Retromaxilläres Neurinom - Ruhr

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Zahnmedizin
Zufallsbefunde der Bildgebung
Retromaxilläres Neurinom
Sami Eletr, Martin Kunkel
Fotos: Kunkel
In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor,
die diagnostische Schwierigkeiten aufgeworfen haben. Die Falldarstellungen
sollen den differentialdiagnostischen
Blick unserer Leser schulen.
Abbildung 1: Panoramaschichtaufnahme: Das Orthopantomogramm zeigt keine Hinweise auf
pathologische Veränderungen, die im Zusammenhang mit einer retromaxillären Raumforderung
stehen könnten.
Ein 50-jähriger Patient stellt sich mit einer
unklaren, rund zwei Zentimeter durchmessenden Raumforderung im Bereich der rechten Fossa pterygopalatina vor. Eine spezifische tumorbezogene Symptomatik war
dem Patienten nicht aufgefallen. Stattdessen war der Tumor als Zufallsbefund im Rahmen der Bildgebung im Zusammenhang
mit einer chronischen Sinusitis diagnostiziert worden (Abbildungen 2 a und b).
Auch zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme bestanden keine befundbezogenen
Beschwerden, und insofern konnte der Patient auch keine Angaben über die Zeit der
Entstehung oder mögliche Veränderungen
machen. Klinisch und radiologisch lagen
keine pathologischen Veränderungen im
dentoaläveolären Bereich vor (Abbildung 1). Der Tumor war nicht palpabel und
es bestanden keine funktionellen Einschränkungen. Insbesondere war die Mundöffnung nicht eingeschränkt und es wurden
keine Sensibilitätsstörungen angegeben.
Im CT (Computertomogramm) zeigte sich
hoch retromaxillär, medial und cranial des
M. pterygoideus medialis ein scharf begrenzter, rundlicher, zentral hypodenser
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Tumor mit einer schwachen KontrastmittelAufnahme in den Randbezirken (Abbildung 2). Eine richtungsweisende Verdachtsdiagnose ergab sich damit zunächst
allerdings nicht.
Vor dem Hintergrund der unklaren Dignität
wurde der Tumor über eine Inzision von der
Plica pterygomandibularis bis zur Tuberregion aufgesucht. Dazu mussten der
a
N. lingualis nach medial und der größte Teil
des M. pterygoideus nach lateral verdrängt
werden. Intraoperativ stellte sich der Tumor
als im retromaxillären Gewebe mobiler, bekapselter Befund (Abbildung 3) dar, der
sich in toto ohne relevante Blutung aus
dem Gewebe luxieren ließ.
Abbildung 4 zeigt den makroskopischen
Aspekt des Resektats mit einer straffen, glatten fibrösen Kapsel ohne stärkere Gefäßzeichnung. Im Anschnitt des Präparates
zeigte sich ein zentral recht weiches, gelb
imponierendes, teilweise zerfließliches Gewebe mit spärlicher Vaskulatisation ohne
erkennbaren organoiden Aufbau oder charakteristische Bindegewebssepten.
Histologisch zeigte sich ein überwiegend
zellreicher Tumor aus spindelförmig ausgezogenen Zellen mit einem fibrillären Zytoplasma. In einigen Arealen erscheinen die
Zellen wirbelartig angeordnet mit länglichen Zellkernen, die eine prominente
b
Abbildung 2: CT-Befund: Es zeigt sich eine retromaxillär cranial dorsal gelegene Raumforderung
mit peripherer Kontrastmittelaufnahme und zentraler hypodenser Zone. Die axiale (a) und
frontale (b) Darstellung zeigen die Lagebeziehung des Befundes zum Oberkiefer und zur Schädelbasis.
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Abbildung 3: Intraoperativer Situs:
Nach Inzision entlang der plica pterygomandibularis und schonender Präparation nach
retromaxillär unter Medialverlagerung des N.
lingualis wird dorsal cranial des Oberkiefers
ein glatter, bekapselter Tumor erkennbar.
Chromatinstruktur aufweisen. Mit diesem
Gewebebild ergab sich die abschließende
Diagnose eines Neurinoms, überwiegend
mit zellreichen (Antoni A)-Formationen.
Diskussion
Das Neurinom (Synonym: Schwannom/
Neurilemmom / benigner peripherer Nervenscheidentumor) ist ein seltener gutartiger Tumor, der in 25 bis 45 Prozent der
Fälle an extracraniellen Nerven des Kopfes
und Halses diagnostiziert wird [Colreavy
MP, 2000]. Histogenetisch leitet sich der
Tumor von den Schwannschen Zellen der
peripheren, autonomen und cranialen Nerven ab: Eine Ausnahme stellen der Nervus
optikus und der Nervus olfaktorius dar, die
jeweils keine Schwannschen Zellen besitzen. Der Tumor wächst meist solitär und
sehr langsam. Bevorzugte Lokalisationen
sind die Cauda Equina, die spinalen Hinterwurzeln und der Kleinhirnbrückenwinkel.
Immerhin vier Prozent der Neurinome
betreffen die Nasenhöhle und die Nasennebenhöhlen [Barnes et al., 2005] und
treten hier typischerweise im mittleren Erwachsenenalter auf.
Die Bewertung der Geschlechtsprävalenz
ist in der Literatur nicht einheitlich [Hood
RJ, 2000; Torrossian et al., 1999]. Histologisch finden sich bei dieser Tumorentität in
unterschiedlicher Ausprägung zwei typi-
sche Gewebebilder: Die zellreichen AntoniA-Formationen mit länglichen Zellen und
schmalen Zellkernen in einer palisadenförmigen Anordnung, und die zellarmen Antoni-B-Formationen mit myxoiden Anteilen
und perivaskulärer Hyalinisierung (Abbildung 5).
Klinisch können Neurinome der Kopf-HalsRegion und insbesondere des Nasen- und
Nasennebenhöhlenbereichs durch nasale
Obstruktion, Schluckbeschwerden oder
neurologische Defizite auffallen [Rosen FS,
2002; Sherman JD et al., 2002]. Allerdings
handelt es sich nicht selten, wie in dem vorliegenden Fall auch, um Zufallsdiagnosen,
da Neurinome dem Patienten meist über
lange Zeit keine spezifischen Beschwerden
bereiten. Therapeutisch ist eine schonende
aber vollständige Entfernung notwendig
[Zhang H, 2007], wobei die eigentliche
operativ-technische Herausforderung häufig im schonenden operativen Zugang
liegt. Rezidive können bei unvollständiger
Entfernung auch noch nach Jahren auftreten [Zbaren P, 1996].
a
b
Abbildung 4: Resektat:
Der annähernd kugelförmige Tumor weist
eine straffe Bindegewebskapsel auf (a). Im
Anschnitt (b) zeigt sich ein weiches, teilweise
fast zerfließliches Gewebe mit von gelblicher
Färbung mit nur spärlicher Vaskulatisation.
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a
b
c
d
Abbildung 5: Histologie: In der Übersicht zeigt sich ein im Wesentlichen zellreicher Tumor mit länglichen, spindelförmigen Zellen, teilweise in einer
wirbelartigen Konfiguration (A: HE Originalvergrößerung 100x). Die Zellkerne sind länglich, teilweise parallel und palisadenförmig angeordnet
(B: HE: Originalvergrößerung 400x). In der Detailaufnahme (C: HE Originalvergrößerung 1000x) weisen die Zellen eine deutliche Chromatinstruktur
auf, zeigen aber nur geringe Pleomorphie und keine wesentlichen Atypien. Im Gegensatz zu diesen typischen Antoni-A-Formationen finden sich in
umschrieben Anteilen zellarme, teilweise myxoid erscheinende Zonen mit perivaskulärer Hyalininsierung (D: Antoni-B-Formationen, HE, Originalvergrößerung 400x) (Die histologischen Präparate wurden von Dr. Hansen (Institut für Pathologie der Johannes Gutenberg-Universität) zur Verfügung gestellt.)
Fazit für die Praxis
■ Neurinome sind seltene, benigne Tumoren, die sich in ihrer Histogenese von
den Schwann’schen Zellen ableiten.
■ Neurinome bleiben häufig symptomarm oder symptomlos und werden dann
als Zufallsbefund im Rahmen einer erweiterten Bildgebung erkannt.
■ Die Therapie der Wahl stellt die schonende aber vollständige Enukleation dar.
■ Mit der Anwendung moderner Bildgebungsverfahren (beispielsweise dem
DVT) übernimmt der Zahnarzt auch die
medizinische und forensische Verantwortung, abgebildete pathologische
Befunde außerhalb der eigenen Fachgrenzen zu erkennen und gegebenenfalls erforderliche weiterführende Untersuchungen zu veranlassen.
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Für die zahnärztliche Praxis weist der Fall
auf die große Zahl unterschiedlicher
Tumorentitäten der Kopf-Hals-Region hin,
deren Ursprungsgewebe selten auch einmal im Bereich neuraler Strukturen liegen
kann. Der Fall fokussiert aber auch noch ein
weiteres Problem, das sich durch die Einbeziehung neuer Bildgebungsverfahren in die
zahnärztliche Diagnostik ergibt. Mit der erweiterten bildgebenden Erfassung von pathologischen Befunden, beispielsweise im
DVT (Digitale Volumentomographie), ergeben sich auch die zwingende medizinische
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und forensische Verpflichtung, solche
Befunde zu erkennen und die jeweiligen
befundbezogenen Zusatzuntersuchungen,
beispielsweise für pathologische Strukturen
in den Nasennebenhöhlen oder auch im
Bereich der Schädelbasis, zu veranlassen.
Damit erwächst dem zahnärztlichen Berufsstand eine erhebliche Ausweitung der Verantwortlichkeit, die im Einzelfall weit über
die Grenzen des traditionellen Berufsverständnisses hinausgehen kann.
Sami Eletr
Prof. Dr. Dr. Martin Kunkel
Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität
Augustusplatz 2, 55131 Mainz
[email protected]
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