IM REVIER Murmel: herzige Kämpfer Murmeltiere sehen herzig aus, und in manchen Gebieten lassen sie sich von Menschen sogar mit Süßigkeiten füttern. Dabei sind die Murmel innerartlich aggressiv und liefern sich oft erbitterte Kämpfe. Von Stefan Maurer & Fredy Frey-Roos D as Alpenmurmeltier kommt heute fast im ganzen Alpenbogen oberhalb der Waldgrenze vor, wobei es in den Ostalpen erst nach Wiedereinbürgerungen Fuß fassen konnte. Man nimmt an, dass es in den Warmzeiten nach der letzten Eiszeit, als die Waldgrenzen weit höher waren, dort ausgestorben ist. Wie viele Murmel es zur Zeit gibt, ist nicht einmal annähernd bekannt. Systematisch gehören Murmel zur Ordnung der Nagetiere und Familie der Hörnchenartigen. Weltweit gibt es auf der Nordhalbkugel 14 verwandte Arten. Enorme Bauanlagen Murmel arbeiten nicht wirklich nach einem Konzept, wenn sie ihre Baue anlegen. Oft sind die Röhren windschief oder überkreuzt, auch oft notwendigerweise, wenn Felsen das Graben erschweren. Grundsätzlich hat aber eine Murmelfamilie einen Hauptbau, der viele Einfahrten hat, die mit einem Röhrensystem verbunden sind. Mindestens einen Meter unter der Oberfläche befindet sich der Kessel, und es gibt „Latrinen“. Außerdem gibt es neben dem Hauptbau auch noch kurze Fluchtröhren, um schnell abtauchen zu können. Im Winter verschließen die Murmel die Einfahrten mit Erdreich, den sogenannten Zapfen. Dies weniger der Temperatur wegen als vielmehr zum Schutz gegen Fressfeinde. Foto: S. Maurer Adler, Fuchs und Bandwurm 42 Der Hauptfeind des Alpenmurmeltieres ist der Fuchs. Obwohl Murmel ziemlich wehrhaft sind, sind manche Bergfüchse geradezu darauf spezialisiert, Murmel mit einem schnellen Biss so zu fangen, dass keine Verletzungsgefahr mehr von diesen ausgeht. Daneben ist der Adler Der Anblick 9/2009 als Prädator ebenfalls bedeutend. Weniger Einfluss auf die Murmelbestände als weithin angenommen haben die Bandwürmer, die meist in großer Zahl im Verdauungstrakt der Murmel anzutreffen sind. Diese Parasiten scheinen aber, wie Forschungen aus Berchtesgaden zeigten, die Murmel kaum zu schwächen, da die Tiere mit Bandwurm gegenüber solchen ohne gleich hohe Gewichtszunahmen verzeichnen. Außerdem sterben die Bandwürmer jeweils vor Beginn des Winterschlafes ab. Fixe Territorien Die Familienverbände der Murmeltiere bestehen aus einem Bären, einer Katze und deren Nachkommen. Die jungen Murmel werden erst nach dem zweiten Winter geschlechtsreif und können bis zum 5. Lebensjahr im Familienverband verbleiben. Die Territorien solcher Familienverbände sind, je nach Lebensraum und Dichte, etwa 1 bis 5 ha groß, wobei die Grenzen des dominanten Bären und der dominanten Katze in aller Regel identisch sind. Die Katzen verteidigen ihr Territorium nur gegen andere Katzen und die Bären nur gegen andere Bären. Deshalb haben Murmel auch keinen Einfluss auf die Partnerwahl. Wenn ein junger Bär den alten vertreibt, tötet der Neue die geworfenen Affen und ist ab sofort der Partner der dort territorialen Katze. Alter Bär, junge Katze? Ein Murmel mit dem Fernglas oder Spektiv auf sein Geschlecht hin anzusprechen, ist nicht möglich. Man erkennt mit einiger Übung den Unterschied zwischen jüngeren und den beiden alten, territorialen Murmeln. Und mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 % kommt in aller Früh der alte Bär zuerst aus dem Bau, um die Grenzen seines Reviers zu markieren. Während der Säugezeit im Sommer kann man auch die Katzen am „Gesäuge“ erkennen, sonst aber nicht. Selbst im erlegten Zustand ist der Geschlechtsunterschied nur dadurch festzustellen, dass bei den Körperöffnungen der Abstand zwischen After und „Penis“ bzw. „Scheide“ unterschiedlich ist. Bei Weibchen sind die Organe enger zusammen, bei Männchen ist dazwischen ein größerer Abstand. Außenliegende Hoden aber sucht man vergebens. Hohe Inzuchtrate Die Paarungszeit der Murmel ist im Frühjahr. Dabei kommt es zu erbitterten Kämpfen zwischen Nachbarn oder Streunern, sowohl bei Männchen als auch bei Weibchen. In der Gruppe herrscht vorerst noch kein Stress, da weder „er“ noch „sie“ eine Alternative zum territorialen Partner haben. Trotzdem kommt es vor, dass ein Eindringling erfolgreich Jagd- & trachtenbekleidung der neue katalog ist da! Foto: J. Kirchmaier Ab sofort ist die aktuelle Kollektion in Ihrem Lagerhaus erhältlich! Murmel besetzen ein Territorium und verteidigen das erbittert gegen Eindringlinge des gleichen Geschlechts. Bären kämpfen gegen Bären – Katzen gegen Katzen. www.lagerhaus.at www.wild-wald.com NUR IM LAGERHAUS Foto: J. Kirchmaier IM REVIER Weder Bär noch Katze sind an der Paarbildung beteiligt. Das jeweils territoriale Männchen bzw. Weibchen ist automatisch Partner des jeweils anderen. Der alte Bär als Taktgeber Der Bergsommer ist kurz. Nach einer intensiven Feistzeit beginnen die Murmel meist Anfang Oktober mit dem Winterschlaf. Dabei sinkt die Körpertemperatur aller Murmel, die gemeinsam in einem Kessel überwintern, gegen 5° C, die Körperfunktionen gegen null. Die Umgebungstemperatur im Bau bleibt mit knapp über 0° C den Winter über mehr oder weniger konstant. Etwa alle 14 Tage beginnt der alte, feiste Bär damit, seine Körperfunktionen wieder hinaufzufahren und den Körper für zwei Tage auf Normaltemperatur aufzuheizen. Seinem Takt folgend ziehen die an- 44 deren Gruppenmitglieder nach, so auch die durch den Nachwuchs entkräftete Katze. Nur während dieser kurzen Zeit können Murmel richtig schlafen. Dann werden vermutlich auch Enzyme für die nächstfolgende Kältephase, die sowas wie eine Kältestarre ist, bereitgestellt. Folglich sind Murmel im Winterschlaf fast immer wach! Erfolg durch Murmelfett Dem Murmelfett kommt in dieser Phase besondere Bedeutung zu. Von den Murmeln werden verstärkt solche Pflanzen beäst, die einen hohen Anteil essentieller Fettsäuren beinhalten. Je höher der Anteil der vom Murmel eingelagerten Linolsäure ist, Jagdliche Konsequenzen Für das Überleben der Gruppe ist der feiste, alte Bär entscheidend. Soweit man die Murmel ansprechen kann, wäre es für die Gruppe daher günstiger, ein halbwüchsiges Murmel zu erlegen. Da kommt es halt auf die Verwertung an: Will man das Murmel essen und dessen Fett sammeln oder ein besonderes Individuum als Trophäe haben? Fotos: M. Ossmann beim Beschlag ist. In der Regel aber kommen die meisten Paarungsakte auf den alten Bären. Dieser deckt alle geschlechtsreifen Weibchen in der Gruppe. Es mischen aber auch dessen Söhne eifrig mit – da gibt es keine Eifersucht. Deswegen sind die Inzuchtraten beim Murmel (Eltern und Junge bzw. Geschwister) oft sehr hoch. Nach 33 Tagen Tragzeit werden im Mittel drei Affen geworfen. Zumeist hat jedoch nur die alte Katze Wurferfolge, da sie jüngere trächtige Katzen derartig traktiert, dass diese abortieren, also Fehlgeburten haben. Oder sie tötet die fremden, frisch geworfenen Affen. desto tiefer und länger können sie in den Winterschlaf fallen, was einer Energieersparnis gleichkommt. Außerdem ist Linolsäure auch noch bei tiefen Temperaturen flüssig. Weitere wichtige Inhaltsstoffe sind die Cortikosteroide, die dem Murmelöl die auch beim Menschen begehrte, heilende Wirkung verleihen. Diese Stoffe werden umso mehr eingelagert, je größerem Stress die Murmel ausgesetzt sind. Murmel brauchen diese interne Heilquelle auch für das persönliche Wohlergehen. Durch die ständigen, oft brutalen Kämpfe kommt es zu teils schweren Verletzungen, die meist aber rasch ausgeheilt werden. Trotzdem kommt es vor, dass – wodurch auch immer – verletzte Murmel in den Bau einfahren und dort verenden. Das heißt nicht automatisch, dass der Bau deswegen unbrauchbar wird. Schließlich gehen ja auch während des Winters öfters Tiere im Bau ein. Diese werden dann notdürftig verscharrt und gegebenenfalls im Frühling erst nach außen entsorgt. Der alte Bär ist wichtig für die Gruppe. Für das Überwintern des Familienverbandes wäre es günstiger, ein halbwüchsiges Murmel zu erlegen. Der Anblick 9/2009