1. AUFFÜHRUNGSABEND S ai so n 2013 2 014 M o n tag 3 0 .9.13 2 0 U h R I S e m p e r o p e r D r e sd e n 1. aufführungsabend Michail Jurowski Dirigent Igor Levit Klavier Tatjana Masurenko Viola Evelina Dobračeva Sopran Maxim Mikhailov Bass Streichquartett (»Young Apollo«): Kai Vogler Violine 1 Matthias Meißner Violine 2 Michael Neuhaus Viola Norbert Anger Violoncello Arvo Pärt (* 19 3 5) »Cantus in Memory of Benjamin Britten« für Streichorchester und eine Glocke Zum 100. Geburtstag des Komponisten Benjamin Britten (1913 -19 76) »Lachrymae«, Reflexionen über ein Lied von John Dowland für Viola und Streichorchester op. 48a Lento (Var. 1)Allegretto, andante molto (Var. 2)Animato (Var. 3)Tranquillo (Var. 4)Allegro con moto (Var. 5) Largamente (Var. 6)Appassionato (Var. 7)Alla Valse moderato (Var. 8)Allegro marcia (Var. 9) Lento (Var. 10)L’istesso tempo – a tempo semplice Zum Programm Benjamin Britten Arvo Pärt »Young Apollo« für Klavier, Streichquartett und Streichorchester op. 16 »Cantus in Memory of Benjamin Britten« P a us e Dmitri Schostakowitsch (19 0 6 -19 7 5) Symphonie Nr. 14 g-Moll op. 135 für Sopran, Bass und Kammerorchester nach Gedichten von Federico García Lorca, Guillaume Apollinaire, Wilhelm Küchelbeker und Rainer Maria Rilke 1. De profundis Adagio (Bass) 2. Malagueña Allegretto (Sopran) 3. Loreley Allegro molto (Sopran, Bass) 4. Der Selbstmörder Adagio (Sopran) 5. Auf Wacht Allegretto (Sopran) 6. Sehen Sie, Madame! Adagio (Sopran, Bass) 7. I m Kerker der Santé Adagio (Bass) 8. A ntwort der Zaporoger Kosaken an den Sultan von Konstantinopel Allegro (Bass) 9. A n Delwig Andante (Bass) 10.Der Tod des Dichters Largo (Sopran) 11.Schlussstück Moderato (Sopran, Bass) Arvo Pärt, geboren im estnischen Paide und musikalisch ausgebildet in Tallinn, begann bereits in früher Jugend zu komponieren. Er zählte Dmitri Schostakowitsch zu seinen ersten Vorbildern, wandte seine Begeisterung später aber besonders Benjamin Britten zu. Die politischen Bedingungen verhinderten jedoch eine persönliche Kontaktaufnahme. Pärt gelangte über die Zwölftonmusik allmählich zu einem ganz eigenen, religiös gefärbten Stil, der aufgrund der häufig verwendeten Glockentöne und -harmonien »Tin­t innabuli-Stil« (tintinnabuli = lat. Glöckchen, Schellen) genannt wird. Mit alledem im sowjetischen Estland missliebig geworden und zur Auswanderung aufgefordert, begab sich Pärt 1980 nach Wien und lebt seit 1981 in Berlin. Dem international erfolgreichen Komponisten wurden vielfache Ehrungen und Auszeichnungen zuteil. Bald nach Brittens Tod entstand noch in Pärts estnischer Heimat der »Cantus in Memory of Benjamin Britten« (1977/1980) als Ausdruck tiefer persönlicher Trauer. Über der statisch beibehaltenen Grundtonart a-Moll entfaltet sich in sieben Streicherstimmen ein Kanon, dessen Thema in jeder Stimme mit anderem Tempo und demzufolge unterschiedlich oft abläuft – im Kontrabass nur ein einziges Mal. Der von einem Glockenton zu Beginn und am Ende gleichsam umschlossene Kanon erinnert mit seiner permanent abwärts fließenden Melodie an herabtropfende Tränen; er entwickelt sich vom leisen Anfang über ein Fortissimo zum leisen Schluss und klingt »molto espressivo« aus. Besetzung: Glocke, Streicher // Dauer: ca. 6 Minuten Benjamin Britten »Young Apollo« und »Lachrymae« Benjamin Britten, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr am 22. November gefeiert wird, gehörte zu den wenigen engen Freunden Schostakowitschs im Ausland. Obwohl keiner der beiden die Sprache des anderen beherrschte, verstanden sie einander auch bei persönlichen Begegnungen gut, denn ihr Bezugspunkt war ihre Musik, und jeder schätzte diejenige des anderen sehr. Zudem war beider Leben schwer, wenngleich aus unterschiedlicher Ursache, und vertiefte das gegenseitige Verständnis. Auskunft über die inhaltlichen Hintergründe von Brittens »Young Apollo«, einem Auftragswerk für den kanadischen Rundfunk, gibt ein Werkkommentar, der anlässlich der Uraufführung veröffentlicht wurde: »Young Apollo«, so die Programmnotiz, »beruht auf den letzten Worten in (John) Keats unvollendetem (Gedicht) ›Hype­r ion‹: ›von Kopf zu Fuss ein Gott …!‹ Das Ende einer Generation von Göttern ist da. Saturn, Hype­r ion und die anderen alten Götter, die die Welt mit Gewalt und Schrecken regier­ten, müssen der neuen Generation weichen – Göttern des Lichts, der Jugend, der Schönheit und des Lachens. Apollo (…) sieht seine Bestimmung voraus, und mit einem letzten Ruck wirft er seine sterbliche Form ab. So steht er vor uns, der neue, berückende Sonnengott, strahlend und bebend vor Vitalität.« Bereits vom Notentext her wirkt Brittens Musik, als sei sie ein Umkehrbild zu Pärts »Cantus«: A-Dur dominiert in ihr anstatt a-Moll, die permanenten Bewegungen sind aufwärts statt abwärts gerichtet und es herrscht ein lebhaftes Tempo vor. Trotz des fröhlich erscheinenden Charakters des Werkes aber deutet eine ernsthafte Episode des Soloquartetts gegen Ende an, dass selbst das Leben junger, sich gerade zu voller Größe entwickelnder Götter nicht ungefährdet ist. Aus der Taufe gehoben wurde »Young Apollo« unter Leitung von Alexander Chuhaldin, dem Widmungsträger, 1939 in Toronto (mit dem Komponisten am Klavier). Elf Jahre später entstanden die »Lachrymae« (Tränen), ein zunächst für Viola und Klavier geschriebenes und auch so (mit William Primrose und Britten) uraufgeführtes Variationenwerk, dem der Autor 1976 als op. 48a eine Fassung für Viola und Orchester folgen ließ. Das zugrundeliegende Thema entstammt einer 1604 veröffentlichten Sammlung mit Lautenkompositionen des englischen Renaissancemeisters John Dowland (1563-1626) und ist bereits damals alsbald mit einem Gesangstext unterlegt worden: »If my complains could passions move« (Wenn meine Klagen die Leidenschaften bewegen könnten). Brittens »Lachrymae« beginnen mit einer aus dem Thema abgeleiteten Introduktion (das Lied als solches erklingt zunächst nicht), an die zehn Charaktervariationen angefügt sind, die das Thema unterschiedlich verändern, es immer neu beleuchten und in der sechsten Variation sogar ein weiteres Dowland-Lied einbeziehen, bis sich, ohne Zäsur, an die zehnte Variation in »tempo semplice« die Teile 2 und 3 des originalen Dowland-Satzes anschließen und dem Werk einen sehr berührenden Abschluss geben. Besetzung »Lachrymae«: Viola solo, Streicher // Dauer: ca. 15 Minuten Besetzung »Young Apollo«: Klavier solo, Streichquartett, Streicher // Dauer: ca. 10 Minuten Dmitri Schostakowitsch Symphonie Nr. 14 g-Moll op. 135 Die ersten Monate des Jahres 1969 musste Dmitri Schostakowitsch im Krankenhaus zubringen. Er las sehr viel, vor allem Gedichte, die zuvor in der UdSSR nur schwer zugänglich gewesen waren, so von Baudelaire, Apollinaire, Rilke, Küchelbeker. Die Idee zu einem neuen Opus und dessen Ausarbeitung folgten gleichermaßen rasch. Warum die elf Gesänge unter der Bezeichnung »Symphonie Nr. 14« zusammengefasst wurden, lässt sich nicht schlüssig erklären. Weniger überraschend ist, dass der Meis­ ter diese Schöpfung dem Freund Benjamin Britten widmete, denn sie besitzt, gleich seinen anderen Spätwerken, höchsten künstlerischen Rang. Schostakowitschs eigener Behauptung, er habe eine verkappte viersätzige Symphonie lebensbejahenden Inhalts geschrieben, darf man nicht mehr Glauben schenken als so mancher ähnlichen Äußerung, die ihm zum Schutz gegen Anfeindungen dienen sollte. Vielmehr behandelt das Werk durchgehend das Thema »Tod«; einen Schimmer von Hoffnung gibt es nirgends. Auch eine immanente Viersätzigkeit lässt sich nicht bestätigen, weil die Nummern, die man in Gruppen zusammenfassen könnte, keine überzeugenden Proportionen ergeben und der oft abschlusslose Übergang von einem Satz in den anderen noch zusätzlich erschwerend für die Form­ erkenntnis wirkt. Am wenigsten aber ist das Werk »symphonisch«: Die beiden Singstimmen werden vorwiegend kammermusikalisch begleitet, niemals von der Gesamtheit der vorgeschriebenen Instrumente, dafür unter mehrfacher solistischer Verwendung von Violine, Bratsche und Violoncello sowie verschiedener Schlaginstrumente. Gelegentlich ist der Instrumentalsatz bis zu linearer Zweistimmigkeit ausgedünnt. Liegt also im Grunde ein Gesangszyklus vor? Schostakowitsch hat deren einige geschrieben, im vorliegenden Fall aber diese Bezeichnung offenbar nicht gewollt. Eine klare Struktur lässt hingegen die Aufeinanderfolge der Texte erkennen. Da handeln die beiden García-Lorca-Lieder von Toten und vom Tod (Nr. 1 und 2); die sechs Apollinaire-Gedichte vom Selbstmord aus höchster Not (Nr. 3 und 4), von der Todesgefahr der Soldaten (Nr. 5 und 6) und der Verzweiflung des einsamen Eingekerkerten (Nr. 7) sowie von hasserfüllter Rache (Nr. 8); die drei letzten Gesänge geben schmerzlicher Resignation Ausdruck. Auch musikalisch wird ein Bogen gespannt, denn die Nr. 10 greift das weit­ geschwungene musikalische Hauptthema von Nr. 1 (mit eingewobenem »Dies irae«Motiv) wieder auf. Dazwischen reichen die Gestaltungselemente von wilden »Gitar­ renklängen« (Nr. 2) und hölzern klapperndem, hartem Marschgetrommel (Nr. 5) über die Dramatik von Nr. 3 und die kontrastierende Bewegungslosigkeit von Nr. 4 (hier lässt der russische Text offen, ob ein Toter oder eine Tote zu uns spricht), von der eisigen Kälte einer zwölftönigen Fuge (Zwischenspiel in Nr. 7) über den lärmenden Zorn auf tyrannische Gewalttäter (Nr. 8) bis hin zu der an Mahler erinnernden Leiderfülltheit von Nr. 9 und 10. Die sehr kurze Nr. 11 bricht unvermittelt ab – als ob ein Herz stehenbleibt. Der Uraufführung am 29. September 1969 in Leningrad unter Rudolf Barschai und der kurz darauf folgenden Wiederholung in Moskau gingen 60 (!) Proben voran. Offizielle Anfeindungen wegen des Werkes blieben Schostakowitsch erspart, er erfuhr vielmehr uneingeschränkte Zustimmung. Es ist aber kaum davon auszugehen, dass sich das Publikum von des Meisters Beteuerungen, ein dem Leben zugewandtes Opus in herkömmlicher Form vorgelegt zu haben, wirklich hat beeindrucken lassen. Die erste Aufführung der Symphonie im Westen fand 1970 beim Aldeburgh Festival statt: unter der Leitung von Benjamin Britten. Besetzung: Sopran solo, Bass solo, Schlagzeug, Celesta, Streicher // Dauer: ca. 55 Minuten Or t ru n L a n dm a n n gesangstexte der Symphonie Nr. 14 von Dmitri Schostakowitsch in deutscher Fassung 1. De profundis Einhundert heiß Verliebte schlafen für immer, schlafen unter der trocknen Erde. Rot sind die langen Straßen, die Straßen von Andalusien. Grüne Olivenbäume bei Córdoba sich neigen. Dort stehen hundert Kreuze, dass wir sie nicht vergessen. Einhundert heiß Verliebte schlafen für immer. F e d e ri co G a r cí a Lo r c a (18 9 8 -19 3 6), russis c h e r T e x t: I . Ti n ja n o w 2. Malagueña Seht den Tod ein- und ausgehn in der Taberne. Nachtschwarze Pferde und finstere Seelen durchschreiten die Schatten der Gitarre. Es duftet berauschend nach Salz und Fieber aus allen Blüten des Meeres. Der Tod, er geht ein und geht aus, er geht aus und geht ein, der Tod in der Taberne. F e d e ri co G a r cí a Lo r c a , russis c h e r T e x t: L . G e l e s k ul 3. Loreley Zu der blonden Hexe kamen Männer in Scharen, die vor Liebe zu ihr fast wahnsinnig waren. Es befahl der Bischof sie vor sein Gericht, doch bewog ihn zur Gnade ihre Schönheit so licht. »Loreley, deine Augen, die so viele gerühret, welcher Zauber hat sie nur zum Bösen verführet?« »Lasst mich sterben, Herr Bischof, verdammt ist mein Blick. Wer mich nur angeschauet, kann nimmer zurück. Meine Augen, Herr Bischof, sind schreckliche Flammen. Lasst mich brennen am Pfahl, denn ihr müsst mich verdammen!« »Loreley, wie soll ich dich verdammen, wenn mein Herz für dich steht in Flammen: heile du meinen Schmerz!« »Sprecht nicht weiter, Herr Bischof, lasst Euch nicht von mir rühren, denn Gott hat Euch bestimmt, mich zum Tode zu führen. Fort von hier zog mein Liebster, hat sich von mir gewandt, ist von dannen geritten in ein anderes Land. Seither trauert mein Herze, darum muss ich verderben. Wenn ich nur in mein Antlitz seh, möchte ich sterben. Fort von hier zog mein Liebster, nun ist alles so leer, sinnlos ist diese Welt, Nacht ist rings um mich her!« Der Bischof lässt kommen drei Ritter: »Ihr Treuen, bringt mir diese ins Kloster, dort soll sie bereuen. Geh hinweg, Loreley! Falsche Zauberin du, wirst als Nonne nun finden im Gebet deine Ruh.« Mühsam sieht man sie dort einen Felsweg beschreiten. Und sie spricht zu den Männern, die ernst sie begleiten: »Auf der Höhe des Felsens will ich einmal noch stehn und das Schloss meines Liebsten von ferne nur sehn. Und sein Spiegelbild lasst mich zum letzten Male betrauern, danach könnt ihr mich bringen in Klostermauern!« Und ihr Haar fliegt im Winde, seltsam leuchtet ihr Blick, und es rufen die Ritter: »Loreley, zurück! Loreley, zurück!« »Auf dem Rheine, tief drunten, kommt ein Schifflein geschwommen, drinnen steht mein Geliebter, und er winkt, ich soll kommen! O wie leicht wird mein Herze! Komm, Geliebter mein!« Tiefer lehnt sie sich über und stürzt in den Rhein. Und ich sah sie im Strome, so ruhig und klar, ihre rheinfarbnen Augen, ihr sonniges Haar. Guill aum e A p o lli n a ir e (18 8 0 -1918) n ac h Cl e m e n s B r e n ta n o (17 7 8 -18 4 2), russis c h e r T e x t: M . Kudi n o w 4. Der Selbstmörder 6. Sehen Sie, Madame! (Les attentives II) Drei Lilien schmücken in Demut mein kreuzloses Grab. Drei Lilien, bedeckt mit Gold, das vom Winde verstreut auf den Wegen. Leis glänzen sie auf, wenn die nachtschwarzen Wolken sie tränken mit Regen und ragen in einsamer Schönheit, voll Stolz wie der Könige Stab. Aus meiner Wunde wächst eine den Strahlen der Sonne entgegen, da entfaltet sich blutend die Lilie, die Schrecken mir gab. Madame haben eben irgend etwas verloren ... Pah! Kleinigkeit! Ach, es war nur mein Herz, und glaubt mir, ganz leicht aufzuheben. Drei Lilien schmücken in Demut mein kreuzloses Grab. Drei Lilien, bedeckt mit Gold, das vom Winde verstreut auf den Wegen. Die zweite entwächst mir dem Herzen allein, das geht leidend zugrunde von Würmern zerfressen. Die dritte der Lilien entwächst meinem Munde. Sie wachsen und blühen auf meinem vereinsamten Grab. Ihre Schönheit ist nur ein Fluch, wie das Schicksal ihn meiner Vergänglichkeit gab. Drei Lilien schmücken in Demut mein kreuzloses Grab. Guill aum e A p o lli n a ir e , russis c h e r T e x t: M . Kudi n o w 5. Auf Wacht (Les attentives I) Er muss heut abend sterben den Tod im Schützengraben, mein kleiner Sturmsoldat, dessen müde Augen Tag für Tag nur zur Verteidigung des Ruhmes taugen. Für Ruhm allein ist er nicht mehr zu haben. Er muss heut abend sterben den Tod im Schützengraben, mein kleiner Sturmsoldat, mein Bruder du, mein Glück. Und weil er sterben muss, will ich heut abend schön sein, auf meinen Brüsten soll leuchten der Flammenschein, zerschmelzen soll mein Blick die schneebedeckten Höhen, und wie ein Band von Gräbern wird mein Gürtel sein. In tiefer Sünde wie im Tode will ich schön sein, weil er heut sterben muss, im Graben dort allein. Einmal gab ich’s her, einmal nahm ich’s zurück, – ja, so ist das Leben. Er lag da im Schützengraben. Ich lache laut, ha, ha, ha. Und ich lache laut um die Liebe, die dort für den Tod gegeben. Guill aum e A p o lli n a ir e , russis c h e r T e x t: M . Kudi n o w 7. Im Kerker der Santé Man zog mich völlig aus und schloss mich in den Kerker ein. Das Schicksal blieb vor meiner Tür. lm Dunkel ich allein. Wo seid ihr Freunde, euer Sang, ihr Mädchenlippen rot. Hier wölbt sich über mir das Grab, hier wartet nur der Tod. Nein, ich bin nicht der, als der ich einst geboren: hier bin ich Nummer Fünfzehn, für alle Zeit verloren. In einem Graben wie ein Bär geh ich im Kreis, im Kreis umher. Der Himmel lastet schwer, ich seh ihn nimmermehr. In einem Graben wie ein Bär geh ich im Kreis umher. Der Abend brüllt wie dunkle Kuhe, es flammen Rosen, und blaue Fittiche verzaubern meinen Blick. Der Stundenschlag der Liebe, ein fieberndes, heißes Kosen. Der Sichelschlag des Todes, ein letzter Gruß zurück. So wird er heute sterben, so wie die dunklen Rosen, mein kleiner Sturmsoldat, mein Bruder du, mein Glück. Warum, o mein Gott? Du kennst meinen Schmerz, denn du hast ihn mir gegeben. Erbarm dich, erbarm dich meiner Leiden, sieh, mein Antlitz fast ohne Leben! Guill aum e A p o lli n a ir e , russis c h e r T e x t: M . Kudi n o w Erbarm dich all der armen Herzen, die hier im Dunkel des Kerkers schlagen, nimm von mir den Kranz, mit Dornen besät, und lass meinen Geist nicht verzagen! Der Abend naht lautlos, und plötzlich über mir Licht, das die Dunkelheit bannt. lm Stillen hier, ganz allein in der Zelle: ich und mein klarer Verstand. Guill aum e A p o lli n a ir e (g e k ü r z t ), russis c h e r T e x t: M . Kudi n o w 8. Antwort der Zaporoger Kosaken an den Sultan von Konstantinopel Der du schlimmer als Barrabas bist und gehörnt wie ein Höllendrachen, Beelzebub ist dein Freund, und du frisst nichts als Unflat und Dreck in den Rachen, abscheulich dein Sabbath uns ist. Du verfaulter Kadaver von Saloniken, blutiger Traum ohne Sinn, deine Augen zerstochen von Piken: deine Mutter, die Erzbuhlerin, sie gebar dich stinkend in Koliken. Henkersknecht von Podolien! Du träumst von Pein, Schorf und Wunden, Eitergeschwüren. Arsch der Stute, Schnauze vom Schwein! Alle Arzenei soll nur schüren Pest und Aussatz in deinem Gebein. Guill aum e A p o lli n a ir e , russis c h e r T e x t: M . Kudi n o w 9. An Delwig O Freund, mein Freund! Was ist der Lohn für meine Taten, für mein Dichten? Wo bleibt der Trost für die Begabung, zwischen Verbrecherpack und Wichten? Doch wenn die Geißel des Gerechten die Schurken weist in ihre Schranken, erbleichen sie, und die Gewalt der Tyrannei beginnt zu wanken. O Freund, mein Freund! Was zählt Verfolgung? Unsterblichkeit ist doch der Lohn erhabener und kühner Taten, der Preis für des Gesanges süßen Ton. Denn unvergänglich ist der Geist, das freie, freudig-stolze Wesen, das Bündnis, das die Menschen eint, die von den Musen auserlesen. Wil h e lm KÜ c h e lb e k e r (17 9 7-18 4 6) 10. Der Tod des Dichters Er lag. Sein aufgestelltes Antlitz war bleich und verweigernd in den steilen Kissen, seitdem die Welt und dieses Von-ihr-Wissen, von seinen Sinnen abgerissen, zurückfiel an das teilnahmslose Jahr. Die, so ihn leben sahen, wussten nicht, wie sehr er Eines war mit allem diesen; denn Dieses: diese Tiefen, diese Wiesen und diese Wasser waren sein Gesicht. O sein Gesicht war diese ganze Weite, die jetzt noch zu ihm will und um ihn wirbt; und seine Maske, die nun bang verstirbt, ist zart und offen wie die Innenseite von einer Frucht, die an der Luft verdirbt. R a i n e r M a ri a R il k e (18 7 5 -19 2 6), russis c h e r T e x t: T. S ilm a n 11. Schlussstück Der Tod ist groß, wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns. R a i n e r M a ri a R il k e , russis c h e r T e x t: T. S ilm a n Ada p t i o n d e r Ori g i n a lt e x t e u n d d e u t s c h e Fa ssu n g d e r S ät z e 1- 9 vo n J ö r g M o r g e n e r © M i t fr e u n dli c h e r G e n e h mi g u n g M usi k v e rl ag H a n s S i ko rs k i , H a mbur g biografien Igor Levit Klavi e r gehört ebenfalls seit den allerersten Anfängen der Schostakowitsch-Tage zu den künstlerischen Stammgästen des Gohrischer Festivals, in dessen Rahmen er 2011 als Solist unter Michail Jurowski auch sein Debüt bei der Sächsischen Staatskapelle gab. Der junge Pianist, der in Hannover studierte und von der BBC als New Generation Artist gefördert wird, sorgte in diesem Jahr als Artist in Residence beim Heidelberger Frühling für Aufsehen, 2014 ist er in gleicher Funktion beim Kissinger Sommer und bei den Festspielen MecklenburgVorpommern zu Gast. Konzerte gab er u.a. mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg, dem London Philharmonic Orchestra, den Wiener Symphonikern und der NDR Radiophilharmonie. Klavierabende führen ihn in dieser Saison in die Berliner und Kölner Philharmonie, ebenso nach München, Frankfurt, London und Zürich. Michail Jurowski D iri g en t engagierte sich mit seinem gestrigen Dirigat in Gohrisch bereits zum vierten Mal in Folge bei den dortigen Internationalen Schostakowitsch Tagen, die 2010 von der Sächsischen Staatskapelle in dem Kurort in der Sächsischen Schweiz mit ins Leben gerufen wurden. Jurowski, dessen Familie in enger Beziehung zu Dmitri Schostakowitsch stand, zählt heute zu den authentischsten Interpreten der Musik des großen russischen Komponisten. Ausgebildet am Moskauer Konservatorium, assistierte Michail Jurowski noch während seines Studiums Gennadi Roschdestwenski beim Großen Symphonieorchester des Staatlichen Rundfunks und Fernsehens in Moskau. Spätere Positionen verbanden ihn u.a. mit der Semperoper Dresden, der Oper Leipzig, dem RundfunkSinfonie­orchester Berlin und dem WDR Rundfunk­orchester in Köln, seit 2003 ist er Erster Gast­d irigent des Tonkünstler-Orchesters Nieder­österreich. Vor wenigen Wochen dirigierte Jurowski das traditionelle Open-Air-Konzert »Klassik Picknickt« der Sächsischen Staatskapelle vor der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen, bei dem, ganz dem diesjährigen Titel »Russische Nacht« entsprechend, auch Musik von Schostakowitsch erklang. Michail Jurowski wurde 2012 in Gohrisch mit dem 3. Internationalen Schostakowitsch Preis ausgezeichnet. Tatjana Masurenko Vi ola ist »eine der größten und kreativsten Bratschis­ tinnen unserer Zeit«, schwärmt die Presse und zählt sie »zu jenen Virtuosinnen und Virtuosen der Viola, die in den letzten Jahren die Reichweite dieses Instruments erheblich vergrößert haben«. Die mehrfach mit Preisen und Auszeichnungen geehrte Künstlerin stammt aus einer Familie russischer Wissenschaftler und Jazzmusiker. Sie ist gern gesehener Gast der bedeutenden Kammermusikfestivals und arbeitet im Konzertsaal mit Orchestern wie der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und dem Gewandhausorchester Leipzig, auf dem Kammermusikpodium mit Künstlern wie Gidon Kremer, Heinrich Schiff, Isabelle Faust, Lars Vogt und Christian Tetzlaff zusammen. Meisterkurse gibt sie in ganz Europa, sie ist gefragte Jurorin bei internationalen Wettbewerben und unterrichtet als Professorin in Leipzig. VORSCHAU Evelina Dobračeva So pr an gab ihr Operndebüt als Donna Anna in Hamburg, in der Folge glänzte sie in den Partien der Ariad­ ne, Fiordiligi, Micaëla oder Violetta auf den renommierten Bühnen von Köln bis Verbier und Toulon. Als Konzertsängerin international geschätzt, war sie u.a. in Verdis Requiem in Berlin, Salzburg, Barcelona und Porto sowie mit Strauss’ »Vier letzten Liedern« beim Royal Liverpool Philharmonic Orchestra zu erleben, 2012 feierte die gebürtige Russin mit ihren Auftritten in Schostakowitschs Vokalzyklus »Aus jiddischer Volkspoesie« in Goh­ risch und der Semperoper ihren Einstand bei der Staatskapelle. Mit großem Erfolg gastierte sie kürzlich in Brittens »War Requiem« beim City of Birmingham Symphony Orchestra, der »Guardian« verglich ihre Interpretation begeistert mit der von Galina Wischnewskaja, für die der Sopranpart einst geschrieben wurde. Maxim Mikhailov Bass ging 1987 als Sieger aus dem Glinka-Wettbewerb hervor und wurde anschließend als Solist an das Bolschoi-Theater engagiert, seine internationale Karriere begann 1993 nach dem Gewinn des Wiener Belvedere-Wettbewerbs. Eine der Paraderollen des aus Moskau stammenden Sängers ist der Pope in Schostakowitschs »Lady Macbeth von Mzensk«, den er in Covent Garden, an der Scala oder auch am Liceu verkörperte. Er trat als Warlaam (»Boris Godunow«) u.a. am Teatro La Fenice in Venedig und an der Houston Grand Opera auf, als Tomski bzw. Surin (»Pique Dame«) gastierte er an Häusern wie dem Teatro di San Carlo in Neapel und der Opéra Bastille, Produktionen von »Stiffelio« und Ambroise Thomas’ »Hamlet« führten ihn an die Met. Unter Michail Jurowski sang der Bass bei den Osloer Philharmonikern den Solopart in Schostakowitschs Symphonie Nr. 13 »Babi Jar«. M I TTWOCH 2 3.10 .13 2 0 U H R S E M PER OPER D R E S D EN 2. Kammerabend Mitwirkender Gast Mirjana Rajić Klavier Ausführende Kai Vogler Violine Annika Thiel Violine Kay Mitzscherling Violine Holger Grohs Viola Friedwart Christian Dittmann Violoncello César Franck Violinsonate A-Dur Kammermusik der Sächsischen Staatskapelle Dresden Gegründet 1854 als TonkünstlerVerein zu Dresden Verantwortlich: Friedwart Christian Dittmann, Ulrike Scobel und Christoph Bechstein I m pressu m Sächsische Staatskapelle Dresden Chefdirigent Christian Thielemann Spielzeit 2013 | 2014 H e r aus g e b e r Sächsische Staatstheater – Semperoper Dresden © September 2013 R e da k t i o n Dr. Torsten Blaich bild n ac h w e is Alexander Borodin Streichquartett Nr. 2 D-Dur Michail Jurowski: Matthias Creutziger; Igor Levit: Felix Broede; Tatjana Masurenko: Albrecht Grüss; Evelina Dobračeva: Dima Tarasenko; Maxim Mikhailov: Katya Chiringelli. D o n n ers tag 14 .11.13 2 0 U h r S e m p er o p er D r e sd e n Text 2. Aufführungsabend Dresdner Kapellsolisten Helmut Branny Leitung Susanne Branny Violine Frank Martin »Etudes« für Streichorchester Wolfgang Rihm »Lichtes Spiel«, Ein Sommerstück für Violine und kleines Orchester (2009) Wolfgang Amadeus Mozart Symphonie D-Dur KV 385 »Haffner-Symphonie« Der Einführungstext von Dr. Ortrun Landmann ist ein Originalbeitrag für die Publi­ kationen der Sächsischen Staatskapelle Dresden. G e s ta lt u n g u n d s at z schech.net Strategie. Kommunikation. Design. D ru c k Union Druckerei Dresden GmbH Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. w w w. s taat skape l l e - dresden . de w w w. s ta at s k a p ell e- dr e sd en .d e