28. Jahrgang · Nummer 1 · Januar 2005 15 Jahre Sozialpsychiatrischer Dienst Mannheim Grußwort des Vorstandsvorsitzenden Winfried Busche 3 15 Jahre Sozialpsychiatrischer Dienst Mannheim Zahlen, Daten, Fakten und Leistungen des Dienstes 4 Chaos im Kopf: Hilft Psychotherapie bei erwachsenen ADHS-Patienten? 5 Wie Paul McCartney „Yesterday“ schrieb Träume und Kreativität 8 Die „Besondere Stationäre Dementenbetreuung“ in Hamburg Aktuelle Ergebnisse einer Evaluationsstudie 10 Zwischen Heißhunger und Selbstaufgabe Essstörungen im Erwachsenenalter 14 „Generation Schokoriegel“ Adipositas im Kindes- und Jugendalter 17 Soziales Kompetenztraining mit Jugendlichen in der Gruppe 19 White matter lesions Quantifizierung von zerebralen Durchblutungsstörungen bei der Altersdemenz 23 Über Yokohama und San Francisco nach Mannheim 12th World Congress of the International Society on Biomedical Research on Alcoholism (ISBRA) vom 29.09. bis 02.10.2004 in Heidelberg und Mannheim 25 Tabakabhängigkeit und Rückfall Was wir von Bildgebenden Verfahren lernen können 26 Kinder spielen Weihnachtsengel Bescherung beim Zentralinstitut für Seelische Gesundheit 28 Autorinnen und Autoren Dr. Barbara Alm, Oberärztin, Leiterin der Ambulanz der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Helene Aumüller, Leiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes in Mannheim Mira Bühler, Wissenschaftl. Mitarbeiterin an der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin Winfried Busche, Verwaltungsdirektor des ZI Dipl.-Psych. Marinella Damian, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Neuroradiologie Daniela Dreyfürst, Mannheimer Morgen, Redaktion Nachbarschaft Daniel Erlacher, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Schlaflabor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Yvonne Grimmer, Assistenzärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters Dr. Ingrid Hendlmeier, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie Prof. Dr. Frank Hentschel, Leiter der Abteilung Neuroradiologie Dipl.-Psych. Thomas Hintz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Klinik für Abh. Verhalten und Suchtmedizin Markus Kreis, Assistenzarzt in der Abteilung Neuroradiologie Prof. Dr. Karl Mann, Ärztlicher Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin Dipl.-Rom. Silke Merkel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Klinik für Abh. Verhalten und Suchtmedizin Dr. Martina Schäufele, Stellvertretende Leiterin der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie Priv.-Doz. Dr. Michael Schredl, Wissenschaftl. Leiter der Schlafforschung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Esther Sobanski, Ärztin der Ambulanz der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Christiane Schwanke, Krankenschwester in der Weiterbildung zur Fachschwester für Psychiatrie Janina Vitt, Dipl.-Sportwissenschaftlerin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters Prof. Dr. Siegfried Weyerer, Leiter der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie Impressum Herausgeber: Zentralinstitut für Seelische Gesundheit 68159 Mannheim, J 5 Redaktion: Dr. Marina Martini Referat Öffentlichkeitsarbeit Telefon: 0621/17 03-1301, -1302 Telefax: 06 21/17 03-1305 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.zi-mannheim.de Nachdruck nur mit Genehmigung. Hinweis: Auch wenn in den folgenden Texten auf die weibliche Form bei der Benennung von Personen verzichtet wird, sind selbstverständlich immer Frauen und Männer gemeint. 2 15 Jahre Sozialpsychiatrischer Dienst Mannheim Grußwort des Vorstandsvorsitzenden Winfried Busche Heute betreut der Dienst rund 800 Klienten. Neben seiner Kernaufgabe, der Grundversorgung psychisch kranker Menschen, werden Leistungen wie Soziotherapie, Angebote für Kinder psychisch kranker Eltern, ambulant betreutes Wohnen für wohnungslose psychisch Kranke sowie Tagesstätten angeboten. Diese Vielfalt an Leistungen erbringen derzeit zehn Mitarbeiter der SpDi-Zentrale sowie weitere vier Mitarbeiter in den Tagesstätten, denen allen ich an dieser Stelle für ihre hervorragende Arbeit in einem sehr schwierigen Aufgabenbereich herzlich danken möchte. Sehr verehrte Frau Bürgermeisterin Fürst-Diery, Sehr geehrte Mitglieder des Stadtrates, Verehrte Gäste, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Dienstes, in meiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sozialpsychiatrischer Dienst Mannheim begrüße ich Sie herzlich zur heutigen Feier anlässlich des fünfzehnjährigen Bestehens unserer Einrichtung. „Die Geburt war schwer und lang – das Ringen um das Kind vieler Väter hat sich aber gelohnt“ zitierte der Mannheimer Morgen am 19.09.1989 zur Eröffnung des SpDi. Viele Väter, das waren die Vertreter der vier Träger des Dienstes: x Max Jaeger und Claus-Peter Sauter für den Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt x Dr. Rudolf Walter für den Caritasverband Mannheim x Pfarrer Ernst Ströhlein für den DiakonieVerein im Diakonischen Werk Mannheim x Prof. Heinz Häfner und Peter Fischer für das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim x aber auch Volker Lattek für die Stadt Mannheim – seit Gründung und bis heute Geschäftsführer des Dienstes, der im Auftrag des damaligen Sozialdezernenten Wolfgang Pföhler das Modell der Trägervielfalt als Grundlage einer – heute aktueller denn je – integrativen und vernetzten Versorgungsstruktur für psychisch Kranke in die Wege leitete. Die ärztliche Beratung des Dienstes leistete damals wie heute Privatdozent Dr. Burkhardt Voges vom Zentralinstitut, während ebenso Prof. Dr. Gerd Ulmar als Ansprechpartner des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden zur Verfügung stand und steht. Bei so vielen Vätern bleibt als einzige Mutter Helmtraut Schmidt-Gante zu nennen, die bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2001 als fachliche Leitung die Interessen des Dienstes und seiner Klienten mit großem Engagement vertreten hat, was dann nahtlos von ihrer Nachfolgerin Helene Aumüller übernommen und fortgeführt wurde. Ihnen allen gilt unser Dank dafür, dass sie die Interessen der vier Träger, der Kostenträger und der Klienten vereinen und so den Sozialpsychiatrischen Dienst in Mannheim etablieren konnten. Das Leistungsangebot für psychisch Kranke in Mannheim entspricht bereits heute grundsätzlich den Vorstellungen des Landes für die Umsetzung des Gemeindepsychiatrischen Verbundes bzw. Gemeindepsychiatrischen Zentrums. Die Zusammenarbeit zwischen SpDi, Kliniken, Ambulanzen, niedergelassenen Ärzten und Therapeuten, Pflegeheimen, Betreutem Wohnen, Clubs, Werkstätten, Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen ist bereits sehr gut und kann in nächster Zukunft weiter intensiviert werden. Die Stadt Mannheim hat mit sozialpolitischem Weitblick bereits in den siebziger Jahren durch die Ansiedlung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in der Stadtmitte und später durch die Einbindung der freigemeinnützigen Träger im SpDi eine beispielhafte Versorgungsstruktur für psychisch Kranke geschaffen. Risiken für diese Basis entstehen jedoch durch die von Frau Fürst-Diery bereits genannten jüngsten Veränderungen der Finanzierung des Dienstes. Wir hoffen, dass es der Stadt Mannheim weiterhin gelingt, die Mittel für eine Sicherung der Leistungsangebote des SpDi zu realisieren und somit weitaus höhere Folgekosten für Kommune, Land und Krankenkassen zu verhindern. Ich darf Ihnen, Frau Bürgermeisterin, hierzu die Unterstützung der Träger des SpDi zusichern, wir sind bereit und in der Lage, das Leistungsangebot bei Sicherung einer hinreichenden Finanzierung aufrechtzuerhalten und bedarfsgerecht zur Unterstützung unserer psychisch kranken Mitbürger weiterzuentwickeln. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 3 15 Jahre Sozialpsychiatrischer Dienst Mannheim Zahlen, Daten, Fakten und Leistungen des Dienstes x Der Sozialpsychiatrische Dienst (SpDi) Mannheim hat im Mai 1989 seine Arbeit aufgenommen. Als zentrale Anlaufstelle für psychisch kranke Menschen im Stadtgebiet Mannheim, ist er ein wesentlicher Bestandteil der ambulanten psychosozialen Versorgung. Das bedeutet, dass der Dienst psychisch kranken Menschen im Einzugsgebiet psychosoziale Hilfen erschließt und anbietet und Meldungen auch von Dritten abklärt. Der Dienst ist auch Ansprechpartner für Angehörige, Freunde, Nachbarn u.a. Er arbeitet gemeinwesenbezogen und erschließt Hilfen im Stadtteil. Psychisch erstmals erkrankte Menschen mit einer erheblichen psychosozialen Problematik x Menschen mit Doppeldiagnosen, wie Psychose und Suchterkrankung oder psychische Erkrankung und schwerer körperlicher Erkrankung, wobei die psychiatrische Erkrankung die Leitdiagnose sein sollte x Psychisch kranke Eltern x Psychisch kranke Menschen, die wohnungslos geworden sind oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind x alt geworden psychisch kranke Menschen (ohne dementielle Erkrankung) x Menschen nach Entlassung aus der forensischen Psychiatrie x Psychisch kranke Menschen mit Migrationserfahrung und oder aus Migrantenfamilien Psychisch Kranke mit leichten Störungen bedürfen in der Regel keiner Betreuung durch den Sozialpsychiatrischen Dienst. Auch Personen mit allgemeinen Befindlichkeitsstörungen zählen nicht zur Klientel. Die Trägerschaft für den SpDi haben die Arbeiterwohlfahrt, der Kreisverband Mannheim-Stadt der Caritasverband Mannheim, der Diakonieverein im Diakonischen Werk Mannheim und das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim übernommen. Aufgaben Aufgaben des Dienstes sind nach den Richtlinien des Landes Baden-Württemberg ambulante Leistungen für psychisch Kranke und seelisch Behinderte Menschen anzubieten, deren Versorgungsbedürfnisse weder vom medizinischen Versorgungssystem noch von anderen sozialen Diensten allein ausreichend befriedigt werden können. Die Hilfeleistungen der sozialpsychiatrischen Dienste ergänzen die ärztlichpsychiatrische Behandlung. Seit der Richtlinienänderung vom Dezember 2002 können die Dienste außerdem Soziotherapie sowie Leistungen des Betreuten Wohnens gegen Entgelt erbringen. Leistungen Die Leistungen des SpDi leiten sich von den Richtlinien ab und umfassen Beratung, Betreuung und Begleitung im Sinne von Vorsorge, Nachsorge und Krisenintervention bei dem oben beschriebenen Personenkreis. Zur Vorsorge zählt die möglichst frühzeitig angemessene Betreuung von Personen mit krankheitsbedingten psychosozialen Störungen, um stationäre Behandlungen zu verhüten oder aber rechtzeitig in Anspruch zu nehmen. Durch die Nachsorge sollen stationäre Aufenthalte verkürzt, Wiederaufnahmen verhütet oder als stationäre Krisenintervention genutzt werden. Ambulante Kriseninterventionen werden vorrangig bei bereits betreuten chronisch psychisch kranken und seelisch behinderten Menschen durchgeführt. Im Rahmen von Information, Auskunft und Vermittlung werden Hilfesuchenden im Sinne von kurzfristigen Hilfen spezifische Angebote vermittelt oder aufgezeigt. Weitere Leistungen des Dienstes sind die ambulant aufsuchenden Hilfen. Um Menschen den Zugang zu erforderlichen weiterführenden Hilfen zu ermöglichen, ist der Aufbau von Vertrauensbeziehungen als Grundlage für weiterführende Hilfeprozesse innerhalb und außerhalb des Gemeindepsychiatrischen Verbundes erforderlich. Ziele Ziel des Dienstes ist es, chronisch psychisch Kranke, die nicht mehr oder noch nicht zu einer selbständigen Lebensführung in der Lage sind, durch spezifische Hilfen ein erträgliches Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Vorrangig sollen den langfristig in psychiatrischen Krankenhäusern behandelten psychisch kranken Menschen die Entlassung ermöglicht werden und Krankheitsrückfälle und Krankenhausaufenthalte verhütet werden. Das heißt, Menschen die an Schizophrenie, schizotypen und wahnhaften Störungen, affektiven Störungen, lang anhaltenden und ausgeprägten neurotischen Störungen und schweren Persönlichkeitsstörungen erkrankt sind, werden durch Mitarbeiter des SpDi beraten, betreut und begleitet. Die genannten Diagnosen schließen folgende Personenkreise ein: 4 der Arbeitsgemeinschaft Sozialpsychiatrischer Dienst geführt und fachlich geleitet. Die Feststellung des Hilfebedarfs, der Hilfeplanung und der Hilfeprozessplanung gehört als wesentliches Element zur sozialpsychiatrischen Betreuung. Dabei wird gemeinsam mit dem Betroffenen und seinem sozialen Umfeld der Hilfebedarf ermittelt und die Planung und Koordination der Hilfen vorgenommen. Die Sicherstellung der materiellen Grundversorgung von psychisch kranken Menschen als Leistung des Dienstes erfordert nachgehendes Tätigwerden und die Einbeziehung des sozialen Umfeldes. Eine enge Zusammenarbeit mit anderen Diensten und Institutionen bzw. eine Vermittlung dorthin, z. B. zur Schuldnerberatung, zu den Sozialhilfestellen, zur Wohnraumsicherung, ist dabei erforderlich. Wenn auf Grund der psychischen Erkrankung die Sicherstellung der materiellen Grundbedürfnisse nicht in Zusammenarbeit mit dem Klienten erreicht werden kann, regt der SpDi Maßnahmen nach dem Betreuungsrecht an. Durch die Langzeitbegleitung von psychisch kranken Menschen, die in ihrer Lebenssituation und ihren Fähigkeiten erheblich eingeschränkt sind, sowie deren Angehörige werden Ziele wie der Verbleib im Gemeinwesen, die Vermeidung von stationären Hilfemaßnahmen, Stabilisierung der Lebenslage und Förderung der Lebensqualität sowie die Förderung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nachhaltig vorangebracht. Gemeinsam mit der Psychologischen Beratungsstelle der Evangelischen Kirche bietet der Dienst für Kinder psychisch kranker Eltern und psychisch kranke Eltern („Mannheimer Initiative Kinder psychisch kranker Eltern“) ein Hilfsangebot im Sinne von Case-management an. Der Dienst leistet hier spezifische fachübergreifende Beratung gegenüber sozialen Einrichtungen. Mit dem Angebot wird präventive Hilfe gewährt. Neben den fallbezogenen Leistungen ist der Sozialpsychiatrische Dienst im Gemeindepsychiatrischen Kontext verbund- und gemeindebezogen tätig. Neben der Beobachtung der Bedarfsentwicklung, deren konzeptionellen Aufarbeitung und Vermittlung in die Planungsgremien fördert der Dienst Selbsthilfeaktivitäten von Angehörigen und Psychiatrie-Erfahrenen, durch fachübergreifende Beratung wird die Kompetenz des Gemeinwesens im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen gefördert. Die Förderungssituation Die Fördersituation des Sozialpsychiatrischen Dienstes hat sich seit 1989 deutlich verändert. Die ursprüngliche Mischfinanzierung aus Kommune, Land, Krankenkassen und den Trägern der Dienste hat sich seit 2002 deutlich verändert. Die Finanzierung des Dienstes setzt sich seit 2003 zusammen aus der Pauschalfinanzierung mit einem höherem Anteil der Kommune, 50% des ursprünglichen Förderanteils des Landes, Eigenanteilen der Träger und ergänzende einzelfallbezogene Finanzierungsanteile des Dienstes. Durch die Reduzierung der Pauschalfinanzierung durch das Land wurde eine Kürzung der Personalressourcen unumgänglich. Gleichzeitig ist aber der Zustrom von Hilfesuchenden nicht zurückgegangen. So kamen 1998 auf einen Mitarbeiter 121 Hilfesuchende während im Jahr 2003 auf einen Mitarbeiter 155 Hilfesuchende kamen. Helene Aumüller Chaos im Kopf: Hilft Psychotherapie bei erwachsenen ADHS-Patienten? In den vergangenen Jahren ist die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen (ADHS) zunehmend in das klinische, wissenschaftliche und öffentliche Interesse gerückt. Mittlerweile ist bekannt, dass ADHS im Erwachsenenalter eine häufige Störung ist. So ermittelte eine kürzlich beendete Feldstudie in den USA eine Prävalenz von ADHS im Erwachsenenalter von 4,4%. Ferner werden eine hohe Komorbidität für weitere psychiatrische Störungen und Suchterkrankungen beschrieben (etwa 50-60%). Auch zeigt sich, dass erwachsene ADHS-Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen in vielen Lebensbereichen wie Ausbildung, Arbeit und Partnerschaft ein deutlich geringeres Funktionsniveau aufweisen. Bisher standen Untersuchungen zu neurobiologischen Grundlagen, diagnostischen Verfahren und medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten im Vordergrund der Forschung. Zur medikamentösen Therapie gibt es mehrere kontrollierte Studien, die die Effektivität von Stimulanzien und noradrenerg wirksamen Antidepressiva gut belegen. Neben den Kernsymptomen Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität und Der Dienst arbeitet eng mit den niedergelassenen Nervenärzten und bei Bedarf mit den Hausärzten, Psychotherapeuten, dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit und dem Psychiatrischen Zentrum Nordbaden in Wiesloch zusammen. Die Tagesstätte sowie Betreutes Wohnen für psychisch Kranke und wohnungslose psychisch Kranke wird unter Trägerschaft 5 Impulsivität sind weitere Symptome der ADHS eine affektive Instabilität, Desorganisiertheit und eine Störung der Affektkontrolle. Aufgrund dieser komplexen Symptomatik, der Komorbidität und den Funktionsstörungen wird deutlich, dass eine alleinige Pharmakotherapie zur Behandlung oft nicht ausreichen wird, sondern ein kombiniertes Verfahren angezeigt ist. Im Rahmen der Evaluation des Freiburger Programms wird das Gruppenprogramm seit 2003 in unserer Ambulanz durchgeführt. Bisher nahmen 36 Patienten daran teil. Inzwischen ist eine überarbeitete Version des Manuals veröffentlicht worden und im Handel erhältlich (Hesslinger B, Philipsen A, Richter H: Psychotherapie der ADHS im Erwachsenenalter, 2004 Hogrefe). Therapeutische Leitlinien 2003 sind im deutschsprachigen Raum von einer Expertenkommission Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter veröffentlicht worden. Darin wird dargestellt, dass die Entscheidung für eine Behandlung abhängig ist vom Ausprägungsgrad der ADHS, von den psychischen und sozialen Beeinträchtigungen und der Relevanz der Symptome. Eine Behandlungsempfehlung wird dann gegeben, wenn in einem Lebensbereich ausgeprägte Störungen oder in mehreren Lebensbereichen leichte Störungen oder krankheitswertige beeinträchtigende psychische Symptome bestehen und diese eindeutig auf eine ADHS zurückgeführt werden. Aufbau des Freiburger Gruppenprogramms Das Therapieprogramm besteht aus 13 Sitzungen und hat verschiedene Module, die einmal eine ausführliche Information über alle wichtigen Aspekte von ADHS beinhalten, u.a. Symptomatik, Diagnostik, Neurobiologie und Behandlung. Dann werden Verhaltensstrategien unter Verwendung von Hausaufgaben für wichtige, ADHS-relevante Bereiche besprochen und eingeübt: Alltagsstrukturierung, Organisationsplanung, Achtsamkeitsübungen, Emotionsregulation, Impulskontrolle und Stressmanagement. Die Ziele dieser Psychotherapie werden genau definiert. Die einzelnen Therapieelemente und die Anwendung werden in Arbeitsblättern vorgestellt und erläutert. Ein wesentliches Ziel wäre, "ADHS zu kontrollieren und nicht durch ADHS kontrolliert zu werden". Das Schwergewicht des Gruppenprogramms liegt insgesamt auf der Informationsvermittlung und der Einübung von Lösungsstrategien. Wichtiger Gedanke ist, eine Balance zwischen Akzeptanz und Veränderung zu finden. Die Stimulanzienbehandlung mit Methylphenidat wird als wirksam bewertet und als medikamentöse Therapie erster Wahl empfohlen, wobei bis jetzt (Stand: November 2004) in Deutschland kein Medikament für die Behandlung von Erwachsenen mit ADHS zugelassen ist Die Behandlung erfolgt immer noch im Rahmen der sogenannten „off-label“-Verordnung. Ziel einer pharmakologischen Behandlung ist es vorrangig, auf die Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität einzuwirken, während andere Symptome wie Organisationsdefizite, Affektlabilität, Interaktionsprobleme und mangelndes Selbstwertgefühl sowie Vermeidungsverhalten durch eine Psychopharmakotherapie nicht oder nur unwesentlich gebessert werden können. Strukturmerkmale der Gruppen Die Gruppengröße soll 7 bis 9 Teilnehmer betragen, die Dauer beträgt mindestens 13 Sitzungen, einmal wöchentlich für 2 Std. Es handelt sich um eine geschlossene Gruppe, die von zwei Therapeuten geleitet wird. Der Ablauf der einzelnen Sitzungen soll ähnlich verlaufen. Begonnen wird mit einer Achtsamkeitsübung, es folgt die Hausaufgabenbesprechung, dann werden die neuen jeweiligen Inhalte vermittelt und die Hausaufgaben bis zur nächsten Sitzung besprochen. Die Teilnehmer schließen zu Beginn der Gruppe einen Therapievertrag ab, stimmen den Hausaufgaben und der Bearbeitung von therapiegefährdendem Verhalten (wie Unpünktlichkeit, unentschuldigtes Fehlen) zu. Psychotherapie und ADHS Bis zum Jahr 2002 gab es keine Veröffentlichung über Untersuchungen zur psychotherapeutischen Behandlung bei erwachsenen ADHS-Patienten. 2002 wurden zwei Studien publiziert, die sich mit einem störungsspezifischen, stark strukturierten Gruppenprogramm beschäftigt haben. Ein Gruppenprogramm wurde von einer australischen Arbeitsgruppe durchgeführt, ein weiteres Gruppenprogramm von der Freiburger ADHS-Arbeitsgruppe. Beide führten eine Untersuchung zur Wirksamkeit durch. Insgesamt wurde eine Reduktion der ADHS-Symptomatik beschrieben, eine Verbesserung des psychischen Befindens und der Selbstakzeptanz. Es werden nicht die Beziehungen innerhalb der Gruppe fokussiert oder thematisiert. Hauptfokus ist die Vermittlung von Information und Strategien im Umgang mit ADHS bei Erwachsenen. Die einzelnen Sitzungen x Vorstellung, Klärung: Terminabsprachen, Symptomatik und Diagnostik bei ADHS, allgemeine Zieldefinition „ADHS zu kontrollieren, anstatt von ADHS kontrolliert zu werden“ 6 Bisherige Ergebnisse Bisher wurden die Daten von 30 erwachsenen ADHS-Patienten ausgewertet. Die Teilnehmer hatten entweder keine Medikation oder waren stabil auf Stimulanzien eingestellt. In der Untersuchung verbesserten sich die Patienten im Vergleich vor und nach der Psychotherapie signifikant in ihrer Selbsteinschätzung in den eingesetzten psychometrischen Skalen bezüglich der ADHS-Symptomatik (ADHS-Checkliste nach DSM-IV und SCL-16, Items aus der SCL90-R, die häufig von Personen mit ADHS angegeben werden), bezüglich der Depressivität (Beck-Depressions-Inventar) und bezüglich des Gesamtbefindens, gemessen an einer visuellen Analogskala. Die Teilnehmer schätzten die Therapie als wirksam ein. Als wirksamste Faktoren wurden die Gruppensituation, die Informationsvermittlung und das Einüben von störungsrelevanten Fertigkeiten genannt. Die Therapiezufriedenheit, gemessen im Selbstrating, war groß. x Neurobiologie, Achtsamkeit I: Information über Neurobiologie bei ADHS, Prozesse im ZNS. Einführung in das Achtsamkeitstraining nach Marsha Linehan: „Was-Fertigkeiten“: Wahrnehmen, beschreiben und teilnehmen. „Wie-Fertigkeiten“: Nicht wertend, fokussiert und wirkungsvoll x Achtsamkeit II: Achtsamkeitsübungen trainieren und in den Alltag integrieren lernen x Chaos und Kontrolle: Definition: „Chaos ist, wenn ADHS mich kontrolliert, Kontrolle ist, wenn ich ADHS kontrolliere“. Zeitplanung, Organisationsplanung, Merkhilfen x Verhaltensanalyse I: Konzept: „Problemverhalten ist Verhalten, das ich ändern will“. Teilnehmer erlernen Verhaltensanalysen: Beschreibung des Problemverhaltens im Detail, typische Situationen; vorausgehende Bedingungen, Konsequenzen, alternative Problemlösestrategien x Verhaltensanalyse II: Ziel: Verhaltensanalysen in Eigenregie durchführen x Gefühlsregulation: Einführung in die Theorie der Gefühle, Primäremotionen, Kommunikationscharakter von Emotionen, Körperwahrnehmungen, Übungen zur Emotionswahrnehmung und Emotionsregulation, Kontrolle von Wut und Ärger x Depression, Medikamente bei ADHS: Depression als häufige Komorbidität, Information über Symptome und Behandlungsmöglichkeiten, Information über medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten bei ADHS, Wirkung und Nebenwirkung, Erfahrungsaustausch x Impulskontrolle: Verhaltensanalyse bezüglich Impulskontrollstörungen, kurz- und langfristige Konsequenzen von Impulsivität, zielorientiertes Verhalten erlernen, "was macht die Zündschnur länger?" x Stressmanagement: Zusammenhang von desorganisiertem Verhalten mit subjektivem Erleben von Stress, "Jonglieren mit zu vielen Bällen gleichzeitig", ressourcenorientiertes Stressmanagement, Sport x Sucht: Süchtiges Verhalten als häufige Komorbidität, "Wonach bin ich süchtig?" (Alkohol, Tabak, andere Substanzen, Sport, HochrisikoVerhalten, etc.). Indikation für Alternativverhalten bzw. Entzug x Beziehung, Selbstachtung: Schriftliche Information der Angehörigen über ADHS und Therapie. Folgen von ADHS für Biographie, Beziehungen und Selbstvertrauen, Vorteile durch ADHS gegenüber Menschen ohne ADHS x Rückblick und Ausblick: Erfahrungsaustausch, Rückmeldung und Verbesserungsvorschläge, mögliche Überführung in Selbsthilfegruppe, Abschied Ausblick Eine abschließende Bewertung der Effektivität des Gruppenverfahrens wird aber erst nach einer randomisierten Studie möglich sein. Aufgrund der bisher kleinen Fallzahlen sollen die Ergebnisse als Hinweis auf eine gute Wirksamkeit der störungsspezifischen Psychotherapie bei ADHS im Erwachsenenalter gesehen werden. Bisher kann keine Aussage anhand der in der Literatur vorliegenden Untersuchungen über Differentialindikationen und über die jeweilige Wirksamkeit eines Vergleichs von therapeutischen und medikamentösen Verfahren gemacht werden. Ebenfalls ist über Effekte von Kombinationsbehandlungen bei erwachsenen Patienten nichts bekannt. Für die Zukunft wird es erforderlich sein, das Gruppenprogramm mit einer Kontrollgruppe weiter zu evaluieren, ferner die Wirksamkeit einer möglichen Kombinationsbehandlung zu untersuchen, um bessere Kriterien für eine Therapieempfehlung für unsere Patienten zur Verfügung zu haben, damit sich langfristig die Lebensqualität und das Selbstwertgefühl verbessern. Bis zum heutigen Zeitpunkt sind keine kontrollierten Studien zur Einzelpsychotherapie bekannt - es existieren einige Falldarstellungen über kognitive Verhaltenstherapie. Eine amerikanische Arbeitsgruppe hat 18 Patienten ohne Kontrollgruppe kognitiv-verhaltenstherapeutisch mit Erfolg behandelt, jedoch wurden keine genauen Aussagen über die begleitende pharmakologische Therapie gemacht. Barbara Alm, Esther Sobanski 7 Wie Paul McCartney „Yesterday“ schrieb Träume und Kreativität beeinflusst. Zwei Studien zu diesem Thema sollen im Folgenden im Überblick dargestellt werden. Es gibt viele Beispiele, die zeigen, wie Träume kreativ schaffende Menschen inspiriert haben. Bekannt sind z. B. die surrealistischen Bilder von Salvador Dali. Filmemacher wie Ingmar Bergmann („Wilde Erdbeeren“), Carlos Saura oder Federico Fellini haben ihre eigenen Traumbilder in Filmsequenzen direkt umgesetzt. Ein Beispiel aus dem Bereich Literatur ist die Geschichte von Dr. Jekyll and Mr. Hyde mit der Verwandlung des einen in den anderen, ein Element von dem der Schriftsteller Robert Louis Stevenson vorher geträumt hatte. Paul McCartney hat die Melodie des Hits „Yesterday“ im Traum gehört und konnte es zunächst gar nicht glauben, dass es ein bis dahin unbekanntes Lied war. Datengrundlage Im Rahmen einer Studie mit dem Titel „Schlaf, Traum und Persönlichkeit“ füllten 444 Versuchsteilnehmer (376 Frauen, 68 Männer; großteils Studierende der Fachrichtung Psychologie) mehrere Fragebogen aus, unter anderem wurde nach der Häufigkeit der Traumerinnerung gefragt und nach der Häufigkeit von kreativen Träumen. Zusätzlich wurden auch Persönlichkeitsaspekte, die Einstellung zu kreativen Tätigkeiten und das Ausüben von kreativen Tätigkeiten in der Freizeit (Malen, Musizieren/Komponieren, Handarbeit mit Entwerfen eigener Muster) erfasst. Die zweite Studie wurde im Internet auf der Seite „www.klartraum.de“ von Daniel Erlacher durchgeführt. Neben den Fragen zur Traumerinnerung und der Anzahl der kreativen Träume wurden die Teilnehmer gebeten, ein Beispiel für einen kreativen Traum, den sie erlebt haben, zu schildern. Neben den kreativen Träumen der Künstler sind auch in der Wissenschaft einige Fälle bekannt geworden, in denen Träume zur Lösung von schwierigen Problemen beigetragen haben. Ausgerechnet das bekannteste Beispiel von Auguste von Kerkule, der die Struktur des Benzolrings aufgrund eines Traumes von einer Schlange, die sich in den Schwanz beisst, entdeckt hat, ist auch mit Zweifeln behaftet, da Kerkule den Traum erst Jahre nach der Entdeckung berichtet hat. Andere „Traumlösungen“ bezogen sich auf die Struktur des Periodensystems (Dimitri Mendeleyev), die Erfindung der Nähmaschine (Elias Howe) und Dechiffrierung babylonischer Hieroglyphen (Herman V. Hilprecht). Ergebnisse Im Durchschnitt erinnerten sich die Teilnehmer an etwa drei Morgen pro Woche (3.11 ± 2.42) an ihre Träume. Es trat ein deutlicher Geschlechtsunterschied auf, der schon in vielen anderen Studien gezeigt wurde: Frauen erinnerten sich häufiger an ihre Träume. Die Anzahl der kreativen Träume lag bei etwa einem Traum pro Monat (1.05 ± 2.47), d.h., ca. 7.8 % aller Träume wiesen ein kreatives Element auf. Hier war die Häufigkeit bei Männern und Frauen gleich. Unterschiede zwischen den beiden Studien (Fragebogenstudie und Online-Befragung) waren nicht nachzuweisen. Die berichteten Beispiele wurden in vier Gruppen zusammengefasst und sind im nächsten Abschnitt dargestellt. Die statistische Analyse (multiple Regression; Fragebogenstudie) zeigte, dass folgende Faktoren das Auftreten von kreativen Träumen am stärksten beeinflusst: die Traumerinnerungshäufigkeit, die Persönlichkeitsdimension „Dünne Grenze“, die positive Einstellung zu kreativen Aktivitäten und die visuelle Vorstellungskraft. Der Zusammenhang zur Traumerinnerung ist leicht nachvollziehbar, je mehr Träume erinnert werden, desto größer ist die Chance, dass auch ein kreativer Traum dabei ist. Die Persönlichkeitsdimension „Dünne Grenzen“ beschreibt sehr sensible, stressanfällige (häufigere Alp- Eine dritte Kategorie bezieht sich auf Träume, die durch ihren Inhalt dem Träumer oder der Träumerin einen Anstoß geben, im Wachleben umzudenken und ihr Verhalten zu ändern. Ein sehr eindrückliches Beispiel berichtete William C. Dement, einer der Pioniere der modernen Schlaf- und Traumforschung. Zum Zeitpunkt des Traumes war er starker Raucher und träumte davon, dass er zum Arzt geht, geröntgt wird und die Diagnose eines Lungenkrebses gestellt bekommt. Er wird sehr traurig bei der Vorstellung, seine Kinder nicht heranwachsen zu sehen. Der sehr intensive Traum veranlasste den Forscher sofort mit dem Rauchen aufzuhören und er kann heute, im Alter von über 70 Jahren, auf eine beeindruckende Forschungs- und Lehrtätigkeit zurückblicken. Obwohl solche Beispiele für kreative Träume häufig berichtet und publiziert werden, liegen erstaunlich wenige Studien vor, ob und wie Träume die Kreativität bei „normalen“ Menschen 8 ner Diplomarbeit bewusst, den ich anschließend entsprechend der neuen Berechnungsformel im Traum beheben konnte.“ Beispiele Anstoß durch den Traum: „Ich träume von einem Mädchen an meiner Schule, das ich attraktiv finde, und bekomme dadurch Motivation und Ansporn, sie anzusprechen.“ „Ich habe geträumt, dass ich auf einer Theaterbühne stehe. Nur ich war auf der Bühne, ohne Publikum. Ich sang und hörte Beifall, ohne Zuschauer zu sehen. Daher beschloss ich, Gesangsunterricht zu nehmen.“ Beispiel Emotionale Erkenntnis: „Ich saß in einem Zugabteil, hatte eine Handtasche auf dem Schoß, die sich unabsichtlich öffnete und alles fiel heraus. Ein Mann wollte mir helfen, es wieder hineinzutun. Doch es waren so viele Utensilien, dass alles oben wieder heraus quoll. Danach habe ich beschlossen, bei mir wieder einmal zu schauen, von welchen Dingen/Gedanken ich mich trennen sollte. Also das Leben vereinfachen.“ träume) und kreative Menschen, so dass es plausibel erscheint, dass solche Menschen häufiger Inspirationen durch ihre Träume bekommen. Dieser Befund wird ergänzt durch die Einstellung zur Kreativität und der besseren visuellen Vorstellungskraft. Berichte von kreativen Träumen Insgesamt wurden in der Online-Befragung 272 verwertbare Beispiele zu kreativen Träumen angegeben. Themen Anzahl Kreativität Malen Schreiben Musik Anderes (Homepage, Rezept, Geschenk) 30 25 5 24 Problemlösung Traum als Anstoß Kontaktaufnahme, Reisen etc Diskussion und Ausblick Die Ergebnisse der beiden Studien zeigen sehr deutlich, dass Träume auch bei „normalen“ Menschen kreative Anstöße geben können, sei es bei einem künstlerischen Hobby, bei Problemen bei der Arbeit oder als Anstoß für das Verhalten im Alltag. Diese Forschung ergänzt die Studien, die zeigen, dass sich das Wachleben im Traum widerspiegelt. So bilden Träume und Wachleben eine Einheit oder Kontinuität. Gerade in kreativen Berufen oder zum Beispiel auch bei komplexen motorischen Fertigkeiten könnte ein gezieltes Trainieren im Traum sich nützlich auf das weitere Wachleben auswirken. 49 11 11 4 Arbeit/Referat/Vortrag Computer Mathematik Motorische Fertigkeiten 73 Beziehungen, Emotionale Erkenntnis durch Träume 40 Tabelle 1: Themen der kreativen Träume Beispiel Malen: „Im Traum sah ich eine Meerjungfrau, die sich dann in einen Schmetterling verwandelt hat. Das habe ich als Basis für ein Pastellbild genutzt.“ Beispiel Schreiben: „Ich träume oft, ich kann fliegen. Das hat mich auf die Idee gebracht, ein Buch zu schreiben, indem ein Mensch wirklich fliegen kann. Er fliegt, um seine Geliebte zu suchen, und versetzt die Menschen in Angst und Schrecken.“ Beispiel Kreativität Sonstiges: „Ich habe einmal kurz vor dem Geburtstag meiner Mutter davon geträumt, was man ihr schenken könnte. In dem Traum habe ich ganz genau ihre Reaktion auf das Geschenk gesehen und habe es dann auch gekauft und sie hat sich tatsächlich so gefreut, wie ich es mir im Traum vorstellt habe.“ Beispiele Problemlösen: „Mein PC war kaputt und ich träumte davon, wie ich ihn am besten reparieren könnte. Ich wachte am nächsten Morgen auf und es war klar, wie ich ihn wieder zum Laufen kriegen konnte.“ „Im Traum wurde mir ein Fehler in einer Berechnungsformel mei- Michael Schredl, Daniel Erlacher 9 Die „Besondere Stationäre Dementenbetreuung“ in Hamburg Aktuelle Ergebnisse einer Evaluationsstudie eine „Gemeinsame Vereinbarung über die besondere stationäre Dementenbetreuung in Hamburg“: 750 Pflegeheimplätze wurden konzeptionell so umgestaltet, dass sie den besonderen Bedürfnissen schwer demenzkranker, mobiler Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten gerecht werden. Die „Besondere Stationäre Dementenbetreuung“ kann sowohl nach dem Domusprinzip als auch nach dem Integrationsprinzip gestaltet werden: Das Domus-Prinzip besteht in einer spezialisierten, segregativen „Rund-um-die-Uhr“-Betreuung (d.h. notwendige pflegerische Versorgung, Tagesstrukturierung und ergänzende aktivierende therapeutische Angebote) der Demenzkranken. Ausschließlich Demenzkranke leben zusammen in einem ihren Bedürfnissen entsprechenden Wohnbereich. Die betreuenden Personen unterstützen sie im Rahmen einer möglichst normalen Lebensführung bei allen krankheitsbedingten Einschränkungen. Unter dem Integrationsprinzip versteht man eine Begleitung und Betreuung (d.h. notwendige pflegerische Versorgung, Tagesstrukturierung und ergänzende therapeutische Angebote) der Demenzkranken in einer teilintegrierten Versorgung, die in die stationäre „Rund-um-die-Uhr“Betreuung eingebettet ist. Die Demenzkranken verbleiben in ihrem gewohnten Umfeld mit nicht demenzkranken Bewohnern und Bewohnerinnen und erhalten tagsüber ein spezielles Betreuungsangebot in einem dafür vorgesehenen besonderen Bereich. In den letzten Jahren hat sich in Deutschland die Versorgungssituation in den Altenpflegeheimen stark verändert. Sie ist gekennzeichnet durch einen wachsenden Anteil schwerstpflegebedürftiger und demenzkranker Bewohner und Bewohnerinnen: Nach den Ergebnissen eigener Untersuchungen ist beispielsweise in der Stadt Mannheim der Anteil Demenzkranker in den Altenpflegeheimen allein in den letzten sieben Jahren von 54% (1996) auf 65% (2003) angestiegen. Um diesen Herausforderungen besser begegnen zu können, wurden neue Betreuungsansätze der Demenzkrankenversorgung entwickelt und in die Praxis umgesetzt. Unter den innovativen Ansätzen zur Langzeitbetreuung demenziell Erkrankter lassen sich verschiedene Formen unterscheiden: x Wohngruppen bzw. Hausgemeinschaften wie z.B. die in Frankreich entwickelten „Cantous“ (Ritchie et al. 1992) und die in Schweden angesiedelten „Gruppboende“ (Annerstedt et al. 1993). x Spezielle Pflegebereiche, in denen ausschließlich Demenzkranke betreut werden (segregative stationäre Versorgung). Solche Special Care Units sind zumeist in stationäre Langzeiteinrichtungen integriert und fanden insbesondere in den USA Verbreitung (Holmes et al. 2000). x Teilintegrative Ansätze der Demenzkrankenbetreuung: Hier leben Demenzkranke zwar grundsätzlich mit nicht dementen Bewohnern und Bewohnerinnen in einem Wohnbereich zusammen, werden aber tagsüber in einem gesonderten Bereich nur für Demenzkranke betreut. Nach einer Ausschreibung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Hamburger Behörde für Soziales und Familie wurde Ende 2001 die Arbeitsgruppe Psychogeriatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit mit der Evaluation des Hamburger Modellprogramms beauftragt. Die vorliegende, im Jahre 2004 abgeschlossene Untersuchung ist unseres Wissens die erste umfangreiche und kontrollierte Längsschnittstudie in Deutschland zu den Auswirkungen besonderer stationärer Betreuungsformen auf die Bewohnerschaft. Die „Besondere Dementenbetreuung“ in Hamburg Hinsichtlich der Entwicklung und Umsetzung neuer Konzepte zur Versorgung demenzkranker Heimbewohner und -bewohnerinnen spielt Hamburg eine herausragende Rolle. Dort wurde von 1991 bis 1994 das „Modellprogramm stationäre Dementenbetreuung“ durchgeführt (Damkowski et al. 1994). Aufbauend auf den Ergebnissen des Modellprogramms beschloss der Hamburger Senat 1997, die Angebote für demenzkranke Heimbewohner und Heimbewohnerinnen mit besonderem Bedarf gezielt auszubauen. Seit 1999 gibt es als Resultat dreiseitiger Verhandlungen zwischen Anbieterverbänden, Pflegekassen und Sozialbehörde Studiendesign Das im Rahmen der Evaluationsforschung methodisch am besten geeignete Vorgehen eines experimentellen Designs, d.h. die randomisierte Zuweisung zu den Versorgungsbedingungen, war unter den gegebenen Bedingungen in Hamburg nicht zu realisieren; es musste des- 10 befinden und anderen Aspekten der Lebensqualität, kommen unterschiedliche Vorgehensweisen in Frage: Selbstbeurteilungsskalen, systematische Verhaltensbeobachtungen von Demenzkranken durch geschulte Beobachter, Beurteilungen durch Pflegepersonen. Nach sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile verschiedener Vorgehensweisen haben wir uns in der vorliegenden Studie für Auskünfte und Beurteilungen durch das Pflegepersonal entschieden. Zur Erfassung der Bewohnermerkmale wurde ein standardisiertes und zeitökonomisches Untersuchungsinstrument eingesetzt, das von qualifizierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Heime selbstständig bearbeitet werden kann und quantifizierbare Daten liefert für alle, auch für körperlich, kognitiv und sensorisch schwerst beeinträchtigte Heimbewohner und bewohnerinnen. Diese Vorgehensweise trägt den Besonderheiten Rechnung, die sich bei der Untersuchung von Demenzkranken ergeben: eingeschränkte Auskunftsfähigkeit, geringere Belastbarkeit und Multimorbidität der Betroffenen. Bei der Auswahl der Beurteiler und Beurteilerinnen wurden diejenigen ausgewählt, die am qualifiziertesten waren und die Bewohner und Bewohnerinnen am besten kannten. Für die Charakterisierung der Situation Demenzkranker in der Besonderen Dementenbetreuung und in der Traditionellen Pflege konnte im Kern auf ein umfangreiches quantitatives Erhebungsinstrumentarium zurückgegriffen werden, dessen Reliabilität und Praktikabilität in früheren Studien der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie untersucht wurden. Das multidimensionale Pflegeund Verhaltensassessment "Mannheimer Arbeitsheft zur Beurteilung von Bewohner und Bewohnerinnen in stationären Pflegeeinrichtungen durch Pflegekräfte“ - kurz PVA - bildet folgende Bereiche ab: x Soziodemographische Charakteristika x Einschränkungen in den Alltagsaktivitäten (Barthel-Index) und weitere funktionelle Beeinträchtigungen (sensorische Beeinträchtigungen, Dekubitus, Stürze) x Demenzsymptome (PVA-Kurzskala „Demenz“, ein von der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie entwickeltes Screeningverfahren zur Identifikation fortgeschrittener demenzieller Prozesse in der stationären Pflege, das von Pflegekräften bearbeitet werden kann; die Skala mit acht Items,erfasst kognitive Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit Demenzerkrankungen x Nicht-kognitive Symptome, wie z.B. Wahn, Halluzinationen, Depression/Dysphorie, Schlafstörungen, wurden erhoben anhand des modifizierten NeuropsychiatrischenInventars - Kurzversion für Pflegeheime (NPI-Q-mod.; Kaufer et al. 2000; Wood et halb ein quasi-experimentelles Design zugrunde gelegt werden. Unverzichtbar ist dabei eine ausreichend große Kontroll- oder Referenzgruppe, die zumindest die Bildung parallelisierter Stichproben erlaubt. Für die Evaluation der Besonderen Dementenbetreuung in Hamburg wählten wir ein Längsschnitt-Vergleichsgruppen-Design mit zwei Erhebungszeitpunkten (Baseline T1 und Nachuntersuchung T2 nach etwa einem halben Jahr). Die Kontroll- bzw. Vergleichsbedingung sollte in der Traditionellen Stationären Pflege Demenzerkrankter bestehen, so wie sie in Deutschland vorherrscht: Demenzkranke werden gemeinsam mit nicht Demenzkranken betreut, ohne besondere personelle und baulich-räumliche Ausstattung sowie ohne speziell zugeschnittene Angebote. Da aufgrund der umfassenden Etablierung und Inanspruchnahme der Besonderen Stationären Dementenbetreuung in Hamburg mit starken Selektionseffekten in der traditionellen integrativen Pflege und damit mit Problemen bei der Rekrutierung einer ausreichend großen Vergleichsgruppe gerechnet werden musste, entschieden wir uns dafür, die Referenzgruppe aus der Traditionellen Pflege in der Stadt Mannheim zu rekrutieren. Es war geplant, sowohl in der Besonderen Betreuung als auch in der Traditionellen Pflege (Vergleichsbedingung) jeweils zwei Gruppen von Bewohnern und Bewohnerinnen längsschnittlich zu untersuchen: Die Querschnitts- oder Stichtagspopulation von Bewohnern und Bewohnerinnen, die zu einem festgelegten Stichtag im Heim leben und somit bereits eine gewisse Zeit in den Pflegeeinrichtungen verbracht haben. Neuzugänge im Rahmen der natürlichen Fluktuation. Der relativ kurze Follow-up Zeitraum von einem halben Jahr bot sich aus verschiedenen Gründen an: Die von uns in der Verlaufsuntersuchung erwarteten Veränderungen wie z.B. in Ausmaß und Schwere von Verhaltensauffälligkeiten oder im Aktivitätsniveau der Bewohnerschaft, sollten sich innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums abzeichnen. Hohe Ausfallraten aufgrund von Mortalität können bei einem Beobachtungszeitraum von sechs Monaten vermieden werden. Die Querschnitts- und Verlaufsuntersuchungen sollten innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen sein. Erhebungsinstrumente Die Qualität und Aussagekraft einer Evaluation steigt beträchtlich, wenn quantitative Methoden eingesetzt werden. Was die Erfassung bewohnerbezogener Merkmale angeht, wie z.B. Art und Ausmaß von psychischen Störungen, von funktionellen Einschränkungen oder von Wohl- 11 x x x x x und durch Anwendung multivariater Verfahren angepasst. Die Ergebnisse zu den Auswirkungen der verschiedenen Betreuungsformen auf die Bewohner und Bewohnerinnen sind um die Effekte der Ausgangsunterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen bereinigt. Im Hinblick auf bestimmte qualitäts- und morbiditätsbezogene Merkmale (Fixierungshäufigkeit, Verlauf nicht-kognitiver Symptome und der Alltagseinschränkungen) ergaben sich in der vorliegenden Studie keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Betreuungsformen des Modellprogramms. Hinsichtlich einer Reihe von Merkmalen bestanden jedoch deutliche Unterschiede zwischen dem Domus- und Integrationsprinzip. al. 2000), Agitiertheit und Verhaltensauffälligkeiten im engeren Sinne anhand der im Rahmen des Hamburger Modells modifizierten Fassung des Cohen-MansfieldAgititation-Inventory (CMAI-mod.; CohenMansfield 1996) Soziale Kontakte und Aktivitäten (innerhalb und außerhalb der Einrichtung) Einbindung von Angehörigen und Ehrenamtlichen Ausdruck von positiven und negativen Gefühlen anhand einer modifizierten Fassung der Modified Apparent Emotion Scale (Albert et al. 2001) Sicherheitsmaßnahmen/freiheitseinschränkende Maßnahmen Medizinische Versorgung: Medikation, Arztkontakte, Krankenhausaufenthalte Vorteile des Integrationsprinzips Im Integrationsprinzip war die Aktivitätenrate (körperliche Aktivierung, Gedächtnisübungen, Gruppen- und Einzelangebote) höher als im voll segregativen Domusprinzip. Längsschnittlich wurde die hohe Aktivitätenrate bei den nach dem Integrationsprinzip Betreuten auch besser aufrechterhalten. Es ist gut vorstellbar, dass die Demenzkranken in den Tagesbetreuungsgruppen gezielter und dauerhafter in kompetenzfördernde Aktivitäten eingebunden werden als in den Domus-Einheiten. Die Besuchshäufigkeit von Angehörigen war im integrativen Bereich höher als im Domusbereich. Das Gleiche gilt für die Einbindung von Angehörigen bei der Pflege und Betreuung. Im Rahmen einer differenzierteren Untersuchung wäre zu prüfen, ob bei den Bewohnern und Bewohnerinnen in den beiden Betreuungsformen Unterschiede hinsichtlich der Größe und Verfügbarkeit des familiären Netzwerkes bestehen. Kurzdarstellung / Bewertung der Ergebnisse Im Folgenden beschränken wir uns auf eine kurze Darstellung der bewohnerbezogenen Ergebnisse: 594 von insgesamt 744 Bewohnern und Bewohnerinnen, die an bestimmten Stichtagen im Modellprogramm betreut wurden (N=366 nach dem Domusprinzip, N=228 nach dem Integrationsprinzip), konnten in die Studie einbezogen werden, was einer Ausschöpfung von nahezu 80% entspricht. Darüber hinaus konnten im Untersuchungszeitraum in der „Besonderen Dementenbetreuung“ 139 Personen als Neuaufnahmen rekrutiert werden. Als Referenzgruppen wurden nach einem umfassenden Screening in elf traditionellen integrativen Pflegeheimen in Mannheim (Stichtagspopulation: N=1.009; Neuaufnahmen: N=222) die über 65-jährigen mittelschwer- oder schwer demenzkranken Bewohner und Bewohnerinnen ausgewählt, die gemäß den Matchingvariablen „verhaltensauffällig nach den Hamburger Kriterien“ und „Fähigkeit an Gruppenaktivitäten teilzunehmen“ (das bedeutet nicht bettlägerig) in der Zusammensetzung den Hamburger Untersuchungsgruppen angeglichen wurden. Dies führte natürlich zu einer erheblichen Reduktion der Ausgangspopulationen, da nur etwa jeder sechste Demenzkranke in traditionellen Heimen die „Hamburger Kriterien“ erfüllte. Um die Auswirkungen der unterschiedlichen Betreuungsformen auf die Bewohner und Bewohnerinnen adäquat einschätzen zu können, wurden die Ausgangsunterschiede, die zwischen den Untersuchungsgruppen (Domus- gegenüber Integrationsprinzip, „Besondere Dementenbetreuung“ gegenüber „Traditioneller Pflege“) hinsichtlich soziodemographischer und krankheitsbezogener Merkmale (z.B. Alter, Schwere der kognitiven Einschränkungen und der nicht-kognitiven Symptome) bestanden, durch Parallelisierung Vorteile des Domusprinzips Bei den Bewohnern und Bewohnerinnen im Domusbereich wurden signifikant häufiger Informationen zur Biografie erhoben als im Integrationsprinzip. Der Anteil der (geronto-)psychiatrisch behandelten Demenzkranken war bei der Versorgung nach dem Domusprinzip höher. Außerdem erhielten sie mehr psychotrope Medikamente, wobei signifikant häufiger Antidementiva und Antidepressiva und weniger Neuroleptika verordnet wurden. Inwieweit nicht Demenzkranke aufgrund der Verlegung von verhaltensauffälligen Mitbewohnern und -bewohnerinnen profitierten, ließ sich im Rahmen der vorliegenden Beobachtungsstudie nicht untersuchen. Ergebnisse internationaler Interventionsstudien weisen darauf hin, dass segregierte Dementenwohngruppen wie im Domusprinzip für die nicht demenzkranken 12 trächtigungen der Betroffenen ist deshalb eine Verzögerung von Immobilität und Bettlägerigkeit, wie wir sie bei den neu aufgenommenen Bewohnern und Bewohnerinnen in Hamburg festgestellt haben, als wichtiger Betreuungserfolg zu werten (Lawton et al. 1998). Ähnliche Resultate im Hinblick auf die bessere Aufrechterhaltung von Mobilität in einem besonderen Versorgungsbereich für Alzheimerkranke fanden Saxton et al. (1998). Unerwartet waren demgegenüber die Befunde zum Verlauf von nicht-kognitiven Symptomen, insbesondere zum Verlauf der Verhaltensauffälligkeiten, die von den Pflegekräften mittels des modifizierten Cohen-Mansfield-Agitation-Inven-tory (CMAI) erhoben wurden. Entgegen unseren Annahmen gingen die Verhaltensauffälligkeiten bei den Demenzkranken in der Traditionellen Pflege im Laufe der Zeit stärker zurück als bei den Demenzkranken in der Besonderen Betreuung. Obwohl sich inzwischen die Befunde mehren, dass Verhaltensauffälligkeiten bei Demenzkranken durch psychosoziale Interventionen oder durch ein besonderes „Milieu“ nur begrenzt beeinflusst werden können (van Haitsma et al. 2000), sind die vorliegenden Ergebnisse dadurch allein nicht zu erklären. Möglicherweise spielten bei ihrem Zustandekommen zwei weitere Faktoren eine wichtige Rolle: Zum einen könnten Selektionsfaktoren bei der Inanspruchnahme der Besonderen Dementenbetreuung zur höheren Persistenz von Verhaltensauffälligkeiten in Hamburg beigetragen haben. Es ist denkbar, dass Demenzkranke mit extremen und schwer beeinflussbaren Verhaltensstörungen, die in herkömmlichen Pflegeeinrichtungen relativ selten sind, überproportional häufig den Besonderen Betreuungsformen zugewiesen werden. Solche selektiven Effekte lassen sich im Rahmen unserer Beobachtungsstudie jedoch weder klären noch verhindern. In einer Untersuchung, in der eine randomisierte Zuweisung von demenzkranken Pflegeheimbewohnern und bewohnerinnen zu unterschiedlichen Betreuungsbedingungen möglich war, zeigte sich, dass sich die Verhaltensprobleme der Demenzkranken in der Interventionsgruppe (vergleichbar den Tagesbetreuungsgruppen des Integrationsprinzips) im Laufe von sechs Monaten gegenüber der Kontrollgruppe (Traditionelle Pflege) signifikant reduzierten (Rovner et al. 1996). Nur ein solches Forschungsdesign kann letztlich eindeutigen Aufschluss über den Zusammenhang von Betreuungsform und Beeinflussung von bestimmten Symptomen geben. Zum anderen kommt in den Ergebnissen zum Verlauf der nicht-kognitiven Symptome möglicherweise eine Einschränkung der von uns gewählten Erhebungsmethode zum Ausdruck: Angaben und Beurteilungen von Informanten (Pflegekräfte), Bewohner und Bewohnerinnen und ihr Pflegepersonal in den anderen Heimbereichen entlastenden Charakter haben (Grant und Ory 2000). Vergleich zwischen Modellprogramm und „Traditioneller Pflege“ Hinsichtlich des Vergleichs zwischen der „Besonderen Betreuung“ und der „Traditionellen Pflege“ Demenzkranker waren die Ergebnisse wesentlich akzentuierter. Entsprechend unseren Hypothesen war die „Besondere Dementenbetreuung“ in Hamburg in vielen Ergebnisbereichen, die als Indikatoren der Lebens- und Betreuungsqualität Demenzkranker in der stationären Pflege gelten, der „Traditionellen Versorgung“ überlegen: Die Demenzkranken in der „Besonderen Betreuung“ im Vergleich zu den Demenzkranken in „Traditioneller Pflege“ waren um ein Vielfaches häufiger in positive und kompetenzfördernde Aktivitäten in und außerhalb der Einrichtung eingebunden; zeigten mehr positive Gefühle wie Freude und /oder Interesse; waren weit weniger von freiheitseinschränkenden Maßnahmen betroffen und wurden wesentlich häufiger psychiatrisch behandelt. Zudem waren Angehörige und Freiwillige im Hamburger Modell stärker in die Pflege und Betreuung eingebunden. Im Hinblick auf die untersuchten morbiditätsbezogenen Merkmale wie kognitive Beeinträchtigungen, Einschränkungen in den Alltagsaktivitäten und Mobilität waren die Unterschiede zwischen der „Besonderen Dementenbetreuung“ und der „Traditionellen Pflege“ bei den Bewohnern und Bewohnerinnen, die schon längere Zeit in der Einrichtung lebten, wesentlich geringer. Signifikant günstigere Auswirkungen der „Besonderen Dementenbetreuung“ waren jedoch bei den neu aufgenommenen Bewohnern und Bewohnerinnen messbar: Im Vergleich zu den traditionell betreuten Demenzkranken verschlechterten sie sich in den Alltagseinschränkungen im Laufe eines halben Jahres in geringerem Maße - insbesondere konnten sie ihre Mobilität (Gehfähigkeit) besser aufrechterhalten und wurden deutlich seltener bettlägerig. Diese Ergebnisse entsprachen unseren Erwartungen und stehen im Einklang mit neueren Forschungsbefunden, wonach durch besondere Betreuungsformen bei Erkrankten mit fortgeschrittenen Demenzprozessen weder die kognitive Leistungsfähigkeit noch der Grad der Selbstständigkeit im Alltag grundsätzlich verbessert werden kann (Rovner et al. 1996, Lawton et al. 1998, Holmes et al. 2000a), sondern bestenfalls mit einer verlangsamten Funktionsabnahme gerechnet werden kann. Vor dem Hintergrund des hohen Alters und der schwerwiegenden kognitiven und körperlichen Beein- 13 dingungen ist eine der größten Herausforderungen für die künftige Gesundheits- und Sozialpolitik. können anfällig sein für bestimmte Fehler und Verzerrungen. So waren die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der „Besonderen Dementenbetreuung“ in Hamburg im Vergleich zu denen in der „Traditionellen Pflege“ mit dem Cohen-Mansfield-Agitiertheits-Inventar wesentlich vertrauter und aufgrund der Bedeutung, die Verhaltensauffälligkeiten im Rahmen des Modells haben, vermutlich auch sensibilisierter in der Wahrnehmung und Dokumentation solcher Störungen. Diese Umstände könnten Unterschiede im Antwortverhalten hinsichtlich der CMAI bedingt und schließlich zu den überraschenden Ergebnissen in Bezug auf Ausprägung und Verlauf der Verhaltensauffälligkeiten beigetragen haben. Was die anderen Merkmalsbereiche des Pflege- und Verhaltensassessments betrifft, gab es allerdings keine Hinweise auf bestimmte Antworttendenzen oder auf Unterschiede in der Handhabung zwischen den Pflegekräften der „Besonderen Betreuung“ und der „Traditionellen Pflege“. Siegfried Weyerer, Martina Schäufele, Ingrid Hendlmeier (Literatur bei den Verfassern) Zwischen Heißhunger und Selbstaufgabe Essstörungen im Erwachsenenalter Ausblick Bei der von uns durchgeführten Evaluation ist zu bedenken, dass das Modellprogramm nur in seiner Gesamtheit untersucht und mit der „Traditionellen Pflege“ verglichen wurden. Die Wirkung der vielfältigen einzelnen Komponenten des Programms (z.B. Bewohnerprofil, günstigerer Betreuungsschlüssel, bessere Qualifikation, Fortbildung und Supervision beim Personal, andere räumliche und organisatorische Bedingungen) konnte nicht untersucht werden, da es nicht möglich war, diese Bedingungen innerhalb der verschiedenen Versorgungsformen zu variieren. Im Zusammenhang mit der Gestaltung der stationären Versorgung Demenzerkrankter wäre es ein wichtiger nächster Schritt, hypothesengeleitet zu prüfen, welche Komponenten der besonderen Stationären Dementenbetreuung mehr oder weniger wirksam sind und in welchem Umfang einzelne, übertragbare Bausteine, z.B. Qualifizierung des Personals, besserer Betreuungsschlüssel, sich auch in der traditionellen integrativen Demenzkrankenversorgung günstig auswirken. Sofern kein Durchbruch in der Entwicklung von gezielten Präventionsmöglichkeiten und kausalen Therapiemaßnahmen erfolgt, wird die Anzahl von Demenzkranken in der Bevölkerung weiter überproportional anwachsen. Nach Bickel (2001) ist in Deutschland bis zum Jahr 2050 von einer Verdoppelung der Krankheitsfälle auf über zwei Millionen Demenzkranke auszugehen. Da parallel zu dieser Entwicklung das familiäre Betreuungspotenzial abnehmen wird, dürfte die institutionelle Versorgung noch an Bedeutung gewinnen. Die Betreuung demenzkranker Menschen unter humanen und ökonomisch realisierbaren Be- Psychogene Essstörungen sind ein Phänomen unserer Zeit und der „modernen Zivilisationsgesellschaft“: während auf der einen Seite Schlankheits- und Autonomieideale Schönheit und Erfolg zu garantieren scheinen, stehen auf der anderen Seite Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsmangel, die bei immer mehr Menschen zu Fehlernährungen und Übergewicht führen. Darüber hinaus wird Essen, Ernährung und der Umgang mit dem eigenen Körper zunehmend stärker zum „Brennglas“ von Affekt- und Beziehungsregulationstörungen. Die Prävalenzrate der Anorexia nervosa liegt bei Frauen in der Spätadoleszenz bei etwa 0,4 %, für die Bulimie bei etwa 2 %. Patienten mit einer Anorexie zeigen eine der höchsten Mortalitätsraten aller psychiatrisch-psychosomatischen Erkrankungen in der Spätadoleszenz. Für die größten Gruppen psychogener Essstörungen, EDNOS (Eating disorders not otherwise specified), v.a. Binge-Eating Disorder, und Adipositas liegen bisher keine verlässlichen Daten vor, ihre Zahl scheint aber deutlich zu steigen. Diagnostik der Essstörungen Die kategorialen Diagnosesysteme (ICD-10 und DSM-IV) unterscheiden bei der Anorexia nervosa (AN) zwischen einer asketischen bzw. restriktiven und einer bulimischen Form. Diagnostische Merkmale einer Anorexie (nach ICD-10) sind: 2 x BMI < 17,5 kg/m x selbst herbeigeführter Gewichtsverlust 14 Arterio- und Arteriolosklerose sowie Fettstoffwechselstörungen bei Adipositas, u.v.m.). Die Behandlung von Patienten mit Essstörungen erfordert eine interdisziplinäre Diagnostik und Therapie. Gegenüber den kategorialen Diagnosesystemen ICD und DSM hat die Oxforder Arbeitsgruppe um Fairburn eine sog. „transdiagnostische Theorie psychogener Essstörungen“ formuliert, die zentrale dysfunktionale Schemata und Selbstbewertungen mit einer Überbewertung von Essen, Figur und Gewicht und deren Kontrolle, einen Perfektionismus und ein niedriges Selbstwertgefühl sowie Störungen der Affekt- und Beziehungsregulation als Kernmerkmale von Patienten, v.a. mit AN, BN und EDNOS, identifiziert. Mit diesem faktoriellen bzw. dimensionalen Ansatz wird auch das Verständnis der Komorbidität dieser Erkrankungen mit Persönlichkeitsstörungen, PTBS und anderen Achse I-Störungen, genetischen und neurobiologischen Ansätzen sowie das Verständnis „kognitiv-emotionaler Netzwerke“ und core beliefs dieser Patientengruppen erleichtert. x extreme Angst vor einer Gewichtszunahme, selbst bei ausgeprägtem Untergewicht x Körperschemastörung x endokrine Störungen (sekundäre Amenorrhoe) x Entwicklungshemmung bzw. -verzögerung (bei Erkrankungsbeginn vor der Pubertät) Bei der Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht) wird ein Purging-Typ (kompensatorisches Verhalten zur Gewichtsreduktion nach Essanfällen (bingeing) durch Erbrechen oder Laxantien-Abusus) von einem Non-Purging-Typ (Fasten, Diäten, körperliche Aktivität) unterschieden. Diagnostische Merkmale der Bulimie sind: x Essattacken mit Kontrollverlust x Wiederholt gegenregulatorische Maßnahmen (> 2x/Woche über > 3 Monate) x Übermäßige Beschäftigung mit Essen, Figur und Gewicht x Körperschemastörung „Binge Eating Disorder“ (Essattacken) bzw. EDNOS sind durch folgende Merkmale gekennzeichnet: x Heißhungerattacken mit Kontrollverlust x Schnelleres Essen größerer Mengen x Scham, Ekel, Depression und Schuldgefühle über die Essattacken x Fehlen gegenregulatorischer Maßnahmen x Essattacken > 2 x/Woche für > 6 Monate. Ätiopathogenese und Störungsmodelle psychogener Essstörungen Essstörungen zeigen eine familiäre Häufung. In den letzten Jahren haben moderne Forschungsansätze der genetischen Epidemiologie biologische und psychosoziale Risikofaktoren von Anorexie, Bulimie und EDNOS aufzuklären versucht. Die Ergebnisse einiger weniger Familien-, Adoptions- und Zwillingsstudien sind aufgrund der relativ geringen Prävalenzraten der Erkrankungen aber bislang nur schwer zu interpretieren. Im Zentrum eines Verständnisses psychogener Essstörungen stehen bislang lerngeschichtliche Modelle („Teufelkreismodelle“). Dies soll nachfolgend anhand eines Teufelkreismodells der Bulimie verdeutlicht werden: Patienten reagieren auf externale und internale Reize mit „primären Emotionen“ wie Traurigkeit, Gefühlen von Einsamkeit oder Ärger. Defizite zur primären Affektregulation führen zu einem Anstieg aversiver Zustände. Daneben scheint sich im Langzeitverlauf der Erkrankung ein „Craving“ nach bestimmten Nahrungsmitteln auszubilden. Unter dem Einfluss diskriminativer Reize kommt es dann zu Essattacken und Fressanfällen, die kurzfristig den aversiven Zustand beenden. Dies verstärkt diesen ersten „Lernschritt“. Danach aber entwickeln Patienten „sekundäre Affekte“, sequentiell und hierarchisch, i.S. von „Affekten über Affekte“. Patienten haben Angst, zu dick zu werden, erleben aber auch Schuldgefühle und Scham über ihr Verhalten. Kann auf diese Affekte nicht angemessen reguliert werden, so kommt es erneut zu einem Anstieg aversiv erlebter Zustände. Besondere Aufgaben in der Behandlung von Patienten mit psychogenen Essstörungen ergeben sich in der differentialdiagnostischen Abklärung und der Klärung komorbider Störungen: x bei der Anorexie in der Abklärung von Kachexie-Syndromen unterschiedlicher Ätiologien, Zwangsstörungen, Depressionen, posttraumatischen Belastungs- und Persönlichkeitsstörungen x bei der Bulimie und EDNOS in der Abklärung von Persönlichkeitsstörungen, hauptsächlich Borderline-Syndromen, und PTBS x bei der Adipositas in der Abklärung von Fettstoffwechsel- und endokrinen Störungen, Depressionen, Dysthymie, Cluster Bund Cluster C-Persönlichkeitsstörungen Bei Patienten mit psychogenen Essstörungen sind körperliche und psychische Folgeerkrankungen von Fehl- und Mangelernährung sowie rezidivierendem Erbrechen, Diuretika- und Laxantienabusus besonders zu berücksichtigen (Elektrolyverluste mit Auswirkungen auf das Reizleitungssystem des Herzens und die Nierenfunktion, Hypovolämie, Hypotonie, Anämie und Panzytopenie mit Störungen der Immunfunktion und vermehrter Infektanfälligkeit, Störungen zerebraler Funktionen, Hirnatrophie, Gastritis, Pankreatitis, endokrine Funktionsstörungen (sekundäre Amenorrhoe, Störungen der Schilddrüsenfunktion), Ödeme, Störungen des Knochenstoffwechsels, Diabetes, Hypertonie, 15 Behandlungsschritte: stepped care-Modelle Der Veränderungsmotivation und dem commitment zur Therapie, besonders aber dem frühzeitigen Erkennen und der frühen therapeutischen Intervention zur Vermeidung von Chronifizierungen kommt in der Behandlung von Patienten mit psychogenen Essstörungen eine Schlüsselrolle zu. Daher sind Informationen der Patienten über psychogene Essstörungen, psychische und körperliche Folgeerkrankungen, Pro- und Contra-Listen für eine Veränderung des/der einzelnen Patienten/in, das Einbeziehen von Partnern und Familien in die Therapie, die Entwicklung von regionalen Netzwerken, an denen Schulen, Jugendeinrichtungen, niedergelassene Ärzte und Therapeuten, Beratungsstellen und spezialisierte Behandlungszentren, u.a. beteiligt sind, die Entwicklung von steppedcare-Modellen aus spezialisierter ambulanter, stationärer und tagesklinischer Behandlung, u.a. besonders wichtig. Auch hier setzt ein Craving ein, das Essen in kurzer Zeit wieder loszuwerden. Patienten lernen durch selbstinduziertes Erbrechen, diesen sekundären aversiven Zustand zu beenden. Auch dadurch wird dieser purging-Schritt verstärkt. Neben dieser kurzfristig erlebten „Entlastung“ entwickeln Patienten dann aber „tertiäre Emotionen“ wie Schuld, Scham, Ekel und Selbsthass. Dies kann eine weitere dysfunktionale Spirale in Gang setzen. Dieses hier nur kursorisch skizzierte Modell macht die Bedeutung von Störungen der Affektregulation, der Stresstoleranz gegenüber aversiven affektiven Zuständen, die Bedeutung zentraler Kognitionen, von Körperbild/Kör-perkonzepten und Selbstkonzepten als „Stellgröße“ sowie die Aufklärung von „Craving-Me-chanismen“ in der Aufrechterhaltung von „Teufelskreisen“ bei psychogenen Essstörungen deutlich. Die Operationalisierung und empirische Untersuchung einzelner Konstituenten dieses Modells ist u. a. ein Forschungsprogramm der „Arbeitsgruppe Essstörungen“ der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin am Zentralinstitut. Spezialisierte Therapieangebote am ZI Das Behandlungskonzept der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin basiert auf einem verhaltensmedizinischen Ansatz, der medizinisch-biologische wie psychosoziale Faktoren psychogener Essstörungen berücksichtigt. Konzeptuell orientiert es sich an den Behandlungsprinzipien der dialektischbehavioralen Therapie. Es richtet sich an Patienten ab 18 Jahre mit den Diagnosen einer Anorexia nervosa (Magersucht), Bulimia nervosa (Ess-/Brechsucht), Binge Eating-Störung (Esssucht), Adipositas per magna (massivem Übergewicht), oder Atypische Essstörung. Therapiekonzepte Das National Institute for Clinical Excellence (NICE) des National Collaborating Centre for Mental Health in Großbritannien hat unter Federführung von Christopher Fairburn, Simon Gowers u.a. in diesem Jahr auf der Basis umfangreicher Metaanalysen die NICE-guidelines zur evidenz-basierten Behandlung psychogener Essstörungen (NICE-guidelines, 2004) vorgelegt. Danach muss die Güte evidenzbasierter Empfehlungen für die Behandlung von Patienten mit Anorexie nach wie vor als unbefriedigend angesehen werden: Es gibt bislang keine evidenz-basierten Therapiekonzepte. Günstiger ist die Situation bei der Behandlung von Patienten mit Bulimie und EDNOS. Hier gibt es evidenz-basierte Empfehlungen für die kognitive Verhaltenstherapie, in Kombination mit selektiven Serotonin-Rezeptor-Inhibitoren (SSRI) in höherer Dosierung, wie auch für die dialektischbehaviorale Therapie (DBT), wenngleich eine Manualisierung der DBT für die Behandlung von Essstörungen derzeit noch in Arbeit ist. Vorläufige Empfehlungen in der Behandlung von Adipositas können auch für eine Kombination von kognitiver Verhaltenstherapie, Sport und Bewegungstraining, Ernährungstherapie und medikamentöser Behandlung ausgesprochen werden. Die Behandlung von Patienten mit psychogenen Essstörungen sollte in spezialisierten Behandlungszentren erfolgen. Ambulante Diagnostik- und Therapieangebote In unserer Spezialambulanz werden Patienten auf Überweisung niedergelassener Kollegen diagnostiziert und behandelt. Dies beinhaltet auch die differentialdiagnostische Klärung und Beratung von Patienten mit Magersucht und Kachexie-Syndromen, Übergewicht und Ess/Brechsucht. Wir führen eine umfassende allgemeine und störungsspezifische psychosomatische und psychologische sowie LaborDiagnostik und eine Klärung möglicher komorbider Störungen, etwa von Persönlichkeitsstörungen, durch. Es erfolgt dann eine differenzierte Schweregradeinschätzung der Essstörung, eine Klärung der Therapie- und Veränderungsmotivation des/der Patienten/in sowie erschwerender Bedingungen für eine störungsspezifische Psychotherapie. Je nach Schweregrad der psychogenen Essstörung und komorbider Störungen ergibt sich die Indikationsstellung für eine ambulante, teilstationäre oder stationäre Therapie. Die ambulanten Therapien erfolgen 16 x als Einzelpsychotherapien oder kombinierte Einzel- und Gruppentherapien, unter Einbeziehung weiterer störungsorientierter Therapiemodule, etwa Spiegeltherapie, Körpertherapie, Sport- und Bewegungstherapie, Ernährungsberatung. Gruppentherapie zur Regulation des Essverhaltens (Esstraining) (5 x 60 Min/Wo) x Skillstraining (2 x 60 Min./Woche) (Achtsamkeit, Stresstoleranz, Umgang mit Gefühlen, Zwischenmenschliche Skills, Selbstwertbezogene Skills) x Training sozialer Kompetenzen (1 x 75 Min./Woche) x Psychoedukation (1 x 60 Min./Woche) x Stationskonferenz (1 x 30 Min./Woche) Detailinformationen zu den einzelnen Behandlungsmodulen und Ansprechpartner finden Sie auf der Homepage unter www.zi-mannheim.de/ 27.html. Ab Februar 2005 werden folgende spezielle ambulante Therapien am ZI angeboten: Ambulante Gruppentherapien Beginn: Februar 2005, Dauer: 45 Sitzungen für die Dauer von 1 Jahr - eine Teilnahme ist nach Überweisung, Vorgesprächen und Diagnostik möglich. Die Teilnehmerzahl ist auf 8-10 pro Gruppe begrenzt. Die Gruppen werden von Ärzten bzw. psychologischen Psychotherapeuten mit Co-Therapeuten geleitet. Weitere Informationen und Ansprechpartner sind auf der ZIHomepage unter www.zi-mannheim.de/28.html zu finden. Nach Überweisung können Patienten ab sofort Vorgespräche in unserer Ambulanz vereinbaren. Andreas Remmel Stationäre Behandlung Die stationäre Therapie beginnt mit einer zweiwöchigen Behandlungsphase, in der nochmals die diagnostische und differentialdiagnostische Sicherung aller Störungen und komorbider Erkankungen, die Motivationssicherung und die Erarbeitung eines umfassenden Therapievertrages mit den Patienten erfolgt. Die diagnostische Klärung schließt sowohl eine weiterführende Psychodiagnostik wie eine somatomedizinische Diagnostik von Begleit- und Folgeerkrankungen ein, es erfolgt eine ausführliche Aufklärung über das Störungsbild und das Behandlungskonzept sowie eine Festlegung und Hierarchisierung von Therapiezielen. Am Ende der zweiwöchigen Phase wird mit dem Patienten gemeinsam geprüft, ob sich daraus eine tragfähige Therapievereinbarung („Arbeitsbündnis“) ableiten lässt und welcher Zeitraum für die störungsspezifische stationäre Therapie veranschlagt werden muss. Liegt die Indikation für eine stationäre Behandlung vor, ist im Regelfall von einer Therapiedauer von bis zu drei Monaten auszugehen. Die stationäre Therapie umfasst folgende Behandlungsmodule: x Einzeltherapie (2 x 45 Min./Woche) x Bezugspflege (2 x 30 Min./Woche) x Basisgruppe (1 x 60 Min./Woche) x Körpertherapie (einzeln und in der Gruppe; insg. 2 x 60 Min./Woche) x Spiegeltherapie (1 x 50 Min./Woche) x Flamenco (1 x 30 Min./Woche) x Gestaltungstherapie (2 x 90 Min./Woche) x Musiktherapie (1 x 75 Min./Woche) x Angebot der Sozialarbeit „Generation Schokoriegel“ Adipositas im Kindes- und Jugendalter Das Thema Adipositas bei Kindern und Jugendlichen rückt mehr und mehr ins Zentrum des Medieninteresses. In den letzten Monaten war viel über die zunehmende Häufigkeit zu lesen und zu hören, die Zahlen klingen bedrohlich. Tatsächlich nimmt die Prävalenz der Adipositas weltweit zu. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet die Adipositas als eine Besorgnis erregende globale Epidemie. Auch in Deutschland nehmen Häufigkeit und Schweregrad von Übergewicht und Adipositas bei Kindern in alarmierenden Ausmaßen zu. Aktuell gelten 10-20% der Kinder und Jugendlichen als übergewichtig, 4-8% als adipös, Tendenz steigend. Die Folgen für den Einzelnen und die Gemeinschaft sind gravierend. Schon im Kindesalter geht die Adipositas mit zahlreichen klinisch relevanten Folgen (z.B. kardiovaskuläre, orthopädische und psychische Erkrankungen) einher. Und übergewichtige Kinder werden fast immer auch übergewichtige Erwachsene (Persistenz von 80% bei über 10-jährigen). In den USA werden 280 000 Todesfälle/Jahr auf die Adipositas mit ihren Folgeerkrankungen zurückgeführt; sie ist damit nach dem Rauchen die zweithäufigste Todesursache im Erwachsenenalter. Die Gesamtkosten der Adipositas und ihrer Folgen in Deutschland belaufen sich nach Berechnungen des Verbraucherschutzministeriums jährlich auf rund 30 Milliarden Euro. 17 Wann beginnt Adipositas? Zur Bestimmung von Übergewicht und Adipositas hat sich der sogenannte Body Mass Index (BMI, Quotient aus Körpergewicht in kg und 2 Körpergröße in m ) in Kindes- und Jugendalter durchgesetzt. Er zeigt nicht nur gute Übereinstimmung mit der Gesamtkörperfettmasse, sondern ist zudem ein valider Indikator für adipositasbedingtes Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko. Gerade bei Kindern empfiehlt sich aufgrund der altersspezifischen Schwankungen der BMIWerte (Maxima am Ende des 1. Lebensjahres und in der Pubertät) der Vergleich mit altersund geschlechtsnormierten Referenzwerten (BMI-Perzentilen). Von Übergewicht im Kindesund Jugendalter spricht man bei einem Gewicht über der 90. BMI-Perzentile, über der 97. Perzentile besteht eine Adipositas. fach erhöhtes Risiko Diabetes mellitus Typ 2, ein dreifach erhöhtes Risiko Fettstoffwechselstörungen sowie orthopädische Erkrankungen zu entwickeln. Mehr als zwei Risikofaktoren des Metabolischen Syndroms finden sich bei 58% der adipösen Kinder. Was tun? Zunächst empfiehlt sich eine diagnostische Basisuntersuchung zum Ausschluss sekundärer Ursachen sowie zur Einschätzung der klinischen Folgeerkrankungen. Des Weiteren ist eine Einschätzung der psychosozialen Belastung, des Ess- und Bewegungsverhaltens, psychiatrischer Komorbiditäten sowie der Therapiemotivation des Kindes und der Eltern grundlegend. Die Ziele der Therapie stellen sich gemäß der Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft für Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) wie folgt dar: Zu viele Schokoriegel oder zuwenig Bewegung? Adipositas gilt als multifaktoriell verursachte Erkrankung. Damit ergibt sich ein buntes Bild an Ursachen, darunter metabolische (z.B. Hypothyreose, Hyperkortisolismus), genetische (PraderWilli-Syndrom, Cohen-Syndrom) und psychiatrische Ursachen (z.B. Binge Eating Disorder). Dennoch bedingen diese „sekundären“ Ursachen nur 5% der Adipositasfälle aus. Bei der primären Adipositas liegt häufig eine familiäre genetische Disposition vor. Auch die Umwelt und die soziale Schicht spielen eine Rolle. Jeder Adipositas liegt jedoch letztlich ein Missverhältnis von Energieaufnahme und Energieverbrauch zugrunde. Während die tägliche Bewegungszeit von Kindern und Jugendlichen stetig abnimmt, nehmen gleichzeitig falsche und einseitige Essgewohnheiten zu. Die Therapie steht damit auf drei Säulen: x kalorienreduzierte Mischkost und Verbesserung des Essverhaltens x Steigerung der sportlichen und alltäglichen Bewegung x Verbesserung des Körperbewusstseins und Selbstwerts Entscheidend ist hierbei vor allem bei jüngeren Kindern der Einbezug der Eltern, da diese maßgeblich die Ernährung zuhause bestimmen und im Bereich des Ess- und Bewegungsverhaltens eine Vorbildfunktion einnehmen. Die Adipositasgruppe für Kinder und Jugendliche am ZI Seit einen Jahr bieten wir in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters eine Adipositasgruppe sowie eine Adipositassportgruppe an. Die Adipositasgruppe basiert weitgehend auf dem evaluierten Manual von Petermann und Warschburger sowie Unterrichtsmaterialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzGA). Über einen Zeitraum von acht Wochen (1,5h/Woche) wird in altersadäquater Weise gesundes Ernährungsverhalten vermittelt und mittels Selbstregistrierung und Reizkontrolle (bzgl. Essenszeiten, Essensumstände) falsches Essverhalten korrigiert. Kognitive Techniken (Stopp-Techniken, alternative Verhaltensweisen) in Problemsituationen werden geübt. Mit einem einfachen Ampelschema lernen die Kinder Nahrungsmittel nach ihrem Energiegehalt einzuschätzen. Sport und vor allem Bewegung im Alltag spielen in beiden Gruppen eine ausschlaggebende Rolle. Ziel ist es, Spaß an Bewegung und ein verbessertes Körperbewusstsein zu vermitteln. Einen Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass eine Fehlbilanz von 2%, das sind ca. 125 kJ/Tag oder 15 Minuten Fernsehen statt Bewegung, zur Adipositas im Kindesalter führt. Auf der anderen Seite nimmt die Menge einfacher Kohlenhydrate (z.B. Zucker) und Fett einen immer größeren Anteil an der Nahrung ein. Letztlich ist Adipositas vor allem ein Verhaltensproblem, das mit verhaltenstherapeutischen Mitteln behandelt werden sollte. Wann soll behandelt werden? Aufgrund der hohen Morbidität und Mortalität der Adipositas im Kindes- und Jugendalter sowie der hohen Persistenz bis ins Erwachsenenalter empfiehlt sich eine Behandlung bei Überschreiten der 90. Perzentile (Gewicht halten bei weiterem Wachstum). Über der 97. Perzentile ist dringend eine Gewichtsreduktion indiziert. Bei fehlender Gewichtsreduktion droht den Kindern und Jugendlichen unter anderem ein 12- 18 sowie die hohe Persistenz der Adipositas bis ins Erwachsenenalter unterstreichen die Dringlichkeit einer frühzeitigen Intervention - besser noch der Prävention. weiteren Grundstein bildet die Vermittlung sozialer Kompetenzen und Steigerung des Selbstwerts. Teilnehmen können acht bis zehn Kinder und Jugendliche (Alter 10-16) mit einem Gewicht über der 97. Perzentile, guten Deutschkenntnissen und aus-reichender Gruppenfähigkeit. Die bisherigen Ergeb-nisse zeigen eine Verbes-serung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens bei den Teilnehmern sowie eine Gewichtsstabilisierung bzw. Gewichtsabnahme von im Durchschnitt zwei bis drei Kilogramm. Nur wenige Programme beschäftigen sich bisher mit präventiven Maßnahmen, die stets im Kindesalter beginnen sollen. Aktuell ist deshalb ein präventives Programm über einen längeren Zeitraum in Vorbereitung, das mit Hilfe verhaltenstherapeutischer Maßnahmen gezielt auf das Ess- und Bewegungsverhalten gefährdeter Kinder und Jugendlicher Einfluss nehmen will, um dieses langfristig positiv zu verändern. Besser vorsorgen ... Die außerordentlich schwie-rige Therapie der Adipositas im Erwachsenenalter, die nur in seltenen Fällen zu einer Gewichtsreduktion führt, Yvonne Grimmer, Janina Vitt Soziales Kompetenztraining mit Jugendlichen in der Gruppe Kompetenztraining in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und habe durch den Vortrag wertvolle Anregungen über einen praxisorientierten Aufbau, Ablauf und wichtige Hintergründe des Sozialen Kompetenztrainings gewonnen. Die neu gewonnen Ideen inspirierten mich dazu, meine Hausarbeit über das Thema Soziales Kompetenztraining mit Jugendlichen in der Gruppe zu schreiben. Vor dem Hintergrund meines geplanten nächsten Einsatzes in der Im Rahmen der Fachweiterbildung besuchte unser Kurs im April 2004 die „2. Fachtagung der Weiterbildungsstätten für Krankenpflegepersonal in der Psychiatrie des Landes BadenWürttemberg“ in Rottweil. Auf dieser Fachtagung nahm ich am Vortrag der Weiterbildungsteilnehmer vom Universitätsklinikum Freiburg – Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie – teil. Der Vortrag gab mir einen Einblick in das Stationskonzept und das Soziale 19 x Wohngruppe für psychisch kranke Jugendliche „Kettelerweg“ habe ich Ideen entwickelt, auf welchen aufbauend ein konkretes Soziales Kompetenztraining gestaltbar ist. In der vorliegenden Hausarbeit werden wichtige Elemente dieses Trainings beispielhaft dargestellt. Auch soll ein Einblick in die Hintergründe und die praktische Arbeitsweise des Sozialen Kompetenztrainings mit Jugendlichen in der Gruppe vermittelt werden. eigene Interessen, Bedürfnisse, Gefühle und eigene Ansichten äußern und durchsetzen können, aber auch die Interessen, Gefühle und Bedürfnisse anderer wahrzunehmen Wann fehlt soziale Kompetenz? Die drei häufigsten Bereiche fehlender sozialer Kompetenzen sind: 1. Rechte: Dies bedeutet, eigene Rechte und berechtigte Interessen in Anspruch zu nehmen und durchzusetzen sowie Forderungen zu stellen und unberechtigte Forderungen anderer abzulehnen. 2. Beziehungen: In der Beziehung zu Partner, Kinder, Freunde usw., Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche zu äußern und einzubringen, als auch mit Kritik umzugehen und Kompromisse zu finden. 3. Kontakte: Kontakte knüpfen, diese aufrechterhalten und zu gestalten, vor allem wenn es sich um fremde Personen handelt. Was ist „Soziale Kompetenz“? Soziale Kompetenz ist die „Fähigkeit einer Person, soziale Alltagsinteraktionen im Sinne eigener Ziele und Bedürfnisse (mit)gestalten zu können ohne die Rechte und Interessen anderer unnötig zu verletzen.“ (aus dem Psychologie-Skript der Dozentin Christiane Kühner). Damit wird soziale Kompetenz beschrieben als ein Kompromiss zwischen Selbstverwirklichung und sozialer Anpassung. Natürlich bezieht sich soziale Kompetenz auf ein äußerst breites Spektrum menschlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten in der zwischenmenschlichen Interaktion. Daher wird im Folgenden unterschieden zwischen formalen und inhaltlichen Aspekten sozialer Kompetenz. Ursachen mangelnder sozialer Kompetenz können sein: Angst: dadurch wird das Verhalten der Person beeinträchtigt und führt somit zur Vermeidung von bestimmten Situationen und Personen; mangelnde soziale Fertigkeiten: zurückführbar auf fehlende Lernerfahrungen oder Modelle; ungünstige kognitive Prozesse: z. B. die Wahrnehmung und Interpretation sozialer Situationen ist verzerrt. Diese Ursachen sind in der Regel für die Entstehung und Aufrechterhaltung sozial inkompetenten Verhaltens verantwortlich. Aspekte für formal sozial kompetentes Verhalten sind: x beim Sprechen und Zuhören BLICKKONTAKT suchen x die KÖRPERHALTUNG sollte aufrecht entspannt und ruhig mit angemessener Distanz zum Interaktionspartner sein x die GESTIK sollte reichhaltig, gelöst und zur Situation passend sein x die LAUTSTÄRKE sollte der Situation und Distanz entsprechend lauter oder leiser sein x die STIMMMODULATION sollte klar und verständlich sein und eine bewegte und betonte Satzmelodie beinhalten x der ICH-GEBRAUCH sollte im Gespräch zur Geltung kommen, das bedeutet von sich selbst (ich) reden und nicht im Allgemeinen (man) Was ist Soziales Kompetenztraining? Soziales Kompetenztraining ist ein therapeutisches Vorgehen mit dem Ziel des Neuerlernens von sozialen Fertigkeiten um dadurch das sozial kompetente Verhalten aufzubauen. Es werden soziale Situationen, die dem Patienten Schwierigkeiten bereiten, analysiert und dokumentiert (z. B. „Nicht nein sagen zu können“ oder Forderungen zu stellen). Aufbauend auf der Analyse der spezifischen sozialen Problemsituation des Patienten wird vom Therapeuten ein Modell erarbeitet und dem Patienten vermittelt. Das Prinzip des Trainings: es werden neue Reaktionsweisen besprochen und eingeübt, bis sie der Patient angstfrei beherrscht. Hierbei soll an allen Ebenen gearbeitet werden und es ist wichtig, dass sich Gedanken, Gefühle und Verhalten gegenseitig bedingen. Ziel ist es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen passiv-nachgebend und aggressiv-fordernd zu finden. Ein wichtiges Element ist hierbei das Rollenspiel. Im Rollenspiel gespielte Situationen werden analysiert, problematisches und fehlerhaftes Verhalten mit dem Patienten besprochen, anschließend wer- Aspekte für inhaltlich sozial kompetentes Verhalten sind: x berechtigtes Lob, Kritik und Forderungen aussprechen sowie annehmen zu können, aber auch diese, wenn sie unberechtigt sind, abzulehnen x durch Fehler verursachtem „Aufsehen“ in der Gruppe sich mit den Konsequenzen auseinander setzen zu können x Kontakte aufnehmen, aufrecht erhalten und beenden 20 den gemeinsam realistische Ziele formuliert und erarbeitet. Die Problemsituation des Patienten wird so lange mit positivem Feedback durch den Therapeuten eingeübt, bis alle einzelnen Elemente verbessert wurden. Die neuen Kompetenzen werden in Realsituationen geübt und getestet. Zur Reflexion der Teilnehmer werden Hausaufgaben in Form von Expositionstrainings oder Fragebögen in jeder Therapiestunde erteilt. Anwendung bei Jugendlichen Soziales Kompetenztraining wird angewandt bei Jugendlichen mit folgenden spezifischen Diagnosen bzw. Verhaltensauffälligkeiten: x Soziale Störung des Verhaltens x Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom x Hyperkinetische Störung x Essstörungen: Anorexie nervosa, Bulimie, Adipositas x Sozial ängstliche, schüchterne, selbstunsicheren Kinder und Jugendliche x Persönlichkeitsstörungen, z. B. BorderlineSyndrom x Jugendliche mit Aggressionen und dissozialem Anteil x Schulverweigerung x Zwangstörungen x Alkohol- und Drogenmissbrauch x Depression x Schizophrenie (i. R. der Rückfallprophylaxe) wendung, an welche vor der Sitzung nochmals erinnert wird (z.B. Regeln zur Gesprächsführung). Alle Sitzungen haben folgende Struktur: x Auswertung des Tagebuches oder Besprechung der Hausaufgabe aus der vorherigen Sitzung x Themenarbeit und Rollenspiele (mit Feedback vom Trainer an den Jugendlichen bzw. Feedback der Jugendlichen untereinander) x Vergabe von einer Hausaufgabe, Protokollierung im Tagebuch oder Absprache über eine Regel x frei verfügbare Zeit: In der Arbeitszeit findet keine Pause statt. Als Ausgleich bekommen die Jugendlichen im Anschluss noch eine frei verfügbare Zeit von 30 Minuten, die sie gemeinsam in der Gruppe verbringen. Vor Beginn des Trainings wird ein diagnostisches Gespräch (das sich an einem diagnostischen Fragebogen orientieren kann) mit dem Jugendlichen durchgeführt, indem Fragen zu seiner Person, bisherigen Entwicklung, seiner Familie, seiner aktuellen Situation und seiner Beziehung zu Gleichaltrigen beantwortet werden sollen. Der Erstkontakt im Sozialen Kompetenztraining ist wesentlich, um ein erstes Kennenlernen der Teilnehmer zu ermöglichen, um die zu behandelnden Themen vorzustellen oder um Regeln für die Arbeit innerhalb einer Gruppe zu entwickeln und verbindlich zu vereinbaren. Mögliche Regeln können sein: x keine unpassenden Wortbeiträge x nicht vom Thema ablenken x sich konzentrieren x aufmerksam sein und zuhören x nicht dazwischen reden x beim Zuhören den Redenden ansehen x lauter Sprechen x pünktlich sein x geduldig bleiben x nicht wütend oder unaufmerksam werden x Finger aus dem Gesicht nehmen und nicht Fingernägel kauen x nicht zurückhaltend sein, sich ruhig verhalten x diszipliniert sein x nicht über andere lästern x nicht um Sitzplätze streiten Bei den Jugendlichen soll hiermit die Handlungskompetenz im Arbeits- und Sozialverhalten gestärkt werden. Ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung soll sich verbessern, sie sollen erlernen, mit dem eigenen Körper und den Gefühlen umzugehen. Sie sollen selbstsicher werden und über ein stabiles Selbstbild verfügen. Sie sollen in der Lage sein, Einfühlungsvermögen zu zeigen und mit Lob, Kritik und Misserfolg umzugehen Formen des Sozialen Kompetenztrainings Man unterscheidet das Einzeltraining und das Gruppentraining mit Kindern und Jugendlichen. Im weiteren Verlauf werde ich mich mit dem Gruppentraining befassen. Bei dem Gruppentraining mit Jugendlichen handelt es sich um ein Vorgehen, bei dem ein oder zwei Trainer mit vier oder fünf Jugendlichen in einer jeweils zweistündigen Gruppensitzungen ein vorgegebenes Thema bearbeiten. Das Ziel für die Teilnehmer besteht darin, bestimmte soziale Fähigkeiten zu erlernen. Eine Gruppensitzung dauert 120 Min., diese ist unterteilt in 90 Minuten Arbeitszeit und 30 Minuten frei zur Verfügung. Die Gruppensitzungen werden in einer vorab vereinbarten Struktur durchgeführt. Gleichzeitig kommen in diesen Sitzungen Regeln zur An- Die Regeln sollen von den Gruppenteilnehmern zusammen mit den Trainern erarbeitet und festgelegt werden. Die Auswahl und Festlegung der Gruppenregeln sollte auf die Gruppe speziell abgestimmt sein. Die im Erstkontakt bestimmten Regeln gelten ab sofort. 21 Im weiteren Verlauf werden in verschiedenen Blöcken folgende Themen bearbeitet: Themenblock 1 (zwei Gruppensitzungen à 90 min): Gefühle und Körperhaltung bilden eine Harmonie. Im Rollenspiel werden verschiedene Gefühle durch Mimik, Gestik, Körperhaltung, Sprache und verhalten dargestellt. Themenblock 2 (eine Gruppensitzung): Einfühlungsvermögen. Schulung der Wahrnehmung hinsichtlich Gestik, Mimik und verbalem Interaktionsverhalten zur Förderung des Einfühlungsvermögens. Methodischer Schwerpunkt ist das Erkennen von Gefühlen anhand einzelner Fotos. Themenblock 3 (zwei Gruppensitzungen): Bedeutung von Gefühlen. Die Jugendlichen erarbeiten selbständig welche Bedeutung Gefühle für sie selbst darstellen und anhand von Arbeitsblättern soll den Jugendlichen gezeigt werden, dass Gefühle unser Handeln motivieren, wir durch Gefühle mit anderen kommunizieren, dass Gefühle unsere Wahrnehmung bestätigen können und dass wir in der Interaktion mit anderen in unseren Gefühlen beeinflusst werden können. Themenblock 4 (sechs Gruppensitzungen): Konkrete Darstellung einzelner Gefühle. Pro Gruppensitzung wird jeweils ein konkretes Gefühl bearbeitet. Diese sind: Freude, Ärger, Liebe, Scham, Angst und Traurigkeit. Es wird bearbeitet, wie das jeweilige Gefühl erlebt wird, welche Gedanken es hervorruft, wie man es ausdrücken kann und welche Auswirkungen auftreten können. Im Anschluss an das besprochene Gefühl wird den Jugendlichen die Gelegenheit gegeben, dieses kreativ in einer Collage auszudrücken. White matter lesions Quantifizierung von zerebralen Durchblutungsstörungen bei der Altersdemenz Läsionen der weißen Hirnsubstanz sind seit Beginn der Schnittbilddiagnostik ein bekanntes und kontrovers diskutiertes Problem. Die "Leukoaraiose" in der Computertomographie (CT) wurde als Prädiktor für die Lebenszeit, aber auch als diagnostisch unerhebliche, altersassoziierte normale Beobachtung ohne eigene pathologische Bedeutung beurteilt. Mit der Magnetresonanztomographie (MRT) wurde die Differenzierung der Leukoaraiose in erweiterte Virchow-Robinsche Räume (VRR), periventrikulärer Randsaum und die Läsionen der weißen Substanz mit kompletten kleinen (Lakunen) und inkompletten Infarkten (white matter lesions, WML) möglich. Im Gegensatz zu dem periventrikulären Randsaum und den VRR sind nur die WML mit der Variablen kognitive Einbuße korreliert, die lakunären Infarkte sind für die Entwicklung einer Demenz weniger bedeutsam. Damit kommt der Analyse der WML und deren Abgrenzung von den nicht relevanten bildmorphologischen Befunden („white matter hyperintensities“) eine Bedeutung zu. Die WML sind einerseits altersassoziiert physiologisch, andererseits bei darüber hinausgehender Ausprägung und speziellen Lokalisationen mit der klinischen Diagnose einer vaskulären subkortikalen Demenz verknüpft. Mit dem Nachweis der signifikanten Korrelation von WML und kognitiven Scores in der Psychometrie wurde die diagnostische Bedeutung dieser strukturellen Veränderungen für die Diagnostik und Differentialdiagnostik der Demenzen gesichert. Schlusswort Wie schon zu Beginn erwähnt, hat mich die Thematik schon in der theoretischen Erarbeitung sehr interessiert und bewegt. An meinem Einsatzort im Rahmen der Weiterbildung zur Fachschwester für Psychiatrie „Ketteler Weg“ konnte ich nun meine Ideen kreativ ein- und umsetzten. Zu Beginn fiel es den Jugendlichen recht schwer, im Rollenspiel verschiedene Gefühle darzustellen. Doch mittlerweile haben sie zunehmend Spaß daran gefunden und sind recht gut in der Lage, sich anhand ihrer bisher geschulten Wahrnehmung im ihrem Interaktionsverhalten zu reflektieren. Für einige Jugendliche sind das neue und wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse. Pathogenese der mikroangiopathischen Läsionen Für die Pathogenese der WML liegen neben primär kardiovaskulären Ursachen eine Vielzahl von Erklärungen vor. Der "Hauptrisikofaktor" jedoch ist das Alter. Die Prävalenz der WML nimmt mit dem Lebensalter zu, der Prozess läuft aber augenscheinlich nicht kontinuierlich ab. Die unterschiedliche Sensitivität für WML in der Bildgebung mit CT und speziellen MRSequenzen, einschließlich T2-gewichteter FLAIR (fluid attenuated inversion recovery)Sequenzen ist erheblich für die Detektion der Befunde, die sich bei diskreter Ausprägung im CT dem Nachweis entziehen können. Die Feldstärke der MRT-Geräte ist positiv korreliert mit dem Nachweis von WML. Eine reproduzierbare Quantifizierung ist auf der Grundlage einer visuellen Abschätzung und ausschließlich erfahrungsdeterminierten Beurteilung nicht ausrei- Christiane Schwanke 22 funktionen benutzt (Proc Transreg, SAS). Die WML-Scores wurden mit dem tatsächlichen Alter für beide diagnostische Gruppierungen keine Demenz vs. Demenz unter Berücksichtigung des 95%-Vertrauensintervalls verglichen (Abb. 1 und 2). Zu berücksichtigen sind die unterschiedlichen Wertebereiche der WMLScores mit maximal 48 für das Gesamt- und 12 für das Frontalhirn. chend sicher möglich. Die seit 1999 verfügbaren Ratingskalen erfüllten unsere Anforderungen an eine regionale Erfassung von WML in ihrer Ausprägung nicht. Inzwischen wurden Instrumente publiziert, die der eigenen Ratingskala ähnlich sind. Die mögliche Alternative der volumetrischen Quantifizierung der WML fordert einen hohen interaktiven Aufwand und ist mit methodisch bedingten Einschränkungen verbunden. Das Projekt Im Zeitraum von 3/2000 bis 2/2004 wurden 422 Patienten untersucht, die von der Gedächtnisambulanz zur neuroradiologischen Bildgebung und psychologischen Testung überwiesen wurden. Ziel der Untersuchung war es zu prüfen, ob sich mikroangiopathische Läsionen der weißen Hirnsubstanz replizierbar quantifizieren lassen und ob über einen mit dem Lebensalter korrelierten Cut-off-Wert eine diagnostische Trennung in altersnormale vs. pathologische Ausprägung der Läsionen möglich ist. Unter Berücksichtigung von Ausschlusskriterien beschränkte sich die Anzahl der Patienten bzw. die vollständigen Datensätze für die Korrelation von neuroradiologischen und neuropsychologischen Daten auf n = 338. Die Patienten wurden nach der klinischen Abschlussdiagnose nach ICD-10 klassifiziert. In die Diagnose gingen das Ergebnis der visuellen Beurteilung der MRT und die neuropsychologische Diagnose auf der Grundlage der CERAD-Testbatterie ein. Weitere differenzierte Tests wurden unabhängig und ohne Kenntnis der klinischen Abschlussdiagnose durchgeführt und im Rahmen der Studie (s.u.) interpretiert. Abb 1: Mittelwerte und Konfidenzintervall zur Trennung altersphysiologischer vs. pathologischer WMScores (oben = Demenz, unten = kognitiv Gesunde; WML glob = vaskuläre Läsionen in der weißen Substanz des Großhirns) Von allen Patienten lag eine schriftliche Einverständniserklärung vor, das Untersuchungsprotokoll war von der Ethikkommission Mannheim der Universität Heidelberg gebilligt worden. Die Ergebnisse Die in 1999 formulierten Hypothesen waren nach Auswertung der Datensätze von 338 Patienten zu bestätigen. Die Bedeutung der mikroangiopathischen Läsionen für die Entwicklung einer Altersdemenz war zu quantifizieren. Die Untersuchung Die Quantifizierung der WML erfolgte in der für die Studie konzipierte MR-FLAIR-Sequenz, interleaved in 4mm-Schichtabstand kontinuierlich bei identischem Field of View, in den bis zu 40 Einzelschichten mittels einer eigens dafür entwickelten Ratingskala, die die Erfassung der WML in Zahl, Ausprägung und Lokalisation als Score ermöglichte. Ermittelt wurden die Scores für das gesamte Marklager und für anatomisch definierte Sub-Regionen. Die Ratingskala wurde unter Mitwirkung von acht auswärtigen „Observern“ auf das Gütekriterium Reliabilität geprüft. Die Intra- bzw. Inter-Observer-Reliabilität waren besser als die Ergebnisse anderer Skalen.Für die Ermittlung eines Cut-off-Wertes zur Differenzierung von altersassoziiert physiologischen und pathologischen mikroangiopathischen WML wurde ein nichtparametrisches Kurvenglättungsverfahren mit monoton steigenden Spline- Eine Rating-Skala zur Quantifizierung von WML (Scores) wurde als Voraussetzung für die diagnostische Zuordnung (Mittelwert und Konfidenz für Nichtdemente und Demente) entwickelt und auf das Testgütekriterium Reliabilität geprüft. Mit den Instrumenten Rating-Skala und Konfidenzintervalle für kognitive Gesunde und vaskulär Demente wurde die Voraussetzung für eine quantitative, replizierbare Diagnostik zur Verbesserung der Sicherheit der Diagnose geschaffen. Dies lässt sich implizieren auf die Sekundärprophylaxe bei Nichtdementen bzw. für die Therapie von Patienten mit einer subkor- 23 x tikalen vaskulären Enzephalopathie mit Demenz. Die einander ergänzenden Beiträge von Bildgebung und Psychologie zur Diagnose und Differentialdiagnose der Demenzen wurden ermittelt. Damit lässt sich die Forderung nach einer erweiterten klinischen Diagnostik der Demenzen mit MR-Bildgebung und die Anwendung optimierter, auf die diagnostische Fragestellung konfigurierter psychologischer Tests, begründen. x x x Die Datenanalyse führte zu neuen Einsichten in die Pathogenese der Altersdemenzen bzw. die Bedeutung der vaskulären Komponente des Prozesses. x Genetische Typisierung der klinisch, neuroradiologisch und psychologisch untersuchten Patienten in der Abteilung Molekulargenetik der Psychiatrischen Universitätsklinik Bonn (Leitung: Frau Dr. H. Kölsch), VorStudie zum DFG-Antrag auf Gewährung von Sachbeihilfe. Beitrag der Magnetization transfer Ratio (MTR) für die Diagnostik und Differentialdiagnostik der Demenzen. Untersuchung des Überweisungs-Bias durch Haus- vs. Nervenfacharzt. Optimierung von psychologischen TestBatterien. Konfiguration psychologischer Verfahren für unterschiedliche Ebenen der Demenzdiagnostik. th Zu untersuchen bleiben Ansätze zur Vereinfachung und verbesserten Akzeptanz der quantitativen Diagnostik von WML sowie die Berücksichtigung des individuellen Vergrößerungsfaktors im Bilddokument und die Ermittlung der WML-Scores in Beschränkung auf den Frontallappen. Die vorläufige Auswertung lässt eine Vereinfachung ohne qualitative Einbuße erwarten. Die Ergebnisse wurden auf dem 3 International Congress on vaskular Dementias in Prag 2003 präsentiert und mit dem 2. Posterpreis ausgezeichnet. Wir danken den Kolleginnen und Kollegen der Gedächtnisambulanz für die mehrjährige gute Zusammenarbeit, ohne die die umfassende klinische, bildgebende und neuropsychologische Untersuchung und der Abgleich der Befunde und Diagnosen gar nicht möglich gewesen wären. Ebenso danken wir Dr. Bertram Krumm von der Abteilung Biostatistik für seine ständige Ansprechbereitschaft und das Engagement im Projekt. WML glob 50 40 30 Dieses Projekt wurde über vier Jahre in der Abteilung Neuroradiologie des Zentralinstituts durchgeführt und im Mai 2004 abgeschlossen. Es wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. 20 10 0 50 60 70 Alter 80 90 Frank Hentschel, Markus Kreis, Mariella Damian Abb. 2: Mittelwerte und Konfidenzintervalle zur Trennung altersphysiologischer vs. pathologischer WML-Scores (oben = Demenz, unten = kognitiv Gesunde; WML front = vaskuläre Läsionen in der weißen Substanz des Frontalhirns) Über formulierten Hypothesen hinaus waren mit den in der Studie gewonnenen Daten folgende Fragen zu bearbeiten: x Quantifizierung der Bedeutung der erweiterten klinischen Diagnostik mit Bildgebung und Psychometrie. x Vergleich von Diagnosespektren unter Berücksichtigung unterschiedlicher Methoden in Bildgebung und Psychometrie in 1998/1999 vs. 2000/2001. 24 Über Yokohama und San Francisco nach Mannheim 12th World Congress of the International Society on Biomedical Research on Alcoholism (ISBRA) vom 29.09.-02.10.2004 in Heidelberg und Mannheim Behandlung der Alkoholabhängigkeit sowie diverser organischer Folgeschäden chronischen Alkoholkonsums z.B. der Leber, der Bauchspeicheldrüse, des Herzens und Gehirns, aber auch die Rolle des Alkohols bei der Entstehung von Krebs, präsentiert. Zwei Stunden pro Tag waren der interaktiven Posterausstellung gewidmet. Dabei konnten sich deutsche Alkoholforscher und -behandler mit ihren internationalen Kolleginnen und Kollegen austauschen. Durch die zeitnahe Publikation der Beiträge in einem Supplement der Zeitschrift Alcoholism: Clinical and Experimental Research wird die Fachwelt über den aktuellen Forschungsstand informiert. Erstmals seit dem Gründungskongress 1982 wurde der ISBRA-Weltkongress in Deutschland ausgerichtet. Mit knapp 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer war er der bislang größte ISBRA-Kongress, der außerhalb der USA stattgefunden hat. Ein Grund für die Vergabe und die gute Resonanz mag die in den letzten Jahren intensivierte Suchtforschung in Deutschland sein. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat im Jahr 2000 ein Forschungsprogramm “Forschungsverbünde für Suchtforschung“ im Rahmen der „Gesundheitsforschung 2000“ aufgelegt. Hierfür stehen derzeit etwa 4 – 5 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Vier Suchtforschungsverbünde bearbeiten seit mehreren Jahren vor allem Fragen der konkreten Umsetzung der neuen Ergebnisse. Erste Ergebnisse haben bereits internationale Beachtung gefunden. Beispielhaft sei hier kurz auf zwei Ergebnisse eingegangen: Die Einführung sog. Anticraving Medikamente wie z. B. Acamprosat verdoppelt die Chance bei Alkoholikern, abstinent zu bleiben. Nachdem Acamprosat seit rund zehn Jahren in Europa verordnet wird, wurde es jetzt auch in den USA zugelassen. Dort hat sich bezüglich der gleichen Problematik ein zweites Medikament, Naltrexon, bewährt. Das Problem beider Präparate ist jedoch die häufig fehlende Compliance auf Seiten der Patienten. Viele setzen nach kurzfristiger Einnahme die Medikation ab, so dass kein dauerhafter Effekt erzielt werden kann. Auf dem Kongress wurde jetzt erstmals eine Depotform von Naltrexon vorgestellt. Dr. Silverman, USA, konnte in einer doppelblinden und randomisierten Studie zeigen, dass die Depotform über einen Monat hinweg eine sichere Wirkung erzielen kann. Vor dem Hintergrund der Compliance-Problematik könnte so vielen Alkoholabhängigen geholfen werden. Die Nebenwirkungen waren unbedenklich und entsprachen den von der anderen Darreichungsform bekannten (z. B. anfängliche Übelkeit). Das Programm umfasste das gesamte Spektrum moderner Alkoholforschung von der Molekulargenetik bis zu therapeutischen Frühinterventionen. Plenarvorträge gaben hier einen Überblick über aktuelle Forschungsrichtungen. So sprach Christine Godfrey, Professorin an der University of York, England, zum Thema Gesundheitsökonomie des Alkoholismus. Das wichtigste Ergebnis ihrer Forschungsarbeiten war die Feststellung, dass allein schon die kurzfristige Kostenreduktion die durch eine Psychotherapie entstandenen Kosten sechsfach übertrifft. In erster Linie wurden hier Folgekosten durch die Inanspruchnahme gesundheitsrelevanter Dienstleistungen, sozialer Betreuung oder weiterer alkoholbezogener Behandlungen, aber auch soziale Kosten (z.B. durch Straftaten oder Produktivitätsverluste) betrachtet. Der Direktor des National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA), Ting-Kai Li, USA, berichtete über moderne Forschungsstrategien, insbesondere in der Genetik. Adron Harris (Austin/Texas), Präsident der ISBRA, berichtete über grundlegend neue Erkenntnisse zur Neurochemie des Alkohols nach der Entdeckung alkoholspezifischer Bindungsstellen. Mehr als hundert Jahre suchte die Wissenschaft Antworten auf die Frage, wie es zu einer Hirnschrumpfung bei Alkoholabhängigen kommt. Zwar wurde sehr bald erkannt, dass Alkohol als Zellgift wirkt und damit die Zellen entweder partiell schädigt oder ganz abtötet. Es blieben jedoch immer Vermutungen nach weiteren Mechanismen. Nach der Einführung neuer bildgebender Verfahren konnte gezeigt werden, dass unter Abstinenz die alkoholbedingte Hirnatro- Rund 40 Symposien behandeln Themen wie neuere psychotherapeutische und psychosoziale Therapieansätze. Hierzu wurden aktuellste Ergebnisse bezüglich der pharmakologischen 25 phie partiell reversibel ist. Dies war mit dem damals in der Wissenschaft herrschenden Dogma nicht vereinbar, wonach das erwachsene Gehirn keine neuen Nervenzellen zu bilden vermag. Jetzt hat Fulton Crews von der University of North Carolina, Salem, herausgefunden, dass bei Erwachsenen „alkoholabhängigen“ Versuchstieren eine Neubildung von Nervenzellen in der Größenordnung von mehreren 100.000 pro Monat möglich ist. Im Stadium massiver Alkoholzufuhr kommt diese Neuroneogenese dagegen vollständig zum Stillstand. Bisher konnten die beschriebenen Veränderungen vor allem im Hippocampus und in Teilen des frontalen Cortex nachgewiesen werden. Diese Befunde, gemeinsam mit den oben beschriebenen toxischen Wirkungen von Alkohol auf die Nervenzelle, zeigen einerseits die alkoholbedingte Hirnatrophie, andererseits kann damit auch die abstinenzbedingte Erholung und Wiederausdehnung des Gehirns im Sinne einer „Selbstreparatur“ nachgewiesen werden. Solche Ergebnisse können zu einer Steigerung der Motivation zur Abstinenz führen. Tabakabhängigkeit und Rückfall Was wir von Bildgebenden Verfahren lernen können In der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit wird seit nunmehr über einem Jahr ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Forschungsprojekt durchgeführt, das sich mit den neurobiologischen Mechanismen der Tabakabhängigkeit beschäftigt. Dabei werden, um Veränderungen im Gehirn von abhängigen Rauchern zu untersuchen, Bildgebende Verfahren, wie die funktionelle Kernspintomographie, eingesetzt. Häufigkeit der Tabakabhängigkeit Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass weltweit 1,1 Milliarden Menschen Tabakprodukte – vornehmlich Zigaretten – konsumieren. Die gesundheitlichen Folgen sind enorm. Rauchen ist der bedeutsamste einzelne Risikofaktor für eine Reihe weit verbreiteter schwerer, chronischer Krankheiten, wie HerzKreislauf-Krankheiten, verschiedene Krebsarten und chronisch obstruktive Bronchitis. Raucher haben im Vergleich zu Nichtrauchern eine durchschnittlich um 10 Jahre verkürzte Lebenserwartung. Obwohl die gesundheitsschädigenden Wirkungen des Tabakrauchens seit ca. zwei Jahrzehnten klar nachgewiesen sind, steigt der weltweite Tabakkonsum an. Nach Prognosen der Weltbank werden im Jahr 2020 nicht mehr Infektionskrankheiten weltweit wichtigste Todesursache sein, sondern Erkrankungen, die durch Rauchen verursacht sind. Der nächste ISBRA-Kongress findet im September 2006 in Sydney/Australien statt. Silke Merkel, Dr. Karl Mann, Thomas Hintz Zeichen der Abhängigkeit Viele Raucher verspüren den Wunsch, mit dem Rauchen aufzuhören. Doch nur einem kleinen Prozentsatz gelingt dies ohne professionelle Hilfe. Grund dafür ist das hohe Abhängigkeitspotential von Nikotin, einem der über 4000 Inhaltstoffe des Tabakrauchs. Die Tabakabhängigkeit weist viele Gemeinsamkeiten mit anderen Abhängigkeitserkrankungen auf. Man unterscheidet ebenso zwischen psychischer und körperlicher Abhängigkeit. Psychische Abhängigkeit ist gekennzeichnet durch ein übermächtiges inneres Verlangen oder Art Zwang („craving“), eine bestimmte Substanz immer wieder zu konsumieren. Bei körperlicher Abhängigkeit kommt es beim Fehlen der betreffenden Sub- 26 sucht. Bei dieser Methode, die ohne gefährliche Röntgenstrahlung auskommt, kann die Aktivität des Gehirns indirekt über Veränderungen der Hirndurchblutung sichtbar gemacht werden. Man hat damit die Möglichkeit, dem „Gehirn beim Arbeiten zuzusehen“ und Regionen zu identifizieren, die beim Rückfall eine Rolle spielen. Während die Raucher in der Kernspinröhre liegen, werden ihnen auf einer Leinwand abwechselnd tabakbezogene Bilder (z.B. Zigaretten, rauchende Personen) und neutrale Bilder (z.B. Buch, Glühbirne, Gabel) gezeigt (Abbildung 1, siehe Rückseite). So kann man ermitteln, welche Hirnareale besonders auf die Substanzreize reagieren und somit eine Rolle beim Rückfall spielen könnten. Zusätzlich haben wir noch erhoben, wie sehr die tabakbezogenen Bilder bei den Rauchern das Verlangen nach einer Zigarette auslösen und wie stark ihre Tabakabhängigkeit ausgeprägt ist. stanz zu körperlichen Entzugserscheinungen. Wird zum Beispiel der Tabakkonsum beendet, kommt es zu Entzugssymptomen wie Nervosität, Reizbarkeit, mürrische oder depressive Stimmung, Aggressivität, Angst, Konzentrationsstörungen, Unruhe und Schlafstörungen. Diese Symptome sind nach einigen Tagen abgeklungen, die psychische Abhängigkeit bleibt aber meist lebenslang bestehen. Selbst nach Jahren der Abstinenz kann ein vertrauter Geruch, eine bekannte Umgebung oder der Anblick von Zigaretten ein unwiderstehliches Verlangen auslösen. Die Folge: dem Verlangen wird nachgegeben, die Zigarette angezündet und der Rückfall ist ausgelöst. Neurobiologische Grundlagen der Abhägigkeit und des Rückfalls Zur Zeit wird intensiv beforscht, wie durch psychotherapeutische Verfahren oder Medikamente das Tabakverlangen eingedämmt werden kann, um dadurch die Rückfallwahrscheinlichkeit zu reduzieren. Die zugrunde liegenden neurobiologischen Vorgänge sind noch weitgehend ungeklärt: Wir wissen zwar recht gut, dass beispielsweise der Anblick einer Zigarette Rauchverlangen und den Griff zur Zigarette auslösen kann; was sich dabei aber im Gehirn abspielt ist kaum bekannt. Man weiß, dass solche „Hinweisreize“ ein ganz bestimmtes System im Gehirn aktivieren, das sog. „Belohnungssystem“. Wie der Name schon sagt, wird dieses System durch positive Ereignisse, „Belohnungen“, aktiviert wie Essen, Trinken, Sex und mütterliche Fürsorge. Erste Ergebnisse Wir konnten in unserer Studie zeigen, dass bei Individuen, die ein sehr starkes Rauchverlangen berichteten, das Belohnungssystem sehr stark aktiviert war. Im Gegensatz dazu fanden wir bei Rauchern, die sehr stark abhängig waren, also sehr viele Zigaretten geraucht haben, eine Aktivierung in Bereichen des Gehirns, die für die Vorstellung von Bewegungen sowie der Vorbereitung von Bewegungen dienen. Ein starker Raucher, dem Bilder von Zigaretten gezeigt werden, macht sich also bereit, tatsächlich nach der Zigarette zu greifen und dies muss ihm nicht notwendigerweise bewusst sein. Es scheint also tatsächlich Unterschiede zwischen leicht und stark abhängigen Rauchern im Hinblick auf die Hirnaktivierung, die durch Tabakreize ausgelöst wird, zu geben. Letzteres scheint den Griff zur Zigarette so automatisiert zu haben, dass ein Bild der Zigarette bereits ausreicht, um die Handlung „Zigarette rauchen“ einzuleiten - auch wenn dies, wie im Fall der Abstinenz, gänzlich unerwünscht ist. Auf eben dieses System wirken auch sämtliche Suchtmittel einschließlich Nikotin. Es konnte in Untersuchungen sogar gezeigt werden, dass nicht einmal die Droge selbst verabreicht werden muss (also die Zigarette geraucht werden muss), sondern dass schon der Anblick einer Zigarette genügt um dieses System zu aktivieren und dem Organismus mitzuteilen: „Hier hast Du die Gelegenheit eine Belohnung zu erhalten! Verhalte Dich entsprechend!“ Die Gesamtheit der Reaktionen des Organismus auf solche Hinweisreize, wie Veränderungen der Gehirnaktivität, Erhöhung des Herzschlags, gesteigertes subjektives Verlangen usw. wird als Cue-Reaktivität bezeichnet. Im Weiteren soll nun untersucht werden, inwieweit verschiedene Medikamente (z.B. Rimonabant) gezielt die Aktivierung des Belohnungssystems und der motorischen Bereiche modulieren können, um somit das Verlangen und den Griff zur Zigarette zu reduzieren und das Rückfallrisiko zu vermindern. Bildgebende Verfahren stellen für die Zukunft eine geeignete Methode dar, die Wirkungsweise von Medikamenten auf das Gehirn zu untersuchen, indem sie deren Wirkmechanismen aufzeigen. Forschungsprojekt des ZI Um nun zu untersuchen was im Gehirn beim Anblick solcher Reize passiert, wurden Raucher mit Hilfe eines Bildgebenden Verfahrens, der sog. Funktionellen Kernspintomographie, unter- Mira Bühler 27 Abb. 1: Beispiele für tabakbezogene Bilder (obere Reihe) und neutrale Bilder (untere Reihe), die während der Kernspintomographie den Rauchern dargeboten werden. Bilder zum Text Seite 26 bis 27 Kinder spielen Weihnachtsengel Bescherung beim Zentralinstitut für Seelische Gesundheit „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt wurde" - die Weihnachtsgeschichte klang dieser Tage wieder öfter in unseren Ohren. Und sie berührte auch schon die Kleinsten. Als sie im evangelischen Kindergarten der Thomasgemeinde Neuostheim vorgelesen wurde, blieb die Erzählung aus dem LukasEvangelium nicht ohne Wirkung: Ermuntert von ihren Erzieherinnen beschlossen die Kinder, etwas zu verschenken - an Altersgenossen, denen es nicht so gut geht wie ihnen selbst. Jedes der 44 Kinder zwischen drei und sechs packte ein Spielzeug ein, über das sich zu Weihnachten ein kleiner Patient der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) freuen durfte. Um die Geschenke abzugeben war eine Delegation des Kindergartens aus neun Kindern, der Leiterin des Kindergartens, Petra Herweh, und zwei Erzieherinnen ans ZI gekommen. Herzlich begrüßt wurden sie von den Sozialpädagogen Albrecht Gottschall und Oliver Kunzmann, die die betreffenden Kinderstationen betreuen, sowie von Oberärztin Katja Becker. Die Beschenkten sind alle im Alter zwischen fünf bis 15 - und auch wenn die meisten Kinder Weihnachten zu Hause verbringen durften, wollte es sich das ZI nicht nehmen lassen, das Fest mit seinen Schützlingen zu feiern. Das fand noch in der provisorischen Unterkunft des Instituts statt - im kommenden Sommer soll der Neubau eröffnet werden. Und die „Weihnachtsengel" aus dem evangelischen Kindergarten haben schon laut darüber Eine Delegation aus Kindern und Kindergärtnerin des evangelischen Kindergartens der Thomasgemeinde Neuostheim bescherte Patienten des ZI. nachgedacht, dabei auch wieder mit von der Partie zu sein. Dann wird der Kindergarten möglicherweise eine Patenschaft übernehmen für eines der Tiere im Freigehege. dad Daniela Dreyfürst im „Mannheimer Morgen“ vom 27.12.2004 28