FGI NEWS – AUSGABE 05: KOMPLEXITÄT DER KOMPLEXITÄTSKOMPLEX. „For every complex problem there is a simple solution. And it is always wrong.” (Henry Louis Mencken, Publizist) Komplexität ist nicht etwa nur ein Mangel an Ordnung. Komplexität ist auch mehr als das Gegenteil von Trivialität, Banalität oder Simplizität. Komplexität ist etwas komplizierter, vor allem wenn sie gemanagt werden soll. Im unendlichen Prozess des Herausfindens, worum es kurz-, mittel- und langfristig für Unternehmen gehen könne, lauert Komplexität Managern heute überall auf: in Organisationsprozessen, in Forschung und Entwicklung, in Unternehmens- und Buchführung, in Produktion und Marketing etc. Die Frage ist also: Wie lässt sich Komplexität im Unternehmensumfeld überhaupt einfangen und annähernd definieren? Die vier Faktoren der Komplexität Diese 4 Faktoren sind entscheidend für Komplexität im Unternehmensumfeld: (1) Vielfältigkeit: Egal, um welche Art von Problem, Prozess, Entscheidung es geht – es gibt immer viele unterschiedliche Stimmen, Perspektiven, Meinungen und damit auch Störungen/Hemmnisse/Grenzen. Und sie kommen immer aus verschiedenen Richtungen: Da sind die Kunden, die Wettbewerber, die Mitarbeiter, da sind Regierungen, Aktionäre und andere Interessenten. Vielfältigkeit bedeutet also nicht bloß: Es gibt immer mehr zu beachten, sondern: immer mehr und Verschiedenes. (2) Ambiguität: Eine allgemeine Mehrdeutigkeit (also: verschiedene mögliche Interpretationen ein und desselben Sachverhalts), Unvollständigkeit von Information, Verwirrung rund um Ursache-WirkungBeziehungen – all das trägt zu einem eklatanten Mangel an Klarheit bei. (3) Verflechtung: Alles ist mit allem und jedem verbunden: ökonomisch, sozial, politisch, in Allianzen etc. Alles, was ein Unternehmen tut, ändert die Bedingungen, unter denen es etwas tut. Alles, was im Unternehmen geschieht, ist ein Ereignis, auf das andere reagieren – oder auch nicht. (4) Fluss und Tempo: dauernder und rapider Wechsel. In diesem Fluss und Tempo ist es unmöglich, die Zukunft eines Unternehmens vorherzusagen, geschweige denn zu kontrollieren. Abschied von Kontrollillusionen Vor 100, vor 50, vor 20 Jahren war alles noch nicht so vielfältig, mehrdeutig, verflochten und rasant. Die Menschen (auch und vor allem die Spezies Manager) müssen sich erst noch daran gewöhnen, dass die Bedeutung von Komplexität wächst. Und dass sie ihr Verhältnis zu Problemen und Problemlösung ändern müssen. Es gibt eben nicht mehr für jedes Managementproblem eine (und schon gar keine einfache) Lösung. Manager werden sich vom schlichten Ursache-Wirkung-Denken und damit von bewährten Strategien der Problemlösung verabschieden müssen. Denn die traditionellen Managementansätze haben alle ein Ziel, das mittlerweile unzeitgemäß geworden ist: Sie wollen Durchgriff und Kontrolle. Wo aber Komplexität ist, ist Durchgriff und Kontrolle nur sehr bedingt möglich. fgi news 05 - „Der Komplexitätskomplex“ 1 © FischerGroupInternational Wie managt man Komplexität? Es gibt verschiedene Strategieansätze, um auf Business-Komplexität zu reagieren bzw. sie zu managen. Die Erfolgschancen einer Strategie hängen dabei immer entscheidend davon ab, wie viel Sicherheit, Planbarkeit, Übereinstimmung in einem Umfeld/Problemkomplex gegeben ist. Ist das Umfeld tatsächlich stabil? Sind die Ergebnisse von Interaktionen wirklich vorhersehbar? Gibt es außerdem ein hohes Maß an Klarheit und Übereinstimmung darüber, „wer wir sind“, in welche Richtung es weiter gehen soll? Dann ist z.B. die klassische strategische Planung durchaus angebracht. Problematisch wird es, wenn ein gewählter Managementansatz der Komplexität einer Situation nicht gerecht wird. Viele Manager tendieren dazu, auch auf wachsende Komplexität (weniger stabiles Umfeld, unvorhersehbare Ergebnisse, hoher Veränderungsdruck, Zusammenbruch ehemals funktionierender Systeme, Prozesse, Kulturen) traditionell-linear, also mit verstärkter Planung und Ordnung zu reagieren. Was selten die gewünschten Ergebnisse bringt und oft direkt ins Chaos führt. Je komplexer die Situation, desto nötiger sind flexible Managementansätze. Ein in diesem Sinne interessantes, nützliches Modell ist das der begrenzten Instabilität. Es vereint Elemente der strategischen Planung mit solchen des Experimentierens und der Improvisation. Die begrenzte Instabilität, ein Mustermodell „Begrenzte Instabilität“ fußt auf der Erkenntnis, dass a) externe (zum Beispiel marktwirtschaftliche) Entwicklungen ebenso wenig langfristig vorhersehbar sind wie b) Auswirkungen menschlichen Verhaltens und Entscheidungen von Individuen oder Teams. Beide tendieren aber dazu, bestimmte Muster auszubilden. Die moderne komplexitätsaffine Führungskraft ist nun gefragt, diese Muster zu identifizieren – und zu nutzen, um strategische und verhaltenstechnische Grenzen zu setzen. Prägend für „begrenzte Instabilität“ sind: die Suche nach neuen Ideen (z.B. gern aus anderen Industrien), multikulturelle Teams, Offenheit für Experimente. Intuition und Initiative von Mitarbeitern sind ausdrücklich gewünscht und werden belohnt, Lernerfahrungen werden geteilt. Flexible Prozesse, unberechenbare Menschen Wenn man etwas Grundsätzliches über modernes Komplexitätsmanagement sagen kann, dann dies: Bei zu starker Reduktion/Simplifizierung verschließt man sich wichtigen Signalen von außen; will man die Signale alle vollständig empfangen, wird man zu langsam. Beides ist gefährlich für die Reaktion in den Märkten. Es geht darum, flexible Prozesse zu initiieren und zu gestalten. In diesen Prozessen finden sich dann die Problemlösungen. Dazu ist ein hohes Maß an Vertrauen in Menschen und ihre mentalen, emotionalen und kommunikativen Fähigkeiten nötig. Gutes Komplexitätsmanagement ist also immer auch mutig genug, die Komplexität der Unberechenbarkeit und dem Einfallsreichtum der Menschen anzuvertrauen. Prozess- und menschenorientiert managen zu können heißt für Führungskräfte konkret, Fähigkeiten wie diese zu entwickeln: - Aktivieren: sich selbst und andere zum Handeln befähigen - Kollaborieren: sich ergänzen, flexible, respekt- und vertrauensvolle Beziehungen bauen - Neugierig sein: entdecken wollen, aus Transformationsprozessen lernen, neues Wissen, neues Handeln und neue Dinge schaffen - Synchronisieren: die verschiedenen Elemente und Ebenen in einer Organisation ausbalancieren. - In Systemen denken: die Organisationen als komplexe soziale Systeme begreifen – mit bestimmten Eigenheiten und Arten, sich zu verhalten und zu interagieren. Anders ist es heute unmöglich, z.B. komplexe Veränderungsprozesse zu begreifen. Und zu gestalten. fgi news 05 - „Der Komplexitätskomplex“ 2 © FischerGroupInternational