1 Grundlagen der Härteprüfung K. Herrmann 1.1 Geschichte der Härteprüfung Die griechischen Philosophen der Antike Demokrit und Aristoteles bezeichneten die Härte als eine definierende Eigenschaft der Elemente. In der Antike und im Mittelalter gab es eine Härteprüfung nur im Sinne einer groben Funktionsprüfung von Waffen und Werkzeugen aus Stahl. So hieb man mit Schwertern auf Holz oder Stein, um anhand der entstandenen Scharten zu entscheiden, ob der Stahl hinreichend hart war. Mit dem ausgehenden Mittelalter entwickelte sich schrittweise eine quantitative Härteprüfung zunächst auf dem Gebiet der Mineralogie. Mit dem Eisenbahnbau und dem Maschinenbau entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Bedürfnis nach der Härteprüfung von Metallen. Die nachfolgende Tabelle hält wesentliche Etappen der Entwicklung der Härteprüfung fest. Tabelle 1.1: Geschichtlicher Überblick 1640 Barba: ritzte Edelsteine mit einer Feile 1722 R.A. Réaumur: ritzte Stahl mit Mineralien und beurteilte Metalle mit zwei gekreuzten Prismen, deren Kanten er gegeneinander presste 1747 Wallerius: benutzte Fingernagel, Messer, Feile und Diamantpulver zur Härtebestimmung 1768 Kvist: schuf eine Härteskala für Mineralien (Diamant 20, Topas 15, Zeolith 13, Quarz 11, Fluorit 7, Kalzit 6, Gips 5, Kreide 2) 1774 Werner: rieb ein Mineral gegen einen Fingernagel und ein Messer oder ein Stück Stahl, um die Menge des so gewonnenen Mineralpulvers zu bestimmen 1801 Hauy: schuf ein System von vier Härteklassen für die Gesteinskunde 1822 F. Mohs: definierte eine 10-stufige Ritzhärteskala für Mineralien 1833 Seebeck: entwickelte ein quasi-quantitatives Kratzverfahren zur Härtebestimmung 1851 Entwicklung der Bohrhärte von Metallen auf der Grundlage des Gewichtsverlustes beim Bohren mit bekannten Zerspanbedingungen 1874 Uchatius: beurteilte die Härte von Bronzen mit einem aus 25 cm Höhe herabfallenden Meißel (erstes dynamisches Härteprüfverfahren) 1882 TH Prag: Aufstellung einer 18-stufigen Skala der Ritzhärte von Blei bis zu gehärtetem Stahl H. Hertz: veröffentlichte seine Theorie des elastischen Kontakts von Festkörpern 1884 Beurteilung der Härte von Metallen mit der Schleifhärte 1889 A. Martens: berichtete über ein Ritzhärteverfahren 1898 A. Martens: schlug ein Gerät für den instrumentierten Eindringversuch mit mechanisch-hydraulischer Tiefenmessung vor 1900 J. A. Brinell: entwickelte den Kugeldruckversuch 1907 P. Ludwik: berichtete über eine sowohl statisch als auch dynamisch benutzte Kegelprobe A. F. Shore: schuf das Rücksprungverfahren E. Meyer: stellte das Potenzgesetz für den Kugeldruckversuch auf 1 1920 S. R. Rockwell: entwickelte das nach ihm benannte Vorkraftverfahren 1925 R. Smith und G. Sandland: entwickelten das Vickers-Verfahren, das die Mikrohärteprüfung ermöglichte 1926 In den USA erste Härteprüfnorm über das Brinell-Verfahren veröffentlicht 1937 In Deutschland und Schweden werden Härtevergleichsplatten hergestellt 1939 F. Knoop, C. G. Peters und W. B. E. Emerson: entwickelten im National Bureau of Standards (USA) das Knoop-Verfahren 1940 Erste DIN-Norm über das Vickers-Verfahren 1943 K. Meyer: baute die erste Härte-Normalmesseinrichtung 1950 M. M. Khrushchev und E. S. Berkovich: schlugen eine dreiseitige Diamantpyramide als Eindringkörperform vor (Berkovich-Eindringkörper), der später besonders in der Nanohärteprüfung Anwendung fand 1972 A. P. Ternovskij, V. P. Alechin, M. Ch. Shorshorov, M. M. Khrushchev, V. N. Skvortsov: entwickelten das Prinzip der registrierenden Eindringprüfung 1975 D. Leeb und M. Brandestini entwickelten das Rückprall-Härteprüfverfahren Equotip Die von Friedrich Mohs 1822 aufgestellte 10-stufige Ritzhärteskala wird noch heute in der Mineralogie und bei der Beurteilung von Schleifkörpern angewendet. Sie beruht auf dem Grundsatz, dass die Härte eines zu prüfenden Minerals durch die beiden Referenzmineralien bestimmt wird, die es ritzt und die es nicht mehr ritzt. Die nachfolgende Tabelle enthält Mohs-Härtewerte für verschiedene Werkstoffe. Tabelle 1.2: Mohs-Härtewerte [1.1] Mineralien Talk Gips Kalkspat Flussspat Apatit Orthoklas Quarz Topas Korund Diamant MohsHärte 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Metalle MohsHärte Blei 1,5 Zinn, Kadmium 2 Aluminium 2,3 - 2,9 Au, Mg, Zn 2,5 Silber 2,7 Antimon 3 Kupfer 3 Eisen 3,5 - 4,5 Nickel 3,5 - 5 Chrom (weich) 4,5 Kobalt 5 Os, Ta, W, Si, Mn 7 Chrom (hart, 8 elektrolytisch) einsatzgehärteter 8 Stahl Verschiedene Werkstoffe Mg(OH)2 Fingernagel Cu2O ZnO Mn3O4 Fe2O3 MgO Mn2O3 SnO2 Martensit MoC V2C3 MohsHärte 1,5 2 - 2,5 3,5 - 4 4 - 4,5 5 - 5,5 5,5 - 6 6 6 6,5 - 7 7 7-8 8 TiC 8-9 Saphir (Al2O3) 9 Mo2C, SiC, 9 - 10 VC, W 2C, WC Kubisches 10 Borcarbid 2 Das nachfolgende Bild zeigt den Zusammenhang zwischen Mohs- und Vickers-Härte, der die starke Nichtlinearität der Mohs-Härteskala verdeutlicht [1.2]. Die Mohs sche Härteskala wird zwar allgemein von Mineralogen benutzt, aber sie eignet sich nicht für andere Materialien als Minerale, weil die Härtedifferenzierung, wie auch Bild 1 zeigt, im allgemeinen zu gering ist. 10000 10060 Vickershärte, HV 1000 536 795 1120 2060 1427 189 109 100 36 10 2 log HV =-0,90394+1,56269 MH-0,22907 MH +0,01213 MH 3 2,4 0 2 4 6 8 10 Mohs-Härte, MH Bild 1.1: Zusammenhang zwischen Mohs- und Vickers-Härte Zuordnung der Mohs-Härtewerte zu den Referenz-Mineralien: 1 Talk 6 Orthoklas 2 Gips 7 Quarz 3 Kalkspat 8 Topas 4 Flussspat 9 Korund 5 Apatit 10 Diamant 1.2 Begriff der Härte Der Begriff Härte ist keine wissenschaftliche Wortschöpfung, sondern entstammt dem täglichen Sprachgebrauch. Wir verfügen mit den Fingern über Sensoren, um die Härte von Körpern zu beurteilen. Hieraus rührt auch eine unbewusste Assoziation der Härte mit solchen Eigenschaften, wie Verschleißfestigkeit und Haltbarkeit, die nicht immer den Kriterien der Werkstoffwissenschaften standhalten. Bei der Zuordnung von Werkstoffen hinsichtlich ihrer Härte gehen wir vom Maß der Verformung aus, die wir mit der Hand oder einem harten, spitzen Gegenstand auf unserer Probe erzeugen können. Bei dieser alltäglichen Erfahrung spielt es meist keine Rolle, ob die Verformung plastisch oder elastisch ist. Wesentlich ist, dass sowohl der Laie als auch der Fachmann mit dem Begriff der Härte die Eigenschaft eines Körpers verbinden, dem Eindringen eines anderen 3 Körpers einen gewissen Widerstand entgegenzusetzen. Je größer der Verformungswiderstand ist, umso härter erscheint uns der Körper. Aus dieser Alltagserfahrung entspringt bereits eine Definition der Härte, die in der Technik allgemein gebräuchlich ist. Allerdings können wir mit den Fingern nur relativ weiche Materialien hinsichtlich ihrer Härte beurteilen. Die Härteprüfung technisch interessanter, viel härterer Werkstoffe ist nur mit Prüfgeräten möglich. Die Härte, die wir empfinden, hängt außerdem von der Geschwindigkeit ab, mit der wir einen Gegenstand berühren. Je schneller der Gegenstand bewegt wird, umso härter nehmen wir ihn wahr. Eine Bleikugel, die auf einer Stahlplatte liegt, wird bei allmählich zunehmender Belastung keinen Eindruck auf der Stahlplatte erzeugen. Wird die Bleikugel aber auf die Stahlplatte geschossen, entsteht durchaus ein Eindruck. Selbst Wasser, das beim langsamen Eintauchen als weich erscheint, kann, wenn es unter hohem Druck steht, so hart sein, dass es Stahl zerteilt. A. Martens [1.3] hat die Härte H als den Widerstand bezeichnet, den ein Körper dem Eindringen eines anderen (wenig verformbaren) entgegensetzt. Der Formänderungswiderstand F (1.1) H= A mit F Prüfkraft A Eindruckfläche ist die Grundlage für unseren Begriff der technischen Härte. Der zu prüfende Werkstoff wird also mit einem Eindringkörper aus einem härteren Werkstoff beansprucht. Aus der Verformung des Werkstoffs durch die definierte Beanspruchung wird dann ein Härtewert berechnet. Für die Definition eines Härteprüfverfahrens müssen dementsprechend folgende Festlegungen getroffen werden: 1) Definitionsgleichung des Härtewerts unter Berücksichtigung der Beanspruchung und der Werkstoffreaktion 2) Form und Werkstoff des Eindringkörpers 3) Kraft-Zeit-Regime des Härteprüfverfahrens Die Details dieser Festlegungen werden bei der Behandlung der einzelnen Härteprüfverfahren in den Kap. 2, 3 und 4 angegeben. Da bei der Härteprüfung immer die plastische Verformung der Probe eine Rolle spielt, folgt daraus auch, dass eine Härteprüfung nicht an demselben Ort wiederholbar ist. 1.3 Zusammenhang zwischen Werkstoffstruktur und Härte Um das Wesen der Härte zu erfassen, ist es notwendig, sich mit dem Werkstoffaufbau zu beschäftigen. Betrachtet man unter einem Mikroskop ein angeätztes Stück Stahl, so erkennt man ein ungleichmäßiges Gefüge der Stahlprobe. Jeder Gefügebestandteil besitzt einen anderen chemischen Aufbau und daher auch andere physikalische Eigenschaften. Somit haben wir bei unserer Probe bereits die Grenze erreicht, an der die Einheitlichkeit der Werkstoffeigenschaften aufhört. Bei homogenen Kristallen finden wir Raumgitter, bei denen die einzelnen Atome in bestimmten Achsrichtungen in festen Abständen angeordnet sind. Die Größenordnung der 4 Atomabständen liegt bei 0,1 nm. Die Struktur der Raumgitter steht mit den Bindungskräften zwischen den Atomen und der Packungsdichte innerhalb des Gitters in einer engen Beziehung zur Härte. Die Abhängigkeit der chemischen Bindungskräfte von der Kristallstruktur lässt sich sehr gut bei den Referenzmineralien der Mohs schen Härteskala verfolgen, siehe Tabelle 1.3 [1.8]. Tabelle 1.3: Kristallstruktur der Referenzmineralien der Mohs schen Härteskala MohsHärtewert 1 2 3 Referenzmineral Talk Gips Calcit Chemische Zusammensetzung Mg3Si4O10(OH)2 CaSO4.2H2O CaCO3 4 5 Fluorit Apatit CaF2 CaF(PO4)3 6 7 Orthoklas Quarz KAlSi3O8 SiO2 8 Topas Al2F2SiO4 9 Korund Al2O3 10 Diamant C Kristallgittertyp Monoklines Schichtengitter Monoklines Schichtengitter Trigonales oder hexagonales Schichtengitter Kubisches Gitter (Ionenbindung) Trigonales oder hexagonales Gitter (Ionenbindung) Monoklines Gitter (SiO4-Skelett) Trigonales oder hexagonales Gitter (SiO4-Skelett) Orthorhombisches Gitter (Valenzbindung) Trigonales oder hexagonales Gitter (Valenzbindung) Kubisches Gitter (Valenzbindung) Die Härte kann auch mit elektrischen und magnetischen Eigenschaften in Zusammenhang stehen. Beispielsweise liegt beim Graphit eine flächenhafte Ausrichtung der Bindungskräfte vor. Während innerhalb der schichtenweise aufgebauten Hexagonalgitter sehr starke Bindungen bestehen, sind die einzelnen Schichten senkrecht zur hexagonalen Basis nur sehr lose miteinander gebunden. Die unterschiedlich verteilten Bindungskräfte im Kristallgitter bewirkt ein sehr unterschiedliches Verhalten des Graphits in den Schichtebenen und senkrecht zu diesen. In der Basisebene ist die elektrische Leitfähigkeit, die mit dem Grad der Bindung zunimmt, hoch, die Härte aber sehr gering. In der dazu senkrechten Richtung ist die Leitfähigkeit niedrig, die Härte aber sehr hoch. Daraus erklärt sich auch die leichte Spaltbarkeit des Graphits, die ihn sogar für Schmierzwecke geeignet macht, und andererseits seine Festigkeit senkrecht zu den Spaltebenen. Zwischen der Härte von Metallen sowie ihren elektrischen und magnetischen Eigenschaften existiert eine Reihe von Beziehungen. Da die Bindungskräfte die Härte und die elektrische Leitfähigkeit beeinflussen, existiert bei vielen Metallen und Metalllegierungen eine umgekehrte Proportionalität zwischen Härte und elektrischer Leitfähigkeit. Durch Verformung von Kupfer bei der Temperatur des flüssigen Stickstoffs ist es jedoch gelungen, die Härte, die Festigkeit und die elektrische Leitfähigkeit des Kupfers zu erhöhen, indem eine hohe Versetzungsdichte erzeugt wird [1.4]. 5