28. Jahrgang · Nummer 1 · Januar 2005

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28. Jahrgang · Nummer 1 · Januar 2005
15 Jahre Sozialpsychiatrischer Dienst Mannheim
Grußwort des Vorstandsvorsitzenden Winfried Busche
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15 Jahre Sozialpsychiatrischer Dienst Mannheim
Zahlen, Daten, Fakten und Leistungen des Dienstes
4
Chaos im Kopf: Hilft Psychotherapie bei erwachsenen ADHS-Patienten?
5
Wie Paul McCartney „Yesterday“ schrieb
Träume und Kreativität
8
Die „Besondere Stationäre Dementenbetreuung“ in Hamburg
Aktuelle Ergebnisse einer Evaluationsstudie
10
Zwischen Heißhunger und Selbstaufgabe
Essstörungen im Erwachsenenalter
14
„Generation Schokoriegel“
Adipositas im Kindes- und Jugendalter
17
Soziales Kompetenztraining mit Jugendlichen in der Gruppe
19
White matter lesions
Quantifizierung von zerebralen Durchblutungsstörungen bei der Altersdemenz
23
Über Yokohama und San Francisco nach Mannheim
12th World Congress of the International Society on Biomedical Research
on Alcoholism (ISBRA) vom 29.09. bis 02.10.2004 in Heidelberg und Mannheim
25
Tabakabhängigkeit und Rückfall
Was wir von Bildgebenden Verfahren lernen können
26
Kinder spielen Weihnachtsengel
Bescherung beim Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
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Autorinnen und Autoren
Dr. Barbara Alm, Oberärztin, Leiterin der Ambulanz der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Helene Aumüller, Leiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes in Mannheim
Mira Bühler, Wissenschaftl. Mitarbeiterin an der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin
Winfried Busche, Verwaltungsdirektor des ZI
Dipl.-Psych. Marinella Damian, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Neuroradiologie
Daniela Dreyfürst, Mannheimer Morgen, Redaktion Nachbarschaft
Daniel Erlacher, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Schlaflabor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Yvonne Grimmer, Assistenzärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und
Jugendalters
Dr. Ingrid Hendlmeier, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie
Prof. Dr. Frank Hentschel, Leiter der Abteilung Neuroradiologie
Dipl.-Psych. Thomas Hintz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Klinik für Abh. Verhalten und Suchtmedizin
Markus Kreis, Assistenzarzt in der Abteilung Neuroradiologie
Prof. Dr. Karl Mann, Ärztlicher Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin
Dipl.-Rom. Silke Merkel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Klinik für Abh. Verhalten und Suchtmedizin
Dr. Martina Schäufele, Stellvertretende Leiterin der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie
Priv.-Doz. Dr. Michael Schredl, Wissenschaftl. Leiter der Schlafforschung der Klinik für Psychiatrie
und Psychotherapie
Dr. Esther Sobanski, Ärztin der Ambulanz der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Christiane Schwanke, Krankenschwester in der Weiterbildung zur Fachschwester für Psychiatrie
Janina Vitt, Dipl.-Sportwissenschaftlerin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
Prof. Dr. Siegfried Weyerer, Leiter der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie
Impressum
Herausgeber: Zentralinstitut
für Seelische Gesundheit
68159 Mannheim, J 5
Redaktion: Dr. Marina Martini
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Telefon: 0621/17 03-1301, -1302
Telefax: 06 21/17 03-1305
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.zi-mannheim.de
Nachdruck nur mit Genehmigung.
Hinweis:
Auch wenn in den folgenden Texten
auf die weibliche Form bei der Benennung von Personen verzichtet
wird, sind selbstverständlich immer
Frauen und Männer gemeint.
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15 Jahre Sozialpsychiatrischer Dienst Mannheim
Grußwort des Vorstandsvorsitzenden Winfried Busche
Heute betreut der Dienst rund 800 Klienten.
Neben seiner Kernaufgabe, der Grundversorgung psychisch kranker Menschen, werden
Leistungen wie Soziotherapie, Angebote für
Kinder psychisch kranker Eltern, ambulant betreutes Wohnen für wohnungslose psychisch
Kranke sowie Tagesstätten angeboten.
Diese Vielfalt an Leistungen erbringen derzeit
zehn Mitarbeiter der SpDi-Zentrale sowie weitere vier Mitarbeiter in den Tagesstätten, denen
allen ich an dieser Stelle für ihre hervorragende
Arbeit in einem sehr schwierigen Aufgabenbereich herzlich danken möchte.
Sehr verehrte Frau Bürgermeisterin Fürst-Diery,
Sehr geehrte Mitglieder des Stadtrates,
Verehrte Gäste, liebe Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Dienstes,
in meiner Funktion als Vorstandsvorsitzender
der Arbeitsgemeinschaft Sozialpsychiatrischer
Dienst Mannheim begrüße ich Sie herzlich zur
heutigen Feier anlässlich des fünfzehnjährigen
Bestehens unserer Einrichtung.
„Die Geburt war schwer und lang – das Ringen um das Kind vieler Väter hat sich aber
gelohnt“
zitierte der Mannheimer Morgen am 19.09.1989
zur Eröffnung des SpDi.
Viele Väter, das waren die Vertreter der vier
Träger des Dienstes:
x Max Jaeger und Claus-Peter Sauter für den
Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt
x Dr. Rudolf Walter für den Caritasverband
Mannheim
x Pfarrer Ernst Ströhlein für den DiakonieVerein im Diakonischen Werk Mannheim
x Prof. Heinz Häfner und Peter Fischer für
das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
Mannheim
x aber auch Volker Lattek für die Stadt Mannheim – seit Gründung und bis heute Geschäftsführer des Dienstes, der im Auftrag
des damaligen Sozialdezernenten Wolfgang
Pföhler das Modell der Trägervielfalt als
Grundlage einer – heute aktueller denn je –
integrativen und vernetzten Versorgungsstruktur für psychisch Kranke in die Wege
leitete.
Die ärztliche Beratung des Dienstes leistete
damals wie heute Privatdozent Dr. Burkhardt
Voges vom Zentralinstitut, während ebenso
Prof. Dr. Gerd Ulmar als Ansprechpartner des
Psychiatrischen Zentrums Nordbaden zur Verfügung stand und steht.
Bei so vielen Vätern bleibt als einzige Mutter
Helmtraut Schmidt-Gante zu nennen, die bis zu
ihrem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2001 als
fachliche Leitung die Interessen des Dienstes
und seiner Klienten mit großem Engagement
vertreten hat, was dann nahtlos von ihrer Nachfolgerin Helene Aumüller übernommen und
fortgeführt wurde.
Ihnen allen gilt unser Dank dafür, dass sie die
Interessen der vier Träger, der Kostenträger
und der Klienten vereinen und so den Sozialpsychiatrischen Dienst in Mannheim etablieren
konnten.
Das Leistungsangebot für psychisch Kranke in
Mannheim entspricht bereits heute grundsätzlich den Vorstellungen des Landes für die Umsetzung des Gemeindepsychiatrischen Verbundes bzw. Gemeindepsychiatrischen Zentrums.
Die Zusammenarbeit zwischen SpDi, Kliniken,
Ambulanzen, niedergelassenen Ärzten und
Therapeuten, Pflegeheimen, Betreutem Wohnen, Clubs, Werkstätten, Beratungsstellen und
Selbsthilfegruppen ist bereits sehr gut und kann
in nächster Zukunft weiter intensiviert werden.
Die Stadt Mannheim hat mit sozialpolitischem
Weitblick bereits in den siebziger Jahren durch
die Ansiedlung des Zentralinstituts für Seelische
Gesundheit in der Stadtmitte und später durch
die Einbindung der freigemeinnützigen Träger
im SpDi eine beispielhafte Versorgungsstruktur
für psychisch Kranke geschaffen.
Risiken für diese Basis entstehen jedoch durch
die von Frau Fürst-Diery bereits genannten
jüngsten Veränderungen der Finanzierung des
Dienstes. Wir hoffen, dass es der Stadt Mannheim weiterhin gelingt, die Mittel für eine Sicherung der Leistungsangebote des SpDi zu realisieren und somit weitaus höhere Folgekosten
für Kommune, Land und Krankenkassen zu
verhindern.
Ich darf Ihnen, Frau Bürgermeisterin, hierzu die
Unterstützung der Träger des SpDi zusichern,
wir sind bereit und in der Lage, das Leistungsangebot bei Sicherung einer hinreichenden
Finanzierung aufrechtzuerhalten und bedarfsgerecht zur Unterstützung unserer psychisch
kranken Mitbürger weiterzuentwickeln.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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15 Jahre Sozialpsychiatrischer Dienst Mannheim
Zahlen, Daten, Fakten und Leistungen des Dienstes
x
Der Sozialpsychiatrische Dienst (SpDi) Mannheim hat im Mai 1989 seine Arbeit aufgenommen. Als zentrale Anlaufstelle für psychisch
kranke Menschen im Stadtgebiet Mannheim, ist
er ein wesentlicher Bestandteil der ambulanten
psychosozialen Versorgung. Das bedeutet,
dass der Dienst psychisch kranken Menschen
im Einzugsgebiet psychosoziale Hilfen erschließt und anbietet und Meldungen auch von
Dritten abklärt. Der Dienst ist auch Ansprechpartner für Angehörige, Freunde, Nachbarn u.a.
Er arbeitet gemeinwesenbezogen und erschließt Hilfen im Stadtteil.
Psychisch erstmals erkrankte Menschen mit
einer erheblichen psychosozialen Problematik
x Menschen mit Doppeldiagnosen, wie Psychose und Suchterkrankung oder psychische Erkrankung und schwerer körperlicher
Erkrankung, wobei die psychiatrische Erkrankung die Leitdiagnose sein sollte
x Psychisch kranke Eltern
x Psychisch kranke Menschen, die wohnungslos geworden sind oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind
x alt geworden psychisch kranke Menschen
(ohne dementielle Erkrankung)
x Menschen nach Entlassung aus der forensischen Psychiatrie
x Psychisch kranke Menschen mit Migrationserfahrung und oder aus Migrantenfamilien
Psychisch Kranke mit leichten Störungen bedürfen in der Regel keiner Betreuung durch den
Sozialpsychiatrischen Dienst. Auch Personen
mit allgemeinen Befindlichkeitsstörungen zählen
nicht zur Klientel.
Die Trägerschaft für den SpDi haben die Arbeiterwohlfahrt, der Kreisverband Mannheim-Stadt
der Caritasverband Mannheim, der Diakonieverein im Diakonischen Werk Mannheim und
das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
Mannheim übernommen.
Aufgaben
Aufgaben des Dienstes sind nach den Richtlinien des Landes Baden-Württemberg ambulante Leistungen für psychisch Kranke und seelisch Behinderte Menschen anzubieten, deren
Versorgungsbedürfnisse weder vom medizinischen Versorgungssystem noch von anderen
sozialen Diensten allein ausreichend befriedigt
werden können. Die Hilfeleistungen der sozialpsychiatrischen Dienste ergänzen die ärztlichpsychiatrische Behandlung. Seit der Richtlinienänderung vom Dezember 2002 können die
Dienste außerdem Soziotherapie sowie Leistungen des Betreuten Wohnens gegen Entgelt
erbringen.
Leistungen
Die Leistungen des SpDi leiten sich von den
Richtlinien ab und umfassen Beratung, Betreuung und Begleitung im Sinne von Vorsorge,
Nachsorge und Krisenintervention bei dem
oben beschriebenen Personenkreis.
Zur Vorsorge zählt die möglichst frühzeitig angemessene Betreuung von Personen mit
krankheitsbedingten psychosozialen Störungen,
um stationäre Behandlungen zu verhüten oder
aber rechtzeitig in Anspruch zu nehmen.
Durch die Nachsorge sollen stationäre Aufenthalte verkürzt, Wiederaufnahmen verhütet oder
als stationäre Krisenintervention genutzt werden. Ambulante Kriseninterventionen werden
vorrangig bei bereits betreuten chronisch psychisch kranken und seelisch behinderten Menschen durchgeführt.
Im Rahmen von Information, Auskunft und Vermittlung werden Hilfesuchenden im Sinne von
kurzfristigen Hilfen spezifische Angebote vermittelt oder aufgezeigt.
Weitere Leistungen des Dienstes sind die ambulant aufsuchenden Hilfen. Um Menschen den
Zugang zu erforderlichen weiterführenden Hilfen zu ermöglichen, ist der Aufbau von Vertrauensbeziehungen als Grundlage für weiterführende Hilfeprozesse innerhalb und außerhalb
des Gemeindepsychiatrischen Verbundes erforderlich.
Ziele
Ziel des Dienstes ist es, chronisch psychisch
Kranke, die nicht mehr oder noch nicht zu einer
selbständigen Lebensführung in der Lage sind,
durch spezifische Hilfen ein erträgliches Leben
in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Vorrangig
sollen den langfristig in psychiatrischen Krankenhäusern behandelten psychisch kranken
Menschen die Entlassung ermöglicht werden
und Krankheitsrückfälle und Krankenhausaufenthalte verhütet werden.
Das heißt, Menschen die an Schizophrenie,
schizotypen und wahnhaften Störungen, affektiven Störungen, lang anhaltenden und ausgeprägten neurotischen Störungen und schweren
Persönlichkeitsstörungen erkrankt sind, werden
durch Mitarbeiter des SpDi beraten, betreut und
begleitet. Die genannten Diagnosen schließen
folgende Personenkreise ein:
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der Arbeitsgemeinschaft Sozialpsychiatrischer
Dienst geführt und fachlich geleitet.
Die Feststellung des Hilfebedarfs, der Hilfeplanung und der Hilfeprozessplanung gehört als
wesentliches Element zur sozialpsychiatrischen
Betreuung. Dabei wird gemeinsam mit dem
Betroffenen und seinem sozialen Umfeld der
Hilfebedarf ermittelt und die Planung und Koordination der Hilfen vorgenommen.
Die Sicherstellung der materiellen Grundversorgung von psychisch kranken Menschen als
Leistung des Dienstes erfordert nachgehendes
Tätigwerden und die Einbeziehung des sozialen
Umfeldes. Eine enge Zusammenarbeit mit anderen Diensten und Institutionen bzw. eine
Vermittlung dorthin, z. B. zur Schuldnerberatung, zu den Sozialhilfestellen, zur Wohnraumsicherung, ist dabei erforderlich. Wenn auf
Grund der psychischen Erkrankung die Sicherstellung der materiellen Grundbedürfnisse nicht
in Zusammenarbeit mit dem Klienten erreicht
werden kann, regt der SpDi Maßnahmen nach
dem Betreuungsrecht an.
Durch die Langzeitbegleitung von psychisch
kranken Menschen, die in ihrer Lebenssituation
und ihren Fähigkeiten erheblich eingeschränkt
sind, sowie deren Angehörige werden Ziele wie
der Verbleib im Gemeinwesen, die Vermeidung
von stationären Hilfemaßnahmen, Stabilisierung
der Lebenslage und Förderung der Lebensqualität sowie die Förderung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nachhaltig vorangebracht.
Gemeinsam mit der Psychologischen Beratungsstelle der Evangelischen Kirche bietet der
Dienst für Kinder psychisch kranker Eltern und
psychisch kranke Eltern („Mannheimer Initiative
Kinder psychisch kranker Eltern“) ein Hilfsangebot im Sinne von Case-management an. Der
Dienst leistet hier spezifische fachübergreifende
Beratung gegenüber sozialen Einrichtungen. Mit
dem Angebot wird präventive Hilfe gewährt.
Neben den fallbezogenen Leistungen ist der
Sozialpsychiatrische Dienst im Gemeindepsychiatrischen Kontext verbund- und gemeindebezogen tätig. Neben der Beobachtung der
Bedarfsentwicklung, deren konzeptionellen
Aufarbeitung und Vermittlung in die Planungsgremien fördert der Dienst Selbsthilfeaktivitäten
von Angehörigen und Psychiatrie-Erfahrenen,
durch fachübergreifende Beratung wird die
Kompetenz des Gemeinwesens im Umgang mit
psychisch erkrankten Menschen gefördert.
Die Förderungssituation
Die Fördersituation des Sozialpsychiatrischen
Dienstes hat sich seit 1989 deutlich verändert.
Die ursprüngliche Mischfinanzierung aus Kommune, Land, Krankenkassen und den Trägern
der Dienste hat sich seit 2002 deutlich verändert. Die Finanzierung des Dienstes setzt sich
seit 2003 zusammen aus der Pauschalfinanzierung mit einem höherem Anteil der Kommune,
50% des ursprünglichen Förderanteils des Landes, Eigenanteilen der Träger und ergänzende
einzelfallbezogene Finanzierungsanteile des
Dienstes. Durch die Reduzierung der Pauschalfinanzierung durch das Land wurde eine Kürzung der Personalressourcen unumgänglich.
Gleichzeitig ist aber der Zustrom von Hilfesuchenden nicht zurückgegangen. So kamen
1998 auf einen Mitarbeiter 121 Hilfesuchende
während im Jahr 2003 auf einen Mitarbeiter 155
Hilfesuchende kamen.
Helene Aumüller
Chaos im Kopf:
Hilft Psychotherapie bei
erwachsenen ADHS-Patienten?
In den vergangenen Jahren ist die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen (ADHS) zunehmend in das klinische, wissenschaftliche und öffentliche Interesse gerückt. Mittlerweile ist bekannt, dass ADHS
im Erwachsenenalter eine häufige Störung ist.
So ermittelte eine kürzlich beendete Feldstudie
in den USA eine Prävalenz von ADHS im Erwachsenenalter von 4,4%. Ferner werden eine
hohe Komorbidität für weitere psychiatrische
Störungen und Suchterkrankungen beschrieben
(etwa 50-60%). Auch zeigt sich, dass erwachsene ADHS-Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen in vielen Lebensbereichen wie Ausbildung, Arbeit und Partnerschaft
ein deutlich geringeres Funktionsniveau aufweisen.
Bisher standen Untersuchungen zu neurobiologischen Grundlagen, diagnostischen Verfahren
und medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten im Vordergrund der Forschung. Zur medikamentösen Therapie gibt es mehrere kontrollierte Studien, die die Effektivität von Stimulanzien und noradrenerg wirksamen Antidepressiva gut belegen. Neben den Kernsymptomen
Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität und
Der Dienst arbeitet eng mit den niedergelassenen Nervenärzten und bei Bedarf mit den
Hausärzten, Psychotherapeuten, dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit und dem Psychiatrischen Zentrum Nordbaden in Wiesloch
zusammen. Die Tagesstätte sowie Betreutes
Wohnen für psychisch Kranke und wohnungslose psychisch Kranke wird unter Trägerschaft
5
Impulsivität sind weitere Symptome der ADHS
eine affektive Instabilität, Desorganisiertheit und
eine Störung der Affektkontrolle. Aufgrund dieser komplexen Symptomatik, der Komorbidität
und den Funktionsstörungen wird deutlich, dass
eine alleinige Pharmakotherapie zur Behandlung oft nicht ausreichen wird, sondern ein
kombiniertes Verfahren angezeigt ist.
Im Rahmen der Evaluation des Freiburger Programms wird das Gruppenprogramm seit 2003
in unserer Ambulanz durchgeführt. Bisher nahmen 36 Patienten daran teil. Inzwischen ist eine
überarbeitete Version des Manuals veröffentlicht worden und im Handel erhältlich (Hesslinger B, Philipsen A, Richter H: Psychotherapie
der ADHS im Erwachsenenalter, 2004 Hogrefe).
Therapeutische Leitlinien
2003 sind im deutschsprachigen Raum von
einer Expertenkommission Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter veröffentlicht worden. Darin wird dargestellt, dass die Entscheidung für eine Behandlung abhängig ist vom Ausprägungsgrad
der ADHS, von den psychischen und sozialen
Beeinträchtigungen und der Relevanz der Symptome. Eine Behandlungsempfehlung wird dann
gegeben, wenn in einem Lebensbereich ausgeprägte Störungen oder in mehreren Lebensbereichen leichte Störungen oder krankheitswertige beeinträchtigende psychische Symptome
bestehen und diese eindeutig auf eine ADHS
zurückgeführt werden.
Aufbau des Freiburger Gruppenprogramms
Das Therapieprogramm besteht aus 13 Sitzungen und hat verschiedene Module, die einmal
eine ausführliche Information über alle wichtigen Aspekte von ADHS beinhalten, u.a. Symptomatik, Diagnostik, Neurobiologie und Behandlung. Dann werden Verhaltensstrategien
unter Verwendung von Hausaufgaben für wichtige, ADHS-relevante Bereiche besprochen und
eingeübt: Alltagsstrukturierung, Organisationsplanung, Achtsamkeitsübungen, Emotionsregulation, Impulskontrolle und Stressmanagement.
Die Ziele dieser Psychotherapie werden genau
definiert. Die einzelnen Therapieelemente und
die Anwendung werden in Arbeitsblättern vorgestellt und erläutert. Ein wesentliches Ziel wäre, "ADHS zu kontrollieren und nicht durch
ADHS kontrolliert zu werden". Das Schwergewicht des Gruppenprogramms liegt insgesamt
auf der Informationsvermittlung und der Einübung von Lösungsstrategien. Wichtiger Gedanke ist, eine Balance zwischen Akzeptanz
und Veränderung zu finden.
Die Stimulanzienbehandlung mit Methylphenidat wird als wirksam bewertet und als medikamentöse Therapie erster Wahl empfohlen, wobei bis jetzt (Stand: November 2004) in
Deutschland kein Medikament für die Behandlung von Erwachsenen mit ADHS zugelassen ist
Die Behandlung erfolgt immer noch im Rahmen
der sogenannten „off-label“-Verordnung. Ziel
einer pharmakologischen Behandlung ist es
vorrangig, auf die Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität einzuwirken, während andere Symptome wie Organisationsdefizite, Affektlabilität, Interaktionsprobleme und mangelndes Selbstwertgefühl sowie
Vermeidungsverhalten durch eine Psychopharmakotherapie nicht oder nur unwesentlich gebessert werden können.
Strukturmerkmale der Gruppen
Die Gruppengröße soll 7 bis 9 Teilnehmer
betragen, die Dauer beträgt mindestens 13
Sitzungen, einmal wöchentlich für 2 Std. Es
handelt sich um eine geschlossene Gruppe, die
von zwei Therapeuten geleitet wird. Der Ablauf
der einzelnen Sitzungen soll ähnlich verlaufen.
Begonnen wird mit einer Achtsamkeitsübung,
es folgt die Hausaufgabenbesprechung, dann
werden die neuen jeweiligen Inhalte vermittelt
und die Hausaufgaben bis zur nächsten Sitzung
besprochen. Die Teilnehmer schließen zu Beginn der Gruppe einen Therapievertrag ab,
stimmen den Hausaufgaben und der Bearbeitung von therapiegefährdendem Verhalten (wie
Unpünktlichkeit, unentschuldigtes Fehlen) zu.
Psychotherapie und ADHS
Bis zum Jahr 2002 gab es keine Veröffentlichung über Untersuchungen zur psychotherapeutischen Behandlung bei erwachsenen
ADHS-Patienten. 2002 wurden zwei Studien
publiziert, die sich mit einem störungsspezifischen, stark strukturierten Gruppenprogramm
beschäftigt haben. Ein Gruppenprogramm wurde von einer australischen Arbeitsgruppe
durchgeführt, ein weiteres Gruppenprogramm
von der Freiburger ADHS-Arbeitsgruppe. Beide
führten eine Untersuchung zur Wirksamkeit
durch. Insgesamt wurde eine Reduktion der
ADHS-Symptomatik beschrieben, eine Verbesserung des psychischen Befindens und der
Selbstakzeptanz.
Es werden nicht die Beziehungen innerhalb der
Gruppe fokussiert oder thematisiert. Hauptfokus
ist die Vermittlung von Information und Strategien im Umgang mit ADHS bei Erwachsenen.
Die einzelnen Sitzungen
x Vorstellung, Klärung: Terminabsprachen,
Symptomatik und Diagnostik bei ADHS, allgemeine Zieldefinition „ADHS zu kontrollieren,
anstatt von ADHS kontrolliert zu werden“
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Bisherige Ergebnisse
Bisher wurden die Daten von 30 erwachsenen
ADHS-Patienten ausgewertet. Die Teilnehmer
hatten entweder keine Medikation oder waren
stabil auf Stimulanzien eingestellt. In der Untersuchung verbesserten sich die Patienten im
Vergleich vor und nach der Psychotherapie
signifikant in ihrer Selbsteinschätzung in den
eingesetzten psychometrischen Skalen bezüglich der ADHS-Symptomatik (ADHS-Checkliste
nach DSM-IV und SCL-16, Items aus der SCL90-R, die häufig von Personen mit ADHS angegeben werden), bezüglich der Depressivität
(Beck-Depressions-Inventar) und bezüglich des
Gesamtbefindens, gemessen an einer visuellen
Analogskala. Die Teilnehmer schätzten die Therapie als wirksam ein. Als wirksamste Faktoren
wurden die Gruppensituation, die Informationsvermittlung und das Einüben von störungsrelevanten Fertigkeiten genannt. Die Therapiezufriedenheit, gemessen im Selbstrating, war
groß.
x Neurobiologie, Achtsamkeit I: Information
über Neurobiologie bei ADHS, Prozesse im
ZNS. Einführung in das Achtsamkeitstraining
nach Marsha Linehan: „Was-Fertigkeiten“:
Wahrnehmen, beschreiben und teilnehmen.
„Wie-Fertigkeiten“: Nicht wertend, fokussiert und
wirkungsvoll
x Achtsamkeit II: Achtsamkeitsübungen trainieren und in den Alltag integrieren lernen
x Chaos und Kontrolle: Definition: „Chaos ist,
wenn ADHS mich kontrolliert, Kontrolle ist,
wenn ich ADHS kontrolliere“. Zeitplanung, Organisationsplanung, Merkhilfen
x Verhaltensanalyse I: Konzept: „Problemverhalten ist Verhalten, das ich ändern will“. Teilnehmer erlernen Verhaltensanalysen: Beschreibung des Problemverhaltens im Detail,
typische Situationen; vorausgehende Bedingungen, Konsequenzen, alternative Problemlösestrategien
x Verhaltensanalyse II: Ziel: Verhaltensanalysen in Eigenregie durchführen
x Gefühlsregulation: Einführung in die Theorie
der Gefühle, Primäremotionen, Kommunikationscharakter von Emotionen, Körperwahrnehmungen, Übungen zur Emotionswahrnehmung
und Emotionsregulation, Kontrolle von Wut und
Ärger
x Depression, Medikamente bei ADHS: Depression als häufige Komorbidität, Information
über Symptome und Behandlungsmöglichkeiten, Information über medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten bei ADHS, Wirkung und
Nebenwirkung, Erfahrungsaustausch
x Impulskontrolle: Verhaltensanalyse bezüglich Impulskontrollstörungen, kurz- und langfristige Konsequenzen von Impulsivität, zielorientiertes Verhalten erlernen, "was macht die
Zündschnur länger?"
x Stressmanagement: Zusammenhang von
desorganisiertem Verhalten mit subjektivem
Erleben von Stress, "Jonglieren mit zu vielen
Bällen
gleichzeitig",
ressourcenorientiertes
Stressmanagement, Sport
x Sucht: Süchtiges Verhalten als häufige Komorbidität, "Wonach bin ich süchtig?" (Alkohol,
Tabak, andere Substanzen, Sport, HochrisikoVerhalten, etc.). Indikation für Alternativverhalten bzw. Entzug
x Beziehung, Selbstachtung: Schriftliche Information der Angehörigen über ADHS und
Therapie. Folgen von ADHS für Biographie,
Beziehungen und Selbstvertrauen, Vorteile
durch ADHS gegenüber Menschen ohne ADHS
x Rückblick und Ausblick: Erfahrungsaustausch, Rückmeldung und Verbesserungsvorschläge, mögliche Überführung in Selbsthilfegruppe, Abschied
Ausblick
Eine abschließende Bewertung der Effektivität
des Gruppenverfahrens wird aber erst nach
einer randomisierten Studie möglich sein. Aufgrund der bisher kleinen Fallzahlen sollen die
Ergebnisse als Hinweis auf eine gute Wirksamkeit der störungsspezifischen Psychotherapie
bei ADHS im Erwachsenenalter gesehen werden. Bisher kann keine Aussage anhand der in
der Literatur vorliegenden Untersuchungen über
Differentialindikationen und über die jeweilige
Wirksamkeit eines Vergleichs von therapeutischen und medikamentösen Verfahren gemacht
werden. Ebenfalls ist über Effekte von Kombinationsbehandlungen bei erwachsenen Patienten
nichts bekannt.
Für die Zukunft wird es erforderlich sein, das
Gruppenprogramm mit einer Kontrollgruppe
weiter zu evaluieren, ferner die Wirksamkeit
einer möglichen Kombinationsbehandlung zu
untersuchen, um bessere Kriterien für eine Therapieempfehlung für unsere Patienten zur Verfügung zu haben, damit sich langfristig die Lebensqualität und das Selbstwertgefühl verbessern.
Bis zum heutigen Zeitpunkt sind keine kontrollierten Studien zur Einzelpsychotherapie bekannt - es existieren einige Falldarstellungen
über kognitive Verhaltenstherapie. Eine amerikanische Arbeitsgruppe hat 18 Patienten ohne
Kontrollgruppe kognitiv-verhaltenstherapeutisch
mit Erfolg behandelt, jedoch wurden keine genauen Aussagen über die begleitende pharmakologische Therapie gemacht.
Barbara Alm, Esther Sobanski
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Wie Paul McCartney „Yesterday“ schrieb
Träume und Kreativität
beeinflusst. Zwei Studien zu diesem Thema
sollen im Folgenden im Überblick dargestellt
werden.
Es gibt viele Beispiele, die zeigen, wie Träume
kreativ schaffende Menschen inspiriert haben.
Bekannt sind z. B. die surrealistischen Bilder
von Salvador Dali. Filmemacher wie Ingmar
Bergmann („Wilde Erdbeeren“), Carlos Saura
oder Federico Fellini haben ihre eigenen
Traumbilder in Filmsequenzen direkt umgesetzt.
Ein Beispiel aus dem Bereich Literatur ist die
Geschichte von Dr. Jekyll and Mr. Hyde mit der
Verwandlung des einen in den anderen, ein
Element von dem der Schriftsteller Robert Louis
Stevenson vorher geträumt hatte. Paul
McCartney hat die Melodie des Hits „Yesterday“
im Traum gehört und konnte es zunächst gar
nicht glauben, dass es ein bis dahin unbekanntes Lied war.
Datengrundlage
Im Rahmen einer Studie mit dem Titel „Schlaf,
Traum und Persönlichkeit“ füllten 444 Versuchsteilnehmer (376 Frauen, 68 Männer; großteils Studierende der Fachrichtung Psychologie)
mehrere Fragebogen aus, unter anderem wurde
nach der Häufigkeit der Traumerinnerung gefragt und nach der Häufigkeit von kreativen
Träumen. Zusätzlich wurden auch Persönlichkeitsaspekte, die Einstellung zu kreativen Tätigkeiten und das Ausüben von kreativen Tätigkeiten
in der Freizeit
(Malen,
Musizieren/Komponieren, Handarbeit mit Entwerfen
eigener Muster) erfasst.
Die zweite Studie wurde im Internet auf der
Seite
„www.klartraum.de“
von
Daniel
Erlacher durchgeführt. Neben den Fragen zur
Traumerinnerung und der Anzahl der kreativen
Träume wurden die Teilnehmer gebeten, ein
Beispiel für einen kreativen Traum, den sie erlebt haben, zu schildern.
Neben den kreativen Träumen der Künstler sind
auch in der Wissenschaft einige Fälle bekannt
geworden, in denen Träume zur Lösung von
schwierigen Problemen beigetragen haben.
Ausgerechnet das bekannteste Beispiel von
Auguste von Kerkule, der die Struktur des Benzolrings aufgrund eines Traumes von einer
Schlange, die sich in den Schwanz beisst, entdeckt hat, ist auch mit Zweifeln behaftet, da
Kerkule den Traum erst Jahre nach der Entdeckung berichtet hat. Andere „Traumlösungen“
bezogen sich auf die Struktur des Periodensystems (Dimitri Mendeleyev), die Erfindung der
Nähmaschine (Elias Howe) und Dechiffrierung
babylonischer
Hieroglyphen
(Herman
V.
Hilprecht).
Ergebnisse
Im Durchschnitt erinnerten sich die Teilnehmer
an etwa drei Morgen pro Woche (3.11 ± 2.42)
an ihre Träume. Es trat ein deutlicher Geschlechtsunterschied auf, der schon in vielen
anderen Studien gezeigt wurde: Frauen erinnerten sich häufiger an ihre Träume. Die Anzahl
der kreativen Träume lag bei etwa einem Traum
pro Monat (1.05 ± 2.47), d.h., ca. 7.8 % aller
Träume wiesen ein kreatives Element auf. Hier
war die Häufigkeit bei Männern und Frauen
gleich. Unterschiede zwischen den beiden Studien (Fragebogenstudie und Online-Befragung)
waren nicht nachzuweisen. Die berichteten
Beispiele wurden in vier Gruppen zusammengefasst und sind im nächsten Abschnitt dargestellt.
Die statistische Analyse (multiple Regression;
Fragebogenstudie) zeigte, dass folgende Faktoren das Auftreten von kreativen Träumen am
stärksten beeinflusst: die Traumerinnerungshäufigkeit, die Persönlichkeitsdimension „Dünne
Grenze“, die positive Einstellung zu kreativen
Aktivitäten und die visuelle Vorstellungskraft.
Der Zusammenhang zur Traumerinnerung ist
leicht nachvollziehbar, je mehr Träume erinnert
werden, desto größer ist die Chance, dass auch
ein kreativer Traum dabei ist. Die Persönlichkeitsdimension „Dünne Grenzen“ beschreibt
sehr sensible, stressanfällige (häufigere Alp-
Eine dritte Kategorie bezieht sich auf Träume,
die durch ihren Inhalt dem Träumer oder der
Träumerin einen Anstoß geben, im Wachleben
umzudenken und ihr Verhalten zu ändern. Ein
sehr eindrückliches Beispiel berichtete William
C. Dement, einer der Pioniere der modernen
Schlaf- und Traumforschung. Zum Zeitpunkt
des Traumes war er starker Raucher und träumte davon, dass er zum Arzt geht, geröntgt wird
und die Diagnose eines Lungenkrebses gestellt
bekommt. Er wird sehr traurig bei der Vorstellung, seine Kinder nicht heranwachsen zu sehen. Der sehr intensive Traum veranlasste den
Forscher sofort mit dem Rauchen aufzuhören
und er kann heute, im Alter von über 70 Jahren,
auf eine beeindruckende Forschungs- und Lehrtätigkeit zurückblicken.
Obwohl solche Beispiele für kreative Träume
häufig berichtet und publiziert werden, liegen
erstaunlich wenige Studien vor, ob und wie
Träume die Kreativität bei „normalen“ Menschen
8
ner Diplomarbeit bewusst, den ich anschließend
entsprechend der neuen Berechnungsformel im
Traum beheben konnte.“
Beispiele Anstoß durch den Traum: „Ich träume
von einem Mädchen an meiner Schule, das ich
attraktiv finde, und bekomme dadurch Motivation und Ansporn, sie anzusprechen.“ „Ich habe
geträumt, dass ich auf einer Theaterbühne stehe. Nur ich war auf der Bühne, ohne Publikum.
Ich sang und hörte Beifall, ohne Zuschauer zu
sehen. Daher beschloss ich, Gesangsunterricht
zu nehmen.“
Beispiel Emotionale Erkenntnis: „Ich saß in
einem Zugabteil, hatte eine Handtasche auf
dem Schoß, die sich unabsichtlich öffnete und
alles fiel heraus. Ein Mann wollte mir helfen, es
wieder hineinzutun. Doch es waren so viele
Utensilien, dass alles oben wieder heraus quoll.
Danach habe ich beschlossen, bei mir wieder
einmal zu schauen, von welchen Dingen/Gedanken ich mich trennen sollte. Also das
Leben vereinfachen.“
träume) und kreative Menschen, so dass es
plausibel erscheint, dass solche Menschen
häufiger Inspirationen durch ihre Träume bekommen. Dieser Befund wird ergänzt durch die
Einstellung zur Kreativität und der besseren
visuellen Vorstellungskraft.
Berichte von kreativen Träumen
Insgesamt wurden in der Online-Befragung 272
verwertbare Beispiele zu kreativen Träumen
angegeben.
Themen
Anzahl
Kreativität
Malen
Schreiben
Musik
Anderes (Homepage, Rezept, Geschenk)
30
25
5
24
Problemlösung
Traum als Anstoß
Kontaktaufnahme,
Reisen etc
Diskussion und Ausblick
Die Ergebnisse der beiden Studien zeigen sehr
deutlich, dass Träume auch bei „normalen“
Menschen kreative Anstöße geben können, sei
es bei einem künstlerischen Hobby, bei Problemen bei der Arbeit oder als Anstoß für das Verhalten im Alltag. Diese Forschung ergänzt die
Studien, die zeigen, dass sich das Wachleben
im Traum widerspiegelt. So bilden Träume und
Wachleben eine Einheit oder Kontinuität. Gerade in kreativen Berufen oder zum Beispiel auch
bei komplexen motorischen Fertigkeiten könnte
ein gezieltes Trainieren im Traum sich nützlich
auf das weitere Wachleben auswirken.
49
11
11
4
Arbeit/Referat/Vortrag
Computer
Mathematik
Motorische Fertigkeiten
73
Beziehungen,
Emotionale Erkenntnis durch Träume
40
Tabelle 1: Themen der kreativen Träume
Beispiel Malen: „Im Traum sah ich eine Meerjungfrau, die sich dann in einen Schmetterling
verwandelt hat. Das habe ich als Basis für ein
Pastellbild genutzt.“
Beispiel Schreiben: „Ich träume oft, ich kann
fliegen. Das hat mich auf die Idee gebracht, ein
Buch zu schreiben, indem ein Mensch wirklich
fliegen kann. Er fliegt, um seine Geliebte zu
suchen, und versetzt die Menschen in Angst
und Schrecken.“
Beispiel Kreativität Sonstiges: „Ich habe einmal
kurz vor dem Geburtstag meiner Mutter davon
geträumt, was man ihr schenken könnte. In dem
Traum habe ich ganz genau ihre Reaktion auf
das Geschenk gesehen und habe es dann auch
gekauft und sie hat sich tatsächlich so gefreut,
wie ich es mir im Traum vorstellt habe.“
Beispiele Problemlösen: „Mein PC war kaputt
und ich träumte davon, wie ich ihn am besten
reparieren könnte. Ich wachte am nächsten
Morgen auf und es war klar, wie ich ihn wieder
zum Laufen kriegen konnte.“ „Im Traum wurde
mir ein Fehler in einer Berechnungsformel mei-
Michael Schredl, Daniel Erlacher
9
Die „Besondere Stationäre Dementenbetreuung“ in Hamburg
Aktuelle Ergebnisse einer Evaluationsstudie
eine „Gemeinsame Vereinbarung über die besondere stationäre Dementenbetreuung in
Hamburg“: 750 Pflegeheimplätze wurden konzeptionell so umgestaltet, dass sie den besonderen Bedürfnissen schwer demenzkranker,
mobiler Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten
gerecht werden. Die „Besondere Stationäre
Dementenbetreuung“ kann sowohl nach dem
Domusprinzip als auch nach dem Integrationsprinzip gestaltet werden:
Das Domus-Prinzip besteht in einer spezialisierten, segregativen „Rund-um-die-Uhr“-Betreuung
(d.h. notwendige pflegerische Versorgung, Tagesstrukturierung und ergänzende aktivierende
therapeutische Angebote) der Demenzkranken.
Ausschließlich Demenzkranke leben zusammen
in einem ihren Bedürfnissen entsprechenden
Wohnbereich. Die betreuenden Personen unterstützen sie im Rahmen einer möglichst normalen Lebensführung bei allen krankheitsbedingten Einschränkungen.
Unter dem Integrationsprinzip versteht man eine
Begleitung und Betreuung (d.h. notwendige
pflegerische Versorgung, Tagesstrukturierung
und ergänzende therapeutische Angebote) der
Demenzkranken in einer teilintegrierten Versorgung, die in die stationäre „Rund-um-die-Uhr“Betreuung eingebettet ist. Die Demenzkranken
verbleiben in ihrem gewohnten Umfeld mit nicht
demenzkranken Bewohnern und Bewohnerinnen und erhalten tagsüber ein spezielles
Betreuungsangebot in einem dafür vorgesehenen besonderen Bereich.
In den letzten Jahren hat sich in Deutschland
die Versorgungssituation in den Altenpflegeheimen stark verändert. Sie ist gekennzeichnet
durch einen wachsenden Anteil schwerstpflegebedürftiger und demenzkranker Bewohner
und Bewohnerinnen: Nach den Ergebnissen
eigener Untersuchungen ist beispielsweise in
der Stadt Mannheim der Anteil Demenzkranker
in den Altenpflegeheimen allein in den letzten
sieben Jahren von 54% (1996) auf 65% (2003)
angestiegen.
Um diesen Herausforderungen besser begegnen zu können, wurden neue Betreuungsansätze der Demenzkrankenversorgung entwickelt
und in die Praxis umgesetzt. Unter den innovativen Ansätzen zur Langzeitbetreuung demenziell Erkrankter lassen sich verschiedene Formen unterscheiden:
x Wohngruppen bzw. Hausgemeinschaften
wie z.B. die in Frankreich entwickelten
„Cantous“ (Ritchie et al. 1992) und die in
Schweden angesiedelten „Gruppboende“
(Annerstedt et al. 1993).
x Spezielle Pflegebereiche, in denen ausschließlich Demenzkranke betreut werden
(segregative stationäre Versorgung). Solche
Special Care Units sind zumeist in stationäre Langzeiteinrichtungen integriert und fanden insbesondere in den USA Verbreitung
(Holmes et al. 2000).
x Teilintegrative Ansätze der Demenzkrankenbetreuung: Hier leben Demenzkranke
zwar grundsätzlich mit nicht dementen Bewohnern und Bewohnerinnen in einem
Wohnbereich zusammen, werden aber
tagsüber in einem gesonderten Bereich nur
für Demenzkranke betreut.
Nach einer Ausschreibung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
und der Hamburger Behörde für Soziales und
Familie wurde Ende 2001 die Arbeitsgruppe
Psychogeriatrie am Zentralinstitut für Seelische
Gesundheit mit der Evaluation des Hamburger
Modellprogramms beauftragt. Die vorliegende,
im Jahre 2004 abgeschlossene Untersuchung
ist unseres Wissens die erste umfangreiche und
kontrollierte Längsschnittstudie in Deutschland
zu den Auswirkungen besonderer stationärer
Betreuungsformen auf die Bewohnerschaft.
Die „Besondere Dementenbetreuung“ in
Hamburg
Hinsichtlich der Entwicklung und Umsetzung
neuer Konzepte zur Versorgung demenzkranker
Heimbewohner und -bewohnerinnen spielt
Hamburg eine herausragende Rolle. Dort wurde
von 1991 bis 1994 das „Modellprogramm stationäre
Dementenbetreuung“
durchgeführt
(Damkowski et al. 1994). Aufbauend auf den
Ergebnissen des Modellprogramms beschloss
der Hamburger Senat 1997, die Angebote für
demenzkranke Heimbewohner und Heimbewohnerinnen mit besonderem Bedarf gezielt
auszubauen. Seit 1999 gibt es als Resultat
dreiseitiger Verhandlungen zwischen Anbieterverbänden, Pflegekassen und Sozialbehörde
Studiendesign
Das im Rahmen der Evaluationsforschung methodisch am besten geeignete Vorgehen eines
experimentellen Designs, d.h. die randomisierte
Zuweisung zu den Versorgungsbedingungen,
war unter den gegebenen Bedingungen in
Hamburg nicht zu realisieren; es musste des-
10
befinden und anderen Aspekten der Lebensqualität, kommen unterschiedliche Vorgehensweisen in Frage: Selbstbeurteilungsskalen, systematische Verhaltensbeobachtungen von Demenzkranken durch geschulte Beobachter,
Beurteilungen durch Pflegepersonen. Nach
sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile
verschiedener Vorgehensweisen haben wir uns
in der vorliegenden Studie für Auskünfte und
Beurteilungen durch das Pflegepersonal entschieden. Zur Erfassung der Bewohnermerkmale wurde ein standardisiertes und zeitökonomisches Untersuchungsinstrument eingesetzt, das
von qualifizierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Heime selbstständig bearbeitet werden
kann und quantifizierbare Daten liefert für alle,
auch für körperlich, kognitiv und sensorisch
schwerst beeinträchtigte Heimbewohner und bewohnerinnen. Diese Vorgehensweise trägt
den Besonderheiten Rechnung, die sich bei der
Untersuchung von Demenzkranken ergeben:
eingeschränkte Auskunftsfähigkeit, geringere
Belastbarkeit und Multimorbidität der Betroffenen. Bei der Auswahl der Beurteiler und Beurteilerinnen wurden diejenigen ausgewählt, die
am qualifiziertesten waren und die Bewohner
und Bewohnerinnen am besten kannten. Für die
Charakterisierung der Situation Demenzkranker
in der Besonderen Dementenbetreuung und in
der Traditionellen Pflege konnte im Kern auf ein
umfangreiches quantitatives Erhebungsinstrumentarium zurückgegriffen werden, dessen
Reliabilität und Praktikabilität in früheren Studien der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie untersucht wurden. Das multidimensionale Pflegeund Verhaltensassessment "Mannheimer Arbeitsheft zur Beurteilung von Bewohner und
Bewohnerinnen in stationären Pflegeeinrichtungen durch Pflegekräfte“ - kurz PVA - bildet folgende Bereiche ab:
x Soziodemographische Charakteristika
x Einschränkungen in den Alltagsaktivitäten
(Barthel-Index) und weitere funktionelle Beeinträchtigungen (sensorische Beeinträchtigungen, Dekubitus, Stürze)
x Demenzsymptome (PVA-Kurzskala „Demenz“, ein von der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie entwickeltes Screeningverfahren
zur Identifikation fortgeschrittener demenzieller Prozesse in der stationären Pflege,
das von Pflegekräften bearbeitet werden
kann; die Skala mit acht Items,erfasst kognitive Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit Demenzerkrankungen
x Nicht-kognitive Symptome, wie z.B. Wahn,
Halluzinationen,
Depression/Dysphorie,
Schlafstörungen, wurden erhoben anhand
des modifizierten NeuropsychiatrischenInventars - Kurzversion für Pflegeheime
(NPI-Q-mod.; Kaufer et al. 2000; Wood et
halb ein quasi-experimentelles Design zugrunde
gelegt werden. Unverzichtbar ist dabei eine
ausreichend große Kontroll- oder Referenzgruppe, die zumindest die Bildung parallelisierter Stichproben erlaubt. Für die Evaluation der
Besonderen Dementenbetreuung in Hamburg
wählten wir ein Längsschnitt-Vergleichsgruppen-Design mit zwei Erhebungszeitpunkten
(Baseline T1 und Nachuntersuchung T2 nach
etwa einem halben Jahr). Die Kontroll- bzw.
Vergleichsbedingung sollte in der Traditionellen
Stationären Pflege Demenzerkrankter bestehen, so wie sie in Deutschland vorherrscht:
Demenzkranke werden gemeinsam mit nicht
Demenzkranken betreut, ohne besondere personelle und baulich-räumliche Ausstattung sowie ohne speziell zugeschnittene Angebote. Da
aufgrund der umfassenden Etablierung und
Inanspruchnahme der Besonderen Stationären
Dementenbetreuung in Hamburg mit starken
Selektionseffekten in der traditionellen integrativen Pflege und damit mit Problemen bei der
Rekrutierung einer ausreichend großen Vergleichsgruppe gerechnet werden musste, entschieden wir uns dafür, die Referenzgruppe aus
der Traditionellen Pflege in der Stadt Mannheim
zu rekrutieren. Es war geplant, sowohl in der
Besonderen Betreuung als auch in der Traditionellen Pflege (Vergleichsbedingung) jeweils
zwei Gruppen von Bewohnern und Bewohnerinnen längsschnittlich zu untersuchen:
Die Querschnitts- oder Stichtagspopulation von
Bewohnern und Bewohnerinnen, die zu einem
festgelegten Stichtag im Heim leben und somit
bereits eine gewisse Zeit in den Pflegeeinrichtungen verbracht haben.
Neuzugänge im Rahmen der natürlichen Fluktuation.
Der relativ kurze Follow-up Zeitraum von einem
halben Jahr bot sich aus verschiedenen Gründen an: Die von uns in der Verlaufsuntersuchung erwarteten Veränderungen wie z.B. in
Ausmaß und Schwere von Verhaltensauffälligkeiten oder im Aktivitätsniveau der Bewohnerschaft, sollten sich innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums abzeichnen. Hohe Ausfallraten
aufgrund von Mortalität können bei einem Beobachtungszeitraum von sechs Monaten vermieden werden. Die Querschnitts- und Verlaufsuntersuchungen sollten innerhalb von zwei Jahren
abgeschlossen sein.
Erhebungsinstrumente
Die Qualität und Aussagekraft einer Evaluation
steigt beträchtlich, wenn quantitative Methoden
eingesetzt werden. Was die Erfassung bewohnerbezogener Merkmale angeht, wie z.B. Art
und Ausmaß von psychischen Störungen, von
funktionellen Einschränkungen oder von Wohl-
11
x
x
x
x
x
und durch Anwendung multivariater Verfahren
angepasst. Die Ergebnisse zu den Auswirkungen der verschiedenen Betreuungsformen auf
die Bewohner und Bewohnerinnen sind um die
Effekte der Ausgangsunterschiede zwischen
den Untersuchungsgruppen bereinigt. Im Hinblick auf bestimmte qualitäts- und morbiditätsbezogene Merkmale (Fixierungshäufigkeit, Verlauf nicht-kognitiver Symptome und der Alltagseinschränkungen) ergaben sich in der vorliegenden Studie keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Betreuungsformen des Modellprogramms. Hinsichtlich einer
Reihe von Merkmalen bestanden jedoch deutliche Unterschiede zwischen dem Domus- und
Integrationsprinzip.
al. 2000), Agitiertheit und Verhaltensauffälligkeiten im engeren Sinne anhand der im
Rahmen des Hamburger Modells modifizierten
Fassung
des
Cohen-MansfieldAgititation-Inventory (CMAI-mod.; CohenMansfield 1996)
Soziale Kontakte und Aktivitäten (innerhalb
und außerhalb der Einrichtung)
Einbindung von Angehörigen und Ehrenamtlichen
Ausdruck von positiven und negativen Gefühlen anhand einer modifizierten Fassung
der Modified Apparent Emotion Scale (Albert et al. 2001)
Sicherheitsmaßnahmen/freiheitseinschränkende Maßnahmen
Medizinische Versorgung: Medikation, Arztkontakte, Krankenhausaufenthalte
Vorteile des Integrationsprinzips
Im Integrationsprinzip war die Aktivitätenrate
(körperliche Aktivierung, Gedächtnisübungen,
Gruppen- und Einzelangebote) höher als im voll
segregativen Domusprinzip. Längsschnittlich
wurde die hohe Aktivitätenrate bei den nach
dem Integrationsprinzip Betreuten auch besser
aufrechterhalten. Es ist gut vorstellbar, dass die
Demenzkranken in den Tagesbetreuungsgruppen gezielter und dauerhafter in kompetenzfördernde Aktivitäten eingebunden werden als in
den Domus-Einheiten.
Die Besuchshäufigkeit von Angehörigen war im
integrativen Bereich höher als im Domusbereich. Das Gleiche gilt für die Einbindung von
Angehörigen bei der Pflege und Betreuung. Im
Rahmen einer differenzierteren Untersuchung
wäre zu prüfen, ob bei den Bewohnern und
Bewohnerinnen in den beiden Betreuungsformen Unterschiede hinsichtlich der Größe und
Verfügbarkeit des familiären Netzwerkes bestehen.
Kurzdarstellung / Bewertung der Ergebnisse
Im Folgenden beschränken wir uns auf eine
kurze Darstellung der bewohnerbezogenen
Ergebnisse: 594 von insgesamt 744 Bewohnern
und Bewohnerinnen, die an bestimmten Stichtagen im Modellprogramm betreut wurden
(N=366 nach dem Domusprinzip, N=228 nach
dem Integrationsprinzip), konnten in die Studie
einbezogen werden, was einer Ausschöpfung
von nahezu 80% entspricht. Darüber hinaus
konnten im Untersuchungszeitraum in der „Besonderen Dementenbetreuung“ 139 Personen
als Neuaufnahmen rekrutiert werden.
Als Referenzgruppen wurden nach einem umfassenden Screening in elf traditionellen integrativen Pflegeheimen in Mannheim (Stichtagspopulation: N=1.009; Neuaufnahmen: N=222)
die über 65-jährigen mittelschwer- oder schwer
demenzkranken Bewohner und Bewohnerinnen
ausgewählt, die gemäß den Matchingvariablen
„verhaltensauffällig nach den Hamburger Kriterien“ und „Fähigkeit an Gruppenaktivitäten teilzunehmen“ (das bedeutet nicht bettlägerig) in
der Zusammensetzung den Hamburger Untersuchungsgruppen angeglichen wurden. Dies
führte natürlich zu einer erheblichen Reduktion
der Ausgangspopulationen, da nur etwa jeder
sechste Demenzkranke in traditionellen Heimen
die „Hamburger Kriterien“ erfüllte. Um die Auswirkungen der unterschiedlichen Betreuungsformen auf die Bewohner und Bewohnerinnen
adäquat einschätzen zu können, wurden die
Ausgangsunterschiede, die zwischen den Untersuchungsgruppen (Domus- gegenüber Integrationsprinzip, „Besondere Dementenbetreuung“ gegenüber „Traditioneller Pflege“) hinsichtlich soziodemographischer und krankheitsbezogener Merkmale (z.B. Alter, Schwere der kognitiven Einschränkungen und der nicht-kognitiven
Symptome) bestanden, durch Parallelisierung
Vorteile des Domusprinzips
Bei den Bewohnern und Bewohnerinnen im
Domusbereich wurden signifikant häufiger Informationen zur Biografie erhoben als im Integrationsprinzip.
Der Anteil der (geronto-)psychiatrisch behandelten Demenzkranken war bei der Versorgung
nach dem Domusprinzip höher. Außerdem erhielten sie mehr psychotrope Medikamente,
wobei signifikant häufiger Antidementiva und
Antidepressiva und weniger Neuroleptika verordnet wurden.
Inwieweit nicht Demenzkranke aufgrund der
Verlegung von verhaltensauffälligen Mitbewohnern und -bewohnerinnen profitierten, ließ sich
im Rahmen der vorliegenden Beobachtungsstudie nicht untersuchen. Ergebnisse internationaler Interventionsstudien weisen darauf hin,
dass segregierte Dementenwohngruppen wie
im Domusprinzip für die nicht demenzkranken
12
trächtigungen der Betroffenen ist deshalb eine
Verzögerung von Immobilität und Bettlägerigkeit, wie wir sie bei den neu aufgenommenen
Bewohnern und Bewohnerinnen in Hamburg
festgestellt haben, als wichtiger Betreuungserfolg zu werten (Lawton et al. 1998). Ähnliche
Resultate im Hinblick auf die bessere Aufrechterhaltung von Mobilität in einem besonderen
Versorgungsbereich für Alzheimerkranke fanden Saxton et al. (1998). Unerwartet waren
demgegenüber die Befunde zum Verlauf von
nicht-kognitiven Symptomen, insbesondere zum
Verlauf der Verhaltensauffälligkeiten, die von
den Pflegekräften mittels des modifizierten Cohen-Mansfield-Agitation-Inven-tory (CMAI) erhoben wurden. Entgegen unseren Annahmen
gingen die Verhaltensauffälligkeiten bei den
Demenzkranken in der Traditionellen Pflege im
Laufe der Zeit stärker zurück als bei den Demenzkranken in der Besonderen Betreuung.
Obwohl sich inzwischen die Befunde mehren,
dass Verhaltensauffälligkeiten bei Demenzkranken durch psychosoziale Interventionen oder
durch ein besonderes „Milieu“ nur begrenzt
beeinflusst werden können (van Haitsma et al.
2000), sind die vorliegenden Ergebnisse dadurch allein nicht zu erklären. Möglicherweise
spielten bei ihrem Zustandekommen zwei weitere Faktoren eine wichtige Rolle: Zum einen
könnten Selektionsfaktoren bei der Inanspruchnahme der Besonderen Dementenbetreuung
zur höheren Persistenz von Verhaltensauffälligkeiten in Hamburg beigetragen haben. Es ist
denkbar, dass Demenzkranke mit extremen und
schwer beeinflussbaren Verhaltensstörungen,
die in herkömmlichen Pflegeeinrichtungen relativ selten sind, überproportional häufig den Besonderen Betreuungsformen zugewiesen werden. Solche selektiven Effekte lassen sich im
Rahmen unserer Beobachtungsstudie jedoch
weder klären noch verhindern. In einer Untersuchung, in der eine randomisierte Zuweisung von
demenzkranken Pflegeheimbewohnern und bewohnerinnen zu unterschiedlichen Betreuungsbedingungen möglich war, zeigte sich,
dass sich die Verhaltensprobleme der Demenzkranken in der Interventionsgruppe (vergleichbar den Tagesbetreuungsgruppen des Integrationsprinzips) im Laufe von sechs Monaten gegenüber der Kontrollgruppe (Traditionelle Pflege) signifikant reduzierten (Rovner et al. 1996).
Nur ein solches Forschungsdesign kann letztlich
eindeutigen Aufschluss über den Zusammenhang von Betreuungsform und Beeinflussung
von bestimmten Symptomen geben. Zum anderen kommt in den Ergebnissen zum Verlauf der
nicht-kognitiven Symptome möglicherweise eine
Einschränkung der von uns gewählten Erhebungsmethode zum Ausdruck: Angaben und
Beurteilungen von Informanten (Pflegekräfte),
Bewohner und Bewohnerinnen und ihr Pflegepersonal in den anderen Heimbereichen entlastenden Charakter haben (Grant und Ory 2000).
Vergleich zwischen Modellprogramm und „Traditioneller Pflege“
Hinsichtlich des Vergleichs zwischen der „Besonderen Betreuung“ und der „Traditionellen
Pflege“ Demenzkranker waren die Ergebnisse
wesentlich akzentuierter. Entsprechend unseren
Hypothesen war die „Besondere Dementenbetreuung“ in Hamburg in vielen Ergebnisbereichen, die als Indikatoren der Lebens- und
Betreuungsqualität Demenzkranker in der stationären Pflege gelten, der „Traditionellen Versorgung“ überlegen: Die Demenzkranken in der
„Besonderen Betreuung“ im Vergleich zu den
Demenzkranken in „Traditioneller Pflege“ waren
um ein Vielfaches häufiger in positive und kompetenzfördernde Aktivitäten in und außerhalb
der Einrichtung eingebunden; zeigten mehr
positive Gefühle wie Freude und /oder Interesse; waren weit weniger von freiheitseinschränkenden Maßnahmen betroffen und wurden wesentlich häufiger psychiatrisch behandelt. Zudem waren Angehörige und Freiwillige im Hamburger Modell stärker in die Pflege und Betreuung eingebunden.
Im Hinblick auf die untersuchten morbiditätsbezogenen Merkmale wie kognitive Beeinträchtigungen, Einschränkungen in den Alltagsaktivitäten und Mobilität waren die Unterschiede zwischen der „Besonderen Dementenbetreuung“
und der „Traditionellen Pflege“ bei den Bewohnern und Bewohnerinnen, die schon längere
Zeit in der Einrichtung lebten, wesentlich geringer. Signifikant günstigere Auswirkungen der
„Besonderen Dementenbetreuung“ waren jedoch bei den neu aufgenommenen Bewohnern
und Bewohnerinnen messbar: Im Vergleich zu
den traditionell betreuten Demenzkranken verschlechterten sie sich in den Alltagseinschränkungen im Laufe eines halben Jahres in geringerem Maße - insbesondere konnten sie ihre
Mobilität (Gehfähigkeit) besser aufrechterhalten
und wurden deutlich seltener bettlägerig. Diese
Ergebnisse entsprachen unseren Erwartungen
und stehen im Einklang mit neueren Forschungsbefunden, wonach durch besondere
Betreuungsformen bei Erkrankten mit fortgeschrittenen Demenzprozessen weder die kognitive Leistungsfähigkeit noch der Grad der
Selbstständigkeit im Alltag grundsätzlich verbessert werden kann (Rovner et al. 1996, Lawton et al. 1998, Holmes et al. 2000a), sondern
bestenfalls mit einer verlangsamten Funktionsabnahme gerechnet werden kann. Vor dem
Hintergrund des hohen Alters und der schwerwiegenden kognitiven und körperlichen Beein-
13
dingungen ist eine der größten Herausforderungen für die künftige Gesundheits- und Sozialpolitik.
können anfällig sein für bestimmte Fehler und
Verzerrungen. So waren die Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen in der „Besonderen Dementenbetreuung“ in Hamburg im Vergleich zu denen in der „Traditionellen Pflege“ mit dem Cohen-Mansfield-Agitiertheits-Inventar wesentlich
vertrauter und aufgrund der Bedeutung, die
Verhaltensauffälligkeiten im Rahmen des Modells haben, vermutlich auch sensibilisierter in
der Wahrnehmung und Dokumentation solcher
Störungen. Diese Umstände könnten Unterschiede im Antwortverhalten hinsichtlich der
CMAI bedingt und schließlich zu den überraschenden Ergebnissen in Bezug auf Ausprägung und Verlauf der Verhaltensauffälligkeiten
beigetragen haben. Was die anderen Merkmalsbereiche des Pflege- und Verhaltensassessments betrifft, gab es allerdings keine Hinweise auf bestimmte Antworttendenzen oder
auf Unterschiede in der Handhabung zwischen
den Pflegekräften der „Besonderen Betreuung“
und der „Traditionellen Pflege“.
Siegfried Weyerer, Martina Schäufele,
Ingrid Hendlmeier (Literatur bei den Verfassern)
Zwischen Heißhunger und
Selbstaufgabe
Essstörungen im Erwachsenenalter
Ausblick
Bei der von uns durchgeführten Evaluation ist
zu bedenken, dass das Modellprogramm nur in
seiner Gesamtheit untersucht und mit der „Traditionellen Pflege“ verglichen wurden. Die Wirkung der vielfältigen einzelnen Komponenten
des Programms (z.B. Bewohnerprofil, günstigerer Betreuungsschlüssel, bessere Qualifikation,
Fortbildung und Supervision beim Personal,
andere räumliche und organisatorische Bedingungen) konnte nicht untersucht werden, da es
nicht möglich war, diese Bedingungen innerhalb
der verschiedenen Versorgungsformen zu variieren. Im Zusammenhang mit der Gestaltung
der stationären Versorgung Demenzerkrankter
wäre es ein wichtiger nächster Schritt, hypothesengeleitet zu prüfen, welche Komponenten der
besonderen Stationären Dementenbetreuung
mehr oder weniger wirksam sind und in welchem Umfang einzelne, übertragbare Bausteine, z.B. Qualifizierung des Personals, besserer
Betreuungsschlüssel, sich auch in der traditionellen integrativen Demenzkrankenversorgung
günstig auswirken. Sofern kein Durchbruch in
der Entwicklung von gezielten Präventionsmöglichkeiten und kausalen Therapiemaßnahmen
erfolgt, wird die Anzahl von Demenzkranken in
der Bevölkerung weiter überproportional anwachsen. Nach Bickel (2001) ist in Deutschland
bis zum Jahr 2050 von einer Verdoppelung der
Krankheitsfälle auf über zwei Millionen Demenzkranke auszugehen. Da parallel zu dieser
Entwicklung das familiäre Betreuungspotenzial
abnehmen wird, dürfte die institutionelle Versorgung noch an Bedeutung gewinnen. Die
Betreuung demenzkranker Menschen unter
humanen und ökonomisch realisierbaren Be-
Psychogene Essstörungen sind ein Phänomen
unserer Zeit und der „modernen Zivilisationsgesellschaft“: während auf der einen Seite
Schlankheits- und Autonomieideale Schönheit
und Erfolg zu garantieren scheinen, stehen auf
der anderen Seite Ernährungsgewohnheiten
und Bewegungsmangel, die bei immer mehr
Menschen zu Fehlernährungen und Übergewicht führen. Darüber hinaus wird Essen, Ernährung und der Umgang mit dem eigenen
Körper zunehmend stärker zum „Brennglas“ von
Affekt- und Beziehungsregulationstörungen.
Die Prävalenzrate der Anorexia nervosa liegt
bei Frauen in der Spätadoleszenz bei etwa
0,4 %, für die Bulimie bei etwa 2 %. Patienten
mit einer Anorexie zeigen eine der höchsten
Mortalitätsraten aller psychiatrisch-psychosomatischen Erkrankungen in der Spätadoleszenz. Für die größten Gruppen psychogener
Essstörungen, EDNOS (Eating disorders not
otherwise specified), v.a. Binge-Eating Disorder,
und Adipositas liegen bisher keine verlässlichen
Daten vor, ihre Zahl scheint aber deutlich zu
steigen.
Diagnostik der Essstörungen
Die kategorialen Diagnosesysteme (ICD-10 und
DSM-IV) unterscheiden bei der Anorexia nervosa (AN) zwischen einer asketischen bzw. restriktiven und einer bulimischen Form.
Diagnostische Merkmale einer Anorexie (nach
ICD-10) sind:
2
x BMI < 17,5 kg/m
x selbst herbeigeführter Gewichtsverlust
14
Arterio- und Arteriolosklerose sowie Fettstoffwechselstörungen bei Adipositas, u.v.m.). Die
Behandlung von Patienten mit Essstörungen
erfordert eine interdisziplinäre Diagnostik und
Therapie.
Gegenüber den kategorialen Diagnosesystemen ICD und DSM hat die Oxforder Arbeitsgruppe um Fairburn eine sog. „transdiagnostische Theorie psychogener Essstörungen“ formuliert, die zentrale dysfunktionale Schemata
und Selbstbewertungen mit einer Überbewertung von Essen, Figur und Gewicht und deren
Kontrolle, einen Perfektionismus und ein niedriges Selbstwertgefühl sowie Störungen der Affekt- und Beziehungsregulation als Kernmerkmale von Patienten, v.a. mit AN, BN und
EDNOS, identifiziert. Mit diesem faktoriellen
bzw. dimensionalen Ansatz wird auch das Verständnis der Komorbidität dieser Erkrankungen
mit Persönlichkeitsstörungen, PTBS und anderen Achse I-Störungen, genetischen und neurobiologischen Ansätzen sowie das Verständnis
„kognitiv-emotionaler Netzwerke“ und core beliefs dieser Patientengruppen erleichtert.
x
extreme Angst vor einer Gewichtszunahme,
selbst bei ausgeprägtem Untergewicht
x Körperschemastörung
x endokrine Störungen (sekundäre Amenorrhoe)
x Entwicklungshemmung bzw. -verzögerung
(bei Erkrankungsbeginn vor der Pubertät)
Bei der Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht) wird
ein Purging-Typ (kompensatorisches Verhalten
zur Gewichtsreduktion nach Essanfällen (bingeing) durch Erbrechen oder Laxantien-Abusus)
von einem Non-Purging-Typ (Fasten, Diäten,
körperliche Aktivität) unterschieden.
Diagnostische Merkmale der Bulimie sind:
x Essattacken mit Kontrollverlust
x Wiederholt gegenregulatorische Maßnahmen (> 2x/Woche über > 3 Monate)
x Übermäßige Beschäftigung mit Essen, Figur und Gewicht
x Körperschemastörung
„Binge Eating Disorder“ (Essattacken) bzw.
EDNOS sind durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
x Heißhungerattacken mit Kontrollverlust
x Schnelleres Essen größerer Mengen
x Scham, Ekel, Depression und Schuldgefühle über die Essattacken
x Fehlen gegenregulatorischer Maßnahmen
x Essattacken > 2 x/Woche für > 6 Monate.
Ätiopathogenese und Störungsmodelle psychogener Essstörungen
Essstörungen zeigen eine familiäre Häufung. In
den letzten Jahren haben moderne Forschungsansätze der genetischen Epidemiologie
biologische und psychosoziale Risikofaktoren
von Anorexie, Bulimie und EDNOS aufzuklären
versucht. Die Ergebnisse einiger weniger Familien-, Adoptions- und Zwillingsstudien sind aufgrund der relativ geringen Prävalenzraten der
Erkrankungen aber bislang nur schwer zu interpretieren. Im Zentrum eines Verständnisses
psychogener Essstörungen stehen bislang lerngeschichtliche Modelle („Teufelkreismodelle“).
Dies soll nachfolgend anhand eines Teufelkreismodells der Bulimie verdeutlicht werden:
Patienten reagieren auf externale und internale
Reize mit „primären Emotionen“ wie Traurigkeit,
Gefühlen von Einsamkeit oder Ärger. Defizite
zur primären Affektregulation führen zu einem
Anstieg aversiver Zustände. Daneben scheint
sich im Langzeitverlauf der Erkrankung ein
„Craving“ nach bestimmten Nahrungsmitteln
auszubilden. Unter dem Einfluss diskriminativer
Reize kommt es dann zu Essattacken und
Fressanfällen, die kurzfristig den aversiven Zustand beenden. Dies verstärkt diesen ersten
„Lernschritt“. Danach aber entwickeln Patienten
„sekundäre Affekte“, sequentiell und hierarchisch, i.S. von „Affekten über Affekte“. Patienten haben Angst, zu dick zu werden, erleben
aber auch Schuldgefühle und Scham über ihr
Verhalten. Kann auf diese Affekte nicht angemessen reguliert werden, so kommt es erneut
zu einem Anstieg aversiv erlebter Zustände.
Besondere Aufgaben in der Behandlung von
Patienten mit psychogenen Essstörungen ergeben sich in der differentialdiagnostischen Abklärung und der Klärung komorbider Störungen:
x bei der Anorexie in der Abklärung von Kachexie-Syndromen unterschiedlicher Ätiologien, Zwangsstörungen, Depressionen,
posttraumatischen Belastungs- und Persönlichkeitsstörungen
x bei der Bulimie und EDNOS in der Abklärung von Persönlichkeitsstörungen, hauptsächlich Borderline-Syndromen, und PTBS
x bei der Adipositas in der Abklärung von
Fettstoffwechsel- und endokrinen Störungen, Depressionen, Dysthymie, Cluster Bund Cluster C-Persönlichkeitsstörungen
Bei Patienten mit psychogenen Essstörungen
sind körperliche und psychische Folgeerkrankungen von Fehl- und Mangelernährung sowie
rezidivierendem Erbrechen, Diuretika- und Laxantienabusus besonders zu berücksichtigen
(Elektrolyverluste mit Auswirkungen auf das
Reizleitungssystem des Herzens und die Nierenfunktion, Hypovolämie, Hypotonie, Anämie
und Panzytopenie mit Störungen der Immunfunktion und vermehrter Infektanfälligkeit, Störungen zerebraler Funktionen, Hirnatrophie,
Gastritis, Pankreatitis, endokrine Funktionsstörungen (sekundäre Amenorrhoe, Störungen der
Schilddrüsenfunktion), Ödeme, Störungen des
Knochenstoffwechsels, Diabetes, Hypertonie,
15
Behandlungsschritte: stepped care-Modelle
Der Veränderungsmotivation und dem commitment zur Therapie, besonders aber dem frühzeitigen Erkennen und der frühen therapeutischen Intervention zur Vermeidung von Chronifizierungen kommt in der Behandlung von Patienten mit psychogenen Essstörungen eine
Schlüsselrolle zu. Daher sind Informationen der
Patienten über psychogene Essstörungen, psychische und körperliche Folgeerkrankungen,
Pro- und Contra-Listen für eine Veränderung
des/der einzelnen Patienten/in, das Einbeziehen von Partnern und Familien in die Therapie,
die Entwicklung von regionalen Netzwerken, an
denen Schulen, Jugendeinrichtungen, niedergelassene Ärzte und Therapeuten, Beratungsstellen und spezialisierte Behandlungszentren, u.a.
beteiligt sind, die Entwicklung von steppedcare-Modellen aus spezialisierter ambulanter,
stationärer und tagesklinischer Behandlung,
u.a. besonders wichtig.
Auch hier setzt ein Craving ein, das Essen in
kurzer Zeit wieder loszuwerden. Patienten lernen durch selbstinduziertes Erbrechen, diesen
sekundären aversiven Zustand zu beenden.
Auch dadurch wird dieser purging-Schritt verstärkt. Neben dieser kurzfristig erlebten „Entlastung“ entwickeln Patienten dann aber „tertiäre
Emotionen“ wie Schuld, Scham, Ekel und
Selbsthass. Dies kann eine weitere dysfunktionale Spirale in Gang setzen. Dieses hier nur
kursorisch skizzierte Modell macht die Bedeutung von Störungen der Affektregulation, der
Stresstoleranz gegenüber aversiven affektiven
Zuständen, die Bedeutung zentraler Kognitionen, von Körperbild/Kör-perkonzepten und
Selbstkonzepten als „Stellgröße“ sowie die Aufklärung von „Craving-Me-chanismen“ in der
Aufrechterhaltung von „Teufelskreisen“ bei psychogenen Essstörungen deutlich. Die Operationalisierung und empirische Untersuchung einzelner Konstituenten dieses Modells ist u. a. ein
Forschungsprogramm der „Arbeitsgruppe Essstörungen“ der Klinik für Psychosomatik und
Psychotherapeutische Medizin am Zentralinstitut.
Spezialisierte Therapieangebote am ZI
Das Behandlungskonzept der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin
basiert auf einem verhaltensmedizinischen Ansatz, der medizinisch-biologische wie psychosoziale Faktoren psychogener Essstörungen
berücksichtigt. Konzeptuell orientiert es sich an
den Behandlungsprinzipien der dialektischbehavioralen Therapie.
Es richtet sich an Patienten ab 18 Jahre mit den
Diagnosen einer Anorexia nervosa (Magersucht), Bulimia nervosa (Ess-/Brechsucht), Binge Eating-Störung (Esssucht), Adipositas per
magna (massivem Übergewicht), oder Atypische Essstörung.
Therapiekonzepte
Das National Institute for Clinical Excellence
(NICE) des National Collaborating Centre for
Mental Health in Großbritannien hat unter Federführung von Christopher Fairburn, Simon
Gowers u.a. in diesem Jahr auf der Basis umfangreicher Metaanalysen die NICE-guidelines
zur evidenz-basierten Behandlung psychogener
Essstörungen (NICE-guidelines, 2004) vorgelegt. Danach muss die Güte evidenzbasierter
Empfehlungen für die Behandlung von Patienten mit Anorexie nach wie vor als unbefriedigend angesehen werden: Es gibt bislang keine
evidenz-basierten Therapiekonzepte. Günstiger
ist die Situation bei der Behandlung von Patienten mit Bulimie und EDNOS. Hier gibt es evidenz-basierte Empfehlungen für die kognitive
Verhaltenstherapie, in Kombination mit selektiven Serotonin-Rezeptor-Inhibitoren (SSRI) in
höherer Dosierung, wie auch für die dialektischbehaviorale Therapie (DBT), wenngleich eine
Manualisierung der DBT für die Behandlung von
Essstörungen derzeit noch in Arbeit ist. Vorläufige Empfehlungen in der Behandlung von Adipositas können auch für eine Kombination von
kognitiver Verhaltenstherapie, Sport und Bewegungstraining, Ernährungstherapie und medikamentöser Behandlung ausgesprochen werden. Die Behandlung von Patienten mit psychogenen Essstörungen sollte in spezialisierten
Behandlungszentren erfolgen.
Ambulante Diagnostik- und Therapieangebote
In unserer Spezialambulanz werden Patienten
auf Überweisung niedergelassener Kollegen
diagnostiziert und behandelt. Dies beinhaltet
auch die differentialdiagnostische Klärung und
Beratung von Patienten mit Magersucht und
Kachexie-Syndromen, Übergewicht und Ess/Brechsucht. Wir führen eine umfassende allgemeine und störungsspezifische psychosomatische und psychologische sowie LaborDiagnostik und eine Klärung möglicher komorbider Störungen, etwa von Persönlichkeitsstörungen, durch. Es erfolgt dann eine differenzierte Schweregradeinschätzung der Essstörung,
eine Klärung der Therapie- und Veränderungsmotivation des/der Patienten/in sowie erschwerender Bedingungen für eine störungsspezifische Psychotherapie. Je nach Schweregrad der
psychogenen Essstörung und komorbider Störungen ergibt sich die Indikationsstellung für
eine ambulante, teilstationäre oder stationäre
Therapie. Die ambulanten Therapien erfolgen
16
x
als Einzelpsychotherapien oder kombinierte
Einzel- und Gruppentherapien, unter Einbeziehung weiterer störungsorientierter Therapiemodule, etwa Spiegeltherapie, Körpertherapie,
Sport- und Bewegungstherapie, Ernährungsberatung.
Gruppentherapie zur Regulation des Essverhaltens (Esstraining) (5 x 60 Min/Wo)
x Skillstraining (2 x 60 Min./Woche) (Achtsamkeit, Stresstoleranz, Umgang mit Gefühlen, Zwischenmenschliche Skills,
Selbstwertbezogene Skills)
x Training sozialer Kompetenzen (1 x 75
Min./Woche)
x Psychoedukation (1 x 60 Min./Woche)
x Stationskonferenz (1 x 30 Min./Woche)
Detailinformationen zu den einzelnen Behandlungsmodulen und Ansprechpartner finden Sie
auf der Homepage unter www.zi-mannheim.de/
27.html.
Ab Februar 2005 werden folgende spezielle
ambulante Therapien am ZI angeboten:
Ambulante Gruppentherapien
Beginn: Februar 2005, Dauer: 45 Sitzungen für
die Dauer von 1 Jahr - eine Teilnahme ist nach
Überweisung, Vorgesprächen und Diagnostik
möglich. Die Teilnehmerzahl ist auf 8-10 pro
Gruppe begrenzt. Die Gruppen werden von
Ärzten bzw. psychologischen Psychotherapeuten mit Co-Therapeuten geleitet. Weitere Informationen und Ansprechpartner sind auf der ZIHomepage unter www.zi-mannheim.de/28.html
zu finden. Nach Überweisung können Patienten
ab sofort Vorgespräche in unserer Ambulanz
vereinbaren.
Andreas Remmel
Stationäre Behandlung
Die stationäre Therapie beginnt mit einer zweiwöchigen Behandlungsphase, in der nochmals
die diagnostische und differentialdiagnostische
Sicherung aller Störungen und komorbider Erkankungen, die Motivationssicherung und die
Erarbeitung eines umfassenden Therapievertrages mit den Patienten erfolgt. Die diagnostische Klärung schließt sowohl eine weiterführende Psychodiagnostik wie eine somatomedizinische Diagnostik von Begleit- und Folgeerkrankungen ein, es erfolgt eine ausführliche
Aufklärung über das Störungsbild und das Behandlungskonzept sowie eine Festlegung und
Hierarchisierung von Therapiezielen. Am Ende
der zweiwöchigen Phase wird mit dem Patienten gemeinsam geprüft, ob sich daraus eine
tragfähige Therapievereinbarung („Arbeitsbündnis“) ableiten lässt und welcher Zeitraum für die
störungsspezifische stationäre Therapie veranschlagt werden muss.
Liegt die Indikation für eine stationäre Behandlung vor, ist im Regelfall von einer Therapiedauer von bis zu drei Monaten auszugehen.
Die stationäre Therapie umfasst folgende Behandlungsmodule:
x Einzeltherapie (2 x 45 Min./Woche)
x Bezugspflege (2 x 30 Min./Woche)
x Basisgruppe (1 x 60 Min./Woche)
x Körpertherapie (einzeln und in der Gruppe;
insg. 2 x 60 Min./Woche)
x Spiegeltherapie (1 x 50 Min./Woche)
x Flamenco (1 x 30 Min./Woche)
x Gestaltungstherapie (2 x 90 Min./Woche)
x Musiktherapie (1 x 75 Min./Woche)
x Angebot der Sozialarbeit
„Generation Schokoriegel“
Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Das Thema Adipositas bei Kindern und Jugendlichen rückt mehr und mehr ins Zentrum des
Medieninteresses. In den letzten Monaten war
viel über die zunehmende Häufigkeit zu lesen
und zu hören, die Zahlen klingen bedrohlich.
Tatsächlich nimmt die Prävalenz der Adipositas
weltweit zu. Die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) bezeichnet die Adipositas als eine Besorgnis erregende globale Epidemie. Auch in
Deutschland nehmen Häufigkeit und Schweregrad von Übergewicht und Adipositas bei Kindern in alarmierenden Ausmaßen zu. Aktuell
gelten 10-20% der Kinder und Jugendlichen als
übergewichtig, 4-8% als adipös, Tendenz steigend. Die Folgen für den Einzelnen und die
Gemeinschaft sind gravierend. Schon im Kindesalter geht die Adipositas mit zahlreichen
klinisch relevanten Folgen (z.B. kardiovaskuläre, orthopädische und psychische Erkrankungen) einher. Und übergewichtige Kinder werden
fast immer auch übergewichtige Erwachsene
(Persistenz von 80% bei über 10-jährigen). In
den USA werden 280 000 Todesfälle/Jahr auf
die Adipositas mit ihren Folgeerkrankungen
zurückgeführt; sie ist damit nach dem Rauchen
die zweithäufigste Todesursache im Erwachsenenalter. Die Gesamtkosten der Adipositas und
ihrer Folgen in Deutschland belaufen sich nach
Berechnungen des Verbraucherschutzministeriums jährlich auf rund 30 Milliarden Euro.
17
Wann beginnt Adipositas?
Zur Bestimmung von Übergewicht und Adipositas hat sich der sogenannte Body Mass Index
(BMI, Quotient aus Körpergewicht in kg und
2
Körpergröße in m ) in Kindes- und Jugendalter
durchgesetzt. Er zeigt nicht nur gute Übereinstimmung mit der Gesamtkörperfettmasse, sondern ist zudem ein valider Indikator für adipositasbedingtes Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko.
Gerade bei Kindern empfiehlt sich aufgrund der
altersspezifischen Schwankungen der BMIWerte (Maxima am Ende des 1. Lebensjahres
und in der Pubertät) der Vergleich mit altersund geschlechtsnormierten Referenzwerten
(BMI-Perzentilen). Von Übergewicht im Kindesund Jugendalter spricht man bei einem Gewicht
über der 90. BMI-Perzentile, über der 97. Perzentile besteht eine Adipositas.
fach erhöhtes Risiko Diabetes mellitus Typ 2,
ein dreifach erhöhtes Risiko Fettstoffwechselstörungen sowie orthopädische Erkrankungen
zu entwickeln. Mehr als zwei Risikofaktoren des
Metabolischen Syndroms finden sich bei 58%
der adipösen Kinder.
Was tun?
Zunächst empfiehlt sich eine diagnostische
Basisuntersuchung zum Ausschluss sekundärer
Ursachen sowie zur Einschätzung der klinischen Folgeerkrankungen. Des Weiteren ist
eine Einschätzung der psychosozialen Belastung, des Ess- und Bewegungsverhaltens, psychiatrischer Komorbiditäten sowie der Therapiemotivation des Kindes und der Eltern grundlegend.
Die Ziele der Therapie stellen sich gemäß der
Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft für Adipositas
im Kindes- und Jugendalter (AGA) wie folgt dar:
Zu viele Schokoriegel oder zuwenig Bewegung?
Adipositas gilt als multifaktoriell verursachte
Erkrankung. Damit ergibt sich ein buntes Bild an
Ursachen, darunter metabolische (z.B. Hypothyreose, Hyperkortisolismus), genetische (PraderWilli-Syndrom, Cohen-Syndrom) und psychiatrische Ursachen (z.B. Binge Eating Disorder).
Dennoch bedingen diese „sekundären“ Ursachen nur 5% der Adipositasfälle aus. Bei der
primären Adipositas liegt häufig eine familiäre
genetische Disposition vor. Auch die Umwelt
und die soziale Schicht spielen eine Rolle. Jeder Adipositas liegt jedoch letztlich ein Missverhältnis von Energieaufnahme und Energieverbrauch zugrunde. Während die tägliche Bewegungszeit von Kindern und Jugendlichen
stetig abnimmt, nehmen gleichzeitig falsche und
einseitige Essgewohnheiten zu.
Die Therapie steht damit auf drei Säulen:
x kalorienreduzierte Mischkost und Verbesserung des Essverhaltens
x Steigerung der sportlichen und alltäglichen
Bewegung
x Verbesserung des Körperbewusstseins und
Selbstwerts
Entscheidend ist hierbei vor allem bei jüngeren
Kindern der Einbezug der Eltern, da diese
maßgeblich die Ernährung zuhause bestimmen
und im Bereich des Ess- und Bewegungsverhaltens eine Vorbildfunktion einnehmen.
Die Adipositasgruppe für Kinder und Jugendliche am ZI
Seit einen Jahr bieten wir in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und
Jugendalters eine Adipositasgruppe sowie eine
Adipositassportgruppe an. Die Adipositasgruppe basiert weitgehend auf dem evaluierten Manual von Petermann und Warschburger sowie
Unterrichtsmaterialien der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung (BzGA). Über einen
Zeitraum von acht Wochen (1,5h/Woche) wird in
altersadäquater Weise gesundes Ernährungsverhalten vermittelt und mittels Selbstregistrierung und Reizkontrolle (bzgl. Essenszeiten,
Essensumstände) falsches Essverhalten korrigiert. Kognitive Techniken (Stopp-Techniken,
alternative Verhaltensweisen) in Problemsituationen werden geübt. Mit einem einfachen Ampelschema lernen die Kinder Nahrungsmittel
nach ihrem Energiegehalt einzuschätzen. Sport
und vor allem Bewegung im Alltag spielen in
beiden Gruppen eine ausschlaggebende Rolle.
Ziel ist es, Spaß an Bewegung und ein verbessertes Körperbewusstsein zu vermitteln. Einen
Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass eine
Fehlbilanz von 2%, das sind ca. 125 kJ/Tag
oder 15 Minuten Fernsehen statt Bewegung,
zur Adipositas im Kindesalter führt. Auf der anderen Seite nimmt die Menge einfacher Kohlenhydrate (z.B. Zucker) und Fett einen immer
größeren Anteil an der Nahrung ein. Letztlich ist
Adipositas vor allem ein Verhaltensproblem, das
mit verhaltenstherapeutischen Mitteln behandelt
werden sollte.
Wann soll behandelt werden?
Aufgrund der hohen Morbidität und Mortalität
der Adipositas im Kindes- und Jugendalter sowie der hohen Persistenz bis ins Erwachsenenalter empfiehlt sich eine Behandlung bei Überschreiten der 90. Perzentile (Gewicht halten bei
weiterem Wachstum). Über der 97. Perzentile
ist dringend eine Gewichtsreduktion indiziert.
Bei fehlender Gewichtsreduktion droht den Kindern und Jugendlichen unter anderem ein 12-
18
sowie die hohe Persistenz der Adipositas bis ins
Erwachsenenalter unterstreichen die Dringlichkeit einer frühzeitigen Intervention - besser noch
der Prävention.
weiteren Grundstein bildet die Vermittlung sozialer Kompetenzen und Steigerung des
Selbstwerts. Teilnehmen können acht bis zehn
Kinder und Jugendliche (Alter 10-16) mit einem
Gewicht über der 97. Perzentile, guten Deutschkenntnissen und aus-reichender Gruppenfähigkeit. Die bisherigen Ergeb-nisse zeigen eine
Verbes-serung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens bei den Teilnehmern sowie
eine Gewichtsstabilisierung bzw. Gewichtsabnahme von im Durchschnitt zwei bis drei Kilogramm.
Nur wenige Programme beschäftigen sich bisher mit präventiven Maßnahmen, die stets im
Kindesalter beginnen sollen. Aktuell ist deshalb
ein präventives Programm über einen längeren
Zeitraum in Vorbereitung, das mit Hilfe verhaltenstherapeutischer Maßnahmen gezielt auf
das Ess- und Bewegungsverhalten gefährdeter
Kinder und Jugendlicher Einfluss nehmen will,
um dieses langfristig positiv zu verändern.
Besser vorsorgen ...
Die außerordentlich schwie-rige Therapie der
Adipositas im Erwachsenenalter, die nur in seltenen Fällen zu einer Gewichtsreduktion führt,
Yvonne Grimmer, Janina Vitt
Soziales Kompetenztraining mit Jugendlichen in der Gruppe
Kompetenztraining in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und habe durch den Vortrag wertvolle Anregungen über einen praxisorientierten
Aufbau, Ablauf und wichtige Hintergründe des
Sozialen Kompetenztrainings gewonnen. Die
neu gewonnen Ideen inspirierten mich dazu,
meine Hausarbeit über das Thema Soziales
Kompetenztraining mit Jugendlichen in der
Gruppe zu schreiben. Vor dem Hintergrund
meines geplanten nächsten Einsatzes in der
Im Rahmen der Fachweiterbildung besuchte
unser Kurs im April 2004 die „2. Fachtagung der
Weiterbildungsstätten für Krankenpflegepersonal in der Psychiatrie des Landes BadenWürttemberg“ in Rottweil.
Auf dieser Fachtagung nahm ich am Vortrag der
Weiterbildungsteilnehmer vom Universitätsklinikum Freiburg – Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie – teil. Der Vortrag gab mir einen
Einblick in das Stationskonzept und das Soziale
19
x
Wohngruppe für psychisch kranke Jugendliche
„Kettelerweg“ habe ich Ideen entwickelt, auf
welchen aufbauend ein konkretes Soziales
Kompetenztraining gestaltbar ist.
In der vorliegenden Hausarbeit werden wichtige
Elemente dieses Trainings beispielhaft dargestellt. Auch soll ein Einblick in die Hintergründe
und die praktische Arbeitsweise des Sozialen
Kompetenztrainings mit Jugendlichen in der
Gruppe vermittelt werden.
eigene Interessen, Bedürfnisse, Gefühle
und eigene Ansichten äußern und durchsetzen können, aber auch die Interessen,
Gefühle und Bedürfnisse anderer wahrzunehmen
Wann fehlt soziale Kompetenz?
Die drei häufigsten Bereiche fehlender sozialer
Kompetenzen sind:
1. Rechte: Dies bedeutet, eigene Rechte und
berechtigte Interessen in Anspruch zu nehmen und durchzusetzen sowie Forderungen
zu stellen und unberechtigte Forderungen
anderer abzulehnen.
2. Beziehungen: In der Beziehung zu Partner,
Kinder, Freunde usw., Gefühle, Bedürfnisse
und Wünsche zu äußern und einzubringen,
als auch mit Kritik umzugehen und Kompromisse zu finden.
3. Kontakte: Kontakte knüpfen, diese aufrechterhalten und zu gestalten, vor allem
wenn es sich um fremde Personen handelt.
Was ist „Soziale Kompetenz“?
Soziale Kompetenz ist die „Fähigkeit einer Person, soziale Alltagsinteraktionen im Sinne eigener Ziele und Bedürfnisse (mit)gestalten zu
können ohne die Rechte und Interessen anderer unnötig zu verletzen.“ (aus dem Psychologie-Skript der Dozentin Christiane Kühner).
Damit wird soziale Kompetenz beschrieben als
ein Kompromiss zwischen Selbstverwirklichung
und sozialer Anpassung. Natürlich bezieht sich
soziale Kompetenz auf ein äußerst breites
Spektrum menschlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten in der zwischenmenschlichen Interaktion.
Daher wird im Folgenden unterschieden zwischen formalen und inhaltlichen Aspekten sozialer Kompetenz.
Ursachen mangelnder sozialer Kompetenz
können sein: Angst: dadurch wird das Verhalten der Person beeinträchtigt und führt somit
zur Vermeidung von bestimmten Situationen
und Personen; mangelnde soziale Fertigkeiten:
zurückführbar auf fehlende Lernerfahrungen
oder Modelle; ungünstige kognitive Prozesse:
z. B. die Wahrnehmung und Interpretation sozialer Situationen ist verzerrt. Diese Ursachen
sind in der Regel für die Entstehung und Aufrechterhaltung sozial inkompetenten Verhaltens verantwortlich.
Aspekte für formal sozial kompetentes Verhalten sind:
x beim Sprechen und Zuhören BLICKKONTAKT suchen
x die KÖRPERHALTUNG sollte aufrecht entspannt und ruhig mit angemessener Distanz
zum Interaktionspartner sein
x die GESTIK sollte reichhaltig, gelöst und zur
Situation passend sein
x die LAUTSTÄRKE sollte der Situation und
Distanz entsprechend lauter oder leiser sein
x die STIMMMODULATION sollte klar und
verständlich sein und eine bewegte und betonte Satzmelodie beinhalten
x der ICH-GEBRAUCH sollte im Gespräch
zur Geltung kommen, das bedeutet von sich
selbst (ich) reden und nicht im Allgemeinen
(man)
Was ist Soziales Kompetenztraining?
Soziales Kompetenztraining ist ein therapeutisches Vorgehen mit dem Ziel des Neuerlernens
von sozialen Fertigkeiten um dadurch das sozial
kompetente Verhalten aufzubauen.
Es werden soziale Situationen, die dem Patienten Schwierigkeiten bereiten, analysiert und dokumentiert (z. B. „Nicht nein sagen zu können“
oder Forderungen zu stellen). Aufbauend auf der
Analyse der spezifischen sozialen Problemsituation des Patienten wird vom Therapeuten ein
Modell erarbeitet und dem Patienten vermittelt.
Das Prinzip des Trainings: es werden neue Reaktionsweisen besprochen und eingeübt, bis sie
der Patient angstfrei beherrscht. Hierbei soll an
allen Ebenen gearbeitet werden und es ist wichtig, dass sich Gedanken, Gefühle und Verhalten
gegenseitig bedingen. Ziel ist es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen passiv-nachgebend
und aggressiv-fordernd zu finden. Ein wichtiges
Element ist hierbei das Rollenspiel. Im Rollenspiel gespielte Situationen werden analysiert,
problematisches und fehlerhaftes Verhalten mit
dem Patienten besprochen, anschließend wer-
Aspekte für inhaltlich sozial kompetentes
Verhalten sind:
x berechtigtes Lob, Kritik und Forderungen
aussprechen sowie annehmen zu können,
aber auch diese, wenn sie unberechtigt
sind, abzulehnen
x durch Fehler verursachtem „Aufsehen“ in
der Gruppe sich mit den Konsequenzen
auseinander setzen zu können
x Kontakte aufnehmen, aufrecht erhalten und
beenden
20
den gemeinsam realistische Ziele formuliert und
erarbeitet. Die Problemsituation des Patienten
wird so lange mit positivem Feedback durch den
Therapeuten eingeübt, bis alle einzelnen Elemente verbessert wurden. Die neuen Kompetenzen werden in Realsituationen geübt und getestet. Zur Reflexion der Teilnehmer werden
Hausaufgaben in Form von Expositionstrainings
oder Fragebögen in jeder Therapiestunde erteilt.
Anwendung bei Jugendlichen
Soziales Kompetenztraining wird angewandt bei
Jugendlichen mit folgenden spezifischen Diagnosen bzw. Verhaltensauffälligkeiten:
x Soziale Störung des Verhaltens
x Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom
x Hyperkinetische Störung
x Essstörungen: Anorexie nervosa, Bulimie,
Adipositas
x Sozial ängstliche, schüchterne, selbstunsicheren Kinder und Jugendliche
x Persönlichkeitsstörungen, z. B. BorderlineSyndrom
x Jugendliche mit Aggressionen und dissozialem Anteil
x Schulverweigerung
x Zwangstörungen
x Alkohol- und Drogenmissbrauch
x Depression
x Schizophrenie (i. R. der Rückfallprophylaxe)
wendung, an welche vor der Sitzung nochmals
erinnert wird (z.B. Regeln zur Gesprächsführung).
Alle Sitzungen haben folgende Struktur:
x Auswertung des Tagebuches oder Besprechung der Hausaufgabe aus der vorherigen
Sitzung
x Themenarbeit und Rollenspiele (mit Feedback vom Trainer an den Jugendlichen bzw.
Feedback der Jugendlichen untereinander)
x Vergabe von einer Hausaufgabe, Protokollierung im Tagebuch oder Absprache über
eine Regel
x frei verfügbare Zeit: In der Arbeitszeit findet
keine Pause statt. Als Ausgleich bekommen
die Jugendlichen im Anschluss noch eine
frei verfügbare Zeit von 30 Minuten, die sie
gemeinsam in der Gruppe verbringen.
Vor Beginn des Trainings wird ein diagnostisches Gespräch (das sich an einem diagnostischen Fragebogen orientieren kann) mit dem
Jugendlichen durchgeführt, indem Fragen zu
seiner Person, bisherigen Entwicklung, seiner
Familie, seiner aktuellen Situation und seiner
Beziehung zu Gleichaltrigen beantwortet werden sollen.
Der Erstkontakt im Sozialen Kompetenztraining
ist wesentlich, um ein erstes Kennenlernen der
Teilnehmer zu ermöglichen, um die zu behandelnden Themen vorzustellen oder um Regeln
für die Arbeit innerhalb einer Gruppe zu entwickeln und verbindlich zu vereinbaren.
Mögliche Regeln können sein:
x keine unpassenden Wortbeiträge
x nicht vom Thema ablenken
x sich konzentrieren
x aufmerksam sein und zuhören
x nicht dazwischen reden
x beim Zuhören den Redenden ansehen
x lauter Sprechen
x pünktlich sein
x geduldig bleiben
x nicht wütend oder unaufmerksam werden
x Finger aus dem Gesicht nehmen und nicht
Fingernägel kauen
x nicht zurückhaltend sein, sich ruhig verhalten
x diszipliniert sein
x nicht über andere lästern
x nicht um Sitzplätze streiten
Bei den Jugendlichen soll hiermit die Handlungskompetenz im Arbeits- und Sozialverhalten gestärkt werden. Ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung soll sich verbessern, sie sollen
erlernen, mit dem eigenen Körper und den
Gefühlen umzugehen. Sie sollen selbstsicher
werden und über ein stabiles Selbstbild verfügen. Sie sollen in der Lage sein, Einfühlungsvermögen zu zeigen und mit Lob, Kritik und
Misserfolg umzugehen
Formen des Sozialen Kompetenztrainings
Man unterscheidet das Einzeltraining und das
Gruppentraining mit Kindern und Jugendlichen.
Im weiteren Verlauf werde ich mich mit dem
Gruppentraining befassen.
Bei dem Gruppentraining mit Jugendlichen
handelt es sich um ein Vorgehen, bei dem ein
oder zwei Trainer mit vier oder fünf Jugendlichen in einer jeweils zweistündigen Gruppensitzungen ein vorgegebenes Thema bearbeiten. Das Ziel für die Teilnehmer besteht darin,
bestimmte soziale Fähigkeiten zu erlernen.
Eine Gruppensitzung dauert 120 Min., diese ist
unterteilt in 90 Minuten Arbeitszeit und 30 Minuten frei zur Verfügung.
Die Gruppensitzungen werden in einer vorab
vereinbarten Struktur durchgeführt. Gleichzeitig
kommen in diesen Sitzungen Regeln zur An-
Die Regeln sollen von den Gruppenteilnehmern
zusammen mit den Trainern erarbeitet und festgelegt werden. Die Auswahl und Festlegung der
Gruppenregeln sollte auf die Gruppe speziell
abgestimmt sein. Die im Erstkontakt bestimmten
Regeln gelten ab sofort.
21
Im weiteren Verlauf werden in verschiedenen
Blöcken folgende Themen bearbeitet:
Themenblock 1 (zwei Gruppensitzungen à 90
min): Gefühle und Körperhaltung bilden eine
Harmonie. Im Rollenspiel werden verschiedene
Gefühle durch Mimik, Gestik, Körperhaltung,
Sprache und verhalten dargestellt.
Themenblock 2 (eine Gruppensitzung): Einfühlungsvermögen. Schulung der Wahrnehmung
hinsichtlich Gestik, Mimik und verbalem Interaktionsverhalten zur Förderung des Einfühlungsvermögens. Methodischer Schwerpunkt ist das
Erkennen von Gefühlen anhand einzelner Fotos.
Themenblock 3 (zwei Gruppensitzungen): Bedeutung von Gefühlen. Die Jugendlichen erarbeiten selbständig welche Bedeutung Gefühle
für sie selbst darstellen und anhand von Arbeitsblättern soll den Jugendlichen gezeigt werden, dass Gefühle unser Handeln motivieren,
wir durch Gefühle mit anderen kommunizieren,
dass Gefühle unsere Wahrnehmung bestätigen
können und dass wir in der Interaktion mit anderen in unseren Gefühlen beeinflusst werden
können.
Themenblock 4 (sechs Gruppensitzungen):
Konkrete Darstellung einzelner Gefühle. Pro
Gruppensitzung wird jeweils ein konkretes Gefühl bearbeitet. Diese sind: Freude, Ärger, Liebe, Scham, Angst und Traurigkeit. Es wird bearbeitet, wie das jeweilige Gefühl erlebt wird,
welche Gedanken es hervorruft, wie man es
ausdrücken kann und welche Auswirkungen
auftreten können. Im Anschluss an das besprochene Gefühl wird den Jugendlichen die Gelegenheit gegeben, dieses kreativ in einer Collage
auszudrücken.
White matter lesions
Quantifizierung von zerebralen
Durchblutungsstörungen bei der
Altersdemenz
Läsionen der weißen Hirnsubstanz sind seit
Beginn der Schnittbilddiagnostik ein bekanntes
und kontrovers diskutiertes Problem. Die "Leukoaraiose" in der Computertomographie (CT)
wurde als Prädiktor für die Lebenszeit, aber
auch als diagnostisch unerhebliche, altersassoziierte normale Beobachtung ohne eigene pathologische Bedeutung beurteilt. Mit der Magnetresonanztomographie (MRT) wurde die Differenzierung der Leukoaraiose in erweiterte
Virchow-Robinsche Räume (VRR), periventrikulärer Randsaum und die Läsionen der weißen
Substanz mit kompletten kleinen (Lakunen) und
inkompletten Infarkten (white matter lesions,
WML) möglich. Im Gegensatz zu dem periventrikulären Randsaum und den VRR sind nur
die WML mit der Variablen kognitive Einbuße
korreliert, die lakunären Infarkte sind für die
Entwicklung einer Demenz weniger bedeutsam.
Damit kommt der Analyse der WML und deren
Abgrenzung von den nicht relevanten bildmorphologischen Befunden („white matter hyperintensities“) eine Bedeutung zu. Die WML sind
einerseits altersassoziiert physiologisch, andererseits bei darüber hinausgehender Ausprägung und speziellen Lokalisationen mit der klinischen Diagnose einer vaskulären subkortikalen Demenz verknüpft. Mit dem Nachweis der
signifikanten Korrelation von WML und kognitiven Scores in der Psychometrie wurde die diagnostische Bedeutung dieser strukturellen Veränderungen für die Diagnostik und Differentialdiagnostik der Demenzen gesichert.
Schlusswort
Wie schon zu Beginn erwähnt, hat mich die
Thematik schon in der theoretischen Erarbeitung sehr interessiert und bewegt. An meinem
Einsatzort im Rahmen der Weiterbildung zur
Fachschwester für Psychiatrie „Ketteler Weg“
konnte ich nun meine Ideen kreativ ein- und
umsetzten. Zu Beginn fiel es den Jugendlichen
recht schwer, im Rollenspiel verschiedene Gefühle darzustellen. Doch mittlerweile haben sie
zunehmend Spaß daran gefunden und sind
recht gut in der Lage, sich anhand ihrer bisher
geschulten Wahrnehmung im ihrem Interaktionsverhalten zu reflektieren. Für einige Jugendliche sind das neue und wichtige Erfahrungen
und Erkenntnisse.
Pathogenese der mikroangiopathischen
Läsionen
Für die Pathogenese der WML liegen neben
primär kardiovaskulären Ursachen eine Vielzahl
von Erklärungen vor. Der "Hauptrisikofaktor"
jedoch ist das Alter. Die Prävalenz der WML
nimmt mit dem Lebensalter zu, der Prozess
läuft aber augenscheinlich nicht kontinuierlich
ab. Die unterschiedliche Sensitivität für WML in
der Bildgebung mit CT und speziellen MRSequenzen,
einschließlich
T2-gewichteter
FLAIR (fluid attenuated inversion recovery)Sequenzen ist erheblich für die Detektion der
Befunde, die sich bei diskreter Ausprägung im
CT dem Nachweis entziehen können. Die Feldstärke der MRT-Geräte ist positiv korreliert mit
dem Nachweis von WML. Eine reproduzierbare
Quantifizierung ist auf der Grundlage einer visuellen Abschätzung und ausschließlich erfahrungsdeterminierten Beurteilung nicht ausrei-
Christiane Schwanke
22
funktionen benutzt (Proc Transreg, SAS). Die
WML-Scores wurden mit dem tatsächlichen
Alter für beide diagnostische Gruppierungen
keine Demenz vs. Demenz unter Berücksichtigung des 95%-Vertrauensintervalls verglichen
(Abb. 1 und 2). Zu berücksichtigen sind die
unterschiedlichen Wertebereiche der WMLScores mit maximal 48 für das Gesamt- und 12
für das Frontalhirn.
chend sicher möglich. Die seit 1999 verfügbaren Ratingskalen erfüllten unsere Anforderungen an eine regionale Erfassung von WML in
ihrer Ausprägung nicht. Inzwischen wurden
Instrumente publiziert, die der eigenen Ratingskala ähnlich sind. Die mögliche Alternative
der volumetrischen Quantifizierung der WML
fordert einen hohen interaktiven Aufwand und
ist mit methodisch bedingten Einschränkungen
verbunden.
Das Projekt
Im Zeitraum von 3/2000 bis 2/2004 wurden
422 Patienten untersucht, die von der
Gedächtnisambulanz
zur
neuroradiologischen
Bildgebung
und
psychologischen Testung überwiesen wurden. Ziel der Untersuchung war es zu
prüfen,
ob
sich
mikroangiopathische
Läsionen
der
weißen
Hirnsubstanz
replizierbar quantifizieren lassen und ob
über einen mit dem Lebensalter korrelierten
Cut-off-Wert eine diagnostische Trennung in
altersnormale
vs.
pathologische
Ausprägung der Läsionen möglich ist.
Unter Berücksichtigung von Ausschlusskriterien
beschränkte sich die Anzahl der Patienten bzw.
die vollständigen Datensätze für die Korrelation
von neuroradiologischen und neuropsychologischen Daten auf n = 338. Die Patienten wurden
nach der klinischen Abschlussdiagnose nach
ICD-10 klassifiziert. In die Diagnose gingen das
Ergebnis der visuellen Beurteilung der MRT und
die neuropsychologische Diagnose auf der
Grundlage der CERAD-Testbatterie ein. Weitere
differenzierte Tests wurden unabhängig und
ohne Kenntnis der klinischen Abschlussdiagnose durchgeführt und im Rahmen der Studie
(s.u.) interpretiert.
Abb 1:
Mittelwerte und Konfidenzintervall zur Trennung
altersphysiologischer vs. pathologischer WMScores (oben = Demenz, unten = kognitiv Gesunde; WML glob = vaskuläre Läsionen in der
weißen Substanz des Großhirns)
Von allen Patienten lag eine schriftliche Einverständniserklärung vor, das Untersuchungsprotokoll war von der Ethikkommission Mannheim
der Universität Heidelberg gebilligt worden.
Die Ergebnisse
Die in 1999 formulierten Hypothesen waren
nach Auswertung der Datensätze von 338 Patienten zu bestätigen. Die Bedeutung der mikroangiopathischen Läsionen für die Entwicklung
einer Altersdemenz war zu quantifizieren.
Die Untersuchung
Die Quantifizierung der WML erfolgte in der für
die Studie konzipierte MR-FLAIR-Sequenz,
interleaved in 4mm-Schichtabstand kontinuierlich bei identischem Field of View, in den bis zu
40 Einzelschichten mittels einer eigens dafür
entwickelten Ratingskala, die die Erfassung der
WML in Zahl, Ausprägung und Lokalisation als
Score ermöglichte. Ermittelt wurden die Scores
für das gesamte Marklager und für anatomisch
definierte Sub-Regionen. Die Ratingskala wurde
unter Mitwirkung von acht auswärtigen „Observern“ auf das Gütekriterium Reliabilität geprüft.
Die Intra- bzw. Inter-Observer-Reliabilität waren
besser als die Ergebnisse anderer Skalen.Für
die Ermittlung eines Cut-off-Wertes zur Differenzierung von altersassoziiert physiologischen
und pathologischen mikroangiopathischen WML
wurde ein nichtparametrisches Kurvenglättungsverfahren mit monoton steigenden Spline-
Eine Rating-Skala zur Quantifizierung von WML
(Scores) wurde als Voraussetzung für die diagnostische Zuordnung (Mittelwert und Konfidenz für Nichtdemente und Demente) entwickelt
und auf das Testgütekriterium Reliabilität geprüft.
Mit den Instrumenten Rating-Skala und Konfidenzintervalle für kognitive Gesunde und vaskulär Demente wurde die Voraussetzung für eine
quantitative, replizierbare Diagnostik zur Verbesserung der Sicherheit der Diagnose geschaffen. Dies lässt sich implizieren auf die
Sekundärprophylaxe bei Nichtdementen bzw.
für die Therapie von Patienten mit einer subkor-
23
x
tikalen vaskulären Enzephalopathie mit Demenz.
Die einander ergänzenden Beiträge von Bildgebung und Psychologie zur Diagnose und Differentialdiagnose der Demenzen wurden ermittelt.
Damit lässt sich die Forderung nach einer erweiterten klinischen Diagnostik der Demenzen
mit MR-Bildgebung und die Anwendung optimierter, auf die diagnostische Fragestellung
konfigurierter psychologischer Tests, begründen.
x
x
x
Die Datenanalyse führte zu neuen Einsichten in
die Pathogenese der Altersdemenzen bzw. die
Bedeutung der vaskulären Komponente des
Prozesses.
x
Genetische Typisierung der klinisch, neuroradiologisch und psychologisch untersuchten Patienten in der Abteilung Molekulargenetik der Psychiatrischen Universitätsklinik
Bonn (Leitung: Frau Dr. H. Kölsch), VorStudie zum DFG-Antrag auf Gewährung
von Sachbeihilfe.
Beitrag der Magnetization transfer Ratio
(MTR) für die Diagnostik und Differentialdiagnostik der Demenzen.
Untersuchung
des
Überweisungs-Bias
durch Haus- vs. Nervenfacharzt.
Optimierung von psychologischen TestBatterien.
Konfiguration psychologischer Verfahren für
unterschiedliche Ebenen der Demenzdiagnostik.
th
Zu untersuchen bleiben Ansätze zur Vereinfachung und verbesserten Akzeptanz der quantitativen Diagnostik von WML sowie die Berücksichtigung des individuellen Vergrößerungsfaktors im Bilddokument und die Ermittlung der
WML-Scores in Beschränkung auf den Frontallappen. Die vorläufige Auswertung lässt eine
Vereinfachung ohne qualitative Einbuße erwarten.
Die Ergebnisse wurden auf dem 3 International
Congress on vaskular Dementias in Prag 2003
präsentiert und mit dem 2. Posterpreis ausgezeichnet. Wir danken den Kolleginnen und Kollegen der Gedächtnisambulanz für die mehrjährige gute Zusammenarbeit, ohne die die umfassende klinische, bildgebende und neuropsychologische Untersuchung und der Abgleich der
Befunde und Diagnosen gar nicht möglich gewesen wären. Ebenso danken wir Dr. Bertram
Krumm von der Abteilung Biostatistik für seine
ständige Ansprechbereitschaft und das Engagement im Projekt.
WML glob
50
40
30
Dieses Projekt wurde über vier Jahre in der
Abteilung Neuroradiologie des Zentralinstituts
durchgeführt und im Mai 2004 abgeschlossen.
Es wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
20
10
0
50
60
70
Alter
80
90
Frank Hentschel,
Markus Kreis, Mariella Damian
Abb. 2:
Mittelwerte und Konfidenzintervalle zur Trennung altersphysiologischer vs. pathologischer
WML-Scores (oben = Demenz, unten = kognitiv
Gesunde; WML front = vaskuläre Läsionen in
der weißen Substanz des Frontalhirns)
Über formulierten Hypothesen hinaus waren mit
den in der Studie gewonnenen Daten folgende
Fragen zu bearbeiten:
x Quantifizierung der Bedeutung der erweiterten klinischen Diagnostik mit Bildgebung
und Psychometrie.
x Vergleich von Diagnosespektren unter Berücksichtigung unterschiedlicher Methoden
in Bildgebung und Psychometrie in
1998/1999 vs. 2000/2001.
24
Über Yokohama und San Francisco nach Mannheim
12th World Congress of the International Society on Biomedical
Research on Alcoholism (ISBRA) vom 29.09.-02.10.2004 in
Heidelberg und Mannheim
Behandlung der Alkoholabhängigkeit sowie
diverser organischer Folgeschäden chronischen
Alkoholkonsums z.B. der Leber, der Bauchspeicheldrüse, des Herzens und Gehirns, aber auch
die Rolle des Alkohols bei der Entstehung von
Krebs, präsentiert. Zwei Stunden pro Tag waren
der interaktiven Posterausstellung gewidmet.
Dabei konnten sich deutsche Alkoholforscher
und -behandler mit ihren internationalen Kolleginnen und Kollegen austauschen. Durch die
zeitnahe Publikation der Beiträge in einem
Supplement der Zeitschrift Alcoholism: Clinical
and Experimental Research wird die Fachwelt
über den aktuellen Forschungsstand informiert.
Erstmals seit dem Gründungskongress 1982
wurde der ISBRA-Weltkongress in Deutschland
ausgerichtet. Mit knapp 600 Teilnehmerinnen
und Teilnehmer war er der bislang größte
ISBRA-Kongress, der außerhalb der USA stattgefunden hat. Ein Grund für die Vergabe und
die gute Resonanz mag die in den letzten Jahren intensivierte Suchtforschung in Deutschland
sein. Das Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) hat im Jahr 2000 ein Forschungsprogramm “Forschungsverbünde für
Suchtforschung“ im Rahmen der „Gesundheitsforschung 2000“ aufgelegt. Hierfür stehen derzeit etwa 4 – 5 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Vier Suchtforschungsverbünde bearbeiten seit mehreren Jahren vor allem Fragen der
konkreten Umsetzung der neuen Ergebnisse.
Erste Ergebnisse haben bereits internationale
Beachtung gefunden.
Beispielhaft sei hier kurz auf zwei Ergebnisse
eingegangen:
Die Einführung sog. Anticraving Medikamente
wie z. B. Acamprosat verdoppelt die Chance bei
Alkoholikern, abstinent zu bleiben. Nachdem
Acamprosat seit rund zehn Jahren in Europa
verordnet wird, wurde es jetzt auch in den USA
zugelassen. Dort hat sich bezüglich der gleichen Problematik ein zweites Medikament,
Naltrexon, bewährt. Das Problem beider Präparate ist jedoch die häufig fehlende Compliance
auf Seiten der Patienten. Viele setzen nach
kurzfristiger Einnahme die Medikation ab, so
dass kein dauerhafter Effekt erzielt werden
kann. Auf dem Kongress wurde jetzt erstmals
eine Depotform von Naltrexon vorgestellt. Dr.
Silverman, USA, konnte in einer doppelblinden
und randomisierten Studie zeigen, dass die
Depotform über einen Monat hinweg eine sichere Wirkung erzielen kann. Vor dem Hintergrund
der Compliance-Problematik könnte so vielen
Alkoholabhängigen geholfen werden. Die Nebenwirkungen waren unbedenklich und entsprachen den von der anderen Darreichungsform bekannten (z. B. anfängliche Übelkeit).
Das Programm umfasste das gesamte Spektrum moderner Alkoholforschung von der Molekulargenetik bis zu therapeutischen Frühinterventionen. Plenarvorträge gaben hier einen
Überblick über aktuelle Forschungsrichtungen.
So sprach Christine Godfrey, Professorin an der
University of York, England, zum Thema Gesundheitsökonomie des Alkoholismus. Das
wichtigste Ergebnis ihrer Forschungsarbeiten
war die Feststellung, dass allein schon die kurzfristige Kostenreduktion die durch eine Psychotherapie entstandenen Kosten sechsfach übertrifft. In erster Linie wurden hier Folgekosten
durch die Inanspruchnahme gesundheitsrelevanter Dienstleistungen, sozialer Betreuung
oder weiterer alkoholbezogener Behandlungen,
aber auch soziale Kosten (z.B. durch Straftaten
oder Produktivitätsverluste) betrachtet.
Der Direktor des National Institute on Alcohol
Abuse and Alcoholism (NIAAA), Ting-Kai Li,
USA, berichtete über moderne Forschungsstrategien, insbesondere in der Genetik. Adron
Harris (Austin/Texas), Präsident der ISBRA,
berichtete über grundlegend neue Erkenntnisse
zur Neurochemie des Alkohols nach der Entdeckung alkoholspezifischer Bindungsstellen.
Mehr als hundert Jahre suchte die Wissenschaft
Antworten auf die Frage, wie es zu einer Hirnschrumpfung bei Alkoholabhängigen kommt.
Zwar wurde sehr bald erkannt, dass Alkohol als
Zellgift wirkt und damit die Zellen entweder partiell schädigt oder ganz abtötet. Es blieben jedoch immer Vermutungen nach weiteren Mechanismen. Nach der Einführung neuer bildgebender Verfahren konnte gezeigt werden, dass
unter Abstinenz die alkoholbedingte Hirnatro-
Rund 40 Symposien behandeln Themen wie
neuere psychotherapeutische und psychosoziale Therapieansätze. Hierzu wurden aktuellste
Ergebnisse bezüglich der pharmakologischen
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phie partiell reversibel ist. Dies war mit dem
damals in der Wissenschaft herrschenden
Dogma nicht vereinbar, wonach das erwachsene Gehirn keine neuen Nervenzellen zu bilden
vermag. Jetzt hat Fulton Crews von der University of North Carolina, Salem, herausgefunden,
dass bei Erwachsenen „alkoholabhängigen“
Versuchstieren eine Neubildung von Nervenzellen in der Größenordnung von mehreren
100.000 pro Monat möglich ist. Im Stadium
massiver Alkoholzufuhr kommt diese Neuroneogenese dagegen vollständig zum Stillstand.
Bisher konnten die beschriebenen Veränderungen vor allem im Hippocampus und in Teilen
des frontalen Cortex nachgewiesen werden.
Diese Befunde, gemeinsam mit den oben beschriebenen toxischen Wirkungen von Alkohol
auf die Nervenzelle, zeigen einerseits die alkoholbedingte Hirnatrophie, andererseits kann
damit auch die abstinenzbedingte Erholung und
Wiederausdehnung des Gehirns im Sinne einer
„Selbstreparatur“ nachgewiesen werden. Solche
Ergebnisse können zu einer Steigerung der
Motivation zur Abstinenz führen.
Tabakabhängigkeit und
Rückfall
Was wir von Bildgebenden
Verfahren lernen können
In der Klinik für Abhängiges Verhalten und
Suchtmedizin des Zentralinstituts für Seelische
Gesundheit wird seit nunmehr über einem Jahr
ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Forschungsprojekt durchgeführt, das sich mit den neurobiologischen Mechanismen der Tabakabhängigkeit beschäftigt.
Dabei werden, um Veränderungen im Gehirn
von abhängigen Rauchern zu untersuchen,
Bildgebende Verfahren, wie die funktionelle
Kernspintomographie, eingesetzt.
Häufigkeit der Tabakabhängigkeit
Die
Weltgesundheitsorganisation
(WHO)
schätzt, dass weltweit 1,1 Milliarden Menschen
Tabakprodukte – vornehmlich Zigaretten – konsumieren. Die gesundheitlichen Folgen sind
enorm. Rauchen ist der bedeutsamste einzelne
Risikofaktor für eine Reihe weit verbreiteter
schwerer, chronischer Krankheiten, wie HerzKreislauf-Krankheiten, verschiedene Krebsarten
und chronisch obstruktive Bronchitis. Raucher
haben im Vergleich zu Nichtrauchern eine
durchschnittlich um 10 Jahre verkürzte Lebenserwartung. Obwohl die gesundheitsschädigenden Wirkungen des Tabakrauchens seit ca.
zwei Jahrzehnten klar nachgewiesen sind,
steigt der weltweite Tabakkonsum an. Nach
Prognosen der Weltbank werden im Jahr 2020
nicht mehr Infektionskrankheiten weltweit wichtigste Todesursache sein, sondern Erkrankungen, die durch Rauchen verursacht sind.
Der nächste ISBRA-Kongress findet im September 2006 in Sydney/Australien statt.
Silke Merkel, Dr. Karl Mann, Thomas Hintz
Zeichen der Abhängigkeit
Viele Raucher verspüren den Wunsch, mit dem
Rauchen aufzuhören. Doch nur einem kleinen
Prozentsatz gelingt dies ohne professionelle
Hilfe. Grund dafür ist das hohe Abhängigkeitspotential von Nikotin, einem der über 4000 Inhaltstoffe des Tabakrauchs. Die Tabakabhängigkeit weist viele Gemeinsamkeiten mit anderen Abhängigkeitserkrankungen auf. Man unterscheidet ebenso zwischen psychischer und
körperlicher Abhängigkeit. Psychische Abhängigkeit ist gekennzeichnet durch ein übermächtiges inneres Verlangen oder Art Zwang („craving“), eine bestimmte Substanz immer wieder
zu konsumieren. Bei körperlicher Abhängigkeit
kommt es beim Fehlen der betreffenden Sub-
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sucht. Bei dieser Methode, die ohne gefährliche
Röntgenstrahlung auskommt, kann die Aktivität
des Gehirns indirekt über Veränderungen der
Hirndurchblutung sichtbar gemacht werden.
Man hat damit die Möglichkeit, dem „Gehirn
beim Arbeiten zuzusehen“ und Regionen zu
identifizieren, die beim Rückfall eine Rolle spielen. Während die Raucher in der Kernspinröhre
liegen, werden ihnen auf einer Leinwand abwechselnd tabakbezogene Bilder (z.B. Zigaretten, rauchende Personen) und neutrale Bilder
(z.B. Buch, Glühbirne, Gabel) gezeigt (Abbildung 1, siehe Rückseite). So kann man ermitteln, welche Hirnareale besonders auf die Substanzreize reagieren und somit eine Rolle beim
Rückfall spielen könnten. Zusätzlich haben wir
noch erhoben, wie sehr die tabakbezogenen
Bilder bei den Rauchern das Verlangen nach
einer Zigarette auslösen und wie stark ihre Tabakabhängigkeit ausgeprägt ist.
stanz zu körperlichen Entzugserscheinungen.
Wird zum Beispiel der Tabakkonsum beendet,
kommt es zu Entzugssymptomen wie Nervosität, Reizbarkeit, mürrische oder depressive
Stimmung, Aggressivität, Angst, Konzentrationsstörungen, Unruhe und Schlafstörungen.
Diese Symptome sind nach einigen Tagen abgeklungen, die psychische Abhängigkeit bleibt
aber meist lebenslang bestehen. Selbst nach
Jahren der Abstinenz kann ein vertrauter Geruch, eine bekannte Umgebung oder der Anblick von Zigaretten ein unwiderstehliches Verlangen auslösen. Die Folge: dem Verlangen
wird nachgegeben, die Zigarette angezündet
und der Rückfall ist ausgelöst.
Neurobiologische Grundlagen der Abhägigkeit und des Rückfalls
Zur Zeit wird intensiv beforscht, wie durch psychotherapeutische Verfahren oder Medikamente das Tabakverlangen eingedämmt werden
kann, um dadurch die Rückfallwahrscheinlichkeit zu reduzieren. Die zugrunde liegenden
neurobiologischen Vorgänge sind noch weitgehend ungeklärt: Wir wissen zwar recht gut, dass
beispielsweise der Anblick einer Zigarette
Rauchverlangen und den Griff zur Zigarette
auslösen kann; was sich dabei aber im Gehirn
abspielt ist kaum bekannt. Man weiß, dass solche „Hinweisreize“ ein ganz bestimmtes System
im Gehirn aktivieren, das sog. „Belohnungssystem“. Wie der Name schon sagt, wird dieses
System durch positive Ereignisse, „Belohnungen“, aktiviert wie Essen, Trinken, Sex und mütterliche Fürsorge.
Erste Ergebnisse
Wir konnten in unserer Studie zeigen, dass bei
Individuen, die ein sehr starkes Rauchverlangen
berichteten, das Belohnungssystem sehr stark
aktiviert war. Im Gegensatz dazu fanden wir bei
Rauchern, die sehr stark abhängig waren, also
sehr viele Zigaretten geraucht haben, eine Aktivierung in Bereichen des Gehirns, die für die
Vorstellung von Bewegungen sowie der Vorbereitung von Bewegungen dienen. Ein starker
Raucher, dem Bilder von Zigaretten gezeigt
werden, macht sich also bereit, tatsächlich nach
der Zigarette zu greifen und dies muss ihm nicht
notwendigerweise bewusst sein.
Es scheint also tatsächlich Unterschiede zwischen leicht und stark abhängigen Rauchern im
Hinblick auf die Hirnaktivierung, die durch Tabakreize ausgelöst wird, zu geben. Letzteres
scheint den Griff zur Zigarette so automatisiert
zu haben, dass ein Bild der Zigarette bereits
ausreicht, um die Handlung „Zigarette rauchen“
einzuleiten - auch wenn dies, wie im Fall der
Abstinenz, gänzlich unerwünscht ist.
Auf eben dieses System wirken auch sämtliche
Suchtmittel einschließlich Nikotin. Es konnte in
Untersuchungen sogar gezeigt werden, dass
nicht einmal die Droge selbst verabreicht werden muss (also die Zigarette geraucht werden
muss), sondern dass schon der Anblick einer
Zigarette genügt um dieses System zu aktivieren und dem Organismus mitzuteilen: „Hier hast
Du die Gelegenheit eine Belohnung zu erhalten!
Verhalte Dich entsprechend!“ Die Gesamtheit
der Reaktionen des Organismus auf solche
Hinweisreize,
wie
Veränderungen
der
Gehirnaktivität, Erhöhung des Herzschlags,
gesteigertes subjektives Verlangen usw. wird
als Cue-Reaktivität bezeichnet.
Im Weiteren soll nun untersucht werden, inwieweit verschiedene Medikamente (z.B. Rimonabant) gezielt die Aktivierung des Belohnungssystems und der motorischen Bereiche modulieren können, um somit das Verlangen und den
Griff zur Zigarette zu reduzieren und das Rückfallrisiko zu vermindern. Bildgebende Verfahren
stellen für die Zukunft eine geeignete Methode
dar, die Wirkungsweise von Medikamenten auf
das Gehirn zu untersuchen, indem sie deren
Wirkmechanismen aufzeigen.
Forschungsprojekt des ZI
Um nun zu untersuchen was im Gehirn beim
Anblick solcher Reize passiert, wurden Raucher
mit Hilfe eines Bildgebenden Verfahrens, der
sog. Funktionellen Kernspintomographie, unter-
Mira Bühler
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Abb. 1: Beispiele für tabakbezogene Bilder (obere Reihe) und neutrale Bilder (untere Reihe),
die während der Kernspintomographie den Rauchern dargeboten werden.
Bilder zum Text Seite 26 bis 27
Kinder spielen Weihnachtsengel
Bescherung beim Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot
von Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt
geschätzt wurde" - die Weihnachtsgeschichte
klang dieser Tage wieder öfter in unseren Ohren. Und sie berührte auch schon die Kleinsten.
Als sie im evangelischen Kindergarten der
Thomasgemeinde Neuostheim vorgelesen
wurde, blieb die Erzählung aus dem LukasEvangelium nicht ohne Wirkung: Ermuntert von
ihren Erzieherinnen beschlossen die Kinder,
etwas zu verschenken - an Altersgenossen,
denen es nicht so gut geht wie ihnen selbst.
Jedes der 44 Kinder zwischen drei und sechs
packte ein Spielzeug ein, über das sich zu
Weihnachten ein kleiner Patient der Kinder- und
Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI)
freuen durfte.
Um die Geschenke abzugeben war eine Delegation des Kindergartens aus neun Kindern,
der Leiterin des Kindergartens, Petra Herweh,
und zwei Erzieherinnen ans ZI gekommen. Herzlich begrüßt wurden sie von den Sozialpädagogen Albrecht Gottschall und Oliver Kunzmann,
die die betreffenden Kinderstationen betreuen,
sowie von Oberärztin Katja Becker.
Die Beschenkten sind alle im Alter zwischen fünf
bis 15 - und auch wenn die meisten Kinder Weihnachten zu Hause verbringen durften, wollte es
sich das ZI nicht nehmen lassen, das Fest mit
seinen Schützlingen zu feiern. Das fand noch in
der provisorischen Unterkunft des Instituts statt
- im kommenden Sommer soll der Neubau eröffnet werden.
Und die „Weihnachtsengel" aus dem evangelischen Kindergarten haben schon laut darüber
Eine Delegation aus Kindern und Kindergärtnerin des evangelischen Kindergartens der Thomasgemeinde Neuostheim bescherte Patienten des ZI.
nachgedacht, dabei auch wieder mit von der
Partie zu sein. Dann wird der Kindergarten
möglicherweise eine Patenschaft übernehmen
für eines der Tiere im Freigehege.
dad
Daniela Dreyfürst im
„Mannheimer Morgen“ vom 27.12.2004
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