Mathematik-Brückenkurs

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Mathematik-Brückenkurs
für alle, die sich für Mathematik interessieren
µFSR, TU Dresden
Version vom 6. Oktober 2016,
Fehler, Ideen, Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge bitte
an
[email protected]
Inhaltsverzeichnis
1 Mengenlehre und Logik
1.1 Aussagen . . . . . . . . . . . .
1.2 Logische Junktoren . . . . . .
1.3 Quantoren . . . . . . . . . . .
1.4 Was ist eine Menge? . . . . .
1.5 Mengenkonstruktionen . . . .
1.6 Gewitterwolken am Horizont
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2 Relationen und Funktionen
2.1 Was ist eine Relation? . . . . . .
2.2 Was ist eine Funktion? . . . . . .
2.3 besondere Arten von Relationen
2.4 surjektiv, injektiv, bijektiv . . . .
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4 Vollständige Induktion
4.1 Die Idee der vollständigen Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Natürliche Zahlen – die Peano-Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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43
5 Algebra
5.1 Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3 Körper mit Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
47
49
50
6 Komplexe Zahlen
6.1 Motivation und Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2 Definition und erste Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3 Beweistechniken
3.1 Was ist ein Beweis? . . . . . . . . .
3.2 Ein Bisschen Material – Geometrie
3.3 Direkter Beweis . . . . . . . . . . .
3.4 Widerspruchsbeweis . . . . . . . .
3.5 Beweis durch Kontraposition . . .
3.6 Beweis durch Fallunterscheidung .
3.7 Mehr Geometrie . . . . . . . . . . .
3.8 Äquivalenzen . . . . . . . . . . . .
3.9 Beweis durch (Gegen-) Beispiel . .
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Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7 Kombinatorik
7.1 Zählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2 Graphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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59
59
6.3
6.4
3
1 Mengenlehre und Logik
1.1 Aussagen
Mathematik und Logik sind eng miteinander verwandt, denn in beiden Wissenschaften ist uns sehr daran gelegen, dass alle Begriffe eine klare und scharf umrissene
Bedeutung haben. Die Mathematik verwendet Logik, weil das Denken unter diesen
strengen Bedingungen nicht immer intuitiv ist; in solchen Fällen wollen wir also die
gefühlsmäßige Komponente eliminieren und vielmehr genau festgelegt haben, was
wir als wahr (was auch immer das heißen mag) ansehen wollen. Als Beispiel für die
Ungenauigkeiten natürlicher Sprache und alltäglichen Denkens möchten wir Folgende
drei Punkte anführen:
• Was ist das Gegenteil von „ein Paar“ (im Sinne einer kleinen Anzahl)? Je nach
Kontext könnte es „keine“ (zum Beispiel auf die Frage „Haben wir noch ein
Paar saure Gurken?“) oder „viele“ sein. Zum Beispiel sind „nicht nur ein Paar“
Flüchtlinge auf dem Weg nach Deutschland.
• Eine Katze hat einen Schwanz mehr als keine Katze. Keine Katze hat zwei
Schwänze. Damit hat jede Katze drei Schwänze.
• Die Wahrscheinlichkeit, beim Münzwurf nach zehnmal „Zahl“ noch einmal „Zahl“
zu werfen, ist genau so groß wie die Wahrscheinlichkeit nach zehntausendmal
„Zahl“ noch einmal „Zahl“ zu werfen. Trotzdem werden im Mittel „Kopf“ und
„Zahl“ gleich häufig auftreten.
Wir wollen nun keine philosophische Diskussion der Frage, was wahr oder falsch
bedeuten sollen, beginnen, sondern uns zunächst darauf zurückziehen, zu sagen, dass
jeder eine ungefähre Vorstellung hat, was diese Wörter bedeuten sollen. Unsere erste
Definition ist deshalb auch noch eher umgangssprachlich zu verstehen:
Definition 1.1 (Aussage). Eine Aussage ist ein Ausdruck aus natürlicher Sprache oder
(mathematische oder andere) Notation, für den man sinnvoll entscheiden kann, ob er wahr oder
falsch ist.
Die folgende erste Aufgabe soll unser Gefühl für den Begriff der Aussage stärken.
Aufgrund der eher ungenauen Natur unserer Definition ist die Antwort nicht immer
ganz klar, es kommt also auf das Nachdenken und die Begründung an!
Aufgabe 1.1. Welche der folgenden Ausdrücke sind Aussagen? Begründe! Wenn der Ausdruck eine Aussage ist, entscheide, ob sie wahr oder falsch ist!
4
1. 1 + 1 = 2
2. In Dresden ist das Wetter gut.
3. Ich mag Mathematik.
4. Johann Sebastian Bach.
5. Pferde sind Paarhufer.
6. Dieser Satz ist eine Aussage.
7. Dieser Satz ist keine Aussage.
8. Dieser Satz ist eine wahre Aussage.
9. Dieser Satz ist eine falsche Aussage.
1.2 Logische Junktoren
Logische Junktoren konstruieren aus gegebenen Aussagen eine neue Aussage.
Definition 1.2 (logischer Junktor, Wahrheitstabelle). Für zwei Aussagen a und b sind die
Junktoren
• Negation, geschrieben ¬
• (inklusives) Oder, auch Disjuktion, geschrieben ∨
• Und, auch Konjunktion, geschrieben ∧
• Implikation, geschrieben ⇒
• Äquivalenz, auch Biimplikation, geschrieben ⇔
• exklusives Oder, geschrieben ⊕ oder Y
definiert durch folgende Tabelle:
a
0
0
1
1
b
0
1
0
1
¬a
1
1
0
0
a∨b
0
1
1
1
a∧b
0
0
0
1
a⇒b
1
1
0
1
a⇔b
1
0
0
1
a⊕b
0
1
1
0
Tabelle 1.1: Wahrheitstabelle der logischen Junktoren
Die Tabelle nennt man eine Wahrheitstabelle. Sie ist folgendermaßen zu verstehen: Die
Eins steht für „wahr“, die Null für „falsch“. Im Kopf rechts neben dem Doppelstrich stehen
5
zusammengesetzte Aussagen, links neben dem Doppelstrich stehen die Teilaussagen. In jeder
Zeile steht unter der zusammengesetzten Aussage ihr Wahrheitswert in Abhängigkeit von den
Wahrheitswerten ihrer Teilaussagen.
Definition 1.3 (Präzedenz der logischen Junktoren). Um Klammern zu sparen, versehen
wir die logischen Operatoren mit einer Präzedenzreihenfolge:
¬
∧, ∨, ⊕
⇒, ⇔
Junktoren, die hier weiter oben stehen, binden stärker als die, die weiter unten stehen. Das
bedeutet, dass z.B. der Ausdruck ¬ a ∧ b ⇒ c und der Ausdruck ((¬ a) ∧ b) ⇒ c das Selbe
bedeuten.
Hier ist zu beachten, dass Ausdrücke mit mehreren Junktoren gleicher Präzedenz
hintereinander im Allgemeinen immer noch Klammern benötigen, um eindeutig zu
sein. Betrachte dazu folgende Wahrheitstabelle:
a
0
0
1
1
b
0
1
0
1
a⊕b
0
1
1
0
b∨a
0
1
1
1
a ⊕ (b ∨ a)
0
1
0
0
( a ⊕ b) ∨ a
0
1
1
1
Tabelle 1.2: Klammern sind wichtig
Aufgabe 1.2. Stelle die Wahrheitstabellen für folgende Aussagen auf: a ⇒ b, b ⇒ a, ¬ a ∨ b,
¬b ⇒ ¬ a, a ⇔ b, ( a ⇒ b) ∧ (b ⇒ a), a ⊕ b, ( a ∨ b) ∧ ¬( a ∧ b). Was fällt dir auf? Formuliere
die gefundenen logischen Sachverhalte in natürlicher Sprache und gib Beispiele.
Aufgabe 1.3. Beweise die De Morgan’schen Regeln: ¬( a ∨ b) = ¬ a ∧ ¬b und ¬( a ∧
b) = ¬ a ∨ ¬b für Aussagen a und b. Was bedeuten sie in natürlicher Sprache? Beweise
h A ⇔ Bi ⇒ h A ⇒ Bi
Die nächste Aufgabe ist etwas schwerer, hier muss man schon eine richtig gute Idee
haben.
Aufgabe 1.4. Gibt es eine zusammengesetzte Aussage mit Teilaussagen a, b und c (jede mindestens einmal!), die genau die Junktoren ∧ und ∨ benutzt (jeden mindestens einmal!), und
bei der Klammersetzung den Wahrheitswert nicht verändert? Begründe!
1.3 Quantoren
Man möchte auch Aussagen wie „Es gibt eine Zahl, die größer ist als 5“ oder „Alle
nichttrivialen Nullstellen der Riemann’schen Zetafunktion haben Realteil 1/2“ formal
6
logisch aufschreiben können. Dann kann man nämlich einmal gefundene abstrakte
Gesetzmäßigkeiten „wiederverwerten“.
Definition 1.4 (Quantor, Individuenbereich). Der Allquantor ∀ und der Existenzquantor ∃ werden wie folgt verwendet, um Aussagen zu bilden: Für eine Aussage A( x ), die von x
abhängt (z.B. „x ist blau oder x = π1 “), werden folgende neue Aussagen erklärt:
Schreibweise
∃ x : A( x )
∃!x : A( x )
∀ x : A( x )
@x : A( x )
Sprechweise
„Es gibt (mindestens) ein x, sodass A( x ) gilt.“
„Es gibt genau ein x, sodass A( x ) gilt.“
„Für alle x gilt A( x ).“
„Es gibt kein x, sodass A( x ) gilt.“
Tabelle 1.3: die Quantoren
Die Gesamtheit aller Gegenstände x, über die man die Aussagen mit Quantoren bildet, wird
Individuenbereich oder Diskursuniversum genannt. Wenn nichts weiter gesagt ist, nehmen
wir als Individuenbereich schlicht alle Objekte der Welt und unseres Denkens.
Wie Abschnitt 1.6 diskutieren wird, ist der letzte Satz obiger Definition in gewisser
Weise sehr naiv. Das hat weitreichende logisch-philosophische Konsequenzen, die uns
fürs Erste jedoch nicht stören.
Man kann insbesondere Aussagen mit mehreren Quantoren schreiben: Sei der Individuenbereich die Gesamtheit aller Menschen. Bezeichne L( a, b) die Aussage „a liebt
b.“. Dann kann man die Aussage „Jeder Mensch liebt (mindestens) einen Menschen“
als ∀ a∃b : L( a, b) schreiben. Hier ist zu beachten, dass die Reihenfolge der Quantoren
wichtig ist: ∃b∀ a : L( a, b) bedeutet nämlich „Es gibt (mindestens) einen Menschen, den
alle Menschen lieben“.
Verkürzung von n Quantoren: ∀ a1 · · · ∀ an : A( a1 , . . . , an ) :⇔ ∀ a1 · · · an : A( a1 , . . . , an )
Aufgabe 1.5. Sei der Individuenbereich die Gesamtheit aller männlichen und weiblichen Pokemon. Schreibe die folgenden Aussagen mit Quantoren und Junktoren, wobei du nur die Aussagen K ( x, y, z) für „z ist ein Kind von x und y“ und M ( x ) für „x ist männlich“ verwendest!
Für die Zwecke dieser Aufgabe (und nur dafür) nehmen wir an, dass jedes Pokemon entweder
männlich oder nicht männlich, was weiblich sei, ist.
1. a ist ein Einzelkind.
2. a ist ein Cousin von b.
3. a hat genau eine Schwester.
4. Niemand ist sein eigener Vater.
Aufgabe 1.6. Schreibe die Aussagen ∃!x : A( x ) und @x : A( x ), wobei du nur die Quantoren
∃ und ∀ verwendest!
7
Aufgabe 1.7. Verneine die Aussagen ∀ x : A( x ) und ∃ x : A( x )! Welches Prinzip fällt dir
auf? Kann man es auch auf eine Aussage wie ∀ x ∃y, z : B( x, y, z) anwenden? Wie verhalten
sich die Quantoren @ und ∃!?
Aufgabe 1.8. Gib jeweils beispielhafte Aussagen A( x ) und B( x ) (und einen Individuenbereich) an, die belegen, dass im Allgemeinen (∀ x : A( x ) ∨ B( x )) 6= (∀ x : A( x )) ∨ (∀ x : B( x ))
und (∃ x : A( x ) ∧ B( x )) 6= (∃ x : A( x )) ∧ (∃ x : B( x ))!
Es gilt:
weiteres
1.4 Was ist eine Menge?
Einer (vielleicht sogar der) der wichtigsten und grundlegendsten Begriffe der modernen Mathematik ist der der Menge. Sehen wir uns also eine Möglichkeit an, zu sagen,
was eine Menge sein soll. Wir betreiben hier zunächst die sogenannte naive Mengenlehre.
Unter einer „Menge“ verstehen wir jede Zusammenfassung M von wohlunterschiedenen Objecten m unserer Anschauung oder unseres Denkens
(welche die „Elemente“ von M genannt werden) zu einem Ganzen.
– Georg Cantor
Bevor wir uns mit Cantors Definition befassen, führen wir ein wenig Notation ein:
• Mengen schreiben wir mit den geschwungenen Klammern „{“ und „}“ begrenzt.
• Wir können die Elemente einer Menge aufzählen, wie in {3, Γ, grün, ∞}, d oder
auch {1, 2, 4, 8, 16, . . .}, wenn klar ist, wie die Aufzählung weitergehen soll.
• Aussagen wie „3 ist Element der Menge M“ schreiben wir folgendermaßen:
3 ∈ M. Aussagen wie „5 ist nicht Element der Menge M“ schreiben wir folgendermaßen: 5 6∈ M.
• Wir können Mengen auch in der Form { x | A( x )} schreiben, wobei A( x ) eine
Aussage über x ist. Diese Schreibweise bedeutet, dass die Menge alle x enthalten
soll, für die A( x ) wahr ist. Weiterhin scheiben wir für eine Menge M auch { x ∈
M | A( x )} und meinen damit die Menge { x | x ∈ M ∧ A( x )}. Dass ein solches
Objekt wieder eine Menge ist, ist für unsere naive Mengenlehre anschaulich klar,
in einer axiomatischen Mengenlehre muss es gefordert (Aussonderungsaxiom)
oder bewiesen werden. ∀y : y ∈ { x | A( x )} ⇔ A(y)
Cantors Definition des Mengenbegriffes benötigt noch einige Klarstellungen:
• Cantor sagt, dass eine Menge allein durch ihre Elemente bestimmt wird. Diese
Eigenschaft nennt man Extensionalität. In axiomatischen Mengenlehren wie der
8
Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre ist das ein Axiom. Beispielsweise sind die Mengen A := {1, −1} und B := { x ∈ R| x ist eine Lösung der Gleichung x2 = 1}
gleich, weil sie die gleichen Elemente erhalten. Sehr oft fragt man in der Mathematik danach, ob zwei unterschiedlich gegebene Mengen gleich sind.
• Mit der Extensionalität hängt eine weitere Forderung Cantors sehr eng zusammen: Jede Menge enthält jedes ihrer Elemente genau einmal. Ansonsten könnte
man eines der Elemente mehrfach angeben und hätte dann verschiedene „Darstellungen“ dessen, was wir als eine Menge betrachten wollen, im Widerspruch
zur Extensionalität.
• Weder der Begriff der Menge noch der Begriff des Elements sind streng formal
definiert. Auch werden sie in den Axiomen der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre,
die das Fundament der modernen Mathematik bildet, nicht definiert. Vielmehr
ergeben sich die Bedeutungen durch die axiomatisch festgelegten Beziehungen
zwischen den Begriffen. David Hilbert soll einmal über seine Axiome der Geometrie gesagt haben, man könne, statt über Punkte, Geraden und Ebenen zu reden,
jederzeit auch Tische, Stühle und Bierseidel sagen.
Eine Veranschaulichung dessen, was eine Menge ist, die Richard Dedekind zugeschrieben wird, ist das Bild eines Sackes, der gewisse, voneinander unterscheidbare Dinge
enthält (insbesondere also jedes nur einmal!). Eine Menge ist dann der Inhalt dieses
Sackes. Insbesondere ist diese Anschauung hilfreich für die leere Menge ∅, die nicht
schlicht „nichts“ ist, sondern der Inhalt eines leeren Sackes; es mag zunächst etwas esoterisch erscheinen, aber die Menge {∅} ist nicht leer, denn sie hat ein Element, nämlich
die leere Menge. ∅ := {}, {∅} = {{}}
Wir führen eine neue Schreibweise ein: Für eine Menge M und Aussagen A( x ), B( x )
schreiben wir
Schreibweise
∀ x ∈ M : A( x )
∃ x ∈ M : B( x )
Bedeutung
∀ x : x ∈ M ⇒ A( x )
∃ x : x ∈ M ∧ B( x )
Sprechweise
„Für alle x ∈ M gilt A( x ).“
„Es gibt ein x ∈ M, für das B( x ) gilt.“
In der Folge werden wir, weil unser Mengenbegriff extensional ist, (fast) alle Eigenschaften von Mengen extensional (das heißt über ihre Elemente) definieren. So auch
jetzt:
Definition 1.5 (Obermenge und Untermenge). Seien A und B zwei Mengen.
• A und B heißen gleich, geschrieben A = B genau dann, wenn ∀ x : x ∈ A ⇔ x ∈ B.
• A heißt Teilmenge oder Untermenge von B, geschrieben A ⊆ B genau dann, wenn
∀ x : x ∈ A ⇒ x ∈ B.
• A heißt Obermenge von B, geschrieben A ⊇ B, wenn B eine Untermenge von A ist.
9
• A heißt echte Teilmenge oder echte Untermenge von B, geschrieben A ( B, falls
(∀ x : x ∈ A ⇒ x ∈ B) ∧ (∃ x : x ∈ B ∧ x 6∈ A).
• A heißt echte Obermenge von B, falls B eine echte Untermenge von A ist.
Manche Autoren schreiben auch A ⊂ B für A ( B. Hier ist aber Vorsicht geboten,
weil viele Autoren (insbesondere im englischen Sprachraum) A ⊂ B für A ⊆ B verwenden. Die hier gewählte Schreibweise A ( B umgeht diese Stolperfalle, weil sie
ganz deutlich macht, dass man ausschließen will, dass die Mengen A und B gleich
sind.
Eine Bemerkung zum Unterschied zwischen Elementbeziehung und Teilmengenbeziehung: Für die Menge A := {∗, {∅}, 1, {grün, blau, rot}, X } gilt zum Beispiel 1 ∈ A,
aber grün 6∈ A; ferner gilt {∅} ∈ A, ∅ ⊂ A (nach Aufgabe 1.11, siehe unten) und
∅ 6∈ A; außerdem ist {∅} 6⊆ A aber {{∅}} ⊆ A.
Aufgabe 1.9. Seien A( x ), B( x ) Aussagen mit A( x ) ⇒ B( x ). Zeige, dass dann { x | A( x )} ⊆
{ x | B( x )}! Was kann man über die anderen Junnktoren sagen? (d.h. zum Beispiel: wie stehen
die Mengen { x | A( x ) ∨ B( x )} und { x | A( x )} und { x | B( x )} miteinander in Beziehung?)
Aufgabe 1.10. Zeige, dass für zwei Mengen A und B gilt, dass A = B ⇔ ( A ⊆ B) ∧ ( B ⊆
A)! (Diese Eigenschaft wird oft verwendet, um zu zeigen, dass zwei Mengen gleich sind.)
Aufgabe 1.11. Beweise, dass jede Menge eine Obermenge der leeren Menge ist! Beweise: h∅ (
A ⇔ ∅ 6= A ⇔ (∃ x )( x ∈ A)i und h∀ x ∈ {} : A( x )i = > sowie h∃ x ∈ {} : A( x )i = ⊥
1.5 Mengenkonstruktionen
Wir wollen aus gegebenen Mengen neue Mengen konstruieren.
Definition 1.6 (Schnittmenge, Vereinigungsmenge, Differenz, symmetrische Differenz).
Seien A und B Mengen. Dann bezeichnet
• A ∪ B die Vereinigungsmenge von A und B, die definiert ist durch ∀ x : ( x ∈ A) ∨
( x ∈ B) ⇔ x ∈ ( A ∪ B)
• A ∩ B die Schnittmenge von A und B, die definiert ist durch ∀ x : ( x ∈ A) ∧ ( x ∈
B) ⇔ x ∈ ( A ∩ B)
• A \ B die Differenzmenge von A und B, die definiert ist durch ∀ x : ( x ∈ A) ∧ ( x 6∈
B) ⇔ x ∈ ( A \ B)
• A4 B die symmetrische Differenz von A und B, die definiert ist durch ∀ x : ( x ∈
A) ⊕ ( x ∈ B) ⇔ x ∈ ( A4 B)
Diese gerade definierten Beziehungen zwischen Mengen (und auch ⊆ und ⊇) kann
man durch so genannte Venn-Diagramme (nach John Venn) veranschaulichen:
10
B
A
C
Abbildung 1.1: Venn-Diagramm, in dem die Menge ( B ∩ C ) \ A hervorgehoben ist
Venn-Diagramme kann man auch verwenden, um Beweise über Mengen zu veranschaulichen.
Aufgabe 1.12. Beweise, dass die symmetrische Differenz tatsächlich symmetrisch ist, d.h.
dass für je zwei Mengen A und B gilt, dass A4 B = B4 A! Dazu kannst du entweder
direkt anhand der Definition arbeiten oder die Aussage von Aufgabe 1.10 verwenden oder
zuerst (z.B. mit einem Venn-Diagramm) veranschaulichen, dass A4 B = ( A \ B) ∪ ( B \ A)
und dann benutzen, dass für beliebige Mengen M und N die Aussage M ∪ N = N ∪ M in
offensichtlicher Weise gilt.
Wir wollen nun noch zwei etwas komplexere Mengenkonstruktionen betrachten.
Definition 1.7 (Potenzmenge). Sei A eine Menge, dann ist die Potenzmenge P( A) von A
definiert als die Menge aller Teilmengen von A.
Beachte, dass die Potenzmenge einer Menge stets die leere Menge enthält, wie Aufgabe 1.11 zeigt! Die Potenzmenge von A wird auch manchmal mit 2 A bezeichnet, weil
sie, wenn | A| die Anzahl der Elemente von A bezeichnet, 2| A| Elemente hat. Beachte,
dass P(∅) = {∅} 6= ∅!
Aufgabe 1.13. Schreibe die Potenzmenge der Menge A := {∅, {∅}} auf! Gibt es eine Menge,
deren Potenzmenge A ist?
Aufgabe 1.14. Die Menge A habe n Elemente. Erkläre, warum P( A) dann 2n Elemente hat!
Definition 1.8 (kartesisches Produkt). Seien A und B Mengen. Dann ist das kartesische
Produkt A × B definiert als die Menge der Paare ( a, b), sodass a ∈ A und b ∈ B.
Was ein Paar sein soll, müssen wir hier noch erklären: Ein Paar ist wie eine zweielementige Menge eine Zusammenfassung zweier Objekte, bei der es aber auf die
Reihenfolge der Elemente ankommt. Während also { a, b} = {b, a} ist (unsere Mengenlehre ist extensional!), gilt ( a, b) 6= (b, a).
11
Für Ausdrücke wie A × B × C ist a priori nicht klar, was sie bedeuten sollen; mit
Klammern ( A × B) × C erhält man nach Definition Objekte der Form (( a, b), c), mit
Klammern A × ( B × C ) erhält man Objekte der Form ( a, (b, c)). Es ist aber naheliegend,
diese miteinander zu identifizieren und mit ( a, b, c) zu bezeichnen. Damit ist
A1 × A2 × · · · × An = {( a1 , a2 , . . . , an )| a1 ∈ A1 , a2 ∈ A2 , . . . , an ∈ An }.
Objekte wie ( a1 , a2 , . . . , an ) bezeichnet man als n-Tupel. Paare sind also 2-Tupel.
Aufgabe 1.15. Seien A und B Mengen. Beweise A × B = ∅ ⇔ A = ∅ ∨ B = ∅!
Aufgabe 1.16. Sei A eine Menge mit n Elementen und B eine Menge mit m Elementen. Wie
viele Elemente hat A × B? Begründe!
Wir schließen diesen Abschnitt mit einer sehr umfangreichen Aufgabe ab, die nicht
vollständig bearbeitet werden muss, aber unser Gefühl für alles bisher definierte noch
einmal stärkt.
Aufgabe 1.17. Wir alle kennen aus der Schule das Distributivgesetz der Multiplikation und
Addition reller Zahlen: Für a, b, c ∈ R gilt a · (b + c) = a · b + a · c. Für welche der bis
jetzt definierten Mengenoperationen gelten auch Distributivgesetze? Wenn Distributivgesetze
gelten, gib sie an!
Ebenso wissen wir, dass die Addition reller Zahlen monoton ist, das heißt, für Zahlen
a, b, α, β ∈ R gilt a ≤ α ∧ b ≤ β ⇒ a + b ≤ α + β. Welche der bis jetzt definierten
Mengenoperationen sind monoton (wobei man natürlich „≤“ mit „⊆“ ersetzen muss)?
Du kannst dir, wenn du unsicher bist, mit Venn-Diagrammen helfen.
1.6 Gewitterwolken am Horizont
Wir schließen dieses Kapitel mit einem Ausflug in die Geschichte der Mathematik und
Philosophie ab. Um die Jahrhundertwende zum letzten Jahrhundert gab es Bestrebungen, die Mathematik auf ein axiomatisches Fundament zu setzen, das heißt, sich eine
handvoll Axiome genannte Aussagen festzulegen, die Alle anerkennen, und auf die
alle anderen wahren Aussagen mittels Schlussregeln (Logik) zurückgeführt – bewiesen
– werden sollen. Man hatte den schon von Leibniz stammenden Wunsch, dann einfach zu sagen, dass wahre Aussagen schlicht die beweisbaren Aussagen sind. Leibniz
fasste diese Idee in dem Wort „calculemus!“ (lateinisch für „Rechnen wir!“) zusammen; er stellte sich also eine Rechenvorschrift (oder sogar eine Maschine?) vor, die für
eine gegebene Frage in endlicher Zeit die Antwort mittels der Logik aus den Axiomen
herleitet.
Bei den Bestrebungen zur Axiomatisierung der Mathematik fiel die Wahl, in welcher
Sprache die Axiome formuliert werden sollen, zumeist auf die der Mengenlehre oder
der Logik. Besonders hervorzuheben sind hier die Bemühungen der Göttinger Mathematiker um David Hilbert, die einen großen Teil der damals existierenden Mathematik auf verschiedene Axiomensysteme der Mengenlehre zurückführten (die zum Teil
12
in leicht abgeänderter Form noch heute in Gebrauch sind, z.B. die Zermelo-FraenkelAxiome) und auf der Seite der Logik die revolutionäre Begriffsschrift von Gottlob Frege.
Das Problem aller dieser Bemühungen war (und ist), dass unser intuitiver Begriff
einer Menge viele Paradoxa ermöglicht, deren berühmtestes zweifelsohne die Russel’sche Antinomie (nach Bertrand Russel, der sie 1903 publizierte) ist. Wir formulieren
die Idee von Russel einmal als Frage:
Enthält die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, sich selbst?
Das ist vielleicht noch ein wenig zu stark formuliert, um es auf Anhieb zu verstehen,
deswegen nähern wir uns schrittweise:
1. Eine Menge, so wie wir sie definiert haben, kann Mengen als Elemente enthalten,
zum Beispiel auch sich selbst.
2. Wir können Mengen über Aussagen definieren, zum Beispiel ist
{ M| M ist eine Menge mit zwei Elementen}
eine Menge, nämlich die Menge aller zweielementigen Mengen.
3. Sei nun R die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, also
R : = { M | M 6 ∈ M }.
Jetzt kommt das Problem: Angenommen R ∈ R. Dann muss nach Definition
R 6∈ R sein, weil R nur die Mengen enthält, die sich nicht selbst enthalten. Angenommen R 6∈ R. Dann muss nach Definition von R aber R ∈ R gelten. Damit
defR
kann man die Frage, ob R sich selbst enthält, nicht beantworten. R ∈ R ⇔ R ∈
{M | M ∈
/ M} ⇔ R ∈ { x | x ∈
/ x } ⇔ R ∈ { x | A( x )} ⇔ A( R) ⇔ R ∈
/ R, wobei
A( x ) := x ∈
/ x definiert wird.
Bevor weiter über die Implikationen der Russel’schen Antinomie reden, wollen wir
noch eine andere, sehr bekannte und nicht ganz ernsthafte Formulierung ansehen, um
die Idee noch besser zu verstehen: Der Barbier von Sevilla ist der Mann in Sevilla, der alle
Sevillaner, die sich nicht selbst rasieren, rasiert. Rasiert er sich selbst? Wenn er sich selbst
rasiert, gehört er zu den Männern, die nicht vom Barbier rasiert werden, rasiert sich
also nicht selbst. Wenn er sich selbst aber nicht rasiert, wird er vom Barbier rasiert,
aber er ist ja der Barbier, also rasiert er sich selbst.
Es ist offensichtlich, dass Russels Entdeckung ein vernichtender Schlag für die Bemühungen, die Mathematik vollständig auf die so genannte naive Mengenlehre, die
wir hier auch betrachtet haben, zurückzuführen, war. Eine Wissenschaft, die solche
Paradoxa schon in ihren Grundlagen enthält, will man aus verständlichen Gründen
nicht haben.
Das Problem unserer naiven Mengenlehre und Logik, das der Russelschen Antinomie zugrunde liegt, ist folgendes: Wenn wir den Individuenbereich von Quantoren
nicht einschränken, also einfach alles erlauben, können wir Konstruktionen wie die
13
Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten nicht vermeiden. Wie aber soll man
die Individuenbereiche sinnvoll einschränken, um einerseits Paradoxa wie die Russel’sche Antinomie auszuschließen und andererseits noch eine Theorie zu erhalten,
die halbwegs aussagekräftig ist? Eine Möglichkeit hat Russel selbst angegeben, indem
er jeder Menge einen Typ zuordet: Mengen im hier definierten Sinne werden dabei als
Klassen bezeichnet. Alle Mengen vom ersten Typ enthalten nur Urelemente (Elemente
der Klasse { X |@Y : Y ∈ X }), Mengen des zweiten Typs enthalten nur Mengen des
ersten Typs, Mengen des dritten Typs nur Mengen des zweiten Typs und so weiter.
Damit werden Ausdrücke wie M ∈ M und M 6∈ M, die man für die Russel’sche Antinomie braucht, von vorne herein ausgeschlossen. Eine ähnliche (wenn auch wesentlich
kompliziertere) Typentheorie liegt den berühmten Principia Mathematica, einem dreibändigen Werk von Russel und Alfred North Whitehead, das den wohl umfangreichsten
Versuch darstellt, alle (grundlegenden) mathematischen Wahrheiten aus einem Satz
von Axiomen und Schlussregeln herzuleiten, zugrunde. Der Leibniz’sche Traum vom
„calculemus!“ schien gerettet.
Schließlich vollständig zerstört wurde der Traum erst 1931 von Kurt Gödel mit seinem ersten Unvollständigkeitssatz. Er zeigte, dass die Begriffe der Wahrheit und Beweisbarkeit nicht vereinbar sind. Genauer bewies er folgenden Satz:
Jedes hinreichend mächtige, rekursiv aufzählbare formale System ist entweder widersprüchlich
oder unvollständig.
Was bedeutet das?
• Gödel versteht unter eine Aussage eine Kette von Zeichen, die einer bestimmten
Syntax, das heißt bestimmten Bildungsregeln, genügen müssen. Für Aussagen
definiert man auf irgendeine Weise einen Begriff der Wahrheit in Bezug auf ein
Modell, das heißt etwas, von dem man sich vorstellt, das es von den Aussagen
beschrieben wird.
• Ein formales System besteht aus einer Sprache, also der Menge der erlaubten Aussagen, Axiomen, also Aussagen, die man als wahr kennt, und Schlussregeln, also (rein syntaktischen) Regeln, wie man aus bekannten wahren Aussagen neue
wahre Aussagen herleiten (also beweisen) kann.
• Dass das System rekursiv aufzählbar ist, ist eine technische Vorausetzung, die fordert, dass es einen Algorithmus gibt, der alle Ausdrücke des Systems aufzählt.
(Dieser Algorithmus läuft natürlich potentiell unendlich lange, wenn es unendlich viele Ausdrücke gibt)
• Das System ist hinreichend mächtig, wenn es zum Beispiel die natürlichen Zahlen
{1, 2, 3, . . .} mit ihrer Addition und Multiplikation beschreiben kann.
• Das System heißt widersprüchlich, wenn es eine Aussage gibt, die in ihm beweisbar ist, und deren Negation ebenfalls beweisbar ist.
14
• Das System heißt vollständig, wenn für jede Aussage gilt, dass sie oder ihre Negation beweisbar ist.
Damit ist jeder Versuch, eine Maschine zu bauen die alles Beweisen kann, von vorne herein zum Scheitern verurteilt: entweder, man hat eine Mathematik, die wiedersprüchlich ist oder es gibt wahre Aussagen, die man nicht beweisen kann.
Tatsächlich verwendet man heutzutage fast überall in der Mathematik die naive
Mengenlehre und dort, wo es wirklich darauf ankommt, beruft man sich meist auf eine
Version der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre oder die etwas allgemeinere NeumannBernays-Gödel-Mengenlehre oder noch allgemeinere Ackermann-Mengenlehre. Von
diesen Mengenlehren weiß man, dass sie widerspruchsfrei sind, also gibt es mit dem
Gödel’schen Unvollstängikeitssatz in jedem Fall unbeweisbare Aussagen.
Genaueres zu den Gödel’schen Unvollständigkeitssätzen kann man in Dirk Hoffmanns Buch Die Gödel’schen Unvollständigkeitssätze sehr verdaulich aufbereitet lesen.
Vorlesungen zu diesen Themen wie „Theoretische Informatik“oder „Formale Systeme“aus der Informatik Fakultät könnt ihr auch als Nebenfach Informatik besuchen.
15
2 Relationen und Funktionen
2.1 Was ist eine Relation?
Wir haben alle eine Vorstellung davon, was eine Relation sein sollte: Etwas, das wir
verwenden, um Beziehungen zwischen Objekten darstellen zu können. Folgendes Bild
stellt zum Beispiel die Beziehungen zwischen den Hauptfiguren von Mozarts Oper
„Così fan tutte“ dar, dabei bedeutet ein Pfeil mit einem „♥“, dass die Figur, von der
der Pfeil ausgeht, die andere Figur liebt, eine Verbindung mit einem „K“, dass die
Figuren Komplizen sind, und eine Verbindung mit einem „=“, dass die Figuren in
Wirklichkeit ein und die selbe Person sind.
=
„Albanier“ 1
♥
Ferrando
K
„Arzt“
=
Despina
Dorabella
♥
♥
K
♥
♥
K
Guglielmo
Fiordiligi
♥
=
„Albanier“ 2
Abbildung 2.1: Beziehungen zwischen Figuren in „Così fan tutte“
Unser Begriff einer Relation kann die gerichteten Beziehungen (also hier die Pfeile
mit Herzchen) formalisieren.
Definition 2.1 (Relation). Eine Relation R zwischen zwei Mengen A und B ist eine Teilmenge des kartesischen Produktes A × B also R ⊆ A × B.
Für ( a, b) ∈ R schreibt man manchmal auch aRb und sagt „a steht in Relation zu
b“, wenn keine Missvertändnisse zu befürchten sind. Notation und Sprechweise sollen
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also auch andeuten, dass etwas in einer Beziehung steht. Ein Beispiel für die Notation
ist die uns allen bekannte Relation „≤“ auf den reellen Zahlen: Wir schreiben a ≤ b,
wenn wir ( a, b) ∈≤ meinen.
Da die Elemente des kartesichen Produktes A × B Paare – also geordnet – sind können wir die Richtung der Beziehung darstellen. In der Situation unseres einführenden
Beispiels bezeichne A die Menge der Figuren in „Così fan tutte“. Dann ist die LiebesRelation die Menge
♥ = (Ferrando, Dorabella), (Guglielmo, Fiordiligi),
(Dorabella, Ferrando), (Fiordiligi, Guglielmo),
(Dorabella, „Albanier“ 2), (Fiordiligi, „Albanier“ 1)
⊆ A × A.
Aufgabe 2.1. Wie könnte man die ungerichteten Beziehungen (Komplizenschaft und Identität)
aus unserem Beispiel mengenmäßig definieren?
Aufgabe 2.2. Man könnte auch meinen, dass die drei Komplizen Ferrando, Guglielmo und
Despina in einer Beziehung stehen, zu der drei Menschen gehören und nicht in drei „Paarbeziehungen“. Wie könnte man so eine mehrstellige Relation modellieren?
2.2 Was ist eine Funktion?
Die mengentheoretische Definition des Funktionenbegriffs war einer der großen Schritte auf dem Weg zu unserem heutigen Mathematikverständnis. Noch Ende des neunzehnten Jahrhunderts verstand man unter einer Funktion im Wesentlichen – pointiert
formuliert – „Irgendetwas, für das man zu gegebenen Argumenten Werte ausrechnen
kann“.
Definition 2.2 (Funktion). Seien A und B Mengen. Eine Funktion oder Abbildung f von
A nach B, geschrieben f : A → B ist eine spezielle Relation f ⊆ A × B, sodass es
1. (linkstotal) h∀ a ∈ A : ( a, b) ∈ f i und
2. ((rechts-) eindeutig) ∀ a ∈ A ∀b, d ∈ B : ( a, b) ∈ R ∧ ( a, d) ∈ R ⇒ b = d
Für ( a, b) ∈ f schreibt man f ( a) = b. Die Menge A nennt man auch den Definitionsbereich
von f und B den Wertebereich von f .
Zur Sprechweise: Man sagt, f bilde a ∈ A auf f ( a) ∈ B ab.
Wie passt unser intuitiver Funktionsbegriff zu dieser Definition? Wir wollen, dass
wir für jedes Element a des Definitionsbereiches A ein Element des Wertebereiches
bekommen; das ist die Forderung 1 unserer Definition. Ferner wollen wir, dass eine
Funktion eindeutig in dem Sinne ist, dass jedem Argument a ∈ A auch nur ein (eindeutig bestimmter) Funktionswert f ( a) ∈ B zugeordnet wird; das ist die Forderung
2.
17
Für viele Menschen ist zum Beispiel der Ausdruck x2 eine Funktion. Für uns Mathematiker ist hingegen zum Beispiel
f :R→R
x 7→ f ( x ) = x2
eine Funktion. Zu einer Funktion gehören:
1. ein Definitionsbereich (A in der Definition)
2. ein Wertebereich (B in der Definition. Der Wertebereich ist hier also einfach nur
die Menge, in die f abbildet und kann daher echt größer als die Menge der
Funktionswerte, die f annimmt sein!)
3. eine Angabe der Zuordnung von Elementen des Definitionsbereichs zu Elementen des Wertebereichs. Diese Zuordnung kann folgendermaßen angegeben werden:
a) direkt: Für eine Funktion f mit einem Definitionsbereich, der nur endlich
viele Elemente hat, kann man jede einzelne Zuordnung einzeln angeben. Ist
zum Beispiel A = {1, 2, 3} und B = { a, b, c, d, e}, kann man f folgendermaßen schreiben:
f :A→B
1 7→ d, 2 7→ d, 3 7→ a
Zur direkten Angabe von Funktionen kann man auch eine Wertetabelle verwenden, in obigem Beispiel wäre das
x
f (x)
1
d
2
d
3
a
.
b) durch eine Zuordnungsvorschrift wie
f : R → {0, 1}
(
0, falls x ≥ 0
x 7→
1, sonst
oder eben
f :R→R
x 7→ x2 .
18
Definition 2.3 (Verkettung von Funktionen). Für Mengen A, B und C und Funktionen
f : A → B und g : B → C heißt die Funktion
(g ◦ f ) : A → C
a 7→ ( g ◦ f )( a) := g( f ( a)),
gesprochen „g nach f “ oder „g Kringel f “, die Verkettung von f mit g.
Eine der wichtigsten Fragen, die sich der kampferporbte Mathematiker nach jeder
Definition stellt, ist die nach der so genannten Wohldefiniertheit. Das kann vielerlei
bedeuten, hier ist die Frage: Kann man g auf f ( a) anwenden? Die Antwort ist natürlich
„ja“, weil f ( a) ∈ B und damit f ( a) im Definitionsberech von g liegt.
Wir schließen jetzt einen ganzen Block Definitionen an, die uns dann am Ende des
Abschnittes viel Stoff zur Diskussion in Aufgaben bieten:
Definition 2.4 (Umkehrfunktion). Sei f : A → B eine Funktion. Falls es eine Funktion
g : B → A gibt, sodass ( g ◦ f )( a) = a für alle a ∈ A und ( f ◦ g)(b) = b für alle b ∈ B,
dann nennt man die Funktion g die Umkehrfunktion oder Inverse von f und bezeichnet sie
mit f −1 .
Äquivalente Definition: Sei die Umkehrrelation R−1 einer Relation R definiert durch R−1 :=
{(b, a) | ( a, b) ∈ R}. Zu einer Funktion f ist somit immer die Umkehrrelation f −1 definiert.
Falls f −1 auch wiederum eine Funktion ist, dann ist die Umkehrfunktion durch die Umkehrrelation definiert. ( f −1 := f −1 ) (Beachte doppeldeutige Bezeichnung)
Definition 2.5 (Bildmenge, Urbildmenge). Sei f : A → B eine Funktion. Für à ⊆ A
definieren wir die Bildmenge (auch das Bild) von à unter f durch f [ Ã] := {b ∈ B|∃ a ∈
à : f ( a) = b}. Für b ∈ B definieren wir die Urbildmenge (auch das Urbild) von b unter f
durch f −1 (b) := { a ∈ A | f ( a) = b}. Ebenso definieren wir für B̃ ⊆ B die Urbildmenge
(auch das Urbild) von B̃ unter f durch f −1 [ B̃] := { a ∈ A | f ( a) ∈ B̃}.
Obige Definition ist ein Beispiel für etwas, das in der mathematischen Notation oft
vorkommt: Auch wenn f und f −1 eigentlich Symbole sind, die Funktionen bezeichnen, die auf Elemente von A beziehungsweise B angewendet werden und Elemente
von B beziehungsweise A als Funktionswerte annehmen, verwenden wir sie auch, um
Funktionen P( A) → P( B) oder B → P( A) oder P( B) → P( A) zu bezeichnen. Wir
tun das aber in einer so naheligenden Weise, dass wohl kaum Missverständnisse zu
befürchten sind. Trotz Allem ist es aber stets empfehlenswert, im Zweifel noch einmal genau aufzuschreiben, was man mit seiner Notation meint, denn mathematische
Notation ist ein Kommunikationsmittel!
Definition 2.6 (Einschränkung von Funktionen). Sei f : A → B eine Funktion und seien
à ⊆ A und B̃ ⊆ B. Dann bezeichnen
1. f | Ã die Einschränkung von f auf Ã, die definiert ist als die Funktion f | Ã : Ã → B mit
f | Ã ( a) = f ( a) für alle a ∈ Ã.
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2. falls f ( A) ⊆ B̃, bezeichnet f | B̃ die Einschränkung von f auf B̃, die definiert ist als die
Funktion f | B̃ : A → B̃ mit f | B̃ ( a) = f ( a) für alle a ∈ Ã.
3. falls f ( Ã) ⊆ B̃, bezeichnet f | B̃à die Einschränkung von f auf à und B̃, die definiert ist
als die Funktion f | B̃Ã : Ã → B̃ mit f | B̃Ã ( a) = f ( a) für alle a ∈ Ã.
Eine Bemerkung ist hier angebracht: Formulierungen wie „die Funktion f | Ã : Ã →
B mit f | à ( a) = f ( a) für alle a ∈ Ó müssen uns sofort auffallen, denn hier ist eine Behauptung versteckt, nämlich die, dass es genau eine solche Funktion gibt! An solchen
Stellen ist man als Leser aufgefordert, zu überprüfen, dass die Behauptung stimmt.
Das wollen wir hier einmal am Beispiel der ersten der obigen drei Definitionen tun.
Dazu überlegen wir uns zuerst, dass es überhaupt eine solche Funktion gibt. Wenn
f eine Funktion von A nach B ist, dann gilt insbesondere für jedes a ∈ Ã, dass es
genau ein b ∈ B mit f ( a) = b gibt, da aber f à ( a) = f ( a) für jedes a ∈ A gilt, haben wir damit Forderung 1 aus Definition 2.2 (Funktion) überprüft. Genauso können
wir auch die zweite Forderung überprüfen. Damit gibt es mindestens eine Funktion
f | Ã : Ã → B mit f | Ã ( a) = f ( a) für alle a ∈ Ã. Um einzusehen, dass es auch höchstens
eine solche Funktion gibt, nehmen wir an, es gebe eine weitere Funktion g : Ã → B
mit g( a) = f ( a) für alle a ∈ Ã. Dann gilt für alle a ∈ Ã, dass g( a) = f ( a) = f | Ã ( a)
und damit sind die Funktionen g und f | Ã als Teilmengen des kartesischen Produktes
Ã × B gleich. Da unsere Mengenlehre extensional ist, können wir g und f | à also nicht
als Mengen unterscheiden, daher gilt g = f | Ã
Definition 2.7 (einige algebraische Eigenschaften von Funktionen). Sei f : A → B eine
Funktion und gelte A ⊇ B.
1. f heißt die Identität, falls f ( x ) = x für alle x ∈ A. Man bezeichnet die Identität mit
id oder auch mit id A , wenn man den Definitionsbereich (der in diesem Fall mit dem
Wertebereich übereinstimmt) betonen will.
2. f heißt idempotent, falls f ◦ f = f ist, d. h. f ( f ( x )) = f ( x ) für alle x ∈ A
3. f heißt eine Involution, falls f ◦ f = id ist, also f ( f ( x )) = x für alle x ∈ A
4. f hat einen Fixpunkt in a ∈ A, falls f ( a) = a gilt.
Für allgemeinen Definitions- und Wertebereich A und B definieren wir noch:
5. f heißt konstant, falls ∃b ∈ B∀ a ∈ A : f ( a) = b
Aufgabe 2.3. Seien f : A → B und g : B → C Funktionen. Zeige, dass g ◦ f konstant ist,
wenn mindestens eine der Funktionen f und g konstant ist!
Gilt die Umkehrung auch, das heißt: Folgt aus der Konstanz von g ◦ f schon, dass mindestens eine der Funktionen f und g konstant ist? Begründe!
Aufgabe 2.4. Sei f : A → B eine Funktion und gebe es eine Funktion g : B → A mit
g ◦ f = id A . Gib ein Beispiel dafür an, dass f dann noch keine Umkehrfunktion haben muss!
20
Aufgabe 2.5. Gib ein Beispiel für eine Funktion f : A → A an, wobei A eine beliebige
Menge ist, sodass f eine Involution, aber nicht die Identität ist! Gib auch ein Beispiel einer
idempotenten Funktion, die nicht die Identität ist!
Aufgabe 2.6. Sei f : A → A eine Funktion, die eine Umkehrfunktion f −1 und einen Fixpunkt
a ∈ A hat. Hat f −1 dann auch einen Fixpunkt und wenn ja, welchen? Begründe!
Aufgabe 2.7. Sei f : A → B eine Funktion und à ⊆ A. Zeige, dass dann f | à = f ∩ ( Ã × B)
ist! (Dabei betrachten wir die Funktion f ganz streng im Sinne von Definition 2.2 als Menge
von Paaren.)
Die folgende Aufgabe ist wieder sehr umfangreich, muss also nicht vollständig bearbeitet werden:
Aufgabe 2.8. Welche der bislang definierten Mengenoperationen „vertragen sich“ mit der
Bildmenge oder der Urbildmenge?
Genauer: Seien f : A → B eine Funktion, M, N ⊆ A und O, P ⊆ B. Gelten zum Beispiel
f ( M ∩ N ) = f ( M) ∩ f ( N ) oder f −1 (O \ P) = f −1 (O) \ f −1 ( P)? Überlege dir, welche
ähnlichen Ausdrücke (also mit anderen Mengenoperationen) gelten!
Sind Bildmenge und Urbildmenge monoton, d.h. gilt für eine beliebige Funktion f : A → B,
M, N ⊆ A und O, P ⊆ B mit M ⊆ N und O ⊆ P, dass f ( A) ⊆ B und f −1 (O) ⊆ f −1 ( P)?
2.3 besondere Arten von Relationen
Das Konzept der Raleation ist so allgemein, dass man manche Relationen, die besonders schöne Eigenschaften haben, gesondert betrachten will, um etwas stärkere
Aussagen machen zu können. Wenn man dann mit einer Relation mit einer (oder mehererer) dieser Eigenschaften zu tun hat, kann man sofort auf einen ganzen Schatz an
„vorgefertigten“ Aussagen zurückgreifen.
Definition 2.8 (reflexiv, transitiv, symmetrisch, antisymmetrisch). Eine Relation R ⊆
A × A heißt
1. reflexiv, falls für alle a ∈ A gilt, dass ( a, a) ∈ R
2. transitiv, falls für alle a, b, c ∈ A gilt, dass ( a, b) ∈ R ∧ (b, c) ∈ R ⇒ ( a, c) ∈ R
3. symmetrisch, falls für alle ( a, b) ∈ R gilt, dass auch (b, a) ∈ R
4. antisymmetrisch, falls für alle ( a, b) ∈ R gilt, dass, wenn (b, a) ∈ R ist, schon a = b
gelten muss.
Wir wollen uns innehalten und überlegen, ob diese Namen tatsächlich sinnvoll sind
(das ist auch eine der Sachen, die man immer machen sollte, wenn man eine Definition
sieht. Oft kann man in der Mathematik aus dem Namen schon viel über eine Sache
lernen – sei es auch nur, dass der Name schlecht gewählt ist). Reflexivität, Transitivität
und Symmetrie sind gut nachzuvollziehen. Das Wort „antisymmetrisch“ tut so, als sei
es das Gegenteil von „symmetrisch“. Das tatsächlich nicht der Fall:
21
Aufgabe 2.9. Sei R ⊆ A × A eine Relation. Beweise, dass R nicht antisymmetrisch sein
muss, wenn wenn R nicht symmetrisch ist und umgekehrt.
Folgende Augfabe ist recht umfangreich, muss also nicht unbedingt übertrieben
detailreich bearbeitet werden. Es kommt auf die Intuition an!
Aufgabe 2.10. Seien R, S ⊆ A × A Relationen. Wie vertragen sich die oben definierten
Eigenschaften mit der Vereinigung und dem Durchschnitt? Das heißt: Wenn R und S zum
Beispiel reflexiv/transitiv/symmetrisch/antisymmetrisch ist, sind R ∩ S und R ∪ S dann auch
reflexiv/transitiv/symmetrisch/antisymmetrisch?
Definition 2.9 (Ordnungsrelation). Eine Ordnungsrelation ist eine Relation die reflexiv,
transitiv und antisymmetrisch ist.
Ordnungsrelationen verallgemeinern das Konzept von „≤“, wie folgende Aufgabe
zeigt:
Aufgabe 2.11. Überlege dir, dass die Relation ≤ auf den reellen Zahlen eine Ordnungsrelation
ist!
Allerdings müssen nicht alle Ordnungsrelationen einen so einfachen linearen Charakter wie ≤ haben, wie folgende Aufgabe zeigt:
Aufgabe 2.12. Vervollständige folgendes Bild indem du so vier Pfeilspitzen hinzufügst, dass
die Menge R, die für jeden der Pfeile ein Paar ( a, b) aus seinem Anfangspunkt a und seinem Endpunkt b und auch noch für jedes a ∈ {1, 2, 3, 4, 5, 6} das Paar ( a, a) enthält, eine
Ordnungsrelation wird!
2
1
3
6
5
4
Welches Prinzip fällt dir auf? (Welche Konfigurationen sind verboten)?
Definition 2.10 (Äquivalenzrelation). Eine Äquivalenzrelation ist eine Relation, die reflexiv, transitiv und symmetrisch ist.
22
Ordnungsrelationen verallgemeinern das Konzept von „=“, wie folgende Aufgabe
zeigt:
Aufgabe 2.13. Überlege dir, dass die Relation = auf den reellen Zahlen eine Ordnungsrelation
ist!
Auch die Idee „( a ≤ b ∧ b ≤ a) ⇒ a = b“ überträgt sich auf Äquivalenzrelationen
und Ordnungsrelationen:
Aufgabe 2.14. Sei S ⊆ A × A eine Ordnungsrelation. Zeige, dass dann R := {( a, b) ∈ A :
S( a, b) ∧ S(b, a)} eine Äquivalenzrelation ist.
2.4 surjektiv, injektiv, bijektiv
Wir wollen nun noch zum Schluss die wichtigen Eindeutigkeitseigenschaften von
Funktionen erklären.
Definition 2.11 (surjektiv, injektiv, bijektiv). Sei f : A → B eine Funktion. Dann heißt f
1. surjektiv, falls es für jedes b ∈ B mindestens ein a ∈ A gibt, sodass f ( a) = b.
2. injektiv, falls es für jedes b ∈ B höchstens ein a ∈ A gibt, sodass f ( a) = b.
3. bijektiv, falls f sowohl surjektiv als auch injektiv ist.
Wenn man die Injektivität einer Funtion f : A → B überprüfen will, kann man das
natürlich an Hand der Definition tun. Es bietet gibt jedoch auch die Möglichkeit, zu
überprüfen, ob für alle a1 , a2 ∈ A gilt, dass aus f ( a1 ) = f ( a2 ) schon folgt, dass a1 = a2 ,
denn diese Eigenschaft ist äquivalent zu Definition, wie folgende Überlegung zeigt:
Sei f : A → B eine Funktion mit ∀ a1 , a2 ∈ A : ( f ( a1 ) = f ( a2 )) ⇒ ( a1 = a2 ). Sei
b ∈ B. Dann gibt es entweder ein a ∈ A mit f ( a) = b oder nicht. Falls es keines
gibt, ist die Definition für „ f ist injektiv“ erfüllt. Wenn es aber ein solches a und noch
ein weiteres ã mit f ( a) = f ( ã) = b gibt, muss nach Voraussetzung a = ã sein und
damit gibt es genau ein a ∈ A mit f ( a) = b; die Definition ist also auch dann erfüllt.
Wenn andererseits f injektiv ist, dann folgt ∀ a1 , a2 ∈ A : ( f ( a1 ) = f ( a2 )) ⇒ ( a1 = a2 )
unmittelbar.
Die Eigenschaften „injektiv“, „surjektiv“ und „bijektiv“ versteht man am Besten,
wenn man sie viel benutzt, darum hier einen ganzen Block an Aufgaben dazu:
Aufgabe 2.15. Welche der folgenden Funktionen sind surjektiv/injektiv/bijekiv? Begründe!
1. f : N → N; n 7→ n + 1
2. g : {1, 2, 3} → {1, 2}; n 7→ 1
3. h : R \ {0} → {−1, 1}; x 7→
x
|x|
4. j : R → R; x 7→ x + 1
23
Aufgabe 2.16. Seien f : A → B und g : B → C Funktionen. Zeige, dass, falls g ◦ f injektiv
ist, schon f injektiv sein muss! Zeige auch, dass, wenn g ◦ f surjektiv ist, schon g surjektiv
sein muss!
Auch in diesem Kapitel soll es wieder eine Knobelaufgabe geben:
Aufgabe 2.17. Seien A und B Mengen mit m beziehungsweise n Elementen. Wie viele injektive/surjektive/bijektive Funktionen f : A → B gibt es?
Aufgabe 2.18. Sei f : A → B eine Funktion. Zeige, dass f eine Umkehrfunktion hat, wenn
f bijektiv ist! Du darfst dabei ohne Beweis verwenden, dass jede surjektive Funktion eine
Rechtsinverse hat, das heißt dass es für jede surjektive Funktion g : X → Y eine Funktion
h : Y → X mit g ◦ h = idY gibt. (Zum Beweis dieser Aussage benötigt man nämlich das
sogenannte Auswahlaxiom, das wir noch nicht kennen)
Zum Ende des Kapitels wollen wir noch einen kleinen Ausflug in die Mengenlehre
unternehmen. Wir interessieren uns dafür, zu vergleichen, ob eine Menge A mehr
Elemente hat als eine Menge B. Wenn beide Mengen nur endlich viele Elemente haben,
ist die Lösung einfach: man zählt einfach die Elemente der beiden Mengen. Es gibt
aber auch eine Möglichkeit, ohne Zählen festzustellen, welche der Mengen größer ist:
Definition 2.12 (Mächtigkeit einer Menge). Seien A und B zwei Mengen. Dann sagen wir
1. A ist mindestens so mächtig wie B, geschrieben | A| ≥ | B|, wenn es eine surjektive
Funktion f : A → B gibt.
2. A ist höchstens so mächtig wie B, geschrieben | A| ≤ | B|, wenn es eine injektive
Funktion f : A → B gibt.
3. A ist (echt) mächtiger als B, geschrieben | A| > | B|, wenn A mindestens so mächtig
wie B ist, aber B nicht auch mindestens so mächtig ist wie A.
4. A ist (echt) weniger mächtig als B, geschrieben | A| < | B|, falls B echt mächtiger als
A ist.
5. A und B sind gleichmächig, geschrieben | A| = | B|, wenn es eine bijektive Funktion
f : A → B gibt.
Was ist die Idee hinter dieser Definition? Wenn man zum Beispiel einen Bus hat mit
einer Anzahl Sitzen und eine andere Anzahl Menschen, die mit dem Bus fahren wollen, gibt es zwei Möglichkeiten, festzustellen, ob es gleich viele Sitze wie Menschen
gibt: Entweder, man zählt oder man bittet alle, sich hinzusetzen. Wenn jemand stehenbleibt, gibt es weniger Sitze als Menschen, wenn ein Sitz leer bleibt, gibt es mehr
Sitze als Menschen. Das Hinsetzenlassen kann man auch als Funktion von der Menge
der Menschen in die Menge der Sitze verstehen: jedem Menschen wird ein Sitz zugeordnet. Wenn jeder seinen eigenen Sitz bekommen hat, ist die Funktion injektiv und
es muss, wie schon bemerkt, mindestens so viele Sitze wie Menschen geben. Wenn
sich mehrere Leute einen Sitz teilen müssen, ist die Funktion surjektiv und es gibt
24
höchstens so viele Sitze als Menschen. Wenn jeder genau einen Sitz bekommen hat
und alle Sitze besetzt sind, ist die Funktion bijektiv und es gibt genau so viele Sitze
wie Menschen.
Was ist nun der Grund dafür, dass wir die Mächtigkeit von Mengen nicht einfach
durch Zählen definieren? Der eine – systematische – Grund ist, dass wir eigentlich
noch gar nicht wissen, was Zahlen sind. Der andere – viel spannendere – Grund ist,
das sich unsere Definition auch auf Mengen mit unendlich vielen Elementen übertragen lässt. Wir können also auch entscheiden, ob zwei Mengen mit unendlich vielen
Elementen gleich viele Elemente haben. Bevor wir mit einer Betrachtung dieser neuen
Idee das Kapitel abschließen, noch zwei letzte Aufgaben:
Aufgabe 2.19. Sei A eine Menge. Zeige, dass dann |P( A)| ≥ | A|.
Aufgabe 2.20. Seien A und B Mengen, wobei A ⊆ B. Mache dir klar, das dann auch | A| ≤
| B |.
Jetzt wird es spannend: Während die Aussage der letzten Aufgabe für endliche
Mengen auch noch gilt, wenn man „⊆“ mit „(“ und „≤“ mit „<“ erstetzt, überträgt
sich das nicht auf Mengen mit unendlich vielen Elementen. Betrachte dazu die Mengen
N = {1, 2, 3, . . .} und N \ {1} = {2, 3, 4, . . .}. Dann ist die Funktion f : N → N \
{1}; n 7→ n + 1 bijektiv, also gilt |N| = |N \ {1}|, obwohl N ⊇ N \ {1}. Man könnte
jetzt sagen das man das noch nicht verwunderlich findet, weil ja „∞ − 1 = ∞“ gilt
(was auch immer das bedeutet). Ein ähnliches Beispiel, aber eine Spur schärfer liefert
die uns allen bekannte Exponentialfunktion exp : R → (0, ∞); x 7→ e x (dabei bedeutet
(0, ∞) die Menge { x ∈ R|0 < x < ∞}). Auch diese Funktion ist bijektiv, also hat die
Menge der reellen Zahlen die gleiche Mächtigkeit wie die Menge der positiven reellen
Zahlen. (In diesem Absatz haben wir zwei einfach zu überprüfende Behauptungen
über die Funktionen f und exp gemacht, die nicht begründet wurden. Das ist in fast
allen Texten über Mathematik üblich, um nicht unnötig lange Texte zu bekommen. In
solchen Situationen ist man als Leser immer angehalten, jede der Behauptungen zu
prüfen, wenn sie einem nicht unmittelbar klar ist.)
Die gerade gezeigten Beispiele geben Anlass zu folgender Frage:
Haben alle Mengen mit unendlich vielen Elementen die gleiche Mächtigkeit?
Die verblüffende Antwort ist „nein“. Als Georg Cantor diese Tatsache als Erster feststellte, war das für viele Mathematiker seiner Zeit ein Grund, die Mengenlehre insgesamt als unnütz oder falsch abzulehnen. Es entsponn sich in den Jahren darauf ein
Streit in der mathematischen Welt, der bisweilen mit religiösem Eifer geführt wurde.
Auf der einen Seite standen die Formalisten um David Hilbert und die göttiger Mathematiker als Befürworter der Mengenlehre, auf der anderen Seite die Intuitionisten
um Luitzen Egbertus Jan Brouwer oder auch Jules Henri Poincaré.
Wir wollen uns einmal Cantors Argument anschauen, mit dem er man zeigen kann,
dass |R| > |N|. Zunächst wissen wir aus Aufgabe 2.20, dass |R| ≥ |N|, weil N ⊆ R.
Wir bemerken weiterhin, dass es, ebenfalls wegen Aufgabe 2.20, ausreicht, zu zeigen,
dass |(0, 1)| > |N|, da (0, 1) := { x ∈ R|0 < x < 1} ⊆ R. Nun gehen wir vom Gegenteil
25
aus und nehmen an, es gebe eine surjektive Funktion f : N → (0, 1). Man kann diese
Funktion als eine Aufzählung der reellen Zahlen in (0, 1) bezeichnen. Wenn eine solche
Funktion existiert, können wir sie auch durch eine unendlich lange Wertetabelle angeben,
ungefähr so:
n
1
2
3
4
..
.
f (n)
0,
0,
0,
0,
..
.
1
1
5
3
..
.
4
2
5
1
..
.
6
3
5
4
..
.
0
1
5
1
..
.
0
2
5
5
..
.
0
3
5
9
..
.
0
1
5
2
..
.
0
2
5
6
..
.
0
3
5
5
..
.
0
1
5
3
..
.
...
...
...
...
Leere Stellen am rechten Ende der Tabelle füllen wir dabei mit Nullen auf. Cantor
zeigt nun, dass es zu viele reelle Zahlen zwischen 0 und 1 gibt, um sie selbst auf
eine solche unendlich lange Liste zu schreiben. Dafür muss man nur zwei Sachen
bemerken:
1. Da f nach Annahme surjektiv ist, gibt es für jede reelle Zahl x ∈ (0, 1) eine
natürliche Zahl n mit f (n) = x.
2. Wir konstruieren nun eine Zahl c ∈ (0, 1), die nicht auf der Liste ist: Sie fängt
mit „0,“ an und ihre erste Nachkommastelle ist eine beliebige Ziffer, die nicht
die erste Nachkommastelle der ersten Zahl auf der Liste ist. Damit gilt c 6=
f (1). Die zweite Nachkommastelle von c ist eine beliebige anere Ziffer als die
zweite Nachkommastelle der zweiten Zahl auf der Liste, damit ist c 6= f (2).
Allgemein ist die n-te Nachkommastelle von c stets unterschiedlich zu der n-ten
Nachkommastelle von f (n) zu wählen, womit für alle n ∈ N gilt, dass c 6= f (n).
Da aber nach unserer Konstruktion c ∈ (0, 1) ist, widersprechen sich Punkt 1 und
Punkt 2, also kann es keine surjektive Funktion N → (0, 1) geben, also gibt es echt
mehr reelle Zahlen als natürliche Zahlen: Unendlichkeit ist nicht gleich Unendlichkeit.
Wir schließen, indem wir noch einmal Bezug zum Abschluss des letzten Kapitels nehmen: Dort hatten wir gesagt, dass es innerhalb unserer auf (zum Beispiel)
der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre beruhenden Mathematik unbeweisbare Aussagen
gibt. Eine dieser Aussagen ist die sogenannte Kontinuumsphypothese, die Cantor 1878
aufgestellt hat:
Es gibt keine Menge, deren Mächtigkeit zwischen der Mächtigkeit der natürlichen Zahlen und
der Mächtigkeit der reellen Zahlen liegt.
Diese Aussage lässt sich mit den Zermelo-Fraenkel-Axiomen (mit dem Auswahlaxiom) nicht widerlegen, wie Gödel 1938 bewies. Paul Cohen bewies in den 1960er Jahren, dass sie sich ebenfalls nicht beweisen lässt. Wir können uns also in gewisser Weise „aussuchen“, ob wir eine Mathematik mit oder ohne Kontinuumshypothese haben
wollen.
26
3 Beweistechniken
3.1 Was ist ein Beweis?
Wir haben bereits viele Aufgaben der Form „Beweise, dass . . . “ bearbeitet. Es wird also
höchste Zeit, dass wir uns mit dem Begriff des Beweises eingehender beschäftigen. Wir
wollen uns dem Begriff von zweimal zwei jeweils gegensätzlichen Richtungen nähern:
• Induktion vs. Deduktion: In einer klassischen, aristotelischen Wissenschaftstheorie funktioniert wissenschaftliche Wahrheitsfindung so, wie folgendes Bild darstellt:
Theorie (allgemein)
Deduktion
Induktion
Empirie (speziell)
Abbildung 3.1: Induktion und Deduktion
Das induktive Schließen ist also das „verallgemeinernde“ Schließen von einem
Beispiel auf die zugrundeliegende Theorie: Ein Wissenschaftler macht also ein
Experiment und erachtet dabei (hoffend, das das funktioniert) einige der Parameter seines Experimentes für unwichtig, um vom Ergebnis des Experiments
abstrahierend einen Satz zu finden, den er für wahr erachtet. Ausgehend von
einer Menge solcher Wahrheiten bedient er sich hingegen im deduktiven Teil seiner Wahrheitsfindung der Logik, um Vorhersagen über die Spezialfälle, die ihm
in der Empirie begegnen, zu machen. (Diese Vorhersagen werden dann wieder
überprüft und der Kreislauf aus Induktion und Deduktion beginnt erneut) Die
Grundlage der Deduktion ist das Prinzip, dass, wenn alle Annahmen wahr und
ihre Bedeutung klar und unzweideutig ist, auch alle mittels logischen Schließens
aus ihnen gewonnenen Aussagen wahr sind.
Es ist noch zu erwähnen, das dieses Modell der wissenschaftlichen Wahrheitsfindung nicht in allen (modernen) Schulen der Wissenschaftsphilosophie anerkannt
ist. Insbesondere ist nach Karl Popper auch das Schließen von der Empirie auf
die Theorie deduktiv, indem man den Wert von Experimenten in der Falsifikation
von Theorien sieht. Damit sind alle Regeln des induktiven Schließens bestenfalls
Hilfsmittel, um eine Theorie zu finden, die dann falsifiziert werden kann und da-
27
mit der ganze wissenschaftliche Erkenntnisprozess deduktiv. (Etwas ungeschliffen könnte man diesen Standpunkt mit „Experimente können nichts beweisen,
sondern nur widerlegen“ zusammenfassen.)
In der Mathematik will man (mindestens seit der Jahrhundertwende) ausgehend
von Axiomen (also einer sehr kleinen Theorie im Sinne von Abbildung 3.1) rein
deduktiv vorgehen. Ein Beweis im Sinne der Mathematik soll also nicht nur eine
Aneinanderreihung plausibler Argumente sein sondern stets deduktiv – vom
Allgemeinen auf das Spezielle, in jedem Schritt logisch begründbar. Argumente
wie „Alle bislang beobachteten Schwäne weiß, also können wir davon ausgehen,
dass alle Schwäne weiß sind“ sind in der Mathematik nicht erlaubt.
Es ist eine philosophische Frage, ob die Mathematik streng betrachtet einen Gegenstand außer sich selbst hat, ob es also eine empirische Seite der Mathematik
überhaupt gibt.
• Intuition vs. Formalismus: Angenommen, wir haben eine Aussage A in einer
Sprache L (zum Beispiel der Mathematik), die bewiesen werden soll. Der Beweis
soll auch in der Sprache L formuliert werden. Was dann einen Beweis B von
A ausmacht, ist ein Urteil U, das heißt eine Aussage in der so genannten metaSprache, die wir verwendet haben, um die Sprache L zu definieren. U soll gerade
die Aussage „B ist ein gültiger Schluss.“ sein. Wenn U wahr ist, dann ist B ein
gültiger Beweis, sonst nicht. Im Falle unsereres täglichen Mathematikgebrauchs
kommt erschwerend hinzu, dass wir meist mathematische Begriffe und natürliche Sprache gemischt verwenden, sodass Sprache und meta-Sprache schwer
voneinander zu trennen sind.
Es sollte uns als Menschen schon möglich sein, U zu prüfen und einen Beweis als
Beweis zu erkennen, wenn wir einen sehen; allerdings ist es wohl (bislang?) nicht
möglich, in allen Fällen festzulegen, wann U wahr ist, sodass man diese Aufgabe
einem Computer geben könnte. Wenn man hingegen einen vorgeblichen Beweis
in einer klar umrissenen formalen Sprache hat, erwarten wir schon, dass auch
ein Computer urteilen kann.
Wenn wir aber die Sprache des Beweises ganz genau festlegen, also uns ein
formales System aussuchen, sind wir wieder an die Aussage des Gödel’schen Unvollständigkeitssatzes gebunden und damit wird unser Begriff eines Beweises
wieder nicht genau das tun, was wir von ihm erwarten. Es wird wahre Aussagen geben, die wir nicht formal beweisen können.
Man kann also wieder einmal sagen, dass das Konzept der Wahrheit sich der Formalisierung entzieht, oder, anders ausgedrückt: Wenn wir annehmen, dass die
alle Wahrheit, die wir in der Mathematik finden können, durch Beweise entsteht
(das ist diskutabel!), ist es unmöglich, die Regeln, was ein Beweis sein soll, auf
vollständig formalisierte Weise anzugeben, ohne das Wesentliche zu verlieren.
Der letzte Punkt, den wir dieser Diskussion hinzufügen wollen ist Folgender: Im
Wesentlichen ist Mathematik etwas, das Menschen machen, und Beweise dienen
28
der Kommunikation zwischen Menschen. Wenn man das Gefühl hat, etwas ist
ein Beweis, ist es auch meistens einer.
Wer gerne ein wenig die Welt der ganz formalen Beweise erkunden will, kann das
zum Beispiel auf metamath.org tun.
Folgende Aufgaben sollen Diskussionsstoff bieten:
Aufgabe 3.1. Welche der folgenden Schlüsse sind induktiv, welche sind deduktiv? (Die Antwortmöglichkeiten sind diskutabel, es kommt auf die Begründung an!)
1. „Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt nicht am Tatort, also kann er nicht der Täter
sein.“
2. „Von einem repräsentativ ausgewählten Teil der Bevölkerung würden sich 58% Montag
eine neue Digitalkamera kaufen, wenn Sonntag Bundestagswahl wäre. Wahlen heizen
also die Nachfrage nach Digitalkameras an.“
3. „Wenn es regnet, wird der Boden nass. Der Boden ist nicht nass, also hat es nicht
geregnet.“
4. „Ich habe mich auf eine Krankheit testen lassen und der Test ist negativ ausgefallen. Also
bin ich nicht krank.“
5. „Das Gravitationsgesetz und das Coulomb’sche Gesetz der Elektrostatik haben die gleiche
mathematische Form. Deswegen können wir annehmen, dass die Elektronen sich auf
elliptischen Bahnen um den Atomkern bewegen, so wie die Planeten um die Sonne.“
Aufgabe 3.2. Welche der folgenden in mathematischer und deutscher Sprache formulierten
Aussagen sind meta-Aussagen (d.h. Aussagen über Mathematik), welche sind mathematische
Aussagen?
1. Die Aussage A ⇒ B ist, bei gegebenen Axiomen S1 , S2 , . . ., beweisbar genau dann, wenn
die Aussage B beweisbar ist, wenn man A, S1 , S2 , . . . als Axiome nimmt. (Deduktionstheorem)
2. Wenn die Kontinuumshypothese gilt, dann gibt es eine Zerlegung der Ebene in zwei
Mengen A und B, wobei A höchstens durch die Menge der Ordinaten und B durch die
der Abszissen abgezählt werden kann. (was auch immer das bedeutet) (Sierpiński 1919)
3. Die Kontinuumshypothese ist von den Axiomen der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre unabhängig.
4. Wir werden die Riemann’sche Vermutung vielleicht niemals beweisen.
29
3.2 Ein Bisschen Material – Geometrie
Naturgemäß wollen wir uns in einem Kapitel über Beweise viele Beweise anschauen.
Damit wir auch etwas Interessantes zum Beweisen haben, nehmen wir die ebene und
räumliche Geometrie im Axiomensystem von David Hilbert als Gegenstand. Schon
Euklid hat in seinen Elementen, die für viele Jahrhunderte der Standard für Beweistechniken schlechthin waren, eine Axiomatisierung der Geometrie gegeben. Insofern
reihen wir uns hier in eine der ältesten Traditionen der Mathematik ein, wenn wir
unsere Beweistechniken am Beispiel einer axiomatischen Geometrie studieren.
Die Objekte unserer Geometrie sind Punkte, Geraden und Ebenen. Wir beueichnen die
Menge der Punkte mit P , die Menge der Geraden mit G und die Menge der Ebenen
mit E . Keiner dieser Begriffe wird definiert; stattdessen ergeben sich die Bedeutungen
implizit aus den in den Axiomen festgelegten Beziehungen. Als strengem Formalisten war es Hilbert nur daran gelegen, die logische Struktur, die unsereren Gedanken
über Geometrie zugrundeliegt, zu formulieren. Ob wir uns also tatsächlich die Punkte,
Ebenen und Geraden des dreidimensionalen Raumes vorstellen oder die berühmten
„Tische, Stühle und Bierseidel“, wird für unsere Übelegungen bedeutungslos sein.
Trotzdem werden wir, mit jeder geometrischen Aussage, die wir aus den Axiomen
beweisen, in einer gewissen Weise die Veranschaulichung mittels der gewohnten Geometrie immer weiter „rechtfertigen“, weil wir feststellen werden, dass die Begriffe sich
tatsächlich so verhalten, wie wir es erwarten.
Hilbert fasste seine Axiome in fünf Gruppen zusammen. Wir wollen aber nur die
Axiome der ersten zwei Gruppen (in leicht veränderter Form) betrachten.
Die erste Gruppe enthält die Axiome der Inzidenz. Implizit definieren sie Begriffe wie „liegen auf“, „verbinden“, . . . , die heutzutage mit dem allgemeineren Wort
der Inzidenz zusammengefasst werden. Dieser Begriff verallgemeinert Konzepte wie
„Punkt liegt auf Gerade“ oder „Gerade liegt auf Ebene“. Die Inzidenzrelation I ⊆
(P ∪ G ∪ E ) × (P ∪ G ∪ E ) ist eine Relation auf der Menge aller Punkte, Ebenen und
Geraden. Sie ist per Definition symmetrisch, das heißt für „Punkt liegt auf Gerade“
können wir „Punkt inzidiert mit Gerade“ oder „Gerade inzidiert mit Punkt“ sagen.
Um Schreibarbeit zu sparen, bezeichnen wir ab jetzt Punkte stets mit Großbuchstaben,
Geraden stets mit Kleinbuchstaben und Ebenen mit kleinen griechischen Buchstaben.
Bei Aussagen mit Quantoren ist, wenn nichts dabeisteht, der Individuenbereich stets
H. Die Axiome der Gruppe I beschreiben Eigenschaften der Inzidenzrelation I. Wir
schreiben sie einmal formal logisch auf, einmal in einer natürlichsprachlichen Version,
die wir auch meist verwenden werden, wenn keine Missverständnisse zu befürchten
sind.
I.1 ∀ P, Q : P 6= Q ⇒ (∃!g : PIg ∧ QIg) – Für zwei verschiedene Punkte P und Q
gibt es eine genau eine Gerade g, die durch P und Q geht.
I.2 ∀ g, P, Q : gIP ∧ gIQ ⇒ (@h : h 6= g ∧ hIP ∧ hIQ) – Für jede Gerade g und je zwei
Punkte P und Q auf g ist g die einzige Gerade, die durch P und Q geht.
I.3 ∀ g∃ P, Q : gIP ∧ gIQ ∧ p 6= q – Auf jeder Geraden liegen mindestens zwei ver-
30
schiedene Punkte. Ferner ∀ε∃ P, Q, R∀ g : εIP ∧ εIQ ∧ εIR ∧ P 6= Q ∧ Q 6= R ∧ R 6=
P ∧ ( gIP ∧ gIQ ⇒6 ( gIR)) – Auf jeder Ebene liegen mindestens drei nicht in einer
Geraden gelegene, verschiedene Punkte.
I.4 ∀ P, Q, R : P 6= Q ∧ Q 6= R ∧ R 6= P ∧ (@ g : gIP ∧ gIQ ∧ gIR) ⇒ (∃!ε : εIP ∧ εIQ ∧
εIR) – Für drei verschiedene Punkte P, Q und R, die nicht auf einer Geraden
liegen, gibt es genau eine Ebene ε, auf der P, Q und R liegen.
I.5 ∀ε, P, Q, R : εIP ∧ εIQ ∧ εIR ∧ (@ g : gIP ∧ gIQ ∧ gIR) ⇒ (@δ : δ 6= ε ∧ δIP ∧ δIQ ∧
δIR) – Für jede Ebene ε und je drei Punkte P, Q und R auf ε, die nicht auf einer
Geraden liegen, ist ε die einzige Ebene, auf der P, Q und R liegen.
I.6 ∀ P, Q, g, ε : PIg ∧ QIg ∧ εIg ⇒ (∀ R : RIg ⇒ RIε) – Wenn zwei Punkte P und Q
einer Geraden g in einer Ebene ε liegen, liegt jeder Punkt auf g in ε.
I.7 ∀ε, δ, P : PIε ∧ PIδ ⇒ (∃ Q : Q 6= P ∧ εIQ ∧ δIQ) – Wenn zwei Ebenen ε und
δ einen Punkt P gemeinsam haben, gibt es noch einen weiteren Punkt, den sie
gemeinsam haben.
I.8 ∃ P, ε : ¬( PIε) – Es gibt eine Ebene und einen Punkt, der nicht auf dieser Ebene
liegt.
Aufgabe 3.3. Axiom I.8 ist ein typisches Beispiel einer Reichhaltigkeitsforderung. Wozu
brauchen wir es?
Aufgabe 3.4. Ist die Inzidenzrelation transitiv? Begründe!
3.3 Direkter Beweis
Mit den Axiomen der Gruppe I haben wir schon einmal etwas Stoff, um über Beweise
zu reden. Sehen wir uns also einen Satz und seinen Beweis an:
Satz 3.1. Seien zwei Ebenen gegeben, die einen Punkt gemeinsam haben. Dann stimmen entweder die Ebenen überein oder es gibt eine Gerade, auf der alle ihre gemeinsamen Punkte liegen.
Beweis. Seien ε und δ zwei Ebenen, die einen Punkt P gemeinsam haben. Nach Axiom
I.7 gibt es noch einen weiteren Punkt Q, den ε und δ gemeinsam haben. Durch P und
Q verläuft nach Axiom I.1 genau eine Gerade g. Sei R ein weiterer Punkt, den ε und δ
gemeinsam haben. Wenn R nicht auf g liegt, gibt es nach Axiom I.4 genau eine Ebene,
die P, Q und R enthält, also muss dann δ = ε sein.
Dieser Beweis hat sozusagen die Urform aller Beweise: Man will eine Implikation
A ⇒ B beweisen und tut das, indem man jede Implikation in der Kette A ⇒ H1 ⇒
H2 ⇒ · · · ⇒ B zeigt. Beachte, dass jeder Satz des Beweises eine Formulierung wie
„nach Axiom . . . “ enthält. Der deduktive Charakter mathematischer Beweise wird also
auch sprachlich deutlich, leider oft auf Kosten einer abwechslungsreichen Sprache.
31
Aufgabe 3.5. Schreibe einen direkten Beweis für folgende Aussage: „Es gibt mindestens drei
verschiedene Geraden.“
Aufgabe 3.6. Schreibe einen direkten Beweis für folgende Ausssage: „Seien f , g und h drei
Geraden und A, B, C drei Punkte, sodass A auf f und g liegt, B auf g und h liegt und C auf h
und f liegt. Falls dann A = B ist und C 6= A, stimmen schon alle drei Geraden überein.“
Aufgabe 3.7. Zum Beispiel der erste Teil von Aufgabe 1.9, die Aufgaben 1.11, 1.12, 2.6, 2.14,
2.16, 2.18 und 2.19 lassen sich gut mit direkten Beweisen lösen. Hier kannst du üben, einen
direkten Beweis zu schreiben.
3.4 Widerspruchsbeweis
Sehen wir noch einen Satz und seinen Beweis an. Wir nennen den Satz aber nicht
einen Satz, sondern ein Lemma, weil er eher den Charakter einer Hilfsaussage hat. Wo
man die Grenze zwischen einem Lemma und einem Satz zieht, ist nicht ganz klar und
im Wesentlichen eine Geschmacksfrage. Lemmata (oder Lemmas) dienen im Wesentlichen zwei Zwecken: erstens möchte man vielleicht eine Hilfsaussage „abkapseln“, um
sie wiederverwenden zu können, andererseits kann man durch die Verwendung von
Lemmata einen großen, unübersichtlichen Beweis in kleine, verdauliche Teile zerlegen.
Lemma 3.2. Für jede Gerade gibt es einen Punkt, der nicht auf der Geraden liegt.
Beweis. Angenommen, es gebe eine Gerade g, sodass alle Punkte auf g liegen. Nach
Axiom I.8 gibt es eine Ebene ε und einen Punkt P, der nicht auf ε liegt. Nach Axiom
I.3 gibt es drei verschiedene Punkte R, S, T, die auf ε liegen. Nach unserer Annahme
liegen alle der Punkte P, Q, R, S auf g. Axiom I.6 muss damit insbesondere P auf ε
liegen, das ist ein Widerspruch. Also muss unsere Annahme falsch sein und damit
gibt es für jede Gerade g einen Punkt, der nicht auf g liegt.
Die Strategie des Widerspruchsbeweises ist es, wenn eine Aussage A zu beweise ist,
zu zeigen, dass ¬ A eine falsche Aussage ist. In unserem Beispiel ist A die Aussage
„Für jede Gerade gibt es einen Punkt, der nicht auf der Geraden liegt“. Nach Aufgabe
1.7 ist die Negation von A gerade: „Es gibt eine Gerade, auf der alle Punkte liegen“.
Diese Aussage widerlegen wir im Beweis, indem wir zeigen, dass sie den Axiomen
widerspricht. Die dem zugrundeliegende logische Tatsache ist, dass, wenn S1 , . . . , Sn
wahr sind (also die Axiome), der Wahrheitswert von S1 ∧ · · · ∧ Sn ∧ A gerade der
Wahrheitswert von A ist.
Aufgabe 3.8. Seien ε und δ zwei verschiedene Ebenen, die einen Punkt gemeinsam haben.
Dann wissen wir aus Satz 3.1, dass es eine Gerade g gibt, die alle gemeinsamen Punkte von ε
und δ enthält. Schreibe einen Widerspruchsbeweis für die folgende Aussage: „Alle Punkte von
g liegen in ε und δ.“
Aufgabe 3.9. Schreibe einen Widerspruchsbeweis dafür,
√ dass die Wurzel aus 2 irrational ist,
d.h. dafür, dass es keine ganzen Zahlen p und q mit 2 = p/q gibt.
32
Aufgabe 3.10. Zum Beispiel die Aufgaben 2.18, 2.19 (das ist nicht ganz einfach, aber nett)
und 2.20 lassen sich gut mit Widerspruchsbeweisen lösen. Hier kannst du üben, einen Widerspruchsbeweis zu schreiben.
3.5 Beweis durch Kontraposition
Sehen wir uns noch einen Satz mit seinem Beweis an:
Satz 3.3. Je zwei voneinander verschiedene Geraden schneiden sich in höchstens einem Punkt.
Beweis. Seien h und g zwei Geraden. Wir zeigen, dass, wenn es zwei Punkte P und Q
gibt, die beide sowohl auf g als auch auf h liegen, g und h übereinstimmen:
Nach Axiom I.1 gibt es genau eine Gerade i, die durch P und Q geht. Nach Axiom
I.2 ist i die einzige Gerade, die durch P und Q geht. Da P und Q auch auf g liegen,
stimmen nach Axiom I.2 g und i überein. Mit selbigem Argument stimmen auch h
und i überein. Damit folgt h = i = g.
Diese Art, Beweise zu formulieren, nennt man Beweis durch Kontraposition. Man will
eine Implikation A ⇒ B beweisen (hier: Aus der Vierschiedenheit zweier Geraden
folgt, dass sie höchstens einen Punkt gemeinsam haben). Da aber, wie wir uns in
Aufgabe 1.2 überlegt haben, A ⇒ B und ¬ B ⇒ ¬ A äquivalent sind, beweist man
einfach die zweite Aussage (hier: aus der Tatsache, dass es mindestens zwei Punkte
gibt, die sowohl auf g als auch auf h liegen, folgt, dass g und h übereinstimmen).
Aufgabe 3.11. Formuliere den Beweis von Satz 3.3 in einen direkten Beweis um.
Aufgabe 3.12. Zum Beispiel die Aufgaben 1.9, 2.3 und 2.20 lassen sich gut mit Kontrapositionsbeweisen lösen. Hier kannst du üben, einen Kontrapositionsbeweis zu schreiben.
3.6 Beweis durch Fallunterscheidung
Sehen wir uns noch einen Satz mit seinem Beweis an:
Satz 3.4. Wenn sich zwei Geraden schneiden, liegen alle ihre Punkte in einer Ebene.
Beweis. Seien g und h zwei Geraden, die sich in einem Punkt P schneiden. Nach Satz
3.3 gilt dann entweder h = g oder es gibt keinen weiteren Schnittpunkt von h und g.
Betrachten wir beide Fälle einzeln:
• Falls h = g dann gibt es nach Axiom I.3 noch mindestens einen weiteren Punkt
Q auf der Geraden g. Nach Lemma 3.2 gibt es noch einen weiteren Punkt R, der
nicht auf g liegt. Nach Axiom I.4 gibt es also eine Ebene ε, die die Punkte P, Q
und R enthält. Nach Axiom I.6 liegen auch alle Punkte von g in ε, also ist in
diesem Falle die behauptung gezeigt.
33
• Sei nun g 6= h und P der einzige Schnittpunkt von h und g. Dann gibt es nach
Axiom I.3 noch einen weiteren Punkt Q auf g und einen weiteren Punkt R auf h.
Weiters liegt nach Axiom I.2 wegen g 6= h der Punkt R nicht auf g und ist damit
insbesondere verschieden von Q. Damit sagt Axiom I.4 wieder, dass es eine Ebene ε gibt, die P, Q und R enthält. Nach Axiom I.6 liegen ferner alle Punkte von h
und alle Punkte von g in ε, also ist auch in diesem Fall die Behauptung gezeigt.
Beweise wie den gerade abgeschlossenen nennt man Beweis durch Fallunterscheidung.
Man will eine Implikation A ⇒ B zeigen (hier: Daraus, dass sich zwei Geraden schneiden, folgt, dass alle ihre Punkte in einer Ebene liegen). Dieses Problem zerlegt man
folgendermaßen in Teilprobleme: Vielleicht gibt es Aussagen H1 , H2 , sodass die Implikationen A ∧ Hi ⇒ B leichter zu beweisen sind (hier: H1 ist die Aussage „g = h“
und H2 die Aussage „g 6= h und P ist der einzige Schnittpunkt von g und h“). Wenn
H1 ∨ H2 eine wahre Aussage ist (hier wurde das von Satz 3.3 bewiesen), folgt aus der
Wahrheit aller Implikationen A ∧ Hi ⇒ B die Implikation A ⇒ B:
Aufgabe 3.13. Überlege dir, dass aus der Wahrheit von H1 ∨ H2 und A ∧ H1 ⇒ B und
A ∧ H1 ⇒ B folgt, dass A ⇒ B gilt! Du kannst zum Beispiel die Ergebnisse von Aufgabe 1.2
und die De Morgan’schen Regeln benutzen oder eine Wahrheitstafel.
Aufgabe 3.14. Zum Beispiel die Aufgabe 2.17 lässt sich gut mit Beweis durch Fallunterscheidung lösen. Hier kannst du üben, einen Beweis durch Fallunterscheidung zu schreiben.
3.7 Mehr Geometrie
Die Axiome der Gruppe II definieren implizit den Begriff zwischen als Beziehung dreier Punkte. Formal werden Eigenschaften einer dreistelligen Relation Z := {( A, B, C ) ∈
{Menge der Punkte}| B liegt zwischen A und C } beschrieben. Wir notieren ( A, B, C ) ∈
Z durch A[ B]C.
II.1 Seien A, B und C Punkte. Falls B zwischen A und C liegt, liegt B auch zwischen
C und A. Ferner existiert dann eine Gerade g, auf der alle drei Punkte liegen.
II.2 Zu zwei verschiedenen Punkten A und C gibt es stets wenigstens einen weiteren
Punkt B, der zwischen A und C liegt, und wenigstens einen weiteren Punkt D,
so dass C zwischen A und D liegt.
II.3 Von drei Punkten auf einer Geraden gibt es höchstens einen, der zwischen den
anderen liegt.
Definition 3.5 (Strecke). Für zwei Punkte A und B ist die Strecke AB die Menge der Punkte,
die zwischen A und B liegen.
34
II.4 Seien A, B und C drei Punkte, die nicht auf einer Geraden liegen und g eine
Gerade in der Ebene, die A, B und C enthält, die keinen der Punkte A, B und C
trifft. Wenn dann g einen Punkt der Strecke AB trifft, trifft g auch einen Punkt
der Strecke BC oder einen Punkt der Strecke CA.
Dieses Axiom ist auch als Satz von Pasch bekannt und das erste der Axiome, die bei
Euklid noch nicht auftauchen. Euklid und seine Schüler erachteten solcherlei für offensichtlich, auch wenn es nicht aus den anderen Axiomen folgte. Es stellt sich aber
heraus, dass, wenn man eine Geometrie haben will die sich wie erwartet verhält und in
der man nicht sagen will, dass irgendetwas offensichtlich sei, man den Satz von Pasch
oder eine andere, vor dem Hintergrund der anderen Axiome äquivalente Aussage
benötigt.
Aufgabe 3.15. Formuliere das Axiom II.4 in natürlicher Sprache und veranschauliche es dir
mit einem Bild.
3.8 Äquivalenzen
Satz 3.6. Seien g und h zwei Geraden. Dann sind folgende Aussagen äquivalent:
1. g und h schneiden einander.
2. Für jeden Punkt A auf g gibt es einen Punkt B auf h und einen Punkt C auf g, sodass
B zwischen A und C liegt.
3. Es gibt einen Punkt A auf g und einen Punkt B auf h und einen Punkt C auf g, sodass
B zwischen A und C liegt.
Beweis. „1⇒2“ Es schneiden sich die beiden Geraden g und h im Punkt B. Sei A ein
beliebiger Punkt auf g. Da g und h sich in B schneiden, muss B auch auf g liegen.
Nach Axiom II.2 gibt es einen Punkt C, sodass B zwischen A und C liegt. C muss nach
Axiom II.1 auf g liegen.
„2⇒3“ Gilt, weil es nach Axiom I.3 einen Punkt auf g gibt. („für alle“⇒„es gibt“!)
„3⇒1“ Seien A, C ein Punkte auf g und B ein Punkt auf H, sodass A[ B]C. Dann liegt
nach Axiom II.1 B auch auf g, also schneiden sich g und h in B.
Aufgabe 3.16. Zeige, dass folgende Aussagen äquivalent sind:
1. Auf jeder Ebene liegen unendlich viele verschiedene Punkte.
2. Auf jeder Geraden liegen unendlich viele verschiedene Punkte.
3. Auf jeder Geraden liegen zwei verschiedene Punkte.
35
3.9 Beweis durch (Gegen-) Beispiel
Beweise durch Beispiel eignen sich zum Beispiel, wenn man zeigen soll, dass etwas,
dass bestimmte Eigenschaften hat, existiert. Wir haben viele solche Aufgaben schon
bearbeitet. Auch kann man, wenn man eine Aussage über alle Elemente einer Menge
widerlegen will, einfach ein Element der Menge angeben, für das die Aussage nicht
gilt und hat damit einen Beweis durch Gegenbeispiel erbracht.
Wir wollen jetzt einen großen Beweis durch Beispiel anfangen: Alle die Axiome
und Aussagen, die wir bislang gesehen haben, treffen auf unsere erste anschauliche
Vorstellung von Punkten, Ebenen und Geraden zu. Wir wollen in diesem Abschnitt
beweisen, dass das Poincaré’sche Halbebenenmodell der hyperbolischen Ebene die
Axiome, die wir bislang betrachtet haben, erfüllt. Damit werden wir einen typischen
Beweis durch Beispiel erbringen, dass es eine Struktur gibt, die tatsächlich die von den
Axiomen beschriebenen Eigenschaften hat.
Weil wir uns aber auf eine ebene Geometrie beschränken wollen, ersetzen wir ein
paar unserer Axiome durch schwächere Formulierungen, die alle Aussagen über unterschiedliche Ebenen ausschließen. Die Menge der Ebenen sei jetzt leer. Axiome mit
„’“ treten dabei an Stelle der Versionen ohne „’“. Alle nicht aufgeführten Axiome bleiben unverändert.
I.3’ Auf jeder Geraden liegen mindestens zwei verschiedene Punkte.
I.8’ Es gibt eine Gerade und einen Punkt, der nicht auf der Geraden liegt.
II.4’ Seien A, B und C drei Punkte, die nicht auf einer Geraden liegen und g eine
Gerade, die keinen der Punkte A, B und C trifft. Wenn dann g einen Punkt der
Strecke AB trifft, trifft g auch einen Punkt der Strecke BC oder einen Punkt der
Strecke CA.
Die Axiome I.4, I.5, I.6, und I.7 werden ersatzlos gestrichen.
Folgende Aufgabe zeigt, dass wir uns mit dieser Veränderung eine Ebene aus unserer bislang betrachteten Geometrie „ausschneiden“, dass also „in jeder Ebene die
Axiome I.1, I.2, I.3’, I.8’ gelten“. Eigentlich interessant (da nicht ganz so einfach wie
die anderen) ist aber nur die Aussage über I.8’:
Aufgabe 3.17. Zeige, dass es in jeder Ebene ε eine Gerade g und einen Punkt, der nicht auf g
liegt, gibt.
Definition 3.7 (Poincaré’sches Halbebenenmodell der hyperbolischen Ebene). Sei die
Menge der Punkte definiert als die Punkte der bekannten x-y-Ebene mit positiver y-Koordinate:
P := {( x, y) ∈ R × R|y > 0}
Ferner sei die Menge der Geraden definiert als die Vereinigung der Menge der auf der x-Achse
senkrecht stehenden Halbgeraden mit der Menge der Halbkreise mit Mittelpunkt auf der x-
36
Achse:
G := {(ξ, η ) ∈ R × R|η > 0}ξ ∈ R ∪
2
2
2
∪ {(ξ, η ) ∈ R × R|(ξ − x ) + η = r ∧ η > 0} x ∈ R ∧ r > 0
Die Inzidenzrelation I ⊆ (P ∪ G) × (P ∪ G) sei definiert durch
PIg :⇔ gIP :⇔ P ∈ g
für alle P ∈ P und g ∈ G . Die „zwischen“-Relation sei definiert dadurch, dass A[ B]C, genau
dann, wenn es eine Gerade g gibt, auf der A, B und C liegen und
1. falls g von der Form {( x, y) ∈ R2 |y > 0} ist, für die y-Koordinaten von A, B und C
(bezeichnet mit y A , y B , yC ) gilt, dass y A ≤ y B ≤ yC oder yC ≤ y B ≤ y A .
2. falls g von der Form {( x, y) ∈ R2 |( x − m)2 + y2 = r2 ∧ y > 0} ist, für die yKoordinaten von A, B und C (bezeichnet mit x A , x B , xC ) gilt, dass x A ≤ x B ≤ xC
oder xC ≤ x B ≤ x A .
y
..
.
..
.
x
Abbildung 3.2: ein paar Punkte und Geraden im Poincaré’schen Halbebenenmodell
der hyperbolischen Ebene
Definition 3.8 (Dreieck). Für drei Punkte A, B und C bezeichnet ABC das Dreieck mit den
Ecken A, B und C. Es ist definiert als die Menge der Punkte der Strecken AB, BC und CA.
Diese Strecken heißen die Seiten des Dreiecks.
Definition 3.9 (Parallele). Zwei Geraden heißen parallel, falls sie sich in keinem Punkt
schneiden.
Diese Aufgabe zeigt, dass die hyperbolische Ebene noch ein paar Eigenschaften hat,
die wir von unserer Geometrie nicht gewöhnt sind:
Aufgabe 3.18. Sei g eine Gerade der hyperbolischen Ebene und P einer ihrer Punkte. Wie
viele Parallelen, die durch P verlaufen, hat g?
Wir wollen die hyperbolischen Winkel als die Winkel, die man im Poincaré’schen Modell
misst, verstehen (normalerweise macht man das nicht so!). Gib ein Beispiel eines (hyperbolischen) Dreiecks mit Innenwinkelsumme kleiner als π! (am Besten ohne zu rechnen!)
37
Diese Aufgabe ist sehr umfangreich, wiederholt viel vom Abiturstoff (über Schnittpunkte von Kreisen etc.) und wird uns nun den ganzen Rest des Abschnittes beschäftigen:
Aufgabe 3.19. Zeige, dass das Poincaré’sche Halbebenenmodell der hyperbolischen Ebene die
Axiome I.1, I.2, I.3’, I.8’, II.1, II.2, II.3 und II.4’ erfüllt.
38
4 Vollständige Induktion
4.1 Die Idee der vollständigen Induktion
Die vollständigen Induktion ist ein Beweisverfahren für Aussagen über alle natürlichen Zahlen. Bevor wir beginnen, ein Haarspalter-Caveat: Im Sinne des Anfangs von
Kapitel 3 ist der Name „vollständige Induktion“ falsch (sofern Namen überhaupt falsch
sein können), denn es handelt sich um eine deduktive Art des Schließens.
Eine der schönsten Erklärungen, was vollständige Induktion ist, kommt aus dem
Buch The Art of Computer Programming von Donald Ervin Knuth. Wir übernehmen
diese Erklärung hier direkt:
Sei P(n) eine Aussage über die natürliche Zahl n; beispielsweise könnte P(n) „n mal
(n + 3) ist eine gerade Zahl“ oder „falls n ≥ 10, dann ist 2n > n3 “ sein. Angenommen,
wir wollen P(n) für alle n ∈ N beweisen. Eine wichtige Möglichkeit, das zu tun, ist
1. zu beweisen, dass P(1) wahr ist
2. zu beweisen, dass „wenn alle der Aussagen P(1), P(2), . . . , P(n) wahr sind, dann
auch P(n) gilt“. Dieser Beweis sollte für jede natürliche Zahl n gelten.
Als Beispiel betrachten wir folgende Folge von Gleichungen:
1 = 12 ,
1 + 3 = 22 ,
1 + 3 + 5 = 32 ,
1 + 3 + 5 + 7 = 42 ,
1 + 3 + 5 + 7 + 9 = 52 .
Man kann die allgemeine Eigenschaft als
1 + 3 + · · · + (2n − 1) = n2
schreiben. Diese Gleichung sei nun mit P(n) bezeichnet; wir wollen beweisen, dass
P(n) für alle n ∈ N wahr ist. Wenn wir uns an die Vorgehensweise oben halten, haben
wir:
1. „P(1) ist wahr, weil 1 = 12 .“
2. „Wenn alle Aussagen P(1), P(2), . . . , P(n) wahr sind, ist insbesondere P(n) wahr;
indem wir darin zu beiden Seiten 2n + 1 addieren, erhalten wir
1 + 3 + · · · + (2n − 1) + (2n + 1) = n2 + 2n + 1 = (n + 1)2 ,
was beweist, dass P(n + 1) ebenfalls stimmt“
39
Wir können diese Methode als algorithmische Beweismethode auffassen. Tatsächlich druckt
der folgende Algorithmus einen Beweis von P(n) für jedes n ∈ N, angenommen, man
hat Punkte 1 und 2 ausgetüftelt:
Schritt 1 Setze k = 1 und, drucke den Beweis aus Punkt 1.
Schritt 2 Falls k = n, beende den Algorithmus; der geforderte Beweis ist ausgedruckt.
Schritt 3 Entsprechend Punkt 2 drucke einen Beweis, dass „wenn P(1), P(2), . . . , P(k ) wahr
sind, auch P(k + 1) wahr ist“. Drucke auch „Wir haben schon bewiesen, dass
P(1), P(2), . . . , P(k ) wahr sind, also ist P(k + 1) wahr“.
Schritt 4 Erhöhe k um 1 und fahre bei Schritt 2 fort.
Da dieser Algorithmus offensichtlich für jedes gegebene n ∈ N einen Beweis für P(n)
druckt, ist diese Beweistechnik logisch zulässig. Diese Technik des Beweisens, nur die
Punkt 1 und 2 zu beweisen, nennt man Beweis durch vollständige Induktion, Punkt 1
nennt man den Induktionsanfang und Punkt 2 den Induktionssschritt. Die Variable n,
die im Induktionsschrit auftaucht, nennt man Induktionsvairable. Im Induktionsschritt
wird die Induktionsvoraussetzung, hier „P(1), P(2), . . . , P(n) sind wahr“, verwendet.
Ein Hinweis zur Schreibweise für Summen und Produkte: Für einen Term T (i ) der
von i abhängt, und m, n ∈ N mit m ≤ n bedeutet
n
∑ T ( i ) = T ( m ) + T ( m + 1) + T ( m + 2) + · · · + T ( n − 2) + T ( n − 1) + T ( n )
i =m
und
n
∏ T ( i ) = T ( m ) · T ( m + 1) · T ( m + 2) · · · T ( n − 2) · T ( n − 1) · T ( n ).
i =m
Sehen wir uns nun einmal an, wie man einen Induktionsbeweis formal richtig aufschreibt:
Satz 4.1. Es gilt für alle n ∈ N, dass
n
∑i
i =1
3
=
n ( n + 1)
2
2
.
Beweis. Wir beweisen die Behauptung durch vollständige Induktion nach n.
Induktionsanfang (n = 1): Es gilt ∑1i=1 i3 = 13 = 1 = ((1(1 + 1))/2)2 .
2
n ( n +1)
Induktionsvoraussetzung: Gelte für ein n ∈ N, dass ∑in=1 i3 =
.
2
40
Induktionsschritt: Für n wie in der Induktionsvoraussetzung gilt
n +1
n
i =1
i =1
∑ i 3 = ∑ i 3 + ( n + 1)3
2
n ( n + 1)
+ ( n + 1)3
2
(n2 + 4(n + 1))(n + 1)2
n2 ( n + 1)2 + 4( n + 1)3
=
=
4
4
2
2
2
( n + 2) ( n + 1)
(n + 1)(n + 2)
=
=
4
2
Induktionsvoraussetzung
=
und damit gilt die Behauptung auch für n + 1.
Induktionsbeweise muss (und kann!) man üben, darum einmal einen ganzen Block
an Übungen:
Aufgabe 4.1. Beweise mit vollständiger Induktion, dass ∑in=1 i = 21 n(n + 1) für alle n ∈ N!
Kennzeichne dabei Induktionsanfang, Induktionshypothese und Induktionsschritt!
Aufgabe 4.2. Beweise mit vollständiger Induktion, dass für q 6= 1 und alle n ∈ N die Formel
n
∑
qk =
k =0
1 − q n +1
1−q
gilt. (Partialsumme der geometrischen Reihe)
Aufgabe 4.3. Beweise mit vollständiger Induktion, dass für a1 , a2 , . . . , an > 0 mit ∏nk=1 ak =
1 gilt, dass ∑nk=1 ak ≥ 1. Folgere die Ungleichung vom geometrischen und arithmetischen
Mittel: Es gilt für alle x1 , x2 , . . . , xn > 0
s
n
1 n
n
∏ xk ≤ n ∑ xk .
k =1
k =1
Aufgabe 4.4. Für welche n ∈ N gilt 2n ≥ n2 ? Stelle eine Vermutung auf und beweise sie
mit vollständiger Induktion.
Aufgabe 4.5. Folgende Aufgabe ist aus dem Buch The Art of Computer Programming von
Donald Knuth: Etwas kann am folgenden Beweis nicht stimmen. Was ist es?
„Satz. Sei a > 0. Dann gilt für jedes n ∈ N, dass an−1 = 1. Beweis. Sei a > 0. Induktionsanfang: Für n = 1 gilt an−1 = a0 = 1. Induktionshypothese: Gelte für ein n ∈ N, dass
ak−1 = 1 für alle k ∈ N mit k ≤ n. Induktionsschritt: Sei n wie in der Induktionshypothese.
Dann gilt
a n −1 · a n −1
1·1
a(n+1)−1 = an = (n−1)−1 =
= 1.
1
a
Also gilt die Behauptung auch für n + 1.“
41
Aufgabe 4.6. Angenommen, es gibt 3- und 5-Taler-Münzen. Beweise mit vollständiger Induktion, dass man jede Rechnung von mehr als 7 Talern bezahlen kann, ohne Wechselgeld zu
kriegen! (Wir nehmen an, dass man nur runde Beträge bezahlen muss, es also keine halben
Taler gibt.)
Die nächste Aufgabe enthält Teilaufgaben unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades:
Aufgabe 4.7. Die Fibonacci-Zahlen (nach Leonardo Bonacci, bekannt als Fibonacci) sind eine
Zahlenfolge, definiert ist durch f 0 := 0, f 1 := 1 und für alle n ≥ 2 durch f n := f n−1 + f n−2 .
Eine solche Definition nennt man eine induktive Definition. Die ersten Glieder der Folge sind also 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, . . .. Beweise folgende Eigenschaften der FibonacciZahlen durch vollständige Induktion:
1. Für alle n ≥ 0 gilt ∑in=0 f i = f n+2 − 1.
2. Für alle n ≥ 0 und m ≥ 1 gilt f m+n = f n+1 f m + f n f m−1 . Tip: Mache den Induktionsanfang für m = 1 und m = 2.
3. Für alle n ≥ 1 gilt f n+1 f n−1 − f n2 = (−1)n (Identität von Cassini, nach Giovanni
Domenico Cassini). Was at diese Formel mit folgendem Bilderrätsel zu tun?
?
4. Für alle n ≥ 3 ist f 2n−1 die Länge der Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks mit
ganzzahligen Seitenlängen. (Erinnerung: Die Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks ist die Seite, die dem rechten Winkel gegenüberliegt. Sie ist die längste der Seiten
des Dreiecks. Die anderen Seiten heißen Katheten. In jedem rechtwinkligen Dreieck gilt
der Satz des Pythagoras: a2 + b2 = c2 , wobei a und b die Längen der Katheten und c
die Länge der Hypotenuse bezeichnen. Diesen Satz darfst du ohne Beweis verwenden.)
Aufgabe 4.8. Quicksort ist ein Algorithmus zum Sortieren von Listen. Die Arbeitsweise
des Algorithmus wird von folgendem Pseudocode illustiert. Dabei ist liste die zu sortierende
Liste. Die Funktion concat(l1,l2) nimmt zwei Listen l1 und l2 und fügt sie zur Liste, die
zuerst die Elemente von l1 und dann die Elemente von l2 enthält, zusammen. Die Funktion
42
append(l,a) nimmt eine Liste l und hängt das Element a an. Die Funktion createlist(l)
legt eine leere Liste mit Namen l an. Die Funktion laenge(l) gibt an, wie viele Elemente die
Liste l hat. Der Befehl return gibt den den Wert des ihm folgenden Ausdruckes zurück.
function quicksort(liste)
falls laenge(liste) > 1
e:= irgendein Element von liste
createlist(links)
createlist(rechts)
für alle a in liste
falls e < a
append(links,a)
sonst
append(rechts,a)
ende
ende
return concat(quicksort(links),quicksort(rechts))
sonst
return liste
ende
ende
Beweise durch Induktion nach n, dass der Algorithmus eine Liste mit n verschiedenen (d.h. für
je zwei ist eines immer strikt größer) Elementen aufsteigend sortiert!
Wir haben jetzt schon viele Induktionsbeweise durchgeführt, ohne uns systematische gedanken zu machen, warum wir überhaupt so argumentieren dürfen. Die Tatsache, auf der Beweise mittels vollständiger Indukion beruhen, dass man mit der Idee
„von einer Zahl zu ihrem Nachfolger gehen“ alle natürlichen Zahlen erreicht, ist für
unser Gefühl selbstverständlich. Tatsächlich ist es aber eine Eigenschaft, die wir fordern
müssen, wenn wir die natürlichen Zahlen definieren. Darum ist der nächste Abschnitt
einem axiomatischen Zuganz zu den natürlichen Zahlen gewidmet, der „nachträglich“
rechtfertigt, was wir hier getan haben.
4.2 Natürliche Zahlen – die Peano-Axiome
Wer Zahlen mag, ist bislang in diesem Brückenkurs ein wenig kurz gekommen. Jetzt
fangen wir an, ernsthaft über Zahlen zu reden. Dies sind die berühmten PeanoAxiome der natürlichen Zahlen, welche die Menge N der natürlichen Zahlen und
ihre Eigenschaften festlegen:
P1 0 ∈ N
P2 ∀n ∈ N : Sn ∈ N
P3 ∀n ∈ N : Sn 6= 0
43
P4 ∀m, n : Sn = Sm ⇒ m = n
P5 0 ∈ X ∧ (∀n ∈ N : n ∈ X ⇒ Sn ∈ X ) ⇒ X ⊇ N
Wenn wir Sn als „Nachfolger von n“ lesen, können wir obige Axiome folgendermaßen
verstehen:
P1 0 ist eine natürliche Zahl. („0“ ist hier erst einmal nur ein Symbol und hat nichts
mit der uns bekannten Zahl zu tun; wie im letzten Kapitel sollen unsere Axiome
nur die Struktur der natürlichen Zahlen einfangen. Bedeutungen ergeben sich
auch hier implizit)
P2 Jede natürliche Zahl n hat einen Nachfolger Sn, der auch eine natürliche Zahl
ist.
P3 0 ist kein Nachfolger einer natürlichen Zahl
P4 Enthält die Menge X die 0 und für jede natürliche Zahl auch ihren Nachfolger,
dann enthält X schon alle natürlichen Zahlen
Das letzte Axiom heißt auch Induktionsaxiom. Wir werden sehen, dass es die Grundlage
für die Beweismethode der vollständigen Induktion bildet. Achtung: hier fangen die
natürlichen Zahlen mit Null an!
Folgende Aufgabe illustriert, wozu wir Axiom P3 brauchen.
Aufgabe 4.9. Zeige, dass die Menge Ñ := {0, 1, 2} mit S0 = 1,S1 := 2, und S2 := 0 alle
der Peano-Axiome außer P3 erfüllt.
Definition 4.2 (Addition und Multiplikation). Wir definieren die Funktionen ·, + : N ×
N → N durch
n + 0 :=n
n + Sm :=S(n + m)
n · 0 : =0
n · Sm :=(n · m) + n
für alle n, m ∈ N.
Obige Definition ist ein Beispiel dessen, was man eine rekursive oder induktive Definition nennt. Die Möglichkeit, solche Definitionen aufschreiben zu können, macht den
Umgang mit den natürlichen Zahlen so schön. Weil nämlich die Menge {0, S0, SS0, SSS0, SSSS0, . . .}
nach Axiom P5 alle natürlichen Zahlen enthält, wissen wir mit den Informationen, die
uns die Definition gibt, schon für alle natürlichen Zahlen m, n, was m + n und m · n
bedeuten.
Wir definieren 1 := S0 und nennen 1 Eins.
Aufgabe 4.10. Beweise Sn = n + 1 für alle n ∈ N.
44
Mit dieser Aufgabe haben wir jetzt die Berechtigung erworben, Ausagen über natürliche Zahlen so mit vollständiger Induktion zu beweisen, wie wir es im ersten Abschnitt des Kapitels vorgestellt haben. Wir können die Menge {0, S0, SS0, SSS0, SSSS0, . . .}
jetzt nämlich als {0, 1, 1 + 1, 1 + 1 + 1, 1 + 1 + 1 + 1, . . .} schreiben und wissen immer
noch wegen Axiom P5, dass sie alle natürlichen Zahlen enthält.
Natürlich wollen wir von nun an nicht alle natürlichen Zahlen als 1 + 1 + 1 + · · · + 1
schreiben. Deswegen wollen wir ab jetzt die natürliche Zahl
SSS
| {z. . . S} 0
n mal
mit dem gewohnten Symbol, nämlich der bekannten Zahl n, bezeichnen, also zum
Beispiel SSSSS0 mit 5. Für uns sind diese Zeichen ab jetzt aber immer im Sinne der
Peano-Axiome zu verstehen und alle Eigenschaften der natürlichen Zahlen, die wir
verwenden wollen, müssen aus den Axiomen hergeleitet werden! Aufgrund der induktiven Natur der natürlichen Zahlen werden wir fast alle Beweise von Eigenschaften
natürlicher Zahlen Induktionsbeweise sein, so auch der des folgenden Satzes, indem
sogar ein Induktionsbeweis in einem anderen verschachtelt ist:
Satz 4.3 (Kommutativgesetz für die Addition). Es gilt das Kommutativgesetz der Addition natürlicher Zahlen, d.h. für m, n ∈ N gilt m + n = n + m.
Beweis. Wir gehen in drei Schritten vor:
1. Es gilt m + 0 = 0 + m für alle natürlichen Zahlen m. Wir zeigen diese Behauptung
durch vollständige Induktion: Induktionsanfang (m = 0): Es gilt 0 + 0 = 0 + 0.
Induktionshypothese: Es gebe ein m ∈ N mit m + 0 = 0 + m. Induktionsschritt:
Dann gilt
Sm + 0
Definition von +
=
Definition von +
=
Induktionsvoraussetzung
=
Definition von +
=
Sm
S ( m + 0)
S (0 + m )
0 + Sm.
2. Es gilt m + Sn = Sm + n für alle natürlichen Zahlen m und n. Wir zeigen die
Behauptung durch vollständige Induktion nach n: Induktionsanfang (n = 0):
m + S0
Definition von +
=
Definition von +
=
Definition von +
=
45
S ( m + 0)
Sm
Sm + 0
Induktionshypothese: Es gebe n ∈ N mit m + Sn = Sm + n für alle m ∈ N.
Induktionsschritt: Dann gilt
m + SSn
Definition von +
=
Induktionsvoraussetzung
=
Definition von +
=
S(m + Sn)
S(Sm + n)
Sm + Sn.
3. Für m, n ∈ N gilt m + n = n + m. Wir zeigen die Behauptung durch vollständige
Induktion nach m: Induktionsanfang m = 0: Siehe Schritt 1. Induktionshypothese: Es gebe ein m ∈ N mit m + n = n + m für alle n ∈ N. Induktionsschritt: Dann
gilt
n + Sm
Definition von +
=
Induktionsvoraussetzung
=
Definition von +
=
S(n + m)
S(m + n)
m + Sn
Schritt 2
= Sm + n
Die folgende Aufgabe ist nicht so streng formal wie die anderen. Tatsächlich vermischt sie absichtlich unsere intuitive Vorstellung von den natürlichen Zahlen mit den
axiomatisch definierten natürlichen Zahlen. Das Distributivgesetz kann man natürlich
auch ohne solcherlei ungenaues Terrain zu betreten beweisen. Die Aufgabe sollte am
Besten an der Tafel gelöst werden, damit sie Diskussionsstoff bietet.
Aufgabe 4.11. Beweise mit vollständiger Induktion, dass für alle n, m ∈ N
m·n = 0+m
| +m+
{z· · · + m}
n-mal
gilt. Folgere daraus, dass für alle m, n, o ∈ N das Distributivgesetz m · (n + o ) = m · n + m ·
o der Addition und Multiplikation gilt. Welche Probleme siehst du mit dieser Vorgehensweise?
Aufgabe 4.12. Beweise mit vollständiger Induktion das Kommutativgesetz der Multiplikation,
d.h. m · n = n · m für alle m, n ∈ N.
Du wirst vermutlich viele der bisher bewiesenen Eigenschaften der natürlichen Zahlen benötigen. Du darfst auch das Distributivgesetz verwenden. Begründe jeden deiner Schritte mit
einer zuvor bewiesenen Eigenschaft oder einem der Axiome P1-P5!
46
5 Algebra
In diesem Kapitel wollen wir die Betrachtungen rund um die Frage „Was sind Zahlen?“, die wir im letzten Kapitel angefangen haben, fortsetzen. Nur soll unser Fokus
nun eher auf den Eigenschaften der Rechenoperationen als den Zahlen selbst liegen.
Diesen Teil der Mathematik nennt man Algebra. Sie beschäftigt sich mit algebraischen
Strukturen; in diesem Kapitel wollen wir zwei algebraische Strukturen kennenlernen:
Gruppen und Körper.
5.1 Gruppen
Eine Bewegung ist eine Funktion f : R2 → R2 , die Länge beibehält, Stauchen und
Strecken sind also verboten. Für eine gegebene geometrische Figure in der Ebene ist
eine Symmetrie dieser Figur eine Bewegung, nach der die Figur gleich aussieht.
Betrache ein gleichseitiges Dreieck ABC in der Ebene. Dann muss eine Symmetrie
des Dreiecks jede Ecke des Dreiecks auf eine Ecke abbilden; um das ewinzusehen,
nehme man an, f sei eine Symmetrie von ABC und ABC habe Seitenlänge 1. Dann
müssen f ( A), f ( B) und f (C ) Ecken sein, weil die Entfernungen zwischen den Punkten
1 sein müssen und die größte Entfernung, die zwei Punkte von ABC haben können,
gerade 1 ist, die von je zwei Ecken angenommen wird.
Wir wollen die Symmetrien aufschreiben, indem wir angeben, wohin die Punkte
A, B, C abgebildet werden. Beispielsweise bezeichne ( ACB) die Symmetrie, die A fest
lässt und B und C vertauscht. Sie ist gerade die Spiegelung an der Geraden, die durch
A und den Mittelpunkt der Strecke BC geht. Es gibt noch zwei weitere solche Spiegelungen, nämlich ( BAC ) und (CBA). Ferner gibt es noch zwei Drehungen, nämlich
( BCA) und (CAB) und die „triviale“ Symmetrie ( ABC ).
Die spannende Beobachtung ist nun, dass man mit diesen Symmetrien „rechnen“
kann, wenn man die Menge {( ABC ), ( BCA), (CAB), ( ACB), ( BAC ), (CBA)} mit der
Hintereinanderausführung von Funktionen als Rechenoperation betrachtet. Das Konzept, eine Menge mit einer Rechenoperation auszustatten, ist die Idee der Definition,
was eine Gruppe sein soll:
Definition 5.1. Ein Paar ( G, ∗) aus einer Menge G und einer Funktion ∗ : G × G →
G; ( a, b) 7→ a ∗ b, heißt eine Gruppe, falls
1. ein Assoziativgesetz gilt, das heißt, falls für alle a, b, c ∈ G gilt, dass ( a ∗ b) ∗ c =
a ∗ ( b ∗ c ).
2. es ein neutrales Element gibt, das heißt, falls es e ∈ G gibt, sodass für alle a ∈ G gilt,
dass e ∗ a = a ∗ e = a
47
3. jedes Element ein inverses Element hat, das heißt, falls es für jedes a ∈ G ein a−1 ∈ G
gibt, sodass a ∗ a−1 = a−1 ∗ a = e, wobei e das neutrale Element von G ist.
Dann nennt man ∗ die Verknüpfung der Gruppe.
Man kann die Verküpfung einer endlichen Gruppe auch in einer sogenannten Verknüpfungtafel darstellen. Hier ist die Verknüpfungstafel de Gruppe aus dem Beipiel,
wobei i := ( ABC ), d1 := ( BCA), d2 := (CAB), s1 := ( ACB), s2 := ( BAC ), s3 = (CBA).
◦
i
d1
d2
s1
s2
s3
i
i
d1
d2
s1
s2
s3
d1
d1
d2
i
s3
s1
s2
d2
d2
i
d1
s2
s3
s1
s1
s1
s2
s3
i
d1
d2
s2
s2
s3
s1
d2
i
d1
s3
s3
s1
s2
d1
d2
i
Abbildung 5.1: die Verknüpfungstafel der Gruppe aus dem Beispiel
Die Tafel ist so zu verstehen, dass in der j-ten Spalte der i-ten Zeile der Tabelle das
Produkt des i-ten mit dem j-ten Element der Gruppe steht.
Aufgabe 5.1. Überzeuge dich davon, dass die Menge der Symmetrien des gleichseitigen Dreiecks aus dem Beispiel mit der Hintereinanderausführung tatsächlich eine Gruppe bildet!
Aufgabe 5.2. Welche der folgenden Paare von Menge und Verknüpfung sind Gruppen? Begründe!
1. (N, +)
2. (N, ·)
3. (R, +)
4. (R \ {0}, ·)
5. ({ f : M → M | f ist bijektiv}, ◦) für eine Menge M
6. (Z, −)
Aufgabe 5.3. Zeige, dass jede Gruppe genau ein neutrales Element hat und dass jedes ihrer
Elemente genau ein inverses Element hat.
Aufgabe 5.4. Sei ( G, ∗) eine Gruppe. Zeige, dass ( a ∗ b)−1 = b−1 ∗ a−1 für alle a, b ∈ G.
Aufgabe 5.5. Beweise die Kürzregel: Für jede Gruppe ( G, ∗) und a, b, c ∈ G gilt a ∗ b =
a ∗ c ∨ b ∗ a = c ∗ a ⇒ b = c. Was bedeutet sie für die Verknüpfungstafel?
48
Definition 5.2 (abelsche Gruppe). Eine Gruppe ( G, ∗) heißt abelsch (nach Niels Abel),
falls in ihr das Kommutativgesetz gilt, d.h. falls für alle a, b ∈ G
a∗b = b∗a
gilt.
Aufgabe 5.6. Vervollständige folgende Verknüpfungstafel so, dass sie eine abelsche Gruppe
beschreibt. Du hast dann die Klein’sche Vierergruppe (nach Felix Klein) gefunden.
◦
1
a
b
c
1
a
a
1
b
c
c
Definition 5.3 (zyklische Gruppe). Eine Gruppe ( G, ∗) heißt zyklisch, falls es a ∈ G gibt,
sodass es für jedes b ∈ G eine natürliche Zahl n mit
an := |a ∗ a ∗{z· · · ∗ }a = b
n-mal
gibt. Das Element a wird Erzeuger von G genannt.
Aufgabe 5.7. Zeige, dass jede zyklische Gruppe abelsch ist.
Aufgabe 5.8. Zeige, dass jede Gruppe mit drei Elementen eine zyklische Gruppe ist.
5.2 Körper
Wenn man algebraische Strukturen mit mehr als einer Operation betrachtet, ist es natürlich, zunächst von dem gewohnten Rechnen mit den reellen Zahlen zu abstrahieren.
Eine Möglichkeit, das zu tun, sind Körper.
Definition 5.4. Ein Tripel (F, +, ·) aus einer Menge F und Funktionen +, · : F2 → F heißt
ein Körper, falls es 0, 1 ∈ F mit 0 6= 1 gibt, sodass
1. (F, +) eine abelsche Gruppe mit neutralem Element 0 ist.
2. (F \ {0}, ·) eine abelsche Gruppe mit neutralem Element 1 ist.
3. das Distributivgesetz gilt, d.h. falls für alle a, b, c ∈ F gilt, dass
a · (b + c) = a · c + a · b.
Für a ∈ F bezeichnet man das inverse Element von a in (F, +) mit − a und das inverse
Element von a in (F, ·) mit a−1 . Wenn keine Missverständnisse zu befürchten sind, schreibt
man auch F statt (F, +, ·).
49
Aufgabe 5.9. Welche der folgenden Tripel (F, +, ·) sind Körper?
1. (N, +, ·)
2. (Z, +, ·)
3. (R, +, ·)
4. (R, +, ÷)
5. F2 := ({0, 1}, +, ·) mit + und · gemäß folgender Verknüpfungstafeln:
+
0
1
0
0
1
·
0
1
1
1
0
0
0
0
1
0
1
Aufgabe 5.10. Sei (F, +, ·) ein Körper. Zeige, dass dann für alle a ∈ F gilt, dass 0 · a = 0.
Aufgabe 5.11. Sei (F, +, ·) ein Körper. Verwende Aufgabe 5.10, um zu zeigen , dass − a =
(−1) · a für alle a ∈ F.
Aufgabe 5.12. Sei (F, +, ·) ein Körper. Verwende Aufgaben 5.10 und 5.11, um zu zeigen,
dass dann a · b = (− a) · (−b) für alle a, b ∈ F gilt.
Aufgabe 5.13. Wie viele verschiedene Körper mit drei Elementen gibt es?
5.3 Körper mit Ordnung
Definition 5.5 (totale Ordnungsrelation). Eine Ordnungsrelation R ⊆ A2 heißt total, falls
für alle a, b ∈ A gilt, dass a ≤ b oder b ≤ a. (kein entweder-oder!)
Definition 5.6 (geordneter Körper). Ein Quadrupel (F, +, ·, ≤) aus einem Körper (F, +, ·)
und einer totalen Ordnungsrelation ≤ auf F definiert ist, heißt geordneter Körper (oder auch
angeordneter Körper), falls sich die Ordnung mit den Körperoperationen verträgt, das heißt,
falls für a, b, c ∈ F gilt:
1. a ≤ b ⇒ a + c ≤ b + c
2. a ≤ b ∧ 0 ≤ c ⇒ a · c ≤ b · c
Elemente a ∈ F mit a ≤ 0 und a 6= 0 heißen negativ, Elemente mit 0 ≤ a und a 6= 0 heißen
positiv. Wir schreiben für a, b ∈ F:
1. a < b, wenn a ≤ b und a 6= b
2. a ≥ b, wenn b ≤ a
3. a > b, wenn b < a
50
Aufgabe 5.14. Sei ( F, +, ·, ≤) ein geordneter Körper. Zeige, dass dann a < 0 ⇔ − a > 0 für
alle a ∈ F.
Aufgabe 5.15. Sei ( F, +, ·, ≤) ein geordneter Körper. Verwende Aufgabe 5.14, um zu zeigen,
dass dann a2 := a · a > 0 für alle a ∈ F mit a 6= 0.
Aufgabe 5.16. Verwende Aufgaben 5.12 und 5.15 um zu zeigen, dass in jedem geordneten
Körper 0 < 1 gilt!
Aufgabe 5.17. Verwende Aufgabe 5.16, um mit vollständiger Induktion zu zeigen, dass in
jedem geordneten Körper
0 < 1| + 1 +{z· · · + 1}
n-mal
für alle n ∈ N gilt. Folgere daraus unter Verwendung von Aufgabe 5.5, dass jeder geordnete
Körper unendlich viele Elemente haben muss.
51
6 Komplexe Zahlen
6.1 Motivation und Einführung
In den reellen Zahlen hat die Gleichung x2 = −1 bekanntlich keine Lösung. Wir haben auch mit den Aufgaben 5.14 und 5.15 bewiesen, dass diese Gleichung in keinem
geordneten Körper lösbar ist. Die komplexen Zahlen werden ein Körper sein, in dem
diese Gleichung eine Lösung hat; damit können die komplexen Zahlen schon kein
geordneter Körper mehr sein. Weiterhin werden wir die reellen Zahlen mit einer Teilmenge der komplexen Zahlen solcherart identifizieren können, dass im Sinne dieser
Identifikation die Rechenoperationen der komplexen Zahlen die der reellen Zahlen
erweitern.
2
Wenn wir die Gleichung
rein formal
√ x = −1 lösen wollen, könnten wir zunächst
√
Lösungen mit x1,2 = ± −1 angeben; dabei entspricht dem Symbol −1 keine reelle
Zahl und es ist auch nicht klar, was die Wurzel überhaupt bedeuten soll. Man behilft
sich hier, indem man die neue Zahl i einführt, die darüber definiert ist, das sie die
Gleichung
i2 = −1
√
erfüllt; dann ist „i = −1“. Historisch bedingt heißt i die imaginäre Einheit.
Fügt man i den reellen Zahlen hinzu und rechnet wie gewohnt mit Multiplikation
und Addition, wobei man i2 stets mit −1 ersetzt, erhält man viele neue Zahlen wie
zum Beispiel 2i, 4 + 7i, −98 + 2i , . . .. All diese Zahlen sind von der Form
a + bi
für reelle Zahlen a und b. Die Menge dieser Zahlen nennt man die komplexen Zahlen
und bezeichnet sie mit C. Es gilt zum Beispiel
( a + bi) + (c + di) = a + c + (b + d)i und
( a + bi)(c + di) = ac − bd + ( ad + bc)i.
Es wird sich herausstellen, dass diese Idee schon einen Körper liefert, der alle die
Eigenschaften hat, die wir uns wünschen.
In der Folge werden wir die komplexen Zahlen als Paare reeller Zahlen definieren;
dabei wird das Paar ( a, b) die Zahl a + ib bezeichnen. Addition und Multiplikation
werden wir entsprechend obiger Formeln erklären.
52
6.2 Definition und erste Eigenschaften
Definition 6.1 (komplexe Zahlen). Die Menge C der komplexen Zahlen ist die Menge
aller Paare reeller Zahlen. Für ( a, b), (c, d) ∈ C definieren wir Addition und Multiplikation
durch
( a, b) + (c, d) := ( a + c, b + d)
und
( a, b) · (c, d) := ( ac − bd, ad + bc).
Für ( a, b) ∈ C heißt <( a, b) := a der Realteil von ( a, b) und =( a, b) := b der Imaginärteil
von ( a, b).
Die einführenden Überlegungen werden mit dieser Definition durch folgende Schreibweisen abgebildet:
Schreibweise 6.2. Wir schreiben ( a, b) ∈ C als a + bi und behandeln das Smybol i beim
Rechnen so, als wäre es eine reelle Zahl mit i2 = −1. Man rechnet leicht nach, dass diese
Konvention mit der Definition der komplexen Zahlen konsistent ist und dass die Zahl i aus der
Einführung dem Paar (0, 1) entspricht. (Das haben wir in der Einführung gemacht)
Weiterhin fassen wir R als Teilmenge von C auf, indem wir a ∈ R mit der Zahl ( a, 0)
(beziehungsweise a + 0i) identifizieren.
Aufgabe 6.1. Überzeuge dich davon, dass unsere Schreibweise und die Definition der Rechenoperationen auf C zu den bekannten Rechenoperationen auf R passt, d.h. überprüfe,
dass für a, b ∈ R gilt, dass ( a, 0) + (b, 0) = ( a + b, 0) und ( a, 0) · (b, 0) = ( a · b, 0) und
( a, b) = ( a, 0) + (b, 0) · (0, 1).
Proposition 6.3. (C, +, ·) mit + und · aus der Definition ist ein Körper.
Beweis. Zuerst bemerken wir, dass offensichtlich (C, +) eine abelsche Gruppe mit dem
neutralen Element 0 + 0i ist. Dass (C \ {0}, ·) eine abelsche Gruppe mit dem neutralen
Element 1 + 0i ist, soll Aufgabe 6.4 zeigen. Wir zeigen jetzt das Distributivgesetz. Seien
( a, α), (b, β), (c, γ) ∈ C. Dann gilt
( a, α) · ((b, β) + (c, γ))
=( a, α) · (b + c, β + γ)
=( a(b + c) − α( β + γ), a( β + γ) + α(b + c))
=( ab + ac − αβ − αγ, aβ + aγ + αb + αc)
=( ab − αβ, aβ + αb) + ( ac − αγ, aγ + αc)
=( a, α) · (b, β) + ( a, α) · (b, β).
Wie wir eingangs schon bemerkt haben, kann C kein geordneter Körper sein, da in
geordneten Körpern die Gleichung x2 = −1 keine Lösung hat. Trotzdem kann man
komplexe Zahlen dem Betrag nach vergleichen:
53
Definition 6.4 (Betrag). Wir definieren die Betragsfunktion | · | : C → [0, ∞) durch
q
|z| := (<(z))2 + (=(z))2 .
Diese Definition (und auch die der komplexen Zahlen) ist nicht nur algebraisch motiviert sondern auch geometrisch. Wir können die komplexen Zahlen auch als Punkte
der Ebene auffassen, wobei eine Koordinate der Realteil und die andere der Imaginärteil ist. Dann ist der Betrag einer komplexen Zahl gerade der Abstand des zu der Zahl
gehörigen Punktes zum Koordinatenursprung:
=
<(z)
z
|z|
=(z)
φ
<
Abbildung 6.1: Die komplexen Zahlen als Punkte der Ebene
Mit dieser Betrachtungsweise verhält sich auch die Addition komplexer Zahlen wie
die gewohnte Addition von Vektoren. Ferner erhält man aus dieser Anschauung eine
weiter Darstellung der komplexen Zahlen: Jedes z ∈ C lässt sich schreiben als
z = |z|(cos φ + i sin φ),
wobei φ = arctan(=(z)/<(z)) der Winkel zwischen der Verbindugsstrecke von 0 mit
z und der positiven reellen Achse ist. Wir setzen die Funktionen sin und cos als im
Prizip aus der Schule bekannt voraus.
Definition 6.5 (konjugiert komplexe Zahl). Für z = a + ib ∈ C bezeichnet z̄ := a − ib die
konjugiert komplexe Zahl von z.
Aufgabe 6.2. Beweise folgende Formeln für z, w ∈ C:
1. <(z) = (z + z̄)/2 und =(z) = (z − z̄)/(2i)
2. z ∈ R ⇔ z̄ = z
3. z̄¯ = z
4. z + w = z̄ + w̄ und z · w = z̄ · w̄
54
5. |z + w| ≤ |z| + |w| (Dreiecksungleichung)
6. |zw| = |z| · |w|
7. z ·
z̄
| z |2
=1
Aufgabe 6.3. Bestimme für z = a + bi und y = c + di die Größen <(z/y) und =(z/y) (als
Ausdrücke in a, b, c, d mit den von den reellen Zahlen gewohnten Rechenoperationen)!
Aufgabe 6.4. Rechne nach, dass (C \ {0}, ·) tatsächlich eine abelsche Gruppe ist und vervollständige damit den Beweis von Proposition 6.3. Du kannst die letzte Behauptung in Aufgabe
6.2 verwenden.
Aufgabe 6.5. Skizziere folgende Mengen in der komplexen Zahlenebene:
1. {z ∈ C|1 ≥ |z|}
2. {z ∈ C|<(z) ≤ =(z)}
3. {z ∈ C|<(z2 ) = −1}
4. {z ∈ C||z| ≤ |z + 1|}
6.3 Exponentialfunktion
Wie bereits erwähnt, setzen wir die Funktionen sin und cos als aus der Schule bekannt voraus. Zur Definition der Exponentialfunktion werden wir einige Eigenschaften dieser Funktionen benötigen: sin und cos sind Funktionen R → [0, 1]. Sie sind
2π-periodisch, das heißt für alle α ∈ R gilt cos(α + 2π ) = cos(α) und sin(α + 2π ) =
sin(α). Wir erinnern uns weiters, dass einem rechtwinkligen Dreieck mit Hypothenuse der Länge 1 gilt, dass sin(α) die Länge der dem Winkel α gegenüberliegenden
Katheten und cos(α) die Länge der an α gelegenen Katheten ist. Mit dem Satz des
Pythagoras gilt also (cos(α))2 + (sin(α))2 = 1.
Satz 6.6 (Additionstheoreme). Für α, β ∈ R gilt
sin(α + β) = sin(α) cos( β) + sin( β) cos(α)
und
cos(α + β) = cos(α) cos( β) − sin(α) sin( β).
Beweis. Wir wollen einen geometrischen Beweis des Additionstheorems für den Sinus
vorstellen. Das andere Additionstheorem ist Übungsaufgabe 6.6.
55
y
B
r=1
D
0
x
A
Aufgabe 6.6. Beweise das Additionstheorem für den Cosinus!
Definition 6.7 (komplexe Exponentialfunktion). Wir definieren die Exponentialfunktion
auf den komplexen Zahlen durch
exp : C →C
z 7→ exp(<(z))(cos(=(z)) + i sin(=(z))).
hierbei bezeichnet auf der rechten Seite des Zuordnungspfeils exp die bekannte Exponentialfunktion auf den rellen Zahlen und sin und cos die ebenfalls als bekannt vorausgesetzten
Winkelfunktionen auf R. Für exp(z) schreibt man auch ez .
Folgende Proposition zeigt, dass die so definierte Exponentialfunktion die Exponentialfunktion auf R verallgemeinert in dem Sinne, dass beide Funktionen die gleiche
Funktionalgleichung erfüllen:
Proposition 6.8. Für a, b ∈ C gilt exp( a + b) = exp( a) exp(b). Ferner gilt exp(0) = 1.
Aufgabe 6.7. Beweise Proposition 6.8! (Du wirst dafür die Additionstheoreme verwenden
müssen)
Aufgabe 6.8. Schreibe die Zahl a + ib ∈ C (es seien a, b ∈ R) in der Form c · exp(iφ) mit
c ≥ 0, φ ∈ R! Diese Darstellung der komplexen Zahlen nennt man Exponentialdarstellung.
Für Ausdrücke wie ab mit komplexen Zahlen a und b können wir bislang nicht
sagen, was sie bedeuten sollen. Wir werden es hier auch nicht definieren, weil es den
Rahmen des Kurses bei Weitem sprengen würde. Natürliche Exponenten hingegen
wollen wir in der naheliegenden Weise definieren:
56
Definition 6.9 (natürliche Exponenten). Für z ∈ C und definieren wir induktiv
z0 = 1
z n +1 = z · z n
(n ∈ N ∪ {0})
Aufgabe 6.9. Beweise mit vollständiger Induktion, dass für alle a ∈ C und n ∈ N ∪ {0} die
Formel exp( a)n = exp(na) gilt! Du kannst dazu Proposition 6.8 benutzen.
6.4 Wurzeln
Definition 6.10 (Wurzel). In einem Körper F heißt für n ∈ N und a ∈ F heißt eine Lösung
der Gleichung
zn := z| · z{z
· · · }z = a
n-mal
eine n-te Wurzel von a
Aufgabe 6.10. Sei F ein Körper. Zeige mit vollständiger Induktion, dass jedes a ∈ F für jedes
n ∈ N höchstens n verschiedene n-te Wurzeln hat! Du darfst dabei ohne Beweis verwenden,
dass man in jedem Körper wie aus der Schule bekannt Polynomdivision durchführen kann:
Sei p ein Polynom mit höchstem Exponenten n und Koeffizienten in F. Dann gilt für k ∈ F
genau dann p(k ) = 0, wenn es ein Polynom q mit Koeffizienten in F und höchstem Exponenten
n − 1 gibt, für das p( x ) = ( x − k) · q( x ) für alle x ∈ F gilt.
Die Wurzelfunktionen auf den reellen Zahlen werden erst dadurch zu Funktionen,
dass uns aus den Lösungen der Gleichung x n = a eine (die einzige) nichtnegative Zahl
aussuchen und diese dann als die Wurzel bezeichnen. Diese Idee lässt sich nicht ohne
weiteres auf die komplexen Zahlen übertragen, weil wir für komplexe Zahlen nicht
mehr sinnvoll von „positiv“ und „negativ“ sprechen können. Trotz dessen definieren
wir auch hier die n-ten Wurzeln einer Zahl als Lösung einer Gleichung.
Nach Aufgabe 6.10 kann jedes a ∈ C höchstens n Wurzeln haben. Folgende Proposition zeigt, dass a tatsächlich n Wurzeln hat.
Proposition 6.11. Für a = ceiφ ∈ C (c ≥ 0, φ ∈ R) sind die Zahlen
√
iφ
2πi
zk = n c exp
+k
n
n
für k ∈ {0, 1, . . . , n − 1} Lösungen der Gleichung
zn = a.
Allgemeiner ist der Satz, dass jedes Polynom mit komplexen Koeffizienten und
höchstem Exponenten n genau n komplexe Nullstellen (vielleicht mache davon mehrfach) hat, wahr. Man nennt diesen Satz den Fundamentalsatz der Algebra.
Aufgabe 6.11. Beweise Proposition 6.11! Dazu kannst du Aufgabe 6.9 verwenden.
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Aufgabe 6.12. Skizziere für ein paar kleine n ∈ N die Mengen {z ∈ C|zn = 1}! Was fällt
dir auf?
Aufgabe 6.13. Zeige, dass für n ∈ N die Menge {z ∈ C|zn = 1} eine zyklische Gruppe
bezüglich der Multiplikation der komplexen Zahlen bildet! Was stellt die Gruppe geometrisch
dar?
n√
o
2+3i
Aufgabe 6.14. Berechne z̄, |z|, <(z), =(z), <(1/z) und =(1/z) für z ∈
i, 12
+5i !
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7 Kombinatorik
7.1 Zählen
Die Kombinatorik ist die Mathematik dessen, was man zählen kann. Fragen wie „wie
viele?“ sind typische Probleme der Kombinatorik. Auch Probleme, die danach fragen, ob irgendeine endliche Struktur irgendwelche gegebenen Eigenschaften hat, bezeichnet man meist als kombinatorisch. Wir haben also schon viele kombinatorische
Aufgaben gesehen (Aufgaben 1.4, 2.12, 2.17, 4.6, 5.6, 5.8 und 5.13)
Es gibt eine Reihe, häufig umgangssprachlich formulierte, Prinzipien, die einem
Beweise in der Kombinatorik erleichtern. Dieses ist als Schubfachprinzip oder im Englischen pigeonhole principle bekannt:
Wenn man n Dinge auf m Kisten verteilt und n > m, dann muss es eine Kiste Geben, die
mehr als ein Ding bekommt.
Das nächste kann man vielleicht als Produktprinzip bezeichnen:
Wenn man n Möglichkeiten hat, etwas mit einer Sache zu tun und m Möglichkeiten, etwas
anderes mit einer anderen Sache zu tun, gibt es insgesamt m · n Möglichkeiten, beides zu tun.
Diese hier wollen wir Summenprinzip nennen:
Wenn man n Möglichkeiten hat, etwas mit einer Sache zu tun und m Möglichkeiten, etwas
anderes mit einer anderen Sache zu tun, gibt es insgesamt m + n Möglichkeiten, eines der
beiden Dinge zu tun.
Dieses heißt das Prinzip von Exlusion und Inklusion
Aufgabe 7.1. Formuliere das Schubfachprinzip formal als eine Aussage über Funktionen.
Aufgabe 7.2.
7.2 Graphen
Definition 7.1 (Graph). Ein Graph ist ein Paar (V, E) aus einer V, deren Elemente man
Ecken oder Knoten nennt und einer Menge E, deren Elemente man Kanten nennt. E hat als
Elemente zweielementige Teilmengen von V.
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