01.07.2002 AORTOKORONARE BYPASSOPERATION OHNE HERZLUNGENMASCHINE Keywords: Take Home Messages Aufschwung dank neuer technischer Hilfsmittel Weniger Komplikationen als nach konventioneller Bypassoperation Ausgeprägte Vorteile bei Hochrisikopatienten Die chirurgische aortokoronare Bypassrevaskularisation wird weltweit an ca. 800'000 Patienten pro Jahr durchgeführt. Sie ist die am häufigsten vorgenommene und am besten dokumentierte Operation überhaupt. Die konventionelle Operationsmethode mit Herzlungenmaschine und Kardioplegie (Herzstillstand) gilt nach wie vor als «gold-standard», an dem sich alle neuen Methoden und Techniken zu messen haben. Komplikationen nach konventioneller Bypasschirurgie Nach konventioneller aortokoronarer Bypassoperation (ACB) treten bei mehr als einem Viertel aller Patienten Komplikationen auf, die die Morbidität und Mortalität erhöhen und beträchtliche Kosten verursachen. Zu den wichtigen Komplikationen zählen Herzrhythmusstörungen (Vorhofflimmern bei ca. 30 Prozent der Patienten), vermehrter Blutverlust und entprechend erhöhter Verbrauch von Fremdblut, Infektionen (respiratorische Infekte, Septikämien ausgehend von intravasalen Kathetern, Sternuminfekte), perioperative myokardiale Infarzierung und Nierenversagen sowie zerebrovaskuläre Insulte und neurokognitive Dysfunktionen. Für schwere zerebrovaskuläre Insulte beträgt die Inzidenz ca. 3 Prozent und die Mortalität 20 Prozent. Kognitive Dysfunktionen wie Störungen von Gedächtnis, Psychomotorik, Aufmerksamkeit oder Sprache treten sogar bei 40 bis 60 Prozent der Patienten auf. Zum Teil stehen diese Komplikationen in Zusammenhang mit der Komorbidität und dem Risikoprofil der Patienten, zu einem weiteren Teil sind sie der Operationstechnik anzulasten: einerseits der extrakorporellen Zirkulation, die das Blut mit dem Schlauch- und Oxygenatorsystem der Herzlungenmaschine in Kontakt bringt und dadurch das Risiko systemischer entzündlicher Reaktionen mit Endorgan-Dysfunktionen erhöht, andererseits aber auch der Manipulation der Aorta, die eine Embolisation aus atherosklerotischen Plaques auslösen kann. Dieser Teil der Komplikationen wäre demnach durch eine veränderte Operationstechnik zu vermeiden, bei der auf Herzlungenmaschine, Kanülation und Aortenabklemmung verzichtet wird. Abb. 1: Bypassoperation am schlagenden Herzen. a: Der Spreizer dient als Haltevorrichtung für den «Octopus» (1), der das Operationsfeld mittels kleiner Saugnäpfe immobilisiert, und eine «Saugglocke» (2), mit deren Hilfe das Herz in die gewünschte Position gebracht wird. www.just-medical.de © just-medical! 1 b/c/d:Während die Anastomosennaht genäht wird, gewährleistet ein intrakoronarer Shunt den koronaren Blutfluss. Operation ohne Herzlungenmaschine Mit der Off-Pump-Coronary-Artery-Bypass- Grafting-(OPCAB)-Chirurgie, der aortokoronaren Revaskularisation am schlagenden Herzen ohne Herzlungenmaschine, soll dieses Ziel erreicht werden. Der Zugang erfolgt wie bei der konventionellen Operation durch eine vollständige Sternotomie, womit alle Koronargefässe erreichbar sind. Als fundamentales Prinzip der chirurgischen Behandlung gilt auch bei der OPCAB-Technik die komplette Revaskularisation aller ischämischen Myokardareale. Die wichtigsten Probleme der OPCABChirurgie sind: - Erschwerte Anastomosennaht am schlagenden Herzen - Behinderte Sicht durch Blutfluss in den Koronargefässen - Kompromittierte Hämodynamik bei der Darstellung posterolateraler und inferiorer Myokardareale - Risikoreiche tangentiale Ausklemmung der Aorta für proximale Bypass-Anastomosen Neue technische Hilfsmittel Den Hauptimpuls für die schnelle Verbreitung der Bypassoperation am schlagenden Herzen gab die Entwicklung mechanischer Stabilisatoren. Mit Hilfe dieser Geräte kann ein kleiner Teil der Herzoberfläche weitgehend immobilisiert werden, während das restliche Herz eine uneingeschränkte Pumpleistung erbringt. Die epikardialen Stabilisatoren immobilisieren das Operationsfeld durch Kompression und /oder durch Sog. Dabei wird die epikardiale Oberfläche durch mehrere kleine Saugnäpfe fixiert und auf einer Fläche von ca. 4 x 5 cm stillgelegt. Für die Drosselung des koronaren Blut- flusses werden verschiedene Gefässschlingen verwendet, die leider alle die Gefahr einer Endothelläsion mit sich bringen. Intrakoronare Shunts erlauben einen koronaren Blutfluss, während die Anastomosennaht genäht wird. Als sehr hilfreich und effizient haben sich Spülsysteme erwiesen, die mittels CO2-Insuf- flation oder «Sprühnebel» eine begrenzte lokale Blutleere erzeugen. Die Luxation des Herzens für den Zugang zu posterioren und inferioren Koronargefässen erfolgt mit Hilfe perikardialer Haltefäden oder eines zusätzlichen mechanischen Stabilisators. Dieser fixiert mittels einer Art Saugglocke die Herzspitze, die nun über einen beweglichen Arm in jede gewünschte Position gebracht werden kann. Die anästhesiologische Überwachung («on-line monitoring») aller hämodynamischen Parameter mittels Pulmonaliskatheter und transösophagealer Echokardiographie ist dabei von entscheidender Bedeutung. Nur so kann eine wesentliche Beeinträchtigung der Hämodynamik vermieden werden. Bei Patienten mit hohem Risiko (therapiebedürftige Linksherzinsuffizienz, Auswurffraktion des linken Ventrikels Anastomosengeräte (Stapler), die derzeit in klinischer Erprobung stehen, sollen künftig das Anlegen der Bypassanastomosen erleichtern. Für die proximale Anastomose muss die Aorta nicht mehr ausgeklemmt werden. Studien und Ergebnisse Der erste koronare Bypass ohne extrakorporelle Zirkulation wurde 1964 durch Kolesov erfolgreich durchgeführt. Er anastomosierte die linke A. mammaria interna auf den RIVA. Bereits in den achtziger Jahren berichteten Buffalo und Benetti aus Südamerika über 1000 Bypassoperationen am schlagenden Herzen mit Zugang durch eine Sternotomie. Hier waren es vor allem ökonomische Gründe, welche eine Operationstechnik ohne Verwendung der teuren Herzlungenmaschine forderten. Seither hat die OPCAB-Technik dank neuer technischer Hilfsmittel einen starken Aufschwung erlebt. Zahlreiche Studien mit teilweise mehr als 1000 Patienten konnten Sicherheit und Vorteile dieser Methode bestätigen. www.just-medical.de © just-medical! 2 und Vorteile dieser Methode bestätigen. In einer 1996 publizierten Studie wurden die Frühergebnisse von über 500 OPCABEingriffen mit den Ergebnissen von 3000 konventionellen Revaskularisationen verglichen. Die Vorteile der OPCAB-Methode gegenüber der ACB-Technik erwiesen sich dabei als signifikant: Mortalität 1,7 vs. 3,8 Prozent, Arrhythmie 5,5 vs. 12,6 Prozent, zerebrovaskulärer Insult 1,1 vs. 3,8 Prozent und Bluttransfusionen 30 vs. 55 Prozent. Das relative Risiko eines zerebrovaskulären Insultes gegenüber der On-pump-Technik betrug 0,47. Eine nach Risiko stratifizierte Vergleichsstudie (680 Off-pump- vs. 1733 On-pump- Operationen) ergab für die OPCAB-Methode ebenfalls eine geringere Mortalität und Morbidität mit einem relativen Risiko von 0,52 respektive 0,56 sowie eine kürzere Hospitalisationsdauer und geringere Gesamtkosten. Ähnlich günstige Ergebnisse der OPCAB-Technik erbrachte eine kontrollierte Vergleichsstudie bei älteren Patienten (>75 Jahre). Auch die Daten der Society of Thoracic Surgeons aus den Jahren 1998 und 1999, die 106'423 On-pump- und 11'717 Off-pumpOperationen umfassen, bestätigen die Überlegenheit der OPCAB-Technik mit einer Mortalität von 2,32 statt 2,94 Prozent, einer Komplikationsrate von 9,24 statt 12,15 Prozent und einer deutlich kürzeren Hospitalisationsdauer. Hervorzuheben ist, dass mit der Off-pump-Revaskularisation eine signifikante Verminderung neurologischer Schädigungen und pulmonaler Komplikationen erreicht wurde. Oftmals wurden technische Schwierigkeiten und eine mutmasslich bedeutende «learning- curve» als Argument gegen diesen Eingriff ins Feld geführt. Eine klinische Studie mit 980 Patienten konnte jedoch belegen, dass die Methode lernbar ist: Die kurz- und mittelfristigen Resultate fielen bei Chirurgen in Ausbildung und unter Supervision ebenso gut aus wie bei erfahrenen Chirurgen. Ein bedeutender Parameter zur Beurteilung von Revaskularisationsoperationen ist die angiographisch ermittelte Durchgängigkeitsrate der Anastomose zwischen RIVA und linker A. mammaria interna. In mehreren OPCAB-Studien wurden Durchgängigkeitsraten zwischen 95,4 und 98,8 Prozent ermittelt, was Werten nach On-pump-Revaskularisationen entspricht. Wichtig ist ferner die Erkenntnis, dass die Vorteile der OPCAB im Vergleich zur konventionellen Bypassoperation bei Hochrisikopatienten ausgeprägter sind als bei Patienten mit geringem Risiko. Zusammenfassend bietet die OPCABTechnik den maximalen Benefit für Hochrisikopatienten bei kompletter Revaskularisation und unter Verwendung arterieller Grafts. Die OPCAB hat sich in allen herzchirurgischen Abteilungen der Hirslanden Kliniken als erfolgreiche neue Operationsmethode etabliert. Sie wird dort jährlich bei ca. 200 Patienten (in der Klinik Beau-Site bei ca. 50 Patienten) angewandt, was etwa 20 Prozent aller isolierten Koronarrevaskularisationen entspricht. Diese Zahlen stehen im Einklang mit den Erfahrungswerten in Europa und den USA. Der prozentuale Anteil der OPCAB-Eingriffe steigt stetig an und dürfte im Lauf der nächsten drei Jahre ca. 30-50 Prozent erreichen. Kontraindikationen Bisher haben sich folgende Kontraindikationen für einen Eingriff am schlagenden Herzen herausgebildet: dekompensierte Herzinsuffizienz mit deutlicher Herzvergrösserung, schwere ventrikuläre Arrhythmien, schwer verkalkte und tief intramyokardial verlaufende Koronararterien. Zusammenfassung: Vorteile der OPCAB-Technik Den eingangs erwähnten technischen Problemen der OPCAB-Technik stehen zusammenfassend die folgenden Vorteile gegenüber: - Tiefere Mortalität - Geringere Morbidität - Weniger neurologische Schädigungen - Weniger Fremdblut notwendig(bessere Hämostase, Aprotinin unnötig) - Weniger respiratorische Komplikationen - Nierenfunktion besser erhalten - Keine myokardiale Ischämie: CK-MB- und Troponin I-Werte tiefer - Weniger positiv inotrope Medikamente notwendig - Pharmakokinetik von Medikamenten besser kontrollierbar: keine Verdünnung durch Füllvolumen der HLM, kein Medikamenten-Uptake durch Herzlungenmaschine, weniger Volumenverschiebung - Keine Aktivierung der Komplementkaskade und kein SIRS (Systemic Inflammatory Reaction Syndrome) ausgelöst durch die Herzlungenmaschine - Kürzere Hospitalisation - Geringere Gesamtkosten PD Dr. med. Urs Niederhäuser HerzZentrum Bern Klinik Beau-Site, Bern Redaktion: just-medical! www.just-medical.de © just-medical! 3 Referenz www.just-medical.de © just-medical! 4