Soziale Phobie.

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Störungen des Erlebens und Verhaltens
Soziale Phobie
Prof. Dr. Tanja Michael
Klinische Psychologie und Psychotherapie
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Überblick
• Darstellung der Störung
• Ätiologie und Verlauf
• Diagnostik
• Therapeutisches Vorgehen
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 2
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Kernmerkmale Sozialer Phobien
• intensive Angst in sozialen Situationen aufzufallen
▫ durch bestimmte Verhaltensweisen
▫ durch das Sichtbarwerden von körperlichen Angstsymptomen
• Befürchtungen
▫ negativ bewertet zu werden
▫ abgelehnt zu werden
• Einschränkungen
▫
▫
▫
▫
Lebensführung und Genussfähigkeit
schulische und berufliche Ausbildung
private und berufliche Sozialkontakte
Gestaltung der Freizeit
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 3
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Kernmerkmale Sozialer Phobien
• dysfunktionale Gedanken
▫ negative Selbstabwertung
▫ perfektionistische Anforderungen an sich selbst
• körperliche Symptome
▫ Erröten, Zittern, Schwitzen, Atemnot, Schwindel, Harn-Stuhldrang
• spezifische Verhaltensweisen
▫ Vermeidungs- und Fluchtverhalten
▫ Sicherheitsverhaltensweisen
▫ ungeschicktes und wenig kompetentes Interaktionsverhalten
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
ICD-10
DSM-IV
Furcht vor prüfender Betrachtung durch andere
Menschen in verhältnismässig kleinen Gruppen,
Kann klar abgegrenzt sein:
- Essen in der Öffentlichkeit
- Sprechen in der Öffentlichkeit
- Treffen mit anderem Geschlecht
Oder unbestimmt:
- In fast allen sozialen Situationen ausserhalb des
Familienkreises.
Soziale Phobien sind in der Regel mit einem
niedrigen Selbstwertgefühl verbunden.
A. Ausgeprägte und anhaltende Angst vor einer
oder mehreren sozialen oder
Leistungssituationen, in denen die Person mit
unbekannte Personen konfrontiert oder von
anderen Personen beurteilt werden könnte.
Der Betroffene befürchtet, ein Verhalten zu
zeigen, dass demütigend oder peinlich sein
könnte.
Die psychischen, Verhaltens- oder vegetativen
Symptome müssen primäre Manifestationen der
Angst sein und nicht auf anderen Symptomen wie
Wahn oder Zwangsgedanken beruhen.
G. Die Angst oder Vermeidung geht nicht auf die
direkte körperliche Wirkung einer Substanz
(z.B. Droge, Medikament...) oder eines
medizinischen Krankheitsfaktors zurück und
kann nicht besser durch eine andere
psychische Störung (z.B. Panikstörung... )
erklärt werden.
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
H. Falls ein medizinischer Krankheitsfaktor oder
eine andere psychische Störung vorliegen, so
stehen diese nicht im Zusammenhang mit der
unter Kriterium A beschriebenen Angst, z.B.
Angst vor Stottern oder bei Anorexie oder
Bulimie , ein abnormales Essverhalten zu
zeigen.
Die Angst muss auf bestimmte soziale Situationen
beschränkt sein oder darin überwiegen.
B. Die Konfrontation mit der gefürchteten sozialen
Situation ruft fast immer eine unmittelbare
Angstreaktion hervor, die das
Erscheinungsbild einer situationsgebundenen
oder situationsbegünstigten Panikattacke
annehmen kann.
Die phobischen Situationen werden - wann immer
möglich - vermieden.
D. Die gefürchteten sozialen oder
Leistungssituationen werden vermieden oder
nur unter intensiver Angst oder Unwohlsein
ertragen.
Vermeidung wird oft beobachtet und in extremen
Fällen kann beträchtliches Vermeidungsverhalten
schliesslich zu vollständiger sozialer Isolierung
führen.
E. Das Vermeidungsverhalten, die ängstliche
Erwartungshaltung oder das starke
Unbehagen in den gefürchteten Situationen
beeinträchtigen deutlich die normale
Lebensführung der Person, ihre berufliche
(oder schulische) Leistung oder soziale
Aktivitäten oder Beziehungen, oder die Phobie
verursacht erhebliches Leiden.
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Die betroffene Person meint manchmal, dass eine
dieser sekundären Manifestationen ihrer Angst
das primäre Problem darstellt.
C. Die Person erkennt, dass die Angst übertrieben
oder unbegründet ist.
Soziale Phobien beginnen oft in der Jugend.
Hinweis zu A: Bei Kindern muss gewährleistet sein,
dass sie im Umgang mit bekannten Personen über
die altersentsprechende Kompetenz verfügen, und
die Angst muss gegenüber Gleichaltrigen und
nicht nur in der Interaktion mit Erwachsenen
auftreten.
F. Bei Personen unter 18 Jahren hält die Phobie
über mindestens 6 Monate an.
Agoraphobie und depressive Störungen sind die
wichtigsten Differenzialdiagnosen. In Fällen, in
denen die betroffene Person an das Haus gefesselt
ist, kann es wie eine Agoraphobie aussehen. Ist
die Unterscheidung sehr schwierig, soll
vorzugsweise Agoraphobie diagnostiziert werden.
Eine Depression ist aber nur dann zu
diagnostizieren, wenn ein voll ausgebildetes
depressives Syndrom festzustellen ist.
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Bestimme, ob:
Generalisiert: Wenn die Angst fast alle sozialen
Situationen betrifft, ziehe auch die zusätzliche
Diagnose einer Vermeidend-Selbstunsicheren
Persönlichkeitsstörung in Betracht.
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Merkmale sozialphobischer Patienten (1)
In einer viel zitierten klinischen Studie hat Nichols (1974) einige
typische Merkmale sozialphobischer Patienten herausgearbeitet.
Die folgenden 15 Punkte stammen aus verschiedenen Therapiephasen
und basieren auf einer dreijährigen Arbeit mit insgesamt 35 Patienten.
Jeder Punkt trat bei mindestens 50% der Patienten auf:
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Merkmale sozialphobischer Patienten (2)
1. Die Wahrnehmung einer negativen oder kritischen Beurteilung durch
andere.
2. Die Erwartung von negativer oder kritischer Beurteilung durch andere.
3. Eine starke Tendenz nicht existierende Kritik von anderen wahrzunehmen
und darauf zu reagieren.
4. Niedriger Selbstwert - das Gefühl weniger zu können und weniger Macht zu
haben als andere.
5. Rigide Auffassungen über angemessenes Sozialverhalten und mangelnde
Fähigkeit, das Verhalten den Situationen anzupassen.
6. Negative Phantasien, die Erwartungsangst hervorrufen.
7. Erhöhtes Bewusstsein von und Angst vor Bewertung durch andere.
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Merkmale sozialphobischer Patienten (3)
8. Das Gefühl, beobachtet zu werden.
9. Erhöhtes Bewusstsein von und Angst vor Situationen, in denen plötzlicher
Rückzug unerwartet wäre und vermutlich Aufmerksamkeit erregen würde.
10. Das Gefühl, in solchen Situationen in der Falle zu sitzen.
11. Übertriebene Interpretation der sensorischen Rückmeldung im
Zusammenhang mit Anspannung oder Peinlichkeit.
12. Entdeckung körperlicher Empfindungen in sozialen Situationen.
13. Angst davor, als „krank“ oder „unkontrolliert“ gesehen zu werden.
14. Die Erfahrung eines zunehmenden Ansteigens des Unwohlseins.
15. Die Unvorhersagbarkeit der Angstreaktion.
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Hauptängste bei Agoraphobie und Sozialer Phobie im
Vergleich
Schlimmer, wenn die Soziale Phobie die
Hauptbeschwerde ist:
Schlimmer, wenn Agoraphobie die
Hauptbeschwerde ist:
Vorgestellt werden
alleine sein
Autoritätspersonen treffen
ungewohnte, fremde Orte
telefonieren
Strassen überqueren
Besucher zu Hause haben
öffentliche Verkehrsmittel
beobachtet werden, während man etwas tut
Kaufhäuser
geneckt werden
Menschenmengen
mit Bekannten zu Hause essen
offene Plätze
mit der Familie zu Hause essen
Kleine Läden
vor anderen schreiben
Mäuse, Ratten, Fledermäuse
sprechen in der Öffentlichkeit
Schlangen
fliegende Insekten
tiefes Wasser
Flugzeuge
Blut, Wunden
Nach Amies, P.L.; Gelder, M.G., and Shaw, P.M. „Social Phobia: A Comparative Clinical Study,“ British Journal of
Psychiatry 142 (1983): 176ff.
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Vergleich der Hauptsymptome von Agoraphobie und
Sozialer Phobie
Item
Soziale Phobie (%)
Agoraphobie (%)
p<
Erröten
Muskelzucken
51
37
21
21
Schwächegefühl in Gliedmassen
41
77
.001
(.07)
.001
Atembeschwerden
30
60
Schwindel/Ohnmachtgefühl
39
68
Ohnmachtsanfall
10
25
Summen/klingeln in den Ohren
13
30
.05
.05
Herzklopfen
Verspannte Muskeln
trockene Kehle/Mund
flaues Gefühl im Magen
Übelkeit
Zittern
NS = nicht signifikant
79
64
61
63
40
75
77
67
65
54
40
75
NS
NS
NS
NS
NS
NS
.001
.01
Nach Amies, P.L.; Gelder, M.G., and Shaw, P.M. „Social Phobia: A Comparative Clinical Study,“ British Journal of
Psychiatry 142 (1983): 176ff.
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Reaktivität der Herzrate bei Subtypen von Sozialer
Phobie
20
Public Speaking
Phobics
Heart Rate
Reactivity
(bpm)
15
Generalized Social
Phobics
10
5
0
0
1
2
3
4
minute
Veränderung der Herzrate zweier Gruppen von Sozialphobikern, die durch idiosynkratische
Verhaltenssimulation erzeugt wurde. Verglichen wurden 2 Subtypen der Sozialen Phobie
(DSM-III-R), Generalisierte Sozialphobiker mit Patienten, bei denen „Angst vor öffentlichem
Sprechen“ im Vordergrund stehen.
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Heimberg, R.G., Hope, D.A., Dodge, C.S., & Becker, R.E. (1987)
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Epidemiologie
• Überblick für Allgemeinbevölkerung (Lieb & Müller 2002)
▫ weit schwankende Prävalenzzahlen
▫ unterschiedliche diagnostische Kriterien verschiedener
Klassifikationssysteme und Erhebungsinstrumente
• Europäische Studien (Fehm et al. 2005)
▫
▫
▫
▫
▫
Lebenszeitprävalenz 4 – 12 %
Jahresprävalenz 2 %
jährliche Inzidenzrate 1%
Frauen versus Männer 1,5 fach erhöhtes Risiko
in klinischen Stichproben und schweren generalisierten Formen – kaum
Geschlechtsunterschiede
• Kulturvergleich (Furmark 2002)
▫ selteneres Vorkommen in Südost - Asien
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Komorbidität – Ko-Prävalenz
DSM-III-R-Diagnose
Odds Ratio
Major Depression
3.7**
Dysthymie
3.2*
Generalisierte Angst
3.8*
Agoraphobie
7.1**
Spezifische Phobie
7.8**
Panikstörung
4.7*
Panikattacken
4.7**
Posttraumatische Belastungsstörung
2.7
Alkoholmissbrauch
1.2
Alkoholabhängigkeit
2.2*
Drogen-/Medikamentenmissbrauch
1.2
Drogen-/Medikamentenabhängigkeit
2.6*
* 5%-Niveau, ** 1%-Niveau
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Komorbidität – Ko-Prävalenz
• Soziale Phobie: große Bedeutung in Zusammenhang mit
anderen psychischen Störungen
(Fehm & Wittchen 2004; Lieb & Müller 2002)
▫
▫
▫
▫
▫
in klinischen Stichproben zusätzlich bis zu 60%
Affektive Störungen, Spezifische Phobien, Essstörungen 60%
Agoraphobie 45%
Substanzmissbrauch – abhängigkeit 13 – 18 %
Schweregrad bei ko-prävalent vorhandenen Störungen - hoch
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Zwei Typen sozialer Ängste: Sozialphobie und
Soziales Kompetenzdefizit
Merkmale
Sozialphobie
Soziales Kompetenzdefizit
Geschlechtsverhältnis
Männlich = Weiblich
Männlich > Weiblich
Beginn
Plötzlich ab Teenager-Alter Schleichend seit Kindheit
Fokus der Phobie
Spezifisch
Diffus
Assoziierte Probleme
Gelegentlich
Üblicherweise sehr stark
Benötigte Therapie
Konfrontation und
Angstbewältigungstraining
Training sozialer
Kompetenz
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Erstauftretensalter von Sozialen Phobien
30
25
20
N 15
10
5
0
0
to
5
6 11 16 21 26 31 36 41 46 51 56 61 66 71
to to to to to to to to to to to to to to
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75
Alter der Erstmanifestation
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Schneier et al., Arch Gen Psychiatry (1992)
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Ausmaß der psychosozialen Probleme Sozialer
Phobien
Höhepunkt-Erkrankung
derzeit
3
Ausmass 2
der
Probleme 1
0
Problembereiche Sozialphobiker
Ausmaß der psychosozialen Probleme Sozialer Phobien in der Liebowitz Self-Reated Disability
Scale (deutsch: Wittchen und Beloch 1994) für den Höhepunkt der lebenszeitbezogenen
Krankheitsepisode sowie für die letzten 4 Wochen (N: Soziale Phobie: 136). Das Ausmaß der
Einschränkungen wird dreistufig von leicht (1) über deutlich (2) bis gravierend (3) beurteilt.
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Suizidalität bei Sozialer Phobie
Unkomplizierte S.P
Komorbide S.P
Suizidversuch
0.9 %
15.7 %
Wunsch, sich das Leben zu
nehmen
9.8 %
37.3 %
Denken an den Tod
26.8 %
53.8 %
Wunsch zu sterben
8.9 %
27.7 %
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Folgen der Sozialen Phobie: Behinderungen und
Komplikationen (1)
• mangelhaftes Abschneiden in der Ausbildung,
Berufsausbildung, Schule oder Universität
• berufliche Einschränkungen:
unfähig zu arbeiten; Beschäftigung unterhalb der Möglichkeiten; kein
Aufstieg
• soziale Beeinträchtigung:
Einschränkung der sozialen Interaktion;
unfähig, Verabredungen zu treffen oder eine intime Beziehung
einzugehen;
Schwierigkeiten, Freundschaften aufzubauen oder
aufrechtzuerhalten
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 21
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Folgen der Sozialen Phobie: Behinderungen und
Komplikationen (2)
• finanzielle Abhängigkeit von Eltern, Ehepartner
• Kosten für unnötige medizinische Untersuchungen z.B. wegen
Tremor, gastrointestinaler Beschwerden
• Alkoholmissbrauch als Selbstmedikation, Alkoholabhängigkeit
• Depression
• Suizidalität
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 22
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Coping-Strategien bei Sozialer Phobie
• vermeidet soziale Kontakte
• bleibt zu Hause
• entwickelt Alternativen:
„Ich mag keine Feste, ich bleib‘ lieber zu Hause und hör‘ Musik oder
les‘ ein gutes Buch“
• Alkohol in sozialen Situationen
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Überblick
• Darstellung der Störung
• Ätiologie und Verlauf
• Diagnostik
• Therapeutisches Vorgehen
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Mangelnde soziale Kompetenz:
Beispiele sozial kompetenter Verhaltensweisen
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Nein-Sagen
Versuchungen zurückweisen
auf Kritik reagieren
Änderungen bei störendem Verhalten verlangen
Widerspruch äußern
Unterbrechungen im Gespräch unterbinden
sich entschuldigen
Schwächen eingestehen
unerwünschte Kontakte beenden
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Beispiele sozial kompetenter Verhaltensweisen
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Komplimente akzeptieren
auf Kontaktangebote reagieren
Gespräche beginnen
Gespräche aufrechterhalten
Gespräche beenden
erwünschte Kontakte arrangieren
um Gefallen bitten
Komplimente machen
Gefühle offen zeigen
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 26
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Typen sozialer Kompetenzen
• Typ R (Recht): Eigene Rechte und berechtigte Interessen in Anspruch
nehmen und durchsetzen (gegenüber fremden Personen, Behörden,
am Arbeitsplatz usw.), Forderungen stellen, unberechtigte
Forderungen anderer ablehnen.
• Typ B (Beziehung): Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche einbringen (in
die Beziehung zu nahestehenden Personen wie Ehepartner, Kinder,
Freunde usw.), Umgang mit Kritik, Kompromisse finden.
• Typ K (Kontakt): Kontakte aufnehmen und gestalten (v.a. zu mehr
oder minder fremden Personen beiderlei Geschlechts), Menschen
für sich gewinnen, um Sympathie werben.
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Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Kriterien für sicheres, unsicheres und aggressives
Verhalten
Merkmal
Sicher
Unsicher
Aggressiv
Stimme
laut, klar, deutlich
leise, zaghaft
brüllend, schreiend
Formulierung
eindeutig
unklar, vage
drohend, beleidigend
Inhalt
präzise
Begründung,
Ausdrücken eigener
Bedürfnisse,
Benutzung von „Ich“,
Gefühle werden direkt
ausgedrückt
überflüssige
Erklärungen,
Verleugnung eigener
Bedürfnisse, Benutzung
von „Man“, Gefühle
werden indirekt
ausgedrückt
keine Erklärung u.
Begründung,
Drohungen,
Beleidigungen,
Kompromisslosigkeit,
Rechte anderer
werden ignoriert
Gestik, Mimik
unterstreichend,
lebhaft, entspannte
Körperhaltung,
Blickkontakt
kaum vorhanden oder
verkrampft, kein
Blickkontakt
unkontrolliert,
drohend, wild
gestikulierend, kein
Blickkontakt oder
„Anstarren“
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 28
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Ätiologie
• erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit in Familien (Dreifach erhöht)
▫ hereditäre, soziale und umweltbedingte Faktoren (Rapee & Spence 2004)
• biologische Faktoren
▫ leichtere kardiovaskuläre Erregbarkeit
▫ Hellhäutigkeit
▫ Tendenz zum Erröten
• Temperamentsunterschiede bei Kindern
▫
▫
▫
▫
erbliche Disposition zur Verhaltenshemmung
Weinen, Reizbarkeit im Kindesalter
Schüchternheit und Furchtsamkeit (2-5 Jahre)
geringeres Explorationsverhalten und Rückzugsverhalten (Schulalter)
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 29
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Ätiologie – Zwei Faktoren Theorie (Mowrer)
• Schwerwiegende unangenehme Erfahrungen in sozialen Situationen
▫
▫
▫
▫
▫
Erfahrungen gravierender Hänseleien
Erleben von beschämenden Erfahrungen in Leistungssituationen
darauffolgende Angstreaktionen in vergleichbaren Situationen
operante Prinzipien als Aufrechterhaltende Faktoren
Folge ist Vermeidungsverhalten
• Konzept der „Prepardness“
▫ Regulation im Zusammenleben in Gruppen
▫ Soziale Ängstlichkeit – Unterwürfigkeit – Vorsicht im Kontakt
▫ sinnvolle Strategie gegenüber aggressiven, kritischen und ablehnenden
Personen
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 30
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Ethologische Perspektive (1)
• Parallelen zum Unterwerfungsverhalten:
▫ submissive Gesten hemmen Aggression
▫ angepasst in territorialer Verteidigung/Wettbewerb
▫ nicht angepasst in kooperativer/sicherer Umgebung
• Sozial-Ängstliche: ständige Verteidigungshaltung
▫ Bewertung der Umwelt und Wahrnehmung von
kompetetiver/feindseliger Erwartungshaltung
▫ nehmen Hierarchien wahr, wenig Kooperation, versuchen, dominante
Position zu erreichen (hohes Anspruchsniveau)
▫ verteidigen sich gegen wahrgenommene Bedrohung (z.B. Kritik) durch
dominante andere Personen (Unterordnung oder Vermeidung)
▫ nehmen hedonistische Aspekte sozialer Beziehungen nicht wahr (z.B.
Party)
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 31
Trower & Turland (1984), Trower & Gilbert (1989)
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Ethologische Perspektive (2)
• Angst entsteht
▫ wenn eigene Leistungsfähigkeit als zu gering eingeschätzt wird, um
Dominanz zu erreichen
▫ wenn Angriff durch andere durch submissive Strategien nicht verhindert
werden kann
▫ wenn submissives Verhalten als ungenügend eingeschätzt wird oder
soziale Regeln verletzt wurden
▫ wenn physiologische oder kognitive Reaktionen Selbstpräsentation
einschränken könnten
▫ chronische Selbstaufmerksamkeit macht es wahrscheinlicher, dass
Diskrepanzen zwischen eigener Leistung und Anspruch entdeckt werden
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 32
Trower & Turland (1984), Trower & Gilbert (1989)
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Familiäre Faktoren
Retrospektive Studie:
Sozialphobiker vs. Agoraphobiker berichten überKindheit/Jugend
• Eltern von Sozialphobikern:
▫ isolieren Kinder stärker von anderen
▫ betonen stärker Meinung anderer
▫ legen weniger Wert auf Kontakte der Familie
• Sozialphobiker selbst:
▫ schüchterner, weniger Kontakt mit anderem Geschlecht
• Erziehungsstile und Schüchternheit
▫ Allaman et al. (1972): Eltern schüchterner Kinder eher überprotektiv oder
ablehnend
▫ Buss (1986): starke Betonung von Körperpflege, guten Manieren etc.
▫ Daniels & Plomin (1985): weniger Förderung sozialer Kontakte
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 33
Bruch (1989)
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Kompetenz-Performanz-Störungsmodell
Fydrich 2002b
Biologische
Vulnerabilität
Lebens – und
Lerngeschichte
Soziale Situation
Kognitive Schemata
Physiologie
Erröten, Schwitzen, Zittern
Kognition
Soziale Gefahr
Aufmerksamkeitsfokus: Selbst
Soziale Kompetenz
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 34
Sicherheitsverhalten
Soziale Performanz
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Überblick
• Darstellung der Störung
• Ätiologie und Verlauf
• Diagnostik
• Therapeutisches Vorgehen
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 35
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Differentialdiagnostik
• Kriterien für die zusätzliche Diagnose der Sozialen Phobie
▫ Angstsymptome, die sich auf eine soziale Situation beziehen, sollen
unabhängig von weiteren Störungen sein
▫ durch die Antizipation der sozialen Situation ausgelöst
• Unterscheidung von angstauslösenden Bedingungen und
Kognitionen
▫ Panikstörung: befürchtetes Versagen eigener Körperfunktionen
▫ Agoraphobie: Situationen, wie Höhen, eingeschlossen sein,
Menschenmengen, Höhen – Kontrollverlust, Hilflosigkeit
▫ Depression: Minderwertigkeitsgefühle, Selbstabwertung
▫ Schizophrenie: Selbstabwertung, Rückzug, Schamgefühle – auch bei
körperdysmorphen Störungen
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 36
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Differentialdiagnostik
• Ängstlich vermeidende (IDC-10); selbstunsicher PS (DSM-IV)
▫ sinnvolle Unterscheidung wird in der Fachliteratur angezweifelt
(Chambless et al. 2008)
▫ starke Überlappung der Bestimmungsmerkmale
▫ unterschiedliche Formen sozialer Ängste und Phobien in Abhängigkeit der
Stärke und Einschränkungen – Kontinuum
▫ Sozialphobiker beschreiben sich nicht durchgängig als schüchtern bzw.
wirken nicht schüchtern
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 37
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 38
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Überblick
• Darstellung der Störung
• Ätiologie und Verlauf
• Diagnostik
• Therapeutisches Vorgehen
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 39
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Verhaltenstherapie bei Sozialer Phobie
• Gesprächsführung
▫
▫
▫
▫
▫
Normalisieren und Entpathologisieren des Verhaltens
Antizipieren und Verbalisieren der Ängste und Befürchtungen
Interaktionsangebote
sachliche Information und Fallbeispiele geben
Strukturieren des Gesprächs und transparentes therapeutisches
Verhalten
▫ geleitetes Entdecken
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 40
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Verhaltenstherapie bei Sozialer Phobie
• Behandlungsmodule und Interventionstechniken
▫ Psychoedukation
▫ kognitive Techniken = Identifikation und Modifikation dysfunktionaler
Gedanken
▫ Rollenspiele und Verhaltensexperimente
▫ Rollenspiele und Videofeedback
▫ Konfrontationsverfahren in vivo
▫ Förderung der sozialen Performanz
▫ Förderung der Selbstsicherheit über positive Selbstverbalisation
▫ Entspannungsverfahren
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 41
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Empirische Studien
• Prä-Post-Effektstärken d=1,0 (Ruhmland & Markgraf, 2001)
• neuere Studien Effektstärken bis zu d=2,4 (Clark et al. 2006)
• bessere Erfolge mit Kombination aus Kognitiver Therapie und InVivo-Konfrontation
• sogar weitere Verbesserung im Katamnesezeitraum
• Gruppensetting versus Einzeltherapie vergleichbare Ergebnisse
• zusätzliche pharmakologische Behandlung – schnellere Erfolge
• langfristig positive Therapieergebnisse durch alleinige VT
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 42
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Diagnostische Kriterien für 300.23 (F40.1) Soziale
Phobie (1)
A.
Eine ausgeprägte und anhaltende Angst vor einer oder mehreren sozialen
oder Leistungssituationen, in denen die Person mit unbekannten
Personen konfrontiert ist oder von anderen Personen beurteilt werden
könnte. Der Betroffene befürchtet, ein Verhalten (oder Angstsymptome)
zu zeigen, das demütigend oder peinlich sein könnte.
Beachte: Bei Kindern muss gewährleistet sein, dass sie im Umgang mit
bekannten Personen über die altersentsprechende soziale Kompetenz
verfügen, und die Angst muss gegenüber Gleichaltrigen und nicht nur in
der Interaktion mit Erwachsenen auftreten.
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 43
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Diagnostische Kriterien für 300.23 (F40.1) Soziale
Phobie (2)
B.
Die Konfrontation mit der gefürchteten sozialen Situation ruft fast immer
eine unmittelbare Angstreaktion hervor, die das Erscheinungsbild einer
situationsgebundenen oder einer situationsbegünstigten Panikattacke
annehmen kann.
Beachte: Bei Kindern kann sich die Angst durch Weinen, Wutanfälle,
Erstarren oder Zurückweichen von sozialen Situationen mit unvertrauten
Personen ausdrücken.
C.
Die Person erkennt, dass die Angst übertrieben oder unbegründet ist.
Beachte: Bei Kindern darf dieses Kriterium fehlen.
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 44
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Diagnostische Kriterien für 300.23 (F40.1) Soziale
Phobie (3)
D.
Die gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen werden vermieden oder
nur unter intensiver Angst oder Unwohlsein ertragen.
E.
Das Vermeidungsverhalten, die ängstliche Erwartungshaltung oder das
starke Unbehagen in den gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen
beeinträchtigen deutlich die normale Lebensführung der Person, ihre
berufliche (oder schulische) Leistung oder soziale Aktivitäten oder
Beziehungen, oder die Phobie verursacht erhebliches Leiden.
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 45
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Diagnostische Kriterien für 300.23 (F40.1) Soziale
Phobie (4)
F.
Bei Personen unter 18 Jahren hält die Phobie über mindestens 6 Monate an.
G.
Die Angst oder Vermeidung geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung
einer Substanz (z.B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen
Krankheitsfaktors zurück und kann nicht besser durch eine andere
psychische Störung (z.B. Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie, Störung
mit Trennungsangst, Körperdysmorphe Störung, Tiefgreifende
Entwicklungsstörung oder Schizoide Persönlichkeitsstörung) erklärt werden.
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 46
Störungen des Erlebens und Verhaltens – Soziale Phobie
Diagnostische Kriterien für 300.23 (F40.1) Soziale
Phobie (5)
H.
Falls ein medizinischer Krankheitsfaktor oder eine andere psychische
Störung vorliegen, so stehen diese nicht in Zusammenhang mit der unter
Kriterium A beschriebenen Angst, z.B. nicht Angst vor Stottern, Zittern bei
Parkinsonscher Erkrankung oder, bei Anorexia Nervosa oder Bulimia
Nervosa, ein abnormes Essverhalten zu zeigen.
Bestimme, ob:
Generalisiert: Wenn die Angst fast alle sozialen Situationen betrifft, ziehe
auch die zusätzliche Diagnose einer Vermeidend-Selbstunsicheren
Persönlichkeitsstörung in Betracht.
Soziale Phobie. In dieser Diagnose ist nun auch die DSM-III-R-Diagnose
Vermeidungsstörung im Kindesalter mit eingeschlossen. Die entsprechenden
Kriterien wurden so modifiziert, dass sie auch auf die Kindheit anzuwenden sind.
© Prof. Dr. Tanja Michael Folie 47
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