Zweiter Hauptsatz: Entropie

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Kapitel 4
Zweiter Hauptsatz: Entropie
Inhalt
4.1
Einleitung
4-3
4.2
Entropie – Mass der Unordnung
4-4
4.3
Entropie – Thermodynamische Grösse
4-6
4.4
Entropie und Wahrscheinlichkeit
4-12
4.5
Entropie von Stoffen
4-13
4.6
Standard-Reaktionsentropie
4-21
4.7
Entropieänderung – thermische und stoffliche Gründe 4-22
Verzeichnis der Beispiele
Beispiel 4.1
Beispiel 4.2
Beispiel 4.3
Entropiezuname der Raumluft beim Aufheizen
Entropie dreier Stoffe bei hundert Grad Celsius
Standard-Reaktionsentropie im Bleiakkumulator
4-10
4-10
4-21
Verzeichnis der Tabellen
Tabelle 4.1
Tabelle 4.2
Tabelle 4.3
Tabelle 4.4
Standardentropie einiger Stoffe
4-10
Entropiebilanz von H2O ab 0 K
4-16
Partielle molare Standard-Entropien fester, flüssiger und gasförmiger
elementarer Stoffe.
4-20
Partielle molare Standard-Entropien gelöster Ionen.
4-20
4
Zweiter Hauptsatz: Entropie
Verzeichnis der Figuren
Figur
Figur
Figur
Figur
Figur
4.1
4.2
4.3
4.4
4.5
Figur 4.6
Figur 4.7
Figur 4.8
Geordnete Molekülbewegung
4-4
Ungeordnete Molekülbewegung der Wärme
4-4
Die Umwandlung von Arbeit in Wärme
4-5
Ein zufälliges «so long, Adam» der Affen
4-5
Entropieänderung durch Wärmezufuhr aus der Umgebung oder durch
Reaktion im System
4-8
Entropie als Anzahl von Anordnungen von Molekülen
4-12
Bestimmung der absoluten Entropie einer Substanz
4-15
Standard-Reaktionsentropie
4-21
Hinweise zum Text
•
•
•
4-2
Dieses Kapitel enthält einigen Text in Boxen. Darin
stehen im Allgemeinen Definitionen, Erläuterungen und
Beschreibungen von Versuchsanordnungen.
Die Boxen mit einem Stern * enthalten mathematische
Herleitungen der Gleichungen im Haupttext. Sie gehören
nicht zur Lektüre des Haupttextes. Wenn Sie aber mehr
über eine Herleitung wissen wollen, lesen Sie sie ruhig.
Die wichtigen Formeln stehen im Haupttext und sind
eingerahmt.
4.1
Einleitung
«Die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu.»
R.J.E.Clausius, 1865
4.1
Einleitung
Das Ausführen mechanischer Arbeit, wofür das Heben eines Gewichts geradezu exemplarisch steht, braucht Energie in irgendeiner Form. Ein Elektromotor braucht elektrische Energie, eine Dampfturbine braucht thermische
Energie, ein Diesel- oder Benzinmotor braucht chemische Energie, und auch
der Mensch braucht zur Eigenerwärmung und zum Verrichten von Arbeit
chemische Energie. Überall wird Energie umgewandelt, und der erste Hauptsatz liefert den Rahmen dazu: Die Summe der Energien ist konstant oder die
Summe aller Energieumwandlungen ist null.
Allerdings gibt es Prozesse, die den ersten Hauptsatz zwar nicht verletzen,
aber trotzdem nie beobachtet werden. Einige davon sind nachstehend aufgelistet:
• Hat man kalte Füsse, so stelle man sich auf einen Eisblock: Der kühlt sich
ab, und mit der damit gewonnenen Wärme kriegt man wieder warm.
• Man lege ein Gewicht auf den Boden, dieses entziehe dem Untergrund
Wärmenergie, und das jetzt heisse Gewicht wandelt die Wärmeenergie
sukzessive in potentielle Energie um: Das Gewicht hebt sich von selbst
unter Abkühlen.
• Warum nicht Schiffe so betreiben, dass sie dem Meer warmes Wasser entnehmen, es bis zum Eisblock abkühlen und mit der dabei gewonnenen
Wärme die Dampfturbine betreiben.
• Wein könnte sich etwas abkühlen, und mit der gewonnenen Energie liesse
sich der Alkohol vom Wasser trennen, worauf jener obenauf schwimmt.
Alle diese Abläufe haben Gemeinsames:
• Sie erfüllen den ersten Hauptsatz.
• Sie hören sich reichlich absurd an, da sie noch nie beobachtet wurden.
• In allen wird Wärme in Arbeit umgesetzt.
• Um diese Prozesse zu erzwingen, ist Energiezufuhr von aussen nötig.
Wir haben mit dem ersten Hauptsatz wohl ein sehr gutes Werkzeug, aber
keines das uns sagen kann, welche Prozesse auch tatsächlich ablaufen werden
und welche nie, denn der erste Hauptsatz lässt auch Prozesse zu, die man
noch gar nie feststellen konnte.
Es muss folglich eine weitere Beschreibungsgrösse geben, die neben dem umkehrbaren Erhaltungsprinzip der Energie die Unumkehrbarkeit der spontanen Richtung für reale Prozesse ausdrückt, also beschreibt, dass die Prozessdynamik nur eine Richtung kennt. Diese Grösse heisst Entropie.
4-3
4
Zweiter Hauptsatz: Entropie
4.2
Entropie – Mass der Unordnung
Für die physikalische Grösse Energie hat der Mensch ziemlich gute Sensoren:
Kinetische Energie, Lichtenergie, Schallenergie, Wärmeenergie und elektrische Energie können alle wahrgenommen und, zumindest in gewissen Bereichen, in ihrer Intensität beurteilt werden. Für die Grösse Entropie fehlt uns
aber jeglicher direkte sinnliche Zugang. Dies macht das Begreifen entsprechend schwieriger, weil abstrakter. Wir werden weiter unten, in der exakten
thermodynamischen Definition , sehen, dass sich Entropie über die bekannten
Grössen Wärme und Temperatur definieren lässt; doch vorerst wird ein
leichter verständlicher, mehr phänomenologischer Zugang zu dieser grundlegenden Grösse vermittelt, und der geht am besten über den Begriffe der
Unordnung. Dieser etwas saloppe Begriff Unordnung findet seinen korrekten
Ausdruck in der Wahrscheinlichkeitsrechnung als Wahrscheinlichkeit, W
eines Systems, einen bestimmten Zustand zu besitzen.
1)
4.2.1.1
Zunahme der Unordnung: ein spontaner Vorgang
Ab Beginn des 19. Jahrhunderts standen Fragen des wechselseitigen Verhältnisses von Wärme und Arbeit weit vorne im Interesse von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren. Grund dazu waren die Dampfmaschinen, welche
Wärmeenergie in nutzbare Arbeit umwandeln. Die Erfahrung zeigte, dass
sich Arbeit vollständig in Wärme, niemals aber Wärme vollständig in Arbeit
umwandeln liess, obwohl beide nur verschiedene Erscheinungsformen der
Energie sind. Die damals nicht bekannten Unterschiede von Wärmeenergie
und Arbeit, wie sie z. B. als kinetische Energie eines fallenden Gewichtes
auftritt, lässt sich wie unten gezeigt darstellen. Wärme ist Bewegung der
Moleküle in ungeordneter Art (Figur 4.2): Das Mittel der Geschwindigkeitsbeträge der Massenschwerpunkt Massenschwerpunkte ist massgebend für die
Temperatur, aber
Figur 4.2
Ungeordnete Molekülbewegung der Wärme
Links: Im kalten Körper haben die Teilchen eine kleine mittlere
Geschwindigkeit. Rechts: Im heissen Körper haben die Teilchen
eine höhere mittlere Geschwindigkeit. Der GeschwindigkeitsSummenvektor ergibt für beide Körper null.
Figur 4.1
Geordnete Molekülbewegung
Die gleichgerichtete Bewegung der
Teilchen ist Arbeit, wie z. B. im
freien Fall des ganzen Systems. Die
ungeordnete Teilchenbeweung und
die Fallbewegung sind einander
überlagert.
die Summe ihrer vektoriellen Geschwindigkeiten ergibt null, d.h. es ist eine
Zufallsverteilung. Hat der Körper bezüglich eines Bezugssystems eine Bewegungsgeschwindigkeit, so wird dieser Zufallsbewegung der einzelnen Moleküle
eine einheitliche und kohärente Geschwindigkeit überlagert, wie in Figur 4.1
dargestellt ist. Arbeitsfähigkeit eines Systems kommt erst zustande, wenn
der Summenvektor der Bewegungen aller Massenpunkte nicht null ergibt.
1) Neben einer thermodynamischen Definition makroskopischer Systeme gibt es auch
eine statistische Definition der mikroskopischen Betrachtungsweise des Systems.
4-4
4.2
Entropie – Mass der Unordnung
Umwandlung potenzieller Energie in kinetische Energie.
w = m·g·h
Ekin = w
Figur 4.3
Die Umwandlung von Arbeit in Wärme.
Bild links: Am oberen Körper ist Arbeit, w verrichtet worden, die er als potentielle
Energie enthält, die Temperaturen des oberen und des unteren Körpers sind gleich.
Bild Mitte: Beim Fallen wandelt sich die Arbeit um in kinetische Energie, Ekin, alle
Moleküle führen eine der ungeordneten Wärmebewegung überlagerte kohärente Bewegung aus. Bild rechts: Die Umwandlung der Energie geht spontan. Beide Körper
zusammen enthalten dieselbe Energie wie am Anfang, aber in Form von Wärme und
nicht von Arbeit.
Es ist kein Problem, die geordnete Bewegung des Systems, wie in Figur 4.1
gezeigt, in eine ungeordnete überzuführen, z. B. wenn der bewegte Körper
auf einen andern aufschlägt, wie in Figur 4.3 zu sehen ist, aber es ist unmöglich, dass ohne äusseren Eingriff, die ungeordneten Bewegungen der Teilchen
zufällig in kohärente übergehen. Hier kommt ein statistisches Element ins
Spiel: Die zufällige Ausrichtung aller ungeordneten Bewegungen zu einer kohärenten Bewegung ist nicht absolut unmöglich, aber so extrem unwahrscheinlich, dass wir getrost von «unmöglich» sprechen können.
Eine schöne Illustration dieser statistischen «Unmöglichkeit», die mit der
Anzahl Teilchen sehr schnell wächst, findet sich im Lehrbuch von Dickerson
und Geis, Chemie, VCH, Weinheim, 1983. Dort wird ein Vergleich geführt,
wie wahrscheinlich Affen durch zufällige Anschläge auf einer Schreibmaschine eine vernünftige Aussage zustande bringen. «Mit 44 Schreibmaschinentasten sollte ein Affe im Durchschnitt jede Minute ein „d“ durch Zufall
treffen.
Drei Affen könnten alle elf Wochen ein Wort mit vier Buchstaben wie das
englische „dear“ zustande bringen. 10’000 Affen träfen im Durchschnitt alle
500 Jahre die Anrede „dear sir“. Drei Millionen Affen
Figur 4.4
Ein zufälliges «so long, Adam» der Affen
Wahrscheinlichkeit, dass Affen durch zufälliges Anschlagen einer Schreibmaschine ein «so long, Adam» erzielen.
4-5
4
Zweiter Hauptsatz: Entropie
hätten seit dem der Homo sapiens vor zehn Millionen Jahren seine eigenen
Wege ging, gerade Zeit gehabt, einmal ein fehlerloses „so long, Adam“ zu
tippen.». Dies zur Illustration, wie unwahrscheinlich, nur durch Zufall, eine
Kohärenz erreicht werden kann.
Allerdings haben wir es in der Chemie nicht nur mit 256 Zeichen, sondern
23
mit 6 mal 10 Teilchen pro Mol zu tun!
4.3
Entropie – Thermodynamische Grösse
Nach den ausführlichen qualitativen Beschreibungen über die Entropie von
Stoffen und Betrachtungen, in welchen Zuständen die Stoffe mehr resp. weniger Entropie haben, benötigen wir nun eine exakte Definition der Entropie,
welche auch die Möglichkeit einer Messung zulässt.
4.3.1
Der Zweite Hauptsatz
Die Entropie eines isolierten Systems nimmt nie ab:
∆S isoliertes System ≥ 0 .
4.3.1.1
(4-1)
Spontane Prozesse
Für irgendwelche Vorgänge in einem isolierten System gilt: Wenn immer etwas in einem isolierten System (Universum) geschieht, so erhöht dies dessen
Entropie.
∆S > 0
für Prozesse in isoliertem System.
Wird das isolierte System unterteilt in das betrachtete geschlossene System
und seine (kontrollierbare) Umgebung, so lässt sich schreiben:
∆S tot = ∆S S + ∆S U > 0 .
(4-2)
Jeder spontane Prozess erhöht die Gesamt-Entropie von System und Umgebung zusammen; so führt beispielsweise jeder Temperaturausgleich zwischen
System und Umgebung zu einer Vergrösserung der Summe der beiden Entropien, doch um wie viel? Das Hauptproblem obiger Gleichung ist das «grösser
als» Zeichen; die totale Entropieänderung ist so nicht quantifizierbar und
dies ist unbefriedigend. Besser handhabbar Systeme im Gleichgewicht.
4.3.1.2
Systeme im Gleichgewicht
Ist ein isoliertes System im Gleichgewicht, so ist seine Entropie konstant:
∆S = 0
für Systeme im Gleichgewicht.
∆S tot = ∆SS + ∆S U = 0 .
4.3.1.3
(4-3)
Reversible Änderungen zwischen System und Umgebung
Wir haben mit oben stehender Gleichung (4-3) eine exakte Ausgangslage für
Berechnungen von Änderungen der Entropie in einem System und seiner
Umgebung. Den Vorteil der Berechenbarkeit haben wir uns erkauft mit der
Einschränkung auf reversible Vorgänge, wie sie nur um die Gleichgewichtslage möglich sind (siehe auch Kap. 2.2.6.1).
4-6
Formulierungen zur Entropie
*
Box 7.1 Formulierungen zur Entropie
•
Jedes sich selbst überlassene System wird sich im zeitlichen Mittel ändern in Richtung maximaler
Wahrscheinlichkeit. (G.N. Lewis)
•
Der Zustand der maximalen Entropie ist der stabilste Zustand für ein isoliertes System. (E.
Fermi)
•
Jedes sich selbst überlassene System ändert sich – schnell oder langsam – derart, dass ein
bestimmter Endzustand angestrebt wird. Kein System ändert sich, ausser durch äussere Beeinflussung, weg von diesem Zustand des Gleichgewichts. (G.N. Lewis)
•
Es gibt eine generelle Tendenz in der Natur, dass die Energie von der besser zur weniger nutzbaren Form übergeht. (J.A.V. Butler)
•
In jedem irreversiblen Prozess wird die Entropie aller betrachteten Körper erhöht. (G.N. Lewis)
•
Die Entropiefunktion eines Systems von Körpern strebt nach Vergrösserungen in allen physikalischen und chemischen Prozessen der Natur, wenn wir in das System alle diese Körper einschliessen, die durch diese Änderung beeinflusst werden. (Saha)
•
Es ist in jedem Fall unmöglich, die Entropie eines Systems von Körpern zu vermindern, ohne
dadurch andere Körper zu verändern. (M. Planck)
•
Wenn irgendein Prozess geschieht, ist es unmöglich ein Mittel zu erfinden, die ursprünglichen
Bedingungen jedes betroffenen Systems wieder herzustellen. (G.N. Lewis)
•
Jeder physikalische oder chemische Prozess in der Natur verläuft derart, dass die Summe der
Entropien aller am Prozess beteiligten Körper zunimmt. Im Grenzfall, d.h. für reversible Prozesse,
bleibt die Summe der Entropien konstant. (M. Planck)
•
Für das Gleichgewicht eines isolierten Systems ist es nötig und genügend, dass in jeder möglichen
Änderung des Zustands des Systems, welches seine Energie nicht ändert, die Änderung seiner
Entropie entweder verschwindet oder negativ wird. (J.W. Gibbs)
•
Wärme kann nicht spontan von einem kälteren zu einem wärmeren Körper übergehen. (R.J.E.
Clausius)
•
Es ist unmöglich, Wärme von einem kälteren zu einem wärmeren System zu bringen, ohne dass
gleichzeitig andere Änderungen in den beiden Systemen oder in der Umgebung passieren.
•
Es ist unmöglich, Wärme von einem System zu nehmen und in Arbeit zu verwandeln, ohne
gleichzeitige Änderungen im System oder seiner Umgebung. (P.S. Epstein)
•
Die Umwandlung von Arbeit in Wärme mag vollständig sein, aber die umgekehrte, die von
Wärme in Arbeit, muss unvollständig sein, weil immer, wenn eine bestimmte Menge Wärme umgewandelt wird in Arbeit, eine andere Menge Wärme eine entsprechende und kompensierende
Änderung erleiden muss. (M. Planck)
•
Spontane Prozesse (das sind Prozesse die von selbst ablaufen) sind jene, welche, wenn unter
passenden Bedingungen ausgeführt, Arbeit verrichten können. Wenn reversibel ausgeführt, erbringen sie eine maximale Menge an Arbeit. Im natürlichen – irreversiblen – Ablauf, wird die maximale Arbeit nie erbracht. (J.A.V. Butler)
•
Die Entropie ist nur eine Eigenschaft des Zustands. Ihr Wert für ein isoliertes System kann nie
abnehmen. (R.E. Gibson)
•
Die Energie der Welt ist konstant. Die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu. (R.J.E.
Clausius)
•
Gewinn an Information ist Verlust an Entropie. (G.N. Lewis)
•
Entropie ist der Pfeil der Zeit. (A. Eddington)
•
Der stabilste Zustand des Lebens ist der Tod. (N. Wiener)
Übersetzt aus dem Englischen. Der englische Originaltext ist verloren gegangen; die Quelle der Aussagen ist unbekannt.
ETHZ – Chemie I
4-7
4
Zweiter Hauptsatz: Entropie
4.3.2
In jedem reversiblen Prozess ist die Entropiezunahme
eines
Systems
gleich der von ihm aufgenommenen Wärme geteilt durch die absolute
Temperatur, bei der die
Wärmeaufnahme erfolgt.
Definition der Entropie
Die Entropieänderung eines Systems ist definiert über 2 Grössen: über die
dem System zu-(ab-)geführte Wärme q und über die Temperatur T des Systems, bei der die Wärmeänderung geschieht.
dS : =
δq rev
.
T
(4-4)
• Die einzige Bedingung in Gleichung (4-4) ist die Reversibilität der
Prozessführung. Für irreversible Prozesse (die wirklichen Prozesse) wird
die Entropieänderung grösser als für die reversiblen ( dS irrev > δq rev T ).
• Die Wärme q ist keine Zustandsgrösse, deshalb gilt δq , aber der Quotient
δq T ergibt eine Zustandsgrösse: Die Entropieänderung dS.
• Definiert ist ausschliesslich die Entropieänderung. Eine absolute Entropie
lässt sich daraus noch nicht feststellen, dazu s. Abschnitt 4.5.2.
Für eine reale Wärmeänderung von einem Anfangszustand (A) zu einem
Endzustand (E) erhalten wir bei Integration von Gleichung (4-4):
E
∫A dS
=
E
∫A
dq rev
T
.
(4-5)
Damit ist die Entropiedifferenz im System zwischen dem Anfangs- und dem
Endzustand gegeben durch:
∆S Sys = S E − S A = ∫
E
A
Sys
dq rev
T Sys
.
(4-6)
Die Entropieänderung im System lässt sich für jeden beliebigen Vorgang berechnen, wenn sich ein reversibler Weg von A nach E finden lässt. Es ist unerheblich, ob die Wärmezufuhr aus der Umgebung kommt, oder im Systeminneren entsteht (z. B. durch Reaktionsenthalpie). In beiden Fällen ist es eine Wärmeänderung im System, wie in Figur 4.5 schematisch dargestellt ist.
-qrev
Umgebung
qrev
T
Umgebung
T
A
und
oder
Figur 4.5
E
T
qrev
dS = δqrev / T
dS = δqrev / T
System
T
System
Entropieänderung durch Wärmezufuhr aus der Umgebung oder durch
Reaktion im System
Links: Die Entropieänderung im System entsteht durch Wärmeaustausch mit der
Umgebung. Rechts: Die Entropieänderung im System entsteht durch Reaktionsenthalpie im System (A: Prozessanfang, E: Prozessende).
4-8
4.3
4.3.4
Entropie – Thermodynamische Grösse
Entropie im geschlossenen System:
Die Zustandsfunktion
Wie andere Zustandsgrössen im geschlossenen System, z. B. die Enthalpie H,
kann auch die Zustandsgrösse S als Abhängige derselben 3 Zustandsvariablen
Druck, Temperatur und Zusammensetzung vollständig beschrieben werden.
*
Zustandsfunktion der Entropie
Mit den zwei intensiven Zustandsvariablen Druck und Temperatur und der extensiven Zusammensetzungsvariablen nJ = nA, nB, …, nN erhalten wir die Zustandsfunktion der Entropie:
S = S ( p,T , nJ ) .
(4-7)
Totales Differential der Entropie
Das aus obiger Zustandsfunktion abgeleitete totale Differential lautet (ganz analog zum totalen Differential
der Enthalpie dH, in Gleichung (6.22)):
N 
 ∂S 
 ∂S 
∂S 


dS = 
⋅ dp + 
⋅ dT + ∑ 

 ∂p 
 ∂T 

J=A  ∂nJ p,T ,n
T, n
p, n
J
J
· dnJ .
(4-8)
K≠J
Die Abhängigkeit der Entropie vom Druck ist für chemische Prozesse von untergeordneter Bedeutung und
wird nicht weiter verfolgt werden.
Die Abhängigkeit der Entropie von der Temperatur hat eine beträchtliche Bedeutung, weil die absolute
Temperatur explizit im Nenner vorkommt wie es aus der Definitionsgleichung der Entropie in Gl. (4-9)
hervorgeht.
Die Abhängigkeit der Entropie von der Systemzusammensetzung ergibt sich aus der Summe der absoluten
Entropien aller im System befindlichen Stoffe.
4.3.5
Entropie für Prozesse bei konstantem Druck
Bei der Einführung und Definition der Enthalpie wurde begründet, weshalb
für uns die Randbedingung «bei konstantem Druck» sinnvoll ist (Reaktionen in zur Atmosphäre offenen Systemen oder in solchen mit Druckausgleich
zu ihr). Dies gilt natürlich gleichermassen für die Entropie und die Entropieänderungen. Im Weiteren wollen wir deshalb ausschliesslich diesen Zweig
thermodynamischer Funktionen weiterverfolgen.
Bei konstantem Druck wird die Entropie eine Zustandsfunktion von nur
noch zwei Zustandsvariablen:
S p = S p (T, n J ) .
(4-10)
*Totales Differential der Entropie bei konstantem Druck
Das sich aus dieser Zustandsfunktion ergebende totale Differential von S lautet (das Subscript p für
«bei konstantem Druck» lassen wir in Zukunft zwecks Vereinfachung weg):
N 
 ∂S 
∂S 

dS = 

⋅ dT + ∑ 
 ∂T 


J=A  ∂nJ p,T , n
p, n
J
· dn J .
(4-9)
K≠J
Die totale Entropieänderung im geschlossenen System bei konstantem Druck hat zwei Terme: einen
temperaturabhängigen und einen zusammensetzungs-abhängigen. Man vergleiche die Gleichung (4-9)
mit der Gleichung der Enthalpieänderung dH bei konstantem Druck in Gleichung (3-32)!
4-9
4
Zweiter Hauptsatz: Entropie
4.3.7
Temperaturabhängigkeit der Entropie
Entropie und Temperatur haben eine innige Verbundenheit, wie dies aus der
Definitionsgleichung der Entropie (4-4) unmittelbar hervorgeht. Die Entropieänderung ist der Quotient aus einer Wärmeänderung (dq) und der absoluten Temperatur (T). Die Herleitung der Temperaturabhängigkeit der
Entropie liefert für den (üblichen) Fall einer über das Temperaturintervall
T1 bis T2 konstanten Wärmekapazität für die Entropieänderung:
∆S (T1 → T2 ) = C p ⋅ ln
Tabelle 4.1
Standardentropie und StandardWärmekapazität bei 298 K einiger
Stoffe.
Spezies S°/JK–1mol–1 Cp °/JK–1mol–1
Na(s)
H2O(l)
51.21
69.91
28.24
75.291
N2(g)
191.61
29.125
O2(g)
Ar(g)
205.138
154.84
29.355
20.786
T2
T1
.
(4-11)
Man beachte, dass die Entropieänderung nicht proportional zur Temperaturdifferenz ∆T ist (wie bei der Enthalpieänderung!), sondern proportional zum
Logarithmus des Temperatur-Verhältnisses T2 T1 . Es spielt also für die Entropieänderung eine wesentliche Rolle, ab welcher Temperatur die Änderung
stattfindet!
Für die Entropie bei einer Temperatur T2 erhalten wir, wenn die Entropie
bei T1 bekannt ist (wegen ∆S = S(T2) – S(T1)):
S (T2 ) = S (T1 ) + C p ⋅ ln
S(T2)
S(T1)
Cp
T2
T1
T2
T1
.
Entropie bei beliebiger Temperatur T2
Entropie bei der Temperatur T1
Wärmekapazität bei konstantem Druck
beliebige Temperatur
Temperatur, bei der die Daten: S(T1), Cp(T1)
(4-12)
–1
[S ] = JK mol
–1
–1
[Cp] = J K mol
[T] = K
bekannt sind.
–1
Um die Entropie bei einer beliebigen Temperatur, hier T2, berechnen zu können, muss sie bei einer anderen Temperatur, hier T1, bekannt sein. Diese
Temperatur T1 ist meistens die Referenztemperatur TR (TR = 298 K), denn
für diese Temperatur sind die Daten in Tabellen üblicherweise angegeben.
Beispiel 4.1
Entropiezuname der Raumluft beim Aufheizen
3
Ein Raum von 40 m Volumen muss bei der Rückkehr aus den Ferien von
frostigen 10 °C auf wohlige 20 °C aufgeheizt werden. Um wie viel nimmt die
Entropie der Raumluft zu bei dieser Erwärmung? Wir dürfen annehmen, der
Prozess sei bei konstantem Druck, z.B. wegen eines minimen Spalts der Türe
3
am Boden. Die Wärmekapazität der 40 m Luft (id. Gas, yN2 = 0.78, yO2 =
–1
0.21, yAr = 0.01) ist 49.425 kJ K und sie sei konstant von 10 °C bis 20 °C.
Lösung
Wir benutzen Gleichung (4-11) und erhalten:
∆S (T1 → T2 ) = 49.425 kJ K−1 ⋅ ln
Beispiel 4.2
293.15 K
283.15 K
= 1.715 kJ K−1 .
Entropie dreier Stoffe bei hundert Grad Celsius
Man berechne von je 1 kg der angegebenen Stoffe a) bis c):
A) Die Entropiezuname bei einer Erwärmung von 25 °C auf 100 °C und
B) die Entropie bei 100 °C. Über dieses Temperaturintervall sei Cp konstant.
a) Natrium (fest) b) Wasser (flüssig) und c) Stickstoff (gasförmig).
4-10
4.3
Entropie – Thermodynamische Grösse
Lösung
Die in Tabellen mit thermodynamischen Daten aufgeführten Standardwerte
sind immer molare Werte, gelten also pro Mol des angegebenen Stoffs.
A) Mit Gleichung (4-11) berechnen wir die Entropiedifferenz:
∆SBo = C po, B ·ln
T2
T1
.
ln(T2/T1) gibt für a) bis c) gleich viel, nämlich 0.224, womit:
o
-1
-1
a) ∆S Na,
s = 28.24·0.224 = 6.33J K mol
∆S Na, s = 275 J K-1 ,
b) ∆SHo O, l = 75.29·0.224 = 16.86 J K-1 mol -1
∆S H O, l = 936 J K -1 ,
c) ∆S No
∆SN , g = 233J K-1 .
2
2,
g
= 29.125·0.224 = 6.52 J K-1 mol -1
2
2
B) Es gilt: S B (T2 ) = S B (T1 ) + ∆S B und damit:
a) S Na ( 373 K ) = 51.2 J K-1 mol -1 ·( 43.5 mol ) + 275 J K-1 = 2.50 kJ K−1 ,
b) S H O, l ( 373 K ) = 69.9 J K-1 mol -1 ·( 55.5 mol ) + 936 J K-1 = 4.82 kJ K−1 ,
2
b) S N
2,
g
( 373 K ) = 191.6 J K-1 mol-1·( 35.7 mol ) + 233 J K-1 = 7.07 kJ K−1 .
4-11
4
Zweiter Hauptsatz: Entropie
4.4
Entropie und Wahrscheinlichkeit
Ludwig Boltzmann, der sich seinen Namen über die Begründung der statistischen Mechanik machte, postulierte einen Zusammenhang zwischen der Zustandsentropie S eines makroskopischen Systems und der Wahrscheinlichkeit,
mit der gerade dieser Zustand durch die verschiedenen möglichen Anordnungen ihrer mikroskopischen Einheiten erreicht wird. Bei dieser Interpretation
der Entropie kommt somit eine Modellvorstellung des Materieaufbaues hinein, nämlich ihre Zusammensetzung durch individuelle Einheiten: Atome,
Moleküle, Ionen. Diese mikroskopische Interpretation ist nicht zwingende
Voraussetzung für die Zustandseigenschaft Entropie, denn diese lässt sich
auch aus Wärmemessungen am makroskopischen System bestimmen und als
Phänomen so verstehen, dass alle natürlichen Prozesse irreversibel sind.
Schon aus der gewöhnlichen Statistik dürfte bekannt sein, dass Wahrscheinlichkeitsrechnungen umso zutreffender sind, je grösser das Ensemble ist, über
das eine Aussage gemacht wird. Statistische Aussagen in chemischen Systemen haben deshalb eine grosse Zuverlässigkeit, weil sie sich immer auf eine
absurd hohe Teilchenzahl beziehen können (1 Mol = 6.0·1023 Teilchen!). Um
den Wahrscheinlichkeitscharakter von Systemzuständen verständlich zu machen, verwenden wir hier die Abhängigkeit der Systementropie von der gegenseitigen Anordnung der Moleküle in einem Kristallgitter.
A
Figur 4.6
B
C
Entropie als Anzahl von Anordnungen von Molekülen
Entropie als statistische Wahrscheinlichkeit einen bestimmten Mikrozustand zu haben. Anordnungen asymmetrischer Moleküle. A: Kristall allerhöchster Ordnung (perfekter Kristall): es gibt zwei Anordnungen 20
Einheiten gleich auszurichten. B und C: Kristalle mit höherer Entropie als A, da es mehrere verschiedene
Anordnungsmöglichkeiten gibt, bei 20 Einheiten 10 nach links und 10 nach rechts zu orientieren. Figur,
leicht verändert, aus: Atkins and Jones, «Chemistry», W.H. Freeman and Company, N.Y. 1997.
Als Beispiel verwenden wir ein zweiatomiges, asymmetrisches Molekül, wie z.
B. eine Halogenwasserstoffverbindung oder Kohlenmonoxid, das bei der Nullpunkttemperatur einen Kristall bildet (jedes Molekül regungslos an einem
exakt festgelegten Platz). Weil gleiche Moleküle in gleicher Orientierung
ununterscheidbar sind, ein gegenseitiger Austausch also nicht feststellbar ist,
gibt es nur genau eine perfekte Anordnung, die in Bild A in Figur 4.6. Nicht
perfekte Kristalle hingegen gibt es sehr viele, da an jedem Platz jedes Molekül in zwei Orientierungen vorkommen kann. Wenn die Systemgrösse (Kristallgrösse) 20 Moleküle enthält, und jedes davon in zwei Orientierungen vorkommen kann, gibt es insgesamt W = 220 verschiedene, d. h. mikroskopisch
unterscheidbare, Kristalle von denen genau zwei perfekt sind.
1)
1)
4-12
Fast regungslos, denn laut Gesetzen der Quantenmechanik verbleibt auch bei 0 K
eine Vibrationsenergie.
4.5 Entropie von Stoffen
Der von Boltzmann postulierte Zusammenhang zwischen der makroskopischen Entropie S, und der statistischen Wahrscheinlichkeit W unterscheidbarer mikroskopischer Anordnungen ist:
S ∝ lnW .
(4-13)
Über die Messung der Entropie und die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten ergibt sich auch die Proportionalitätskonstante. Diese wird, zu Ehren
ihres Entdeckers, Boltzmann-Konstante genannt und mit k bezeichnet.
S = k ⋅ lnW .
S
k
W
Entropie
Boltzmann-Konstante
Wahrscheinlichkeit eines Zustands
(4-14)
–1
[S] ] = J K
–23
–1
[k ] = 1.380…·10 J K
[W ] = 1
k ist auf der mikroskopischen Betrachtungsweise von Einzelteilchen, was die
universelle Gaskonstante R ist auf der makroskopischen Ebene von 1 Mol
Teilchen. Das Bindeglied der beiden ist die Avogadrokonstante, N :
A
R
k=
.
NA
(4-15)
Wenden wir die Gleichung (4-14) auf unser Beispiel an, so gibt es für einen
perfekten Kristall nur eine einzige Anordnung, W ist also 1, und damit wird
S = k·ln 1 = 0. Die Wahrscheinlichkeit aber, irgendeinen anderen Zustand
–22
-1
zu haben ist S = k·ln(220) = 1.91·10
J K – eine sehr kleine Entropie,
aber unser System ist nur gerade 20 Moleküle gross und bei T = 0. Für 1
Mol Teilchen, z. B. HCl(s) bei 0 K, ergeben sich:
S = k ⋅ 6 ⋅ 1023 ⋅ ln ( 2 ) = 5.76 J K−1 .
Einige Phänomene, die typisch statistisch sind:
• Gase füllen den ganzen Raum gleichmässig: Der ganze Raum stellt viel
mehr Plätze zur Verfügung, wo die Moleküle hin verteilt werden können,
als ein eingeschränkter.
• Mischungen: ein homogen gemischtes System hat eine viel grössere Wahrscheinlichkeit, als ein getrenntes und damit höher geordnetes System.
Nach dieser nur oberflächlichen Einführung in eine statistische Interpretation, wenden wir uns wieder der rein thermodynamischen oder thermochemischen Betrachtungsweise zu.
4.5
4.5.1
Entropie von Stoffen
Absolutwerte der Entropie
Wenn man die Entropie als Mass der Unordnung eines Stoffes versteht, so
entspricht die höchstmögliche Ordnung die ein Stoff überhaupt haben kann
seiner kleinstmöglichen Entropie. Führt man diese Überlegung weiter, so
lässt sich eine Entropiezunahme als eine Zunahme an Unordnung verstehen.
Entropieänderungen lassen sich aus thermochemischen Messungen relativ
einfach und genau gewinnen. Bleibt nur noch die Frage, was denn die
höchstmögliche Ordnung – also die kleinste Entropie – einer Verbindung sei.
Den Zustand höchster Ordnung hat jede Verbindung, wenn sie als perfekter
Kristall vorliegt (setzt perfekte Reinheit voraus) und ihre Moleküle oder Atome im minimal möglichen Bewegungszustand sind. Dies ist jedoch nur bei
der Temperatur 0 Kelvin möglich. In diesem Zustand ist die Entropie für
jede Verbindung ein Minimum, und alle Verbindungen haben unter diesen
Bedingungen dieselbe Entropie und diese kann nicht unterschritten werden
da negative Temperaturen nicht möglich sind. Jetzt ist es noch eine Frage
4-13
4
Zweiter Hauptsatz: Entropie
der Vernunft oder Praktikabilität, der Entropie unter diesen Bedingungen
den Wert null zu geben.
4.5.2
Dritter Hauptsatz – Entropie am Temperaturnullpunkt
Der Dritte Hauptsatz hat bei weitem nicht die Bedeutung des ersten und des
zweiten Hauptsatzes, aber er ist mindestens insofern interessant, als diese
Erkenntnis zulässt, dass man die Entropie von Stoffen oder Systemen absolut
angeben kann, und nicht nur relativ zu einem willkürlich gewählten Nullwert, wie bei der Inneren Energie oder der Enthalpie oder der Gibbs-Energie
oder dem chemischen Potential (s. dazu Kap. 5 und 6). Er besagt, dass die
Entropien aller perfekt kristallinen Stoffe bei null Kelvin gleich sind. Dies
gilt für jede Verbindung, nicht nur für elementare Stoffe. Da anderseits die
Entropie mit der Temperatur immer zunimmt, hat jeder Stoff bei jeder erzeugbaren Temperatur eine positive Entropie. Diese Behauptung gilt deshalb, weil eine andere Aussage des dritten Hauptsatzes ist, dass der absolute
Temperaturnullpunkt nicht erreichbar ist. Erreicht werden können heute
-6
etwa 10 K aber eben nicht der absolute Nullpunkt!
4.5.2.1
Aussagen des Dritten Hauptsatzes
• Es ist unmöglich, den absoluten Nullpunkt der Temperatur in einer endlichen Anzahl von Schritten zu erreichen.
• Setzt man die Entropie jedes Elementes in seinem stabilsten Zustand bei
T = 0 Kelvin gleich null, so hat jede Verbindung eine positive Entropie.
Sie nimmt bei T = 0 Kelvin den Wert null an, wenn die Verbindung als
perfekter Kristall vorliegt:
S B, id. Kristall ( 0 K ) = 0 J K -1 .
Definition:
Jede perfekt kristalline Substanz hat bei der Temperatur
T = 0 die Entropie S = 0.
Man nennt dies die Nullpunktsentropie.
(4-16)
Entropiewerte, die auf dem dritten Hauptsatz basieren, heissen allgemein
Nullpunktsentropien, S.
4.5.3
Entropiezunahme vom perfekten Kristall bis zum Gas
Um die absolute Entropie einer Substanz zu bestimmen, muss man ihre Entropiezunahme ab 0 Kelvin messen. Das unten stehende Bild zeigt den allgemeinen Verlauf einer solchen Messung einer reinen und perfekt kristallinen
Substanz ab null Kelvin bis zum Gas. Der Weg kann über mehrere Festkörperphasen α, β, … gehen, geht über das Schmelzen und über den Siedepunkt
zum Gas der Substanz. Mathematisch sind die verschiedenen Teile (je separate Integrale der Summierung kleinster Entropieanteile) zu addieren:
SB° (TR ) = S B° (0) + ∫
+
Tα
0
∆fusH B
Tm
C p,o B, α ·d lnT +
+
Tb
∫T
m
∆trs, αH B
Tα
C p, B, l · d lnT +
o
+∫
Tm
Tα
∆vapH B
Tb
C p,o B, β · d lnT
(4-17)
+∫
TR
Tb
o
C p, B, g · d lnT .
Obige Gleichung ist sozusagen die «Luxusgleichung» für den kompliziertest
möglichen Fall. Ist die Substanz B bei T ein Festkörper, und kommt sie von
R
0 K bis TR nur in einer festen Phase vor, so haben wir den einfachsten Fall
–1
–1
mit folgender Gleichung (für SB°(0 K) = 0 J K ·mol eingesetzt):
SB° (TR ) = ∫
TR
0
C p,o B (s) ⋅ d lnT .
(4-18)
Für die bei 298 K flüssigen Stoffe B kommen noch die Terme des fest/flüssig
-Phasenüberganges bei T und der Term der Erwärmung der Flüssigkeit
m
4-14
4.5 Entropie von Stoffen
vom Standard-Schmelzpunkt T ° bis zur Referenztemperatur T zur Gleim
R
chung (4-18) hinzu. Das Verfahren ist in Fig. 4.7 graphisch dargestellt; die
Temperatur von 298 K kann im Prinzip irgendwo auf der T -Achse sein.
4.5.3.1
Entropie eines perfekten Kristalls ab Temperaturnullpunkt bis zur
Schmelzpunkttemperatur
Bei 0 K und perfektem Kristallgitter hat H O die Entropie null. Das
2
kontinuierliche Erwärmen des Eises führt zu einer stetigen Zunahme seiner
Entropie. Für die makroskopische Betrachtungsweise der Thermodynamik,
die a priori keine Kenntnisse des Stoffaufbaues benötigt, ist es irrelevant, wie
diese zunehmende Unordnung auf molekularer Ebene zustande kommt. Es
genügt, die thermodynamische Definition der Entropie in eine Messanweisung umzusetzen, um die mit der Wärmeaufnahme verbundene Entropiezunahme zu quantifizieren. Bei diesem Vorgehen bis zur Schmelztemperatur
von Eis findet man für Eis unter Standardbedingungen und der Stoffmenge
1 mol bei 273.15 K eine Entropie von 41.36 J K-1mol-1.
1)
Figur 4.7
Bestimmung der absoluten Entropie einer Substanz
Graphische Darstellung des Verfahrens zur Bestimmung der absoluten Entropie einer
Substanz B entsprechend der Gleichung (4-17) Man startet bei tiefstmöglicher Temperatur und misst über eine Wärmezufuhr in vielen kleinen Temperaturschritten alle
Entropieinkremente ∆S als (Cp/T)∆T, die man aufaddiert. Bei Phasenänderungen ist
die Temperatur konstant (Tα, Tm, Tb), aber die Entropie nimmt zu wegen Wärmeaufnahme. Die in Tabellen zu findenden Entropien (sog. Nullpunktentropien) sind
üblicherweise bei TR = 298 K, die irgendwo auf obiger Temperaturskala sein kann.
Schmelzen am Schmelzpunkt: Schmelzentropie
Bei weiterer Wärmezufuhr zum Eis verlassen beim Schmelzvorgang sukzessive mehr und mehr Wassermoleküle ihre festen Gitterplätze und gewinnen
dabei beträchtlich an Bewegungsfreiheit. Der Gewinn an Freiheit ist eine Zunahme an Unordnung, also Entropie. Der gesamte Schmelzvorgang, von anfänglich nur festem Wasser zu nur flüssigem Wasser, verläuft (wenn er nur
genügend langsam durchgeführt wird) ohne jegliche Temperaturänderung,
also bei konstantem T (dT = 0), der Schmelztemperatur Tm= 273.15 K (dieser Wert gilt bei p = 1 atm = 1.01325 bar, nicht bei p°).
1)
Jedes einzelne Molekül hat die Möglichkeit zu geringer Ortsveränderung
(Translation) um seinen mittleren Platz im Kristallgitter, zur Rotation und zur
Vibration um/an seinem festen Platz.
4-15
4
Zweiter Hauptsatz: Entropie
Flüssigkeit ab Schmelzpunkt bis zum Siedepunkt
Bei weiterem Erwärmen des Wassers nimmt die Entropie für jede schrittweise Wärmeaufnahme stetig zu und ist kontinuierlich messbar. Bei T = 298.15
K hat das flüssige Wasser eine Entropie erreicht, welche der in den meisten
Tabellen angegebenen molaren Standard-Entropie entspricht. Nach weiterem
Erwärmen bis auf 100 °C ist dann bei Wasser (und Normaldruck von 1 atm
= 1.01325 bar ) wieder ein Phasenübergang fällig.
2)
Verdampfen am Siedepunkt: Verdampfungsentropie
Am Siedepunkt (bei 100.00 °C für p = 1 atm, bei 99.63 °C für p = p°) tritt
wieder dasselbe Phänomen auf wie am Schmelzpunkt. Eine andauernde Wärmezufuhr führt ohne Temperaturerhöhung zu einer Zunahme der Entropie.
Eine molekulare Deutung (wiewohl nicht nötig) ist einfach: Immer mehr
Moleküle verlassen den Verband an Nachbarmolekülen, durch die sie über
intermolekulare Kräfte (bei Wasser vor allem H-Brücken) festgehalten sind.
Dies bedarf einerseits einer grossen Wärmezufuhr, erhöht aber anderseits
auch die Entropie der befreiten Moleküle enorm, denn als Gasmoleküle (ca.
ideales Gas) erfahren sie keinerlei Einschränkung ihrer Beweglichkeit im
Raum. Diese grosse Freiheit findet ihre Entsprechung in einer grossen Unordnung, d.h. einer grossen Entropie.
Ideales Gas ab dem Siedepunkt
Bei Wärmezufuhr zum Wasserdampf steigt seine Entropie stetig an.
Wasser von 0 Kbis über die Siedepunkttemperatur
Für die Entropie von Wasser können die in Tabelle 6.1 angegebenen Werte
aufsummiert werden um die Standardentropie bei der TR zu ergeben.
Tabelle 4.2 Entropiebilanz von H2O ab 0 K
Zustand
Temperatur
T/K
Standard-Entropie
S Ho O / J K -1 mol –1
2
perfekt krist.
fest
flüssig
flüssig
flüssig
gasförmig
gasförmig
0
273.15
273.15
298.15
373.15
373.15
500.00
0
41.36
63.36
69.95
86.88
a)
195.94
206.66
Entropieänderung
∆trsS / J K –1 mol –1
∆fusSH2O°(Tm) = 22.00
a)
a)
∆vapSH2O°(Tb) = 109.06
Die molare Standard-Entropie von H2O vom Temperaturnullpunkt bis zum Gas bei
373.15 K, eingeschlossen die zwei Phasenübergänge bei Tm = 273.15 K und bei Tb =
a)
373.15 K.
bei p = 1.01325 bar.
4.5.4
Entropieänderung bei Phasenübergängen reiner Stoffe
Phasenübergänge reiner Stoffe können Festphasenübergänge zwischen Kristallmodifikationen sein (z.B. Diamant zu Graphit, Aragonit zu Calcit) oder
fest/flüssig- oder flüssig/gasförmig -Phasenübergänge sein. Bei jedem isobar
ablaufenden Phasenübergang ist die Temperatur konstant und es handelt
sich um einen perfekt reversiblen Prozess. Also gilt bei konstantem Druck
(z.B. p°): q rev = ∆ trsH .
Damit wird die bei der Phasenübergangstemperatur Ttrs stattfindende
Phasenübergangsentropie der Substanz B, ∆trsS B (Ttrs ) :
2)
4-16
1 atm entspricht nicht dem Standarddruck von p° = 1 bar, bei p° heisst die Siedetemperatur von Wasser Standard-Siedetemperatur und beträgt: Tb° = 99.63 °C
4.5 Entropie von Stoffen
∆trsS B (Ttrs ) =
∆trsH B (Ttrs )
Ttrs
.
(4-19)
∆trsS B (Ttrs ) Entropieänderung bei einem Phasenübergang.
∆trsH B (Ttrs ) Enthalpieänderung des Phasenübergangs.
Ttrs Temperatur, bei welcher der Phasenübergang abläuft.
4.5.5
Entropie und Stoffeigenschaften
Neben dem Vergleich eines Einzelstoffs über verschiedene Aggregatszustände
und zunehmende Temperaturen ist es auch sehr lehrreich, die Entropien verschiedener Stoffe zu vergleichen und mit bestimmten Eigenschaften dieser
Stoffe in Beziehung zu setzen. Die folgenden Angaben gelten für die molaren
Standard-Entropien bei 298.15 K in Joule pro Kelvin pro Mol, SB (TR ).
4.5.5.1
Anzahl Bindungen
Je mehr Kovalentbindungen ein Atom eingeht, desto geringer ist seine Entropie:
C(Diamant): 2.38;
C(Graphit): 5.74.
In Graphit sind unendlich ausgedehnte Schichten regelmässiger 6-Ecke aus C
mit je drei Kovalentbindungen alternierend mit Schichten delokalisierter
Elektronen angeordnet. In Diamant besteht eine 3-dimensionale
Raumstruktur der C-Atome. Jedes Atom bindet zu 4 Nachbaratomen.
4.5.5.2
Molekülgrösse und -masse
Die Entropie nimmt mit der Atom- oder Molekülmasse zu. Mehr Masse
–
heisst hier auch mehr Grösse (Volumen) und mehr Weichheit der e -Schale:
H (g): 130.68
F (g): 202.78
Cl (g): 223.07
Br (g): 245.46
I (g): 260.69
He(g): 126.15
Ne(g): 146.33
Ar(g): 154.84
Kr(g): 164.08
Xe(g): 169.68
2
4.5.5.3
2
2
2
2
Molekülkomplexität
–1
–1
Die Entropie (in J·K ·mol ) nimmt mit zunehmender Anzahl im Molekül
gebundener Atome zu (Verwandtes Kriterium zu Molekülmasse (-grösse)):
a) O (g): 161.1
O2(g): 205.1
O3(g): 238.9
P4(g): 280.0
b) CH4(g): 186.26 C2H6(g): 229.60
C3H8(g): 269.91
C4H10(g): 310.23
c) NaCl(s): 72.13
MgCl2(s): 89.62
AlCl3(s): 110.67
TiCl4():
d) CuSO4(s): 109
CuSO4·H2O(s): 146 CuSO4·3H2O(s): 225
CuSO4·5H2O(s): 300
a) Anz. gleiche Atome b) Anz. –CH2– c) Anz. Ionen d) Anz. Kristallwasser.
4-17
4
Zweiter Hauptsatz: Entropie
4.5.5.4
Raumanordnung
Räumlich mehr eingeengte Strukturen haben eine grössere Entropie:
trans-2-Buten(g): 296.6;
4.5.5.5
cis-2-Buten(g): 300.9.
Härte
Eigenschaft
S B ( 298 ) / J K mol
1
S B ( 298 ) / J K-1 mol−
Atom
-1
-1
C (Diamant) Al2O3 (Korund) SiO2 (Quarz)
Mohs-Härte
2.38
2.4
Fe2O3(s)
50.9
10.2
41.8
14
87.4
17.5
9
7
?
10
Die Härte einer Substanz wäre ein fast perfektes Mass für Entropievergleiche, meist ist sie jedoch noch mit anderen Eigenschaften kombiniert. Unten
sind deshalb auch Angaben «pro Atom». In den beiden Salzen haben die
Metall-Ionen dieselbe Ladung. Tendenz: zunehmende Ionenradien, und damit
abnehmende elektrostatische Anziehungskräfte zu den Oxoionen, bewirken
kleinere Gitterkräfte und daher geringere Härte des Stoffs:
4.5.6
Entropievergleich verschiedener Reaktionen
4.5.6.1
Lösen von Gasen in Wasser
Das Lösen von Gasen in Wasser führt zu einer starken Abnahme ihrer Entropie. In der relativ stark strukturierten Umgebung des Wassers werden Gasmoleküle geordnet und in ihrer Beweglichkeit deutlich eingeschränkt, ähnlich
wie sie es als Flüssigkeiten wären:
Eigenschaft
CO2
O2
S °(B(g) )/ J K –1 mol−1
213.7
205.1
S ° ( B(aq) ) / J K
117.6
111
–96.1
–91.1
−1
−1
mol
∆ hydS B (g → aq ) / J K−1 mol−1
4.5.6.2
HCl
NH3
He
186.9
192.5
126.2
56.5
111.3
54.4
–130.4
–81.2
–71.8
Anzahl Stoffe im System
Die Reaktionsentropie steigt mit der Anzahl von Stoffen:
N2O4 (g ) → 2 NO2 (g )
∆ rS ° = 175.8 J K−1 mol−1
N2O4 (g ) → N2 + 2O2 (g ) ∆ rS ° = 297.6 J K−1 mol−1
4.5.6.3
Aggregatszustand
Die Entropie nimmt zu, wenn die Produkte in einem «höheren» Aggregatszustand sind als die Reaktanten:
C ( Diamant ) + O2 ( g ) → CO2 ( g )
∆rS ° = +6.2 J K-1 mol -1 ,
trotz kleinerer Anzahl Moleküle rechts!
4.5.6.4
Komplexität
Die Entropie steigt, wenn die Produkte komplexer sind als die Reaktanten:
H2 (g )+ Cl2 (g ) → 2 HCl (g )
∆rS ° = 20.0 J K-1 mol -1 .
Die Vergleiche zeigen, dass sich selbst mit den wenig exakten Begriffen Ordnung und Unordnung, gepaart mit etwas gesundem Menschenverstand, in
vielen Fällen abschätzen lässt, ob eine Substanz oder eine Substanzmischung
weniger resp. mehr Entropie hat als eine andere. Kenntnisse darüber sind
4-18
4.5 Entropie von Stoffen
bequeme Hilfsmittel, um für eine Reaktion oder sonst einen Prozess ohne
Tabellen die Richtung der Entropieänderung abzuschätzen.
4.5.7
Entropie in Stoffmischungen
In einer Stoffmischung von N Spezies trägt jede Spezies einen Anteil bei zur
Gesamtentropie S des Systems. Dieser Entropieanteil von B ist (bei konstantem Druck und konstanter Temperatur) abhängig vom Stofftyp B, seinem
eigenen Stoffmengenanteil xB, und auch von der übrigen Zusammensetzung
der Mischung. So ist z. B. die Entropie pro Mol H2O in reinem H2O anders
als in einer Wasser/Aceton-Mischung und wieder anders als in einer Wasser/
Aceton/Ethanol-Mischung; und bei dieser auch abhängig von den Acetonund Ethanol-Anteilen in der 3-Komponenten Mischung, auch bei gleichem
Anteil xH2O. Diese Zusammensetzungsabhängigkeit des Entropiebeitrags des
Einzelstoffs B auf die Systementropie heisst partielle molare Entropie von B,
SB.
4.5.7.1
Partielle molare Entropie
Die partielle molare Entropie der Spezies B ist die Entropie von B in einer
Stoffmischung. Sie wird bezogen auf ein Mol B und ist also eine molare
Grösse. SB ist eine Funktion des Drucks, der Temperatur und der Zusammensetzung:
S B = S B (p, T, n J ).
(4-20)
Definiert wird die partielle molare Entropie von B als Entropieänderung, des
Systems ( ∂S ), wenn man ihm bei konstantem p und T eine Spur von B
( ∂nB ) zusetzt, ohne dabei die übrige Zusammensetzung nJ≠B zu ändern:
 ∂S 

S B = 
 ∂n B 
p,T ,n
.
(4-21)
J≠ B
Ist B ein reiner Stoff (*), so sind seine partielle molare Entropie und seine
molare Entropie gleich: S B∗ = S m (B ).
4.5.8
Standard-Entropien von Stoffen und von Ionen
Standard-Entropien beziehen sich auf dieselben Standard-Bedingungen, wie
sie im Kapitel zur Enthalpie (Abschnitt 3.7.8.1) beschrieben sind. Die Gleichung (4-17) und die Figur 4.7 sind die Anleitung zur Bestimmung der Standard-Entropie eines Stoffs B bei einer Temperatur T, wenn die Messung unter Standard-Bedingungen ausgeführt wird. Ausgehend von der Entropie bei
null Kelvin misst man in kleinen Temperatur-Schritten die Wärmekapazitäten Cp(T) und trägt den durch T geteilt Wert auf gegen T (oder den Wert
Cp(T) gegen lnT auftragen). Die Fläche unter der Kurve, ab 0 K bis T, entspricht dann der Standard-Entropie von B bei der Temperatur T. Zusätzlich
zu berücksichtigen sind die Entropien all seiner Phasenübergänge
∆trsS B (Ttrs ).
4.5.8.1
Standard-Entropie S°
Entropien die bei Standardbedingungen gemessen wurden und auf dem dritten Hauptsatz basieren, heissen Standard-Entropien S°. Die Entropie, und
somit auch die Standard-Entropie, ist eine extensive Eigenschaft, also von
–1
der Systemgrösse (Stoffmenge) abhängig; sie hat die Einheit J K :
S ° ( B ) = S (p°, T , n B ) = S °(T , nB ) .
(4-22)
4-19
4
Zweiter Hauptsatz: Entropie
4.5.8.2
Molare Standard-Entropien von Substanzen und Spezies
Die auf 1 Mol Stoffmenge bezogene Standard-Entropie reiner Stoffe oder gelöster Spezies (meistens aqueous) in der Standardkonzentration heisst molare
Standard-Entropie der Substanz oder Spezies. Sie ist im Wert identisch zur
partiellen molaren Standard-Entropie. Molare Standard-Entropien haben die
–1
–1
Einheit J·K ·mol :
B
SB°
B
SB°
C(Di.)
2.377
Br2(l)
152.23
Li(s)
K(s)
Cs(s)
Zn(s)
Fe(s)
Hg(l)
29.12
64.18
85.23
41.63
27.28
76.02
H2(g)
N2(g)
F2(g)
He(g)
Ar(g)
Xe(g)
130.68
191.61
202.78
126.15
154.84
169.68
Tabelle 4.3 Partielle molare
Standard-Entropien fester, flüssiger und gasförmiger elementarer Stoffe. Angaben von SB° in
–1
–1
J K mol bei TR.
B
+
H (aq)
+
Li (aq)
+
K (aq)
+
Cs (aq)
2+
Zn (aq)
2+
Fe (aq)
3+
Fe (aq)
SB°
B
0
13.4
102.5
133.1
–112.1
–137.7
–315.9
OH (aq)
–
F (aq)
–
Cl (aq))
–
Br (aq)
–
I (aq)
2–
S (aq)
3–
PO4 (aq)
–
SB°
–10.75
–13.8
56.5
82.4
111.3
–14.6
–221.8
Tabelle 4.4 Partielle molare
Standard-Entropien gelöster Ionen.
–1
–1
Angaben in J K mol bei TR.
o
o
S m,
B = S m, B (p°,T, x B ,cB ) .
4.5.8.3
(4-23)
Partielle molare Standard-Entropie der Spezies B
Weil Standard-Bedingungen die reine Substanz B, oder die ideal verdünnte
Spezies B bei Standardkonzentration, vorschreibt, sind partielle molare bzw.
molare Standard-Entropie Synonyme. Gebraucht werden beide Begriffe. Die
partielle molare Standard-Entropie ist die Standard-Entropie von 1 Mol des
reinen Stoffs B im stabilsten Zustand bei T (s, l, g), resp. der Spezies B(aq)
in wässriger Lösung im Referenzzustand und in der Standard-Konzentration.
Sie ist eine Funktion nur der Temperatur, welche anzugeben ist:
S Bo (T )≡ S m, B = SBo (p°,T, x B,cB ) .
4.5.8.4
(4-24)
Standard-Entropien von Ionen in Lösung
Die partiellen molaren Entropien gelöster Salze in einer Ionenlösung bei
Standard-Bedingungen können gemessen werden, aber es besteht keine Möglichkeit, dem Kation den einen und dem Anion den andern Anteil zuzuordnen. Auch bei der Entropie ist man folglich gezwungen, für eine Ionenspezies
einen Wert fest zu legen, woraus sich dann für alle anderen Ionen in (wässriger) Lösung die Standard-Entropien auf dieser Basis bestimmen lassen.
Die partiellen molaren Standard-Entropien von Ionen in wässriger Lösung
werden angegeben bezüglich der Standard-Entropie des Protons in Wasser,
die null Joule pro Kelvin gesetzt wird, bei allen Temperaturen:
S
( H+, aq ) : = 0 .
(4-25)
Die Werte der molaren Standard-Entropien bei TR einiger Ionen sind in
Tabelle 4. angegeben; weitere Werte sind im Anhang der thermodynamischen Tabellen zu finden.
Man beachte den fundamentalen Unterschied zwischen den Energiegrössen
innere Energie, Enthalpie und Gibbs-Energie einerseits und der Entropie
andererseits. Alle Energiewerte von Stoffen wie von Ionen in Lösung basieren
vollständig auf willkürlichen Festlegungen (Werte von null für die elementaren Stoffe und für das Proton in Lösung), während alle Stoffe über einen
reellen Entropiewert verfügen und nur die Entropie des Protons definiert
werden muss.
Die Reaktionsentropie ∆rS ist genau gleichartig definiert wie die Reaktionsenthalpie ∆rH, die im Kap. 3.7.7 und in der Gleichung (3-31) beschrieben
wurden. Für ein chemisches Reaktionsgemisch in einem geschlossenen System macht es wenig Sinn, die Zusammensetzung über voneinander unabhängige Einzelstoffmengen (nA, …, nJ, …, nN) zu definieren. Sinnvoller ist es,
sie über den stöchiometrischen Mechanismus mit der Reaktionslaufzahl ξ zu
beschreiben.
4-20
4.5 Entropie von Stoffen
4.5.9
Reaktionsentropie bei konstantem Druck und konstanter Temperatur
Wie früher bei der Enthalpie vereinfachen wir die Bedingungen der Entropieänderung, indem wir die äusseren Zustandsvariablen Druck und Temperatur
für den Reaktionsablauf konstant halten (Druckausgleich mit der Atmosphäre und grosse Umgebung konstanter Temperatur des diathermem geschlossenen Systems). Damit vereinfacht sich das totale Differential der Entropieänderung von drei Variablen, wie in Gleichung (4-8), auf eines mit nur der
Reaktionsvariablen ξ: Wir definieren, in Analogie zur Reaktionsenthalpie
∆rH in Gleichung (6-31), die Reaktionsentropie als:
 ∂S 
∆rS : = 
 .
 ∂ξ 
p,T
(4-26)
Es gilt dann für die Entropieänderung wegen einer im System ablaufenden
Reaktion bei konstantem Druck und konstanter Temperatur:
dS = ∆rS dξ .
(4-27)
Die Gleichung (4-27) gilt für eine Reaktion bei beliebigem Druck und beliebiger Temperatur, aber beide müssen konstant bleiben während der Reaktion.
Für Standard-Bedingungen bekommen wir, wie bei der Standard-Reaktionsenthalpie, die Standard-Reaktionsentropie bei der angegebenen Temperatur.
4.6
Standard-Reaktionsentropie
Die Standard-Reaktionsentropie ∆ rS ° (T ) ist die Änderung der Entropie,
wenn Reaktanten im Standardzustand zu Produkten im Standardzustand
umgeformt werden. Berechnet wird sie als Differenz der Summe der (partiellen) molaren Standard-Entropien aller Produkte und der Summe der (partiellen) molaren Standard-Entropien aller Reaktanten bei der angegebenen
Temperatur T:
∆rS°(T ) =
Die Standard-Reaktionsentropie
bei der Temperatur T
Sie ist die Summe der partiellen
molaren Standardentropien mal
stöchiometrische Zahl aller an
der Reaktion beteiligten Spezies.
N
∑ νJ ·SJ (T ).
(4-28)
∆rS ° (T ) Standard-Reaktionsentropie bei T
[ ∆rS ° ] = J K mol .
J=A
–1
Stöchiometrisch Zahl der Spezies J
[ νJ ]
positiv für Produkte, negativ für Reaktanten
νJ
S J (T )
Partielle molare Standard-Entropie
der Spezies J bei T.
[SJ°]
–1
= 1.
S°
–1
= J K molJ
–1
Wir haben mit der Gleichung (4-28) eine beinahe analoge Gleichung wie (329) zur Berechnung der Standard-Reaktionsenthalpie. Für das Rechenverfahren sind die beiden identisch.
Beispiel 4.3
∆rS°
1
nur
Reaktanten
Standard-Reaktionsentropie im Bleiakkumulator
Man berechne die Standard-Reaktionsentropie bei der Stromentnahme aus
dem Bleiakkumulator (Autobatterie). Die Reaktionsgleichung ist:
Pb ( s ) + PbO2 ( s ) + 2 H2SO4 ( aq ) = 2 PbSO4 ( s ) +2 H2O ( l ) .
Daten:
nur
Produkte
Substanz SB (298 )/ J K mol
-1
-1
Substanz SB (298 )/ J K mol
-1
Pb(s)
64.81
Pb SO4(s)
PbO2(s)
68.6
H2O(l)
149
69.91
-1
ξmin
ξ
ξmax
Figur 4.8
Standard-Reaktionsentropie
Graphik zur Gleichung (4-28): ∆rS° ist
die Steigung der Geraden, die von ungemischten Reaktanten über ungemischte
Reaktanten plus ungemischte Produkte,
zu ungemischten Produkten führt.
4-21
4
Zweiter Hauptsatz: Entropie
H2SO4(aq)
20.1
Lösung:
Wir schreiben die Reaktionsgleichung in der
∑ J νJJ = 0 -Form:
− Pb (s ) − PbO2 (s ) − 2 H2SO4 (aq ) + 2 PbSO4 (aq ) + 2 H2O (l ) = 0 .
Berechnung der Reaktionsentropie nach Formel (4-28):
∆rS ° ( 298 ) = − (64.81) − ( 68.6 ) − 2 ( 20.1 ) + 2 ( 149 ) + 2 ( 69.91 )
= 264.21 J K-1 mol -1 .
.
Interpretation
–
Pro mol Stoffumsatz bei der Stromentnahme (207 g Blei, 2 mol e ) nimmt
die Entropie des Systems (Bleiakkumulator) um 264.21 J K
-1
zu. Beim Auf-
-1
laden nimmt die Entropie des Akkumulators ab (–264.21 J K ).
4.7
Entropieänderung – thermische und
stoffliche Gründe
Entropieänderungen in einem System ergeben sich auf Grund zweier sehr
verschiedener Ursachen, wie dies in der Zustandsfunktion der Entropie für
Prozesse bei konstantem Druck kurz genannt wurde. Diese 2 unterschiedlichen Ursachen seien hier zur Verdeutlichung wiederholt:
4.7.1
Wärmeänderung im System
Eine Wärmezufuhr oder -abfuhr erfolgt ohne materielle Änderung im System, also durch ein geschlossenes System, falls dieses über diatherme Grenzen verfügt. Diese Entropieänderung berechnet sich nach der Definition der
Entropie, wie sie in Gleichung (4-4) für einen reversiblen Vorgang ganz allgemein formuliert wurde, und in welcher keine Parameter für Stoffe erscheinen:
δq
dS = rev .
(4-4)
T
Ist das System bei konstantem Druck (und ist nur Volumenarbeit beteiligt),
so ist δq gleich dH und damit wird die Entropieänderung:
dS =
dH rev
T
.
(4-29)
Wenn wir darüber hinaus noch annehmen, das betrachtete System – das
kann auch die Umgebung eines geschlossenen Systems sein (!) – sei sehr gross
im Verhältnis zur Enthalpieänderung, so bleibt die Temperatur (genügend)
konstant. Damit wird die Enthalpieänderung zu einer reversiblen und zu
einer von der Temperatur unabhängigen Grösse dH, was uns eine einfache
Integration der Gleichung (4-29) erlaubt.
Und daraus:
∆S =
∆H
T
(für p, T = konstant).
(4-30)
Dies ist die eine Ursache einer totalen Entropieänderung, die andere ergibt
sich durch eine Änderung der Stoffzusammensetzung.
4-22
4.7 Entropieänderung – thermische und stoffliche Gründe
4.7.3
Zusammensetzungsänderung
Stoffe sind individuelle Träger von Entropie, deren Grösse bei einer bestimmten Temperatur nur durch die Stoffart gegeben ist. Gilt aber vor und
nach der Reaktion dieselbe Temperatur, so ist die Entropieänderung im System nur noch eine Funktion der Stoffzusammensetzung. Bei (konstantem)
Standarddruck p° ergibt sich diese Ursache der Entropieänderung zu dem
nach Gleichung (4-28) berechenbaren Wert der Standard-Reaktionsentropie:
N
∆rS °(T ) =∑ νJ ⋅ SJ (T ) .
(4-28)
J=A
4-23
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