Friedreich’sche Ataxie (MIM 229300) Klinik Die Friedreichsche Ataxie (FA) gehört zu der Gruppe der spinocerebellären Atrophien. Die ersten Symptome der Erkrankung treten in der Regel vor dem 20. Lebensjahr auf. Der Krankheitsverlauf ist durch eine fortschreitende Gangataxie (gefolgt von Extremitätenataxie), Dysarthrie, beinbetonte Paresen, Areflexie und Störungen der Tiefensensibilität gekennzeichnet. Häufig, aber nicht obligat, sind Pyramidenbahnzeichen, ein Hohlfuß, eine Skoliose und eine Kardiomyopathie. Weitere Symptome wie z.B. eine Opticusatrophie (bei ca. 50 % der Patienten), Nystagmus oder Schwerhörigkeit können sich mit unterschiedlichem Schweregrad manifestieren. In ca. 10 bis 30 % der Fälle tritt ein Diabetes mellitus auf. .......AAAAAGAAGAAGAA...GAAAATAAAGAA...... Abb. 1: GAA-Repeats im Intron 1 des X25-Gens Bei einem kleineren Teil der Patienten wurden auch Punktmutationen im X25-Gen festgestellt. 6 Genetik Die FA kommt mit einer Häufigkeit von ein bis zwei auf 100.000 Neugeborene vor und ist damit die häufigste hereditäre Ataxie. Der Erkrankung liegt der autosomal rezessive Erbgang zugrunde, d. h. daß beide Eltern eines Betroffenen in der Regel obligate Träger des veränderten Gens sind. Das Wiederholungsrisiko für Geschwister eines Erkrankten beträgt damit 25%. 1988 konnte ein Locus für die FA auf Chromosom 9 kartiert werden. Im März 1996 wurden dann das Gen X25 und die Mutationen, die die FA verursachen, beschrieben. Die molekulargenetische Untersuchung hat bei der Mehrheit der Patienten mit FA eine Repeatvermehrung eines im Intron 1 des X25Gens gelegenen GAA-Motifs ergeben. Bei normalen Personen werden in der Regel 7-22 GAA-Repeats, bei Betroffenen 200-900 solcher Repeats gefunden. Generell kann gesagt werden, je länger die bei einem Patienten vorhandenen GAA-Repeats, desto früher liegt der Erkrankungsbeginn (ohne daß allerdings eine genaue Prognose über den Zeitpunkt gestellt werden kann). Repeatgröße (kb) 5 4 3 2 1 0 0 5 10 15 20 25 30 35 Erkrank ungsbe ginn (Jahre) Abb. 2: Erkrankungsbeginn der Friedreich’schen Ataxie in Abhängigkeit von der durchschnittlichen Größe der beiden GAA-Repeats der Patienten. Nach Lamont et al. (1997). Pathophysiologie Die beobachteten GAA-Expansionen haben zwar keinen Einfluß auf die AminosäureSequenz, sie verhindern oder reduzieren jedoch die Synthese des Proteins, des sog. Frataxins. Dieses weist keine ausgeprägten Ähnlichkeiten zu bisher bekannten Proteinen auf. Es wird in Mitochondrien gefunden und ist evolutionär hochgradig konserviert. Hefestämme, die kein Frataxin exprimieren, akku- mulieren Eisen in den Mitochondrien und zeigen eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber oxidativen Stress. Daher wird vermutet, daß die Friedreich’sche Ataxie über eine mitochondriale Störung bzw. über Toxizität durch freie Radikale entsteht. Indikationen Die molekulargenetische Diagnostik kann zum Zweck der Differentialdiagnostik neurologischer Erkrankungen und zum Zweck der pränatalen Diagnostik aus Fruchtwasserzellen oder aus Chorionzotten durchgeführt werden. Außerdem kann in Familien, in denen die Friedreich‘sche Ataxie vorkommt, festgestellt werden, ob die Mitglieder der Familie Träger der Mutation sind (Heterozygotentest). Somit kann die Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines Kindes mit Friedreichscher Ataxie präzisiert werden. Vor einer pränatalen Diagnostik sollten die Eltern und vor einem Heterozygotentest sollten die Risikopersonen eine genetische Beratung erhalten. Diagnostik Der Mutationsnachweis im X25-Gen erfolgt mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) und anschließender Größenbestimmung durch Gelelektrophorese. Die PCR erlaubt es, den GAA-Repeat enthaltenden Genabschnitt zu amplifizieren und dadurch die Repeat-Anzahl direkt zu bestimmen. Untersuchungsmaterial • 5 ml EDTA-Vollblut (Versand durch Post oder Boten) Dauer der Untersuchung 2 Wochen Literatur Campuzano V., Montermini, L., Molto, M., D. et al. „Friedreich’s Ataxia: Autosomal Recessive Disease Caused by an Intronic GAA Triplet Repeat Expansion“ Science 271:1423-1427 (1996) Epplen, C., Epplen, J., T., Frank, G. et al. „Differential stability of the (GAA)n tract in the Friedreich ataxia (STM7) gene“ Hum Genet 99:834-836 (1997) Lamont, P., J., Davis, M.B., Wood, N., W. „Identification and sizing of the GAA trinucleo- tide repeat expansion of Friedreich’s ataxia in 56 patients – Clinical and genetic correlates“ Brain 120:673-680 (1997) Pandolfo, M. „Molecular Genetics and pathogenesis of Friedreich ataxia“ Neuromuscul Disord 8:409-415 (1998) Pandolfo, M., Montermini, L. „Prenatal Diagnosis of Friedreich ataxia“ Prenat Diagn 18:831-833 (1998) Wood, N., W., „Diagnosing Friedreich’s ataxia“ Arch Dis Child 78:204-207 (1998)