Saaltexte - Museum Rietberg

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Saaltexte
Park-Villa Rieter
Vortragssaal
Villa
Wesendonck
Café
Smaragd
Haupteingang
Shop
Remise
Atelier
Villa
Schönberg
Smaragd
S
Sammlung | Zugang Schaudepot
Lift Wesendonck
–1
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Treppenhaus Wesendonck
13
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Sonderausstellung 15
Novartis
Saal
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Treppenhaus Smaragd
WC
Lift
Smaragd
WC
Sammlung Smaragd
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9–12
13 – 14
15
16
China
Japan
Kongo
Gabun
Kamerun
17 Westafrika
18 Nigeria
19 – 20 Côte d’Ivoire
21 Mali
1 | China
Keramik des Neolithikums
Meiyintang Collection
Seit Januar 2013 ist die Meiyintang Collection mit
chinesischer Keramik aus dem 5. Jahrtausend v. Chr. bis
in die Song-Zeit (960–1279) als Dauerleihgabe im Museum
Rietberg zu sehen. Über 650 Objekte illustrieren die
Geschichte dieser Kunstform in China.
Schon vor sechstausend Jahren stellten die Töpfer in China
niedrig gebrannte Tonwaren her. Im Laufe der Zeit entwickelten sie immer neue Techniken, Formen und Designs.
Die Töpfer der Yangshao-Kultur (ca. 4800–3000 v. Chr.)
am Mittellauf des Gelben Flusses bauten ihre Gefässe aus
Tonwülsten auf und verzierten sie mit einfachen, eingedrückten Mustern. Für die Keramik der Majiayao-Kultur
(ca. 3800–2000 v. Chr.) am Oberlauf des Gelben Flusses
ist eine Bemalung mit geometrischen Mustern in Schwarz,
Rot und vereinzelt auch Weiss typisch. Zu ihrem reichen
Formenkanon gehören Parallellinien und Spiralmuster,
Rhomben und Schachbrettmuster, sowie Zickzack-Linien
und manchmal auch menschen- oder tierähnliche Motive.
In Ostchina schufen die Töpfer der Dawenkou-Kultur
(ca. 4300–2400 v. Chr.) und der nachfolgenen LongshanKultur (ca. 2400–2000 v. Chr.) völlig neue und spektakuläre Gefässtypen. Der Einsatz einer schnell drehenden
Töpferscheibe erlaubte die Herstellung von extrem dünnwandiger Keramik.
MONGOLE I
CHINA
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Shanghai
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INDIEN
Keramik-Brennöfen
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Beijing
Jingdezhen
Longquan
Jian
Jizhou
Guangzhou
2 | China
Die Kunst der Bronzezeit
Ab dem 16. Jahrhundert v. Chr. löste der Bronzeguss die
Keramik als wichtigste Kunstform ab. Das kostbare
Material diente während der Shang-Zeit (ca. 1500–1045
v. Chr.) ausschliesslich der Herstellung von Ritualgefässen.
In den reich verzierten Gefässen wurden den Ahnen
Speise- und Trankopfer dargebracht. Mit solchen Opfern
wollten die Menschen ihre verstorbenen Vorfahren wohlwollend stimmen. Besonders die Herrscher führten
regelmässig grosse Staatszeremonien durch, um sich der
Gunst der Ahnen zu versichern.
Die meisten Bronzegefässe stammen aus Gräbern. Einige
wurden während mehrerer Generationen bei Opferzeremonien verwendet und schliesslich den Toten mitgegeben,
andere wurden einzig für das Begräbnisritual angefertigt.
Im Laufe der Zeit wurden die Bronzegefässe immer
mehr zu Statussymbolen. Im 11. Jahrhundert v. Chr. verliehen die Herrscher der Zhou-Dynastie die Gefässe
als Belohnung oder Auszeichnung an treue Untertanen
oder setzten sie in der Diplomatie als Geschenke ein.
Die Töpfer dieser Zeit versuchten Form und Erscheinung
der Bronzen in Keramik nachzuahmen. Dabei entwickelten
sie das erste hochgebrannte Steinzeug mit glänzender
Glasur.
3 | China
Der Beginn des Kaiserreichs und die Han-Dynastie
Meiyintang Collection
Im Jahre 221 v. Chr. vereinte der Herrscher des Staates
Qin die zahlreichen Königtümer Chinas und gab sich
erstmals den Titel eines Kaisers. Ausserdem schuf er die
Voraussetzungen, ein grosses Reich zentral zu regieren:
er vereinheitlichte Schrift, Gewichte, Masse und Währungen
und etablierte den chinesischen Beamtenstaat. Die nachfolgende Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) festigte
die Neuerungen und brachte das Reich zur Blüte.
Das Leben der Oberschicht spiegelte sich in den reich
ausgestatteten Gräbern, die die Nachkommen als Wohnort
für die Toten gestalteten. Neben Nahrung und Essgeschirr
stellten sie in den Gräbern kleine Tonmodelle der wichtigsten Einrichtungsgegenstände und Gebäude auf, darunter
Kochherde, Brunnen, Getreidekammern und Stallungen.
Tonfiguren oder Steinreliefs von Dienern sowie Musik-,
Tanz- und Akrobatikvorführungen garantierten den Toten
ein angenehmes Dasein. Furchteinflössende Wächterfiguren schützten die Gräber vor bösen Geistern.
Die eindrucksvollsten Gefässe fertigten die Töpfer der
Han-Zeit ausschliesslich für die Gräber. Ihre silbrig-grüne,
giftige Bleiglasur und die bunte Bemalung mit Fabelwesen,
die sich bei Berührung abnutzte, machten sie unbrauchbar
für den täglichen Gebrauch. Gleichzeitig verweisen sie auf
die magische Welt des Jenseits.
4 | China
Der Buddhismus in China
Im 1. Jahrhundert n. Chr. brachten Händler und Mönche
aus Indien und Zentralasien buddhistisches Gedanken­gut
nach China. Gut vierhundert Jahre später hatte die fremde
Lehre in allen Schichten der Bevölkerung eine breite
Anhängerschaft gefunden.
Die Gläubigen hofften, ihre nächste Wiedergeburt positiv
zu beeinflussen, indem sie Tempel, Klöster und Kunst­
werke, wie z. B. Stelen, stifteten. Wer keine grosse Spende
zu leisten vermochte, schloss sich mit anderen zu einer
Stifter­gemeinschaft zu­­sammen. Die Stelen nennen die
Stifter und Stifterinnen mit Namen, und viele bilden sie
auch figürlich ab.
Im Zentrum der Verehrung steht der Buddha. Auf den
Stelen ist er stets im Mittelpunkt und grösser als alle
anderen Figuren dar­gestellt. Begleitet wird er meist von
zwei Bodhisattvas. Sie gelten als vollendete Wesen,
die den Menschen auf ihrem Heilsweg hilfreich zur Seite
stehen. Während der Buddha ein schmuckloses Mönchsgewand trägt, sind die Bodhisattvas in reich verzierte
Gewänder indischer Prinzen gekleidet. Andere Begleiter
des Buddhas sind zwei seiner Schüler – ein alter und
ein junger Mönch – sowie zwei muskulöse, bedrohlich
wirkende Wächter. Diese sollen die buddhistische Lehre
vor allen schlechten Einflüssen schützen.
5 | China
Prunk und Exotik: die Tang-Dynastie
Meiyintang Collection
China erreichte unter den Herrschern der Tang-Dynastie
(618–907) seine grösste Ausdehnung. Ende des
7. Jahrhunderts zog sich sein Einflussgebiet bis weit nach
Zentralasien hinein. Dadurch florierte die Handelsroute
nach Indien und Vorderasien. Exotische Waren und
Luxusgüter kamen über die Seidenstrassen nach China,
und Menschen aus allen Teilen Asiens siedelten sich
in der Hauptstadt Changan an. Die kosmopolitische
Metropole beherbergte weit über 1 Million Menschen.
Die reiche Oberschicht liebte es, sich mit Fremdem und
Exotischem zu umgeben. Ungewöhnliche Gewürze,
süsser Traubenwein, filigrane Goldarbeiten, aber auch
westliche Mode, fremdländische Musik und Tänze,
Akrobaten und Schausteller waren gefragt.
Diese faszinierende und luxuriöse Welt findet ein Echo
in den Grabbeigaben, beispielsweise kleine Tonfigürchen
von Pferden, Kamelen mit ihren fremdländischen Reitern,
ausländischen Händlern, schönen Frauen und Tänzerinnen. Typisch für die Gestaltung der Figuren sowie der
eleganten Gefässe und Schalen in den Gräbern ist die
Dreifarben-Glasur (sancai). Der faszinierende Effekt
dieser Stücke entsteht, wenn die weissen, grünen, gelblichbraunen und manchmal auch tief blauen Glasuren beim
Brennen ineinander fliessen.
6 | China
Keramik der Song-Zeit
Meiyintang Collection
Mit dem Verbot, die Gräber kostspielig einzurichten, kam
Mitte des 8. Jahrhunderts auch die Produktion von Grabkeramik mit Bleiglasur zum erliegen. Die Brennöfen spezialisierten sich daraufhin auf hochwertige Gebrauchskeramik. Wurden Tonwaren vorher eher als preiswerte Repliken
für die Grabausstattung geschätzt, stiegen sie nun in den
Rang von begehrten Luxusgütern auf. Dies bedeutete einen
entscheidenen Wendepunkt in der Keramikproduktion.
Die Töpfer der Song-Zeit (960–1279) verfeinerten die schon
bekannten Techniken und schufen Objekte von grosser
Eleganz und Perfektion. Ihre schönsten Werke wurden von
Kennern und Sammlern als Kleinodien betrachtet. Noch
heute bestechen sie durch ihre harmonischen Formen, den
schlichten Dekor und den feinfühligen Umgang mit
Glasuren.
Einige Brennöfen entwickelten spezielle Typen und Stile.
Aus dem Norden stammen die grün glasierten Ru- und
Yaozhou-Waren, die blau glasierte Jun-Ware, die weisse
Ding-Ware, die schwarz glasierten Waren aus Henan und die
Cizhou-Ware mit Engobeüberzug und Muster in SgraffiatoTechnik. Im Süden wurde schwarz glasierte Ware in den
Jizhou- und Jian-Öfen produziert, bläulich-weisse (qingbai)
Ware in Jingdezhen und milchig-grün glasierte Ware in
Longquan und den kaiserlichen Öfen (guan) von Hangzhou.
7 | China
Email cloisonné: Glänzende Farbenpracht
Sammlung Alice und Pierre Uldry
Cloisonné ist eine Emailtechnik und heisst übersetzt
Zellen­schmelz. Durch das Auflöten oder Aufkleben von
Drähten auf eine Metallunterlage werden Zellen gebildet,
in die farbige Glaspaste eingefüllt wird. Beim Brennen
der Paste verhindern die Drähte ein In­einanderfliessen der
Farben. Der Vorgang des Füllens und Brennens wird
mehrmals wiederholt. Zum Schluss werden die Oberflächen
ge­schliffen, poliert und die Drähte vergoldet.
Obwohl die Herstellung von Glas und Email in China
bereits vor über dreitausend Jahren bekannt war, kam das
Email cloisonné erst im 15. Jahrhundert in Mode. Diese
spezielle Technik war sowohl in Europa wie auch im Orient
verbreitet und wurde über Handelskontakte mit der arabischen Welt nach China gebracht.
Mitte des 15. Jahrhunderts erlebte das Cloisonné unter
dem fünften Kaiser der Ming-Dynastie einen ersten
Höhepunkt. Das Glanzlicht der hier gezeigten Privatsammlung ist der grosse kaiserliche Deckeltopf mit
Drachendekor. Er gilt zusammen mit seinem Pendant
im British Museum in London als das bedeutendste
Cloisonné-Objekt aus China.
8 | China
Tuschmalerei
Sammlung Charles A. Drenowatz
Das chinesische Kaiserreich wurde über Jahrhunderte
hinweg von einer Beamtenschicht verwaltet, die vom
Konfuzianismus geprägt war. Voraussetzung für die Berufung in ein Amt waren umfassende Kenntnisse in
Literatur, Schriftkunst, Malerei und Musik. So waren die
Beamten nicht nur Verwalter, sondern auch Gelehrte,
versierte Literaten und Künstler.
Aus dieser Schicht von Beamten und Literaten stammen
die grossen Meister der chinesischen Malerei. Das
Interesse dieser Künstler lag nicht in der Nachahmung
der Wirklichkeit. Sie versuchten vielmehr, das Wesen
der Dinge aufzuspüren und sichtbar zu machen. Sie
verwendeten möglichst einfache Malmaterialien: Papier,
schwarze Tusche und wenig Farbe.
Das beliebteste Motiv in der chinesischen Malerei ist die
Landschaft, auf Chinesisch shanshui, «Berge und Wasser».
Aufragende Gipfel, mäandernde Bäche, weite Seen,
Wege und Brücken laden ein zu einem Streifzug durch
die gemalte Natur. Es gilt, sich beim Betrachten in die
Landschaft hinein­zuversetzen und die Szenerie wie beim
Wandern mit den Augen zu durchstreifen.
CHINA
RUSSLAND
Hokkaido
NOR DKOR EA
Honshu
S Ü DKOR EA
J A PA N
Tokio (Edo)
Kyoto
Nara
Shikoku
Ky u s h u
PA Z I F I S C H E R O Z E A N
9 | Japan
Malerei, mit Sorgfalt behandelt
In Japan werden Bilder meist nur für kurze Zeit und bei
besonderer Gelegenheit gezeigt. Einerseits sind sie sehr
licht­empfindlich, andererseits möchte man ihnen mit
Aufmerksamkeit begegnen. Sie sollen kein blosser Wandschmuck sein. Daher wählt man nach Möglichkeit Bilder,
die zur Jahreszeit oder zum Thema eines Anlasses passen.
Von Besuchern und Gästen wird erwartet, dass sie die
Kunstwerke gebührend würdigen.
Ein weiteres Merkmal dieser aufmerksamen Haltung gegen­
über Kunstwerken ist die wandhohe Nische für Bilder
(tokonoma), die seit dem 15. Jahr­hundert zur elementaren
Ausstattung traditioneller japanischer Architektur gehört.
Verschiedene Formate wie Hängerollen und Querrollen
kommen dem Bedürfnis entgegen, Bilder rasch zu wechseln
und Platz sparend aufbewahren zu können. Weil die Bilder
nicht in einen festen Rahmen gespannt sind, lassen sie
sich mühelos zusammenrollen und in einem schmalen Holz­
kasten aufbewahren. Auch Faltschirme, die als Raumteiler
dienen, kann man leicht zusammenschieben oder an einem
anderen Ort aufstellen.
10 | Japan
Farbholzschnitte
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kostete ein Holzschnitt
in Japan etwa gleich viel wie eine Schale Nudelsuppe.
Der damals entwickelte Vielfarbendruck erfüllte als
Massen­produkt eine ähnliche Funktion wie die moderne
Ge­brauchs­­grafik. Dank der Begeisterung westlicher
Kunstliebhaber für die ungewöhnlichen Kompositionen
erlangten einzelne Entwürfe Weltruhm.
Anfänglich warb man mit Drucken für das populäre KabukiTheater oder für einzelne Häuser in den Freudenvierteln.
Dabei vermarktete man gerne die Gesichter von Schauspie­
lern, Kurtisanen und Geishas. Fast alle namhaften Holz­
schnittmeister entwarfen zudem zahlreiche Erotika. Die
berühmten Landschaftsserien der Künstler Hokusai und
Hiroshige wiederum erlaubten imaginäre Reisen in die
schönsten Gegenden Japans.
Surimono sind eine Sondergattung unter den Holz­schnitten:
Diese privat publizierten, luxuriös gedruckten Karten
wurden gerne zu Neujahr verschenkt. Wohl­habende Bürger
beauftragten Poeten und Zeichner, ein Gesamtkunstwerk
aus Gedicht und Bild zu konzipieren. Die meist humoristischen Verse setzen ein breites literarisches Wissen
voraus, und auch die Sujets sind ohne Kenntnis der japani­
schen Kultur­geschichte oft nicht zu entschlüsseln.
11 | Japan
Masken des No-Theaters
Sammlung Nanni und Balthasar Reinhart
Im japanischen No-Theater geht es darum, im tiefsten
Innern verborgene Emotionen sichtbar zu machen.
Das Erleben und Überwinden von seelischen Abgründen
wie Verzweiflung, Eifersucht und obsessive Leidenschaft
sind die zentralen Themen. Die sparsame Gestik, die
langsamen Bewegungen und die eindringliche Musik verstärken den geheimnisvollen Charakter des No-Theaters.
Die Masken sind so raffiniert geschnitzt, dass mit ein
und derselben Maske häufig verschiedene Gefühle
ausgedrückt werden können. Je nach Winkel, in welchem
sich der Schauspieler dem Publikum zu­wendet, kann
das ein feines Lächeln oder leise Trauer sein.
Alte No-Masken werden wie Kultobjekte verehrt. Ihnen
wird eine Art überweltliche Identität zugesprochen,
die durch das Spiel zum Leben erweckt wird. Man unter­
scheidet Menschen-, Geister- und Dämonen-Masken.
Oftmals geht es im Schlussteil einer Auf­führung darum,
einen Geist zu besänftigen, der zu Lebzeiten keine Ruhe
finden konnte.
12 | Japan
Buddhistische Bildwerke
Der Buddhismus gelangte im 6. Jahrhundert über Korea
nach Japan. Gefördert vom Prinzregenten Shotoku
(574 – 622), konnte sich die neue Religion rasch etablieren.
Im ganzen Land entstanden zahlreiche buddhistische
Klöster. Diese wurden mit Figuren aus Bronze, Ton
und Trockenlack ausgestattet, die anfänglich nach chinesischen und koreanischen Vorbildern geschaffen wurden.
Als 794 die Hauptstadt von Nara nach Kyoto verlegt
wurde, fand die japanische Kunst allmählich zu einem
eigenen Ausdruck. Die Werke der Fujiwara-Periode
(987–1185) zeichnen sich aus durch Eleganz, Anmut und
feinste Schnitz­kunst. Die meisten der hier ausgestellten
Holzskulpturen stammen aus dieser Zeit.
Die buddhistische Malerei der Fujiwara-Periode zeugt
eben­falls von hoher ästhetischer Verfeinerung. Eine
japanische Besonderheit ist die Technik des Schnittgolds
( kirikane): Haarfeine Streifen aus Blattgold dienten
zur Wiedergabe von Gewandfalten und geometrischen
Mustern.
13 | Kongo
Luba – Kunst am Hofe der Fürsten
Das Luba-Reich wurde im 16. Jahrhundert im Südosten
der heutigen Republik Kongo gegründet. Das grosse,
zentralisierte, jedoch labile Staatsgebilde dehnte sich am
Oberlauf und im Einzugsgebiet des Kongo-Flusses aus.
Besondere Bedeutung hatten bei den Luba die Würdezeichen für die Fürstenhöfe. Dazu zählen Throne, die mit
Figuren geschmückt sind, Nackenstützen, Botenstäbe
sowie prunkvolle Speere und Äxte. Hinzu kommen kleine
Amulette aus Elfenbein oder Flusspferdzahn, die als
Halsschmuck getragen wurden. Die bis ins kleinste Detail
aus­gearbeiteten Objekte neigen viel weniger zu expres­siven Reduktionen als jene ihrer Nachbarn, den Songye.
Luba-Skulpturen stellen wesentlich häufiger Frauen als
Männer dar. Dies erklärt sich durch die zentrale Stellung
der Frau im System des sakralen Königtums: An dessen
Gründung war sie gemäss mythischen Überlieferungen
entscheidend beteiligt. Verstorbene Könige werden als
Frauen wiedergeboren. Deshalb können weibliche Figuren
auch den König darstellen. Luba-Frauen hatten nicht nur
wichtige politische Rollen als Ratgeberinnen oder
Gesandte am Hofe, sondern verfügten gemäss Volksglauben auch über grosse spirituelle Kräfte.
S U DAN
KAMERUN
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Chokwe
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Pende
Holo
Lega
Songye
Hemba
Luba
14 | Kongo
Skulpturen der Songye
Die Figuren der Songye gehören zum Kult der nkisi, den
von Gott geschaffenen Kräften. Diese haben sowohl
heilende als auch schädliche Wirkung. Eingesetzt werden
sie für Heilung, Wahrsagung und Abwehr von Schadzauber. Kleinere Figuren dienen dem nganga, dem Wahrsager und Medizinmann, zur individuellen Betreuung
von Rat Suchenden.
Um die Wirkung der Nkisi-Figuren zu verstärken, werden
ihnen magische Mittel beigefügt. Über dem Nabel sitzt
ein rundes Loch, in das die Medizin gesteckt wird. Häufig
werden weitere Gegenstände wie Metallreifen, Spiegel,
Tierhäute, Perlenschnüre oder Schlangenhaut an die Figuren
geheftet.
Dem Stil der Songye entsprechend sind die Augen nicht
versenkt, sondern treten stark hervor. Die Nase ist
dreieckig, der Mund prägnant vorstehend oder als liegende
Acht geformt.
15 | Gabun
Kunst der Fang-Region
Die Figuren der Fang-Bildhauer schmückten zylindrische
Holz- oder Rindenbehälter, in denen Knochenteile
der Vorfahren aufbewahrt wurden. Diese «Grabwächter»
rieb man über Generationen hinweg regelmässig mit
Nahrungsmitteln ein – häufig mit Palmbutter. Viele
Figuren haben deshalb auch heute noch eine schwarze,
klebrige Patina. Mit Opfergaben baten die Dorfbewohner
ihre Verstorbenen um Unterstützung aus dem Jenseits.
Mit der Kolonialherrschaft verschwanden diese Totenrituale.
Die Reliquienfiguren (eyema byeri ) gehören zu den
bekanntesten Formschöpfungen der afrikanischen Kunst.
Charakteristisch sind die kurzen, aber muskulösen Beine
mit stark akzentuierten Oberschenkeln und Gesäss, die
aufgesetzte Schulterpartie sowie die ebenfalls kleinen,
vor die Brust gezogenen Arme. In aller Regel bearbeiteten
die Bildhauer die Gliedmassen weniger sorgfältig und
widmeten dafür ihre ganze Aufmerksamkeit den ovalen,
ausdrucks­starken Gesichtern.
16 | Kamerun
Skulpturen und Masken am Fürstenhof
Die Kameruner Königshöfe in den Hochebenen des
Graslandes sind prachtvolle Grossbauten aus Holz und
Lehm mit mächtigen Grasdächern. Heute noch zieren
Mensch- und Tierfiguren die Tragpfeiler und Türfriese im
Palast.
Die Fürsten unterhielten spezialisierte Werkstätten, in
denen die prestige­trächtigen Gebrauchsgegenstände und
Status­objekte gefertigt wurden.
Menschliche Figuren stellen meist königliche Ahnen mit
ihren Statussymbolen dar. Auch verdienstvollen Würden­
trägern am Hofe wurden Porträts gewidmet. Im Grasland
werden diese Figuren oft zu Lebzeiten gefertigt und bei
Begräbnis- und Inthronisationsfeiern präsentiert. Die von
den Männergesellschaften verwendeten Masken wider­
spiegeln die Würde und Grösse der Herrscher, ihrer Frauen
und ihrer Mütter.
17 | Westafrika
Grosse Masken
Im Leben der Baga, einem kleinen Volk an der Küste
der Republik Guinea, spielte der Auftritt der D’mbaMasken eine zentrale Rolle. Noch heute erinnern sich die
Dorfältesten an die tanzende Maske, die weder Gottheit
noch Buschwesen war, sondern das Idealbild einer Frau:
klug und stark, schön und elegant, erfahren und mächtig.
Die hängenden Brüste, in deren Mitte der Tänzer durch
kleine Löcher blicken kann, lassen übrigens erkennen, dass
sie die Mutter vieler Kinder ist.
Die Basonyi-Masken in Burkino Faso traten bei Beschneidungsfesten und Begräbnissen auf. Die grossen, schlangenförmigen Aufsatzmasken können zwei bis drei Meter
hoch sein. Ihr Gewicht lastete auf den Schultern des
Tänzers, den ein Bastüberwurf verdeckte. Seine Begleiter
sorgten mit Hilfe von Seilen dafür, dass die basonyi
während des Auftritts nicht aus dem Lot gerieten.
18 | Nigeria
Afrikanische Künstler
«Ich schnitze, damit die Leute sagen:
‹Wer hat das gemacht?› und so mein Name
über Land geht.»
Tro, Meisterschnitzer der Dan, Liberia, um 1950
Früher war im Westen die Meinung verbreitet, dass die
Schöpfer afrikanischer Skulpturen unbekannt seien.
Deshalb sei deren Werk auch nicht in Kategorien des
westlichen Kunstschaffens messbar. Heute weiss
man mehr: Aus der Region von Südwest-Nigeria sind
viele Yoruba-Bildhauer des frühen 19. Jahrhunderts mit
vollem Namen bekannt. Ihr individuelles Werk wurde
in Preisgesängen gelobt, ihr Ruf lockte viele talentierte
Schüler an, die ihre Werkstätten über Generationen
weiterführten.
Bei den Yoruba-Bildhauern stehen zwei Ziele im Vor­­der­
grund: Einerseits soll in der Skulptur ein Form­bewusstsein
(oju ona) sichtbar werden. Jedes Werk muss in künst­le­
rischer Freiheit und Originalität zum Kunstwerk reifen.
Andererseits wird ein «inneres Auge», eine Schöpfungskraft
(oju inu) erwartet, die einem Werk Rhythmus und Har­mo­
nie verleiht.
Nig er
MALI
Bamana
GUINEA
Bamana
Dogon
B U R K I N A FA S O
Senufo
Dan
C ÔT E D’I VO I R E
Guro
GHANA
Wè
Attie
19 | Côte d’Ivoire
Masken der Guro, Dan und Baule
In den meisten Dörfern der Guro, Dan und Baule kann man
auch heute noch unterschiedliche Maskengestalten tanzen
sehen. Man unterscheidet zwei Kategorien von Masken:
Die eigentlichen kultischen Masken und jene, die der
Unterhaltung dienen und von allen gesehen werden dürfen.
Die kultisch verwendeten Masken sind im Besitz bestimmter Grossfamilien oder Männerbünde. Einige dieser
Masken dürfen von Aussenstehenden nicht gesehen
werden. Sie werden nur hervorgeholt, wenn ein angesehenes Mitglied der Besitzerfamilie gestorben ist oder
wenn ein wichtiger Anlass im Dorf gefeiert wird. Zuvor
werden Frauen und Kinder gewarnt, ihr Gehöft während
der gefährlichen Maskentänze zu verlassen.
Die Maske deangle der Dan ist eine weibliche, Sanftmut
ausstrahlende Maskengestalt. Sie tritt während der
Initiationslager der Knaben in Erscheinung und stellt die
Verbindung zwischen der Männerwelt im Wald und den
Frauen im Dorf her: Während mehrerer Monate leben
die acht- bis zwölfjährigen Knaben abgeschieden von ihren
Familien und werden in die Pflichten der Männerbünde
eingeführt. Die Maskengestalt taucht anmutig tanzend im
Dorf auf und sammelt Nahrungsmittel für die im Buschlager weilenden Jugendlichen.
20 | Côte d’Ivoire
Die Männerbünde bei den Senufo
Bei den Senufo ist ein Geheimbund ( poro) für den wirtschaftlichen Ausgleich und das soziale Zusammenspiel
im Dorf verantwortlich. Er setzt sich aus gleichaltrigen
Männern zusammen, die sich im heiligen Hain versammeln,
abgeschirmt von den Blicken nicht Eingeweihter.
Nur bei Begräbnisritualen oder Totenfeiern tritt der poro
mit eindrücklichen Masken und den so genannten DoogeleFiguren öffentlich in Erscheinung: Die Männer des Bundes
begleiten den in Baumwolltücher gewickelten Leichnam zu
seiner Grabstätte und stampfen mit den Doogele-Figuren
auf den Erdboden. Mit einem streng geregelten Ritual wird
die Ankunft des Bundmitgliedes im «Dorf des Jenseits»
angekündigt. Das Ritual symbolisiert die Loslösung der
Seele des Toten von der Dorfgemeinschaft.
21 | Mali
Die Dogon: Kunst im Dienste des Überlebens
Die Skulpturen der Dogon zeichnen sich durch strenge
Formen und ungewöhnliche Proportionen aus. Zentral im
Leben der Dogon ist die Bitte um Regen und eine ertragreiche Ernte. Eine schlechte Regenzeit kann in dieser
Region zu einer Hungerkatastrophe führen, der viele
Menschen – insbesondere Kinder – zum Opfer fallen. Jede
Grossfamilie besitzt mindestens einen Altar, der häufig
mit kleinen Figuren geschmückt und den Ahnen und
Vorfahren geweiht ist. Die Figuren haben teilweise eine
dicke Patina aus Hirsebrei und Ziegenblut, das von Opferhandlungen stammt.
Die beiden rötlich patinierten Figuren werden ins 13. oder
14. Jahrhundert datiert. Sie zählen zu den ältesten erhaltenen Holzskulpturen aus Afrika. Der gute Zustand
ist auf das trockene und insektenarme Klima am Rande der
Sahel-Zone zurückzuführen sowie auf die Lagerung
in schwer zugänglichen Höhlen des Dogon-Felsenkliffs.
Villa Wesendonck
2
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Café
Lift Wesendonck
(Schaudepot und Smaragd)
Zugang
zum
Smaragd
WC Eingang
Lift Wesendonck
(Schaudepot und Smaragd)
Sammlung Villa Wesendonck
35Schweizer Masken
22 – 23 Indien, Pakistan
36Alaska
24 – 28 Indien
29–31 Himalaya und Tibet 37Mesoamerika
38Westmexiko
32 Südindien
39Peru
33 Südostasien
40 – 41 Ozeanien
34 Indonesien
22 | Indien, Pakistan
Das Leben des Buddhas
Bevor Prinz Siddhartha Gautama die Erleuchtung erlangte, lebte er im Grenzgebiet zwischen dem heutigen
Nepal und Indien. Seine Familie gehörte dem Adelsgeschlecht der Shakya an: Deshalb nennt man ihn auch
Shakyamuni, den Weisen aus dem Geschlecht der Shakya.
Seine Lebenszeit fällt in das 6. bis 5. Jahrhundert v. Chr.
Der junge Prinz wuchs unbeschwert am Hofe seiner Eltern
auf, heiratete und bekam einen Sohn. Doch eines Tages
erkannte er, dass Krankheit und Tod das Schicksal der
Menschen beherrschen. Er beschloss, den Palast
zu verlassen und fortan als Asket ohne Haus und Besitz
zu leben. Im Alter von 35 Jahren erlangte er unter einem
Feigenbaum in Bodhgaya die Erleuchtung. In Sarnath hielt
er seine erste Rede und setzte das «Rad der Lehre» in
Bewegung.
Der Buddha, der Erleuchtete, lehrt, dass alles menschliche Leben leidvoll ist: Geburt, Alter und Tod, das ganze
Leben ist unbeständig. Um diesem Kreislauf des Werdens
und Vergehens zu entkommen, muss der Mensch das
Begehren als den Grund seines Leidens erkennen. Ohne
Begehren hat alles Leiden ein Ende, und er erreicht das
Nirwana, den Zustand des Erlöschens.
A F G H A N I S TA N
CHINA
Gandhara
Indu
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H
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PA K I S TA N
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Rajasthan
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Madhya
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BANGLADESH
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Godava
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Kris
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Gujarat
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Chennai
Chidambaram
Tanjavur
SRI LANKA
23 | Indien, Pakistan
Die Ursprünge buddhistischer Kunst
Die frühesten buddhistischen Kunstwerke entstanden
während der Herrschaft der Maurya-Könige (321 bis
184 v. Chr.) in Nordindien. Diese beschränkten sich auf
Tier­dar­stellungen und Symbole wie das «Rad der Lehre».
Erst im 1. Jahrhundert v. Chr. entstanden in den Bildhauer­werkstätten von Bharhut Reliefs mit Szenen aus
dem Leben des Buddhas.
Zunächst verzichteten die Bildhauer auf Darstellungen
des Buddhas in menschlicher Gestalt. Stattdessen verwiesen ein Feigenbaum, das «Rad der Lehre», ein leerer
Thron oder ein Stupa auf den Erleuchteten. Erst im
2. Jahrhundert n. Chr. führten Bildhauerwerkstätten in ganz
Indien gleichzeitig und wahrscheinlich unabhängig von­
einander figürliche Buddha-Darstellungen ein.
Den Werkstätten von Mathura am Fluss der Yamuna kam
als Exportzentrum buddhistischer, aber auch jainistischer
und hinduistischer Kunst für Nordindien besondere Bedeutung zu. Die Werkstätten von Gandhara, an der Seidenstrasse im heutigen Pakistan und Afghanistan, spielten
bei der Verbreitung des Buddha-Bildes in Zentral­asien
eine herausragende Vermittlerrolle. Die Frisuren und voluminösen Faltengewänder der hier gezeigten Figuren verdeutlichen, dass sich ihre Schöpfer sowohl von griechischrömischen als auch von indischen Vorbildern inspirieren
liessen.
24 | Indien
Tempel: Ritual, Kunst und Erotik
Indische Bildhauerwerkstätten arbeiteten sowohl für
buddhistische wie auch für jainistische und hinduistische
Auftraggeber. Dabei schufen die Künstler ästhetische
Standards, die im Laufe von Jahrhunderten kanonische
Gültigkeit erlangten.
Bei der Herstellung hinduistischer Tempel- und Kultfiguren folgen die Bildhauer noch heute den in den alten
Kunst­lehr­­büchern (Shilpashastras) überlieferten Regeln.
Diese legen nicht nur ikonografische Details wie Attribute,
Handhaltungen, Gesten oder Schmuckwerk der Figuren
fest, sondern geben auch ihre Grösse und Proportionen vor.
Für den westlichen Betrachter ungewöhnlich und reizvoll
mag die Sinnlichkeit sein, die den Figuren innewohnt.
Die Verbindung von Religion, Tanz, Musik, Poesie und
eben auch Erotik ist im Hinduismus kein Widerspruch.
Zu einem hinduistischen Tempel gehören nicht nur Götter­
bilder, sondern auch junge Mädchen und Liebespaare.
Den Shilpashastras zufolge soll ein Kunstwerk nämlich
vor allem Gefühlsregungen (rasa) erzeugen. Die Erotik ist
hierbei als Königin aller rasas von zentraler Bedeutung.
25 | Indien
Ein Gott rettet die Welt
Der hinduistische Gott Vishnu kümmert sich um das Wohl­ergehen der Welt und der Menschen. Wenn immer
Dämonen versuchen, auf der Erde die Herrschaft zu übernehmen, kommt er herab und stellt die Weltordnung
wieder her.
Vishnus bekannteste Herabkunft ist Krishna. Indische
Maler und Bildhauer illustrierten immer wieder Momente
aus dem abenteuerlichen Leben dieses Gottes: Bereits
als Knabe bezwang er Dämonen, vernichtete Tyrannen
und verführte als betörender Kuhhirte Jungfrauen.
26 | Indien
Jainas: Siegreiche Wegbereiter
Die Jainas sind eine der ältesten und kleinsten Religions­­gemeinschaften in Indien. Sie leiten ihren Namen von
Sieger (jina) ab. Jina ist eine Ehrenbezeichnung für einen
Lehrer, der den Sieg der Erleuchtung errang. Die Jainas
kennen und verehren 24 mythische Wegbereiter
(Tirthankaras). Sie glauben, dass die Erlösung aus dem
Kreislauf des Daseins nicht von einem Gott abhängt.
Entscheidend sind die Erkenntnis, der Glauben und das
Verhalten der Menschen.
27 | Südindien
Eine Götterprozession
Südindische Bronzegiesser fertigten die in diesem Raum
gezeigten Figuren während der Regierungszeit der
Chola-Könige zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert. Sie
hatten den Auftrag, kleine, tragbare Kultfiguren für den
Tempelgebrauch zu giessen.
Im Hinduismus ist der Tempel der Wohnsitz der Götter.
Sie sind in den Kultfiguren präsent und lebendig. Die
Tempelpriester müssen die Figuren deshalb täglich
waschen, parfümieren, unterhalten und mit Opfergaben
speisen. An grossen Festen und zu Prozessionen werden
an Stelle der grossen Götterstatuen als «Ersatz»
kleinere Figuren aus den Schreinen herausgetragen und
der Öffentlichkeit präsentiert.
Die hier verwendete Art des Bronzegusses wird als Wachsschmelzverfahren bezeichnet: Zunächst formt der
Bronzegiesser eine Figur aus Wachs und überzieht diese
mit einer Schicht aus Lehm. Dann brennt er den Lehm
im offenen Feuer und schmilzt das Wachs aus. Er
füllt danach das geschmolzene Metall in die Hohlräume
und lässt Form und Figur abkühlen. Am Schluss wird
die Lehmform zerstört: Deshalb wird diese Technik auch
«Guss in der verlorenen Form» genannt.
28 | Indien
Shiva Nataraja: Der göttliche Tänzer
Als König des Tanzes besitzt Shiva unermessliche
Energien, mit denen er Werden, Sein und Vergehen der
gesamten Schöpfung bestimmt. Shiva erschafft die Welt,
lässt sie aber auch wieder vergehen. In seinem Glück
verheissenden kosmischen Tanz ( anandatandava) bringt
er fünf Handlungen zum Ausdruck: Shiva zeigt sich
als Schöpfer, wobei die Schöpfung sich zum Klang der
Trommel vollzieht. Shiva ist der Erhalter des Kosmos,
was er mit seiner erhobenen Hand bezeugt, die Sicherheit
gewährt. Die Flamme auf seiner Linken symbolisiert die
Zerstörung. Unwissenheit bannt Shiva durch seinen Fuss,
der einen Dämon unterwirft. Seine gesenkte vordere
Hand steht für die geistige Befreiung.
Die polaren Gegensätze von Mann und Frau sind durch
die männlichen und weiblichen Ohrformen angedeutet.
Im flatternden Haar fängt Shiva die Flussgöttin Ganga auf,
damit die Erde bei ihrem Aufprall nicht zerschellt. Die
Wellen der Energie, die er ins Weltall entsendet, sind durch
den Flammenkreis angedeutet. Obwohl seine Gestalt
förmlich vibriert, erscheint sein Antlitz in unwandelbarer
Ruhe, erhaben über jedes Zeitgeschehen.
Hymne an Shiva
Wenn man seine fein gezogenen Augenbrauen,
das sanfte Lächeln seiner Lippen und seine wirren Locken
von rötlichem Glanz sieht, wenn man die milchweisse
Asche aus seiner fein verästelten Korallengestalt erblickt,
ja, wenn man nur die Schönheit seines erhobenen Fusses
in goldenem Glanz erschaut, wünschte man sich eine
Wiedergeburt als Mensch auf dieser Erde.
Appar, 7. Jahrhundert
Der Platz, auf dem Leichen brennen,
ist seine bevorzugte Bühne.
Dort tanzt er, den rechten Fuss erhoben,
mit Reifen geschmückt.
Hoch hält er in der Hand das Feuer,
blutrot flammend.
Wie ein Fächer breiten sich
seine verfilzten Locken aus,
im immer schneller werdenden,
schrecklichen Tanz.
Schlangen, glänzend und
mit Linien auf ihrem Körper,
schlängeln sich an seiner Hüfte herab.
Bekleidet mit dem Fell eines furchtbaren Tigers
und der Haut eines Elefanten,
tanzt er wild, sich gehen lassend
in Begleitung von Kobolden.
Sambandhar, 7. Jahrhundert
29 | Tibet, Himalaya
Der Buddhismus in Tibet
Sammlung Berti Aschmann
Die Geschichte des Buddhismus in Tibet beginnt im
7. Jahrhundert. Der Legende nach soll der tibetische König
Srong brtsan sgam po von zwei seiner Gemahlinnen,
einer chinesischen und einer nepalischen Prinzessin, in
den Buddhismus eingewiesen worden sein. In den
folgenden Jahrhunderten luden die Herrscher bedeutende
buddhistische Gelehrte aus Nordindien ein, ihre Religion
in Tibet zu lehren. Diese integrierten die einheimischen
Gottheiten in das buddhistische Pantheon und machten sie
zu Schutz­gottheiten des Buddhismus.
Im Zentrum der Verehrung stehen die Buddhas. Neben
dem historischen Religionsgründer, dem Buddha
Shakyamuni, kennt der Buddhismus eine Vielzahl anderer Erleuchteter. Diese wirken als Lehrer und Vorbilder
in anderen Welten und Zeitaltern. Wie der historische
Buddha werden sie in einem einfachen Mönchsgewand
dargestellt.
Von ganz anderer Natur sind die fünf transzendenten oder
kosmischen Buddhas, die Tathagatas. Sie symbolisieren
verschiedene Aspekte des Absoluten, das nicht darstellbar
ist. Als reine Idee können sie nur mit dem geistigen
Auge gesehen werden. In der Kunst werden sie gekrönt
und reich geschmückt dargestellt.
30 | Tibet, Himalaya
Bodhisattvas und Gottheiten
Sammlung Berti Aschmann
Während die Buddhas die irdische Welt verlassen haben,
wirken die Bodhisattvas als Beschützer und Helfer im
diesseitigen Leben. Als «Erleuchtungswesen» können sie
in mannigfaltiger Gestalt erscheinen. Meist werden sie
im Gewand eines indischen Prinzen und in zeitloser
jugendlicher Schönheit dargestellt. Mehrere Arme symbolisieren ihre Fähigkeit, helfend einzugreifen; mit mehreren
Köpfen nehmen sie alles Leid der Welt wahr. Der tibetische Buddhismus kennt auch einen weiblichen Bodhisattva:
Tara verkörpert allumfassendes Mitgefühl und wirkt als
mildtätige Retterin.
Die zahlreichen Gottheiten des tibetischen Pantheons
stehen in der Hierarchie unter den erleuchteten Buddhas
und Bodhisattvas. Besonders eindrucksvoll sind die
zornigen und Furcht erregenden Dharmapalas. Sie sind
Hüter der buddhistischen Lehre und schützen die
Gläubigen auf ihrem Erkenntnisweg vor allen äusseren
und inneren Hindernissen.
31 | Tibet
Lehrer, Weise und Grosse Meister
Sammlung Berti Aschmann
In der tibetischen buddhistischen Kunst gibt es viele
Darstellungen von berühmten Mönchen: Die meisten dieser
Figuren und Bilder wurden von ihren Schülern in Auftrag
gegeben. Da die persönliche Unterweisung im tibetischen
Buddhismus eine wichtige Rolle spielt, erfahren die Lehrer
eine besondere Verehrung. Viele von ihnen werden als
Reinkarnationen von früheren Lehrern oder Manifestationen von Buddhas oder Bodhisattvas angesehen.
Als Lehrer ausserhalb der klösterlichen Tradition gelten die
Grossen Meister ( Mahasiddhas). Ohne die übliche Laufbahn eines Mönchs zu absolvieren, erlangten sie auf einem
eigenwilligen, oft exzentrischen Weg die Buddhaschaft.
Durch geistige und körperliche Praktiken entwickelten
sie übernatürliche Fähigkeiten. Deshalb sind sie meist als
bizarre Gestalten in ungewöhnlichen Situationen dargestellt.
Als berühmtester und wichtigster Lehrer des tibetischen
Buddhismus gilt Padmasambhava. Der indische Gelehrte
wurde im 8. Jahrhundert vom tibetischen König eingeladen,
die neue Lehre zu verbreiten. Mit seinen Zauberkräften
und seinem machtvollen Geister­dolch bezwang er die ihm
feindlich gesinnten Dämonen und verhalf so dem Buddhismus in Tibet zum Durchbruch.
32 | Südindien
Ein steinernes Götterpantheon aus Tamil Nadu
Der Hinduismus ist eine der ältesten noch heute prakti­zierten Weltreligionen. Er ist mindestens fünftausend Jahre
alt und umfasst un­zählige religiöse Traditionen, Mythen,
Rituale und philosophische Lehren. Es existiert jedoch
weder eine von allen Hindus akzeptierte heilige Schrift
noch eine Institution ähnlich einer Kirche oder ein einheitlicher Gott. Vielmehr wird kein Hindu in der Lage sein,
alle grossen und kleinen, lokalen und regionalen Götter
aufzuzählen.
Der Schöpfergott Brahma, der Erhalter Vishnu und der
Zerstörer Shiva, der elefantenköpfige Gott Ganesha
und die Grosse Göttin sind die bekanntesten Gottheiten.
Sie besitzen viele Arme. Dies verleiht ihnen nicht nur
ungeheure Kraft, sondern auch die Fähigkeit, gleichzeitig
ganz unterschiedliche Handlungen vor­zunehmen. Handgesten und Attribute wie Waffen oder Blumen bringen
sowohl den gewaltsamen als auch wohlwollenden Aspekt
einer Gottheit zum Ausdruck.
Die in diesem Raum versammelten Skulpturen schmückten
einst hinduistische Tempel im heutigen südindischen
Bundesstaat Tamil Nadu. Steinmetze meisselten sie in der
Chola-Periode zwischen 850 und 1100.
M YA N M A R
Pagan
LAOS
Ir ra w ad dy
M
ek
on
g
Dong-du’o’ng
THAILAND
Bangkok
VIETNAM
Angkor
KAMBODSCHA
M A L AY S I A
INDONESIEN
Borobudur
Ja v a
33 | Südostasien
Alte Kulturen in Kambodscha, Vietnam und Java
Mit dem Aufblühen überregionaler Machtzentren entstanden in Südostasien zwischen 500 und 1000 die ersten
grossen Städte und Tempelanlagen. Die kulturellen und
religiösen Impulse kamen vor allem aus Indien und
Sri Lanka. Sowohl der Buddhismus wie auch der Hin­duis­
mus fanden weite Verbreitung.
In den fruchtbaren, wasserreichen Ebenen Kambodschas
etablierte sich im 6. Jahrhundert das Volk der Khmer,
das im 12. und 13. Jahrhundert zur herrschenden Macht in
Südostasien aufstieg. Grosse Tempelanlagen wurden
gebaut, darunter auch Angkor Wat, das grösste sakrale
Bauwerk der Welt.
Im Süden Vietnams errichtete das Volk der Cham im 9. Jahrhundert Tempel und Klöster. Das Museum besitzt eine
kleine, seltene Sammlung von Cham-Skulpturen. Sie
wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts von französischen
Archäologen im Kloster Dong-du’o’ng aus­gegraben.
Auf der Insel Java im heutigen Indonesien erfuhr der
Buddhismus im 8. und 9. Jahrhundert einen Aufschwung.
Der um 800 erbaute Stupa von Borobudur mit seinen
aus Lavagestein gehauenen Figuren und Reliefs ist ein
berühmtes Wahrzeichen dieser längst vergangenen
buddhistischen Kultur.
34 | Indonesien
Die Inselwelt Südostasiens
Die unzähligen Inseln Malaysias und Indonesiens wurden
im Laufe der Geschichte stark von indischen Kulturen
beeinflusst. Der malaiische Dolch (keris) verrät anhand der
Ikonografie seines Griffes die historische, ethnische und
auch regionale Entwicklung: Der Übergang vom hinduistischen zum islamischen Weltbild – und somit die Wandlung
von figürlichen zu filigran abstrahierten Griffformen – lässt
sich an diesen Werken verfolgen. Abseits der grossen
Handelsrouten, etwa auf Borneo und Sumatera, siedelten
SRI LANKA
Seychellen
Komoren
MADAGAS KAR
Mauritius
Reunion
dagegen kleinere ethnische Gruppen, die von Fremdeinflüssen weit gehend unberührt blieben. Hier tritt die
kulturelle Verwandtschaft mit der Südsee deutlich zu Tage:
Ähnlich wie in Neuguinea glauben die Batak auf Sumatera,
dass die Seelen der Toten das Leben der Dorfbewohner
beeinflussen. Heute noch sind Maskentänze bei Totenritualen weit verbreitet, ebenso magisch aufgeladene Stabfiguren, die das Wild in Fallen locken.
Sarawak
M A L AY S I A
Nias
Sumatera
Kalimantan
Mentawei
Enggano
Sulawesi
INDONESIEN
Flores
Java
At aoro
Leti
Bali
Timor
AUSTRALI E N
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Basel
Zürich
M a r ch
Luzern
Flums
Sargans
Bern
Innerschweiz
Rhei
Lötschent al
Rhô
Genf
ne
n
Domat/Ems
35 | Schweiz
Alte Fastnachtsmasken
Die Fastnacht ist das Fest vor der österlichen Fastenzeit:
Man tanzt, musiziert, verkleidet und maskiert sich und
treibt viel Schabernack. Zu den wichtigsten Fastnachtshochburgen der Schweiz gehören das Sarganserland im
Kanton St. Gallen, die Innerschweiz und das Lötschental
im Kanton Wallis. Sie alle besitzen eine eigenständige
Maskentradition.
Im sarganserländischen Flums nennt man die Masken­
figuren Butzi. Oftmals stellen ihre Masken einen ganz
bestimmten Menschen dar, dessen auffällige physiognomische Eigenheiten überzeichnet werden. Die Karikierung
geht aber nie so weit wie in der Innerschweiz; dort gerät
die tief greifende plastische Modellierung der Gesichter zur
verhöhnenden Parodie.
Die Lötschentaler Masken, die Tschäggätä, leben von
ihrer expressiven Formgebung, die das Abnorme, Nichtmenschliche wiedergibt. So stellen die grossflächigen
Schnitzereien Fantasiefiguren dar und keine Porträts bestimmter Personen.
NORDPOLARMEER
USA
KANADA
Alaska
Yu p ’ i k
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gi
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Haida
PA Z I F I S C H E R O Z E A N
Bella Bella
Kw a k i u t l
36 | Alaska
Die Ausrüstung der Tlingit-Schamanen
Die Tlingit-Indianer leben am Pazifik im Südosten Alaskas.
Bis Ende des 19. Jahrhunderts kam den Schamanen in
ihrer Gesellschaft eine besondere Rolle zu. Sie vermittelten zwischen übersinnlichen Mächten und den Menschen.
Traten Ereignisse ein, die von den Menschen selbst nicht
mehr kontrolliert oder bewältigt werden konnten, rief man
die Schamanen. Sie heilten Krankheiten und kontrollierten
das Wetter, sie stellten das alljährliche Einsetzen der
Lachszüge sicher und halfen bei kriegerischen Konflikten.
Jeder Schamane besass seine persönliche Ausrüstung.
Dazu gehörten Amulette, eine Rassel, aber auch Masken,
denen die grösste Bedeutung zukam. Jeder TlingitSchamane besass seinen individuellen Masken­satz. Die
mächtigsten Schamanen verfügten über acht Masken.
Diese konnten das Aussehen von Menschen haben;
oftmals stellten sie aber ein Mischwesen aus Tier und
Mensch dar. Damit verdeutlichten sie die Beziehung
des Schamanen zu einem bestimmten, hilfreichen Tier­
geist.
Ein angehender Schamane erbte das Zubehör eines
älteren Schamanen. Deshalb sind die Objekte in der Regel
sehr alt und weisen Spuren intensiver Verwendung auf.
37 | Mesoamerika
Der mesoamerikanische Kulturraum
In präkolumbischer Zeit besassen die Kulturen Mexikos
und Zentralamerikas viele Gemeinsamkeiten. In der
Forschung wird dieser Kulturraum in Abgrenzung zu Nordund Südamerika als Mesoamerika bezeichnet.
Ein Charakteristikum der alten mesoamerikanischen Kulturen waren riesige Städte, in deren Zentrum sich
monumentale, stufenförmige Tempelpyramiden erhoben,
um­geben von Palästen, Wohnstätten der Adeligen und
Ballspielplätzen. Auf diesen fanden rituelle Ballspiele statt:
Sie galten als Sinnbild für Leben, Tod und Regeneration.
Die Kultur der Maya erlebte zwischen 300 und 900 ihre
Blütezeit und ist in der Sammlung am besten vertreten.
Das Maya-Gebiet war in unzählige, untereinander konkurrierende Stadtstaaten gegliedert. An ihrer Spitze
standen Könige, die ihren Machtanspruch von ihrer göttlichen Herkunft herleiteten.
Sämtliche Ausstellungsobjekte widerspiegeln das höfische
Leben. So schmückten die plastisch modellierten Köpfe
von Gottheiten und vornehmen Mayas die Fassaden
von Tempeln und Palästen. Vor diese Bauwerke platzierte
Steinplatten verherrlichten die Könige und verewigten
bedeutende Ereignisse in ihrem Leben. Die beiden
aufgestellten Maya-Reliefs zeigen Fürsten, die im Auftrag
eines Königs eine Provinz verwalteten. Schriftzeichen,
so genannte Glyphen, halten ihren Namen und Titel fest.
38 | Westmexiko
Vergessene präkolumbische Kulturen
Die Forschung interessierte sich lange Zeit wenig für die
Kulturgeschichte Westmexikos vor der Eroberung durch die
Spanier. Hartnäckig hält sich bis heute das Vorurteil, diese
Region sei kulturell rückständig, ja in gewissem Sinne
sogar barbarisch gewesen. Dank der Forschung der letzten
Jahre zeichnet sich inzwischen jedoch ein völlig anderes
Bild ab: Die Entwicklung Westmexikos erfolgte im Gleich­
schritt mit den anderen Kultur­regionen Mesoamerikas.
Die ausgestellten Objekte stammen nicht nur aus ver­­schie­
denen Regionen Westmexikos, sondern auch aus ganz
unterschiedlichen Zeitepochen: Die in Stein geschnittenen,
abstrahierten menschlichen Gestalten der MezcalaKultur entstanden im 2. Jahrtausend v. Chr. Die Figur des
Kojoten ist hingegen ins 15. oder 16. Jahr­hundert n. Chr.
zu datieren und wurde zur Zeit des taraskischen Reiches
geschaffen.
KARIBISCHES MEER
M E X I KO
Az
M
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Mexiko-Stadt
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B E LI Z E
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ECUAD OR
Amazonas
Moche
B RAS I LI E N
Chavín
PERU
Lima
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Paracas
Nasca
BOLIVI E N
39 | Peru
Das alte Peru
Spricht man vom alten Peru, denkt man zuerst an die Inka.
Im 15. und 16. Jahrhundert beherrschten sie ein Gebiet,
das vom südlichen Kolumbien bis nach Chile reichte.
Um 1532 wurde das Reich vom Spanier Francisco Pizarro
erobert.
Die Inka sind indessen nur das berühmteste Beispiel einer
langen Reihe hoch entwickelter Kulturen, die im Laufe
der Jahrtausende in Peru blühten. Dazu gehören auch die
Chavín-, die Moche-, die Chimú-, die Nasca- und die
Wari-Kulturen.
Die zum Teil mächtigen und ausgedehnten Herrschaftsbe­reiche entstanden sowohl im Hochland der Anden als
auch in den Küstengebieten. In diesen Oasentälern
erbaute man die Gebäude aus Lehmziegeln. Wegen der
jahr­hundertelangen Erosion durch Wind und Wasser
sind sie allerdings kaum mehr erkennbar. Die imposanten
und perfekt gefügten Steinbauten der Inka hingegen
prägen noch immer das Landschaftsbild der Anden. Diese
optische Präsenz, aber auch die ausführliche Bericht­erstattung der Spanier haben zur Folge, dass gerade das
Reich der Inka so tief in unserem Gedächtnis haften bleibt.
40 | Melanesien
Ahnenverehrung
Zu Melanesien werden neben Neuguinea die östlich liegenden Inselgruppen Neu-Kaledonien, Salomonen, Neue
Hebriden und der Bismarck-Archipel gezählt. Kunstwerke
aus verschiedenen Stilprovinzen Neuguineas prägen die
Sammlung. In ihrem Zentrum steht die Kunst der Regionen
des Sepik-Flusses und seiner zahllosen Nebenflüsse:
Einen ersten Schwerpunkt bilden Ahnenfiguren, Gesichtsund Ziermasken, Aufhänge­haken, Schlitztrommeln und
weitere Kultgegenstände. Ein zweiter Punkt betrifft die
künstlerische Nutzung von Flächen: beschnitzte und farbig
gestaltete Kampfschilde, bemalte Fassaden von Zeremo­nial­
häusern sowie mit Ritz- und Kerbtechnik verzierte Gefässe
aus verschiedenen Materialien.
Aus Neuirland stammen einige grossformatige Werke:
Die Uli-Figuren mit ihren gedrungenen Körperformen werden
als Manifestationen von verstorbenen Sippenältesten
angesehen. In den Malanggan-Ritualen wurden neben UliFiguren auch farbige Kultgegenstände eingesetzt, die
nach Abschluss der Feiern rituell verbrannt wurden.
41 | Neuseeland und Marquesas-Inseln
Tiki
Die Maori, die Urbevölkerung von Neuseeland, verzieren
die Tragpfeiler und Wände ihrer Versammlungshäuser
mit reliefartigen Schnitzwerken. Auch die seetüchtigen, bis
zu zwanzig Meter langen Kampfboote sind von Bug bis
Heck mit aufwändigen Schnitzereien geschmückt. Das Boot
verkörperte den Ahnen der Krieger.
Die Figuren mit den flächendeckenden Tatauierungen
stechen besonders hervor. Männer und Frauen waren auf
diese Weise ebenso geschmückt wie die Wesen der Götterund Ahnensphäre, die als tiki oder maniana bezeichnet
werden. Auch auf den Marquesas-Inseln werden die
oft bis zu drei Meter hohen Figuren aus Stein und Holz
tiki genannt. Man stellte sie an Kultstätten auf, die
als Wohnsitz der Ahnen und Geister betrachtet werden.
Schaudepot | Sammlung Zwischengeschoss
Gewöhnlich sind die Depots und Magazine der Museen
für das Publikum nicht zugänglich. Dies gilt nicht für das
Museum Rietberg: Im Schaudepot sind alle dreidimensionalen Sammlungsobjekte – rund viertausend Stück –
nach Regionen und Kulturen geordnet ausgestellt. Die
Sammlungen asiatischer Malerei sowie Textilien und
Teppiche können, da sie lichtempfindlich sind, allerdings
nicht permanent gezeigt werden.
Schaudepot
S
Zwischengeschoss
S
42– 47
Lift Wesendonck
–1
Treppe Wesendonck
Schaudepot | Sammlung Zwischengeschoss
S
42
43 – 45
46 – 47
Schaudepot
Alter Orient
Islamische Welt
Stammeskunst Indiens
SCH WAR Z E S M E E R
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KASPISCHES
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42 | Alter Orient
Bronzen aus Luristan
Sammlung Rudolph Schmidt
Luristan liegt östlich des alten Mesopotamiens, im Gebiet
des heutigen Westiran. In Gräbern entdeckte man verschiedene Geräte, Schmuck, Gefässe, aber auch Figuren
aus Bronze. Die zahlreichen Objekttypen, die verschiedenen Schmuck­formen und Herstellungsprozesse
weisen deutlich darauf hin, dass sie zu unterschiedlichen
Zeiten entstanden sind und nicht von einem einzigen,
uns namentlich bekannten Volk geschaffen wurden. Die
ältesten Bronzen können in das 3. Jahrtausend v. Chr., die
jüngsten in das 7./6. Jahrhundert v. Chr. datiert werden.
Diese späten feingliedrigen Exemplare zeichnen sich aus
durch ihre originelle Gestaltung und die Freude am
spielerischen Umgang mit stark abstrahierten Formen.
Menschliche und tierische Elemente verschmelzen oft­mals
zu fantastischen Mischwesen. Bisweilen sind sie mit
derart vielen schmückenden Details versehen, dass das
Ausgangsmotiv kaum mehr zu erkennen ist.
SCH WAR Z E S M E E R
GEORGIEN
Tiflis
Istanbul
Hereke
Bergama
Ankara
Bursa
Gördes
Kula
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Muçur
Kayseri
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IRAN
Basra
Shiraz
Kerman
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43 | Iran, Irak, Türkei
Die erste keramische Revolution
Die islamische Keramik erlebt ihren ersten Höhepunkt
zur Zeit der Abbasiden (750 –1258). Im 9. Jahrhundert entwickelten die Töpfer in der irakischen Hafenstadt Basra
Techniken, die die keramische Produktion revolutionierten.
Grundlegend war die Erfindung der Zinnglasur, eines
deckend-weissen, wasserundurchlässigen Überzugs, der
aus Zinn- und Bleioxid sowie Sand besteht. Die Zinn­glasur erlaubte es, die viel bewunderten, weissen TangSchälchen zu imitieren, die aus dem fernen Osten
im­portiert und von den islamischen Herrschern gesammelt wurden.
In der Folge experimentierten die Töpfer mit weiteren
Techniken: Aus der Glasproduktion übernahmen sie den
Lüsterdekor. Dabei werden Metalloxide auf die gebrannte
Glasur aufgetragen und in einem zweiten Brand gefes­tigt. Eine andere Technik bestand darin, den Dekor in die
frisch aufgetragene Glasur zu malen. Besonders beliebt
waren hierbei einfache Motive in Kobaltblau, die mit
grünen und braunen Spritzern ergänzt wurden – ähnlich
dem chinesischem Sancai- oder Drei-Farben-Dekor.
44 | Ägypten, Iran, Türkei
Die zweite keramische Revolution
Ägyptische Töpfer erprobten gegen Ende des 11. Jahr­hun­
derts einem neuen Werkstoff: Sie mischten wenig weissen
Töpferton mit Quarz und Glaspulver (der so genannten Fritte)
und erhielten einen glasharten, zuckerweissen Scherben.
Die Qualität der Quarzfrittekeramik reicht nahe an diejenige
von Porzellan heran. Von Ägypten aus gelangte der neue
Stoff in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts über Syrien
nach Persien und verdrängte nach und nach die herkömm­
lichen Tone.
Die neuartigen Eigenschaften führten schnell dazu, dass
iranische Töpfer neue Dekortechniken ausprobierten wie die
Unterglasurbemalung oder die so genannte Mina‘i-Technik.
Hierbei erhält das weiss oder türkisfarben glasierte Gefäss
nach dem ersten Brand einen mehrfarbigen Dekor aus
Emailfarben, der in einem zweiten Brand fixiert wird.
Während die Töpfer im 9. Jahrhundert die Form chinesischer,
porzellanähnlicher Schälchen nachahmten, sind es rund
dreihundert Jahre später häufig Silber- oder Bronzegefässe.
Davon zeugen u.a. die dunkelrot schimmernde Lüsterschale
und der grosse Henkelkrug mit schnabelförmigem Ausguss.
45 | Iran
Persische Lackarbeiten
Lackarbeiten gehörten in Persien traditionell zur Tätigkeit
der Buchbinder. Alle Objekte – seien dies Federschachteln,
Spiegelfutterale oder Manuskripteinbände – bestehen
aus Pappe oder Papiermaché. Der Lack wird in mehreren
Schichten aufgetragen und zwischen den einzelnen
Arbeits­­schritten immer wieder poliert. Obwohl verschiedene
Rezepturen überliefert sind, besteht der persische Lack
grundsätzlich aus einer Mischung von Leinöl und dem Harz
des Sandarakbaumes (Tetraclinis articulata), eines
Zypressengewächses.
Die ältesten Lackobjekte entstanden im späten 15. Jahr­­hun­­
dert in Herat. Dabei handelt es sich um Buchdeckel, die
mit goldenem Rankenwerk auf schwarzem Grund ge­­schmückt
sind. Wenig später erweiterte sich die Farbpalette und nach
1525 taucht der erste figürliche Schmuck auf.
Während die persische Buchmalerei im 18. Jahrhundert
langsam durch grossformatige Ölbilder ersetzt wurde, be­­
wahrten die Lackarbeiten den detailreichen, «miniaturhaften»
Charakter. Neben den Figurenbildern erfreute sich vor
allem die Blumen- sowie die Blumen-und-Vogelmalerei
grosser Beliebtheit. Eine Besonderheit stellen die Arbeiten
von Abu Talib und seinem Umkreis aus der Mitte des
19. Jahrhunderts dar. Typisch ist sein Wellendekor, der an
Guilloche-Muster auf europäischem Schmuck erinnert.
46 | Masken aus Tulunadu, Südindien
Sammlung Heidi und Hans Kaufmann
Die Bronze- und Holzskulpturen aus Tulunadu gehören
zur so genannten indischen «Volkskunst». Dabei handelt es
sich um Kunst der ländlichen hinduistischen KastenBe­völkerung und der einst «Unberührbaren», also Bauern,
Hirten und Handwerker, die nicht direkt am städtischen,
höfischen oder priesterlichen Leben teilhatten. Derartige
Masken und Figuren sind noch heute fester Bestandteil
des religiösen Alltags in der Küstenregion von Tulunadu.
Sie vermitteln einen unmittelbaren Eindruck von der
religiösen Mannigfaltigkeit Indiens.
Die Objekte spielen eine wichtige Rolle bei der rituellen
Verehrung von Bhutas: wohlwollenden Göttern, Geistern und
mythische Helden. In grossen alljährlich stattfindenden
Festen verkörpern professionelle Darsteller diese Wesen.
Dabei tragen sie eine rituelle Kleidung, die gewöhnlich aus
einem prachtvollen Rückenaufbau, aus einer Maske und
einem Brustpanzer besteht. Zudem sind sie reich mit Arm­
reifen und Fussschellen geschmückt. Eine Glocke und
ein Schwert verweisen auf den fürstlichen Stand der verkörperten Gottheiten. Während sich die Darsteller in Trance
befinden, schlüpfen die Bhutas in deren Körper, sprechen
mit den Gläubigen, heilen Kranke und lösen Konflikte.
47 | Die Kunst der Adivasis, der «Ureinwohner» Indiens
Sammlung Heidi und Hans Kaufmann
Sammlung Jean-Pierre und Dorothea Zehnder
Beide Sammlungen zeigen Figuren von mächtigen Göttern,
gefährlichen Geistern und einflussreichen Ahnen, die in
dörflichen Schreinen und Hausaltären verehrt wurden.
Die Figuren stammen aus der mittelindischen Region Bastar
im heutigen Bundesstaat Chhattisgarh. Hier gehören mehr
als 45 % der Bewohner zu den indigenen Völkern (auch
Adivasis, «Ureinwohner», oder «scheduled tribes», «registrierte Stämme», genannt). Die Adivasis machen heute etwa
8 % der indischen Gesamtbevölkerung aus.
Die im Wachsausschmelzverfahren hergestellten Unikate
unterscheiden sich deutlich von der städtischen und
höfischen (so genannten klassischen) Kunst Indiens. Sie
sind nicht nur ästhetisch reizvoll, sondern auch Zeugen einer
Kultur, die im Zuge der Industrialisierung und Moderni­­sie­rung zunehmend verschwindet.
Park-Villa Rieter
Indische Malerei
Sammlung Park-Villa Rieter
Indische Malerei
Eingang
Das Museum Rietberg verfügt mit rund 2000 Bildern über
eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen nordindischer
Malerei. Schwerpunkte bilden Werke aus der Pahari-Region
(das Berggebiet entlang des Himalayas) sowie aus den
verschiedenen Fürstentümern des heutigen Rajasthan. Er­gänzt
wird dieser Bestand durch wichtige Palmblatt­manu­s­kripte
sowie Malerei aus der Sultanats- (1206 –1526) und Mogulzeit
(1526 – 1858).
Die frühesten Zeugnisse der indischen Malerei sind bud­
dhistische Wandbilder aus den Felsentempeln von Ajanta
(2. Jh. v. Chr. – 5. Jh. n. Chr.). Aus dem 10. Jahrhundert
stammen die ältesten illustrierten Palmblattmanuskripte.
Mit der zunehmenden Verbreitung von Papier im 15. Jahr­hun­
dert schufen die Maler umfangreichere Manuskripte für
jainistische Auftraggeber. Gleichzeitig entstanden in den
Sultanaten von Delhi und dem Dekkan bebilderte Hand­
schriften im «persischen» Stil.
Unter dem Mogul-Herrscher Akbar (reg. 1556 –1605) verbanden die Künstler Elemente der traditionellen indischen
und der persisch beeinflussten Malerei zu einem neuen Stil.
Dieser in den kaiserlichen Malereiateliers entstandene
Mogul-Stil inspirierte vom 16. Jahrhundert an auch die Maler
der nordindischen Fürstenhöfe. Von da an präsentiert
sich die indische Malerei bis ins 19. Jahrhundert als faszinierendes Wechselspiel zwischen einheimischen Traditionen
und künstlerischen Neuerungen.
Das Museum zeigt in den drei Räumen im Erdgeschoss
der Park-Villa Rieter zwei bis drei Ausstellungen pro Jahr,
die jeweils separat angekündigt werden und die reichen
Bildbestände sichtbar machen.
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