Kausativ und Antikausativ/Medium Kausativ: 'machen, dass jemand etwas tut' = ein zusätzliches Argument wird eingeführt im Deutschen lexikalisch: fallen/fällen, trinken/tränken, versinken/versenken; hängen (hing, gehangen)/hängen (hängte, gehängt), erschrecken (erschrak, erschrocken)/erschrecken (erschreckte, erschreckt) etc. Antikausativ, Medium Das Agens wird aus der Konstruktion getilgt (und kann anders als beim Passiv auch nicht wieder eingefügt werden). Beispiel, Russisch: Ivan razbi-l-Ø vazu. Ivan-Nom zerbrochen-Sg.M Vase-Akk 'Ivan zerbrach die Vase.' Antikausativ Vaza razbi-l-a-s’ (*Ivanom). Vase-Nom zerbrochen-Sg.F-Reflexiv (Ivan-INS) 'Die Vase zerbrach' (*von Ivan). oft Passiv Deutsch: Das Buch liest sich leicht. Vor der Kasse hatte sich eine Schlange gebildet. Das erledigt sich so nebenher. unpersönliches Passiv? (Quelle: 750 Arbeitsblätter für den Deutschunterricht www.mittelschulvorbereitung.ch/content/GD/GSy9AktivPassiv.pdf) persönliches Passiv: Das Objekt des Aktivsatzes wird zum Subjekt des Passivsatzes. Das Krokodil hat den Jäger gefressen. Der Jäger wurde vom Krokodil gefressen. unpersönliches Passiv: Das Subjekt des Passivsatzes ist leer (kann nur durch semantisch leeres Pronomen es vertreten werden). Unpersönliches Passiv kann auch von intransitiven Verben gebildet werden. Die Ballgäste haben die ganze Nacht hindurch getanzt. Es wurde die ganze Nacht hindurch getanzt. Die ganze Nacht hindurch wurde getanzt. Wir können dir helfen. Dir kann geholfen werden. Es kann dir geholfen werden. Passiv: Formenbestand Vorgangspassiv, auch werden-Passiv Ich werde geimpft. Ich bin geimpft worden. Ich wurde geimpft. Ich war geimpft worden. Ich werde geimpft werden. Ich werde geimpft worden sein Zustandspassiv, auch sein-Passiv Sie ist geimpft Sie ist geimpft gewesen Sie war geimpft Sie war geimpft gewesen (selten) Sie wird geimpft sein Sie wird geimpft gewesen sein Rezipientenpassiv, auch "bekommen-Passiv" (Leirbukt 1997; Zifonun et al. 1997: 1824); "kriegen-Passiv" (Molnárfi 1998); "bekommen/kriegen/erhaltenPassiv" (Askedal 1984); "Dativpassiv" (Eroms 1978, Wegener 1985); "Adressatenpassiv" (Diewald 1997) ich bekomme es geschenkt ich bekam es geschenkt ich habe es geschenkt bekommen ich hatte es geschenkt bekommen ich werde es geschenkt bekommen ich werde es geschenkt bekommen haben Beispiele Rezipientenpassiv (alle folgenden Beispiele nach Leirbukt 1997): Ich bekomme die Zeitungen gebündelt zugeschickt. Wir bekamen zu Hause bei jeder sich bietenden Gelegenheit jeden Abend aus der Bibel vorgelesen, [...] Ich finde es besser, Diamanten gestohlen zu bekommen, als keine zu besitzen! Wird [...] Erziehungsunfähigkeit bescheinigt, bekommen die Eltern das Sorgerecht entzogen. [...], er habe sein Visum sofort verweigert bekommen. Er [...], erhielt mehrere Zähne ausgeschlagen [...]. "[...] weil man immer geholfen kriegt, wenn man mal was nicht weiß, [...]" Ich bekam einen weißen Helm mit dem NASA-Zeichen auf den Kopf gestülpt. [...] nachdem sie [...] von Frau Heiler geöffnet bekommen hatten. Zustandspassiv: Probleme Das Anwesen ist von Feldern umgeben (*worden). Das Anwesen wird von Feldern umgeben. Die Kneipe war von finsteren Gestalten bevölkert (*worden). Die Kneipe wurde von finsteren Gestalten bevölkert. Die Straße war von Akazien gesäumt (*worden). Die Straße wurde von Akazien gesäumt. Diese Sendung ist weltweit gehört worden. *Diese Sendung ist weltweit gehört. Die Katze ist gestreichelt worden. *Die Katze ist gestreichelt. Helbig/Kempter (1973), Helbig/Buscha (2001: 156): Möglichkeit zur Bildung eines Zustandspassivs hängt vom Grad der Affiziertheit des Objekts ab. Beispiele (ibd.): *Das Mädchen ist gelobt (nicht besonders stark affiziert) vs. Das Mädchen ist verletzt (stark affiziert, daher möglich). Gegenbeispiele zu Affiziertheitsregel: *Das Kind ist geschlagen. vs. Der Feind ist geschlagen. *Die Pizza ist gebracht. vs. Die Pizza ist bestellt. *Der Satz ist gesprochen. vs. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. → nur von transitiven, nicht durativen Verben → perfektiv [Situation: in der Wohnung der verreisten Nachbarin beim Abhaken der Liste mit den Aufgaben:] Also, die Blumen sind gegossen, die Katze ist gefüttert und gestreichelt – jetzt muss ich mich nur noch um die Post kümmern. Infinite Verbformen "Unkonjugierte Verbform, d. h. hinsichtlich Person, Numerus, Tempus, Modus und Genus Verbi nicht gekennzeichnete Verbformen, die Affinitiäten zum nominalen bzw. adjektivischen Bereich zeigen (...). Im Lat. zählen neben Infinitiv, Partizip Präsens und Partizip Perekt (...)" (Bußmann 2002: 304) "Eigenschaft von Verbformen, die v. a. bezüglich der Kategorien von →Numerus und →Person unbestimmt sind." (Glück 2005: 276) Übereinzelsprachlich: Finitheit = verbale Eigenschaft, die immer dann vorliegt, wenn ein Verb in einem selbständigen (nicht abhängigen) Satz das Prädikat bildet. Ein prototypischer Satz dieser Art wäre ein Hauptsatz vom Typ Assertionssatz. Wird so ein Satz in einer flektierenden Sprache geäußert, so zeigen sich am Verb morphologische Merkmale der Finitheit: Person- und Numerus-Kongruenz mit dem Subjekt sowie Tempus-, Aspekt- und Modusmarkierungen ("TAM"). TAM und Subjektkongruenz = Kernbestandteile der Finitheit (cf. Givón 2001: 352, Koptjevskaja-Tamm 1994: 1245). Diametrales Gegenstück: Substantiv/Nominalphrase Übergang: fließend. "Weniger gute" finite Verben in Nebensätzen, z. B. Konjunktiv der indirekten Rede: Sie sagte, sie habe/hätte keine Zeit kein Zeitunterschied, aber noch Kongruenz mit dem Subjekt Deutlich weniger Finitheitsmerkmale in Partizipialkonstruktionen: Fröhlich pfeifend hackte sie Holz Derart beschimpft, wurde sie wütend. Subjekt nur aus dem Kontext erschließbar ('sie pfeift', 'sie wurde beschimpft'), expliziter Ausdruck unmöglich (*sie fröhlich pfeifend hackte sie Holz); keine Kongruenzmarkierung. In manchen Sprachen werden Nebensätze regelmäßig so ausgedrückt Konverben. Infinite Verbformen im Deutschen: • • • • Inflektiv ? Imperativ Infinitiv Partizipien Inflektive: *seufz* *ächz* *stöhn* *langweil* Imperativ = infinite Verbform? Argument: "Die Imperative haben Adressatenbezug sowie eine pragmatische Orientierung an der 2. Ps, nicht jedoch eine Personmarkierung. Eine 2. Ps im Paradigma kann es nur geben, wenn mindestens eine weitere Ps existiert. Das ist beim Imperativ nicht der Fall." (Eisenberg 2006: 202) Überlegungen dazu: Imperative häufig neben Assertion und Interrogation als dritter grammatikalisierter Prototyp eines Sprechakts angesehen (cf. Givón 2001: 288, Fries 2001: 136). Modal markiert + keine Prädikate von Assertionssätzen keine idealtypischen finiten Verbformen. Jedoch: • das nicht explizit genannte Subjekt kann (nicht nur im Deutschen) explizit ergänzt werden; • in vielen Sprachen mehr als 2. Person. Infinitiv, Gerundium und Supinum = Verbalnomina • Infinitiv = Nennform des Verbs: nicht in allen Sprachen • Infinitiv = Verbalnomen, das syntaktisch in derselben Funktion wie ein Substantiv verwendet werden kann: auch Definition des Gerundiums (im klassischem Sinne) fließende Grenzen Infinitiv/Gerundium: • im Englischen oft austauschbar: to intend to do/doing something (cf. Huddleston /Pullum 2002: 1241); • im Lateinischen Infinitiv zugleich den Nominativ des Gerundiums (cf. Rubenbauer/Hofmann 1995: 202). Abgrenzung: Infinitiv kann Objekte binden und beinhaltet immer implizites Subjekt = etwas größere Nähe zum Verb Das Subjekt des Infinitivs: Kann normalerweise nicht ausgedrückt werden, wird aus Kontext erschlossen: Ich bitte dichi [PROi] nicht zu spät zu kommen. Ichi verspreche dir [PROi] nicht zu spät zu kommen. Heute ist es wichtig [PRO?] nicht zu spät zu kommen. Jedoch sichtbar beim AcI (accusativus cum infinitivo): Ich höre ihn kommen. (Ich höre: Er kommt.) Formen des Infinitivs im Deutschen: zwei Tempora, beide Genera Verbi Infinitiv Präsens Aktiv kühlen Infinitiv Präsens Passiv, Vorgangspassiv (werden-Passiv) gekühlt werden Infinitiv Präsens Passiv, Zustandspassiv (sein-Passiv) gekühlt sein Infinitiv Perfekt Aktiv gekühlt haben Infinitiv Perfekt Passiv, Vorgangspassiv (werden-Passiv) gekühlt worden sein Infinitiv Perfekt Passiv, Zustandspassiv (sein-Passiv) gekühlt gewesen sein Infinitiv Futur II gelobt haben werden (Abraham 2002: 116). Problem: Vorkommensnachweis mit Modalverb nicht möglich. • Das Eis muss gut gekühlt gewesen sein [es ist immer noch nicht ganz geschmolzen] / Das Fleisch kann gar nicht ausreichend gekühlt worden sein [wenn es so schnell verdorben ist] etc. • aber: *Bis morgen sollte sie ihn gelobt haben werden. Denkbar: Konstruktionen mit werden, etwa: ?? Bis morgen wird sie ihn gelobt haben werden. vermutlich Doppelung des Finitums (cf. ??Bis morgen sollte sie ihn endlich gelobt haben sollen), vergleichbar Doppelperfekt. Infinitivmarkierung Markierung von Infinitiven morphologisch oder syntaktisch, im Deutschen beides: • morphologisch durch das Suffix -(e)n (gehen), [-[er]n (stolpern), -[el]n (taumeln)] = historisch älter & stets vorhanden; • syntaktisch durch freies grammatisches Morphem zu (Infinitivpartikel) = historisch jünger & nur unter bestimmten Bedingungen Sprachgeschichtlich Infinitivpartikel = mit Präposition zu identisch. = Typischer Grammatikalisierungspfad aus Allativ/allativer Präposition: Allatives Konzept 'Bewegung in Richtung auf ein Ziel' 'Absicht'; falls Absicht = Ausführen einer Handlung/Infinitiv, ist die "purpose preposition" ideal zur Markierung. (Cf. Heine/Kuteva 2002: 39f., 247f.) Auch im modernen Deutschen noch gut sichtbar bei substantiviertem Infinitiv, cf.: Sie ging zum Lesen in die Bibliothek. Infinitivpartikel wird bei trennbaren Verben inkorporiert: an-zu-sehen, auf-zu-geben, mit-zu-kommen etc. Supinum Supinum = Verbalnomen im Akkusativ (Richtungsakkusativ), das "seit uridg. Zeit bei Verba der Bewegung zur Angabe des Ziels oder Zwecks (...) gebraucht wurde" (Brugmann 1905: 606). Latein: zwei Supina 1. auf Akkusativs zurückgehend: cubitum ire 'zur Ruhe gehen' 2. auf finalen Dativ zurückgehend: horribile dictu (cf. Rugenbauer/Hofmann 1995: 200–202). Partizipien von lat. particeps ‚teilhabend‘ = Verbformen, die zwischen Verb und Adjektiv stehen; Verbaladjektive. Verbal: • Diathese, Tempus und/oder Aspekt • dieselbe Rektion wie das grundlegende Verb, kann auch Adverbiale an sich binden, z. B.: die Flasche fest umklammernd, vorzeitig abgereist etc. Adjektivisch: • kann als Attribut fungieren • Kongruenz mit dem Beziehungswort in Genus, Kasus und Numerus (in flektierenden Sprachen) Bildung der beiden Partizipien des Deutschen: Partizip Präsens (auch: Partizip 1): -(e)nd an Präsensstamm des Verbs: lächel-nd, klapper-nd, ras-end, sei-end. Partizip Perfekt (auch: Partizip 2, gelegentlich auch: Partizip Präteritum): Grundprinzip: Präfix ge-, Suffix -(e)t (schwache Verben) bzw. -en (starke, plus Partizipalstamm des Verbs): ge-sag-t, ge-red-et, ge-sproch-en. • Gemischte Verben: Kombination aus Ablaut und Dentalsuffix (kennen/gekannt) • unregelmäßigen Verben: bringen/gebracht • Suppletivstamm: sein/gewesen). ohne Präfix: Verben auf -ier-: korrigiert, informiert, kalkuliert etc. (nicht: * gekorrigiert) Präfigierte Verben mit nicht trennbarem Präfix: bewiesen, verhaftet, übertragen usw. (nicht: * gebewiesen etc.). Inkorporiertes Präfix: Trennbare Verben: auf-ge-gessen, an-ge-klopft, über-ge-stülpt etc. Literaturangaben: Abraham, Werner (2004): „The grammaticalization of the infinitival preposition: toward a theory of ‚grammaticalizing reanalysis‘“. Journal of Comparative Germanic linguistics 7: 111– 170. Askedal, John Ole (1984): „Grammatikalisierung und Auxialisierung im sogenannten ‚bekommen/kriegen/erhalten-Passiv‘ des Deutschen“. Kopenhagener Beiträge zur Germanistischen Linguistik 22: 5–47. Bußmann, Hadumod (Hrsg.) (2002): Lexikon der Sprachwissenschaft. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: Kröner. Diewald, Gabriele (1997): Grammatikalisierung. Eine Einführung in Sein und Werden grammatischer Formen. Tübingen: Niemeyer. (= Germanistische Arbeitshefte 208). Eroms, Hans-Werner (1978): „Zur Konversion der Dativphrasen“. Sprachwissenschaft 3: 357– 405. Givón, Talmi (2001): Syntax. An introduction. Volume 2., revised edition. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins. Glück, Helmut (Hrsg.) (2005): Metzler Lexikon Sprache. 3., neubearbeitete Auflage. Stuttgart/Weimar: Metzler. Heine, Bernd/Kuteva, Tania (2002): World Lexicon of Grammaticalization. Cambridge/New York/Melbourne: Cambridge University Press. (= Oxford linguistics). Koptjevskaja-Tamm, Maria (1994): „Finiteness“. In: Asher, R. E./Simpson, J. M. Y. (Hrsg.): The encyclopedia of language and linguistics. Volume 3. Oxford, Pergamon: 1245–1248. Leirbukt, Oddleif (1997): Untersuchungen zum bekommen-Passiv im heutigen Deutsch. Tübingen: Niemeyer. (= Reihe Germanistische Linguistik 177). Molnárfi, László (1998): „Kasusstrukturalität und struktureller Kasus – zur Lage des Passivs im heutigen Deutsch“. Linguistische Berichte 176: 535–580. Rubenbauer, Hans/Hofmann, Johann Baptist (1995): Lateinische Grammatik. 12., korrigierte Auflage. Neu bearbeitet von R. Heine. Bamberg/München: Buchners, Lindauer, Oldenburg. Wegener, Heide (1985b): „,Er bekommt widersprochen‘ – Argumente für die Existenz eines Dativpassivs im Deutschen“. Linguistische Berichte 96: 127–139. (Literaturangaben, die hier fehlen, finden Sie auf den vorigen Folienzusammenfassungen oder auf der Homepage der Vorlesung.)