048-050.qxd 48 06.12.2007 15:48 Seite 48 Zahnmedizin Zufallsbefunde der Bildgebung Retromaxilläres Neurinom Sami Eletr, Martin Kunkel Fotos: Kunkel In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor, die diagnostische Schwierigkeiten aufgeworfen haben. Die Falldarstellungen sollen den differentialdiagnostischen Blick unserer Leser schulen. Abbildung 1: Panoramaschichtaufnahme: Das Orthopantomogramm zeigt keine Hinweise auf pathologische Veränderungen, die im Zusammenhang mit einer retromaxillären Raumforderung stehen könnten. Ein 50-jähriger Patient stellt sich mit einer unklaren, rund zwei Zentimeter durchmessenden Raumforderung im Bereich der rechten Fossa pterygopalatina vor. Eine spezifische tumorbezogene Symptomatik war dem Patienten nicht aufgefallen. Stattdessen war der Tumor als Zufallsbefund im Rahmen der Bildgebung im Zusammenhang mit einer chronischen Sinusitis diagnostiziert worden (Abbildungen 2 a und b). Auch zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme bestanden keine befundbezogenen Beschwerden, und insofern konnte der Patient auch keine Angaben über die Zeit der Entstehung oder mögliche Veränderungen machen. Klinisch und radiologisch lagen keine pathologischen Veränderungen im dentoaläveolären Bereich vor (Abbildung 1). Der Tumor war nicht palpabel und es bestanden keine funktionellen Einschränkungen. Insbesondere war die Mundöffnung nicht eingeschränkt und es wurden keine Sensibilitätsstörungen angegeben. Im CT (Computertomogramm) zeigte sich hoch retromaxillär, medial und cranial des M. pterygoideus medialis ein scharf begrenzter, rundlicher, zentral hypodenser zm 97, Nr. 24, 16. 12. 2007, (3596) Tumor mit einer schwachen KontrastmittelAufnahme in den Randbezirken (Abbildung 2). Eine richtungsweisende Verdachtsdiagnose ergab sich damit zunächst allerdings nicht. Vor dem Hintergrund der unklaren Dignität wurde der Tumor über eine Inzision von der Plica pterygomandibularis bis zur Tuberregion aufgesucht. Dazu mussten der a N. lingualis nach medial und der größte Teil des M. pterygoideus nach lateral verdrängt werden. Intraoperativ stellte sich der Tumor als im retromaxillären Gewebe mobiler, bekapselter Befund (Abbildung 3) dar, der sich in toto ohne relevante Blutung aus dem Gewebe luxieren ließ. Abbildung 4 zeigt den makroskopischen Aspekt des Resektats mit einer straffen, glatten fibrösen Kapsel ohne stärkere Gefäßzeichnung. Im Anschnitt des Präparates zeigte sich ein zentral recht weiches, gelb imponierendes, teilweise zerfließliches Gewebe mit spärlicher Vaskulatisation ohne erkennbaren organoiden Aufbau oder charakteristische Bindegewebssepten. Histologisch zeigte sich ein überwiegend zellreicher Tumor aus spindelförmig ausgezogenen Zellen mit einem fibrillären Zytoplasma. In einigen Arealen erscheinen die Zellen wirbelartig angeordnet mit länglichen Zellkernen, die eine prominente b Abbildung 2: CT-Befund: Es zeigt sich eine retromaxillär cranial dorsal gelegene Raumforderung mit peripherer Kontrastmittelaufnahme und zentraler hypodenser Zone. Die axiale (a) und frontale (b) Darstellung zeigen die Lagebeziehung des Befundes zum Oberkiefer und zur Schädelbasis. 048-050.qxd 06.12.2007 15:49 Seite 49 49 Abbildung 3: Intraoperativer Situs: Nach Inzision entlang der plica pterygomandibularis und schonender Präparation nach retromaxillär unter Medialverlagerung des N. lingualis wird dorsal cranial des Oberkiefers ein glatter, bekapselter Tumor erkennbar. Chromatinstruktur aufweisen. Mit diesem Gewebebild ergab sich die abschließende Diagnose eines Neurinoms, überwiegend mit zellreichen (Antoni A)-Formationen. Diskussion Das Neurinom (Synonym: Schwannom/ Neurilemmom / benigner peripherer Nervenscheidentumor) ist ein seltener gutartiger Tumor, der in 25 bis 45 Prozent der Fälle an extracraniellen Nerven des Kopfes und Halses diagnostiziert wird [Colreavy MP, 2000]. Histogenetisch leitet sich der Tumor von den Schwannschen Zellen der peripheren, autonomen und cranialen Nerven ab: Eine Ausnahme stellen der Nervus optikus und der Nervus olfaktorius dar, die jeweils keine Schwannschen Zellen besitzen. Der Tumor wächst meist solitär und sehr langsam. Bevorzugte Lokalisationen sind die Cauda Equina, die spinalen Hinterwurzeln und der Kleinhirnbrückenwinkel. Immerhin vier Prozent der Neurinome betreffen die Nasenhöhle und die Nasennebenhöhlen [Barnes et al., 2005] und treten hier typischerweise im mittleren Erwachsenenalter auf. Die Bewertung der Geschlechtsprävalenz ist in der Literatur nicht einheitlich [Hood RJ, 2000; Torrossian et al., 1999]. Histologisch finden sich bei dieser Tumorentität in unterschiedlicher Ausprägung zwei typi- sche Gewebebilder: Die zellreichen AntoniA-Formationen mit länglichen Zellen und schmalen Zellkernen in einer palisadenförmigen Anordnung, und die zellarmen Antoni-B-Formationen mit myxoiden Anteilen und perivaskulärer Hyalinisierung (Abbildung 5). Klinisch können Neurinome der Kopf-HalsRegion und insbesondere des Nasen- und Nasennebenhöhlenbereichs durch nasale Obstruktion, Schluckbeschwerden oder neurologische Defizite auffallen [Rosen FS, 2002; Sherman JD et al., 2002]. Allerdings handelt es sich nicht selten, wie in dem vorliegenden Fall auch, um Zufallsdiagnosen, da Neurinome dem Patienten meist über lange Zeit keine spezifischen Beschwerden bereiten. Therapeutisch ist eine schonende aber vollständige Entfernung notwendig [Zhang H, 2007], wobei die eigentliche operativ-technische Herausforderung häufig im schonenden operativen Zugang liegt. Rezidive können bei unvollständiger Entfernung auch noch nach Jahren auftreten [Zbaren P, 1996]. a b Abbildung 4: Resektat: Der annähernd kugelförmige Tumor weist eine straffe Bindegewebskapsel auf (a). Im Anschnitt (b) zeigt sich ein weiches, teilweise fast zerfließliches Gewebe mit von gelblicher Färbung mit nur spärlicher Vaskulatisation. zm 97, Nr. 24, 16. 12. 2007, (3597) 048-050.qxd 06.12.2007 15:49 Seite 50 Zahnmedizin 50 a b c d Abbildung 5: Histologie: In der Übersicht zeigt sich ein im Wesentlichen zellreicher Tumor mit länglichen, spindelförmigen Zellen, teilweise in einer wirbelartigen Konfiguration (A: HE Originalvergrößerung 100x). Die Zellkerne sind länglich, teilweise parallel und palisadenförmig angeordnet (B: HE: Originalvergrößerung 400x). In der Detailaufnahme (C: HE Originalvergrößerung 1000x) weisen die Zellen eine deutliche Chromatinstruktur auf, zeigen aber nur geringe Pleomorphie und keine wesentlichen Atypien. Im Gegensatz zu diesen typischen Antoni-A-Formationen finden sich in umschrieben Anteilen zellarme, teilweise myxoid erscheinende Zonen mit perivaskulärer Hyalininsierung (D: Antoni-B-Formationen, HE, Originalvergrößerung 400x) (Die histologischen Präparate wurden von Dr. Hansen (Institut für Pathologie der Johannes Gutenberg-Universität) zur Verfügung gestellt.) Fazit für die Praxis ■ Neurinome sind seltene, benigne Tumoren, die sich in ihrer Histogenese von den Schwann’schen Zellen ableiten. ■ Neurinome bleiben häufig symptomarm oder symptomlos und werden dann als Zufallsbefund im Rahmen einer erweiterten Bildgebung erkannt. ■ Die Therapie der Wahl stellt die schonende aber vollständige Enukleation dar. ■ Mit der Anwendung moderner Bildgebungsverfahren (beispielsweise dem DVT) übernimmt der Zahnarzt auch die medizinische und forensische Verantwortung, abgebildete pathologische Befunde außerhalb der eigenen Fachgrenzen zu erkennen und gegebenenfalls erforderliche weiterführende Untersuchungen zu veranlassen. zm 97, Nr. 24, 16. 12. 2007, (3598) Für die zahnärztliche Praxis weist der Fall auf die große Zahl unterschiedlicher Tumorentitäten der Kopf-Hals-Region hin, deren Ursprungsgewebe selten auch einmal im Bereich neuraler Strukturen liegen kann. Der Fall fokussiert aber auch noch ein weiteres Problem, das sich durch die Einbeziehung neuer Bildgebungsverfahren in die zahnärztliche Diagnostik ergibt. Mit der erweiterten bildgebenden Erfassung von pathologischen Befunden, beispielsweise im DVT (Digitale Volumentomographie), ergeben sich auch die zwingende medizinische Auch für den „Aktuellen klinischen Fall” können Sie Fortbildungspunkte sammeln. Mehr bei www.zm-online.de unter Fortbildung. und forensische Verpflichtung, solche Befunde zu erkennen und die jeweiligen befundbezogenen Zusatzuntersuchungen, beispielsweise für pathologische Strukturen in den Nasennebenhöhlen oder auch im Bereich der Schädelbasis, zu veranlassen. Damit erwächst dem zahnärztlichen Berufsstand eine erhebliche Ausweitung der Verantwortlichkeit, die im Einzelfall weit über die Grenzen des traditionellen Berufsverständnisses hinausgehen kann. Sami Eletr Prof. Dr. Dr. Martin Kunkel Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität Augustusplatz 2, 55131 Mainz [email protected] Die Literaturliste können Sie unter http://www. zm-online.de abrufen oder in der Redaktion anfordern. Den Kupon finden Sie auf den Nachrichtenseiten am Ende des Heftes.