Saaltexte Park-Villa Rieter Vortragssaal Villa Wesendonck Café Smaragd Haupteingang Shop Remise Atelier Villa Schönberg Smaragd S Sammlung | Zugang Schaudepot Lift Wesendonck –1 6 8 10 12 9 11 Treppenhaus Wesendonck 13 5 Sonderausstellung 15 Novartis Saal 4 3 7 2 1 14 17 16 18 21 19 20 Treppenhaus Smaragd WC Lift Smaragd WC Sammlung Smaragd 1– 8 9–12 13 – 14 15 16 China Japan Kongo Gabun Kamerun 17 Westafrika 18 Nigeria 19 – 20 Côte d’Ivoire 21 Mali 1 | China Keramik des Neolithikums Meiyintang Collection Seit Januar 2013 ist die Meiyintang Collection mit chinesischer Keramik aus dem 5. Jahrtausend v. Chr. bis in die Song-Zeit (960–1279) als Dauerleihgabe im Museum Rietberg zu sehen. Über 650 Objekte illustrieren die Geschichte dieser Kunstform in China. Schon vor sechstausend Jahren stellten die Töpfer in China niedrig gebrannte Tonwaren her. Im Laufe der Zeit entwickelten sie immer neue Techniken, Formen und Designs. Die Töpfer der Yangshao-Kultur (ca. 4800–3000 v. Chr.) am Mittellauf des Gelben Flusses bauten ihre Gefässe aus Tonwülsten auf und verzierten sie mit einfachen, eingedrückten Mustern. Für die Keramik der Majiayao-Kultur (ca. 3800–2000 v. Chr.) am Oberlauf des Gelben Flusses ist eine Bemalung mit geometrischen Mustern in Schwarz, Rot und vereinzelt auch Weiss typisch. Zu ihrem reichen Formenkanon gehören Parallellinien und Spiralmuster, Rhomben und Schachbrettmuster, sowie Zickzack-Linien und manchmal auch menschen- oder tierähnliche Motive. In Ostchina schufen die Töpfer der Dawenkou-Kultur (ca. 4300–2400 v. Chr.) und der nachfolgenen LongshanKultur (ca. 2400–2000 v. Chr.) völlig neue und spektakuläre Gefässtypen. Der Einsatz einer schnell drehenden Töpferscheibe erlaubte die Herstellung von extrem dünnwandiger Keramik. MONGOLE I CHINA Huang He gs M r l a y a n Ya gz Shanghai i Kunming INDIEN Keramik-Brennöfen Jun Ru r ltu a Xi’an r Ku ltu o- i m Cizhou Ku ya Yaozhou o- ia ha aj H Ding & ltu u- Ku ko nen ha aw s D ong L n Ya Beijing Jingdezhen Longquan Jian Jizhou Guangzhou 2 | China Die Kunst der Bronzezeit Ab dem 16. Jahrhundert v. Chr. löste der Bronzeguss die Keramik als wichtigste Kunstform ab. Das kostbare Material diente während der Shang-Zeit (ca. 1500–1045 v. Chr.) ausschliesslich der Herstellung von Ritualgefässen. In den reich verzierten Gefässen wurden den Ahnen Speise- und Trankopfer dargebracht. Mit solchen Opfern wollten die Menschen ihre verstorbenen Vorfahren wohlwollend stimmen. Besonders die Herrscher führten regelmässig grosse Staatszeremonien durch, um sich der Gunst der Ahnen zu versichern. Die meisten Bronzegefässe stammen aus Gräbern. Einige wurden während mehrerer Generationen bei Opferzeremonien verwendet und schliesslich den Toten mitgegeben, andere wurden einzig für das Begräbnisritual angefertigt. Im Laufe der Zeit wurden die Bronzegefässe immer mehr zu Statussymbolen. Im 11. Jahrhundert v. Chr. verliehen die Herrscher der Zhou-Dynastie die Gefässe als Belohnung oder Auszeichnung an treue Untertanen oder setzten sie in der Diplomatie als Geschenke ein. Die Töpfer dieser Zeit versuchten Form und Erscheinung der Bronzen in Keramik nachzuahmen. Dabei entwickelten sie das erste hochgebrannte Steinzeug mit glänzender Glasur. 3 | China Der Beginn des Kaiserreichs und die Han-Dynastie Meiyintang Collection Im Jahre 221 v. Chr. vereinte der Herrscher des Staates Qin die zahlreichen Königtümer Chinas und gab sich erstmals den Titel eines Kaisers. Ausserdem schuf er die Voraussetzungen, ein grosses Reich zentral zu regieren: er vereinheitlichte Schrift, Gewichte, Masse und Währungen und etablierte den chinesischen Beamtenstaat. Die nachfolgende Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) festigte die Neuerungen und brachte das Reich zur Blüte. Das Leben der Oberschicht spiegelte sich in den reich ausgestatteten Gräbern, die die Nachkommen als Wohnort für die Toten gestalteten. Neben Nahrung und Essgeschirr stellten sie in den Gräbern kleine Tonmodelle der wichtigsten Einrichtungsgegenstände und Gebäude auf, darunter Kochherde, Brunnen, Getreidekammern und Stallungen. Tonfiguren oder Steinreliefs von Dienern sowie Musik-, Tanz- und Akrobatikvorführungen garantierten den Toten ein angenehmes Dasein. Furchteinflössende Wächterfiguren schützten die Gräber vor bösen Geistern. Die eindrucksvollsten Gefässe fertigten die Töpfer der Han-Zeit ausschliesslich für die Gräber. Ihre silbrig-grüne, giftige Bleiglasur und die bunte Bemalung mit Fabelwesen, die sich bei Berührung abnutzte, machten sie unbrauchbar für den täglichen Gebrauch. Gleichzeitig verweisen sie auf die magische Welt des Jenseits. 4 | China Der Buddhismus in China Im 1. Jahrhundert n. Chr. brachten Händler und Mönche aus Indien und Zentralasien buddhistisches Gedanken­gut nach China. Gut vierhundert Jahre später hatte die fremde Lehre in allen Schichten der Bevölkerung eine breite Anhängerschaft gefunden. Die Gläubigen hofften, ihre nächste Wiedergeburt positiv zu beeinflussen, indem sie Tempel, Klöster und Kunst­ werke, wie z. B. Stelen, stifteten. Wer keine grosse Spende zu leisten vermochte, schloss sich mit anderen zu einer Stifter­gemeinschaft zu­­sammen. Die Stelen nennen die Stifter und Stifterinnen mit Namen, und viele bilden sie auch figürlich ab. Im Zentrum der Verehrung steht der Buddha. Auf den Stelen ist er stets im Mittelpunkt und grösser als alle anderen Figuren dar­gestellt. Begleitet wird er meist von zwei Bodhisattvas. Sie gelten als vollendete Wesen, die den Menschen auf ihrem Heilsweg hilfreich zur Seite stehen. Während der Buddha ein schmuckloses Mönchsgewand trägt, sind die Bodhisattvas in reich verzierte Gewänder indischer Prinzen gekleidet. Andere Begleiter des Buddhas sind zwei seiner Schüler – ein alter und ein junger Mönch – sowie zwei muskulöse, bedrohlich wirkende Wächter. Diese sollen die buddhistische Lehre vor allen schlechten Einflüssen schützen. 5 | China Prunk und Exotik: die Tang-Dynastie Meiyintang Collection China erreichte unter den Herrschern der Tang-Dynastie (618–907) seine grösste Ausdehnung. Ende des 7. Jahrhunderts zog sich sein Einflussgebiet bis weit nach Zentralasien hinein. Dadurch florierte die Handelsroute nach Indien und Vorderasien. Exotische Waren und Luxusgüter kamen über die Seidenstrassen nach China, und Menschen aus allen Teilen Asiens siedelten sich in der Hauptstadt Changan an. Die kosmopolitische Metropole beherbergte weit über 1 Million Menschen. Die reiche Oberschicht liebte es, sich mit Fremdem und Exotischem zu umgeben. Ungewöhnliche Gewürze, süsser Traubenwein, filigrane Goldarbeiten, aber auch westliche Mode, fremdländische Musik und Tänze, Akrobaten und Schausteller waren gefragt. Diese faszinierende und luxuriöse Welt findet ein Echo in den Grabbeigaben, beispielsweise kleine Tonfigürchen von Pferden, Kamelen mit ihren fremdländischen Reitern, ausländischen Händlern, schönen Frauen und Tänzerinnen. Typisch für die Gestaltung der Figuren sowie der eleganten Gefässe und Schalen in den Gräbern ist die Dreifarben-Glasur (sancai). Der faszinierende Effekt dieser Stücke entsteht, wenn die weissen, grünen, gelblichbraunen und manchmal auch tief blauen Glasuren beim Brennen ineinander fliessen. 6 | China Keramik der Song-Zeit Meiyintang Collection Mit dem Verbot, die Gräber kostspielig einzurichten, kam Mitte des 8. Jahrhunderts auch die Produktion von Grabkeramik mit Bleiglasur zum erliegen. Die Brennöfen spezialisierten sich daraufhin auf hochwertige Gebrauchskeramik. Wurden Tonwaren vorher eher als preiswerte Repliken für die Grabausstattung geschätzt, stiegen sie nun in den Rang von begehrten Luxusgütern auf. Dies bedeutete einen entscheidenen Wendepunkt in der Keramikproduktion. Die Töpfer der Song-Zeit (960–1279) verfeinerten die schon bekannten Techniken und schufen Objekte von grosser Eleganz und Perfektion. Ihre schönsten Werke wurden von Kennern und Sammlern als Kleinodien betrachtet. Noch heute bestechen sie durch ihre harmonischen Formen, den schlichten Dekor und den feinfühligen Umgang mit Glasuren. Einige Brennöfen entwickelten spezielle Typen und Stile. Aus dem Norden stammen die grün glasierten Ru- und Yaozhou-Waren, die blau glasierte Jun-Ware, die weisse Ding-Ware, die schwarz glasierten Waren aus Henan und die Cizhou-Ware mit Engobeüberzug und Muster in SgraffiatoTechnik. Im Süden wurde schwarz glasierte Ware in den Jizhou- und Jian-Öfen produziert, bläulich-weisse (qingbai) Ware in Jingdezhen und milchig-grün glasierte Ware in Longquan und den kaiserlichen Öfen (guan) von Hangzhou. 7 | China Email cloisonné: Glänzende Farbenpracht Sammlung Alice und Pierre Uldry Cloisonné ist eine Emailtechnik und heisst übersetzt Zellen­schmelz. Durch das Auflöten oder Aufkleben von Drähten auf eine Metallunterlage werden Zellen gebildet, in die farbige Glaspaste eingefüllt wird. Beim Brennen der Paste verhindern die Drähte ein In­einanderfliessen der Farben. Der Vorgang des Füllens und Brennens wird mehrmals wiederholt. Zum Schluss werden die Oberflächen ge­schliffen, poliert und die Drähte vergoldet. Obwohl die Herstellung von Glas und Email in China bereits vor über dreitausend Jahren bekannt war, kam das Email cloisonné erst im 15. Jahrhundert in Mode. Diese spezielle Technik war sowohl in Europa wie auch im Orient verbreitet und wurde über Handelskontakte mit der arabischen Welt nach China gebracht. Mitte des 15. Jahrhunderts erlebte das Cloisonné unter dem fünften Kaiser der Ming-Dynastie einen ersten Höhepunkt. Das Glanzlicht der hier gezeigten Privatsammlung ist der grosse kaiserliche Deckeltopf mit Drachendekor. Er gilt zusammen mit seinem Pendant im British Museum in London als das bedeutendste Cloisonné-Objekt aus China. 8 | China Tuschmalerei Sammlung Charles A. Drenowatz Das chinesische Kaiserreich wurde über Jahrhunderte hinweg von einer Beamtenschicht verwaltet, die vom Konfuzianismus geprägt war. Voraussetzung für die Berufung in ein Amt waren umfassende Kenntnisse in Literatur, Schriftkunst, Malerei und Musik. So waren die Beamten nicht nur Verwalter, sondern auch Gelehrte, versierte Literaten und Künstler. Aus dieser Schicht von Beamten und Literaten stammen die grossen Meister der chinesischen Malerei. Das Interesse dieser Künstler lag nicht in der Nachahmung der Wirklichkeit. Sie versuchten vielmehr, das Wesen der Dinge aufzuspüren und sichtbar zu machen. Sie verwendeten möglichst einfache Malmaterialien: Papier, schwarze Tusche und wenig Farbe. Das beliebteste Motiv in der chinesischen Malerei ist die Landschaft, auf Chinesisch shanshui, «Berge und Wasser». Aufragende Gipfel, mäandernde Bäche, weite Seen, Wege und Brücken laden ein zu einem Streifzug durch die gemalte Natur. Es gilt, sich beim Betrachten in die Landschaft hinein­zuversetzen und die Szenerie wie beim Wandern mit den Augen zu durchstreifen. CHINA RUSSLAND Hokkaido NOR DKOR EA Honshu S Ü DKOR EA J A PA N Tokio (Edo) Kyoto Nara Shikoku Ky u s h u PA Z I F I S C H E R O Z E A N 9 | Japan Malerei, mit Sorgfalt behandelt In Japan werden Bilder meist nur für kurze Zeit und bei besonderer Gelegenheit gezeigt. Einerseits sind sie sehr licht­empfindlich, andererseits möchte man ihnen mit Aufmerksamkeit begegnen. Sie sollen kein blosser Wandschmuck sein. Daher wählt man nach Möglichkeit Bilder, die zur Jahreszeit oder zum Thema eines Anlasses passen. Von Besuchern und Gästen wird erwartet, dass sie die Kunstwerke gebührend würdigen. Ein weiteres Merkmal dieser aufmerksamen Haltung gegen­ über Kunstwerken ist die wandhohe Nische für Bilder (tokonoma), die seit dem 15. Jahr­hundert zur elementaren Ausstattung traditioneller japanischer Architektur gehört. Verschiedene Formate wie Hängerollen und Querrollen kommen dem Bedürfnis entgegen, Bilder rasch zu wechseln und Platz sparend aufbewahren zu können. Weil die Bilder nicht in einen festen Rahmen gespannt sind, lassen sie sich mühelos zusammenrollen und in einem schmalen Holz­ kasten aufbewahren. Auch Faltschirme, die als Raumteiler dienen, kann man leicht zusammenschieben oder an einem anderen Ort aufstellen. 10 | Japan Farbholzschnitte Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kostete ein Holzschnitt in Japan etwa gleich viel wie eine Schale Nudelsuppe. Der damals entwickelte Vielfarbendruck erfüllte als Massen­produkt eine ähnliche Funktion wie die moderne Ge­brauchs­­grafik. Dank der Begeisterung westlicher Kunstliebhaber für die ungewöhnlichen Kompositionen erlangten einzelne Entwürfe Weltruhm. Anfänglich warb man mit Drucken für das populäre KabukiTheater oder für einzelne Häuser in den Freudenvierteln. Dabei vermarktete man gerne die Gesichter von Schauspie­ lern, Kurtisanen und Geishas. Fast alle namhaften Holz­ schnittmeister entwarfen zudem zahlreiche Erotika. Die berühmten Landschaftsserien der Künstler Hokusai und Hiroshige wiederum erlaubten imaginäre Reisen in die schönsten Gegenden Japans. Surimono sind eine Sondergattung unter den Holz­schnitten: Diese privat publizierten, luxuriös gedruckten Karten wurden gerne zu Neujahr verschenkt. Wohl­habende Bürger beauftragten Poeten und Zeichner, ein Gesamtkunstwerk aus Gedicht und Bild zu konzipieren. Die meist humoristischen Verse setzen ein breites literarisches Wissen voraus, und auch die Sujets sind ohne Kenntnis der japani­ schen Kultur­geschichte oft nicht zu entschlüsseln. 11 | Japan Masken des No-Theaters Sammlung Nanni und Balthasar Reinhart Im japanischen No-Theater geht es darum, im tiefsten Innern verborgene Emotionen sichtbar zu machen. Das Erleben und Überwinden von seelischen Abgründen wie Verzweiflung, Eifersucht und obsessive Leidenschaft sind die zentralen Themen. Die sparsame Gestik, die langsamen Bewegungen und die eindringliche Musik verstärken den geheimnisvollen Charakter des No-Theaters. Die Masken sind so raffiniert geschnitzt, dass mit ein und derselben Maske häufig verschiedene Gefühle ausgedrückt werden können. Je nach Winkel, in welchem sich der Schauspieler dem Publikum zu­wendet, kann das ein feines Lächeln oder leise Trauer sein. Alte No-Masken werden wie Kultobjekte verehrt. Ihnen wird eine Art überweltliche Identität zugesprochen, die durch das Spiel zum Leben erweckt wird. Man unter­ scheidet Menschen-, Geister- und Dämonen-Masken. Oftmals geht es im Schlussteil einer Auf­führung darum, einen Geist zu besänftigen, der zu Lebzeiten keine Ruhe finden konnte. 12 | Japan Buddhistische Bildwerke Der Buddhismus gelangte im 6. Jahrhundert über Korea nach Japan. Gefördert vom Prinzregenten Shotoku (574 – 622), konnte sich die neue Religion rasch etablieren. Im ganzen Land entstanden zahlreiche buddhistische Klöster. Diese wurden mit Figuren aus Bronze, Ton und Trockenlack ausgestattet, die anfänglich nach chinesischen und koreanischen Vorbildern geschaffen wurden. Als 794 die Hauptstadt von Nara nach Kyoto verlegt wurde, fand die japanische Kunst allmählich zu einem eigenen Ausdruck. Die Werke der Fujiwara-Periode (987–1185) zeichnen sich aus durch Eleganz, Anmut und feinste Schnitz­kunst. Die meisten der hier ausgestellten Holzskulpturen stammen aus dieser Zeit. Die buddhistische Malerei der Fujiwara-Periode zeugt eben­falls von hoher ästhetischer Verfeinerung. Eine japanische Besonderheit ist die Technik des Schnittgolds ( kirikane): Haarfeine Streifen aus Blattgold dienten zur Wiedergabe von Gewandfalten und geometrischen Mustern. 13 | Kongo Luba – Kunst am Hofe der Fürsten Das Luba-Reich wurde im 16. Jahrhundert im Südosten der heutigen Republik Kongo gegründet. Das grosse, zentralisierte, jedoch labile Staatsgebilde dehnte sich am Oberlauf und im Einzugsgebiet des Kongo-Flusses aus. Besondere Bedeutung hatten bei den Luba die Würdezeichen für die Fürstenhöfe. Dazu zählen Throne, die mit Figuren geschmückt sind, Nackenstützen, Botenstäbe sowie prunkvolle Speere und Äxte. Hinzu kommen kleine Amulette aus Elfenbein oder Flusspferdzahn, die als Halsschmuck getragen wurden. Die bis ins kleinste Detail aus­gearbeiteten Objekte neigen viel weniger zu expres­siven Reduktionen als jene ihrer Nachbarn, den Songye. Luba-Skulpturen stellen wesentlich häufiger Frauen als Männer dar. Dies erklärt sich durch die zentrale Stellung der Frau im System des sakralen Königtums: An dessen Gründung war sie gemäss mythischen Überlieferungen entscheidend beteiligt. Verstorbene Könige werden als Frauen wiedergeboren. Deshalb können weibliche Figuren auch den König darstellen. Luba-Frauen hatten nicht nur wichtige politische Rollen als Ratgeberinnen oder Gesandte am Hofe, sondern verfügten gemäss Volksglauben auch über grosse spirituelle Kräfte. S U DAN KAMERUN O Zande KO NG Ko ngo P. DEM. R E P U B LI K KONGO RE GABUN Bwende Yo m b e Mangbetu Hungana Kongo Vili Ya k a Chokwe ANGOLA Kuba Pende Holo Lega Songye Hemba Luba 14 | Kongo Skulpturen der Songye Die Figuren der Songye gehören zum Kult der nkisi, den von Gott geschaffenen Kräften. Diese haben sowohl heilende als auch schädliche Wirkung. Eingesetzt werden sie für Heilung, Wahrsagung und Abwehr von Schadzauber. Kleinere Figuren dienen dem nganga, dem Wahrsager und Medizinmann, zur individuellen Betreuung von Rat Suchenden. Um die Wirkung der Nkisi-Figuren zu verstärken, werden ihnen magische Mittel beigefügt. Über dem Nabel sitzt ein rundes Loch, in das die Medizin gesteckt wird. Häufig werden weitere Gegenstände wie Metallreifen, Spiegel, Tierhäute, Perlenschnüre oder Schlangenhaut an die Figuren geheftet. Dem Stil der Songye entsprechend sind die Augen nicht versenkt, sondern treten stark hervor. Die Nase ist dreieckig, der Mund prägnant vorstehend oder als liegende Acht geformt. 15 | Gabun Kunst der Fang-Region Die Figuren der Fang-Bildhauer schmückten zylindrische Holz- oder Rindenbehälter, in denen Knochenteile der Vorfahren aufbewahrt wurden. Diese «Grabwächter» rieb man über Generationen hinweg regelmässig mit Nahrungsmitteln ein – häufig mit Palmbutter. Viele Figuren haben deshalb auch heute noch eine schwarze, klebrige Patina. Mit Opfergaben baten die Dorfbewohner ihre Verstorbenen um Unterstützung aus dem Jenseits. Mit der Kolonialherrschaft verschwanden diese Totenrituale. Die Reliquienfiguren (eyema byeri ) gehören zu den bekanntesten Formschöpfungen der afrikanischen Kunst. Charakteristisch sind die kurzen, aber muskulösen Beine mit stark akzentuierten Oberschenkeln und Gesäss, die aufgesetzte Schulterpartie sowie die ebenfalls kleinen, vor die Brust gezogenen Arme. In aller Regel bearbeiteten die Bildhauer die Gliedmassen weniger sorgfältig und widmeten dafür ihre ganze Aufmerksamkeit den ovalen, ausdrucks­starken Gesichtern. 16 | Kamerun Skulpturen und Masken am Fürstenhof Die Kameruner Königshöfe in den Hochebenen des Graslandes sind prachtvolle Grossbauten aus Holz und Lehm mit mächtigen Grasdächern. Heute noch zieren Mensch- und Tierfiguren die Tragpfeiler und Türfriese im Palast. Die Fürsten unterhielten spezialisierte Werkstätten, in denen die prestige­trächtigen Gebrauchsgegenstände und Status­objekte gefertigt wurden. Menschliche Figuren stellen meist königliche Ahnen mit ihren Statussymbolen dar. Auch verdienstvollen Würden­ trägern am Hofe wurden Porträts gewidmet. Im Grasland werden diese Figuren oft zu Lebzeiten gefertigt und bei Begräbnis- und Inthronisationsfeiern präsentiert. Die von den Männergesellschaften verwendeten Masken wider­ spiegeln die Würde und Grösse der Herrscher, ihrer Frauen und ihrer Mütter. 17 | Westafrika Grosse Masken Im Leben der Baga, einem kleinen Volk an der Küste der Republik Guinea, spielte der Auftritt der D’mbaMasken eine zentrale Rolle. Noch heute erinnern sich die Dorfältesten an die tanzende Maske, die weder Gottheit noch Buschwesen war, sondern das Idealbild einer Frau: klug und stark, schön und elegant, erfahren und mächtig. Die hängenden Brüste, in deren Mitte der Tänzer durch kleine Löcher blicken kann, lassen übrigens erkennen, dass sie die Mutter vieler Kinder ist. Die Basonyi-Masken in Burkino Faso traten bei Beschneidungsfesten und Begräbnissen auf. Die grossen, schlangenförmigen Aufsatzmasken können zwei bis drei Meter hoch sein. Ihr Gewicht lastete auf den Schultern des Tänzers, den ein Bastüberwurf verdeckte. Seine Begleiter sorgten mit Hilfe von Seilen dafür, dass die basonyi während des Auftritts nicht aus dem Lot gerieten. 18 | Nigeria Afrikanische Künstler «Ich schnitze, damit die Leute sagen: ‹Wer hat das gemacht?› und so mein Name über Land geht.» Tro, Meisterschnitzer der Dan, Liberia, um 1950 Früher war im Westen die Meinung verbreitet, dass die Schöpfer afrikanischer Skulpturen unbekannt seien. Deshalb sei deren Werk auch nicht in Kategorien des westlichen Kunstschaffens messbar. Heute weiss man mehr: Aus der Region von Südwest-Nigeria sind viele Yoruba-Bildhauer des frühen 19. Jahrhunderts mit vollem Namen bekannt. Ihr individuelles Werk wurde in Preisgesängen gelobt, ihr Ruf lockte viele talentierte Schüler an, die ihre Werkstätten über Generationen weiterführten. Bei den Yoruba-Bildhauern stehen zwei Ziele im Vor­­der­ grund: Einerseits soll in der Skulptur ein Form­bewusstsein (oju ona) sichtbar werden. Jedes Werk muss in künst­le­ rischer Freiheit und Originalität zum Kunstwerk reifen. Andererseits wird ein «inneres Auge», eine Schöpfungskraft (oju inu) erwartet, die einem Werk Rhythmus und Har­mo­ nie verleiht. Nig er MALI Bamana GUINEA Bamana Dogon B U R K I N A FA S O Senufo Dan C ÔT E D’I VO I R E Guro GHANA Wè Attie 19 | Côte d’Ivoire Masken der Guro, Dan und Baule In den meisten Dörfern der Guro, Dan und Baule kann man auch heute noch unterschiedliche Maskengestalten tanzen sehen. Man unterscheidet zwei Kategorien von Masken: Die eigentlichen kultischen Masken und jene, die der Unterhaltung dienen und von allen gesehen werden dürfen. Die kultisch verwendeten Masken sind im Besitz bestimmter Grossfamilien oder Männerbünde. Einige dieser Masken dürfen von Aussenstehenden nicht gesehen werden. Sie werden nur hervorgeholt, wenn ein angesehenes Mitglied der Besitzerfamilie gestorben ist oder wenn ein wichtiger Anlass im Dorf gefeiert wird. Zuvor werden Frauen und Kinder gewarnt, ihr Gehöft während der gefährlichen Maskentänze zu verlassen. Die Maske deangle der Dan ist eine weibliche, Sanftmut ausstrahlende Maskengestalt. Sie tritt während der Initiationslager der Knaben in Erscheinung und stellt die Verbindung zwischen der Männerwelt im Wald und den Frauen im Dorf her: Während mehrerer Monate leben die acht- bis zwölfjährigen Knaben abgeschieden von ihren Familien und werden in die Pflichten der Männerbünde eingeführt. Die Maskengestalt taucht anmutig tanzend im Dorf auf und sammelt Nahrungsmittel für die im Buschlager weilenden Jugendlichen. 20 | Côte d’Ivoire Die Männerbünde bei den Senufo Bei den Senufo ist ein Geheimbund ( poro) für den wirtschaftlichen Ausgleich und das soziale Zusammenspiel im Dorf verantwortlich. Er setzt sich aus gleichaltrigen Männern zusammen, die sich im heiligen Hain versammeln, abgeschirmt von den Blicken nicht Eingeweihter. Nur bei Begräbnisritualen oder Totenfeiern tritt der poro mit eindrücklichen Masken und den so genannten DoogeleFiguren öffentlich in Erscheinung: Die Männer des Bundes begleiten den in Baumwolltücher gewickelten Leichnam zu seiner Grabstätte und stampfen mit den Doogele-Figuren auf den Erdboden. Mit einem streng geregelten Ritual wird die Ankunft des Bundmitgliedes im «Dorf des Jenseits» angekündigt. Das Ritual symbolisiert die Loslösung der Seele des Toten von der Dorfgemeinschaft. 21 | Mali Die Dogon: Kunst im Dienste des Überlebens Die Skulpturen der Dogon zeichnen sich durch strenge Formen und ungewöhnliche Proportionen aus. Zentral im Leben der Dogon ist die Bitte um Regen und eine ertragreiche Ernte. Eine schlechte Regenzeit kann in dieser Region zu einer Hungerkatastrophe führen, der viele Menschen – insbesondere Kinder – zum Opfer fallen. Jede Grossfamilie besitzt mindestens einen Altar, der häufig mit kleinen Figuren geschmückt und den Ahnen und Vorfahren geweiht ist. Die Figuren haben teilweise eine dicke Patina aus Hirsebrei und Ziegenblut, das von Opferhandlungen stammt. Die beiden rötlich patinierten Figuren werden ins 13. oder 14. Jahrhundert datiert. Sie zählen zu den ältesten erhaltenen Holzskulpturen aus Afrika. Der gute Zustand ist auf das trockene und insektenarme Klima am Rande der Sahel-Zone zurückzuführen sowie auf die Lagerung in schwer zugänglichen Höhlen des Dogon-Felsenkliffs. Villa Wesendonck 2 1 27 25/26 29 22/23 32 39 37 28 24 38 36 30 35 31 34 33 40 41 Café Lift Wesendonck (Schaudepot und Smaragd) Zugang zum Smaragd WC Eingang Lift Wesendonck (Schaudepot und Smaragd) Sammlung Villa Wesendonck 35Schweizer Masken 22 – 23 Indien, Pakistan 36Alaska 24 – 28 Indien 29–31 Himalaya und Tibet 37Mesoamerika 38Westmexiko 32 Südindien 39Peru 33 Südostasien 40 – 41 Ozeanien 34 Indonesien 22 | Indien, Pakistan Das Leben des Buddhas Bevor Prinz Siddhartha Gautama die Erleuchtung erlangte, lebte er im Grenzgebiet zwischen dem heutigen Nepal und Indien. Seine Familie gehörte dem Adelsgeschlecht der Shakya an: Deshalb nennt man ihn auch Shakyamuni, den Weisen aus dem Geschlecht der Shakya. Seine Lebenszeit fällt in das 6. bis 5. Jahrhundert v. Chr. Der junge Prinz wuchs unbeschwert am Hofe seiner Eltern auf, heiratete und bekam einen Sohn. Doch eines Tages erkannte er, dass Krankheit und Tod das Schicksal der Menschen beherrschen. Er beschloss, den Palast zu verlassen und fortan als Asket ohne Haus und Besitz zu leben. Im Alter von 35 Jahren erlangte er unter einem Feigenbaum in Bodhgaya die Erleuchtung. In Sarnath hielt er seine erste Rede und setzte das «Rad der Lehre» in Bewegung. Der Buddha, der Erleuchtete, lehrt, dass alles menschliche Leben leidvoll ist: Geburt, Alter und Tod, das ganze Leben ist unbeständig. Um diesem Kreislauf des Werdens und Vergehens zu entkommen, muss der Mensch das Begehren als den Grund seines Leidens erkennen. Ohne Begehren hat alles Leiden ein Ende, und er erreicht das Nirwana, den Zustand des Erlöschens. A F G H A N I S TA N CHINA Gandhara Indu s H NE PA K I S TA N Ya m Rajasthan un m PA a l a L y a a Mathura Uttar Pradesh Madhya Pradesh Gang es BANGLADESH Varanasi INDIEN We s t b e n g a l e n N ar m ad a Ma han adi Konarak Godava ri Kris Nad u ery il Cauv Ta m Gujarat i hna Chennai Chidambaram Tanjavur SRI LANKA 23 | Indien, Pakistan Die Ursprünge buddhistischer Kunst Die frühesten buddhistischen Kunstwerke entstanden während der Herrschaft der Maurya-Könige (321 bis 184 v. Chr.) in Nordindien. Diese beschränkten sich auf Tier­dar­stellungen und Symbole wie das «Rad der Lehre». Erst im 1. Jahrhundert v. Chr. entstanden in den Bildhauer­werkstätten von Bharhut Reliefs mit Szenen aus dem Leben des Buddhas. Zunächst verzichteten die Bildhauer auf Darstellungen des Buddhas in menschlicher Gestalt. Stattdessen verwiesen ein Feigenbaum, das «Rad der Lehre», ein leerer Thron oder ein Stupa auf den Erleuchteten. Erst im 2. Jahrhundert n. Chr. führten Bildhauerwerkstätten in ganz Indien gleichzeitig und wahrscheinlich unabhängig von­ einander figürliche Buddha-Darstellungen ein. Den Werkstätten von Mathura am Fluss der Yamuna kam als Exportzentrum buddhistischer, aber auch jainistischer und hinduistischer Kunst für Nordindien besondere Bedeutung zu. Die Werkstätten von Gandhara, an der Seidenstrasse im heutigen Pakistan und Afghanistan, spielten bei der Verbreitung des Buddha-Bildes in Zentral­asien eine herausragende Vermittlerrolle. Die Frisuren und voluminösen Faltengewänder der hier gezeigten Figuren verdeutlichen, dass sich ihre Schöpfer sowohl von griechischrömischen als auch von indischen Vorbildern inspirieren liessen. 24 | Indien Tempel: Ritual, Kunst und Erotik Indische Bildhauerwerkstätten arbeiteten sowohl für buddhistische wie auch für jainistische und hinduistische Auftraggeber. Dabei schufen die Künstler ästhetische Standards, die im Laufe von Jahrhunderten kanonische Gültigkeit erlangten. Bei der Herstellung hinduistischer Tempel- und Kultfiguren folgen die Bildhauer noch heute den in den alten Kunst­lehr­­büchern (Shilpashastras) überlieferten Regeln. Diese legen nicht nur ikonografische Details wie Attribute, Handhaltungen, Gesten oder Schmuckwerk der Figuren fest, sondern geben auch ihre Grösse und Proportionen vor. Für den westlichen Betrachter ungewöhnlich und reizvoll mag die Sinnlichkeit sein, die den Figuren innewohnt. Die Verbindung von Religion, Tanz, Musik, Poesie und eben auch Erotik ist im Hinduismus kein Widerspruch. Zu einem hinduistischen Tempel gehören nicht nur Götter­ bilder, sondern auch junge Mädchen und Liebespaare. Den Shilpashastras zufolge soll ein Kunstwerk nämlich vor allem Gefühlsregungen (rasa) erzeugen. Die Erotik ist hierbei als Königin aller rasas von zentraler Bedeutung. 25 | Indien Ein Gott rettet die Welt Der hinduistische Gott Vishnu kümmert sich um das Wohl­ergehen der Welt und der Menschen. Wenn immer Dämonen versuchen, auf der Erde die Herrschaft zu übernehmen, kommt er herab und stellt die Weltordnung wieder her. Vishnus bekannteste Herabkunft ist Krishna. Indische Maler und Bildhauer illustrierten immer wieder Momente aus dem abenteuerlichen Leben dieses Gottes: Bereits als Knabe bezwang er Dämonen, vernichtete Tyrannen und verführte als betörender Kuhhirte Jungfrauen. 26 | Indien Jainas: Siegreiche Wegbereiter Die Jainas sind eine der ältesten und kleinsten Religions­­gemeinschaften in Indien. Sie leiten ihren Namen von Sieger (jina) ab. Jina ist eine Ehrenbezeichnung für einen Lehrer, der den Sieg der Erleuchtung errang. Die Jainas kennen und verehren 24 mythische Wegbereiter (Tirthankaras). Sie glauben, dass die Erlösung aus dem Kreislauf des Daseins nicht von einem Gott abhängt. Entscheidend sind die Erkenntnis, der Glauben und das Verhalten der Menschen. 27 | Südindien Eine Götterprozession Südindische Bronzegiesser fertigten die in diesem Raum gezeigten Figuren während der Regierungszeit der Chola-Könige zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert. Sie hatten den Auftrag, kleine, tragbare Kultfiguren für den Tempelgebrauch zu giessen. Im Hinduismus ist der Tempel der Wohnsitz der Götter. Sie sind in den Kultfiguren präsent und lebendig. Die Tempelpriester müssen die Figuren deshalb täglich waschen, parfümieren, unterhalten und mit Opfergaben speisen. An grossen Festen und zu Prozessionen werden an Stelle der grossen Götterstatuen als «Ersatz» kleinere Figuren aus den Schreinen herausgetragen und der Öffentlichkeit präsentiert. Die hier verwendete Art des Bronzegusses wird als Wachsschmelzverfahren bezeichnet: Zunächst formt der Bronzegiesser eine Figur aus Wachs und überzieht diese mit einer Schicht aus Lehm. Dann brennt er den Lehm im offenen Feuer und schmilzt das Wachs aus. Er füllt danach das geschmolzene Metall in die Hohlräume und lässt Form und Figur abkühlen. Am Schluss wird die Lehmform zerstört: Deshalb wird diese Technik auch «Guss in der verlorenen Form» genannt. 28 | Indien Shiva Nataraja: Der göttliche Tänzer Als König des Tanzes besitzt Shiva unermessliche Energien, mit denen er Werden, Sein und Vergehen der gesamten Schöpfung bestimmt. Shiva erschafft die Welt, lässt sie aber auch wieder vergehen. In seinem Glück verheissenden kosmischen Tanz ( anandatandava) bringt er fünf Handlungen zum Ausdruck: Shiva zeigt sich als Schöpfer, wobei die Schöpfung sich zum Klang der Trommel vollzieht. Shiva ist der Erhalter des Kosmos, was er mit seiner erhobenen Hand bezeugt, die Sicherheit gewährt. Die Flamme auf seiner Linken symbolisiert die Zerstörung. Unwissenheit bannt Shiva durch seinen Fuss, der einen Dämon unterwirft. Seine gesenkte vordere Hand steht für die geistige Befreiung. Die polaren Gegensätze von Mann und Frau sind durch die männlichen und weiblichen Ohrformen angedeutet. Im flatternden Haar fängt Shiva die Flussgöttin Ganga auf, damit die Erde bei ihrem Aufprall nicht zerschellt. Die Wellen der Energie, die er ins Weltall entsendet, sind durch den Flammenkreis angedeutet. Obwohl seine Gestalt förmlich vibriert, erscheint sein Antlitz in unwandelbarer Ruhe, erhaben über jedes Zeitgeschehen. Hymne an Shiva Wenn man seine fein gezogenen Augenbrauen, das sanfte Lächeln seiner Lippen und seine wirren Locken von rötlichem Glanz sieht, wenn man die milchweisse Asche aus seiner fein verästelten Korallengestalt erblickt, ja, wenn man nur die Schönheit seines erhobenen Fusses in goldenem Glanz erschaut, wünschte man sich eine Wiedergeburt als Mensch auf dieser Erde. Appar, 7. Jahrhundert Der Platz, auf dem Leichen brennen, ist seine bevorzugte Bühne. Dort tanzt er, den rechten Fuss erhoben, mit Reifen geschmückt. Hoch hält er in der Hand das Feuer, blutrot flammend. Wie ein Fächer breiten sich seine verfilzten Locken aus, im immer schneller werdenden, schrecklichen Tanz. Schlangen, glänzend und mit Linien auf ihrem Körper, schlängeln sich an seiner Hüfte herab. Bekleidet mit dem Fell eines furchtbaren Tigers und der Haut eines Elefanten, tanzt er wild, sich gehen lassend in Begleitung von Kobolden. Sambandhar, 7. Jahrhundert 29 | Tibet, Himalaya Der Buddhismus in Tibet Sammlung Berti Aschmann Die Geschichte des Buddhismus in Tibet beginnt im 7. Jahrhundert. Der Legende nach soll der tibetische König Srong brtsan sgam po von zwei seiner Gemahlinnen, einer chinesischen und einer nepalischen Prinzessin, in den Buddhismus eingewiesen worden sein. In den folgenden Jahrhunderten luden die Herrscher bedeutende buddhistische Gelehrte aus Nordindien ein, ihre Religion in Tibet zu lehren. Diese integrierten die einheimischen Gottheiten in das buddhistische Pantheon und machten sie zu Schutz­gottheiten des Buddhismus. Im Zentrum der Verehrung stehen die Buddhas. Neben dem historischen Religionsgründer, dem Buddha Shakyamuni, kennt der Buddhismus eine Vielzahl anderer Erleuchteter. Diese wirken als Lehrer und Vorbilder in anderen Welten und Zeitaltern. Wie der historische Buddha werden sie in einem einfachen Mönchsgewand dargestellt. Von ganz anderer Natur sind die fünf transzendenten oder kosmischen Buddhas, die Tathagatas. Sie symbolisieren verschiedene Aspekte des Absoluten, das nicht darstellbar ist. Als reine Idee können sie nur mit dem geistigen Auge gesehen werden. In der Kunst werden sie gekrönt und reich geschmückt dargestellt. 30 | Tibet, Himalaya Bodhisattvas und Gottheiten Sammlung Berti Aschmann Während die Buddhas die irdische Welt verlassen haben, wirken die Bodhisattvas als Beschützer und Helfer im diesseitigen Leben. Als «Erleuchtungswesen» können sie in mannigfaltiger Gestalt erscheinen. Meist werden sie im Gewand eines indischen Prinzen und in zeitloser jugendlicher Schönheit dargestellt. Mehrere Arme symbolisieren ihre Fähigkeit, helfend einzugreifen; mit mehreren Köpfen nehmen sie alles Leid der Welt wahr. Der tibetische Buddhismus kennt auch einen weiblichen Bodhisattva: Tara verkörpert allumfassendes Mitgefühl und wirkt als mildtätige Retterin. Die zahlreichen Gottheiten des tibetischen Pantheons stehen in der Hierarchie unter den erleuchteten Buddhas und Bodhisattvas. Besonders eindrucksvoll sind die zornigen und Furcht erregenden Dharmapalas. Sie sind Hüter der buddhistischen Lehre und schützen die Gläubigen auf ihrem Erkenntnisweg vor allen äusseren und inneren Hindernissen. 31 | Tibet Lehrer, Weise und Grosse Meister Sammlung Berti Aschmann In der tibetischen buddhistischen Kunst gibt es viele Darstellungen von berühmten Mönchen: Die meisten dieser Figuren und Bilder wurden von ihren Schülern in Auftrag gegeben. Da die persönliche Unterweisung im tibetischen Buddhismus eine wichtige Rolle spielt, erfahren die Lehrer eine besondere Verehrung. Viele von ihnen werden als Reinkarnationen von früheren Lehrern oder Manifestationen von Buddhas oder Bodhisattvas angesehen. Als Lehrer ausserhalb der klösterlichen Tradition gelten die Grossen Meister ( Mahasiddhas). Ohne die übliche Laufbahn eines Mönchs zu absolvieren, erlangten sie auf einem eigenwilligen, oft exzentrischen Weg die Buddhaschaft. Durch geistige und körperliche Praktiken entwickelten sie übernatürliche Fähigkeiten. Deshalb sind sie meist als bizarre Gestalten in ungewöhnlichen Situationen dargestellt. Als berühmtester und wichtigster Lehrer des tibetischen Buddhismus gilt Padmasambhava. Der indische Gelehrte wurde im 8. Jahrhundert vom tibetischen König eingeladen, die neue Lehre zu verbreiten. Mit seinen Zauberkräften und seinem machtvollen Geister­dolch bezwang er die ihm feindlich gesinnten Dämonen und verhalf so dem Buddhismus in Tibet zum Durchbruch. 32 | Südindien Ein steinernes Götterpantheon aus Tamil Nadu Der Hinduismus ist eine der ältesten noch heute prakti­zierten Weltreligionen. Er ist mindestens fünftausend Jahre alt und umfasst un­zählige religiöse Traditionen, Mythen, Rituale und philosophische Lehren. Es existiert jedoch weder eine von allen Hindus akzeptierte heilige Schrift noch eine Institution ähnlich einer Kirche oder ein einheitlicher Gott. Vielmehr wird kein Hindu in der Lage sein, alle grossen und kleinen, lokalen und regionalen Götter aufzuzählen. Der Schöpfergott Brahma, der Erhalter Vishnu und der Zerstörer Shiva, der elefantenköpfige Gott Ganesha und die Grosse Göttin sind die bekanntesten Gottheiten. Sie besitzen viele Arme. Dies verleiht ihnen nicht nur ungeheure Kraft, sondern auch die Fähigkeit, gleichzeitig ganz unterschiedliche Handlungen vor­zunehmen. Handgesten und Attribute wie Waffen oder Blumen bringen sowohl den gewaltsamen als auch wohlwollenden Aspekt einer Gottheit zum Ausdruck. Die in diesem Raum versammelten Skulpturen schmückten einst hinduistische Tempel im heutigen südindischen Bundesstaat Tamil Nadu. Steinmetze meisselten sie in der Chola-Periode zwischen 850 und 1100. M YA N M A R Pagan LAOS Ir ra w ad dy M ek on g Dong-du’o’ng THAILAND Bangkok VIETNAM Angkor KAMBODSCHA M A L AY S I A INDONESIEN Borobudur Ja v a 33 | Südostasien Alte Kulturen in Kambodscha, Vietnam und Java Mit dem Aufblühen überregionaler Machtzentren entstanden in Südostasien zwischen 500 und 1000 die ersten grossen Städte und Tempelanlagen. Die kulturellen und religiösen Impulse kamen vor allem aus Indien und Sri Lanka. Sowohl der Buddhismus wie auch der Hin­duis­ mus fanden weite Verbreitung. In den fruchtbaren, wasserreichen Ebenen Kambodschas etablierte sich im 6. Jahrhundert das Volk der Khmer, das im 12. und 13. Jahrhundert zur herrschenden Macht in Südostasien aufstieg. Grosse Tempelanlagen wurden gebaut, darunter auch Angkor Wat, das grösste sakrale Bauwerk der Welt. Im Süden Vietnams errichtete das Volk der Cham im 9. Jahrhundert Tempel und Klöster. Das Museum besitzt eine kleine, seltene Sammlung von Cham-Skulpturen. Sie wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts von französischen Archäologen im Kloster Dong-du’o’ng aus­gegraben. Auf der Insel Java im heutigen Indonesien erfuhr der Buddhismus im 8. und 9. Jahrhundert einen Aufschwung. Der um 800 erbaute Stupa von Borobudur mit seinen aus Lavagestein gehauenen Figuren und Reliefs ist ein berühmtes Wahrzeichen dieser längst vergangenen buddhistischen Kultur. 34 | Indonesien Die Inselwelt Südostasiens Die unzähligen Inseln Malaysias und Indonesiens wurden im Laufe der Geschichte stark von indischen Kulturen beeinflusst. Der malaiische Dolch (keris) verrät anhand der Ikonografie seines Griffes die historische, ethnische und auch regionale Entwicklung: Der Übergang vom hinduistischen zum islamischen Weltbild – und somit die Wandlung von figürlichen zu filigran abstrahierten Griffformen – lässt sich an diesen Werken verfolgen. Abseits der grossen Handelsrouten, etwa auf Borneo und Sumatera, siedelten SRI LANKA Seychellen Komoren MADAGAS KAR Mauritius Reunion dagegen kleinere ethnische Gruppen, die von Fremdeinflüssen weit gehend unberührt blieben. Hier tritt die kulturelle Verwandtschaft mit der Südsee deutlich zu Tage: Ähnlich wie in Neuguinea glauben die Batak auf Sumatera, dass die Seelen der Toten das Leben der Dorfbewohner beeinflussen. Heute noch sind Maskentänze bei Totenritualen weit verbreitet, ebenso magisch aufgeladene Stabfiguren, die das Wild in Fallen locken. Sarawak M A L AY S I A Nias Sumatera Kalimantan Mentawei Enggano Sulawesi INDONESIEN Flores Java At aoro Leti Bali Timor AUSTRALI E N Rhe in Basel Zürich M a r ch Luzern Flums Sargans Bern Innerschweiz Rhei Lötschent al Rhô Genf ne n Domat/Ems 35 | Schweiz Alte Fastnachtsmasken Die Fastnacht ist das Fest vor der österlichen Fastenzeit: Man tanzt, musiziert, verkleidet und maskiert sich und treibt viel Schabernack. Zu den wichtigsten Fastnachtshochburgen der Schweiz gehören das Sarganserland im Kanton St. Gallen, die Innerschweiz und das Lötschental im Kanton Wallis. Sie alle besitzen eine eigenständige Maskentradition. Im sarganserländischen Flums nennt man die Masken­ figuren Butzi. Oftmals stellen ihre Masken einen ganz bestimmten Menschen dar, dessen auffällige physiognomische Eigenheiten überzeichnet werden. Die Karikierung geht aber nie so weit wie in der Innerschweiz; dort gerät die tief greifende plastische Modellierung der Gesichter zur verhöhnenden Parodie. Die Lötschentaler Masken, die Tschäggätä, leben von ihrer expressiven Formgebung, die das Abnorme, Nichtmenschliche wiedergibt. So stellen die grossflächigen Schnitzereien Fantasiefiguren dar und keine Porträts bestimmter Personen. NORDPOLARMEER USA KANADA Alaska Yu p ’ i k Tl in gi t Haida PA Z I F I S C H E R O Z E A N Bella Bella Kw a k i u t l 36 | Alaska Die Ausrüstung der Tlingit-Schamanen Die Tlingit-Indianer leben am Pazifik im Südosten Alaskas. Bis Ende des 19. Jahrhunderts kam den Schamanen in ihrer Gesellschaft eine besondere Rolle zu. Sie vermittelten zwischen übersinnlichen Mächten und den Menschen. Traten Ereignisse ein, die von den Menschen selbst nicht mehr kontrolliert oder bewältigt werden konnten, rief man die Schamanen. Sie heilten Krankheiten und kontrollierten das Wetter, sie stellten das alljährliche Einsetzen der Lachszüge sicher und halfen bei kriegerischen Konflikten. Jeder Schamane besass seine persönliche Ausrüstung. Dazu gehörten Amulette, eine Rassel, aber auch Masken, denen die grösste Bedeutung zukam. Jeder TlingitSchamane besass seinen individuellen Masken­satz. Die mächtigsten Schamanen verfügten über acht Masken. Diese konnten das Aussehen von Menschen haben; oftmals stellten sie aber ein Mischwesen aus Tier und Mensch dar. Damit verdeutlichten sie die Beziehung des Schamanen zu einem bestimmten, hilfreichen Tier­ geist. Ein angehender Schamane erbte das Zubehör eines älteren Schamanen. Deshalb sind die Objekte in der Regel sehr alt und weisen Spuren intensiver Verwendung auf. 37 | Mesoamerika Der mesoamerikanische Kulturraum In präkolumbischer Zeit besassen die Kulturen Mexikos und Zentralamerikas viele Gemeinsamkeiten. In der Forschung wird dieser Kulturraum in Abgrenzung zu Nordund Südamerika als Mesoamerika bezeichnet. Ein Charakteristikum der alten mesoamerikanischen Kulturen waren riesige Städte, in deren Zentrum sich monumentale, stufenförmige Tempelpyramiden erhoben, um­geben von Palästen, Wohnstätten der Adeligen und Ballspielplätzen. Auf diesen fanden rituelle Ballspiele statt: Sie galten als Sinnbild für Leben, Tod und Regeneration. Die Kultur der Maya erlebte zwischen 300 und 900 ihre Blütezeit und ist in der Sammlung am besten vertreten. Das Maya-Gebiet war in unzählige, untereinander konkurrierende Stadtstaaten gegliedert. An ihrer Spitze standen Könige, die ihren Machtanspruch von ihrer göttlichen Herkunft herleiteten. Sämtliche Ausstellungsobjekte widerspiegeln das höfische Leben. So schmückten die plastisch modellierten Köpfe von Gottheiten und vornehmen Mayas die Fassaden von Tempeln und Palästen. Vor diese Bauwerke platzierte Steinplatten verherrlichten die Könige und verewigten bedeutende Ereignisse in ihrem Leben. Die beiden aufgestellten Maya-Reliefs zeigen Fürsten, die im Auftrag eines Königs eine Provinz verwalteten. Schriftzeichen, so genannte Glyphen, halten ihren Namen und Titel fest. 38 | Westmexiko Vergessene präkolumbische Kulturen Die Forschung interessierte sich lange Zeit wenig für die Kulturgeschichte Westmexikos vor der Eroberung durch die Spanier. Hartnäckig hält sich bis heute das Vorurteil, diese Region sei kulturell rückständig, ja in gewissem Sinne sogar barbarisch gewesen. Dank der Forschung der letzten Jahre zeichnet sich inzwischen jedoch ein völlig anderes Bild ab: Die Entwicklung Westmexikos erfolgte im Gleich­ schritt mit den anderen Kultur­regionen Mesoamerikas. Die ausgestellten Objekte stammen nicht nur aus ver­­schie­ denen Regionen Westmexikos, sondern auch aus ganz unterschiedlichen Zeitepochen: Die in Stein geschnittenen, abstrahierten menschlichen Gestalten der MezcalaKultur entstanden im 2. Jahrtausend v. Chr. Die Figur des Kojoten ist hingegen ins 15. oder 16. Jahr­hundert n. Chr. zu datieren und wurde zur Zeit des taraskischen Reiches geschaffen. KARIBISCHES MEER M E X I KO Az M ay a Mexiko-Stadt te ke n B E LI Z E HON DU RAS G UAT E M A L A E L S A LVA D O R PA Z I F I S C H E R O Z E A N N I CA R AG U A C O S TA R I CA PA N A M A KOLU M B I E N ECUAD OR Amazonas Moche B RAS I LI E N Chavín PERU Lima Wa r i Paracas Nasca BOLIVI E N 39 | Peru Das alte Peru Spricht man vom alten Peru, denkt man zuerst an die Inka. Im 15. und 16. Jahrhundert beherrschten sie ein Gebiet, das vom südlichen Kolumbien bis nach Chile reichte. Um 1532 wurde das Reich vom Spanier Francisco Pizarro erobert. Die Inka sind indessen nur das berühmteste Beispiel einer langen Reihe hoch entwickelter Kulturen, die im Laufe der Jahrtausende in Peru blühten. Dazu gehören auch die Chavín-, die Moche-, die Chimú-, die Nasca- und die Wari-Kulturen. Die zum Teil mächtigen und ausgedehnten Herrschaftsbe­reiche entstanden sowohl im Hochland der Anden als auch in den Küstengebieten. In diesen Oasentälern erbaute man die Gebäude aus Lehmziegeln. Wegen der jahr­hundertelangen Erosion durch Wind und Wasser sind sie allerdings kaum mehr erkennbar. Die imposanten und perfekt gefügten Steinbauten der Inka hingegen prägen noch immer das Landschaftsbild der Anden. Diese optische Präsenz, aber auch die ausführliche Bericht­erstattung der Spanier haben zur Folge, dass gerade das Reich der Inka so tief in unserem Gedächtnis haften bleibt. 40 | Melanesien Ahnenverehrung Zu Melanesien werden neben Neuguinea die östlich liegenden Inselgruppen Neu-Kaledonien, Salomonen, Neue Hebriden und der Bismarck-Archipel gezählt. Kunstwerke aus verschiedenen Stilprovinzen Neuguineas prägen die Sammlung. In ihrem Zentrum steht die Kunst der Regionen des Sepik-Flusses und seiner zahllosen Nebenflüsse: Einen ersten Schwerpunkt bilden Ahnenfiguren, Gesichtsund Ziermasken, Aufhänge­haken, Schlitztrommeln und weitere Kultgegenstände. Ein zweiter Punkt betrifft die künstlerische Nutzung von Flächen: beschnitzte und farbig gestaltete Kampfschilde, bemalte Fassaden von Zeremo­nial­ häusern sowie mit Ritz- und Kerbtechnik verzierte Gefässe aus verschiedenen Materialien. Aus Neuirland stammen einige grossformatige Werke: Die Uli-Figuren mit ihren gedrungenen Körperformen werden als Manifestationen von verstorbenen Sippenältesten angesehen. In den Malanggan-Ritualen wurden neben UliFiguren auch farbige Kultgegenstände eingesetzt, die nach Abschluss der Feiern rituell verbrannt wurden. 41 | Neuseeland und Marquesas-Inseln Tiki Die Maori, die Urbevölkerung von Neuseeland, verzieren die Tragpfeiler und Wände ihrer Versammlungshäuser mit reliefartigen Schnitzwerken. Auch die seetüchtigen, bis zu zwanzig Meter langen Kampfboote sind von Bug bis Heck mit aufwändigen Schnitzereien geschmückt. Das Boot verkörperte den Ahnen der Krieger. Die Figuren mit den flächendeckenden Tatauierungen stechen besonders hervor. Männer und Frauen waren auf diese Weise ebenso geschmückt wie die Wesen der Götterund Ahnensphäre, die als tiki oder maniana bezeichnet werden. Auch auf den Marquesas-Inseln werden die oft bis zu drei Meter hohen Figuren aus Stein und Holz tiki genannt. Man stellte sie an Kultstätten auf, die als Wohnsitz der Ahnen und Geister betrachtet werden. Schaudepot | Sammlung Zwischengeschoss Gewöhnlich sind die Depots und Magazine der Museen für das Publikum nicht zugänglich. Dies gilt nicht für das Museum Rietberg: Im Schaudepot sind alle dreidimensionalen Sammlungsobjekte – rund viertausend Stück – nach Regionen und Kulturen geordnet ausgestellt. Die Sammlungen asiatischer Malerei sowie Textilien und Teppiche können, da sie lichtempfindlich sind, allerdings nicht permanent gezeigt werden. Schaudepot S Zwischengeschoss S 42– 47 Lift Wesendonck –1 Treppe Wesendonck Schaudepot | Sammlung Zwischengeschoss S 42 43 – 45 46 – 47 Schaudepot Alter Orient Islamische Welt Stammeskunst Indiens SCH WAR Z E S M E E R TÜRKEI KASPISCHES MEER M es Ti g am ris ot ie LI BANON op SYR I E N Lur ist a n n M IT TE LM E E R IRAK ISRAEL JOR DAN I E N K a i ro IRAN Euph rat P E R S IS H E RO il C N R G TE O ME SAU DI-ARAB I E N LF S Ägypten ER 42 | Alter Orient Bronzen aus Luristan Sammlung Rudolph Schmidt Luristan liegt östlich des alten Mesopotamiens, im Gebiet des heutigen Westiran. In Gräbern entdeckte man verschiedene Geräte, Schmuck, Gefässe, aber auch Figuren aus Bronze. Die zahlreichen Objekttypen, die verschiedenen Schmuck­formen und Herstellungsprozesse weisen deutlich darauf hin, dass sie zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind und nicht von einem einzigen, uns namentlich bekannten Volk geschaffen wurden. Die ältesten Bronzen können in das 3. Jahrtausend v. Chr., die jüngsten in das 7./6. Jahrhundert v. Chr. datiert werden. Diese späten feingliedrigen Exemplare zeichnen sich aus durch ihre originelle Gestaltung und die Freude am spielerischen Umgang mit stark abstrahierten Formen. Menschliche und tierische Elemente verschmelzen oft­mals zu fantastischen Mischwesen. Bisweilen sind sie mit derart vielen schmückenden Details versehen, dass das Ausgangsmotiv kaum mehr zu erkennen ist. SCH WAR Z E S M E E R GEORGIEN Tiflis Istanbul Hereke Bergama Ankara Bursa Gördes Kula Anatolien Muçur Kayseri Uşhak Milas TÜRKEI Kurdist an Ladik Konya Ti g ris Ba M IT TE LM E E R Eu Kairo N il RO TE S ME Ä GY P T E N ph ra t ER Dagestan U S B E K I S TA N Derbent ASERBAIDSCHAN Baku Tabriz Buchara KASPISCHES MEER Teheran Qom Pendeh Herat gdad Isfahan IRAN Basra Shiraz Kerman A F G H A N I S TA N 43 | Iran, Irak, Türkei Die erste keramische Revolution Die islamische Keramik erlebt ihren ersten Höhepunkt zur Zeit der Abbasiden (750 –1258). Im 9. Jahrhundert entwickelten die Töpfer in der irakischen Hafenstadt Basra Techniken, die die keramische Produktion revolutionierten. Grundlegend war die Erfindung der Zinnglasur, eines deckend-weissen, wasserundurchlässigen Überzugs, der aus Zinn- und Bleioxid sowie Sand besteht. Die Zinn­glasur erlaubte es, die viel bewunderten, weissen TangSchälchen zu imitieren, die aus dem fernen Osten im­portiert und von den islamischen Herrschern gesammelt wurden. In der Folge experimentierten die Töpfer mit weiteren Techniken: Aus der Glasproduktion übernahmen sie den Lüsterdekor. Dabei werden Metalloxide auf die gebrannte Glasur aufgetragen und in einem zweiten Brand gefes­tigt. Eine andere Technik bestand darin, den Dekor in die frisch aufgetragene Glasur zu malen. Besonders beliebt waren hierbei einfache Motive in Kobaltblau, die mit grünen und braunen Spritzern ergänzt wurden – ähnlich dem chinesischem Sancai- oder Drei-Farben-Dekor. 44 | Ägypten, Iran, Türkei Die zweite keramische Revolution Ägyptische Töpfer erprobten gegen Ende des 11. Jahr­hun­ derts einem neuen Werkstoff: Sie mischten wenig weissen Töpferton mit Quarz und Glaspulver (der so genannten Fritte) und erhielten einen glasharten, zuckerweissen Scherben. Die Qualität der Quarzfrittekeramik reicht nahe an diejenige von Porzellan heran. Von Ägypten aus gelangte der neue Stoff in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts über Syrien nach Persien und verdrängte nach und nach die herkömm­ lichen Tone. Die neuartigen Eigenschaften führten schnell dazu, dass iranische Töpfer neue Dekortechniken ausprobierten wie die Unterglasurbemalung oder die so genannte Mina‘i-Technik. Hierbei erhält das weiss oder türkisfarben glasierte Gefäss nach dem ersten Brand einen mehrfarbigen Dekor aus Emailfarben, der in einem zweiten Brand fixiert wird. Während die Töpfer im 9. Jahrhundert die Form chinesischer, porzellanähnlicher Schälchen nachahmten, sind es rund dreihundert Jahre später häufig Silber- oder Bronzegefässe. Davon zeugen u.a. die dunkelrot schimmernde Lüsterschale und der grosse Henkelkrug mit schnabelförmigem Ausguss. 45 | Iran Persische Lackarbeiten Lackarbeiten gehörten in Persien traditionell zur Tätigkeit der Buchbinder. Alle Objekte – seien dies Federschachteln, Spiegelfutterale oder Manuskripteinbände – bestehen aus Pappe oder Papiermaché. Der Lack wird in mehreren Schichten aufgetragen und zwischen den einzelnen Arbeits­­schritten immer wieder poliert. Obwohl verschiedene Rezepturen überliefert sind, besteht der persische Lack grundsätzlich aus einer Mischung von Leinöl und dem Harz des Sandarakbaumes (Tetraclinis articulata), eines Zypressengewächses. Die ältesten Lackobjekte entstanden im späten 15. Jahr­­hun­­ dert in Herat. Dabei handelt es sich um Buchdeckel, die mit goldenem Rankenwerk auf schwarzem Grund ge­­schmückt sind. Wenig später erweiterte sich die Farbpalette und nach 1525 taucht der erste figürliche Schmuck auf. Während die persische Buchmalerei im 18. Jahrhundert langsam durch grossformatige Ölbilder ersetzt wurde, be­­ wahrten die Lackarbeiten den detailreichen, «miniaturhaften» Charakter. Neben den Figurenbildern erfreute sich vor allem die Blumen- sowie die Blumen-und-Vogelmalerei grosser Beliebtheit. Eine Besonderheit stellen die Arbeiten von Abu Talib und seinem Umkreis aus der Mitte des 19. Jahrhunderts dar. Typisch ist sein Wellendekor, der an Guilloche-Muster auf europäischem Schmuck erinnert. 46 | Masken aus Tulunadu, Südindien Sammlung Heidi und Hans Kaufmann Die Bronze- und Holzskulpturen aus Tulunadu gehören zur so genannten indischen «Volkskunst». Dabei handelt es sich um Kunst der ländlichen hinduistischen KastenBe­völkerung und der einst «Unberührbaren», also Bauern, Hirten und Handwerker, die nicht direkt am städtischen, höfischen oder priesterlichen Leben teilhatten. Derartige Masken und Figuren sind noch heute fester Bestandteil des religiösen Alltags in der Küstenregion von Tulunadu. Sie vermitteln einen unmittelbaren Eindruck von der religiösen Mannigfaltigkeit Indiens. Die Objekte spielen eine wichtige Rolle bei der rituellen Verehrung von Bhutas: wohlwollenden Göttern, Geistern und mythische Helden. In grossen alljährlich stattfindenden Festen verkörpern professionelle Darsteller diese Wesen. Dabei tragen sie eine rituelle Kleidung, die gewöhnlich aus einem prachtvollen Rückenaufbau, aus einer Maske und einem Brustpanzer besteht. Zudem sind sie reich mit Arm­ reifen und Fussschellen geschmückt. Eine Glocke und ein Schwert verweisen auf den fürstlichen Stand der verkörperten Gottheiten. Während sich die Darsteller in Trance befinden, schlüpfen die Bhutas in deren Körper, sprechen mit den Gläubigen, heilen Kranke und lösen Konflikte. 47 | Die Kunst der Adivasis, der «Ureinwohner» Indiens Sammlung Heidi und Hans Kaufmann Sammlung Jean-Pierre und Dorothea Zehnder Beide Sammlungen zeigen Figuren von mächtigen Göttern, gefährlichen Geistern und einflussreichen Ahnen, die in dörflichen Schreinen und Hausaltären verehrt wurden. Die Figuren stammen aus der mittelindischen Region Bastar im heutigen Bundesstaat Chhattisgarh. Hier gehören mehr als 45 % der Bewohner zu den indigenen Völkern (auch Adivasis, «Ureinwohner», oder «scheduled tribes», «registrierte Stämme», genannt). Die Adivasis machen heute etwa 8 % der indischen Gesamtbevölkerung aus. Die im Wachsausschmelzverfahren hergestellten Unikate unterscheiden sich deutlich von der städtischen und höfischen (so genannten klassischen) Kunst Indiens. Sie sind nicht nur ästhetisch reizvoll, sondern auch Zeugen einer Kultur, die im Zuge der Industrialisierung und Moderni­­sie­rung zunehmend verschwindet. Park-Villa Rieter Indische Malerei Sammlung Park-Villa Rieter Indische Malerei Eingang Das Museum Rietberg verfügt mit rund 2000 Bildern über eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen nordindischer Malerei. Schwerpunkte bilden Werke aus der Pahari-Region (das Berggebiet entlang des Himalayas) sowie aus den verschiedenen Fürstentümern des heutigen Rajasthan. Er­gänzt wird dieser Bestand durch wichtige Palmblatt­manu­s­kripte sowie Malerei aus der Sultanats- (1206 –1526) und Mogulzeit (1526 – 1858). Die frühesten Zeugnisse der indischen Malerei sind bud­ dhistische Wandbilder aus den Felsentempeln von Ajanta (2. Jh. v. Chr. – 5. Jh. n. Chr.). Aus dem 10. Jahrhundert stammen die ältesten illustrierten Palmblattmanuskripte. Mit der zunehmenden Verbreitung von Papier im 15. Jahr­hun­ dert schufen die Maler umfangreichere Manuskripte für jainistische Auftraggeber. Gleichzeitig entstanden in den Sultanaten von Delhi und dem Dekkan bebilderte Hand­ schriften im «persischen» Stil. Unter dem Mogul-Herrscher Akbar (reg. 1556 –1605) verbanden die Künstler Elemente der traditionellen indischen und der persisch beeinflussten Malerei zu einem neuen Stil. Dieser in den kaiserlichen Malereiateliers entstandene Mogul-Stil inspirierte vom 16. Jahrhundert an auch die Maler der nordindischen Fürstenhöfe. Von da an präsentiert sich die indische Malerei bis ins 19. Jahrhundert als faszinierendes Wechselspiel zwischen einheimischen Traditionen und künstlerischen Neuerungen. Das Museum zeigt in den drei Räumen im Erdgeschoss der Park-Villa Rieter zwei bis drei Ausstellungen pro Jahr, die jeweils separat angekündigt werden und die reichen Bildbestände sichtbar machen.