11PS - KINEMATIK P. Rendulić 2011 GERADL. GLEICHM. BESCHL. BEWEGUNG 19 3.9 Freier Fall Der freie Fall ist ein Sonderfall der geradlinig gleichmäßig beschleunigten Bewegung, bei dem sich ein Körper nur unter dem Einfluss der Schwerkraft (Gravitation) bewegt. Insbesondere die Luftreibung spielt beim freien Fall keine Rolle (daher die Bezeichnung „frei“), sie wird also vernachlässigt. Beim freien Fall beginnt diese Bewegung aus einer Ruhelage aus, also ohne Anfangsgeschwindigkeit; andernfalls handelt es sich um einen Wurf. Der freie Fall kann in vertikalen luftleeren Wegstrecken realisiert werden (z. B. in Fallröhren oder Falltürmen). Beim freien Fall ist die Beschleunigung a gleich der Fallbeschleunigung g (auch Schwerebeschleunigung oder Erdbeschleunigung genannt). Auf der Erde beträgt sie im Mittel g = 9,81 m/s2 (der Wert wird gleich verifiziert). 3.9.1 Experimentelle Bestimmung der Erdbeschleunigung Um die Fallbeschleunigung der Erde zu bestimmen wird die Falldauer einer Stahlkugel für verschiedene Fallhöhen bestimmt. Versuchsaufbau und Durchführung O 0.000 START STOP h s Die Kugel hängt zunächst an einer Halterung. Zum Starten der Fallbewegung wird die Startvorrichtung der Halterung betätigt um die Kugel loszulassen; dabei wird gleichzeitig der Digitalzähler Z gestartet. Nach dem Durchfallen der Stecke s (entsprechend der Fallhöhe h) trifft die Kugel auf einen Fangbecher, der einen Kontakt betätigt und den Zähler Z stoppt. Der Zähler Z misst also die Falldauer t. Die Messung wird durch Verschieben der Startvorrichtung für verschiedene Fallhöhen durchgeführt. Für jede Fallhöhe h wird fünfmal die Zeit t gemessen und der Mittelwert tm errechnet. Der Graph für das Weg-Zeit-Gesetz des freien Falls, das Weg-Zeit-Diagramm, wird in einem st- und in einem s-t2-Koordinatensystem gezeichnet. 11PS - KINEMATIK 3.9.2 P. Rendulić 2011 GERADL. GLEICHM. BESCHL. BEWEGUNG 20 Messwertetabelle (mit Beispielwerten) s (m) 0 0,10 0,20 0,30 0,40 0,50 0,60 - 0,1427 0,2015 0,2470 0,2850 0,3191 0,3501 - 0,1428 0,2016 0,2469 0,2852 0,3191 0,3490 - 0,1430 0,2020 0,2471 0,2858 0,3195 0,3491 - 0,1426 0,2021 0,2465 0,2857 0,3196 0,3495 - 0,1428 0,2020 0,2475 0,2856 0,3192 0,3498 tm (s) 0 0,1428 0,2018 0,2470 0,2855 0,3193 0,3495 tm2 (s2) 0 0,0204 0,0407 0,0610 0,0815 0,1020 0,1222 t (s) 3.9.3 Graphiken s-t2-Diagramm s-t-Diagramm s (m) 0,6 s (m) 0,6 0,5 0,5 0,4 0,4 0,3 0,3 0,2 0,2 0,1 2 s = 4,9095 t 0,1 t (s) 0 t2 (s2) 0 0 0,1 0,2 0,3 0 0,02 0,04 0,06 0,08 0,1 0,12 0,14 3.9.4 Ergebnis Der sich im s-t2-Koordinatensystem ergebende Kurvenzug ist eine Gerade durch den Koordinatenursprung: Es handelt sich also um eine gleichmäßig beschleunigte Bewegung mit Beschleunigung a. Die Steigung der Regressionsgeraden entspricht also k= 1 a 2 und a = g = 2k . Die Bestimmung der Steigung ergibt k = 4,9095 m/s2, womit sich folgender Wert für die Erdbeschleunigung ergibt: 11PS - KINEMATIK P. Rendulić 2011 GERADL. GLEICHM. BESCHL. BEWEGUNG g = 9,81 21 m s2 Des weiteren entspricht der sich im s-t-Koordinatensystem ergebende Kurvenzug einer Parabel. Dies erlaubt uns, die bereits bekannten Gesetze der geradlinig gleichmäßig beschleunigten Bewegung im Fall des freien Falls anzuwenden. 3.9.5 Fallgesetze (nach Galileo Galilei) Die Fallgesetze werden gefunden, indem man die bekannten Gesetzte der geradlinig gleichmäßig beschleunigten Bewegung für die Fallbeschleunigung anwendet. • Die Fallgeschwindigkeit v wächst proportional mit der Fallzeit t: v = g ⋅t • Die durchfallene Strecke h, der Fallweg, wächst proportional zu t2: h= • 1 ⋅ g ⋅t2 2 Durch Kombination beider vorherigen Gleichungen lässt sich die Fallgeschwindigkeit v bei der Fallhöhe h bestimmen: 2 ⎛v ⎞ v 1 1 v2 v = g ⋅ t ⇔ t = ⇒ h = ⋅ g ⋅ ⎜⎜ ⎟⎟ ⇔ h = ⋅ ⇔ v = 2⋅g ⋅h 2 2 g g ⎝g⎠ v = 2⋅g ⋅h • Die zentrale Aussage der Fallgesetze lässt sich wie folgt zusammenfassen: Weder Fallweg noch Fallgeschwindigkeit hängen von der Masse oder der Form des fallenden Körpers ab. Ohne Luftwiderstand fallen alle Körper gleich. Diese Feststellung wird später anhand des 2. Gesetzes nach Newton hergeleitet werden. 3.9.6 Fallbeschleunigungen Fallbeschleunigung g in m/s2 bei Himmelskörpern (bezogen auf die Oberfläche) Merkur 3,82 Saturn 10,4 Venus 8,83 Uranus 9,42 Erde 9,81 Neptun 11,3 Mars 3,73 Sonne 274 Jupiter 24,6 Mond 1,63 Die angegebenen Werte gelten nur in Nähe der Oberfläche der angegebenen Himmelskörper. Die Fallbeschleunigung nimmt mit zunehmender Höhe ab. Ist die Fallhöhe zu groß, so ist die Fallbeschleunigung während des Falls nicht konstant. 11PS - KINEMATIK 3.10 P. Rendulić 2011 GERADL. GLEICHM. BESCHL. BEWEGUNG 22 Aufgaben 3.10.1 Freier Fall a. Ein Körper wird in einer gewissen Höhe losgelassen. Nach 5 Sekunden trifft er auf dem Boden auf. Wie groß ist die Fallhöhe? b. Mit welcher Geschwindigkeit trifft ein Springer vom 10-Meter-Turm auf der Wasseroberfläche auf? 3.10.2 Fallschirmsprung a. Angenommen ein Fallschirmspringer fällt ohne Luftwiderstand nach unten. Welche Geschwindigkeit hätte er dann nach 2 000 m Fall erreicht? b. Welche Geschwindigkeit erreicht er tatsächlich? c. Wie kann ein Fallschirmspringer vor dem Öffnen des Schirms seine Sinkgeschwindigkeit erhöhen bzw. verringern? d. Skizziere das v-t-Diagramm und das s-t-Diagramm für einen vollständigen Fallschirmsprung (unter Berücksichtigung des Luftwiderstandes). 3.10.3 Tiefe eines Schachtes Um die Tiefe eines Schachtes zu bestimmen, lässt man einen Stein fallen. Nach einer Zeit von 4,6 Sekunden nach dem Loslassen hört man seinen Aufschlag. a. Wie tief ist der Schacht unter Vernachlässigung der Laufzeit des Schalls? b. Wie groß ist die Schachttiefe unter Berücksichtigung einer Schallgeschwindigkeit von 340 m/s? 3.10.4 Fliegende Melone Eine Melone wird aus einem Hubschrauber aus einer Höhe von 150 m fallen gelassen. a. Nach welcher Zeit wird sie am Boden auftreffen? b. Wie groß ist dann die Aufschlaggeschwindigkeit?