Römische Geschichte II – Die Kaiserzeit Jan Bruners Inhaltsverzeichnis 1 Der Prinzipat des Augustus (27 v. Chr. - 14 n. Chr.) 2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 2.1 Die Julisch-Claudische Dynastie (14 - 68 n. Chr.) . . . . . . . . . 2.1.1 Tiberius (14 - 37) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Caligula (37 - 41) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Claudius (41 - 54) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Nero (54 - 68) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Revolution des Reiches (68 - 69 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Flavische Dynastie (69 - 96 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Vespasian (69 - 79) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Titus (79 - 81) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Domitian (81 - 96) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Das humanitäre Kaisertum (96 - 180 n. Chr.) . . . . . . . . . . . 2.4.1 Nerva (96 - 98) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Trajan (98 - 117) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Hadrian (117 - 138) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Antoninus Pius (138 - 161) . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5 Mark Aurel (161 - 180) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Der Zusammenbruch der Prinzipatsverfassung (180 - 235 n. Chr.) 2.5.1 Commodus (180 - 192) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Septimius Severus (193 - 211) . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Caracalla (211 - 217) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4 Elagabal (218 - 222) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.5 Alexander Severus (222 - 235) . . . . . . . . . . . . . . . 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 5 5 6 6 7 7 8 8 8 8 9 9 9 10 10 11 11 11 11 12 12 12 Inhaltsverzeichnis 3 Das römische Reich im 1./2. Jahrhundert 3.1 Außenpolitik . . . . . . . . . . . . 3.2 Innenpolitik . . . . . . . . . . . . 3.3 Soziale Situation . . . . . . . . . . 3.4 Geistige Verfassung . . . . . . . . 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 4.1 Zusammenbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Innenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Soziale Verfassung . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Geistige Verfassung . . . . . . . . . . . . . 4.2 Reform des Reiches durch Diokletian und Konstantin 4.2.1 Diokletian (284 - 305) . . . . . . . . . . . 4.2.2 Konstantin (306 - 337) . . . . . . . . . . . 4.3 Die Christianisierung des Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Entwicklung des Reiches seit Konstantin 5.0.1 Die konstantinische Dynastie . . . . . . . . . . . . . . . . 5.0.1.1 Constantius (337 - 361) . . . . . . . . . . . . . 5.0.1.2 Julian Apostata (361 - 363) . . . . . . . . . . . . 5.0.2 Verteidigung des Reiches von Valentinian bis Theodosius . . 5.0.2.1 Valentinian (364 - 375) und Valens (364 - 378) . 5.0.2.2 Gratian (375-383) und Valentinian II. (375-392) 5.0.2.3 Theodosius (der Große) (379 - 395) . . . . . . . 5.0.3 Reichsteilung und das Ende Westroms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 13 13 14 14 . . . . . . . . . 14 14 15 15 16 17 17 17 19 19 . . . . . . . . 22 22 22 22 23 23 23 23 24 1 Der Prinzipat des Augustus (27 v. Chr. - 14 n. Chr.) 3 1 Der Prinzipat des Augustus (27 v. Chr. - 14 n. Chr.) Nach dem Ende des Bürgerkriegs wurde die Macht des Octavian durch den Senat legitimiert: am 13. Januar 27 v. Chr. trat Octavian von allen Ämtern zurück, um sich zwei Tage später vom Senat zur Übernahme der Führung des Staates drängen zu lassen. Durch diese Geste erkannte er den Anspruch des Senats als höchste Instanz formell an. Die Provinzen wurden zwischen dem Senat (befriedete Provinzen und Rom/Italien) und dem Kaiser (Randgebiete mit militärischen Kräften). Dadurch wurde das römische Reich aufgeteilt in einen absoluten Machtbereich und einen Einflußbereich des Kaisers. Verwaltungstechnische Unterschiede zwischen Senats- und Kaiserprovinzen gab es nicht. In jeder Provinz gab es einen kaiserlichen Prokurator für die Finanzverwaltung. Lediglich der Status der Statthalter unterschied sich: in den Senatsprovinzen herrschten erloste Prokonsuln, in den kaiserlichen Provinzen Legaten im Range von Proprätoren (weil Augustus als Prokonsul selbst keine Prokonsuln ernennen konnte). Ägypten nahm eine Sonderstellung ein und wurde von einem mächtigen Präfekten aus dem Ritterstand regiert. Außerdem erhielt Octavian verschiedene Ehrungen: ihm wurde der Name Augustus verliehen, vor seinem Hause wurden zwei Lorbeerbäume aufgestellt, ein Eichenkranz, die corona civica, wurde über seiner Tür angebracht und im Tempel der Julia wurde ein goldener Ehrenschild für ihn errichtet. Augustus ging zügig an den Ausbau seiner Macht: er wurde rechtlich mit den Konsuln gleichgestellt, erhielt die Rechte eines Volkstribunen und behiellt sich Eingriffe auch in den Senatsprovinzen vor. Neben diesen offiziellen Rechten hatte er zahlreiche „illegitime“ Funktionen (z.B. als Richter). Seine Bezeichnung war nicht Kaiser, sondern princeps (Erster im Staat). Der Spielraum zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit war sehr wichtig für das römische Empfinden. Der Senat wurde aufgewertet: neue Senatoren traten durch kaiserlichen Beschluß ein, er übernahm die Gerichtsbarkeit und die Wahl der Magistrate. Die faktische Entscheidung blieb natürlich beim Kaiser. Da die Nobilität den einzig möglichen Gegner darstellte, suchte Augustus einen Ausgleich für die verlorene Macht und gab ihr ein höheres Ansehen. Trotz dieser Maßnahmen gab es im Senatsadel starken Widerstand gegen den Prinzipat und mehrere Verschwörungen. Die geschlossene Klasse der Ritter (ordo equester) stand dem Augustus näher. Zwischen der formalen Rückgabe der Macht an Senat und Volk am 13. Januar 27 v. Chr. und dem Rücktritt vom Konsulat am 1. Juli 23 v. Chr. kam es zur ersten Krise des Prinzipats. Die Senatoren waren unsicher, wie man dem ersten Mann im Staat zu begegnen hatte, ein Volkstribun weihte ihm sein Leben, andere standen den neuen Verhältnissen reserviert gegenüber. An einigen Vorfällen in diesen Jahren zeigte sich, daß Augustus noch nicht völlig unangefochten war: Der siegreiche Marcus Licinius Crassus, Enkel des Triumvirn, durfte zwar einen Triumphzug feiern, wurde aber von Augustus aus Sorge um dessen eigenen Ruhm gehindert, seine Kriegsbeute Jupiter zu weihen. Gaius Cornelius Gallus, ein enger Vertrauter Augustus’, wurde verbannt und beging 26 v. Chr. Selbstmord, eine klare Machtdemonstration der senatorischen Opposition. Mesalla Corbinus, von Augustus eingesetzter Stadtpräfekt, trat wegen Verfassungsbedenken zurück, obwohl sowohl Augustus als auch der andere Konsul ihn unterstützten. Diese Vorfälle zeigten, daß sich noch nicht die gesamte Führungsschicht mit der neuen Ordnung abgefunden hatte. 1 Der Prinzipat des Augustus (27 v. Chr. - 14 n. Chr.) 4 Mitte des Jahres 27 v. Chr. reiste Augustus in Begleitung von seinem Stiefsohn Tiberius und seinem Neffen Marcellus als Militärtribunen nach Spanien, um dort die aufständischen Stämme zu bekämpfen. Im Jahr darauf wurde der Eroberung Spaniens endgültig abgeschlossen. Die Gesandtschaften fremder Völker fanden sich selbstverständlich bei ihm ein und nicht in Rom, was den Unterschied zwischen der formalen Ordnung und der Wirklichkeit auch dem Senat deutlich machte. Im Jahre 24 v. Chr. kehrte Augustus schwer krank aus Spanien zurück und trat während der Reise sein 10. Konsulat an. Der Senat sprach seinen Gesetzen ewige Gültigkeit zu, ihm selbst die Unabhängigkeit von den Gesetzen. Das Prinzipat war inzwischen durch mehrere Faktoren geschwächt: im Senat hatten sich zwei Fraktionen gebildet, devote Schmeichler, denen nicht zu trauen war, und traditionelle Republikaner, die nur auf einen Gelegenheit zum Umsturz warteten. Die unausgesetzte Bekleidung des Konsulats durch Augustus seit dem Jahr 31 v. Chr. war nicht mit der Tradition zu vereinbaren und bot Anlaß für scharfe Kritik. Auch minderte der scheinbar nahe Tod die auctoritas des Herrschers. Immer noch gab im Senat Opposition gegen Augustus. Vor allem während seines Aufenthaltes in Spanien hatte sich eine gegnerische Gruppe gebildet, vor allem auch aus Verbitterung darüber, daß er das ehrenvolle Amt des Konsuln blockierte. Es kam zu einer Verschwörung des Fannius Caepio, an der auch Augustus’ Mitkonsul A. Terrentius Varro Murena Anteil hatte. Anders als Caesar 44 v. Chr. siegte Augustus und ließ seine Gegner ermorden. An die Stelle des Varro trat Gnäus Calpurnius Piso, ein überzeugter Republikaner. Kurz darauf starb Augustus fast und übergab seinen Siegelring an seinen Vertrauten Agrippa, die rationes imperii (die Truppenlisten und Finanzbücher des Staates) an seinen Mitkonsul Gnäus Piso. Die Übergabe dieser Machtmittel war einerseits ein korrektes Verhalten des Augustus, andererseits zeigte seine alleinige Verfügung über sie erneut seine Stellung. Die Tatsache, daß er auch in dieser Situation nicht versucht hatte, Marcellus zu adoptieren oder seine Nachfolge durchzusetzen, beutete er später propagandistisch aus. Nach seiner überraschend raschen Genesung ließ er Agrippa ein imperium proconsulare für fünf Jahre verleihen, um diesem für künftige Situationen die nötige Macht zu geben. Am 1. Juli 23 v. Chr. trat er feierlich vom Konsulat zurück und ließ den Republikaner Lucius Sestius in dieses Amt wählen. Dafür erhielt er im Gegenzug die Amtsgewalt eines Volkstribunen (tribunicia potestas) mit dem Recht zur Einberufung des Senats und dem Erstspracherecht. Durch seinen Verzicht hatte er also nichts verloren und die Gegnerschaft eines Teils des Senats beendet. Auch sein Sonderkommando wurde zum imperium proconsulare maius ausgedehnt: er durfte jetzt auch in den senatorischen Provinzen Weisungen erteilen. Trotz seines Kommandos war es ihm erlaubt, die Stadt Rom zu betreten. Seine Herrschaft über Rom und das Reich hatte nun allerdings keine Magistratur mehr als Grundlage. Damit war die staatsrechtliche Umwandlung der Republik in das Prinzipat abgeschlossen. Das nationalrömische Gedankengut (Tugend, Frömmigkeit und Gerechtigkeit) stand im Mittelpunkt der augusteischen Politik: er führte die altrömischen Kulte wieder ein und erließ strenge Sittengesetze. Der Herrschertitel enthielt viele religiöse Bezüge, auch der Ehrenname „Augustus“ spielte auf ein göttliches Wunderzeichen an. Göttliche Verehrung des Kaisers war allerdings aus Rücksicht auf den Senatsadel nur in der Provinz erlaubt. Er wurde als Weltherrscher und Friedensfürst bezeichnet. 2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 5 Unter Augustus gab es zum ersten Mal eine einheitliche Reichsorganisation. Durch Agrippa, einen engen Vertrauten des Kaisers, wurde erstmals eine Bestandsaufnahme des Reiches (Einwohner, finanzielle Kapazität) durchgeführt. Mit der Finanzverwaltung begann der Ausbau des kaiserlichen Apparates, die staatlichen Finanzbehörden verloren weiter an Einfluß. Auch in den Wohlfahrtsbereichen engagierte sich der Kaiser mit seinen Beamten: Getreideversorgung der Bevölkerung Roms (cura annonae), Polizei (der praefectus urbi befehligte mehrere 1000 Mann, die cohortes urbanae) und Feuerwehr (7000 Mann). Das Milizheer wurde in ein stehendes Heer umgewandelt, das aus römischen Bürgern bestand, die sich für 16/20 Dienstjahre verpflichtet hatten. Wegen der Veteranenansprüche nahm Augustus die Außenkolonisation in großen Stil wieder auf. Auch die Außenpolitik wurde vereinheitlicht: unbeherrschte Territorien in Italiens Nachbarschaft wurden im Zuge des Augusteischen Imperialismus erobert. Augustus wählte seine Feldherren sorgfältig aus, um zu vermeiden, daß ihr Kriegsruhm sie zu Ursupationen verleitete. Im Osten gelang es Augustus 20 v. Chr., die Parther zur Rückgabe der in Carrhae erbeuteten Feldzeichen zu bewegen, was für das römische Selbstbewußtsein einen gewaltigen Erfolg bedeutete. Innerhalb von drei Jahren (15 - 12 v. Chr.) eroberten Tiberius und Drusus, Augustus’ Stiefsöhne, die Alpengebiete. In den folgenden Jahren (bis 9 v. Chr.) befriedete Tiberius Illyrien, während Drusus’ Feldzüge in Germanien fehlschlugen, er starb durch einen Unfall. Tiberius nahm seinen Platz ein, mußte sich aber wegen der Streitigkeiten mit Augustus 6 v. Chr. von der Politik zurückziehen. Zwei Jahre später kehrte Tiberius nach Germanien zurück, mußte aber wegen des Pannonischen Aufstands (6 n. Chr. - 9 n. Chr.) die Vorbereitung einer endgültigen germanischen Unterwerfung abbrechen. Nach der Niederwerfung dieses Aufstandes kam es im Jahr 9 zur Katastrophe im Teutoburger Wald, bei der Varus, der Stellvertreter des Tiberius in Germanien das Leben und drei Legionen verlor. Daraufhin wurde die Eroberung Germaniens aufgegeben. 2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. Die von Augustus geschaffene Regierungsform, der Prinzipat, hatte rund 200 Jahre Bestand. Sie war flexibel genug, um neuen Anforderungen und Situationen gewachsen zu sein, bis sie unter dem Druck einer Mischung von unfähigen Kaisern, inneren und äußeren Krisen schließlich zusammenbrach. Bis zu diesem Zeitpunkt funktionierte das Reich weitgehend ohne Zutun der Kaiser. Das einzige Feld, auf dem sie persönliche Leistung zeigen mußten, war der Umgang mit der komplizierten Prinzipatsverfassung, d.h. mit der anspruchsvollen aristokratischen Schicht. Das römische Reich wurde durch Augustus zwar faktisch unbeschränkt beherrscht, er besaß aber keine monarchische Legitimation. Seine Machtstellung beruhte auf persönlicher Autorität und ihm individuell verliehenen Rechten. Nach seinem Tod mußten diese erlöschen, weshalb der Kaiser seine Nachfolge theoretisch nicht selbst regeln konnte. Weil eine Rückkehr zur Republik ausgeschlossen war, mußte Augustus einen Nachfolger bereits zu Lebzeiten mit so viel Autorität und Macht ausstatten, daß er seine Stellung automatisch einnehmen würde. Einerseits konnte der designierte Nachfolger mit Ämtern betraut werden, andererseits durch Adoption als Erbe des kaiserlichen Vermögens (und damit eines wichtigen Machtmittels) 2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 6 eingesetzt werden. Die ursprünglich ins Auge gefaßten Kandidaten (sein Neffe Marcellus, sein Vertrauter Agrippa, dessen Söhne Gaius und Lucius) starben alle vor Augustus, so daß schließlich Tiberius, der Sohn seiner Frau Livia, ausgewählt wurde. 2.1 Die Julisch-Claudische Dynastie (14 - 68 n. Chr.) Die unmittelbaren Nachfolger des Augustus (außer Tiberius) wraen größtenteils völlig unfähig und nur durch ihre verwandtschaftliche Beziehung zum ersten Kaiser legitimiert. 2.1.1 Tiberius (14 - 37) Der Stiefsohn des Augustus trat nach dessen Tod 14 n. Chr. die Nachfolge an, obwohl er wegen der gescheiterten Ehe mit Augustus’ Tochter Julia zeitweise nach Rhodos verbannt worden war. Aber er war der einzige Kandidat im geeigneten Alter und hatte sich durch seine militärischen Erfolge in Germanien und Pannonien schon früh ausgezeichnet, so daß Augustus seine persönliche Abneigung überwand und ihn mit der tribunicia potestas und einem imperium proconsulare maius austattete. Allerdings zwang er Tiberius auch, den Kaiserenkel Agrippa Postumus und seinen eigenen Neffen Germanicus zu adoptieren, um dessen eigenen Sohn die Nachfolge zu erschweren und ihm seine eigene Rolle als Notlösung deutlich zu machen. Diese und andere Auflagen behinderten Tiberius während seiner Regierungszeit stark. Obwohl er politisch und militärisch ausgesprochen tüchtig war und Verwaltung und Außenpolitik des Reiches zunächst sorgfältig durchführte, scheiterte er schließlich an seinen altrömischen Vorstellungen, die der Zeit nicht mehr entsprachen. Dem Senat gab er einen Teil der Kompetenzen zurück, die dieser unter Augustus verloren hatte, ihm wurde sogar die Wahl der Magistrate übertragen; auch sonst bemühte er sich, den republikanischen Traditionen zu genügen. Gerade diese Zurückhaltung führte bei Senat und Volk zur Unsicherheit und wurde als Zeichen von Schwäche gewertet. Der Staat war auf die Führung des Kaisers angewiesen, seine Kompetenz konnte faktisch nicht durch andere Organe ausgeübt werden. Mit dem resignierten Rückzug auf die Insel Capri im Golf von Neapel 26 bewies Tiberius eine Fehleinschätzung der Situation. Seine Abwesenheit von Rom begünstigte das politische Chaos und machte ihn zur verhaßten Figur. Auch die eigene Nachfolge (mit dem Tod Postumus’ und Germanicus’ war die ursprüngliche Regelung hinfällig) konnte er nicht aktiv regeln. Er ließ die Dinge treiben und zog sich selbst auf die Insel Capri zurück, bis sein Prätorianerpräfekt Seianus fast alle möglichen Konkurrenten ausgeschaltet hatte und sich selbst an deren Stelle gesetzt hatte. Schließlich machte ihm Tiberius 31 den Prozeß und starb wenige Jahre später. Seine einzigen privatrechtlichen Erben waren sein Enkel Tiberius und sein Großneffe Gaius. 2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 7 2.1.2 Caligula (37 - 41) Gaius, der von Soldaten seines Vaters Germanicus den Spitznamen Caligula erhalten hatte, bestieg unter allgemeinem Jubel den Thron. Sein Vater war sehr populär gewesen und von Augustus für die Nachfolge des Tiberius bestimmt. Außerdem war er der einzige überlebende Blutsverwandte des Augustus, konnte aber sonst keine Qualifikation vorweisen: er hatte noch kein höheres Amt bekleidet oder militärisches Talent gezeigt. Auch den Inhalt des Prinzipates hatte er nicht verstanden und glaubte, ohne jede Rücksicht auf den Senat im Stil der hellenistischen Könige herrschen zu können (z.B. forderte er die göttliche Verehrung seiner Person und betrachtete sich selbst als Inkarnation des halben Pantheons). Außer seiner maßlosen Selbstüberschätzung hatte er kein politisches Programm. Offensichtlich war er geistesgestört und ließ in Majestätsprozessen jeden hinrichten, der ihm die göttlichen Ehren verweigerte. Schließlich kam es zu einer Palastrevolution und seiner Ermordung. 2.1.3 Claudius (41 - 54) Caligulas Onkel Claudius war eigentlich zum Herrscher denkbar ungeeignet: er war körperlch behindert und politisch uninteressiert. Die Prätorianer riefen ihn, während der Senat noch über die nächsten Schritte nach Caligulas Tod beriet, zum Kaiser aus, weil er als einziger Angehöriger der Kaiserfamilie greifbar war. Trotz der ungünstigen persönlichen Voraussetzungen regierte Claudius unangefochten, ein weiterer Beweis für die Stabilität des Prinzipats. Ihm kam dabei zugute, daß er seinen Fleiß auf die notwendige Verwaltungsreform verwenden konnte. Seit etwa 30 Jahren war auf diesem Gebiet nichts geschehen, unter Tiberius aus „republikanischer“ Zurückhaltung, unter Caligula waren alle konkreten Aufgaben vernachlässigt worden. Ein Großteil der staatlichen Verwaltung (z.B. die Kornverteilung) wurde unter kaiserliche Regie gestellt, der kaiserliche Beamtenapparat stark ausgebaut. Es wurden mehrere Sekretariate (Finanzen, Petitionen, Korrespondenz usw.) eingerichtet, um das Privatkabinett des Kaisers übersichtlich zu organisieren. Die „Minister“ des Kaisers (meist kaiserliche Freigelassene) hatten großen Einfluß, die wichtigsten waren Pallas, Narcissus und Callistus. Insgesamt wurde das römische Reich gut verwaltet. Dank der Unternehmungskraft eines hohen Offiziers (Plautius) gelang sogar eine Erweiterung des Reichsgebietes um Britannien (43). Neben diesen positiven Aspekten fiel vor allem die völlige Abhängigkeit des Kaisers von seinen Frauen auf. Seine dritte Frau Valeria Messalina benutzte seine Hörigkeit, um ihre gesamte Umgebung zu terrorisieren und sexuell auszubeuten. Sie ließ mehrere Senatoren, die sich gegen sie wandten, ermorden. Nach einer Verschwörung gegen Claudius selbst wurde sie hingerichtet. Ihre Nachfolgerin, Julia Agrippina, eine Tochter des Germanicus, hatte andere Ziele: sie wollte ihren Sohn aus erster Ehe, Nero, auf den Thron bringen, um durch ihn zu regieren. Der leibliche Sohn Claudius’ beiseite gedrängt, Claudius selbst vergiftet. 2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 8 2.1.4 Nero (54 - 68) Der Regierungswechsel vollzog sich reibungslos, obwohl Nero erst 17 Jahre alt war. Agrippina und ihr Anhang hatten gute Arbeit geleistet. Wieder hoffte das Volk auf ein goldenes Zeitalter (auch wegen der Abstammung von Germanicus), weil Claudius trotz seiner Tüchtigkeit ziemlich unfähig gewirkt hatte. Zunächst wurde die Regierungsarbeit durch den Philosophen Seneca und den Prätorianerpräfekten Afranius Burrus gut bewältigt. Seneca übernahm außerdem die Erziehung Neros, um ihn zu einem von der stoischen Staatsethik durchdrungenen Herrscher zu machen, was allerdings wegen der ungünstigen Einflüsse des Hofmilieus scheiterte. Die Entfremdung zwischen Seneca und Burrus und Agrippina führten schließlich 59 zur Ermordung der Kaisermutter durch ihren Sohn. Seit 59 regierte Nero selbst, nach dem Tod des Burrus und dem Rücktritt Senecas 62 gab es niemanden, der auf ihn einwirken konnte. Wie Caligula strebte er eine den hellenistischen Königen ähnliche Stellung an, war aber nicht bloß von Größenwahn getrieben, sondern bewunderte die griechische Kultur aufrichtig. Seine politischen Ziele konnte er wegen fehlender Disziplin und Durchsetzungsfähigkeit nicht erreichen, stattdessen inszenierte er seine Person im Stil des Ostens. Den einzigen politische Erfolg seiner Regierung verdankte er dem General Corbula, der an der Grenze zu Armenien und Parthien für Ruhe sorgte. Wegen seines politischen Unvermögens wurde die Situation bald unsicher, Nero griff zum Terror: viele Reiche wurden ermordet, um die Opposition zu beseitigen und ihr Vermögen zu konfiszieren. Er versuchte sogar unverblümt, den Senat auch formell völlig zu entmachten. Trotzdem konnte sich Nero relativ lange halten und die Pisonische Verschwörung 65 niederschlagen. Erst als die Provinzen sich 68 gegen ihn erhoben und Rom sich anschloß, beging er Selbstmord. 2.2 Revolution des Reiches (68 - 69 n. Chr.) Mit dem Ende der Julisch-Claudischen Dynastie geriet das Reich in eine tiefe Krise. Das überragende Ansehen des Augustus hatte immer wieder das Versagen seiner Nachfolger ausgeglichen, mit Nero war dieser Kredit verbraucht. Über die Fortführung des Prinzipats bestand kein Zweifel, aber die Dynastie war physisch (Nero hatte alle möglichen Kandidaten umbringen lassen) und politisch am Ende. Trotz der Revolution, die im ganzen Reich nach Neros Tod losbrach, waren die tragenden Kräfte des Reiches stärker: innerhalb von anderthalb Jahren beruhigte sich die Situation. Das sogenannte Vierkaiserjahr (68 / 69) war vom Kampf um das Kaisertum geprägt. Das Prinzipat Galbas, eines altrömischen Patriziers, wurde zunächst als Wiederherstellung republikanischer Formen angesehen. Durch große Strenge, die Verweigerung von Donativen für die Prätorianer und eine verfehlte Nachfolgepolitik machte er sich viele Feinde und wurde ermordet. Otho, der Ehemann von Neros Geliebter Poppaea Sabina, setzte sich an seine Stelle, bis ihn der Kommandant der Rheinarmee, A. Vitellius, mit Unterstützung des Heeres stürzte. Ihm folgte Titus Flavius Vespasianus. 2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 9 2.3 Die Flavische Dynastie (69 - 96 n. Chr.) In der Epoche Vespasians und seines Sohnes Domitians (Titus regierte nur sehr kurz) wurden die Folgen des Neronischen Regimes ausgeglichen und die Finanzen des Reiches saniert, auch die Außenpolitik wr erfolgreich: in Britannien und Germanien konnte das römische Gebiet ausgedehnt werden. Trotzdem endete die Dynastie wie die vorhergehende gewaltsam. 2.3.1 Vespasian (69 - 79) Vespasian kämpfte zum Zeitpunkt seiner Erhebung zum Kaiser gerade im Osten als Kommandant gegen einen jüdischen Aufstand. Er bekannte sich deutlich zum Freiheitsgedanken und unterstützte den Senatorenstand materiell und ideell. Es gelang ihm aber nicht, ein harmonisches Einvernehmen mit der Aristokratie herzustellen. Obwohl er sich bemühte, den Senat im Rahmen des Prinzipats an der Herrschaft zu beteiligen, konnte er die durch den Sieg über Nero gewachsenen Ansprüche nicht befriedigen. Außerdem war er nicht mehr durch dynastische Bindung an Augustus legitimiert. Seine Stellung war bei Regierungsantritt durch einen Senatsbeschluß genau umschrieben worden, wobei man das Auswuchern der kaiserlichen Macht wie unter Caligula und Nero ausdrücklich ausschloß. Auch war mit dem Tod der letzten radikalen Verneiner des Kaisertums die Front des Senats wieder geschlossener geworden, man hatte das gemeinsame Ziel eines gemäßigten, von den oberen Schichten beeinflußten Kaisers. Zur ideologischen Untermauerung diese Ideals wurde auch die Staatsphilosophie der Stoiker und Kyniker verwendet (Seneca hatte versucht, sie Nero nahezubringen). Diesen Widerständen gegenüber blieb Vespasian hilflos. Er gehörte nicht zum Adel, hatte den größten Teil seines Lebens außerhalb Roms verbracht und konnte sich deshalb die Opposition und das gereizte Milieu nicht erklären. Er wandte sich auch gegen die Rache an den neronischen Denunzianten. Das größte Problem war seine Nachfolge. Der dynastische Gedanken war durch das Ende der Julisch-Claudischen Dynastie vollkommen diskreditiert. Trotzdem gelang es den Söhnen Vespasians, Titus und Domitian, die Nachfolge anzutreten. 2.3.2 Titus (79 - 81) Die östlichen Lebensformen Titus’ weckten zunächst Erinnerungen an Nero. Seit seinem Amtsantritt distanzierte er sich jedoch von ihnen und herrschte zwei Jahre zur vollen Zufriedenheit des Senats. 2.3.3 Domitian (81 - 96) Nach Titus’ Tod folgte ihm sein jüngerer Bruder Domitian in der Regierung. Für die altrömische Moral hatte er großes Verständnis und erließ zahlreiche Gesetze, die den östlichen Einfluß zurückdrängten. Politisch dagegen vertrat er einen absoluten Herrschaftsanspruch, unbeschränkt durch 2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 10 Konzessionen an den Adel. Durch die ständige Bekleidung des Konsulats und der Zensur nahm er stärker als jeder Kaiser vor ihm Einfluß auf den „republikanischen“ Teil des Staates. Auch bei der Vergöttlichung der eigenen Person lag er auf Neronischer Linie und ließ sich mit „Dominus et Deus“ ansprechen. Im Unterschied zu Nero (und Caligula) war allerdings sein Anspruch keine leere Hülle, er war durchaus in der Lage, diese Position auch auszufüllen. Zielbewußt erhöhte er seine Popularität beim Volk und beim Heer durch erhöhte Soldazahlungen. Außenpolitisch zeigte er an der Donau und in Britannien eine außergewöhnliche Initiative. Er scheiterte schließlich an der offenen Gewalt, mit der er seine Vorstellungen durchzusetzen versucht hatte. Nach einer Periode des Terrors wurde er 96 das Opfer einer Verschwörung. 2.4 Das humanitäre Kaisertum (96 - 180 n. Chr.) Im 2. Jahrhundert wurde der Konflikt zwischen senatorischer Opposition und Kaisertum endgültig beigelegt. Die fünf Kaiser nach Domitian übernahmen den Herrschaftsbegriff der Aristokratie, von dem der Widerstand des 1. Jahrhunderts gespeist worden war. Das bedeutete zwar einen ideologischen Sieg des Senats, aber nicht eine Verschiebung der Machtverhältnisse. Im Gegenteil, die Stellung der Kaiser wurde noch ausgebaut, ihre göttliche Verehrung bürgerte sich auch in Rom ein. Der Unterschied lag in der persönlichen Einstellung: der Kaiser betrachtete sich nicht mehr durch sein Amt als herausgehoben, sondern durch seine Leistung. Der Prinzipat war nicht nur Macht, sondern auch Aufgabe, die Pflichten standen im Vordergrund. Die Herrscher bekannten sich zur Humanität und Aufklärung der griechischen Staatsphilosophen und beseitigten damit die Differenzen. 2.4.1 Nerva (96 - 98) Dieser Übergangskaiser ließ, anders als sein Pendant Galba, dem aufgespeicherten Haß gegen das vergangene Regime freien Lauf. Die Getreuen Domitians wuren verfolgt und die Senatoren der kaiserlichen Justiz feierlich entzogen. Die Forderung nach Beseitigung der dynastischen Vererbung des Kaisertums konnte unter Nerva und seinen Nachfolgern problemlos erfüllt werden, da sie alle keine leiblichen Söhne besaßen. Das Kaisertum seit Nerva wurde deshalb auch als Adoptivkaisertum bezeichnet. Trotz der guten Grundlage wurde die Regierung durch die fehlende Initiative und die Spannungen mit den Prätorianern bald schwierig. Glücklicherweise gelang es Nerva vor seinem Tod, einen fähigen Nachfolger zu designieren: Marcus Ulpius Traianus, den Kammandanten der Rheinarmee. 2.4.2 Trajan (98 - 117) Der neue Kaiser stammte aus einer militärisch geprägten Familie in der spanischen Provinz Italica. Sein Vater hatte bereits eine senatorische Laufbahn hinter sich, so daß Trajan mit dem Staatsdienst 2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 11 vertraut war. Innenpolitisch folgte er der Linie Nervas ohne wesentliche Änderungen. Unter ihm kam das humanitäre Ehtos des Kaisertums zum ertsen Mal voll zum Ausdruck. Seine Regierungszeit war vor allem geprägt durch große Eroberungen. An der Donau erichtete er die neue Provinz Dacia, im Osten wurde Armenien zur Provinz gemacht, die Parther wurden aus Mesopotamien verdrängt. Während des Feldzuges im Osten brach in seinem Rücken erneut ein jüdischer Aufstand aus, der den Kaiser zur Umkehr zwang. Kurz darauf starb er und hinterließ das Reich in einer schweren Krise: die kriegerische Expansion hatte die wirtschaftlichen Kräfte übermäßig beansprucht. Auch hatte der Kaiser die Nachfolge nicht mehr selbst regeln können. 2.4.3 Hadrian (117 - 138) Hadrian stammte ebenfalls aus der spanischen Provinz Italica und kam durch eine fingierte Adoption an die Regierung. Durch die schlechte wirtschaftliche Lage veranlaßt, wandte er sich von der Außenpolitik Trajans ab und geriet dadurch in Konflikt mit der Armeeführung, der mit der Hinrichtung von vier Feldherren endete. Nach diesen Maßnahmen gelang es ihm, ohne weitere Gewalt zu herrschen. Mehr als Trajan verkörperte er das Ideal des hellenistisch gebildeten Herrschers und war einer der gebildetsten römischen Kaiser. Seine Energien waren eindeutig nach innen gerichtet. Die kaiserliche Verwaltung, seit Claudius’ Reformen kaum verändert, wurde radikal umgestaltet: aus dem kaiserlichen Kabinett wurden öffentliche kaiserliche Ministerien, denen Ritter vorstanden. Den Kreis der privaten Berater aus Senatoren und Rittern institutionalisierte Hadrian. Er schuf im kaiserlichen Apparat neben der militärischen Laufbahn eine zivile, in der die juristische Qualifikation ausschlaggebend war. Außenpolitisch vertrat er den Standpunkt der absoluten Defensive, Armenien und Mesopotamien, die Erwerbungen Trajans, wurden wieder fallengelassen. Dafür verstärkte er den Grenzschutz und legte die Garnisonen unmittelbar an die Militärgrenzen. Obwohl er den Schwerpunkt auf die Innenpolitik verlagerte, zog er sich nicht nach Rom und Italien zurück, sondern bereiste das gesamte Reich, um vor der Bevölkerung den Staat zu repräsentieren und sich die Loyalität des Heeres zu sichern. Er ließ Straßen bauen, griff bei finanziellen Krisen unterstützend ein und erneuerte auch die militärische Disziplin des Heeres. Das Städtewesen in seiner östlichen und westlichen Spielart wurde unter ihm ausgebaut. Seine Neigung zur griechisch-römischen Kultur führte aber auch zu brutalen Maßnahmen gegen widerstrebende Elemente: unter seiner Regierung begann der blutigste jüdische Aufstand, der mit der Verwüstung Judäas endete. Gegen Ende seiner Regierung erkrankte er geistig und starb umnachtet. 2.4.4 Antoninus Pius (138 - 161) Sein Nachfolger, der Onkel Mark Aurels, sollte für diesen den Thron sichern. Er betrachtete die Kaiserwürde als Last, der er das Leben eines Privatmannes vorzog. Andererseits war er ein äußerst gewissenhafter Mensch und erfüllte mit seiner Pflichtauffassung das monarchische Ideal seiner Zeit. Seine Regierungszeit - ohne besondere Leistungen - war geprägt von innerem und äußerem Frieden, sie wurde als die glücklichste Zeit des römischen Reiches betrachtet. 2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 12 2.4.5 Mark Aurel (161 - 180) Mark Aurel stand Antoninus persönlich sehr nahe und führte dessen Politik unverändert fort. Wie Hadrian philosophisch gebildet, umriß er seinen politischen Standpunkt außerordentlich klar. Seine persönliche Leistung konnte nicht verhindern, daß unter seiner Regierung das goldene Zeitalter endete: während eines langwierigen Krieges in Armenien, Medien und Mesopotamien mit den Parthern (161 - 166) wurde die Pest von den Truppen nach Italien gebracht, weite Teile des Westens verödeten. Diese Schwächung benutzten germanische Völker zum Vorstoß bis zur Nordgrenze Italiens. Mark Aurel konnte sie noch zurückschlagen, starb aber, bevor er weitere Maßnahmen zur Sicherung der Grenzen treffen konnte. 2.5 Der Zusammenbruch der Prinzipatsverfassung (180 - 235 n. Chr.) 2.5.1 Commodus (180 - 192) Der Sohn Mark Aurels war sorgfältig erzogen und als Kronprinz auf seine zukünftige Aufgabe vorbereitet worden. Allerdings entwickelte er durch seine Stellung schon früh eine Überheblichkeit, die mit dem humanitären Kaisertum nicht vereinbar war: statt durch Leistung fühlte er sich bereits durch sein Wesen als Herrscher legitimiert. Die Exzesse Caligulas wiederholten sich, Senatoren wurden wie unter Nero zur Bereicherung ermordet, der Kaiser geriet in die Abhängigkeit von Beratern und Frauen. Sogar als Gladiator trat der römische Kaiser auf. Commodus versuchte, eine religiös begründete Autokratie einzuführen, mußte aber wie seine größenwahnsinnigen Vorgänger scheitern. Er wurde ermordet und sein Andenken verflucht. 2.5.2 Septimius Severus (193 - 211) Nach Commodus’ Tod wurde erneut ein älterer Senator (Pertinax) zum Übergangskaiser gemacht, der allerdings wie Galba durch die Prätorianer ermordet wurde. Daraufhin brach der Bürgerkrieg aus, und die Prätorianer boten die Kaiserwürde gegen Geld an. Auf diese Art kam Julianus auf den Thron, konnte sich aber nicht halten, weil die verschiedenen Provinzialheere Septimius Severus an der Donau, Pescennius Niger im Osten und Clodius Albinus in Britannien zum Herrscher ausriefen. Es siegte Septimius Severus, ein kraftvoller, brutaler und verschlagener Offizier. Rom fiel kampflos in seine Hände, im Osten mußte er bis 194 gegen Niger kämpfen. 197 konnte er auch Albinus, mit dem er vorher ein Bündnis geschlossen hatte, schlagen. Severus versuchte, als Rächer des Pertinax aufzutreten und im Einklang mit dem Senat zu regieren, der ihm allerdings deutlich zu verstehen gab, daß nicht er, sondern Albinus der Kandidat des Adels war, und diesen auch unterstützte. Der Kaiser regierte nach seinem Sieg mit Prozessen und Konfiskationen gegen die Anhänger des Albinus. Da das Heer die hauptsächliche Machtgurndlage der Kaiser darstellte, bemühte sich Severus, dessen Wünschen gerecht zu werden: er gestattete das Zusammenleben der Soldaten mit ihren Frauen und eröffnete Aufstiegsmöglichkeiten auch für untere Dienstgrade. Er verlieh hierfür die nötige 2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 13 Ritterqualifikation an bewährte Soldaten, besetzte auch senatorische Ämter mit Rittern und schuf neue ritterliche Positionen. Auch die kaiserliche Verwaltung erweiterte er und reorganisierte vor allem die Finanzverwaltung. Nachdem er den Bruch mit dem Senat einmal akzeptiert hatte, kümmerte er sich auch nicht mehr um dessen Ansprüche. In der Nähe Roms wurden reguläre Truppen als Gegengewicht zu den Prätorianern stationiert. Die Prätorianer selbst wurden wegen ihrer erwiesenen Bestechlichkeit neu aus treu ergebenen Soldaten gebildet. Da Severus nicht vom Senat gewählt worden war, suchte er seine Legitimation in einer (fingierten) Verbindung mit der Dynastie der Antonine. Damit bekräftigte er den dynastischen Gedanken, der vom Senat nach den vorangegangenen Katastrophen abgelehnt wurde. Die soziale Politik Mark Aurels führte er weiter, an seinem Hof verkehrten viele griechische Gelehrte, so daß sich für die Politik des Reiches gegenüber der Dynastie der Antonine nicht viel änderte, wenn auch die persönliche Haltung des Severus zu seinem Amt völlig anders war. Insgesamt bedeutete seine erfolgreiche Regierung einen Sieg des dynastischen Prinzips. Dazu trugen vor allem die Frauen seiner Familie bei: schon Severus’ Frau Julia Domna ließ sich als Kaiserin ansprechen und setzte die göttliche Verehrung des ganzen kaiserlichen Hauses durch. 2.5.3 Caracalla (211 - 217) Die Befürchtungen des Senats waren berechtigt: der Sohn des Septimius führte (wie Commodus) ein beispielloses Terrorregime und verbrüderte sich mit Gladiatoren. Kaum an der Macht, ermordete er offenbar wahllos zahlreiche Leute, darunter den Mitregenten, seinen Bruder Geta. Wie Caligula, Nero oder Commodus war er völlig unfähig und versuchte, sich durch Gladiatorenkämpfe und Kraftproben zu profilieren. Auf einem Partherfeldzug wurde er in Mesopotamien durch eine Verschwörung unter dem Prätorianerpräfekten Macrinus gestürzt und ermordet. Die Soldaten riefen Macrinus zum Kaiser aus, der allerdings auf Betreiben Julia Maesas, der Tante Caracallas, gestürzt wurde. 2.5.4 Elagabal (218 - 222) An seine Stelle trat Elagabal, der Enkel Julia Maesas. Er war Priester eines östlichen Kultes und an der Regierung des römischen Reiches völlig uninteressiert. Die notwendigen Aufgaben erledigte seine Großmutter. Sie zwang den Kaiser seinen Vetter als Nachfolger zu adoptieren. 2.5.5 Alexander Severus (222 - 235) Nach Elagabals Ermordung durch die Prätorianer herrschte die Mutter des neuen Kaisers, Julia Mamaea für etwa 12 Jahre. Ihr gelang es sogar, das Verhältnis zum Senat zu entspannen. Erst als es zu militärischen Konflikten kam, konnte sie die Aufgaben der Regierung nicht mehr erfüllen, sie und ihr Sohn wurden ermordet. 3 Das römische Reich im 1./2. Jahrhundert 14 Mit ihrem Tod endete das Kaisertum für 50 Jahre bis zur Wiederrichtung des Reiches durch Diokletian. Es gab zwar auch vorher Ansätze und auch vielfach fähige Kaiser, aber sie waren nicht in der Lage, das Reich über einen längeren Zeitraum zu kontrollieren. 3 Das römische Reich im 1./2. Jahrhundert 3.1 Außenpolitik Das römische Reich war in den ersten beiden Jahrhunderten frei von Belastungen durch nationale Machtbestrebungen innerhalb des Reiches. Daher blieb die Außenpolitik weitgehend stationär. Unter Claudius wurde Britannien erobert, unter Vespasian/Domitian der Limes errichtet und Dakien befriedet. Die großen Eroberungen Trajans wurden wieder aufgegeben. In Asien blieb es trotz der Partherkriege beim Status quo. 3.2 Innenpolitik Aus römischen Bürgern wurden kaiserliche Untertanen. Die persönliche Freiheit blieb allerdings weitgehend unangetastet. Das Städterecht kannte mehrere Abstufungen: römische Städte - latinische Städte - peregrine Städte. Seit der constitutio Antoniniana (212) hatten alle Einwohner des Reiches das römische Bürgerrecht. Für die Provinzialen brachte das Kaisertum keine Änderungen: sie wurden weiterhin von einem Statthalter beherrscht. Der Senat war in der Kaiserzeit zwar politisch machtlos, moralisch aber weiterhin eine wichtige Institution. Die Person des Kaisers wuchs langsam in die göttliche Sphäre. Durch die Machtkonzentration beim Kaiser wurde der kaiserliche Verwaltungsapparat immer größer. Kaiserliche Beamte fungierten als: <ul><li>Statthalter in den kaiserlichen Provinzen</li><li>Finanzbeamte</li><li>cura (Polizei, Feuerwehr, Wasserversorgung)</li><li>Prokuratoren, Präfekten</li><li>Verwaltungsbeamte in Rom</li></ul> Die Beamten kamen meistens aus dem Ritterstand, niedrigere Posten wurden an Freigelassene vergeben. Der höchste Posten war der des kaiserlichen Präfekten in Ägypten, darunter die Prokuratoren. Die kaiserlichen Sekretäre in Rom waren Freigelassene, die große Macht hatten. Seit Otho wurden auch sie durch Ritter ersetzt. Hadrian führte offizielle Ministerien statt der privaten Sekretäre ein und ermöglichte eine zivile Ämterkarriere. Die Rechtsänderung durch Prätoren wurde abgschafft (edictum perpetuum). Die Juristen wurden in die kaiserliche Legislative und Jurisprudenz eingebunden. 4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 15 3.3 Soziale Situation Es gab eine erneute Blüte des Städtewesens. Die Urbanisierung war immer auch Romanisierung. Innerhalb des Heeres wurden die provinzialen Auxilien (Hilfstruppen) durch die römische Disziplin romanisiert. Das Heer war dadurch Träger der römischen Zivilisation. Eine vertikale Sozialstruktur im Reich bildete sich heraus: der neue Reichsadel setzte sich aus Rittern und Senatoren zusammen. Die Standesdifferenzierung wurde stärker und offizieller: den drei „Orden“ (Senatoren, Ritter, Stadträte) standen die Plebs gegenüber. Die Erhebung in höhere Stände nahm der Kaiser vor. Die Provinzialen erhielten mehr Macht: seit Trajan waren die Kaiser nicht mehr Italiker. Der Unterschied Italien - Provinzen verschwand, Italien verarmte im 1. Jahrhundert zusehends. In der Landwirtschaft ging man von Guts- zu Pachtwirtschaft über. Das humanitäre Kaisertum engagierte sich besonders in der Sozialpolitik: die Selbstbestimmung der Frauen und Rechte der Sklaven wurden betont. 3.4 Geistige Verfassung Die Synthese Griechenland - Rom ist bezeichnend für die Kultur des Kaiserreiches. Der Kaiser besoldete Gelehrte für die Bildung der Jugend. Der Philhellenismus der humanitären Kaiser führte zu einer Unterstützung Griechenlands und Ehrungen griechischer Gelehrter. Die Kultur wird (mit Ausnahme der Juden) einheitlich griechisch-römisch. Während die Diasporajuden sich anpaßten, gab es in Palästina Widerstand gegen die Hellenisierung. Nero zerstörte die nationale Identität, Hadrian löschte sie schließlich aus. An die Stelle der traditionellen Frömmigkeit - der Kaiserkult war eine politische Demonstration - traten die Mysterienkulte und Religionen, die ganzheitliche Götter verehrten. Das Christentum war ursprünglich eine binnenjüdische Sekte mit hellenistischem Einschlag. Es bildete neben den hellenischen Mysterienkulten und dem Judentum eine dritte Potenz. Ihre Andersartigkeit und Intoleranz machte die Christen zu Außenseitern. 4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 4.1 Zusammenbruch Nach dem Ende der Severischen Dynastie mit Alexander Severus wurde das römische Reich nun Schauplatz einer politischen und sozialen Revolution, in der es keine stabile Regierung mehr gab und sich alles im Wirbel einer blutigen Anarchie drehte. Dabei kamen die innere und die äußere Krise zusammen und verstärkten gegenseitig den Druck auf das zusammenbrechende Staatgebilde. 4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 16 4.1.1 Außenpolitik Obwohl Rom vom unmittelbaren Druck der Völkerwanderungen im 3. Jahrhundert noch weitghehend verschont blieb, gab es zwei bedenkliche Entwicklungen: nachdem der Druck von Germanen und Indoiranern im Norden von Mark Aurel zunächst abgewehrt worden war, verstärkten sich außerhalb der Reichsgrenzen die Bedrohungen erneut. Die Ostgermanen (Goten, Vandalen) drangen von Skandinavien in Richtung Osten vor und siedelten in Südrußland und Kleinasien. Makedonien und die kleinasiatischen Provinzen waren bedroht. An der Donaugrenze regenerierten sich die Markomannen und Quaden und schlossen sich mit weiteren Karpatenvölkern zusammen. Alemannen, Franken und Sachsen verbanden sich zu größeren Stammeseinheiten. Es kam häufig zu Raubzügen über die Donau, die Provinz Dakien war nich mehr zu halten. Das seit langem befriedete Gallien wurde von Alemannen und Franken überfallen, selbst bis Spanien und Italien drangen germanische Stämme vor. 251 starb Kaiser Decius im Krieg, 258 sah sich Rom selbst in Gefahr. Erst 269 unter Claudius II. Gothicus konnten die Germanen zurückgeschlagen werden. Das Partherreich regenerierte sich ab 224 unter Führung der Perser (Sasanidendynastie). Auch die Araber, Blemmyer und Mauren wurden aktiv. Diese verschiedenen Angriffe bedrohten das römische Reich, führten aber noch nicht zum Untergang. Durch die Heeresumbildung sank das Leistungsniveau trotz der erhöhten Anforderungen. Die Kaiser griffen nun immer mehr auf die Landbevölkerung bei der Rekrutierung zurück, bevor es bei Diokletian dann ausschließlich geschah. Die fehlende Romanisierung sollte mit vormilitärische Erziehung in der Jugend kompensiert werden. Die Soldaten waren zwar kräftig und mutig, konnten das komplizierte römische Exerzierreglement nicht erfüllen. Zudem waren sie den numerisch starken, gut gepanzerten und mit Stoßlanzen (Steigbügel) ausgerüsteten Partherreitereien und ihren Nachfolgern unterlegen. 4.1.2 Innenpolitik Nachdem es schon unter Septimus Severus zum Bruch mit dem Senat gekommen war und mit dem Tod des Alexander Severus (235) auch diese Dynastie erloschen war, stieß mit Maximinus Thrax (235 - 238) der erste Soldatenkaiser in das Vakuum. Die Soldatenkaiser hatten als einzige Stütze ihr Heer: Volk und Senat standen ihnen entgegen. Aber auch die Loyalität des Heeres war wechselhaft. Freibeutertum und Faustrecht kamen auf, die Soldaten kämpften untereinander. Von 235-284 herrschten 30 Kaiser, die durch verschiedene Heeresteile auf den Thron gebracht wurden. In der Mitte des Jahrhunderts kam die Inflation hinzu. Maximinus Thrax war ein thrakischer Provinziale niederer Abkunft, der sich im Heer heraufgearbeitet hatte. Aufgrund seiner Beliebtheit war er gegen Alexander Severus ausgespielt worden, so daß er seinen Vorgänger stürzte. Er hielt nichts vom Senatorenstand, und dieser nichts von ihm, obwohl er ihn zunächst anerkannte. Seine rigorosen Steuereintreibungen führten zur Ausrufung des Gegenkaisers Gordianus, der auch vom Senat unterstützt wurde. Wenig später wurde Maximinus von seinen eigenen Truppen ermordet. 4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 17 In den folgenden zehn Jahren stützten sich die Kaiser nochmals auf den Senat oder kamen sogar aus ihrer Mitte. Doch das war nur ein Zwischenakt, denn eigentlich zählte jetzt nur noch der Machtfaktor Heer. Doch diesen konnten die Kaiser auch nicht mehr selbst kontrollieren. Ein politisches Programm besaßen die Soldaten jedoch nicht. Sie wollten nur, daß es ihnen gut ging. Deswegen nahmen sie sich, was sie wollten, und verwüsteten selbst eigenes Territorium. Dabei agierten natürlich nur einzelne Heeresgruppen, denn das Gesamtheer war zu groß und zu zerstreut, um einen gemeinsamen Willen zu formen. Die wichtigsten Kaiser bis Diokletian waren: <ul><li>235 - 238 238 Maximinus Thrax (besiegte die Alemannen, Einfall der Perser in seiner Zeit)</li><li>238 - 244 Gordian III. (konnte die Perser zurückschlagen)</li><li>244 - 249 Philipp Arab (Sohn eines arabischen Scheichs)</li><li>249 - 251 Decius (erste Christenverfolgung)</li><li>251 - 253 Trebonius Galba (schloß Frieden mit den Goten)</li><li>253 - 260 Valerian (Sohn Gallienus war Mitkaiser im Westen, Valerian starb in Gefangenschaft)</li><li>260 268 Gallienus (Heeresreform, Aufstellung eines Reserve)</li><li>268 - 270 Claudius II. (besiegte die Alemannen 268 und die Goten 269)</li><li>270 - 275 Aurelian (schlug die Alemannen, stellte die Reichseinheit her)</li><li>275 - 276 Tacitus</li><li>276 - 282 Probus (sicherte Rhein- und Donaugrenze)</li><li>283 - 284 Carus (mit seinen Söhnen Carinus und Numerian)</li></ul> Mehrere Kaiser versuchten, die altrömische Gesinnung wiederzubeleben und ideologisierten die Politik. Die rektionären Parolen führten zu Christenverfolgungen unter Decius (249-251) und Valerian (253-260). Unter Gallienus (260 - 268) war die Krise des römischen Reiches auf dem Höhepunkt angelangt. Dennoch führte er auch innenpolitische Reformen durch. Gallienus übergab das Legionskommando an Ritter (nicht wie bisher Senatoren). Zu dem Ritterstand gab es auch einen Zugang von den Unteroffiziersposten, die gesellschaftlich homogen besetzt waren. Damit wurde der Statthalter zum reinen Zivilgouverneur. Er übernahm die schwerbewaffnete Reiterei aus den Hilfstruppen zum regulären Heer und bildete eine mobile Elitetruppe. Statt altrömischer Zucht setzte er auf griechische Universalität zur Regeneration des Reiches. Auch Aurelian (270 - 275) arbeitete weiter an der Disziplin des Heeres und ließ selbst die Städte im Reichsinnern durch den Bau von Stadtmauern schützen, Rom durch die Aurelianische Mauer. Zur ideellen Erneuerung und Stärkung des Reiches stützte er sich auf die Religion, den solaren Monotheismus (offizieller Staatskult des deus Sol Invictus neben dem Kaiserkult). 4.1.3 Soziale Verfassung Durch die Urbanisierung des römischen Reiches hatte die Wirtschaft in den vergangenen zwei Jahrhunderten einen stetigen Aufschwung erlebt, doch unter Hadrian fand die letzten Phase dieser Entwicklung statt. Wegen der fehlenden Expansionsmöglichkeiten sank das Sozialprodukt und damit die Einnahmen des Staates, der sie rücksichtslos eintrieb. Zwangsämter wurden eingeführt, deren Inhaber fehlende Steuern selbst zu begleichen hatte. Zwangszünfte mußten die Versorgung sicherstellen. Die Übernahme eines Amtes wurde erblich. Der Charakter der Stadt änderte sich vom autonomen Munizipium zum steuerzahlenden Zwangsverband. Der Druck auf die oberen 4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 18 Schichten setzte sich nach unten fort, Requisitionen nahmen zu. Die Abhängigkeit und Verarmung der Bauern wurden ebenfalls stärker. Den Städten wurden teilweise kaiserliche Beauftragte vorgesetzt. Auf der anderen Seite wuchs die Ausgabenseite des Staates (Bürokratisierung, Außenpolitik). 4.1.4 Geistige Verfassung Das empirisch-rationale Denken zog sich zurück und machte der Frömmigkeit Platz. Der Gegensatz Körper - Seele wurde allgemeines Gedankengut. Die Religionen waren sehr spekulativ und elastisch. In der Philosophie war der Neuplatonismus (nach Plotin) führend: das Eine und die Materie als verschiedene Grade der Wirklichkeit. Diese Richtung wurde zum Sammelbecken der christenfeindlichen Bewegungen. Das Christentum verbreitete sich vor allem im Osten und öffnete sich für spekulative Strömungen, die durch die Reform des Origenes wieder entfernt wurden. 4.2 Reform des Reiches durch Diokletian und Konstantin 4.2.1 Diokletian (284 - 305) Anstelle des ermordeten Numerian wurde Diokles vom Offizierskorps in Nikomedeia im Jahre 284 zum Kaiser Diokletian ausgerufen. Er stammte aus Dalmatien, war niederer Herkunft und hatte sich zum Kommandanten einer Gardetruppe hochgedient. Er war von einem starren Glauben an die Romanität, die alten Staatsgötter und römischen Sitten beseelt. Damit stand er im Gegensatz zu den religiösen Erfordernissen seiner Zeit. Die schlimmsten äußeren Gefahren des Reiches waren abgewehrt worden, der Staat war unter ungeheuren Anstrengungen in den vergangenen Jahrzehnten erhalten geblieben, so daß Diokletian nun an eine Reorganisation des Reiches gehen konnte. Auf diesem Gebiet leistete er Gewaltiges: er entwickelte 293 das System der Tetrarchie (Viererherrschaft): zwei Kaiser (Augusti) und zwei Unterkaiser (Caesares) beherrschten gemeinsam das Reich. Dieses System sollte eine flächendeckende Herrschaft garantieren und eine Usurpation durch siegreiche Feldherren verhindern. Dabei griff Diokletian an sich schon bekannte Elemente auf (Nebeneinander mehrerer Kaiser), neu war jedoch die Zuweisung einzelner Geschäftsbereiche und damit die Dezentralisierung des Reiches. Nachdem mit Carinus im Jahr 285 auch der zweite Sohn des Carus in Mösien besiegt worden war, ernannte Diokletian seinen Kriegskameraden Maximian, den er nach Gallien schickte, zum Caesar und im folgenden Jahr zum Augustus. Beide Augusti ernannten je einen Caesaren, adoptierten ihn und verheirateten ihn mit einer Tochter. Diokletian, der auch schon Maximian adoptiert hatte, ernannte Galerius, Maximian Constantius Chlorus. Die Aufteilung ab 293 sah folgendermaßen aus: Diokletian bekam den Osten (Zentrum Nikomedeia), und zwar er selbst Asien und Ägypten und Galerius Griechenland (Zentren Thessalonike/Sirmium) mit dem Balkan sowie dem anschließenden Donaugebiet. Maximian hatte den Westen (Zentrum Mailand), davon Italien, Afrika und Spanien, während Constantinus (Zentren Trier/York) Britannien und Gallien besitzt. Da keine größeren zentrifugalen Kräfte im 4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 19 Reich herrschten, bedeutete die Regelung nicht die Aufteilung des römischen Reiches. Was der einzelne Herrscher entschied, galt für das Gesamtreich, Gesetze und Verordnungen wurden überall verkündet. Natürlich behielt Diokletian die politische Oberhoheit im Staat. Doch damit war Diokletians Neuordnung bei weitem nicht abgeschlossen. Militärische und zivile Gewalt wurden ab 294 getrennt. Entsprechend der Tetrarchie schuf Diokletian in seiner Verwaltungsreform 4 Reichspräfekturen (praefecti praetorio) , aufgeteilt in je 3 Diözesen (vicarii). Er löste die alten Provinzen auf (inzwischen von 29 auf 45 angewachsen) und ließ sie in etwa 101 neue Provinzeinheiten einteilen (117 unter Konstantin). Diese Reform in Kombination mit dem Ausbau des Beamtenapparates sollte zur besseren Ausschöpfung der fiskalischen Ressourcen dienen, da das Heer und der höfische Lebensstil schwer zu finanzieren waren. Aus demselben Grund wurde die Anwohnerschaft auch erblich an ihren sozialen Standort gebunden. Die willkürlliche Ausbeutung ersetzte man durch eine konsequente und schematische. Eine einheitliche Normalsteuer (annona) wurde eingeführt. Die neuen Großgrundbesitzer und Zünfte erleichterten den fiskalischen Zugriff. Die Senatoren verloren weiter an Einfluß und Ämtern. Eine Kontrolle der Beamten war zwar vorgesehen, funktionierte aber wegen Korruption der Kontrollkommissare nicht, Bestechung und Erpressung waren üblich. Eine neue Aristokratie, die „Landbarone“, lebte außerhalb der Städte auf ihren Gütern und versuchte, sich dem staatlichen Druck zu entziehen. Häufig begaben sich freie Bauern in ihren Schutz und wurden abhängig (patrocinium). Die Grundherren bildeten ein feudales Element und übernahmen Polizei und öffentliche Verwaltung. Im militärischen Bereich führte Diokletian einen Prozeß fort, der sich ebenfalls schon im dritten Jahrhundert angebahnt hatte und der allerdings entscheidend von Konstantin fortgesetzt wurde. Eine erneute Heeresreform faßte die Offiziere als protectores des Kaisers zusammen. Das Kernstück des Heeres war mittlerweile die nicht an der Grenze stationierte Mobilarmee (comitatenses), bestehend aus Infanterie und Kavallerie, wovon die Hoftruppe, entsprechend den Präto-rianern, die 312 endgültig aufgelöst wurden, eine besondere Elite bildete. Die Armee in den Provinzen war hingegen infolge ihrer Ausstattung mit Grund und Boden endgültig zu einer minder qualifizierten Miliztruppe geworden. Die Rekrutierung des Heeres erfolgte nun ausschließlich aus der Landbevölkerung, wobei auch eifrig die „Barbaren“ aus den Grenzgebieten engagiert wurden. Diokletian versuchte ab 301, die Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen. Er erließ ein Staatsmonopol für die Münzprägung und gab wieder vollwertiges Geld aus. Damit verhinderte er das Absinken in die Naturalwirtschaft, auch wenn die Ergebnisse erst später wirklich sichtbar wurden. Er ließ zudem einen Staatshaushalt aufstellen und versuchte vergeblich mit einem Höchstpreisedikt, Preise und Löhne zu stabilisieren. Für die wichtigsten Bedarfsartikel trat der Staat nun selbst als Unternehmer auf (Waffenmanufaktur, Transportwesen). Gewalt und Macht waren die Grundlagen dieses spätantiken Zwangsstaates. Diokletian begründete den Dominat, die offene Alleinherrschaft des Kaisers ohne Legitimierung durch das Volk oder den Senat. Der Kaiser war mittlerweile vollkommen in eine göttliche Sphäre entrückt. Die Idee des christlichen Gottesgnadentums spiegelte diese Situation wieder. 305 dankten schließlich Diokletian und mit ihm Maximian zugunsten der Caesaren ab. 4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 20 4.2.2 Konstantin (306 - 337) Nach der Abdankung sah die Situation folgendermaßen aus: Galerius herrschte als Augustus des Ostens mit Maximinus Daia als Caesar für Sysrien und Ägypten, Constantius Chlorus war Augustus des Westens mit Severus als Caesar für Italien. 306 starb jedoch Constantius Chlorus und das diokletianische System wurde gesprengt. Sein Sohn Konstantin wurde in York zum Nachfolger ausgerufen, Maxentius, der Sohn des Maximian, in Rom. Severus, der Caesar Italiens, unterlag Maxentius. Auch Maximian selbst griff 307 nochmals zur Kaiserwürde. Auf der Kaiserkonferenz von Carnuntum (307, bei Wien) unter dem Vorsitz von Diokletian soll die Situation bereinigt werden. Licinius wurde zum Augustus des Westens und Konstantin zum Caesar erklärt. Maxentius galt von nun an als illegitim. Doch diese Konferenz war vergeblich. Zwei Jahre später hatte das Reich vier Augusti, die sich gegenseitig als legitim ansehen (Galerius und Maximinus Daia im Osten, Konstantin und Licinius im Westen) und einen illegitimen Maxentius in Italien. Als 311 Galerius starb, bildeten sich zwei Parteien, Maximinus Daia und Maxentius auf der einen, Licinius und Konstantin auf der anderen Seite. Konstantin griff zunächst Maxentius an und besiegte ihn im Bürgerkrieg an der Milvischen Brücke (Herbst 312) nördlich von Rom. Ein halbes Jahr später vernichtete Licinius Maximinus Daia. Ab 313 besaß das römische Reich für zehn Jahre zwei Herrscher (Konstantin im Westen, Licinius im Osten), zwischen denen allerdings Spannungen herrschten. 314 eroberte Konstantin Illyricum, 324 besiegte er ihn schließlich und wurde zum Alleinherrscher des römischen Reiches. Nun begann Konstantin auch mit dem Ausbau von Byzantinum zur Residenzstadt in strategisch günstiger Lage, die 330 als Konstantinopel eingeweiht wurde. Er führte auch die Reformen Diokletians weiter. Die militärische Befehlsgewalt fiel jetzt in die Hand von zwei Heermeistern (magister militum und equitum), später unter Constantius II. kamen noch vier duces in den Provinzen hinzu. Militärische und zivile Kompetenzen wurden weiter entflochten. Die Hofverwaltung unterstand einem magister officiorum. Konstantin führte eine neue Goldwährung ein, die 700 Jahre lang stabil blieb. 337 starb Konstantin. 4.3 Die Christianisierung des Reiches Im 2. Jahrhundert hatte sich das Christentum unter den humanitären Kaisern relativ ungestört ausbreiten können, während es im 3. Jahrhundert mehrfach zu Christenverfolgungen gekommen war, bis Kaiser Galerius 311 auf dem Sterbebett ein Toleranzedikt erließ, das Konstantin im Westen übernahm. In der christlichen Geschichtsschreibung gilt er als der erste christliche römische Kaiser. Sein Bekenntnis zum Christengott muß allerdings eher als poltische Maßnahme denn als angenommener und gelebter Glaube gesehen werden. Dafür sprechen zum einen seine Toleranz gegenüber anderen heidnischen Religionen, die er neben dem kaiserlichen Schutz- und Reichsgott bestehen ließ und zum andern die Tatsache, daß er bis zu seinem Tod das Amt des Ponitfex Maximus ausübte. Konstantins Ziel war die Befriedung und Einigkeit des Reiches. Seine Vorgänger hatten 4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 21 dies auf der Grundlage des Kaiserkultes und gegen das Christentum versucht. Er wählte nun den umgekehrten Weg, da das Christentum damals die stabilste geistige Macht dargestellte. Es glich dank seiner straffen Organisation einem Staat im Staate. Konstantin kümmerte sich daher um die Angelegenheiten der christlichen Kirche, um ihre Einheit zu erhalten und ihren Einfluß auf die Massen für seine politischen Zwecke auszunutzen. Der Kaiser hatte damit die Konsequenz aus den Erfordernissen der Zeit gezogen: das Christentum bot eine solide Grundlage für die religiösen Bedürfnisse des Volkes. Obwohl Konstantin selbst tolerant war, machte er der christlichen Intoleranz Konzessionen. Die christliche Geschichtsschreibung sieht in der Anerkennung des Christentums weniger Konstantins Staatsklugheit, sondern eine Tat Gottes. Sie geht von dem Ereignis des Jahres 312 aus: dem Sieg Konstantins über Maxentius an der Milvischen Brücke. Kurz vor der Schlacht hatte der Kaiser angeblich eine Erscheinung , wonach er unter christlichem Feldzeichen (Kreuz) kämpfen sollte, um zu siegen. Konstantin befolgte die Weisung Gottes und siegte. Doch nicht nur die Christen stellten diese Wende als gottgewollt dar, sondern auch Konstantin propagierte nach außen hin, daß Gott ihm in dieser entscheidenden Stunde ein Zeichen gegeben hätte. Ob er wirklich ein gläubiger Christ wurde, wie es die christliche Geschichtsschreibung darstellt, ist unklar. Taufen ließ er sich jedenfalls erst 337 auf seinem Sterbebett. Allerdings war sein Übertritt zum Christentum kein echter Einschnitt. Vor seinem Entschluß Christ zu werden, war er Anhänger eines solaren Monotheismus (Helios-Apoll). Bei beiden Religionen spielte die Licht- und Sonnensymbolik eine starke Rolle und so kam es zu Annäherungen. (der Geburtstag des Sol Invictus am 25. Dez. wurde mit dem Weihnachtstag zusammengelegt) Bedeutend jedoch ist die Tatsache, daß er als Nachfolger Diokletians, dessen Herrschaft im Zeichen der Christenverfolgung stand, den eingewurzelten Haß gegen die Christen überwinden mußte. Die heidnische Aristokratie (fast alle Amtsträger und der Senat waren Heiden) hatte starke Ressentiments gegen das Christentum des Kaisers. Diokletian hatte sein Regierungssystem noch darauf aufgebaut, daß der Bestand des Reiches von der Billigung der Götter abhänge. Nun aber wurden keine Opfer mehr dargebracht und keine Riten und Säkularspiele mehr veranstaltet, was folglich den Zorn der Götter heraufbeschwören mußte. Bis zum Ende des 4. Jahrhunderts (bis zur Massenübertretung unter Theodosius) sollte sich die Aristokratie hartnäckig weigern, die christlichen Kaiser als legitime Herrscher anzuerkennen. Auch für die Christen warf ein christlicher Kaiser Probleme auf: früher war der Kaiser als götzendienlicher Charakter dargestellt worden und nun hatte man ihm laut Konzilienbeschluß zu dienen. Deshalb gab sich Konstatins bischöfliche Umgebung (z. B. Eusebius von Caesarera) große Mühe den Kaiser als tadellosen christlichen Charakter darzustellen. Nach der neuen Kaiserideologie war Konstantin nicht aufgrund seines Geburtrechts, sondern von Gottes Gnaden Herrscher des römischen Reiches. Auf Erden war er fleischgewordene Gotteswort; er verwirklichte wie Christus das schriftliche Wort. Seine Rolle war die einer Vorsehung. Diese Darstellung der kaiserlichen Macht konnte das Christentum annehmen, da Kaiser und Gott als Personen getrennt wurden. Nach der Niederlage des Licinius, dem die Schuld an der Entzweiung der beiden Kaiser zugesprochen und der somit zum Feind Gottes erklärt wurde (Idee des Glaubenskrieges), hatte das römische Reich seinen Herrschaftsanspruch wieder zurückgwonnen. Der 4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 22 Kaiser war wieder der alleinische Herrscher, eingesetzt durch göttliche Macht und so mit dieser ausgestattet. Wegen eines Glaubensstreites zwischen dem alexandrinischen Bischof Alexander (später Athanasius) und dem ägyptischen Geistlichen Arius berief Konstantin 325 das Konzil von Nicäa ein. Es war das erste ökumenische Konzil (Ost-und Westkirche). Außerdem nahmen zum ersten Mal neben Theologen auch Kirchenpolitiker an der Diskussion teil. Konstantin setzte dieses bedeutende Ereignis mit allem weltlichen und geistlichen Pomp in Szene, und indem er die Eröffnungsrede hielt, repräsentierte er sich weniger als Christ, sondern als erster universaler Herrscher. Er wollte zeigen, daß die Kirche nicht nur einen neuen Beschützer, sondern einen neuen Herrn gefunden hatte. Der Konflikt bestand zwischen einem monarchianischen Standpunkt, der Christus und Gott gleichsetzte, und dem arianischen Standpunkt, der einen Dytheismus in Kauf nahm und Christus und Gott als zwei Wesen betrachtete. Origenes hatte in seinem theologischen System versucht, einen Ausgleich zu schaffen: Christus sei eine funktionale Seite Gottes und trotzdem nicht mit ihm identisch. Im arianischen Streit standen sich das origenistische System und Arius gegenüber. Konstantin verstand die Unvereinbarkeit der Positionen nicht und suchte daher einen Kompromiß: die „Wesenseinheit“ (homoúsios) von Gott und Christus. Arius und seine Anhänger wurden der Häresie beschuldigt und verbannt. Die kaiserliche Verordnung, die diese Position festschrieb, war keine echte Lösung. Sie zeigte, daß Konstantin sich als Herr der Kirche betrachtete, der auch Glaubensfragen entscheiden konnte. Die ungenaue Definition der Wesensgleichheit führte nach Konstantins Tod und der Aufteilung des Reiches zwischen seinen Söhnen auch zur Glaubensspaltung: im Westen (Constans) die Anhänger des Nicäanischen Konzils (um den verbannten Athanasius) und im Osten (Constantius) die Anhänger des Arianismus. Constantius wurde nach der Ermordung seines Bruders 350 Alleinherrscher (353 überwand er den Usurpator des Westens). Er vertrat eine harte Kirchenpolitik zugunsten des Ostens (und der neuarianischen Position): Das „homoúsios“ wurde durch „homoios“ (ähnlich) ersetzt, eine noch schlechtere Lösung als das zwiespältige „homoúsios“. Der Streit bestand jedoch weiter, auch wenn durch Constantius der arianische Glauben mit Zwang aufgezwungen wurde, ein weiterer Schritt in Richtung Staatskirche. Nach Constantius Tod verloren die Arianer stetig an Einfluß, bis 381 auf dem Konzil von Konstantinopel unter der Führung des Mailänder Bischofs Ambrosius die Theorien der drei Kappadokier Basilius, Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz, die der Tradition des Origines verhaftet waren, allgemein anerkannt und die Arianer auch im Westen entmachtet wurden. Sie schlossen den Identitätsbegriff zwischen Gott und Christus aus und brachten das trinitarische Prinzip, welches Athanasius (stellvertretend für den Westen) am Ende seines Lebens verfochten hatte, mit ein. Ihre Formel lautete: „Eine Substanz, die in der Trinität jedoch verschiedene Eigenschaften annimmt.“ 5 Entwicklung des Reiches seit Konstantin 23 5 Entwicklung des Reiches seit Konstantin 5.0.1 Die konstantinische Dynastie Nach dem Tod Konstantins 337 regierten seine Söhne Konstantin II. (Westen) und Constantius (Osten). Ein weiterer Sohn, Constans, war landlos, legte jedoch eine eigene Kanzlei an und erließ Gesetze für Italien, die Donauprovinzen und Afrika. Constans siegte 340 gegen seinen Bruder Konstantin II., als dieser ihm sein Einflußgebiet entziehen wollte. Es bestanden also wieder zwei Reiche: Constans im Westen, Constantius im Osten. Beide waren jedoch völlig verschieden organisiert: Constans sorgte durch Schlachten bei den Barbaren im Norden für Ruhe. Er ließ sich die Religionspolitik von seinen Bischöfen vorschreiben. Das Papsttum hatte als Oberschiedsrichter für das weltl. Christentum offizielle Anerkennung erfahren. Im Osten führte Constantius ein hartes Regiment, er war unbeliebt. Die arianische Geistlichkeit stand in seinem Dienst. Während beide Herrscher zu Beginn noch versuchten, eine Annäherung zu erzielen, entfremdeten sie sich zunehmend. Nach dem Tod des Constans 350 beim Kampf gegen den barbarischen Aufständler Magnentius in Gallien holte Constantius zum Gegenschlag aus und besiegte Magnentius 353. Durch diesen Krieg war Constantius zum alleinigen Herrscher des Reiches geworden. 5.0.1.1 Constantius (337 - 361) Er wollte nun das Reich genauso weiterführen wie sein Vater: er als alleiniger Herrscher und unter ihm zwei Cäsaren ohne Armee und ohne eigenen Verwaltungsapperat. Die Cäsarentitel erhielten seine beiden Neffen Flavius Claudius Constantius Gallus (Osten/Sitz in Antiochia) und Flavius Claudius Iulianus (Gallien/Sitz in Lutetia). Gallus stellte sich bald als unfähig heraus und wurde in Konstantinopel hingerichtet. Julian erwies sich als guter Heerführer und brachte es durch seinen Sieg gegen die Alemannen zu Ruhm. 5.0.1.2 Julian Apostata (361 - 363) 361 erfuhr das römische Christentum dann einen Rückschlag: Constantius Neffe Julian wurde Kaiser und versuchte noch einmal die alte heidnische Religion zu etablieren. Die Christen nannten ihn Apostata (der Abtrünnige). Es kam jedoch zu keiner offenen Christenverfolgung, sein Ziel war vielmehr die Ignorierung der Christen durch den Staat und zur Aberkennung aller konstantinischen Rechte, die Pflichten wurden beibehalten. Mit seinem frühen Tode - während der Perserkriege 363 (wahrscheinlich durch seine eigenen Männer) - brach der Versuch kläglich zusammen, der sowieso aussichtslos gewesen war. Er hatte versucht die straffe Organisation und den Aufbau des Christentums (gottesdienstliche Formen, Organisation der Priesterschaft) auf das Heidentum zu übertragen, stieß jedoch auf Ablehnung bei den Heiden, die sich keine christlichen Werte aufzwingen lassen wollten. Dennoch feierten sie ihn nach seinem Tod als ihren Helden. Für die Christen war sein Tod dagegen ein Beispiel für das Schicksal von Abtrünnigen. 5 Entwicklung des Reiches seit Konstantin 24 5.0.2 Verteidigung des Reiches von Valentinian bis Theodosius 5.0.2.1 Valentinian (364 - 375) und Valens (364 - 378) Nach dem Tod des Julian, mit dem die konstantinische Dynastie ausstarb, kam zuerst ein gewisser Jovanus an die Herrschaft, doch nach dessem plötzlichen Tod wurde der christliche Offizier Valentinian zum Kaiser ernannt. Ihm wurde zur Auflage gemacht, einen Mitkaiser zu ernennen. Seine Wahl fiel auf seinen Bruder Valens. Valentian regierte darauf hin im Westen und Valens im Osten. Valentinian zeichnete sich durch eine kraftvolle Persönlichkeit und militärisches Geschick aus (Befestigung der Rhein- und Donaugrenzen). Zur Zeit des Valens war der Osten einigen Angriffen ausgesetzt. 365 bis 377 herrschte in Armenien Krieg mit den Persern. Außerdem rüsteten die Goten wieder zum Krieg. Valens versuchte, die Befestigungslinie an der Donau zu verstärken, 377 begann sie jedoch zu bröckeln, da die Goten, selbst von den Hunnen angegriffen, über die Donaugrenze ins Reich getrieben wurden. Am Anfang geschah der Einzug ins Reich friedlich, da ihnen Siedlungsgebiete zugestanden wurden, doch Lebensmittelnot bedingte dann einen Aufstand. Ostgoten und Westgoten schlossen sich zusammen und besiegten die Truppen des Valens 378 bei Adrianopel. Valens selbst fiel bei dieser Schlacht. Von diesem Zeitpunkt an blieben die Goten im Reich. 5.0.2.2 Gratian (375-383) und Valentinian II. (375-392) Nach Valentinians Tod 375 übernahmen seine Söhne Gratian und Valentinian II. die westliche Herrschaft. Beide waren noch sehr jung (Valentinian II. erst 4 Jahre, Gratian übernahm seine Vormundschaft). Ihre Herrschaft währte jedoch nicht lange, 383 wurde Gratian von dem spanischen General Magnus Maximus gestürzt. Maximus erhielt danach die westl. Provinzen. 387 wurde er jedoch beim Versuch die Herrschaft über Italien zu erlangen von Valentinian II. und Theodosius, dem Nachfolger des Valens im Osten, getötet. Von 388 bis 392 war somit die Ordnung wieder hergestellt: Valentinian II. im Westen und Theodosius im Osten. Doch 392 fiel Valentinian einem erneuten Putsch zum Opfer, und Theodosius gelang es die Aufständler 394 zu schlagen. Er wurde so zum letzten Alleinherrscher des Reiches. 5.0.2.3 Theodosius (der Große) (379 - 395) Gratian hatte ihn 378 nach dem Tod des Valens zum östlichen Kaiser ernannt. Er stammte aus Spanien, war gläubiger Christ und ein berühmter General. Für die Klärung der Gotenfrage war er sicher eine gute Wahl. Doch Theodosius erreichte gegenüber den Goten nichts. Er gab ganze Provinzen an die Einwanderer ab, ohne den Versuch zu unternehmen, sie zu besiegen (allerdings hatte er auch kein gutes Heer). 382 kam es zum Friedensschluß zwischen Goten und Römern. Entlang der Grenze bildeten sich autonome Gotenstädte, die mit Rom Bündnisse eingingen. Römer, die in den gotischen Gebieten zu beiden Seiten der Donau blieben, erhielten ihren eigenen Rechtsstatus. Aus den ehemaligen Herrschern über dieses Gebiet waren praktisch Geiseln geworden. Theodosius schien sich für diese bahnbrechenden Ereignisse indes wenig zu interessieren. Er erließ in Konstantinopel Gesetze über die Beförderung, Vorrechte und Kleidung von Beamten und festigte seine innere Macht. Offiziell hieß es, sein Ziel sei die Zivilisation der Barbaren in den 5 Entwicklung des Reiches seit Konstantin 25 abgetretenen Provinzen gewesen. Gleichzeitig wurden die noch römischen Provinzen so hoch mit Steuern belastet, daß sie ständig mit dem Ruin zu kämpfen hatten. Durch diese Politik der Ignoranz bekam das mühsam aufgebaute Verteidigungssystem des Valentinian erste Risse, durch die später die Goten und dann die Hunnen einfielen. Seinen Beinamen „der Große“ erhielt Theodosius von der katholischen Kirche aufgrund seiner Religionspolitik, angesichts seiner politischen und militärischen Taten wäre der Beiname eher ungebracht. Unter ihm wurde das Christentum zur alleinigen Staatsreligion ernannt. 5.0.3 Reichsteilung und das Ende Westroms Nach Theodosius’ Tod wurde das Reich zwischen seinen Söhnen geteilt: im Osten herrschte Arcadius (395 - 408), im Westen Honorius (395 - 423). Damit war das römische Reich endgültig geteilt, die Hauptstadt des Westroms war ab 404 nicht mehr Rom, sondern Ravenna. Die theodosianische Dynastie hielt sich trotz durchgehend unfähiger Herrscher: die ausschließliche und unangefochtene Legitimität eines Kaisers durch seine Abstammung war ein neues Element. Die Verwaltungsstruktur des Reiches wurde durch das Einnisten von Germanen (die von den Hunnen verdrängt wurden) in den Grenzgebieten zerstört. Westgoten siedeln als Foederaten im festen Stammesverband auf Reichsgebiet. Britannien mußte aufgegeben werden. Obwohl die westlichen Grenzen brachen, ging das römische Reich noch nicht unter, weil die Germanenstämme nicht gemeinsam angreifen. Die Eroberung Roms 410 durch den Westgoten Alarich war zwar politisch unbedeutend, aber bezeichnend für die Situation. Die Vandalen setzten 429 wegen römischer Uneinigkeit nach Nordafrika über und eroberten die Provinz Afrika. Es bildeten sich mehrere germanische „Staaten“ im römischen Reich: die Vandalen in Nordafrika, die Sueben auf der westlichen Pyrenäenhalbinsel, die Westgoten in Gallien und die Burgunder in Savoyen. Geschichtliche Zukunft hatte nur der fränkische Staat (Frankreich). Seit 444 war Attila der Alleinherrscher der Hunnen von der mittleren Donau bis Südrußland und Mitteleuropa. Seine Heere bdrängten sowohl die Goten als auch das römische Reich. Aetius konnte 451 die Hunnen auf den Katalaunischen Feldern besiegen, nach Attilas Tod 454 wurden die Hunnen von den Germanen vernichtet. Wegen des fehlenden Macht- und Regierungswillens der Kaiser bildete sich ein starkes Hausmeiertum aus. Häufig waren Barbaren in diesem Amt (Stilicho unter Theodosius). Die Ermordung des mächtigen Hausmeiers Aetius 454 durch Valentinian III., führte zu dessen Sturz 455. Damit endete auch im Westen die theodosianische Dynastie (im Osten schon 450). Aetius’ Nachfolger Ricimer leitete das Ende des weströmischen Reiches ein: er ermordete den Kaiser Avitus und ließ sich 457 mit dem Titel patricius als Stellvertreter der kaiserlichen Macht ausstatten. Durch ihn kamen mehrere Kaiser auf den Thron, die er ermorden ließ, sobald sie eigene Initiative zeigten. Ricimer selbst starb 472. Ein von Ostrom eingesetzter Kaiser, Julius Nepos (474 - 480) wurde 475 vom oströmischen General Orestes gestürzt, der seinen Sohn Romulus auf den Thron brachte. 476 stürzte der Germane Odoaker mit seinen Soldaten den Orestes und beendete damit die kaiserliche Herrschaft im Westen. 5 Entwicklung des Reiches seit Konstantin 26 Im Osten gelang die Verbindung von Kaisertum und Hausmeiertum. Nach dem Ende der theodosianischen Dynastie mit Theodosius II. (408 - 450) heiratete dessen Schwester Pulcheria den neuen Kaiser Marcianus (450 - 457), der mit Unterstützung des germanischen Hausmeiers Flavius Ardabar Aspar auf den Thron gekommen war. Aspar setzte auch den achfolger Leo (457 474) gegen den Willen des Kaiserpaares durch. Bis zu diesem Punkt stand das Kaisertum wie in Westrom im Schatten der Hausmeier, aber Leo und seinem Nachfolger Zeno (dem Isaurier) (474 - 491) gelang es, die Macht von den Hausmeiern zurückzuerobern. Zeno hatte Leo im Kampf gegen Aspar als Gegengewicht gedient und verband nun das Kaisertum mit der frischen Kraft der Hausmeier. Er spielte die germanischen Führer Theoderich Strabo und Theoderich (den Großen) gegeneinander aus und besiegte seinen isaurischen Konkurrenten Illus. Theoderich Strabo starb 481, Theoderich der Große wurde 488 nach Italien entsandt, um Odoakers Herrschaft zu beenden. Das oströmische Reich war gerettet. Justinian (527 - 565) gelang es sogar, den Herrschaftsbereich für kurze Zeit wieder in den Westen auszudehnen.