Kapitel 2 Holomorphe Funktionen 2.1 Exkurs: Konvergenz von Reihen Im vorigen Paragraphen wurde gezeigt, dass jede holomorphe Funktion beliebig oft komplex differenzierbar ist. Aber es gilt sogar noch mehr, man kann eine holomorphe Funktion nämlich lokal immer in eine komplexe Taylorreihe entwickeln. Hier zunächst einige Beispiele, auf die wir später noch zurückkommen werden. 2.1.1 Beispiele Die Reihenentwicklungen der komplexen Exponentialfunktion und der komplexen trigonometrischen Funktionen lauten wie im Reellen auch für z ∈ C: z e = ∞ X zk k=0 k! , sin(z) = ∞ X k=0 z 2k+1 (−1) (2k + 1)! k cos(z) = ∞ X k=0 (−1)k z 2k . (2k)! Setzen wir in die Exponentialreihe für z eine rein imaginäre Zahl ix (x ∈ R) ein, so bestätigt sich wieder die Eulersche Formel eix = cos(x) + i sin(x), denn: ix e = ∞ X (ix)k k=0 k! = ∞ X (ix)2k k=0 ∞ X (ix)2k+1 + = cos(x) + i sin(x) . (2k)! (2k + 1)! k=0 Bevor wir die Taylorreihen genauer anschauen, sollten wir noch einmal die wichtigsten Aussagen im Zusammenhang mit Konvergenz von reellen Reihen rekapitulieren und dabei ins Komplexe übertragen. 2.1.2 Definition P Sei (ak )k∈N eine Folge komplexer Zahlen. Wenn die Folge der Teilsummen sn := nk=1 ak (für n ∈ N) gegen eine Zahl s ∈ C konvergiert, so sagt man, die unendliche Reihe mit den Summanden ak konvergiere gegen s und schreibt dafür: n ∞ X X ak = s . ak = lim k=1 n→∞ k=1 P∞ Die Notation k=1 bezeichnet einerseits die Teilsummenfolge, andererseits aber auch den Grenzwert, falls er existiert. Die Summation kann auch schon bei k = 0 oder erst bei k = k0 (für ein k0 ∈ N) beginnen. 2.1.3 Beispiele Die geometrische Reihe für eine Zahl q ∈ C mit |q| < 1 konvergiert gegen folgenden Grenzwert: ∞ X 1 qk = . 1 − q k=0 P∞ 1 Die harmonische Reihe k=1 k dagegen konvergiert nicht. Sie ist divergent, denn die Folge der Teilsummen wächst unbeschränkt. 2.1. Exkurs: Konvergenz von Reihen 33 Eine notwendige Bedingung für Konvergenz ist folgende: 2.1.4 Satz Ist die Reihe eine Nullfolge: P∞ k=1 ak konvergent, so ist die Folge der Summanden ak lim ak = 0 . k→∞ Beweis. Nehmen wir an, die Reihe konvergiere gegen den Grenzwert s. Sei ǫ > 0 vorgegeben. Dann gibt es ein N ∈ N, so dass für alle Teilsummen sn mit n ≥ N gilt |s − sn | < 2ǫ . Daraus folgt |an+1 | = |sn+1 − sn | ≤ |sn+1 − s| + |s − sn | < ǫ für alle n ≥ N. Also konvergiert die Folge der an wie behauptet gegen Null. q.e.d. Diese Beobachtung kann man verwenden um zu schliessen, dass gewisse Reihen nicht konvergieren. P k 2.1.5 Beispiel Ist z ∈ C mit |z| = 1, so konvergiert die geometrische Reihe ∞ k=1 z nicht. Denn in diesem Fall ist ak = z k und |ak | = |z|k = 1 für alle k. Die Folge (ak ) kann also keine Nullfolge sein. Eine besonders robuste Form von Konvergenz ist die sogenannte absolute Konvergenz, bei der sogar Umordnungen der Reihe nichts am Grenzwertverhalten ändern. 2.1.6 Satz Sei (ak )k∈N einePFolge komplexer Zahlen. Konvergiert die Reihe, gebildet ∞ aus den Absolutbeträgen k=1 |ak |, so konvergiert auch die ursprüngliche Reihe P ∞ a . In diesem Fall spricht man von absoluter Konvergenz. k=1 k P 1 k 2 2.1.7 Beispiel Die geometrische Reihe ∞ k=0 (− 2 ) mit dem Grenzwert 3 ist absolut konvergent, denn die aus den Absolutbeträgen gebildete Reihe ist wiederum geometrisch und konvergiert gegen 2. Beweis. (von Satz 2.1.6) Zerlegen wir die komplexen Summanden jeweils in Realund Imaginärteil, so erhalten wir zwei reelle Reihen, die wir separat betrachten können. Es reicht also aus, die Behauptung für eine Folge reeller Zahlen (ak )k∈N P zu zeigen. Wir setzen jetzt s′n := nj=1 |aj | und s′ := limn→∞ s′n . Da die Folge der Teilsummen s′n gegen s′ konvergiert, gibt es zu jedem ǫ > 0 ein n ∈ N, so dass gilt: ′ s − s′n = ∞ X j=n+1 |aj | < ǫ . Also können wir zu jedem k ∈ N einen Index nk ∈ N finden, so dass ∞ X j=nk +1 |aj | < 1 . 2k 34 Kapitel 2. Holomorphe Funktionen Daraus folgt für die Teilsummen sm := |sm − snk | = | m X Pm j=nk +1 j=1 aj , aj | ≤ falls m ≥ nk : ∞ X j=nk +1 |aj | < 1 . 2k Das bedeutet 1 1 < s < s + . m n k 2k 2k Wir konstruieren nun eine Folge von Intervallen I1 ⊃ I2 ⊃ I3 . . ., die fast alle Teilsummen der Reihe bis auf endlich viele Ausnahmen enthalten und deren Breite gegen Null geht. Genauer wählen wir 1 1 I1 := sn1 − , sn1 + 2 2 sn k − und dann rekursiv Ik := Ik−1 ∩ snk 1 1 − k , sn k + k 2 2 für k ∈ N, k > 1. Das Intervall Ik enthält die Teilsummen sm für alle m ≥ nk . Ausserdem ist nach 1 . Also bilden die unteren Konstruktion die Breite des Intervalls Ik sicher ≤ 2k−1 Intervallgrenzen eine monoton steigende Folge, und die oberen Intervallgrenzen eine monoton fallende Folge, die beide gegen denselben Grenzwert s konvergieren. Diese Zahl s muss auch der Grenzwert der Teilsummenfolge (sm )m∈N sein. q.e.d. Aber nicht jede konvergente Reihe konvergiert auch absolut. Dazu ein Beispiel: P∞ k+1 1 2.1.8 Beispiel Die Reihe ist konvergent und hat den Grenzwert k=1 (−1) k ln(2). Aber geht man über zu den Absolutbeträgen, erhält man die harmonische Reihe, die bekanntermassen divergiert. Das wichtigste Konvergenzkriterium ist das sogenannte Majorantenkriterium. 2.1.9 Satz Sei (ak )k∈N eine Folge komplexer P∞ und (bk )k∈N eine Folge reeller, nichtnegativer Zahlen. Sei weiter die Reihe k=1 bk konvergent. GiltP nun |ak | ≤ bk für alle k ∈ N, k ≥ k0 , und ein k0 ∈ N, so konvergiert auch die Reihe ∞ k=1 ak , und zwar sogar absolut. Beweis. Die Folge der Teilsummen sn := oben beschränkt, denn sn − kX 0 −1 k=1 |ak | = n X k=k0 Pn |ak | ≤ k=1 |ak | ist monoton wachsend und nach n X k=k0 Also hat die Teilsummenfolge einen Grenzwert. bk ≤ ∞ X k=1 q.e.d. bk < ∞ . 2.2. Potenzreihen 35 P∞ 1 2.1.10 Beispiel Man kann dies Kriterium zum Beispiel auf die Reihe k=1 k 2 1 anwenden. Denn offenbar ist k12 ≤ k(k−1) =: bk für alle k ∈ N, k > 1. Setzen P wir ausserdem b1 = 0. Bei den Teilsummen der Reihe ∞ k=1 bk handelt es sich um Teleskopsummen: n X k=2 n X 1 1 1 1 = ( − )=1− . k(k − 1) k=2 k − 1 k n Daraus folgt ∞ X k=1 bk = lim (1 − n→∞ 1 ) = 1. n P 1 Also konvergiert auch Reihe ∞ k=1 k 2 . Entsprechend kann man zeigen, dass alle P∞ die 1 Reihen der Form k=1 ks (für s ∈ N, s ≥ 2) konvergieren. 2.2 Potenzreihen Wenden wir uns nun den Reihenentwicklungen von Funktionen zu. 2.2.1 Definition Unter einer Potenzreihe um den Punkt z0 ∈ C versteht man eine Reihe der Form ∞ X an (z − z0 )n n=0 wobei (an )n∈N eine Folge komplexer Zahlen und z eine komplexe Variable ist. Man sagt, die Potenzreihe konvergiere an der Stelle z1 ∈ C, falls wir durch Einsetzen von z = z1 eine konvergente Reihe erhalten. Es zeigt sich, dass der Konvergenzbereich einer Potenzreihe stets die Form einer Kreisscheibe in der komplexen Ebene hat. Das ergibt sich als Konsequenz aus dem folgenden Lemma: P n 2.2.2 Lemma Die Potenzreihe ∞ n=0 an (z − z0 ) konvergiere an der Stelle z1 ∈ C, z1 6= z0 . Sei r eine reelle Zahl mit 0 < r < |z1 −z0 |. Dann konvergiert die Potenzreihe auch für alle z ∈ C mit |z − z0 | ≤ r, und zwar sogar absolut. P n Beweis. Nach Voraussetzung konvergiert die Reihe ∞ n=0 an (z1 − z0 ) . Also bilden die Summanden an (z1 − z0 )n eine Nullfolge und sind daher beschränkt, etwa durch die Zahl M ∈ R. Das heisst, es gilt |an (z1 − z0 )n | ≤ M Setzen wir ausserdem q := für alle n ∈ N0 . r <1 |z1 − z0 | 36 Kapitel 2. Holomorphe Funktionen so erhalten wir für z ∈ Kr (z0 ): n z − z 0 |an (z1 − z0 )n | ≤ M · q n . |an (z − z0 )n | = z1 − z0 P∞ n Da q < 1, ist die geometrische Reihe k=0 q konvergent, und damit auch die Reihe P∞ n q.e.d. k=0 M · q . Also liefert das Majorantenkriterium die Behauptung. 2.2.3 Definition Der Konvergenzradius R der Potenzreihe folgendermassen definiert: P∞ n=0 an (z − z0 )n ist R := sup{ r = |z1 − z0 | | Die Potenzreihe konvergiert an der Stelle z1 ∈ C.} . P n 2.2.4 Satz Sei ∞ n=0 an (z − z0 ) eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R. Dann gibt es genau drei Möglichkeiten: • R = 0, die Reihe konvergiert also nur im Punkt z = z0 . • R = ∞, das heisst die Reihe konvergiert an jeder Stelle z ∈ C. • 0 < R < ∞. In diesem Fall konvergiert die Potenzreihe an jeder Stelle im Inneren der Kreisscheibe KR (z0 ) und divergiert an jeder Stelle ausserhalb der abgeschlossenen Kreisscheibe. Was aber auf dem Rand der Kreisscheibe passiert, hängt von der konkret gegebenen Reihe ab. P∞ n hat den Konvergenzradius 0. Denn 2.2.5 Beispiele • Die Reihe n=0 n! z n limn→∞ n! |z| = ∞ für alle z 6= 0. Also kann in diesem Fall die Folge der Summanden keine Nullfolge sein. • Die Exponentialreihe hat den Konvergenzradius ∞, sie konvergiert für alle z ∈ C. Die Begründung dafür wird gleich nachgeliefert. P n • Die geometrische Reihe ∞ n=0 z hat den Konvergenzradius R = 1. Wie bereits bemerkt, divergiert sie für alle z ∈ C mit |z| = 1. P (−1)n+1 n • Die Potenzreihe ∞ z hat den Konvergenzradius R = 1. Sie konvern=1 n giert für alle z ∈ C mit |z| < 1 und divergiert für alle z ∈ C mit |z| > 1. An der Stelle z = 1 liegt Konvergenz und an der Stelle z = −1 liegt Divergenz vor (s. Beispiel 2.7). Genauer konvergiert die Reihe an jeder Stelle z 6= −1 auf dem Einheitskreis. Das folgende nützliche Kriterium zur Bestimmung des Konvergenzradius lässt sich aus dem Majorantenkriterium herleiten. 2.2.6 Bemerkung Sei (an )n∈N0 eine Folge komplexer Zahlen ungleich Null mit P an+1 n limn→∞ an = s, wobei s ∈ R oder s = ∞. Dann hat die Potenzreihe ∞ n=0 an z den Konvergenzradius R = 1s . Hier verabreden wir 1 0 = ∞ und 1 ∞ = 0. 2.2. Potenzreihen 37 Betrachten wir jetzt die durch eine Potenzreihe auf ihrem Konvergenzbereich definierte Funktion genauer. P n 2.2.7 Bemerkung Sei ∞ n=0 an (z − z0 ) eine Potenzreihe um den Punkt z0 mit Konvergenzradius R > 0, und sei r ∈ R>0 mit r < R. Dann wird durch die Vorschrift f (z) := ∞ X n=0 an (z − z0 )n eine Funktion f auf dem Inneren U der Kreisscheibe KR (z0 ) definiert. Die Folge der Funktionen n X ak (z − z0 )k (z ∈ U) fn (z) := k=0 konvergiert auf K := Kr (z0 ) gleichmässig gegen f . Das heisst, zu jedem ǫ > 0 existiert ein n0 ∈ N mit |fn (z) − f (z)| < ǫ für alle z ∈ K und alle n ≥ n0 . Die Folge der Teilsummen konvergiert also für alle z im Bereich K vergleichbar schnell. Beweis. Für z ∈ K konvergiert fn (z) für n → ∞ gegen f und es gilt |fn (z) − f (z)| = | ∞ X k=n+1 k ak (z − z0 ) | ≤ ∞ X k=n+1 |ak |r k . Wegen der absoluten Konvergenz der Potenzreihe z = z0 + r ∈ U kann P an der Stelle k man zu ǫ einen Index n0 ∈ N finden, so dass ∞ |a |r < ǫ. Daraus folgt die k k=n0 +1 Behauptung. q.e.d. Die wichtigsten Aussagen im Zusammenhang mit gleichmässiger Konvergenz sind im folgenden Satz zusammengefasst. 2.2.8 Satz Sei fn : G → C eine Folge stetiger komplexer Funktionen, die auf der kompakten Teilmenge K ⊂ G gleichmässig gegen die Funktion f konvergiere. Dann folgt: • Die Funktion f ist auf K stetig. • Ist γ ein glatter Weg in K, so ist Z Z f (z)dz = lim fn (z)dz . γ n→∞ γ • Sind die Funktionen fn auf G komplex differenzierbar und konvergieren die Ableitungen fn′ auf K gleichmässig gegen g, so ist auch f komplex differenzierbar und f ′ = g. Mithilfe dieser Aussagen können wir zeigen, dass jede Potenzreihe auf ihrem Konvergenzbereich eine holomorphe Funktion definiert. Genauer gilt folgendes. 38 Kapitel 2. Holomorphe Funktionen P n 2.2.9 Satz Sei wie eben ∞ n=0 an (z − z0 ) eine Potenzreihe um den Punkt z0 mit Konvergenzradius R > 0, und bezeichne U das Innere der Kreisscheibe KR (z0 ). Die Funktion f : U → C, definiert durch ∞ X f (z) = an (z − z0 )n , n=0 ist holomorph, und die Ableitung von f lässt sich auch durch eine Potenzreihe um z0 darstellen, die wiederum den Konvergenzradius R hat, nämlich ∞ X f ′ (z) = an · n(z − z0 )n−1 für z ∈ U. n=1 Beweis. Zu einem gegebenen Punkt z ∈ U können wir eine abgeschlossene Kreisscheibe K = Kr (z0 ) ⊂ U auswählen, Pdie z enthält. Wie eben bemerkt, konvergiert die Folge der Funktionen fn (z) = nk=0 ak (z − z0 )k für z ∈ K und n ∈ N auf K gleichmässig Funktionen fn sind jeweils komplex differenzierbar, und Pn gegen f . Diek−1 ′ fn (z) = k=1 ak k(z − z0 ) . Man kann zeigen, dass die Potenzreihe ∞ X k=1 ak k(z − z0 )k−1 denselben Konvergenzradius hat wie die ursprüngliche Reihe. (Zu diesem Punkt mehr in den Übungen.) Also konvergiert auch die Folge der Ableitungen fn′ auf K gleichmässig. Deshalb ist f = limn→∞ fn komplex differenzierbar und ∞ X d ′ ′ f (z) = ( lim fn )(z) = lim fn (z) = ak k(z − z0 )k−1 . n→∞ n→∞ dz k=1 q.e.d. P k+1 z k 2.2.10 Beispiel Durch die Vorschrift f (z) := ∞ für |z| < 1 wird eine k=1 (−1) k holomorphe Funktion auf dem Inneren der Einheitskreisscheibe definiert, weil die entsprechende Potenzreihe den Konvergenzradius 1 hat (siehe oben). Durch summandenweises Ableiten der Potenzreihe erhalten wir eine geometrische Reihe, die ebenfalls den Konvergenzradius 1 hat, und für alle z ∈ C mit |z| < 1 gilt: f ′ (z) = ∞ X k=1 (−1)k+1 z k−1 = ∞ X k=0 (−z)k = 1 . 1+z 1 Die Funktion f ist also eine Stammfunktion der Funktion g(z) = 1+z , und tatsächlich ist f (z) = ln(1 + z) für alle |z| < 1 (wobei ln den Hauptzweig des Logarithmus bezeichnet). 2.2.11 Folgerung Auch jede Stammfunktion g von f lässt sich durch eine Potenzreihe um z0 mit Konvergenzradius R darstellen, und zwar ist ∞ X an (z − z0 )n+1 für z ∈ U. g(z) = g(z0 ) + n+1 n=0 2.3. Komplexe Taylorentwicklung 2.3 39 Komplexe Taylorentwicklung Umgekehrt lässt sich jede holomorphe Funktion lokal in eine Potenzreihe entwickeln. 2.3.1 Satz Ist f : G → C holomorph und ist das Innere U der Kreisscheibe KR (z0 ) ganz enthalten in G, so gibt es eine auf U konvergente Potenzreihe um z0 , mit der f auf U übereinstimmt. Dabei handelt es sich um die komplexe Taylorentwicklung von f um den Punkt z0 , nämlich f (z) = ∞ X f (n) (z0 ) n! n=0 (z − z0 )n . Beweis. Zu z ∈ U sei r > 0 so gewählt, dass |z − z0 | < r und Kr (z0 ) ⊂ U. Die Cauchysche Integralformel für die Kreisscheibe K := Kr (z0 ) lautet: Z 1 f (ζ) f (z) = dζ , 2πi γ ζ − z wobei γ die auf übliche Art parametrisierte Kreislinie ∂Kr (z0 ) bezeichnet. Es gilt: ∞ X (z − z0 )n 1 = . ζ −z (ζ − z0 )n+1 n=0 Denn: n ∞ ∞ X 1 X z − z0 (z − z0 )n = . (ζ − z0 )n+1 ζ − z0 n=0 ζ − z0 n=0 z−z0 |= Diese geometrische Reihe konvergiert, weil | ζ−z 0 |z−z0 | r < 1 ist. Also folgt: ∞ X 1 (z − z0 )n 1 1 1 = = . z−z0 = n+1 (ζ − z0 ) (ζ − z0 ) (1 − ζ−z0 ) (ζ − z0 ) − (z − z0 ) ζ −z n=0 Setzen wir dies in die Cauchyformel ein, so erhalten wir: Z ∞ X (z − z0 )n 1 f (ζ) dζ . f (z) = 2πi γ (ζ − z0 )n+1 n=0 Weil die Folge der Teilsummen in der hier auftretenden Reihe auch bezüglich ζ auf dem Rand von K gleichmässig konvergiert, dürfen wir Integral und Summation miteinander vertauschen und bekommen heraus: Z ∞ X 1 f (ζ) f (z) = dζ (z − z0 )n . n+1 2πi (ζ − z ) 0 γ n=0 Damit ist f an der Stelle z als Potenzreihe um z0 dargestellt. Die Koeffizienten (n) dieser Potenzreihe stimmen gerade mit f n!(z0 ) überein, wie ein Vergleich mit der Cauchyformel für die höheren Ableitungen von f zeigt. q.e.d. 40 Kapitel 2. Holomorphe Funktionen 2.3.2 Beispiele • Die zu Anfang angegebenen Reihenentwicklungen für Sinus und Cosinus und für die komplexe Exponentialfunktion werden jetzt im nachhinein gerechtfertigt. Denn wie man direkt nachrechnen kann, sind es gerade die komplexen Taylorentwicklungen der jeweiligen Funktionen um den Punkt z0 = 0. • Betrachten wir jetzt die komplexe Logarithmusfunktion auf der geschlitzten Ebene G := {reiϕ | r > 0, −π < ϕ < π}, gegeben durch ln(reiϕ ) = ln(r) + iϕ, und wählen wir als Entwicklungspunkt z0 = 1. Die grösste offene Kreisscheibe um z0 , die in G enthalten ist, hat Radius 1. Die höheren Ableitungen der Logarithmusfunktion lauten, wie man durch Induktion zeigt: dn ln(z) = (−1)n−1 (n − 1)!z −n dz n Also erhalten wir folgende Reihenentwicklung: ln(z) = ∞ X (−1)n−1 n=1 n (z − 1)n für n ∈ N. für |z − 1| < 1. Diese Reihe hat den Konvergenzradius 1, was der Tatsache entspricht, dass die komplexe Logarithmusfunktion in den Nullpunkt nicht fortgesetzt werden kann. • Analog zu reellen Potenzen setzen wir für α ∈ C und z ∈ C mit |z| < 1 f (z) = (1 + z)α := eα ln(1+z) . Auf diese Weise erhalten wir eine holomorphe Funktion f auf U := {z ∈ C | |z| < 1}. Für die Ableitung gilt: d (1 + z)α = α · (1 + z)α−1 . dz Denn nach der Kettenregel ist d α ln(1+z) α e = eα ln(1+z) = α · e− ln(1+z) eα ln(1+z) = α · e(α−1) ln(1+z) . dz 1+z Durch Induktion folgt für n ∈ N: dn (1 + z)α = α(α − 1) . . . (α − n + 1)(1 + z)α−n . dz n Man definiert ausserdem für n ∈ N: α(α − 1) . . . (α − n + 1) α := . n n! Mit dieser Konvention erhält die Taylorentwicklung der Funktion f um den Punkt z0 = 0 die folgende Form: ∞ X α n α z für |z| < 1. f (z) = (1 + z) = n n=0 2.3. Komplexe Taylorentwicklung 41 • Wählen wir im vorigen Beispiel α = 12 , erhalten wir eine Taylorentwicklung für einen Zweig der Quadratwurzelfunktion, nämlich: √ 1+z = ∞ 1 X 1 1 zn = 1 + z − z2 + . . . 2 8 n 2 n=0 für |z| < 1. Wird eine komplexe Funktion f : G → C auf dem Inneren U der Kreisscheibe KR (z0 ) ⊂ G durch eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R dargestellt, so muss diese Potenzreihe bereits mit der Taylorreihe von f übereinstimmen. Gelingt es, eine passende Reihenentwicklung zu finden, so kann man die höheren Ableitungen an der Stelle z0 also bereits an der Reihe ablesen. 1 2.3.3 Beispiele • Die Funktion f (z) = 1+z 2 (für z 6= ±i) wird auf dem Bereich |z| < 1 durch eine geometrische Reihe dargestellt, nämlich f (z) = P ∞ n 2n n=0 (−1) z . Diese Reihe hat den Konvergenzradius 1, wie wir bereits bemerkt hatten. Weil die Reihe auf jeder abgeschlossenen Kreisscheibe im Einheitskreis gleichmässig konvergiert, können wir eine Stammfunktion g von f auf dem Inneren des Einheitskreises duch summandenweises Integrieren bestimmen. Wir erhalten g(z) = ∞ X (−1)n n=0 z 2n+1 2n + 1 für |z| < 1. Für reelle z ist dies gerade die Taylorentwicklung der Arcustangensfunktion. Also ist g eine komplexe Fortsetzung des Arcustangens auf das Innere des Einheitskreises. √ 1 ein passender Zweig der • Die Funktion f (z) = √1−z 2 für |z| < 1, wobei komplexen Quadratwurzelfunktion ist, hat folgende Potenzreihenentwicklung (siehe vorhergehendes Beispiel für α = − 12 ): 2 − 12 f (z) = (1 − z ) = ∞ 1 X − 2 n=0 n (−1)n z 2n für |z| < 1. Durch summandenweises Integrieren wird daraus ∞ 1 ∞ n 2n+1 X X Y −2 2k − 1 n z g(z) = = (−1) 2n + 1 n=0 2k n n=0 k=1 ! z 2n+1 2n + 1 für |z| < 1. Dies ist für reelle z die Taylorentwicklung der Funktion Arkussinus. Also ist g eine komplexe Fortsetzung des Arkussinus.