GESUNDHEIT Ernährung Foto: Irisblende.de Vegi oder nicht Vegi Ernährung GESUNDHEIT – das ist die Frage Wenig oder kein Fleisch essen, ist in Mode. Die Gründe für den Verzicht sind vielfältig. Doch taugt die Gesundheit nicht als Argument für eine vegetarische Kost. Text: Ulrike Gonder E s gibt viele Gründe, warum sich Menschen vegetarisch ernähren. Sie reichen von religiösen oder philosophischen Betrachtungen über ökologische Motivationen bis hin zu ethischen Überzeugungen. Denn es ist die persönliche Entscheidung jedes Menschen, ob und welche tierischen Lebensmittel auf seinem Speiseplan stehen. Allerdings empfehlen immer mehr Ernährungsorganisationen eine überwiegend vegetarische Kost, und zwar vorrangig aus gesundheitlichen Gründen. Doch ob jemand Fleisch isst oder nicht, sagt nichts darüber aus, ob er sich gesund ernährt. Zweifellos können wir uns heute mit und ohne Fleisch gesund ernähren – mit Fleisch ist dies meist einfacher und offenbar auch artgerechter für den Menschen. Doch muss man keineswegs Fleisch essen, um sich alle nötigen Nährstoffe zuzuführen. Ob mit oder ohne Fleisch, es gilt: Die Ernährung kann unausgewogen und also ungesund sein. Und: Viele junge Frauen verstecken ein gestörtes Essverhalten oder übermässiges Diäthalten gerne hinter einer vegetarischen Ernährung. Was gegen Fleisch spricht – oder auch nicht Die meisten Ernährungsorganisationen empfehlen heute eine mehr oder weniger starke Zurückhaltung bei tierischen Lebensmitteln. Das einst als «Stück Lebenskraft» beworbene Fleisch wird nun für allerlei Krankheiten verantwort- lich gemacht, sei es wegen des vermeintlich hohen Fettgehaltes oder wegen Rinderwahnsinn. Wer in der wissenschaftlichen Literatur nach handfesten Belegen dafür sucht, wird jedoch kaum fündig. Es gibt bis heute keinen Beleg dafür, dass Fleischgenuss per se das Risiko für Krebs, Schlaganfälle, Herzinfarkte oder Übergewicht erhöht. Beim Schlaganfall deuten sogar mehrere Studien an, dass ein erhöhter Konsum tierischer Lebensmittel mit einem geringeren Risiko einhergeht. Dafür wird neben dem Cholesterin unter anderem das tierische Eiweiss verantwortlich gemacht. Zwar sehen Fleischgegner in genau diesem Eiweiss einen Auslöser der Knochenkrankheit Osteoporose und für Nierenerkrankungen, doch auch für diese Behauptungen fehlen die Belege oder aber sie sind überholt. So gibt es keine Hinweise darauf, dass ein gesunder Mensch durch tierisches Eiweiss nierenkrank wird. Zudem zeigt sich in immer mehr Studien – durchgeführt mit Senioren –, dass etwas mehr Eiweiss nicht nur günstig für die Cholesterin- und Fettwerte ist, sondern zusammen mit einer reichlichen Mineralstoffversorgung auch vor Osteoporose schützt. Fleisch ist fettarm Eine höhere Eiweisszufuhr scheint sogar für das Abnehmen günstig zu sein. Eiweiss sättigt nämlich am besten und regt die Wärmebildung des Körpers am stärksten an. Tierische Eiweissquellen Natürlich | 6-2005 7 GESUNDHEIT Ernährung Ernährungswissenschaft irrte sich Gleiches gilt für das Cholesterin in tierischen Lebensmitteln und für die Qualität der tierischen Fette, die im Übrigen wie Pflanzenfette eine Mischung aus gesättigten und ungesättigten Fettsäuren darstellen. Die besonders langkettigen Omega3-Fettsäuren EPA und DHA schützen Herz und Gefässe, hemmen Entzündungen, sind für Nervenzellen unentbehrlich und kommen in nennenswerter Menge nur in tierischen Lebensmitteln vor. Die pflanzliche Omega-3-Fettsäure ALA wird vom Menschen nur sehr begrenzt in EPA und DHA umgewandelt. Wer gar keine tierischen Fette isst, bekommt daher möglicherweise zu wenig langkettige Omega-3-Fettsäuren. Zudem erschienen kürzlich die Ergebnisse von zwei grossen Beobachtungsstudien mit Tausenden von Teilnehmern, eine aus den USA und eine aus Finnland. In keiner der Arbeiten wurde ein Zusammen8 Natürlich | 6-2005 hang zwischen tierischen oder gesättigten Fetten und dem Auftreten von Herzinfarkten gefunden. Die beiden Studien bestätigen die Ergebnisse der meisten früheren Studien. Warum wird darüber nicht berichtet? Vielleicht liegt es daran, dass die Ernährungswissenschaft nicht gerne zugeben mag, dass sie sich beim Thema gesättigte Fette jahrzehntelang geirrt und die Menschen falsch beraten hat. Hormone auch im Gemüse Nur der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass natürlich auch pflanzliche Lebensmittel Rückstände und Hormone enthalten, Umweltgifte anreichern und Unverträglichkeiten auslösen können. Hier besteht kein prinzipieller Unterschied zwischen Nahrung vom Tier und Nahrung von der Pflanze. Dennoch erfahren die pflanzlichen Lebensmittel derzeit eine nie gekannte Wertschätzung. Obst, Gemüse und Vollkorngetreide gelten geradezu als Garanten für die Gesundheit überernährter Wohlstandsbürger. Sie liefern neben Vitaminen, Mineralstoffen und Ballaststoffen noch so genannte sekundäre Pflanzenstoffe, die alle zum Gesundbleiben beitragen. Mindestens fünfmal täglich Obst und Gemüse, so die Devise, und wir könnten neben vielen Krebsleiden auch Herzinfarkt, Schweinhaltung – Wunsch… Foto: Irisblende.de liefern zudem eine Reihe wichtiger Mineralien wie Calcium, Eisen, Zink und Selen in einer für den Körper besonders gut verwertbaren Form. Vergessen wird auch gerne, dass tierische Lebensmittel sehr gute Vitaminlieferanten sind, zum Beispiel für die Vitamine D, B1, B2 und B6 oder für die Vitamine A und B12. Letztere kommen in nennenswerter Menge nur in tierischen Lebensmitteln vor. Ausnahmen bilden manche Sanddornbeeren sowie Brot aus Roggensauerteig. Auf Innereien verzichten auch viele Fleischesser; dabei liefern sie sogar Vitamin C und Folsäure. Zu alldem kommt, dass schieres Fleisch entgegen allen hartnäckigen Gerüchten kaum Fett enthält. Die mageren Stücke, die von den meisten Zeitgenossen bevorzugt werden, liefern zwischen 2 und 5 Prozent Fett und gehören damit zu den fett- und kalorienarmen Lebensmitteln – egal, ob Huhn, Schwein, Rind oder Pute. Wer beim Geflügel die Haut mitverzehrt, vom Schwein am liebsten den Bauch und vom Rind durchwachsene Stücke mag, der nimmt natürlich mehr Fett auf. Doch auch hier fehlen Belege dafür, dass solche Vorlieben in irgendeiner Weise krank machen – sofern die Ernährung insgesamt nicht zu üppig oder zu einseitig ist. Schlaganfall und Diabetes entgehen. Belege für diese Ansicht gibt es allenfalls beim Herzinfarkt. Ausserdem schliesst das eine das andere nicht aus: Man kann auch zu Fleisch, Fisch und Wurst genügend Obst und Gemüse essen. Macht uns also ein Verzicht auf Fleisch wirklich gesünder? Vegetarier ist nicht gleich Vegetarier Die zahlreichen Varianten vegetarischer Kostformen erschweren die Vergleichbarkeit von Vegetarierstudien und machen eine pauschale Aussage über den gesundheitlichen Wert vegetarischer Ernährung unmöglich (siehe Kasten). So verzichten Ovo-lacto-Vegetarier zwar auf Lebensmit- Foto: Irisblende.de Frischprodukte: Der Markt bietet den idealen Ort, um biologisches Gemüse einzukaufen. tel von toten Tieren, verzehren jedoch Eier (ovo) sowie Milch und Milchprodukte (lacto). Ihre Nährstoffversorgung ist in der Regel gut, denn Ei und Milch gleichen aus, was durch den Verzicht auf Fleisch mangelt oder fehlt: hochwertiges Eiweiss, gesunde Fette wie Omega-3-Fettsäuren und die Vitamine B12, D und A. Eisen, Zink und Magnesium müssen Ovo-lacto-Vegetarier durch pflanzliche Quellen ergänzen, zum Beispiel durch Vollkorngetreide, Nüsse und grünes Gemüse. Manche Vegetarier sind zugleich Rohköstler; sie essen also nichts Erhitztes. Andere wieder essen ausschliesslich Früchte. Beides erschwert die Nährstoffversorgung und erfordert gute Kenntnisse über die Gehalte der Lebensmittel. Bei Vollwert-Köstlern, die besonderen Ernährung GESUNDHEIT Wert auf Bio-Lebensmittel und geringe Verarbeitung legen, finden sich sowohl Vegetarier, Veganer als auch Menschen mit geringem Fleisch-, Fisch- und Wurstkonsum. Es gibt sogar Vegetarier, die sich keineswegs um eine besonders gesunde Ernährung bemühen; sie beissen nicht in Fleisch und Wurst, essen aber ansonsten alles, was der Markt an Gutem und Schlechtem zu bieten hat. Sie werden landläufig als «Pudding-Vegetarier» bezeichnet und gelten als nicht besonders gesundheitsbewusst. Veganer schliesslich essen überhaupt nichts Tierisches, nicht einmal Honig. Bei ihnen ist eine ausreichende Zufuhr an Nährstoffen deutlich schwieriger zu erreichen als etwa bei Ovo-lacto-Vegetariern. Vegan? Nur mit Nahrungsergänzung Erst recht wegen des derzeitigen Modetrends darf nicht übersehen werden, dass vegetarische Ernährung – übertrieben oder falsch angewendet – auch Risiken birgt: Vor allem bei veganen Kostformen kommt es immer wieder zu Problemen. Neben möglichen Engpässen bei Calcium, Eisen, Zink, Vitamin A, D, B2, Protein und Omega-3-Fettsäuren sind Mängel bei Iod und Vitamin B12 vorprogrammiert. Bei asiatischen Frauen, die sich viele Jahre lang Foto VGT/Erwin Kessler …und Wirklichkeit sind weit voneinander entfernt. vegan ernährten, war die Knochendichte vermindert und damit das Risiko für Osteoporose erhöht. Eine ausreichende Nährstoffversorgung gelingt Veganern nur durch Vitamin- und Mineralstoffzusätze. Wer sich die nicht leisten kann oder will, riskiert Mangelkrankheiten, die bei Kindern zu Entwicklungsstörungen, verringertem Wachstum und eingeschränkter Intelligenz führen können. Für Kinder, Schwangere und Stillende kann eine vegane Kost daher keinesfalls empfohlen werden, auch wenn amerikanische und kanadische Ernährungsorganisationen zu dem Schluss kamen, dass sich selbst diese streng vegetarische Kost für alle Lebensphasen eigne. Wer den Bericht genau liest, sieht, dass immer von sorgfältig geplanten vegetarischen Kostformen die Rede ist. Diese Planung schliesst den Verzehr von künstlich angereicherten Lebensmitteln und die Einnahme von allerlei Vitamin- und Mineralstoffpräparaten ein. Damit stellt die vegane Kost keine naturgemässe Form der menschlichen Verpflegung dar. Sie ist in den modernen Wohlstandsgesellschaften nur deswegen möglich, weil entsprechende Nährstoffergänzungen zur Verfügung stehen. Für Schwangere problematisch Doch auch weniger strenge Vegetarier können sich Ernährungsprobleme einhandeln; zum Beispiel wenn sie zu viel Rohkost oder Vollkorngetreide essen. Beides ist für den menschlichen Darm relativ schwer verdaulich. Zu viel Rohkost kann zu Blähungen und Zahnschäden führen, zu Darmschäden und Arthritis sowie zum Ausbleiben der Monatsregel. Vollkornprodukte enthalten unter anderem Phytin, das die Verwertung von Vitaminen und Mineralstoffen einschränkt. So kann es unter vegetarischer Ernährung zu verzögerter Wundheilung kommen, vermutlich durch Zinkmangel. Dennoch wird die ovo-lacto-vegetabile Kost nicht nur als besonders gesund angesehen, sondern auch als ausreichende und ausgewogene Ernährungsform für Schwangere. Ein europäisches Forscherteam widersprach dieser Beurteilung nun vehement. Man hatte die Essgewohnheiten von rund 100 gesunden Schwangeren ermittelt. Von den langjährigen Ovo-lacto-Vegetarierinnen Natürlich | 6-2005 9 GESUNDHEIT Ernährung wiesen rund 40 Prozent zu niedrige Vitamin-B12-Spiegel auf. Bei den Wenig-Fleischesserinnen (Maximum 2 Portionen pro Woche) waren es nur 9 Prozent und bei den Gemischtköstlerinnen 3 Prozent. Niedrige Vitamin-B12-Gehalte im Blut der Schwangeren erhöhen das Risiko für schwere Defekte beim Kind (Neuralrohrdefekte, offener Rücken) und für andere Schwangerschaftskomplikationen. Bei den Müttern kann es zu Blutarmut (Anämie), zu neurologischen Störungen und zu Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit kommen. Auch nach der Geburt bleibt ein Risiko: Gestillte Neugeborene, deren Mütter nur geringe Vitamin-B12-Speicher im Körper haben, zeigen häufig Entwicklungsstörungen, sie bleiben im Wachstum zurück und können an einer Anämie erkranken. Die zitierte Studie ist zwar klein, die Autoren fordern angesichts ihrer Daten jedoch dringend, die bisherigen Empfehlungen für Vitamin B12 in der Schwangerschaft zu erhöhen. Die Schweizerische Vereinigung für Ernährung empfiehlt Schwangeren derzeit 3,5 Mikrogramm (Millionstel Gramm) Vitamin B12 täglich. Die Ovo-lacto-Vegetarierinnen dieser Studie kamen im Durchschnitt nur auf 2,5 Mikrogramm Vitamin B12 pro Tag, die Gemischtköstlerinnen dagegen auf 5,3 Mikrogramm. Die Wenig-Fleischesserinnen lagen mit 3,8 Mikrogramm dazwischen. Vegetarier leben gesünder Angesichts dieser Erkenntnisse fragt man sich, wie die Vegetarier zu ihrem guten Ruf in Sachen Gesundheit kamen? Zunächst: In den meisten vergleichenden Studien finden sich alle Varianten des Vegetarismus in einer Gruppe. Die dabei gefundenen Vor- und Nachteile, die für den Gruppendurchschnitt ermittelt wurden, müssen also keineswegs auch für exotische oder einseitige vegetarische Kostformen zutreffen. Der bedeutendste Knackpunkt der meisten bisher durchgeführten Vegetarier-Studien liegt jedoch in der Vergleichsgruppe: Denn Vegetarier unterschieden sich von Otto-Normalbürger keineswegs nur im (weit gehenden) Verzicht auf Fleisch, Fisch und Wurst, sondern pflegen einen insgesamt gesünderen Lebensstil. Der macht sich deutlich bemerkbar. Vergleicht man Vegetarier mit der Durchschnittsbevölkerung, schneiden sie in punkto Gesundheit tatsächlich viel besser ab: Sie erleiden weniger Herzinfarkte, bekommen weniger häufig Krebs und Diabetes und haben eine höhere Lebenserwartung. Doch liegt das Salat: Eine ausgewogene Ernährung darf neben Gemüse und Salat ruhig auch Fleisch enthalten. am Fleischverzicht? Oder vielleicht am grösseren Gemüseverzehr? Oder an beidem? Oder an anderen Merkmalen ihrer Lebensführung, die mit der Ernährung überhaupt nichts zu tun haben? Moderate Vegetarier leben länger Eine Aufschlüsselung der Ergebnisse zeigt, dass die gesundheitlichen Vorteile zu einem grossen Teil darauf zurückzuführen sind, dass die meisten Vegetarier nicht rauchen. Damit sinkt nicht nur die Lungenkrebsrate, sondern auch das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Auch in vielen anderen gesundheitsrelevanten Punkten unterscheiden sich Vegetarier vom Bevölkerungsdurchschnitt: Sie wiegen weniger, bewegen sich mehr und gehören höheren sozialen Schichten an. Eine deutsche Studie ergab beispielsweise, dass Menschen, die einen solchen Lebensstil mehr als 20 Jahre lang beibehielten, ihr Sterberisiko im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt um die Hälfte 10 Natürlich | 6-2005 Vegetarier leben länger, weil sie meist auch bewusster leben, weniger rauchen, trinken und schlanker sind zeigte sich jedoch kein Vorteil, in manchen Studien war das Krebsrisiko sogar erhöht. Die gesundheitlichen Vorteile stellen sich nur bei jenen ein, die länger als fünf Jahre vegetarisch gelebt hatten. Insgesamt hatten die Vegetarier im Vergleich zu gesundheitsbewussten Fleischessern keine höhere Lebenserwartung. Mittlerweile konnten mehrere Studien zeigen, dass allein der regelmässige Verzehr von Nüssen das Herzinfarktrisiko spürbar reduziert. Der Effekt wurde bei Frauen und Männern, Vegetariern und Nichtvegetariern gefunden. Auch die Lebenserwartung stieg, wenn mehr als fünfmal wöchentlich Nüsse gegessen wurden. Damit entpuppt sich ein fettreiches Lebensmittel als herzschützend und lebensverlängernd – für Vegetarier und Fleischesser. Fotos: Irisblende.de Pflanzliche Eiweissträger verringert hatten. Das heisst, dass in einem gegebenen Zeitraum nur halb so viele Vegetarier wie Normalesser starben. Die Autoren betonen jedoch, dass «ein gesunder Lebensstil teilweise stärkere Effekte zeitigte als die Ernährung selbst». Ausserdem war in dieser Studie die Untergruppe der «moderaten» Vegetarier am gesündesten: Das sind jene Vegetarier, die ab und zu Fleisch oder Fisch essen. Nüsse verlängern das Leben Am Fleischverzicht kann es also nicht liegen, wenn langjährige Vegetarier sich einer besseren Gesundheit erfreuen. Das belegen auch Studien, in denen man Vegetarier mit Menschen verglich, die ebenfalls gesundheitsbewusst leben oder einen ähnlichen religiösen oder weltanschaulichen Hintergrund haben, aber Fleisch essen. Eine Auswertung von fünf aussagekräftigen Langzeitstudien aus den USA, Grossbritannien und Deutschland bestätigte, dass die Vegetarier seltener an Herzinfarkten sterben. Bei Schlaganfällen und Krebs Eiweiss (oder Protein) ist ein wichtiger Nährstoff für den Aufbau, den Erhalt und viele lebenswichtige Funktionen des Organismus, zum Beispiel für das Wachstum, die Knochenbildung, das Immunsystem oder die Verdauung. Proteine bestehen aus Aminosäuren, deren Menge und Kombination über die Qualität eines Lebensmittels entscheidet. Für sich alleine betrachtet schneiden die tierischen Eiweissquellen Ei, Milch, Fisch und mageres Fleisch am besten ab. Sie liefern alle nötigen Aminosäuren in einer für den Körper leicht verwertbaren Form. In pflanzlichen Proteinquellen wie Hülsenfrüchten, Nüssen, Kartoffeln oder Getreide ist dagegen häufig eine Aminosäure in zu geringer Menge vorhanden. Aber: Die Kombination verschiedener pflanzlicher Proteinquellen (zum Beispiel Getreide und Hülsenfrüchte oder Nüsse) oder von pflanzlichem und tierischem Eiweiss (zum Beispiel Getreide und Ei oder Milch) gleicht diese Mängel aus. Daher können Vegetarier und – bei sorgfältiger Nahrungsauswahl – Veganer ihren Eiweissbedarf auch ohne Fleisch beziehungsweise tierische Produkte decken. Ernährung GESUNDHEIT von nicht mehr frischem Fleisch und Krankheiten wie die Schweinepest sorgten in den vergangenen Jahren dafür, dass das Vertrauen der Verbraucher in tierische Lebensmittel litt. Vor allem in den gebildeten Schichten, bei Frauen und jungen Menschen werden fleischlose und fleischarme Kostformen populärer. So verzeichnete das Robert-Koch-Institut in Berlin eine steigende Beliebtheit vegetarischer Ernährungsformen in Deutschland, insbesondere bei jungen Frauen. Während im Durchschnitt 8 Prozent der Frauen und 3 Prozent der Männer angaben, sich ausschliesslich oder überwiegend fleischlos zu ernähren, waren es bei den 18- bis 24jährigen Frauen sogar 16 Prozent. In der Schweiz ernähren sich schätzungsweise 9 Prozent der Einwohner überwiegend oder ausschliesslich vegetarisch. Land (Einwohnerzahl) Vegetarier Grossbritannien (60 Mio.) 9% Frankreich (59 Mio.) < 2% Deutschland (82 Mio.) etwa 8% Niederlande (16 Mio.) 4 bis 5% Schweiz (7 Mio.) 9% Fast-Vegetarier, inklusive 3% Vegetarier Italien (58 Mio.) 5% (Quelle: http://www.european-vegetarian.org, besucht am 22.3.2005) Was essen Naturvölker? Die Nachforschungen von Loren Cordain von der Colorado State University ergaben, dass sich von 229 zeitgenössischen Naturvölkern kein einziges rein vegetarisch ernährt. Der Anteil tierischer Kalorien lag bei den meisten der untersuchten Völker über 50 Prozent, vor allem bei jenen, die jenseits des 40. Breitengrades leben. Der Fettanteil lag zwischen 28 und 58 Prozent der verzehrten Kalorien (offizielle Empfehlung in der Schweiz und in Deutschland: 30 bis 35 Prozent), der Eiweissanteil zwischen 19 und 35 Prozent (offizielle Empfehlung: 10 bis 15 Prozent), ohne dass sie Wie viele Vegetarier gibt es? Genaue Zahlen gibt es nicht – aber es ernähren sich anscheinend immer mehr Menschen vegetarisch. LebensmittelSkandale wie BSE, Umetikettierungen unsere Wohlstandskrankheiten bekommen würden. Auch diese Befunde sprechen dagegen, dass eine hohe Fett- oder Eiweisszufuhr oder ein hoher Anteil tierischer Nahrung dem Menschen prinzipiell schadet. Natürlich | 6-2005 11 GESUNDHEIT Ernährung Menschen unterscheiden sich mannigfaltig, so auch in dem, was ihrem Körper gut tut. Immer mehr deutet darauf hin, dass die genetische Ausstattung des Einzelnen über sein Krankheitsrisiko mitentscheidet: Die Gene steuern zum Beispiel die Aktivität der Enzyme, die Krebs erregende Stoffe entgiften, und sie beeinflussen das Herzinfarktrisiko. Daher machen pauschale Ernährungsempfehlungen wenig Sinn: Was dem einen nützt, kann dem Nächsten schaden. Das gilt auch für den Genuss von (viel) Fleisch. Ein gutes Beispiel ist die Versorgung mit Eisen, einem lebensnotwendigen Mineralstoff, der für den roten Blutfarbstoff benötigt wird. Fleisch ist reich an gut verwertbarem Eisen. Menschen, die zu grossen Eisenansammlungen im Körper neigen, zeigen ein hohes Herzinfarktund Krebsrisiko. Andererseits bekommen Blutspender seltener Herz-KreislaufErkrankungen, vermutlich weil der Aderlass die Eisenspeicher entleert. Daher profitieren Menschen, die zu erhöhten Eisenspeichern neigen, wahrscheinlich von einer fleischarmen Kost, während es für Menschen mit zu niedrigen Eisenspeichern sinnvoll ist, regelmässig Fleisch zu essen. Mit Genuss essen Die Frage, wie viel Fleisch empfohlen werden kann, ist anhand der bisher publizierten Studien nicht eindeutig zu beantworten. Wir sind einmal mehr auf den gesunden Menschenverstand angewiesen. Wer kein Fleisch mag, sollte es guten Gewissens meiden. Alle anderen müssen für sich die richtige Menge herausfinden. Die üblichen Empfehlungen, die von einer bis drei Portionen pro Woche reichen, sind wissenschaftlich nicht zu begründen. Allerdings wird mit dieser Menge die Gefahr von Mangelerscheinungen gebannt. Sie kann ausserdem jenen als Anhaltspunkt dienen, die ihren Fleischkonsum reduzieren wollen. Alles in allem gibt es aber keinen gesundheitlichen Grund, Fleisch generell vom Speiseplan zu streichen. Davon ausgenommen sind Allergiker oder Rheuma-Patienten, die durch Phasen des Verzichts oder mit veganer Rohkost vorübergehend Linderung ihrer Beschwerden erfahren können. Für alle 12 Natürlich | 6-2005 Foto: Irisblende.de Wie mir, so nicht dir anderen ist viel wichtiger, dass mit Genuss gegessen wird – denn ein schlechtes Gewissen ist der übelste Begleiter bei Tisch. Wichtig ist auch, dass die Ernährung nicht zu reichhaltig oder zu einseitig wird. Wer je nach individueller Vorliebe und Verträglichkeit möglichst alle Lebensmittelgruppen in den Speiseplan einbaut – also Kräuter, Gewürze, Nüsse, Hülsenfrüchte, Gemüse, Salate, Obst, Brot, Milchprodukte, Eier, Fleisch und Fisch – kann am einfachsten eine Kost realisieren, die schmackhaft und gesund ist. Vegetarisch = paradiesisch? Verseuchte Böden, überdüngte Gewässer, Hormone im Schnitzel, überzüchtete Schweine, monströse Euter und immer mehr Hunger auf der Welt – die Liste negativer Folgen der Massentierhaltung ist lang. Dazu kommen die unsäglichen Bedingungen, unter denen noch immer viele Tiere gehalten, transportiert und getötet werden. Da drängt sich die Frage auf, was passieren würde, wenn wir keine Tiere mehr ässen. Wäre die (Um-)Welt dann in Ordnung? Die Probleme der Massentierhaltung und der intensiven Landwirtschaft sind unstrittig. Aber nicht alle Nutztiere werden in Massenhaltung aufgezogen. Neben der Subsistenzwirtschaft in den Entwicklungsländern gibt es auch in Europa Landstriche wie das Allgäu, wo die Böden zwar Weidewirtschaft, aber keinen Ackerbau erlauben. Tiere, die hier aufgezogen werden, stehen nicht in Nahrungskonkurrenz zum Menschen. Ein Verzicht auf sie als Fleischlieferanten erhöht weder die Verfügbarkeit pflanzlicher Obst und Getreide gelten geradezu als Garant für die Gesundheit überernährter Wohlstandsbürger. Nahrungsmittel, noch hilft er, den Welthunger zu mindern. Zudem ergaben Berechnungen aus Holland, dass eine ökologische Fleischerzeugung umweltschonender sein kann als etwa die Produktion von Gemüse aus integriertem Anbau. Eine andere Frage ist, ob wir uns angesichts des Elends vieler Tiere und der mit intensiver Tierhaltung verbundenen Umweltbelastungen weiterhin einen Fleischkonsum wie bisher leisten wollen, sollen und dürfen. Ohne die steigende Nachfrage nach immer mehr und immer billigerem Fleisch und ohne die grenzenlose Profitgier hätten wir Probleme wie BSE, Tiertransporte und Hühnerbatterien womöglich nie gehabt. Bei Hühnern und Eiern ist die Schweiz mit der Abschaffung der Käfighaltung bereits einen grossen Schritt vorausgegangen. Für Schweine und Rinder gibt es ebenfalls längst Ställe und Haltungsformen, um sie artgerecht und gesund aufzuziehen. Ernährung GESUNDHEIT Dank ökologisch arbeitender Betriebe und anderer Landwirte, die sich Gedanken um die ihnen anvertrauten Leben machen, gibt es heute immer mehr artgerecht gehaltene Tiere, die zudem möglichst schmerz- und stressfrei getötet werden. Darüber hinaus hat sich auch die Ökobilanz vieler konventioneller Betriebe deutlich verbessert durch die Anwendung neuer Forschungsergebnisse und moderner Technologien. Für die, die das Töten von Tieren generell ablehnen, mag das alles nicht relevant sein. Denn auch ein artgerecht aufgezogenes Nutztier soll am Ende seines Lebens getötet werden, um den Menschen zu nähren. Für Menschen, die gerne Fleisch essen – und das ist noch immer die grosse Mehrheit – bietet sich hier jedoch eine gute Alternative. Es ist Aufgabe der Verbraucher, nachzufragen, ob das Fleisch von artgerecht gehaltenen und möglichst stressfrei geschlachteten Tieren stammt. Der Konsument bestimmt das Angebot. Auch wenn es etwas teurer ist oder in letzter Konsequenz vielleicht zu kleineren Fleischportionen auf dem Teller führt: Wir sollten unsere Nutztiere so halten, dass wir uns nicht dafür schämen müssen. ■ Internet – www.vegetarismus.ch und www.european-vegetarian.org: nützliche Infos, Argumente für den Vegetarismus und Restaurantadressen. Allerdings sind mehrere Aussagen zu den gesundheitlichen Auswirkungen des Fleischverzehrs veraltet, grob verallgemeinernd oder schlicht falsch. – www.v-label.info: Infos über das firmenunabhängige V-Label für vegetarische und vegane Produkte und Restaurants mit entsprechenden Angeboten. Literatur: – Claus Leitzmann: «Vegetarismus, Grundlagen, Vorteile, Risiken», Verlag Beck, 2001, ISBN 3-406-44776-7, Fr. 14.60 Was bedeutet vegetarisch? Den Vegetarier gibt es ebenso wenig wie den Gemischtköstler – zumal sich häufig auch solche Menschen als Vegetarier bezeichnen, die nur sehr geringe Mengen oder nur bestimmte Lebensmittel vom toten Tier essen. Die bekanntesten Varianten (überwiegend) vegetarischer Kostformen zeigt die folgende Übersicht, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Ernährungstyp Ovo-lacto-Vegetarier gemiedene Lebensmittel Lebensmittel und Produkte vom getöteten Tier: Fleisch, Wurst, Fisch, Gelatine usw. Lacto-Vegetarier Vollwertköstler wie oben, zusätzlich Eier grössere Mengen an Fleisch und Wurst, stark verarbeitete Lebensmittel Veganer (strikte, strenge Vegetarier) alle tierischen Produkte: Fleisch, Wurst, Fisch, Eier, Milch, Milchprodukte, Honig, Gelatine usw. Rohköstler gekochte/erhitzte Lebensmittel, Kost kann, muss aber nicht vegetarisch sein «Pudding-Vegetarier» Fleisch, Fisch und Wurst verzehrte tierische Lebensmittel Produkte vom lebenden Tier wie Eier (ovo), Milchprodukte (lacto), allerdings in sehr unterschiedlichen Mengen Milch und Milchprodukte überwiegend ovo-lakto-vegetabile Ernährungsweise, bei der gering verarbeitete und ökologisch erzeugte Lebensmittel bevorzugt werden; Fleisch und Fleischprodukte gelegentlich erlaubt keine (meist auch keine Kleider, Möbel, Kosmetika und Ähnliches, die tierische Produkte enthalten oder an Tieren getestet wurden) Nährstoffversorgung in der Regel gut in der Regel gut in der Regel gut Risiko hoch für unzureichende Zufuhr an Calcium, Iod, Zink, Vitamin A, D und B12, eventuell auch für Eiweiss, Eisen und die Omega-3-Fettsäure EPA; ohne Nahrungsergänzung für Babys und Kleinkinder gefährlich, für Schwangere und Stillende nicht empfehlenswert viele Varianten, entweder vegan je nach Lebensmittelauswahl oder (ovo-)lacto-vegetarisch, zum Teil unterschiedlich rohes Fleisch und rohen Fisch alles andere, viele Fertigprodukte, hohes Risiko für unausgewogene, Knabberartikel und Süsswaren übermässige Kost Natürlich | 6-2005 13