www.wirtschaftsverlag.at 02 FEB.12 DIE ÖSTERREICHISCHE FACHZEITSCHRIFT FÜR BAUKULTUR | P.b.b. Verlagspostamt 2340 Mödling Zul. Nr. GZ 02Z030751 W | 2,80 € | # 420 | 20. Februar 2012 Die Topographie des Terrors in Berlin Die Topographie des Terrors,links der Ausstellungsgraben und die Berliner Mauer, dahinter das ehemalige Reichsluftfahrtministerium, heute Finanzministerium. Foto: Sheperd/Termini Normung als Wettbewerbsfaktor?! Normen leisten einen wichtigen Beitrag für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Fraglich wird es, wenn Normen anstatt die Betriebe zu unterstützen sie im Gegenteil belasten. In den letzten 15 Jahren hat sich der Normenbestand vervierfacht. 80 Prozent sind europäischer Herkunft, um durch Harmonisierung den Binnenmarkt zu unterstützen. Der so festgelegte „Stand der Technik“ trifft allerdings alle Unternehmen, nicht nur die exportorientierten. Wenn Gesetze auf deren Folgen hin überprüft werden, warum nicht auch die Normung? Hier bedarf es auch der Wirtschaftskammerorganisation. Nur sie kann einen koordinierten Interessenausgleich innerhalb der Wirtschaft herbeiführen. Auch muss die Normenentwicklung nicht nur von Experten durchgeführt werden, sondern insbesondere die KMU müssen verstärkt an dem Prozess beteiligt werden. Ebenso ist der Normenbezug für die Unternehmer ein Thema. Normen können durch den Gesetzgeber für verbindlich erklärt werden, d.h. sie sind zwingend zu beachten. Auch sind Normen zum Teil Vertragsbestandteil (z.B. öffentliche Auftragsvergabe). Diese Normen sollen den Unternehmern kostenlos zur Verfügung stehen. Wenn Wettbewerb gewünscht ist, so muss man Wettbewerb ermöglichen und die Bürokratie im Alltag abbauen. Kommentar von Abg.z.NR KommR Konrad Steindl ORTE DER ERINNERUNG: Die „Topographie des Terrors“ setzt ein deutliches baulich-gestalterisches Zeichen für den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Mit den Mitteln der Architektur versucht die Stadt Berlin nicht nur ihre Vergangenheit aufzuarbeiten, sondern auch einen Ort der Empathie zu schaffen. von Michelle Shepherd (Denver), Isabel Termini (Wien) D er Himmel ist an diesem Tag wolkenverhangen. Berlin ist grau. Wir nähern uns, von der Friedrichstraße kommend, der „Topographie des Terrors“. Beim Checkpoint Charlie bewegen wir uns dicht gedrängt in der Masse der Touristen. Dann, in der Niederkirchnerstraße lockert sich die Formation. Die Straße öffnet sich zu einer Landschaft aus scharfkantigem Schotter. Auf physisches Gedrängt-Sein folgt seelisches Beklemmt-Sein. ERINNERUNGSLANDSCHAFT Die Topographie des Terrors ist gekennzeichnet durch ein perfektes Zusammenspiel von Landschaft und Architektur. Das Konzept ist von der Geschichte des Ortes ausgegangen und hat das Potential der Landschaft als Erinnerungsspeicher genutzt. Statt einer Inszenierung mit der Andeutung der Grundrisse zerstörter Gebäude, so wie dies beispielsweise die ersten Wettbewerbsentwürfe aus den 1980er Jahren vorsahen, wurde die bewegte Geschichte des Ortes durch Form und Material angedeutet. ÄSTHETISIERTE STADTBRACHE Der Schutt ist semantisches Zeichen und verweist auf viele Die „Topographie der Terrors“ ist eine Leerstelle, eine ästhetisierte Brachfläche Berlins. Dort, wo zwischen 1933 und 1945 Bedeutungen. Er vermag an die „Trümmerzeit“ unmittelbar die Schaltstelle des nationalsozialistischen Terrors war, wo der nach den Bombardierungen Berlins oder an die 1970er Jahre, Völkermord an den europäischen Juden geplant, die Wannsee- als der Ort Schutthalde der Flächensanierung Kreuzbergs war, Konferenz vorbereitet wurde und die organisatorischen Voraus- zu erinnern. Oder man denkt an Gleisschotter und verknüpft setzungen für Deportation und Vernichtung geschaffen wurden, damit die vielen Transportzüge, die die Menschen in die Verbefindet sich das Dokumentationszentrum „Topographie des nichtungslager brachten. Zur Charakterisierung dieses Ortes Terrors“, das im Mai 2010 nach einer langen Baugeschichte und wurde in den Medien auch der Begriff der „Steppe der Erinnerungen“ verwendet. intensiven öffentlichen Debatten eröffnet wurde. Inserat_70x30_ABF_tageslichtlenkung.qxd 30.03.201 Fortsetzung auf Seite 2 Die Form folgt der Funktion. Brandschutzglas von: Xxxx asdfd asdf adfds BAUEN Bericht auf Seite 17 © asdfd asdfd PLANEN Bericht auf Seite 9 © asdfd FORUM 02/2012 W W W. TA G E S L I C H T L E N K U N G . AT asdfds THEMA Bericht auf Seite 25 © asdfd www.vetrotech.at sefra 02 | Titelgeschichte | Kommentare | Impressum Die Topographie des Terrors in Berlin Dass das gestaltete Terrain auch die Geschichte der jüngsten Vergangenheit erzählt, zeigt sich dem Erstbesucher nach einem Vergleich mit Fotografien der ab 1986 durchgeführten archäologischen Grabungen. Als Teil der Landschaft blieb auch der so genannte „Ausstellungsgraben“ erhalten, in dem in den 1980er Jahren eine erste Ausstellung als Provisorium gezeigt wurde. Heute fokussiert die Freiluftausstellung auf die Geschichte des Stadtviertels, während im Ausstellungs- und Dokumentationsgebäude die Struktur des nationalsozialistischen Terrorstaats, seine Mechanismen und vor allem die Täter im Mittelpunkt steht. Das Ausstellungsgebäude und die Landschaft wurden in Kooperation mit Ursula Wilms vom Architekturbüro Heinle, Wischer und Partner, das 1962 in Stuttgart gegründet wurde und heute mit Büropartnern in Berlin, Breslau, Dresden und Köln auf komplexe Großprojekte, vor allem im Hochschul- und Krankenhausbau spezialisiert ist und dem Landschaftsarchitekten Heinz Hallmann entwickelt. ORT DER TÄTER Das ehemalige Prinz-Albrecht-Gelände war von einer ungewöhnlich großen Konzentration von Macht und Terror auf engstem Raum geprägt. Es war der Ort der Planung und Verwaltung des Terrors. Hier war das Zentrum der Schreibtischtäter, die für die Vernichtungsmaschinerie verantwortlich waren. Hier war das Zentrum aller gegen die wirklichen oder vermeintlichen Gegner des NS-Systems gerichteten Aktivitäten. Von hier In der Ausstellung. Fotos: Sheperd/Termini Erdreich verborgen. Aufgrund einer Bürgerinitiative begannen im Sommer 1986 archäologische Grabungsarbeiten, bei denen unter anderem die Zellen des Gestapo-Gefängnisses freigelegt wurden. Eine erste provisorische Ausstellung auf dem Gelände wurde zusammengestellt. „NÜCHTERNER ZWECKBAU“ VERSUS ARCHITEKTONISCHES EXPERIMENT Zu diesem Zeitpunkt begann der Interessenskonflikt. Die Stadt Berlin wollte ein architektonisch avanciertes Zeichen setzen, der Stiftungsrat hingegen sprach von einem „neutralen“ Gebäude, das den Ort nicht überhöhen sollte. Auch Stefanie Endlich, Mitglied des Stiftungsrates und Professorin für Kunst im öffentlichen Raum an der Universität der Künste Berlin betonte, dass das Bauvorhaben lediglich den Ort zum Sprechen bringen solle. Von Anfang an waren die Erwartungshaltungen der Wissenschaft und der Politik unterschiedlich, der Konflikt war gleichsam vorprogrammiert. So war die Topographie der Terrors von Anfang an als ein Dokumentationsort, an dem man über das System und die Täter lernen sollte, konzipiert, der sich von anderen Erinnerungsorten in Berlin unterscheiden sollte. So auch zu dem als Stelenfeld gestalteten Holocaust Denkmal von Peter Eisenman, das 2005 eröffnet wurde, und wo das Gedenken an die jüdischen Opfer des Völkermordes im Fokus steht. Hier geht es also primär darum, mit den Mitteln der Architektur einen Ort der Empathie zu schaffen. Das Ausstellungsgebäude der Topographie des Terrors von Ursula Wilms, rechts der Martin-Gropius-Bau. aus wurde entschieden, dass sowjetische Kriegsgefangene aus den Lagern ausgesondert und ermordet wurden. Hier war die Befehlszentrale für das auch die besetzten Gebiete erfassende System der Höheren SS- und Polizeiführer. Die wichtigsten Gebäude waren die ehemalige Kunstgewerbeschule in der Prinz-Albrecht-Straße 8, Sitz des geheimen Staatspolizeiamtes, des Reichsführers-SS Heinrich Himmler und später auch des Reichssicherheitshauptamtes, das ehemalige Hotel-Prinz-Albrecht in der Prinz-Albrecht-Straße 9 (das „SS-Haus“) und das Prinz-Albrecht-Palais in der Wilhelmstraße 102, in der 1943 der Sicherheitsdienst der SS einzog und in dem Reinhard Heydrich und später Ernst Kaltenbrunner auch als Leiter des Reichssicherheitshauptamtes residierten. Im Keller der ehemaligen Kunstgewerbeschule befand sich das so genannte „Hausgefängnis“ der Gestapo mit 38 Einzelzellen und einer Gemeinschaftszelle, in denen die Angehörigen des Widerstandes eingesperrt, gefoltert und ermordet wurden. Für viele war es ein Durchgangsgefängnis auf das die Deportation in ein Konzentrationslager folgte. Der Ort war berüchtigt für „verschärfte Vernehmungen“ das heißt für brutale Folterungen und „Schutzhaft“. RUINENLANDSCHAFT 1943 begannen die Flächenbombardierungen Berlins. Das Regierungsviertel, an dessen südlichem Rand die Gebäude der Gestapo und SS lagen, wurde im April und Mai 1944 zum Ziel schwerer Luftangriffe und die Gestapo verlagerte einzelne Dienstbereiche in Ausweichquartiere. In den Zellen befanden sich noch bis wenige Tage vor der Kapitulation Berlins am 2. Mai 1945 Gefangene. Bei Kriegsende waren die Gebäude auf dem Gelände größtenteils zerstört. VON DER MITTE BERLINS ZUR PERIPHERIE UND WIEDER ZURÜCK Nach dem Krieg wurde nur das Kunstgewerbemuseum (heute Martin-Gropius-Bau) auf Betreiben von Walter Gropius 1965 unter Denkmalschutz gestellt und rekonstruiert. Alle anderen Ruinen wurden gesprengt. Bereits vor dem Bau der Berliner Mauer 1961 waren sämtliche Grundstücke planiert. Das einstige Regierungsviertel wurde zur Peripherie, der historische Ort verschwand zunehmend aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit. In der Folge wurde ein Teil des Geländes von einer Bauschuttverwertungsfirma genutzt, auf einem weiteren Bereich befand sich die Anlage eines Autodroms. In den 1980er Jahren, als die Postmoderne die Geschichte wiederentdeckte und Unorte zu Erinnerungsorten erklärte, wurde ein erster Wettbewerb ausgeschrieben. Die Wettbewerbsbehörde verkündete, es seien keine baulichen Relikte mehr im Fortsetzung von Seite 1 FLIESSENDE ÜBERGÄNGE Von außen gesehen hat der eingeschossige Ausstellungspavillon etwas Provisorisches. Nur die Stahltreppen und die Wegeführung verbinden ihn mit dem Terrain. Das Gefühl von Dauerhaftigkeit scheint vermieden. Die breite Treppe entlang der Hauptfront bietet den BesucherInnen „easy access“ in die Ausstellung, die bei freiem Eintritt zugänglich ist. Informationsschalter und Garderobe in einladendem Weiß kontrastieren mit den Grautönen des Steinbodens, der roh belassenen Betonwände und der Stahlgitter, die den Pavillon ummanteln. Das Gitter sorgt für ein diffuses Licht im Ausstellungsraum und macht den Pavillon von außen uneinsichtig, lässt aber den Blick von innen nach außen immer zu. Die Orientierung im Gebäude ist einfach. Facilities wie ein kleiner Kaffee-Kiosk und ein Auditorium, als auch die Ausstellung selbst, sind geprägt von einem perfekten Zusammenspiel der Materialien, der Konstruktion und des Designs der Sitzmöbel und Displays. Die Ausstellung folgt einer klaren Struktur. „Flachware“, d.h. Fotografien und Archivmaterialien dominieren. Das Schwarz-Weiß der ausgestellten Dokumente wird Teil der Ausstellungslandschaft in Grauschattierungen, die nur durch die Ausstellungstexte auf orangem Hintergrund kontrastiert wird. Die gesamte Gestaltung ist von Solidität geprägt. So sind auch die Medienstationen einfach zu bedienen und machen den Eindruck von unzerstörbaren Maschinen, die einem großen BesucherInnenandrang stand halten können, der in den nächsten Jahren zu erwarten ist. Besuchsinformation und Garderobe. „ABSTRAKTE GEBÄUDEHÜLLE“ Den zweiten Wettbewerb im Jahre 1993 gewann der Schweizer Architekt und Pritzker-Preisträger Peter Zumthor. Mit der Auslobung seines Entwurfs setzte sich die Politik durch, die sich ein architektonisch signifikantes Zeichen für die neue Hauptstadt Berlin wünschte. Das fast 130 Meter lange Gebäude, das das Gelände überspannt und den Blick auf das Ausgrabungsgelände ermöglicht hätte, war – so Peter Zumthor – als „abstrakte Gebäudehülle“ gedacht, bei der die „Gnade des Überdeckens“ von ungenau gearbeiteten Rohbauelementen nicht gewährt worden wäre. Reduziert und rigoros sollten Baumaterial und Konstruktion als Ausdrucksmittel einer Architektur des Essentiellen eingesetzt werden. Die dichte Abfolge der dünnen Betonstreben hätte das Gebäude von außen als fensterlos erscheinen lassen, gleichzeitig wäre die visuelle Verbindung nach draußen grundsätzlich gewesen, unabhängig vom Standpunkt des Besuchers. Auf einer Innenansicht des Entwurfs sehen die hellen Betonstreben des Stabwerks wie ein leichter textiler Lamellenvorhang aus, so wie er in Büros oft verwendet wird. Eine zeitgemäße und verallgemeinernde bzw. abstrahierende Archiv- oder Bürosituation erscheint dadurch hergestellt und damit die Transformation vom historischen Ort der Schreibtischtäter in das Heute. WETTBEWERB NR.3 Das Fehlen einer gemeinsamen Sprache und das Ansteigen der Baukosten ließen eine weitere Zusammenarbeit unmöglich erscheinen. 2004 wurde Peter Zumthor wegen der explodierenden Kosten aus seinen Verpflichtungen von der Bauherrschaft entlassen. Sieben Jahre nach Baubeginn (1997) wurden die drei bereits gebauten Treppentürme wieder abgerissen und ein neuer Wettbewerb wurde ausgeschrieben, den Ursula Wilms und Heinz Hallmann gewannen. Knapp 25 Millionen Euro sollte das Bauvorhaben kosten. Jedenfalls wäre es wichtig, den Entwurf Peter Zumthors architekturhistorisch und den Disput darum rezeptionsgeschichtlich genauer zu analysieren, auch, um von der polarisierenden Beschreibung wegzukommen, die sich in den Medienberichten rund um die Eröffnung von Ursula Wilms Ausstellungspavillon manifestierte. Ob als „dekorloser Schuppen“, „zuverlässig uncharismatisch“ oder „perfekt, aber ohne Gefühl“ (Berliner Zeitung) beschrieben, die Charakterisierungen stellten den vermeintlichen „nüchternen Zweckbau“ einer „Star-Architektur“ gegenüber, die mit Ausstellungen schwer bespielbar sei und zitierten in diesem Kontext Daniel Libeskinds Jüdisches Museum in Berlin. In diesem polarisierenden Diskurs ging die Darstellung der gestalterischen Qualitäten der von von Ursula Wilms und Heinz Hallmann entworfenen Topographie des Terrors verloren. Abgang in das Untergeschoss. So kann man auf der Website der Topographie des Terrors nachlesen, dass im ersten Jahr nach der Eröffnung bereits 600.000 BesucherInnen gezählt wurden. Damit wird die Topographie des Terrors zur Konkurrenz des Jüdische Museum Berlin, das bereits im zehnten Jahr nach seiner Gründung auf Platz zwei im Berliner Museums-Ranking steht. BERLIN IST ANDERS, ANDERS ALS WIEN Insgesamt zeigt der öffentliche Diskurs um die Topographie des Terrors, dass die Frage, wie man mit dem nationalsozialistischen Erbe im Rahmen von Gedenkorten und Dokumentationszentren umgehen soll, auf hohem Niveau debattiert wird, auch wenn im Falle der Topographie mehr Interdisziplinarität wünschenswert gewesen wäre. Berlin stellt sich seiner nationalsozialistischen Vergangenheit und seinen BesucherInnen werden zahlreiche museale Orte geboten. Im Vergleich dazu steht Wien schlecht da. Welche permanente Ausstellung, abgesehen vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstand, würden Sie einem Besucher empfehlen, der an der nationalsozialistischen Geschichte Wiens interessiert ist? Impressum mit Mitteilungen von Erscheinungsweise: 12 x jährlich, 44. Jahrgang, Herausgeber, Medieninhaber und Verleger: Österreichischer Wirtschaftsverlag GmbH, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 120–124, Tel: (01) 546 64-0, Fax: (01) 546 64-520, Internet: www.wirtschaftsverlag.at, Geschäftsführung: Thomas Zembacher, Verkaufsleitung Verlagsbereich Bau: Franz Michael Seidl, DW 240, E-Mail: [email protected], Chefredakteur: Dipl.-Ing. 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