dem Abraham seine richtige Einsicht (?) gegeben. Wir wussten über ihn Bescheid. Damals als er zu seinem Vater und seinen Leuten sagte: Was sind das für Bildwerke, denen ihr euch (in eurem Kult) hingebt? Sie sagten: Wir haben (schon) unsere Väter dabei vorgefunden, daß sie ihnen dienten. Er sagte: Dann wart ihr und eure Väter offensichtlich im Irrtum" (12/51 54). Abraham begnügt sich nicht nur mit der Ankündigung seiner Botschaft, er ergreift Initiativen, verspottet die Glaubensvorstellungen seines Volkes und zerschlägt ihre Götzenbilder. Unbeobachtet von Götzendienern zerstört Abraham bei einer günstigen Gelegenheit die Götterbilder und läßt die größte Gestalt unter ihnen unversehrt. Nachdem die völlig irritierten und wütenden Menschen ihn verdächtigen und fragen, ob er der Täter gewesen ist, antwortet en „Nein! Dieser da, der größte von ihnen, hat es getan. Fragt sie doch, (damit sie euch darüber Auskunft geben) wenn sie sprechen können!" (21/63). Nach Angaben des Korans legt sich Abraham nicht nur mit den Götzendienern, sondern auch mit den Stemenanbetern an. Auch hier bedient sich Abraham einer „ironischen" Sprache: "Als nun die Nacht über ihn gekommen war, sah er einen Stern. Er sagte: Das ist (wohl) mein Herr. Als er aber (am Horizont) verschwand, sagte er. Ich liebe die nicht, die verschwinden. Als er dann den Mond aufgehen sah, sagte er: Das ist mein Herr. Als er aber (am Horizont) verschwand, sagte er: Wenn mein Herr mich nicht recht leitet, werde ich zum Volk derer gehören, die irregehen. Und als er die Sonne aufgehen sah, sagte er: Das ist mein Herr. Das ist größer (als Mond und Sterne). Als 15 Der Koran ist grundsätzlich zitiert nach Rudi Paret, Der Koran, Übersetzung, Stuttgart 6 1993. Koran, z. B. 3/62,4/164, 40, 78. 17 At-Tabätabäl, al-Mizän fi tate al-queän, Bd. 7, 173. 18 Koran, 6/74, auch diesbezüglich herrscht ein Meinungsstreit unter den Korankommentatoren, ob Äzar der tatsächliche Name von Abrahams Vater gewesen ist. Siehe 'Abd al-Wahhäb an-Naljär, Qisas alanbiyä', Kairo 1966, 70- 73. 16 88 ABBAS POYA sie aber (am Horizont) verschwand, sagte er: Leute! Ich bin unschuldig an dem, was ih r (dem einen Gott an anderen Göttern) beigesellt. Ich wende mich nunmehr demjenigen zu, der Himmel und Erde geschaffen hat. (Ich verhalte mich so) als Hanif. Und ich bin kein Heide" (6/76-79). Der Koran kümmert sich aber hier nicht um Detailfragen wie z. B. um die Frage, ob es sich bei den Götzendienern und Sternenanbetem, die Abraham bekämpfte, um zwei Völker handelt oder um ein und dasselbe Volk. Einige Koranexegeten gehen davon aus, daß es sich hierbei um zwei Völker handelt, wobei der Koran in einem Atemzug von der Auseinandersetzung Abrahams mit seinem Vater und dessen Volk, die an anderen Stellen als Götzendiener bezeichnet werden, und den spöttischen Äußerungen Abrahams über die Sterne als Götter spricht." Die Reaktion auf Abraham und seine Botschaft ist entsprechend aggressiv und brutal. Es wird angeordnet, ihn ins Feuer zu werfen, um die Ehre der Götter zu wahren. Da geschieht ein Wunder, und das Feuer wird für Abraham „kühl" und „unschädlich". 21 An einer Stelle tritt das Menschliche an Abrahams Haltung hervor. Der beinahe er-. folglose Kampf für den Glauben an Gott in einer Stammesgesellschaft, die fast einstimmig die traditionelle Götzendienerei weiter betreiben wollte und keine positive Reaktion auf die Botschaft Abrahams zeigte, war sicher oft deprimierend und mit einer großen inneren Anstrengung verbunden; insbesondere wenn man berücksichtigt, daß der eigene Vater die Idee nicht nur nicht unterstützt hatte, sondern sie verteufelte. Offensichtlich wurde Abraham in einem Moment verunsichert und suchte direkt bei Gott nach Gewissheit. Nachdem Abraham einmal in einer heftigen Auseinandersetzung mit den Zweiflern versuchte, sie davon zu überzeugen, daß nur Gott allein in der Lage ist, Leben zu erschaffen, und die Gegner energisch dagegen hielten, wollte er dann selbst sehen, wie mächtig Gott ist: „Und (damals) als Abraham sagte: Herr! Lass mich sehen, wie du die Toten lebendig machst! Gott sagte: Glaubst du denn nicht (daß ich das kann)? Er sagte: Doch. Aber ich möchte eben ganz sicher sein. Gott sagte: So nimm vier Vögel und richte sie (mit dem Kopf?) auf dich zu (und schlachte sie?)! Hierauf tu auf jeden Berg ein Stück von ihnen! Dann ruf sie, worauf sie (eilends) zu dir gelaufen kommen! Du mußt wissen, daß Gott mächtig und weise ist" (2/260). In hohem Alter, nachdem Abraham fast die Hoffnung auf einen Nachkommen aufgegeben hatte, wurde er Vater von zwei Söhnen: Ismael und Isaak. Später baute er mit Isma,e1 das heilige Haus „Kaaba" und führte den Kult des Hadsch ein. Auf einen im Traum empfangenen göttlichen Befehl hin wollte er seinen Sohn opfern; der Sohn erklärte sich bereit, dem Befehl Gottes zu folgen. Beide schickten sich daraufhin an, die möglicherweise fürchterlichste Tragödie in der Menschheitsliteratur auszugestalten. Im letzten Moment, als die beiden Akteure ihren definitiven und frommen Willen gezeigt haben, sich Gottes Befehl unterzuordnen, 22 nimmt die Geschichte eine andere Richtung: „Und wir lösten ihn (d.h. seinen Sohn, der geschlachtet werden soll) mit einem gewaltigen Schlachtopfer aus" (37/107). Auch hier macht der Koran keine eindeutige Angabe, ob es sich bei diesem zum Opfer bestimmten Sohn, um Ismael oder Isaak hanVgl. at-Tabätabäl, al-Nlizän fi tafsir al-queän, Bd. 7,222. Vgl. Koran, 6/74 83. 21 Vgl. Koran, 21/68 -69. 22 Vgl. Koran, 2/124- 127, 14/35 -39, 37/100 -106. 19 20 GESTALT DES ABRAHAM IM KORAN UND IN DER ISLAMISCHEN TRADITION 89 delte und von welchen Frauen die beiden stammten. Auch die Frage, was das „gewaltige Schlachtopfer" war, bleibt im Koran unbeantwortet. Anhand dieser Episoden aus Abrahams Biographie macht der Koran ihn zum „schönen Vorbild" (uswa hasana) für die Gläubigen" und zum „Führer" (Imam) der Menschen 24 . Er sei „mild, empfindsam und bußfertig" gewesen. Er habe die „richtige Einsicht" gehabt, die göttliche „Schrift" besessen und sei ein „wahrhaftiger Prophet" gewesen. Kein anderer Prophet wurde im Koran so viel und so hoch gepriesen wie Abrahm. Die Sura 4 Vers 125 zeigt, wie unübertrefflich das koranische Lob für Abraham ist und welche Intention der Koran bei der Darstellung Abrahams verfolgt: „Wer hätte eine bessere Religion, als wer sich Gott ergibt und dabei rechtschaffen ist und der Religion Abrahams folgt, eines ljanifen. Gott hat sich Abraham zum Freund genommen" (4/125). Der koranische Abraham ist also eine hervorragende Figur in der Prophetenkette und steht zu Beginn einer Tradition, die ihren Höhepunkt in Muhamrnad und im Islam findet. Der Islam sieht sich damit als die Fortsetzung einer göttlichen Botschaft an, die von vorangegangenen Propheten und insbesondere von Abraham, Moses und Jesus verkündet wurde. Er hat jedoch eine besondere Beziehung zu Abraham. Auch wenn der zeitliche Abstand Muhammads zu Jesus und Moses kürzer als zu Abraham ist, hat aber Abraham nachhaltiger als diese den islamischen Kultus geprägt. Die augenfällige kultische Gemeinsamkeit zwischen Islam und Judentum war die religiöse Zentralität Jerusalems, in dessen Richtung die Muslime jahrelang ihr Gebet verrichtet haben. Diese Gemeinsamkeit wurde aber im 2. Jahr der Hijra (Auswanderung des Propheten in Begleitung einiger seiner Gefährten von Mekka nach Medina) aufgegeben. 27 Auf der anderen Seite ist es Abraham, der (mit seinem Sohn) die Grundsteine der Kaaba, die die Gebetsrichtung der Muslime bis in alle Ewigkeit repräsentiert, legt und sie für diejenigen reinigt „die die Umgangsprozession machen und sich dem Kult hingeben, und die sich verneigen und niederwerfen" (2/125,127). Es ist Abraham, der als „Muslim" (Gottergebener) das „Salät" (Gebet) verrichtet. 28 Und es ist die Religion Abrahams, zu der Muhammad aufgefordert wird: „Hierauf haben wir dir (die Weisung) eingegeben: Folge der Religion Abrahams, eines klanifen" (16/123). Insgesamt ist eine erstaunliche Ähnlichkeit zwischen Abraham und Muhammad zu beobachten. Muhammad wird genauso als „schönes Vorbild" (33/21) und „Gottsuchender" (6/79) beschrieben. Und er bekämpft genauso unversöhnlich die Götzendiener und läßt ihre Bildwerke zerschlagen. 29 Sein eigenes Urteil bestätigt nur diese Ähnlichkeit. Auf seiner Himmelsreise bringt Gabriel Muhammad in verschiedenen Himmeln zu allen wichtigen Propheten, die er genau beschreibt. Im letzten Himmel begegnet er Abraham: „Und er brachte mich in den siebten Himmel; dort sah ich einen Mann in reifem Alter auf einem Stuhl am Tore zum Paradiese sitzen, durch das an jedem Tag siebzigtausend Engel eintraten, die erst am Tage der Auferstehung wie23 Vgl. Koran, 6014. Vgl. Koran, 2/124. 25 Vgl. Koran, 1 1175. 26 Vgl. Koran, 19/41, 21/51. 27 Vgl. Koran, 2/142 145. 28 Vgl. Kora.n, 3/67, 14/40. 29 Vgl. 4-Tabu', Tän kh ar-rusul wal-mulük, Bd. 3, 65 - 66. 24 - ABBAS POYA 90 der zurückkehren. Nie habe ich einen Mann gesehen, der mir ähnlicher war, und Gabriel sprach: „Dies ist dein Vater Abraham!" Der historisierte Abraham Im Gegensatz zum Koran werden in der Geschichtsschreibung sehr viele Einzelheiten von Abraham beschrieben. Er wird zwar weiterhin als einer der größten und heiligsten Propheten angesehen, aber man behandelt ihn gleichzeitig als ein historisches Phänomen und versucht, die großen biographischen Lücken im Koran bezüglich Abrahams zu füllen. Ohne die oben aufgeführten koranischen Aussagen über Abraham zu wiederholen, wird nun im folgenden die Darstellung Abrahams in der islamischen Tradition hauptsächlich anhand von at-Tabari zusammengefasst. In Übereinstimmung mit der Genesis listen at-Tabari und mit ihm die nachfolgenden Geschichtsschreiber die Ahnen Abrahams bis zu Noah folgendermaßen auf: Tärikh b. Nähür b. Sähigh b. Arghü b. Fäligh b. Ääbir b. Shälikh b. Qaynän b. Arfakhshad b. Säm b. Nülj. 31 Abraham wurde — nach einer Version — in der Herrschaftszeit von König Nimrod (arabisch: Namrüd) in Babylon (arabisch: Beil) am Euphrat geboren. Seine Geburt und seine Kindheit waren wie sein ganzes Leben von Wundem durchzogen. Die Sterndeuter berichteten Nimrod von einer bestimmten Zeit, in der ein Junge das Licht der Welt erblicken wird, der dann die Götzendienerei aufgeben und die Götterbilder zerstören wird. Daraufhin ordnete Nimrod an, alle Knaben, die zu der vorhergesagten Zeit auf die Welt kommen, zu töten. Die Schwangerschaft von Abrahams Mutter blieb trotz aller Wachsamkeit von Nimrods Leuten unentdeckt. Als der Moment gekommen war, ging die Mutter in eine Höhle und gebar Abraham. Er verweilte unbehelligt einige Zeit in der Höhle. 32 Abraham verließ sein Versteck, als er noch ein kleines Kind war. Er besaß aber schon die prophetische „richtige Einsicht". In einem im Koran berichteten Gedankenspiel wandte er sich von der Vorstellung ab, daß irgendwelche Sterne Gottheiten darstellen würden. Bereits bei seiner ersten Begegnung mit seinem Volk fing seine Auseinandersetzung mit den herrschenden religiösen Vorstellungen an. Dabei geriet er sogar in ein Streitgespräch mit seinem Vater, der zunächst von der Vorstellung ausging, daß sein Sohn bei der Geburt gestorben sei, und sich um so mehr freute, als er ihn lebend antraf. Der Vater war aber auch ein Ungläubiger, der sein Brot durch die Herstellung und den Verkauf von Götzen verdiente. 33 Eines Tages verließen die Einwohner wegen einer Feierlichkeit die Stadt. Unter dem Vorwand, er wäre krank, blieb Abraham zu Hause. Er nützte dann die Gelegenheit aus, zerstörte mit einem Stück Eisen alle Götzen außer dem Größten unter ihnen, an dessen Hals er schließlich die Tatwaffe aufhängte. Man wußte allerdings schon über ihn und seine Ansichten Bescheid, und so wurde er der Tat bezichtigt. Er konterte jedoch ironisch und behauptete, daß der Täter der größte noch 3° Rotter, Ibn Iskeq, 88. 31 Vgl. at-Tabari, TärTkh ar-rusul wa 1-mulük, Bd. 1, 216- 232; M. Ibn Athir, al-Kämil fi t-tänich, Beirut 1965, Bd. 1, 94; Ibn Kathir, Qisas al-anbiyä', 135. At-Tabari, Ta rikh ar-nisul wal-mulük, Bd. 1, 233 - 235. 33 At-Tabari, Tänldi ar-rusul wa 1-mulük, Bd. 1,235. 32 - GESTALT DES ABRAHAM IM KORAN UND IN DER ISLAMISCHEN TRADITION 91 erhalten gebliebene Götze gewesen sei, mit der Absicht, dem Volk klar zu machen, daß Götter, die nicht in der Lage sind, zu sprechen und sich zu verteidigen, es nicht wert sind, angebetet zu werden. 34 Nimrod nahm den Vorfall zum Anlaß, seinen Untertanen zu befehlen, ein großes Feuer vorzubreiten und Abraham ins Feuer zu werfen. Anscheinend hatte Abrahams Botschaft kein Gehör im Volk gefunden, und er hatte keine Unterstützung erfahren. Das wird aus einem Gebet, das er in dieser Situation an Gott richtet, deutlich: „0, Gott! Du bist einzig im Himmel und ich einzig auf der Erde, und es gibt auf der Erde niemanden außer mir, der Dir dient. Ich habe an Gott Genüge und welch trefflicher Sachwalter ist er. "35 Nach dieser enttäuschenden Erfahrung mit seinem Volk verließ er, begleitet von seinem Neffen Lot (arabisch: Lüt), das Herrschaftsgebiet Nimrods und heiratete später seine Kusine Sara (arabisch: Särä). Mit Sara zog er dann nach Ägypten in das Herrschaftsgebiet der Pharaonen. Der Pharao wußte schon um die Schönheit Saras und war sehr beeindruckt von ihr. Er befragte Abraham über sein Verhältnis zu Sara. Abraham befürchtete anscheinend, daß der Pharao ihn töten ließe, um seine Frau, Sara, zu bekommen. Er log deshalb und sagte zum Pharao, sie sei seine Schwester. Abraham war sicherlich ein wenig beschämt wegen seiner Lüge vor Sara und versuchte, sich ihr gegenüber zu rechtfertigen: „Du bist doch meine Schwester in der Schrift Gottes." Der Pharao konnte trotzdem sein Vorhaben nicht durchführen. Wie durch ein Wunder blieb Sara unversehrt. 36 Nachdem Sara die Hoffnung aufgab, schwanger zu werden, schickte sie Abraham ihre Magd Hagar (arabisch: Häjar), damit er mit ihr einen Nachkommen zeuge. Abraham wurde nicht nur durch Hagar mit seinem Sohn Ismael beschenkt, er bekam auch von Sara Isaak. Schließlich wurde Abraham beauftragt, das „Haus" (die Kaaba) in Mekka zu bauen, in dem „Gott angebetet und an ihn erinnert wird". Mit seinem Sohn Ismael errichtete er dann die Kaaba. Allerdings wird in der Literatur heftig darüber diskutiert, inwieweit Abraham tatsächlich der Erbauer der Kaaba gewesen ist. Einige Überlieferungen bekräftigen, daß er gemeinsam mit Ismael das Haus gebaut hatte. Einige andere sprechen sich dafür aus, daß es sich bei der Kaaba um ein altes Heiligtum handele, dessen Geschichte bis auf Adam zurückginge. Abraham habe nur den schon bestehenden Grundriß vervollständigt. " Unklar ist auch, wie Abraham nach Mekka gekommen ist. Nach einem Bericht sei er, nachdem er mit der Errichtung des Hauses beauftragt worden war, aber nicht wußte, wo er es aufbauen sollte, durch Gott und mit Hilfe eines Windes nach Mekka getrieben worden. Einer anderen Angabe zufolge befand er sich schon zur Zeit des Auftrags in Mekka. Nachdem Sara ihn gedrängt hatte, Ismael und seine Mutter von ihr fortzubringen, nahm er die beiden und brachte sie in die Wüste von Mekka. Daraufhin kam der Auftrag zum Bau des heiligen Hauses. 38 Es wird genau beschrieben, wie 34 At-Tabari, 35 Tän kh ar-rusul wal-mulük, Bd. 1, 236 - 239. At-Tabari, Tärik.h ar-rusul wa 1-mulük, Bd. 1, 242. 36 At-Tabarr, Tärikh ar-rusul wa1-mulük, Bd. 1, 244 245. 37 Muhammad Ibn Jarir at-Tabaii, Jämi al-bayän fi tate al-qur'än, o. 0. u. o. Z., Bd. 1,408. 38 At-Tabari, Tärikh ar-nisul wa 1-mulük, Bd. 1,251 254. - - 92 ABBAS POYA Abraham mit seinem Sohn das Hadsch-Ritual mit allen Einzelheiten, die man im Islam kennt, durchgeführt hat. 3° Zu den wichtigsten Hadsch-Ritualen gehört die Schlachtung, die mit einem der tragischsten Momenten in Abrahams Biographie zusammenhängt, mit seiner Absicht, seinen Sohn zu opfern als Zeichen seiner vollkommenen Ergebenheit in den Willen Gottes. Die bis heute umstrittene Frage ist, welcher Sohn zum Opfer bestimmt wurde: Ismael oder Isaak. Während es in der heutigen Allgemeinvorstellung der Muslime fast als ein Konsens angesehen wird, daß es sich dabei um Ismael, den Vater der Araber und von Muharnmad, handelte, wird in den älteren klassischen islamischen Quellen oft auch die Gegenmeinung vertreten. At-Tabari, wie es seine Art ist, stellt bezüglich dieser Frage beide Positionen ausführlich dar. Nach ihm gibt es sowohl für die eine wie auch für die andere Position Belege aus der Tradition des Propheten, die gleichgewichtig sind. Jedoch spricht sich der Koran selbst, so at-Tabari, viel eindeutiger für die Annahme aus, daß der zum Opfer bestimmte Sohn Isaak gewesen sei. Weil es sich, so führt at-Tabari weiter aus, dabei nach dem Koran um den Sohn handelte, der im hohen Alter Abraham und seiner Frau Sara verkündet worden war. Und das kann nur Isaak gewesen sein. 4° Das war ohne Frage der schwierigste Moment im Leben Abrahams. Er hatte für Gott vieles auf sich genommen, er war verzweifelte Kämpfe eingegangen, hatte bittere Erfahrungen mit seinem Volk und mit seinen Verwandten gemacht und war im wahrsten Sinn des Wortes fast durch die Hölle gegangen. Nun mußte er für Gott auch noch seinen Sohn, auf dessen Geburt er sich so sehr gefreut hatte, opfern. Das verlangte die höchste, ja fast unmögliche Willenskraft. Die Vorbereitung zur Opferung wird detailliert dargestellt, die erbitterte Reaktion Saras, die Irritation des Umfelds und der feste Wille Abrahams, seinen von Gott eingegebenen Traum zu realisieren. Noch standhafter schien der junge Sohn zu sein, der den Vater ermutigte und darlegte, wie er die Sache reibungslos hinter sich bringen solle, damit sie beide die göttliche Prüfung am besten bestehen: „0, mein Vater! Wenn du meine Schlachtung vornehmen willst, ziehe meine Schnur fest, nicht daß du (durch mein Herumschlagen) verletzt wirst und somit mein Lohn (im Jenseits) beeinträchtigt wird, denn das Sterben ist schwer. Und ich bin nicht sicher, ob ich nicht um mich schlagen werde, wenn ich sein Antasten verspüre. Schärfe dein Messer, so daß du mich (schnell) erlöst und nicht mehr leiden läßt. Wenn du mich zur Schlachtung niederlegst, lege mich mit dem Gesicht auf den Boden und nicht seitlich. Denn ich fürchte, wenn du mein Gesicht (dabei) siehst, wird dich Zärtlichkeit überkommen, die einen Schatten zwischen dich und den Befehl Gottes wirft. Und wenn du es für gut befindest, bringe mein Hemd meiner Mutter zurück, vielleicht tröstet es sie." Bekanntlich kommt es nicht soweit. Ein Schafbock wird zu Abraham geschickt, damit er ihn anstelle seines Sohnes opfert. 4 ' Bezogen auf den Vers „Und (damals) als Abraham von seinem Herrn mit Worten auf die Probe gestellt wurde!" (21124) wird noch ausführlich die Frage diskutiert, mit welchen Worten Abraham auf die Probe gestellt wurde. Das waren, so die eine Ant39 At-Tabari, Tärikh ar-rusul wa 1-multik, Bd. 1, 260 -262. 4° At-Tabari, Tärilch ar-rusul wa 1-mulük, Bd. 1, 263 271; zu den für at-TabarTs Argumentation wichtigen 41 Koranstellen vgl. Koran, 11/69 - 73, 37/99 -101, 51/24 30. Tärikh ar-rusul wa 1-mulük, Bd. 1, 275. GESTALT DES ABRAHAM IM KORAN UND IN DER ISLAMISCHEN TRADITION 93 wort, die einschneidenden Momente im Leben Abrahams, nämlich die Klarheit darüber, daß kein Stern die Gottheit darstellt, die Verurteilung, ins Feuer geworfen zu werden, die Auswanderung aus seinem Geburtsort, die Absicht, seinen Sohn für Gott zu opfern und die Beschneidung, die er später an sich und seinen Söhnen vornehmen mußte. In den weiteren Darstellungen werden in diesem Zusammenhang auch die Hadsch-Rituale in allen Einzelheiten und manchmal andere islamische Rituale angeführt. 42 Somit wird bekräftigt, daß schon Abraham mit der Praktizierung islamischer Rituale vertraut war. Abraham überlebte seine Frau Sara und seine Magd Hagar. Er heiratete mindestens noch einmal und bekam noch einige Kinder. Er starb mit 200 oder 257 Jahren und wurde in der Begräbnisstätte seiner Vorväter Hibruun begraben. 43 Der ideologisierte Abraham Die religiösen Ideologien steuern auf einen revolutionierenden Kurs hin, vermitteln die Überzeugung, daß Gott (nur) auf ihrer Seite ist und daß sie allein den berechtigten Anspruch auf Wahrheit haben. Im ideologisierten Islam ist dies nicht anders. In ihm werden Geschichte, Menschen, Religion und alles andere in zwei Kategorien eingeteilt, entweder unterstützen sie die eigene Idee oder sind sie verfälscht und verwerflich. Auch in bezug auf die Gestalt Abrahams wird im ideologisierten Islam nicht versucht, sich distanziert mit den Einzelheiten seiner Geschichte oder gar widersprüchlichen Angaben über ihn zu befassen. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Abraham, sei es historisch oder religionswissenschaftlich, ist weder wichtig noch wünschenswert. Die islamischen Ideologen haben folgende Ziele: Islamische Revolution, gesellschaftliche Veränderung und „heiliger Kampf" 45 . Dabei bedienen sie sich auch Abrahams und reduzieren ihn auf einen selbstlosen Kämpfer für die Sache, die sie für die einzig richtige und gerechte halten. Für sie existiert nur eine einzige historische Wahrheit, nämlich die der eigenen Ideen. Und wenn die historischen Daten ihre Sache bzw. ihre Ideen nicht unterstützen, sind sie eben falsch und von den Feinden konstruiert — eine Haltung, die das Bild des Islam in letzter Zeit sowohl innerhalb der islamischen Gesellschaften wie auch nach außen maßgeblich bestimmt hat.' 42 Vgl. at-Tabari, Tän lch ar-rusul wal-mulük, Bd. 1, 279 285. Vgl. at-Tabarr, Tätlich ar-rusul wa 1-mulülc, Bd. 1, 308 312. 44 Ähnlich werden die religiösen Ideologien charakterisiert von: Hamid Dabashi, Theology ofDiscontent. The Ideological Foundations of the Islarnic Revolution in Iran, New York 1993, 4. Schariati beschreibt z. B. „seinen" Islam als eine Religion, die „heilige Kämpfer" (mujähid) erzieht. Vgl. Ahi Schariati, Jahänbinl wa Majmü-a-i äthär 23, Teheran 1982, 100. 46 Die islamischen Ideologen bilden selbstverständlich keine Einheit. Im einzelnen muß man untersuchen, wer was genau vertritt. Sie alle gehen jedoch von derselben Überzeugung aus, daß die eigene Sache die einzig richtige ist und alles — auch das Abrahambild — dieser Sache dienen muß. Sayyid Qutb (1906 1966), der ägyptisch-muslimische Ideologe, ist ohne Zweifel nicht mit Schariati gleichzusetzen. Dafür haben sie zu unterschiedliche Denkansätze bzw. -strukturen. Er verfährt jedoch mit der Gestalt Abrahams nach demselben Schema wie Schariati. Seine Abraham-Darstellung geht letzten Endes darauf hinaus, daß der (wahre) Islam die letztgültige von Abraham stammende Religion sei. Damit setzt er sich von den Juden und Christen genauso ab wie von allen anderen nichtislamischen Überzeugungen und sogar von den Muslimen, die nicht dem „wahren" Islam folgen. Dabei wirft er die Juden und die Christen mit den Polytheisten in einen Topf. Vgl. Sayyid Qutb, Fr ziläl al-gur'än, Ed. 1, Kairo 131992, - 43 94 ABBAS POYA Zu den bedeutendsten und wortgewandtesten Ideologen des Islam neuer Zeit gehört ohne Zweifel der iranisch-muslimische Intellektuelle Ah i Schariati " (1933 - 1977), dessen Reden und Werke zur Entstehung der Islamischen Revolution in Iran (1979) entscheidend beigetragen haben und die nicht nur in Iran, sondern überall in der islamischen Welt mit Begeisterung und großer Sympathie gelesen werden. Anhand von Schariati soll im folgenden exemplarisch gezeigt werden, wie Abraham im ideologisierten Islam dargestellt wird. Grundsätzlich werden in der islamischen Ideologie bei der Diskussion über Abraham drei Themen besonders hervorgehoben: A) das Hadsch-Ritual, das als ein abrahamisches Werk bis in die Gegenwart das größte weltislamische Ereignis darstellt. Hier kümmert man sich, trotz aller Beteuerung, wahrhaftig zu sein, nicht um die widersprüchlichen und relativierenden Angaben über Abraham als Urheber des Hadsch-Kultes. B) die Bereitschaft Abrahams, seinen Sohn Ismael für die Sache Gottes zu opfern. Auch hier werden kaum die anderen Positionen berücksichtigt. C) der Aufruf Abrahams zum Monotheismus und die Zerstörung der Götzen durch ihn. Diese Sachverhalte werden aber auch nicht als ausschließlich religiös begründete Erscheinungen angesehen. Sie werden als symbolische Akte angesehen, hinter denen man nach eigenen Lntentionen sucht. 48 Im Denksystem Schariatis spielt die Symbolik überhaupt eine sehr grundlegende Rolle. Die Geschichte von Kain und Abel wird z. B. als eine Metapher für zwei historische Epochen angesehen. Abel sei Viehzüchter und Symbol des nomadischen Menschen gewesen, der noch keine Klassifizierung und keine Unterdrückung kannte. Kain sei Bauer gewesen und symbolisiere den Menschen in der Agrarepoche, in der der Mensch Besitz, Diskriminierung und Unterdrückung kennengelernt habe. Mit dem Tod Abels durch Kain siegte die Agrarepoche über das Nomadentum. 49 In ähnlicher Weise verfährt Schariati mit den anderen Themen und auch mit der Gestalt Abrahams. Für ihn ist das Wallfahrtszeremoniell das bedeutendste Phänomen im islamischen Kult. Unter allen religiösen und nicht religiösen Ritualen, so Schariati, stellt sich der 110 - 119; zu seinem Leben und seinen politisch-ideologischen Ansichten vgl. Ahmad S. Moussalli, Radical Islamic Fundamentalism. The Ideological and Political Discourse of Sayyid Qutb, Beirut 2 1995; DERS., Moderate and Radical Islamic Fundarnentalism. The Quest for Modernity, Legitimacy and the Islamic State, Florida 1999, 132 154. 47 Schaxiati macht keinen Hehl daraus, daß für ihn der Islam eine Ideologie darstellt. Sein größtes Anliegen ist, ihn als eine Ideologie zu konzipieren und zu vermitteln. Vgl. u. a. Ah i Schariati, Isläinshinäsi Bd. 1, 2, 3, Majmü'a-i äthär 16, 17, 18, Teheran 1982 - 1983, DERS., Jahänbini wa idi' ulüii, Majmü'a-i &Wir 23, Teheran 1982; in Iran hat sich insbesondere Abdolkarim Sorusch mit Schariatis Idee, „Islam als Ideologie", auseinandergesetzt. Vgl. insbesondere Abdolkarim Sorusch, Farbihtar az idi' Teheran 3 1996, 79 - 156; in den europäischen Sprachen sind zahlreiche Arbeiten über Schariati und seine Denkstruktur erschienen. Vgl. u. a. Dabashi, Theology of Discontent, 102 146; Ah i Rahnema, An Islamic utopian. A political biography of All Shariati, London 1998; Mariam Popal, Der Begriff „islär als Islam-inhärente Institution am Beispiel von 'All ‘arrati, in: Der Islam, Berlin/New York 1/2602, 323 - 329; zu seiner Biographie vgl. die oben angeführte Literatur und die von Schariatis Frau, Pürän Sharrat-Radawi, in Persisch erschienene Biographie Tarlif az yak zindagi, Teheran 1995. 48 In allen religiösen Sprachen nimmt Symbolik einen großen Raum ein. Die symbolische Bedeutung muß allerdings im Rahmen des Textes belegbar sein, sonst wird der Weg für eine völlig willkürliche Interpretation mit unübersehbaren Konsequenzen frei. 49 Vgl. Schariati, MTAd bä ibrähim, Majmtra-i äthär 29, Teheran 3 1994, 30 ff. GESTALT DES ABRAHAM IM KORAN UND IN DER ISLAMISCHEN TRADITION 95 Hadsch als etwas Besonderes dar. " „Es scheint, als ob Gott alles, was er den Menschen mitteilen wollte, in den Hadsch eingegossen hatte." 5 ' Der Dreh- und Angelpunkt der Wallfahrtszeremonie ist ohne Frage das heilige „Haus", die Kaaba. Darüber hinaus kommt der Kaaba als Gebetsrichtung eine richtungweisende Rolle zu. Schariati sieht die Entscheidung des Propheten im 2. Jahr nach der Hijra, sich von Jerusalem abzuwenden und zur Kaaba umzuorientieren, nicht als einen Versuch, eine eigene arabisch-islamische Identifikationsgröße zu schaffen. Im Gegenteil fungiere die Kaaba als ein einender Ort für die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Denn die Kaaba gehöre weder den Arabern, noch den Juden, noch den Christen. Sie sei von Abraham gebaut und gehöre somit allen drei Religionen. 52 Ausgehend von der Besonderheit des Wallfahrtszeremoniells, an dem jeder Muslim unabhängig von seinem Namen und Rang, von seiner Hautfarbe und Herkunft und von seinem Status und Geschlecht teilnehmen könne, versteht Schariati den Islam sogar als einen Aufruf zur Einheit aller Menschen und aller Religionen. 53 Er zielt allerdings mit seinen Ausführungen auf eine Einheit unter dem gemeinsamen Dach der (eigenen) islamischen Überzeugung ab. Welche Religion oder Überzeugung würde dies nicht wollen? Diese Absicht wird dann deutlich, wenn er auf die Fragen eingeht, ob andere Religionen wie das Judentum oder das Christentum auch an die Bedeutung der Kaaba glauben und wie die Kaaba das Monopol des Islam wurde. Daraufhin kritisiert er zwar in einem ziemlich verdeckten Nebensatz den Monopolanspruch des Islam auf die Kaaba als eine „polytheistische" Erscheinung, charakterisiert den Islam jedoch als den Erneuerer der abrahamischen Religion, die auch von Mose und Jesus verkündet, jedoch später von ihren Anhängern verfälscht und ihres wahren Inhalts entleert worden sei. Damit sei aus dem Monotheismus Polytheismus und im Fall des Judentums sogar nationalistischer Polytheismus geworden. Der Islam stelle die wahre Botschaft Abrahams wieder her und bekämpfe so die anderen irreleitenden Religionen. 54 Im Hadsch ist das Wichtigste für ihn das Ritual der Schlachtung als Erinnerung an die große Opferbereitschaft Abrahams. Diese Handlung vermittele die Überzeugung zur Selbstaufopferung und zur Aufopferung von allem, was man besitzt. " Schariati macht deutlich, inwieweit Abrahams Denken und Handeln für die heutige Zeit wichtig und lehrreich sind und zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen. Dieses Anliegen werden wahrscheinlich viele sozial aktive Theologen unterstützen. Bei Schariatis Ausführungen ist allerdings augenfällig, daß er aus den historisch wenig gesicherten Angaben über Abraham nicht nur Lehren für die heutige Zeit zu ziehen versucht. Er ist vielmehr darum bemüht, die Mobilisierung der Gesellschaft für eine nach seiner eigenen Analyse notwendige soziale Veränderung durch Emotionalisierung und Verklärung der Geschichte zu erreichen. In diesem Sinne zieht er aus der Absicht Abrahams, seinen 5° Vgl. Schariati, MTAd bä ibrähim, 258, ljajj, Majmü'a-i äthär 4, Teheran 2 1987, 2. 51 Schariati, kiajj, 22 23. Schariati, Mräd bä ibrähim, 260 - 261. 9 Vgl. ebd., 259 -261. 54 Vgl. ebd., 264-273. 55 Ebd., 258. 56 Vgl. ebd., 278. 52 96 ABBAS POYA Sohn — und für ihn ist es ohne Zweifel Ismael — zu opfern, die Lehre, daß man alles e Gott opfern müsse, daß man alles, was zum Weiterleben auffordert, und alles, was ein Grund für das Leben auf dieser Erde sein könnte, aufgeben solle. 57 Für Schariati dreht sich alles in der Geschichte und in der Gesellschaft um den Kampf für die Gerechtigkeit gegen das Ungerechte. Und in diesem Licht sieht er die Tat Abrahams, die Götzen zu zerstören, nicht als eine bloße Kampfansage gegen die Vielgötterei. Abraham sei es darum gegangen, das politische System und die religiöse Idee, die hinter der Götzenanbetung standen, zu bekämpfen. „Kampf gegen die Vielgötterei bedeutet die Zerstörung der religiösen Grundlage, die für die Diskriminierung, Unterdrückung und Versklavung innerhalb der menschlichen Gesellschaft gelegt wurde." 58 Dabei vergißt er, daß auch der Prophet Abraham ein Kind seiner Zeit und damit geprägt von der Stammeskultur gewesen ist, daß gerade Ismael der Sohn einer von Sara an Abraham geschenkten Sklavin, Hagar, war, daß Abraham die beiden auf Wunsch seiner Frau in die Wüste schicken mußte 59 und daß er nach der Genesis mehrere Nebenfrauen hatte. 6° Schlussbetrachtung Die islamische Ideologie bietet keine Grundlage für eine Haltung der gegenseitigen Anerkennung, weder für die unterschiedlichen Islamauffassungen noch für die Beziehung zu anderen religiösen und nichtreligiösen Überzeugungen. Ihr Abraham ist eine unversöhnliche Gestalt, die keine Vielfalt verträgt, nur für eine — ihre — Wahrheit steht und alles andere als etwas Fremdes und Verwerfliches bekämpft. Der ideologisierte Islam stellt wahrlich nicht die Mehrheitsmeinung, jedoch die lauteste Stimme unter den Muslimen dar. Die koranische Sprache, auch im Zusammenhang mit Abraham, ist vielmehr ethisch geprägt. Sie zeichnet sich nichtsdestotrotz durch eine "Exklusivität" aus: „Abraham war weder Jude noch Christ. Er war vielmehr ein (Gott) ergebener Hanif, und kein Heide" (3/67). Auch wenn Kuschel diesen Vers im Sinne seines programmatischen Vorhabens als Beweis dafür nehmen möchte, daß Abraham allen drei monotheistischen Religionen gehört und keine von ihnen einen exklusiven Anspruch auf ihn erheben so11, 6 ' will jedoch dieser Vers im Grunde hervorheben, daß die Juden und Christen von der eigentlichen Botschaft Abrahams abgekommen sind und Muhammad und seine Anhänger diejenigen sind, die ihr folgen. Dies kommt auch in dem darauf folgenden Vers deutlich zum Ausdruck: „Die Menschen, die Abraham am nächsten stehen, sind diejenigen, die ihm (und seiner Verkündung seinerzeit) gefolgt sind, und dieser Prophet (d. h. Mohammed) und die, die (mit ihm) gläubig sind. Gott ist der Freund der Gläubigen" (3/68). Als Betrachter des Abrahambildes in der Geschichtsschreibung ist man entspannter. Hier wird Abraham als ein Mensch geschildert, der auch manchmal Angst, Unsicherheit 57 Vgl. ebd., 286. Ebd., 19. 59 Vgl. oben: Der koranische Abraham, und: Der historisierte Abraham. 60 Vgl. Genesis, 25, 1.6. 61 Kuschel, Streit um Abraham, 304. 58 GESTALT DES ABRAHAM IM KORAN UND IN DER ISLAMISCHEN TRADITION 97 und Schwäche zeigt. Er ist nicht nur ein frommer „Gottsucher", der ausschließlich daran denkt, wie er rigoros die göttlichen Eingebungen in die Tat umsetzen kann. Er zeigt hin und wieder Emotionen und reagiert auf dieses oder jenes Ereignis wie ein „normaler" Mensch. Der allerwichtigste Aspekt des historisierten Abrahams ist, daß er kein einheitliches Bild darbietet. Es werden immer wieder und zu fast allen Lebensumständen unterschiedliche, ja widersprüchliche Angaben gemacht. Und da sind nicht wenige Angaben, die mit den jüdisch-christlichen Beschreibungen übereinstirnmen. Durch eine ernsthafte Beschäftigung mit Abraham in der Geschichtsschreibung können viele Barrieren, viele Hemmschwellen und viele für bruchfest gehaltene Trennlinien zwischen dem islamischen Abrahambild und jüdisch-christlichen Vorstellungen überwunden werden. 62 Nichtsdestotrotz ist das islamische Bild von Abraham eines, das in vielerlei Hinsicht von den jüdisch-christlichen Vorstellungen abweicht. Es ist aber ein Gebot der Zeit, sich über diese exklusive Sprache hinwegzusetzen und im Sinne des Zeitgeistes für gegenseitige Akzeptanz einzutreten. Sucht man diese offene und tolerante Haltung mit religiösen Texten und in diesem Fall mit der AbrahamDarstellung im Koran und in der islamischen Tradition zu untermauern, so stößt man sehr schnell an Grenzen. Man wird gezwungen sein, vieles bei Seite zu schieben und. vieles andere stark umzuinterpretieren, um dann am Ende noch Anachronismus getrieben zu haben. Das soll nicht heißen, daß ein religiöser Mensch nicht tolerant sein kann, aber er muß andere Gründe für seine Haltung finden, damit er sich nicht in Widersprüche verwickelt und damit vor allem die Grenzen seiner Toleranz nicht nur die Schriftbesitzer, sondern auch alle anderen Menschen umfassen. Dieses Problem wurde von den reformistischen muslimischen Denkern schon längst erkannt. Der ägyptisch-muslimische Intellektuelle Nasr Hamid Abu Zaid, der 1995 wegen seiner fortschrittlichen Koranauslegung von einflußreichen Gelehrten in Ägypten zum Apostaten und ergo als vogelfrei erklärt wurde und seither im europäischen Exil lebt, gesteht ein, daß er keine klare Aussage im Koran darüber findet, ob die Demokratie und die Menschenrechte mit dem Islam vereinbar wären. Im Koran gebe es Aussagen, die mal die eine, mal die andere Position unterstützen. Hierbei spielt er auf einige widersprüchliche Verse im Koran an. Auf der einen Seite bekräftigt der Koran: „In der Religion gibt es keinen Zwang" (2/256). Auf der anderen Seite wird gesagt: „Als (einzig wahre) Religion gilt bei Gott der Islam" (3/19) oder: „Wenn sich aber einer eine andere Religion als den Islam wünscht, wird es nicht (als Ersatz für den wahren Glauben) von ihm angenommen werden" (3/85). 62 Die Frage nach dem Ursprung dieser Angaben und die Annahme, daß sie wahrscheinlich über die jüdisch-christlichen Quellen in die muslimischen Werke einsickerten, sind für meinen Diskussionsansatz hier, in dem ich von einem „islamischen Abrahambild" im Sinne eines islamisch repräsentativen Bildes ausgehe, nicht relevant. 63 Paret bezeichnet z.13. die Präsenz Abrahams in Mekka und den Bau der Kaaba durch ihn und seinen Sohn Ismael als „einen Sachverhalt, über den sich Muslime und Nichtmuslime wahrscheinlich nie werden einigen können". Rudi Paret, Mohammed und der Koran, Berlin 8 2001, 120; zu weiteren Differenzen allgemein zwischen der islamischen und der jüdisch-christlichen Darstellung Abrahams vgl. Kuschet Streit um Abraham, 168 - 212; Küng, Der Islam, 81, 83- 86. 64 Vgl. Katajun Amirpur, Gottes viele Freiheiten. Koran und Demokratie: Islamwissenschaftler sprechen in Heidelberg über letzte Dinge, SZ, 17.11.2004 (267), 17. ABBAS POYA 98 In dieser Hinsicht sind die iranisch-muslimischen Intellektuellen einen Schritt weiter. Abdolkarim Sorusch, der wichtigste zeitgenössische Islamdenker Trans, versucht nicht erst, Werte wie Menschenrechte, Toleranz oder Demokratie aus dem Koran herzuleiten. Er sagt: „Die Ära der Herleitung ist im Iran endgültig vorbei. Kein Reformer würde den Koran-Text als Referenztext zur Begründung der Demokratie benutzen." 65 Sorusch selbst argumentiert für die Menschenrechte nicht mit Bezug auf religiöse Texte oder Traditionen. Er bedient sich in seiner Begründung der Menschenrechte einer säkularistischen Sprache und geht davon aus, „daß der Mensch grundsätzlich auch außerreligiöse Rechte hat. Nur weil er ein Mensch ist, hat er diese Rechte. Diese naturgegebenen Rechte kann ihm niemand nehmen, und sie dürfen nicht den kollektiven Interessen der Gesellschaft unterworfen werden". Sorusch betrachtet die Menschenrechte ah „Werte ersten Grades", die den religiösen „Detailvorschriften", die er als „Werte zweiten Grades" definiert, nicht widersprechen. Schließlich hat für ihn die Religion in bezug auf Werte wie die Menschenrechte keine „primär wertbegründende Funktion". Ganz im Gegenteil „gründen die Religionen auf diesen Werten und leiten ihre Rechtsmäßigkeit von ihnen ab." 66 Die gegenseitige Anerkennung als unabdingbare Voraussetzung für eine „abrahamisehe Ökumene" ist eine moderne Erscheinung und gründet auf der Idee der Menschenrechte und Toleranz. Sie lässt sich schwer aus der Biographie eines Menschen, der vor tausenden Jahren gelebt hat, herleiten; und schon gar nicht, wenn dieser von verschiedenen Seiten jeweils exklusiv beansprucht wird. Die Erinnerung an ihn als einen großen Propheten, der von allen Beteiligten gleichermaßen respektiert wird, kann allerdings zu einer Atmosphäre des Vertrauens beitragen, zumindest innerhalb der drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Literaturauswahl ABDULLAH, MUHAMMAD SAUM, Islam für das Gespräch mit Christen, Altenberge 3 1990. AMIRPUR, KATAJUN, Die Entpolitisierung des Islam. 'Abdolkarim Sortigs Denken und Wirkung in der Islamischen Republik Iran, Würzburg 2003. BAUER, THOMAS/SCHNEIDERS, THORSTEN GERALD (Hg.), „Kinder Abrahams". Religiöser Austausch im lebendigen Kontext. Festschrift zur Eröffnung des Centers für religiöse Studien, Münster 2005. DABASHI, HAMID, Theology of Discontent. The Ideological Foundations of die Islamic Revolution in Iran, New York 1993. IBN KATHIR, ISMÄ1L IBN "UMAR, Qisas al-anbiyä.' , hrsg. von S. La1313äm, Beirut 1988. KONG, HANS (Hg.), Friedenspolitik. Ethische Grundlagen internationaler Beziehungen, Zürich 2003. 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