Die vedischen Götter Götter des Himmels Götter der Erde

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Die vedischen Götter
Die vedischen Götter leben in drei Sphären: im Himmel, im Luftraum und auf der Erde. Ihre Zahl variiert:
Manche Texte sprechen von 33 andere von unendlich vielen. Ihre Zuordnung ist schwierig, denn oft
werden mehreren Göttern dieselben Taten und Fähigkeiten zugeschrieben.
Götter des Himmels
Götter des Luftraums
Indra: der beliebteste aller vedischen Götter: er
befreit die Urwasser, läßt die Flüsse fließen, er
befestigt die Erde, stützt den Himmel und hält
die Sterne.
Rudra: kann vor Krankheit bewahren, ist gefürchtet wegen seines grenzenlosen Zorns; man
nennt ihn Shiva, den Segensreichen, später
einer der berühmtesten Hindu-Götter.
Maruts: die Söhne Rudras; sie vergießen den
Regen, entfachen das Licht, bereiten der Sonne
den Weg und schützen die Menschen vor den
Pfeilen ihrer Gegner.
Vayu: der Gott des Windes.
CD-ROM „Spurensuche“
Dyaus: die Personifizierung des Himmels.
Rita: kosmisches Ur-Prinzip, dem alles unterworfen ist.
Varuna: Herr des urzeitlichen Chaos, Schöpfer von
Himmel und Erde.
Mitra: die Freundschaft: Gott des Lichts und des
Vertrags.
Surya und Savitri: Sonnengötter.
Vishnu: in früher Zeit noch unbedeutend.
Pushan: schützt vor Gefahr und behütet das Vieh.
Ushas: die Morgenröte.
Ashvins: Söhne von Dyaus, sie bringen Gesundheit,
Wohlstand und Fruchtbarkeit.
Götter der Erde
Agni: der Feuergott, überall präsent und wirksam:
Als Opferfeuer bringt er das Opfer zu den Göttern, als Verdauungsfeuer spendet er Lebenskraft, bei der Leichenverbrennung reinigt er den
Leichnam
Soma: vergöttlichte Pflanze, deren berauschender
Saft visionäre Fähigkeiten, ja Unsterblichkeit
(amrita) verleihen soll.
Brihaspati: Herr der göttlichen Kraft »Brahman«,
Prototyp des späteren Gottes Brahman.
Prithivi: die Erde.
Vergötterte Flüsse: Sarasvati, Sindhu, Ganga, u.a.
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© 1999 – Hans Küng / Stephan Schlensog
Der Veda, das »heilige Wissen«
Der Veda ist ein Schriftkomplex vom sechsfachen Umfang der Bibel, dem bis heute die meisten Hindus
göttlichen Ursprung und höchste Autorität zuschreiben. Der Veda ist, wie die meisten religiösen Texte der
Hindus, in Sanskrit verfaßt, was soviel heißt wie vollkommen, wohlgeformt: es ist die klassische Kultursprache Indiens.
Rigveda I,1,1-8
© Bildarchiv Preußischer
Kulturbesitz, Berlin
Die vier »Veden«
Aranyakas
Rigveda: Sammlung aus 1028 Hymnen und
Geschichten über die Götter und das Opfer.
Samaveda: Text- und Gesangbuch mit dem die
Vorsänger beim Opfer ausgebildet wurden.
Yajurveda: Die eigentlichen Opfersprüche, zum Teil
mit Kommentaren.
Atharvaveda: Eine späte Sammlung von esoterisch-magischen »Zauberformeln«.
Philosophische »Nachträge« der Brahmanas, als
Lektüre für Waldeinsiedler gedacht
Brahmanas
Priesterliche Erklärungstexte und Kommentare zu
den Opfern; den einzelnen Veden und ihren
Schulen zugeordnet, zum Teil mit philosophischem Inhalt.
CD-ROM „Spurensuche“
Upanishaden
Der Schlußteil des geoffenbarten Teils der Veden:
ursprünglich philosophische Passagen der
Brahmanas und Aranyakas, erst spät herausgelöst und zu einem selbständigen Textkorpus
kompiliert und im Laufe der Zeit durch weitere
Texte ergänzt; gelten auch als »dogmatische
Textbücher« der einzelnen vedischen Schulen.
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© 1999 – Hans Küng / Stephan Schlensog
Woher stammen die »Kasten«? (1)
(aus: H. Küng, Spurensuche, S. 59-61)
Woher kommt diese Einteilung der ganzen Gesellschaft in Kasten? Die historische Forschung gibt
darauf verschiedene Antworten:
– Sie kommt von der beruflichen Spezialisierung
her, lautet eine Antwort. Aber: Die Kastenordnung
ist sicher mehr als ein soziales Phänomen, so sehr
sie gerade auch die Berufswahl bestimmt.
– Sie ist eine von den Priestern erfundene Standesordnung, lautet die andere Antwort. Aber: Die
Kastenordnung ist nicht nur ein religiöses Phänomen, so sehr die Brahmanen zu ihrer Ausgestaltung und Fixierung beigetragen haben.
Grundlegend war vielmehr die gesamthistorische Entwicklung. Denn es läßt sich nicht bestreiten: Die nach Indien einwandernden Arier
wollten sich von der unterworfenen dunkelfarbigen Urbevölkerung absetzen und sich ihre »Reinheit« bewahren. Damals formierten sich jedenfalls
jene sozialen »Farben«, »Varnas«, Gruppierungen.
Sie verstanden sich schon früh auch als religiöse
Institutionen, waren hierarchisch geordnet und
trugen einen gemeinschaftlichen Namen.
Schon in der ältesten indischen Literatur,
dem Rig-Veda, findet sich (in einem freilich relativ
späten Teil) eine religiöse Begründung für die Hierarchie der Kasten. Betrachten wir den Hymnus auf
»Purusha«, ein menschenartiges kosmisches Urwesen, aus dem die ganze Welt entstand (Rig-Veda
10,90). Während drei Viertel dieses eigentümlichen
Wesens geistig-transzendent sind, wird ein Viertel
von den Göttern im Opferfeuer dargebracht. So
entsteht alles, was es gibt: die vedischen Textsammlungen, die Tiere und eben die vier Menschenklassen, schließlich die Gestirne, die Elemente, der Himmel und die Erde.
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Das Eine
»Das Urwesen (Purusha) mit tausendfachen Häuptern, mit tausendfachen Augen, tausend Füßen bedeckt ringsum die Erde allerorten, ... Nur er ist diese ganze Welt, und was da war, und was zukünftig
währt, Herr ist er über die Unsterblichkeit, ...
Vier Veden
Aus ihm als ganz verbranntem Opfertier die Hymnen und Gesänge sind entstanden, ... und was an
Opfersprüchen ist vorhanden.
Tiere
Aus ihm entstammt das Roß, und was noch sonst
mit Schneidezähnen ist auf beiden Seiten, aus ihm
entstanden sind die Kuhgeschlechter, der Ziegen
und der Schafe Sonderheiten.
Menschenklassen
Zum Brahmanen ist da sein Mund geworden, die
Arme zum Krieger sind gemacht, der Händler aus
den Schenkeln, aus den Füßen der Knecht damals
ward hervorgebracht ...
Himmel und Erde
Das Reich des Luftraums ward aus seinem Nabel,
der Himmel aus dem Haupt hervorgebracht, die
Erde aus den Füßen, aus dem Ohre die Pole, so die
Welten sind gemacht.«
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© 1999 – Hans Küng / Stephan Schlensog
Woher stammen die »Kasten«? (2)
(aus: H. Küng, Spurensuche, S. 59-61)
Man beachte freilich: In diesem Text findet sich
noch nicht die scharfe Abgrenzung zwischen den
Kasten, welche die Heirat verschiedener Kastenangehöriger und einen Kastenwechsel ausschließt.
Diese findet sich erst im einflußreichen »Gesetzesbuch des Manu« (manusmrti, vermutlich 3. Jahrhundert v. Chr.), das auf den Manu (Mensch), den
Stammvater der Menschheit, zurückgeführt wird.
Es ist dieses Gesetzbuch, das zum Fundament der
Hindugesellschaft wird, ihrer Religion und ihrer
Verhaltensweisen: das erste und wichtigste Werk
der nachvedischen »Überlieferung« (smrti).
Erst zur Zeit des Mittelalters setzt sich jener
Kastenrigorismus durch, der die Heirat ebenso
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vorherbestimmt wie Berufswahl und Sozialprestige
des Individuums. Ganz im Zentrum steht dabei die
Vorstellung ritueller Reinheit. Deren Schatten ist
die Angst vor Befleckung. Unrein macht jetzt
schon die körperliche Berührung mit niederen
Kasten, noch mehr gemeinsames Essen und erst
recht Sexualverkehr. Jegliche Unreinheit zwingt,
sofern überhaupt möglich, zur angemessenen Reinigung. Dafür haben die Brahmanen ungezählte
Vorschriften entwickelt: Gebote, Verbote, Reinigungsriten, aber auch die Exkommunikation. Dabei
besonders folgenreich: Ausgeschlossen sind die
niederen Kasten auch vom Studium der indischen
heiligen Schriften, des »Veda«.
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Die Invasion der Arier
(aus: H. Küng, Spurensuche, S. 58)
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Khajuraho
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Kalkutta
Nagpur
Bombay
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Bhubaneshvar
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Hyderabat
Bangalore
Madras
Sri
Lanka
Colombo
(heutige Karte)
500 km
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Die Invasion der Arier
auf dem
indischen Subkontinent
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© 1999 – Hans Küng / Stephan Schlensog
Was heißt »Seele« im alten Indien?
Die vedischen Dichter unterscheiden zunächst
ganz allgemein zwischen dem materiellen Körper
(sharira, kaya, deha) und einer immateriellen
Dimension – amartya, das »Unsterbliche« oder
»Göttliche« eines Menschen –, die bei der Leichenverbrennung nicht mit verbrannt wird. Konkret
kommt diese Dimension in ganz verschiedenen
Begriffen und Vorstellungen zum Ausdruck, die
allesamt, zumindest vage, unter dem Oberbegriff
»Seele« subsummiert werden könnten:
Jiva (»Leben«): die biologische, vitale Persönlichkeit eines Menschen, mit der er sich von anderen Menschen unterscheidet. Später, in den
Upanishads, wird damit jene grobstoffliche
»Lebenseele« bezeichnet, welche die individuellen, von den Taten geprägten Anlagen eines
Menschen in sich trägt, und in die das feinstoffliche »Selbst« des Menschen (atman) verstrickt
ist;
◗ Manas (»Denken«): allgemein die mentalen
Kräfte eines Menschen, speziell die kognitive
Dimension, der Sitz des menschlichen Bewußtseins; das innere Organ der Wahrnehmung und
des Denkens (insofern ist Manas auch vergänglich), durch das die Gedanken in die Seele eingehen und Objekte die Seele affizieren;
◗ Asu / Atman / Prana (»Lebensatem«, »Odem«):
die vitale Kraft, der Geist, das Prinzip des
Lebens; all diese Begriffe werden im Laufe der
Zeit zunehmend abstrahiert: Prana wird zu einer
der (im Veda drei bis zehn) Lebenskräfte bzw. organe; aus Atman wird bereits im Atharvaveda
die individuelle, geistige Seele, der Kern des
Individuums, in den Upanishads schließlich das
feinstoffliche individuelle »Selbst«;
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Paramatman (»höchster Geist«): ein transpersonales, universales geistiges Prinzip, in dem
(breits in späten Teilen des Rigveda!) der Ursprung aller Lebewesen angenommen wird.
Das heißt: Schon von Anfang an finden sich im
Veda je verschiedene Bezeichnungen für je verschiedene (geistige) Bereiche der menschlichen
Existenz, und keiner dieser Begriffe bezeichnet von
Anfang an eindeutig »eine unvergängliche, immaterielle geistige Substanz, welche den innersten
unveränderlichen Kern einer Persönlichkeit darstellt« – eben das, was heute allgemein als »Seele«
bezeichnet wird. Entsprechend vage sind auch die
Vorstellungen darüber, was mit dem Menschen
beim Sterben geschieht und, vor allem, was nach
dem Tode – wo und wie auch immer – weiterlebt.
So nehmen etwa die Brahmanas noch an,
»der Tote selbst« lebe im Jenseits weiter, und zwar
»wie er leibte und lebte«, indem nämlich bei der
Verbrennung (oder auch durch Verwesung) die
Bestandteile des Toten dorthin (d. h. zu den Gottheiten) zurückkehren, woher sie stammen: »das
Fleisch zur Erde, das Blut zum Wasser, die Rede
zum Feuer, der Odem zum Winde, die Fähigkeit zu
hören zu den Himmelsrichtungen, die Sehkraft zur
Sonne, das Denken zum Monde«. Übrig bleibt ein
schemenhaftes Wesen (preta; vergleichbar etwa
mit der Homerischen »Psyche«), das in einer »Art
Auferstehung der Toten« im Jenseits nach seinem
ganzen Leib mit allen Gliedern und Gelenken in
verklärter Form aufersteht, sofern er auf Erden
entsprechend gelebt hat oder – dieser Gedanke
tritt in den Brahmanas immer mehr in den Vordergrund – über das entsprechende Wissen verfügt, in
ewiger Gemeinschaft mit den Göttern.
Stephan Schlensog
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Wiederverkörperung und Karmaglaube
(aus: H. Küng, Spurensuche, S. 66)
Der Glaube an eine zyklische Wiederverkörperung
der Verstorbenen, an eine »Seelenwanderung«, ist
keine indische Erfindung. Er gehört seit alters zum
Traditionsgut vieler Kulturen überall auf der Welt.
Und auch in Indien war und ist man sich keineswegs einig, wie man sich das Schicksal der Verstorbenen vorzustellen habe.
In frühvedischer Zeit jedenfalls glaubte man
zunächst, die Toten gelangten mit der Leichenverbrennung direkt entweder in die ewige Verdammnis der Unterwelt oder zur paradiesischen
Seligkeit in die Himmelswelt. Doch begann man
bald daran zu zweifeln: War nicht zu befürchten,
daß auch im Himmel ein »Wiedertod« erfolgt und
die Verstorbenen zu einer neuen Existenz wieder
auf die Erde zurückkehren müssen, um mit dem
Tod von dort erneut zum Himmel aufzusteigen?
Was diesen Zyklus beeinflußt, darüber wurde
zu allen Zeiten kontrovers spekuliert: Auf dem
Mond, dieser Pforte zur Himmelswelt, gäbe es, so
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meinte man zunächst, einen Wächter, der den Verstorbenen Fragen nach ihrem Leben stelle; deren
Beantwortung sei für ihr weiteres Schicksal entscheidend. Später waren es nach der Auffassung
der Brahmanen vor allem die Opferhandlungen
der Verstorbenen zu Lebzeiten, die ihr Schicksal
nach dem Tod bestimmen sollen. Mit dem Wort
»handeln« war jetzt das entscheidende Stichwort
gegeben, unter dem sich in der indischen Tradition
die »Karma«-Theorie (Sanskrit kr – »handeln«,
»tun«) durchsetzen sollte. Hierbei war ausschlaggebend, daß man sich beim Verständnis des Handelns von mythischen und rituellen Vorstellungen
weitgehend zu lösen begann. Ein komplexer Prozeß, der sich in den Upanishaden noch nachvollziehen läßt: Schließlich wurde einfach der Lebenswandel, das moralisch richtige Handeln der Verstorbenen zu Lebzeiten, zum entscheidenden
Kriterium für die Art ihrer Wiederverkörperung.
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Die neuen Hochgötter (1)
(aus: H. Küng, Spurensuche, S. 73f)
Für den Großteil der Inder waren wohl zu allen
Zeiten die abstrakten philosophischen Spekulationen von geringer Bedeutung. Wichtiger war die
Verehrung von Göttern, ja einer bestimmten Gottheit, von der man Zuspruch und Segen erhofft und
die für die Gläubigen einen Aspekt oder eine Inkarnation des Göttlichen repräsentiert. Deshalb konnten schon die großen philosophischen Konzeptionen der Upanishaden nur begrenzt Eingang in
die religiöse Alltagspraxis der einfachen Gläubigen
finden. Ja schon in den Upanishaden selber finden
sich Texte, die von einer wiedererstarkten, selbstbewußt vorgetragenen theistischen Frömmigkeit
zeugen: Heil und Erlösung des einzelnen werden
von der gläubigen Hingabe an einen personal
gedachten Gott abhängig gemacht. Diese Entwicklung führte zwischen dem 3. Jahrhundert v.
Chr. und dem 3. Jahrhundert n. Chr. zu den klassischen Hindu-Religionen, wie sie in den großen
Hindu-Epen Mahabharata und Ramayana zum
Ausdruck kommen.
Denn neue Götter treten jetzt in den Vordergrund, die in den Veden keine oder nur eine geringe Rolle gespielt hatten. Vielfach waren sie aus
lokalen Kulten hervorgegangen. Und mehr als der
tantrische Shaktismus konnten sich in der nachvedischen Zeit die neuen Götter Vishnu und Shiva
durchsetzen. Sowohl Vishnu, der in den Veden als
Gefährte Indras nur eine untergeordnete Rolle
spielt, wie Shiva, dessen Name sich in den Veden
nur als Attribut des ambivalenten Gottes Rudra
findet, sind höchst komplexe Gestalten. Ihre Entstehung bleibt für die historische Forschung weitgehend im dunkeln. Sicher sind im Verlauf der Zeit
verschiedene lokale Götter und Heroen mit ihnen
identifiziert worden, so daß uns nun manche ihrer
Einzelzüge widersprüchlich erscheinen.
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Vishnu (»Hari«), dargestellt mit vier Armen, Zeichen der göttlichen Macht, und mit vier Attributen: Muschelhorn, Diskus, Keule und Lotus. Zwischen den Weltschöpfungen ruht er auf der tausendköpfigen Schlange Shesha, die schwimmt auf
dem weiten, endlosen Ozean aus Milch. Seine
Gefährtin ist Lakshmi, die Göttin des Reichtums
und des Glücks. Sein Kult hat für die vielen Verehrer (die vaishnavas) einen fröhlich-unbeschwerten
Charakter. Sie wissen: Wann immer die Weltordnung gefährdet ist, greift Vishnu ein, um sie gegen
die Dämonen die zu schützen und die Welt zu retten. Er (und nur er) nimmt dann eine irdische Gestalt an, inkarniert sich als Mensch oder Tier. Von
zehn solcher Verkörperungen (Inkarnationen) oder
Avataras (Herabkünfte) sind die wichtigsten Rama
und Krishna. Die zehnte allerdings steht noch aus,
sie geschieht am Ende dieses Zeitalters.
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Die neuen Hochgötter (2)
(aus: H. Küng, Spurensuche, S. 73f)
Shiva dagegen ist ein doppelgesichtiger Gott. Mit
seinem schrecklichen Aussehen verkörpert er den
Aspekt der Auflösung und Zerstörung. Als großer
Asket und Vorbild aller Yogis sitzt er als Verkörperung der Entsagung meditierend auf einer Bergspitze des Himalaja, der Quelle des Ganges. Zugleich ist er seinem Namen nach der »Segensreiche, Gütige, Wohlwollende«, der durch seine
unendliche Zeugungskraft alles entstehen läßt und
Leben spendet. Die Verkörperung seiner »weib-
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lichen« Energien, ohne die Shiva machtlos wäre, ist
seine Partnerin Parvati (als diese gelten auch
Shakti, Durga und Kali), deren Verehrung sich im
Kult der Göttin verselbständigte.
Shiva wird oft nur symbolisch dargestellt als
Linga (Sanskrit für »Phallus«), naturalistisch oder
als Säulenstumpf: Ausdruck göttlicher Zeugungskraft, der alles Leben seinen Ursprung verdankt.
Der Linga ist oft verbunden mit der Yoni (Vagina),
dem weiblichen Gegenstück, Ausdruck von Shivas
Vereinigung mit seiner Gemahlin, aber auch der
Komplementarität der Geschlechter. Im Zentrum
jedes Shiva-Tempels steht ein Linga. Viele Namen
geben die Shivaiten (shaivas) ihrem Gott. In der
Kunst indes wird er gerne als Shiva Nataraja, »König der Tänzer«, als tanzender Herr des Universums
dargestellt: Sein Tanz, Ausdruck seiner fünf Aktivitäten (Schöpfung, Erhaltung, Zerstörung, Verkörperung, Befreiung), symbolisiert den Kreislauf
des Kosmos, wo in einem ewigen Rhythmus Millionen Welten in jedem Moment zerstört und andere
Millionen neu geschaffen werden.
Brahma gilt als eigentlicher Schöpfer des Universums. Gemeinsam mit Vishnu und Shiva bildet er
die Trimurti, die Dreigestalt, welche die drei Aspekte des Absoluten, Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung, symbolisiert. Sein Kult ist heute aber nahezu ausgestorben, nur noch ein einziger Tempel
in Puskar in Rajasthan ist ihm gewidmet.
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Die Yuga-Theorie
(aus: H. Küng, Spurensuche, S. 66f)
Die Vorstellung von einem zyklischen Zeit- und
Geschehensablauf behielt für Inder und manche
Nicht-Inder bis heute ihre Suggestionskraft:
Wiederholen sich nicht in der Natur selber all die
Abläufe? Gestirnkreise, Jahreszeiten, Mondphasen
kommen und gehen. Tag und Nacht wechseln.
Nach indischer Ansicht ist dies alles ein warnendes
Zeichen auch dafür, daß die Großen nicht ewig
groß und die Kleinen nicht ewig klein bleiben
werden. Freilich: Nach heutigen physikalischen
Erkenntnissen macht die Natur nicht nur Kreisbewegungen durch, sondern – von den Atomkernen
bis zu den Sternen – eine nicht rückgängig zu
machende Geschichte in eine bestimmte Richtung: seit dem Urknall eine Milliardenjahresgeschichte, die auf ein Ende zuläuft.
Von einem »Ende« dieser Welt geht jedoch
auch die indische Mythologie aus, wie sie etwa im
»Gesetzbuch des Manu« überliefert ist. Demnach
befinden wir uns im letzten der vier Weltalter
(yuga), im 6. Jahrtausend des Kaliyuga. Aber in
Indien kann keine apokalyptische Angst aufkommen –␣ warum? W eil es nach einem später ausgeklügelten Zahlensystem ab unserem Jahr 2000
noch rund 426.000 Menschenjahre dauern wird bis
nach insgesamt 12.000 Götterjahren = 4.320.000
Menschenjahren ein göttliches Weltalter (mahayuga) zu Ende gehen wird! Und 1000 solcher göttlichen Weltalter: Sie sind nur ein Tag des Brahma,
auf den nach einer Weltvernichtung die ebenso
lange Brahma-Nacht der Weltenruhe folgt. Erst
dann ist eine Weltperiode (kalpa) abgeschlossen!
So schließt sich der Kreis ewig gleichförmig nacheinander abrollender Zeitzyklen – um sogleich
wieder von neuem zu beginnen.
Weltenalter
Dauer
Kritayuga
4000
2 x400
4800
1 728 000
Tretayuga
3000
2x300
3600
1 296 000
Dvaparayuga
2000
2x200
2400
864 000
Kaliyuga
1000
2x100
1200
432 000
1 Mahayuga
12 000
4 320 000
1 Kalpa
24 Millionen
8,64 Milliarden
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Dämmerung Götterjahre
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Menschenjahre
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Religion und Erotik: Tantrismus (1)
(aus: H. Küng, Spurensuche, S. 69-72)
In der indischen Religion, Literatur und Kunst findet sich, anders als im vielfach geschlechts- und
frauenfeindlichen Christentum, von alters her allüberall das Moment der Erotik. Inspiriert war sie
wohl von altorientalischen, vorarischen Fruchtbarkeitskulten. Die Zeugung von Nachfahren war
nun einmal unabdingbare Voraussetzung für die
Sicherung von Nahrung und Arterhaltung. Ohne
erotische Darstellungen, auch die des Liebespaares
(mithuna), wäre ein indischer Tempel unvollständig. Ob Menschen oder Tiere, sie sollten in magischer Weise Schaden abhalten oder Glück bringen.
So zeigen indische Religion, Literatur und Kunst
von Anfang an eine unbefangene Freude an Sinnlichkeit, Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit. Sie
hat keine Hemmungen in bezug auf die Darstellung weiblichen Charmes und weiblicher Nacktheit.
Schon unter der Gupta-Dynastie in Nordindien (320-500), in einer Blütezeit der Hindu-Kunst
und Sanskrit-Literatur, war die klassische Zeit des
Hinduismus (Paradigma III) eingeleitet worden.
Nach der Zerstörung des Gupta-Reiches um 500
(durch die weißen Hunnen) aber waren kleinere
feudale Herrscher an die Macht gekommen, die
neue Kulte förderten. Jetzt wird die erotische Liebe
zwischen Mann und Frau, wie sie ja auch im biblischen Hohenlied besungen wird, breit entfaltet
und immer raffinierter künstlerisch ausgestaltet.
Unübertroffen sind die elegant und einfühlsam gearbeiteten Plastiken von Khajuraho nahe dem zentralindischen Bhopal, früher ein riesiges religiöses
Zentrum mit 88 hinduistischen und jainistischen
Tempeln; heute sind noch 22 erhalten.
Europäer reagieren oft befremdet, Inder
bemühen sich um Erklärung: Ist das Pornographie
oder einfach Illustration jenes alten Leitfadens
indischer Erotik, des »Kama-Sutra«? Allüberall eine
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geistige, mystische Bedeutung anzunehmen, wäre
naiv. Nein, die historische Forschung hat den gesellschaftlichen Hintergrund inzwischen erhellt:
Jene neu an die Macht gekommenen feudalen
Herrscher (»Rajputs«: raja-putra – »Sohn des Königs«) hatten in Indien seit dem 5. Jahrhundert mit
militärischen Mitteln ihre Reiche geschmiedet. Zur
Legitimierung und Konsolidierung ihrer Herrschaft
machten sie große Geschenke an die Brahmanen
und förderten gewaltig den Tempelbau. In den
folgenden Jahrhunderten wurden Sexualität und
Krieg Hauptbeschäftigungen der indischen Aristokratie. Und bei beidem glaubte man mit Hilfe
magischer und abergläubischer Praktiken sicheren
Erfolg zu haben.
Gleichzeitig wurde die Institution der Tempeldienerinnen oder Devadasi (wörtlich: Gottesdienerinnen), die ihren Ursprung ebenfalls in den
Fruchtbarkeitskulten hatte, in Indien sehr populär.
Im Tempel hatten sie für Tanz, Drama, Musik zu
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Religion und Erotik: Tantrismus (2)
(aus: H. Küng, Spurensuche, S. 69-72)
sorgen. Mit der Zeit wurden immer mehr verweltlichte und erotische Stücke aufgeführt. Und je größer und prächtiger die Tempel wurden, um so mehr
Raum hatten die Künstler zur Darstellung erotischer Themen. Sie wurden die große Leidenschaft
mittelalterlicher indischer Kunst. Während Liebespaare (mithuna) schon vom 5. bis 9. Jahrhundert
einen allgemein akzeptierten Tempelschmuck darstellten, so war die ostentative geschlechtliche
Vereinigung (maithuna) ein relativ neues Motiv,
das sich aber in der feudalen Periode zwischen 900
und 1400 (Kajuraho 950-1150) immer mehr durchsetzte (der Kandariya-Tempel mit drei Friesen
erotischer Darstellungen stammt von 1050). Man
fragt sich: Was hat diese Entwicklung vorangetrieben?
Tantrismus im Zwielicht
Großen Einfluß übten jene Sekten aus, die verbunden waren mit dem Shaktismus, der Verehrung
weiblicher Gottheiten (shakti – »Energie«, »Urkraft«; Name für die Göttin) und besonders dem
tantrischen Shaktismus (tantra – »Gewebe«,
»System«) und seinen Riten. Eben in jener Zeit von
600 bis 900 breitete sich dieses esoterische Lehrund Ritualsystem in Indien aus. Spätestens im 9.
Jahrhundert erreichte der Tantrismus auch Khajuraho; ein Zentrum der tantrischen Yogini KaulaCD-ROM „Spurensuche“
Sekte ist für diese Zeit bezeugt. So erstaunt es
nicht, daß sich zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert immer zahlreichere Darstellungen von Tanzmädchen in sinnlich verführerischer Pose finden,
immer häufiger auch sexuelle Paare und orgiastische Gruppen. Im Mittelpunkt des Tantrismus
stehen die fünf Elemente, die mit M beginnen:
Madaya (Wein), Matsya (Fisch), Mamsa (Fleisch),
Mudra (geröstete Körner) und Maithuna
(Geschlechtsverkehr).
Der Tantrismus darf gewiß nicht verteufelt,
allerdings auch nicht verklärt werden. Einerseits
wurden im Tantrismus im Gegensatz zum orthodoxen Hinduismus unleugbar die Frauen aufgewertet
und die Kastengrenzen aufgehoben – eine Aufwertung selbst der »Unberührbaren«. Andererseits läßt
sich nicht verschweigen, daß Tantriker oft eine
Philosophie des Sex predigten und praktizierten.
Im ursprünglichen Tantrismus mag die Verbindung
von Yoga und Sexualität nicht auf die bloße Befriedigung temporärer »Bedürfnisse« gezielt haben,
sondern auf Zurückhalten der Lebensenergie, Sublimierung der Sexualität und Vereinigung mit dem
Absoluten. Und die tantrischen Schriften sind gewiß voll von interessanten Spekulationen über Erschaffung und Zerstörung der Welt, Verehrung der
Gottheiten und spirituellen Übungen, aber eben
auch von Magie, Abnormitäten, Obszönitäten.
Priester führten ein Leben der Wollust und gaben
sich mit ihren Adepten allen möglichen sexuellen
Praktiken hin. Auch in indischen Quellen wurde
kritisiert, daß die heilige Atmosphäre vieler Tempel
durch sexuelle Ausschweifung verdorben sei. Wenn
die geschlechtliche Vereinigung mit wechselnden
Partnern (und gar mit Tieren) als Weg zur Vereinigung mit dem Absoluten (advaita – »Nicht-Zweiheit«) praktiziert wurde, kann dies kaum als Symbol der Befreiung verstanden werden.
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Yoga
Yoga ist eines der 6 klassischen philosophischen
Systeme Indiens, denen es allesamt um die Frage
der Erlösung des Menschen aus dem Kreislauf der
Geburten geht. Yoga lehrt die Befreiung des Geistes durch einen methodischen Stufenweg zur
Beherrschung von Körper, Atem und Geist. Sein
Begründer, Patanjali (ca. 2. Jh. v. Chr.), definierte
Yoga als »methodische Anstrengung zur Erlangung
der Vollkommenheit durch die Beherrschung der
verschiedenen Elemente der menschlichen Natur«.
Die erste Stufe des Yoga-Weges (yana ) verlangt
fünf, in Gedanken, Worten und Werken zu vollziehende ethische Übungen, die man als Elemente
eines Grundethos bezeichnen kann:
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Gewaltlosigkeit, Nicht-Verletzen (a-himsa),
Wahrhaftigkeit (satya),
Nicht-Stehlen (a-steya),
Keuschheit, reiner Lebenswandel (brahmacharya),
Begierdelosigkeit, Nicht-Besitzen (a-parigraha).
Das klassische Lehrsystem des Yoga gliedert sich
in 8 Stufen:
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yama (Zucht)
niyama (Reinheit)
asana (Sitzhaltungen)
pranayama (Atemkontrolle)
pratyahara (Ausschalten der Wahrnehmung)
dharana (Konzentration)
dhyana (Meditation)
samadhi (Kontemplation)
CD-ROM „Spurensuche“
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© 1999 – Hans Küng / Stephan Schlensog
Die klassischen Erzählungen:
Puranas und Epen (1)
Von großer Bedeutung für die religiöse Tradition
der Hindus sind seit alters Geschichten: Mythische
Erzählungen über die zahllosen Götter, ihr Entstehen und ihr Wirken in der Welt. Bis heute werden
sie erzählt, als Tänze aufgeführt oder als Theaterstücke inszeniert. Bis heute werden mit ihnen
Brauchtum, Werte und Normen tradiert
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Puranas
Mahabharata
Mit ihren umfangreichen Legenden über die Vishnu, Shiva und Brahma, über deren Wirken und ihre
Verehrung, sind die Puranas zu einer Art Enzyklopädie der vielfältigen Hindu-Traditionen geworden.
Das Mahabharata schildert die Geschichte vom
Kampf zweier indischer Fürstenhäuser – der Pandavas gegen die Kauravas – um das aufgeteilte
Königtum. Der populärste Teil ist die Bhagavadgita,
der »Gesang des Erhabenen«: die moralische
Unterweisung Arjunas durch Krishna, der 8.
Inkarnation Vishnus.
Je 6 große Legendensammlungen (5.600-81.000
Doppelverse) über die drei Hauptgötter Vishnu,
Shiva und Brahma.
◗ Sie erklären das Wesen dieser Götter, sind von
Gottesliebe erfüllt und bilden die Hauptschriften ihrer Anhänger.
◗ Sie handeln von Schöpfung, Zerstörung und Erneuerung der Welt, von den Geschlechterfolgen
der Götter, vom Wirken himmlischer Herrscher
(Manus) in der Welt und von deren Nachkommen.
◗ Entstehung wohl zwischen dem 6. und 16. Jahrhundert.
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Ältestes Epos der Sanskrit-Literatur (24.000
Doppelverse), entstanden ab dem 4. Jhd. v. Chr.
◗ Erzählt den »Lebenslauf Ramas«, der 7. Inkaranation Vishnus, der die Welt von den Taten des
Dämonenkönigs Ravana befreit.
◗ Rama gilt als vollkommener Mensch, der ganz
in Übereinstimmung mit dem Dharma lebt.
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Ramayana
Das Ramayana erzählt die Geschichte vom Königssohn Ramatschanda, einer Inkarnation Vischnus,
aus Ayodhya: Erst Durch eine Intrige um Thron und
Ehefrau Sita gebracht, befreit er am Ende schließlich doch die Welt vom Dämonenkönig Ravana.
CD-ROM „Spurensuche“
Die Große (maha) Erzählung der Bharata-Fürsten (bharata = heutiger Name Indiens!)
Umfangreichstes Epos der indischen Literatur:
106.000 Verse, eingeteilt in 18 Bücher.
Verfaßt zwischen dem 5. Jhd. v. Chr. und dem 2.
Jhd. n. Chr.
Erzählt den Kampf der beiden Fürstenhäuser –
der Pandavas und deren Vettern, der Kauravas –
um die Vorherrschaft über das westliche Yamuna-Ganga-Tal.
Philosophischer Höhepunkt ist das 6. Buch, die
Bhagavadgita, der »Gesang des Erhabenen«: die
moralische Unterweisung des Fürsten Arjuna
durch seinen Wagenlenker Krishna.
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© 1999 – Hans Küng / Stephan Schlensog
Die klassischen Erzählungen:
Puranas und Epen (2)
Bhagavadgita
Wie kaum ein anderes Werk hat die Bhagavadgita,
der »Gesang des Erhabenen«, auf das religiöse
Leben Indiens gewirkt und auch außerhalb Indiens
Popularität und Verbreitung gefunden. Wegen der
Klarheit und Dichte ihrer Aussagen gilt sie vielen
als das »Evangelium des Hinduismus«.
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Buch 6 des Mahabharata: 18 Kapitel, 700 Verse.
Dialog am Vorabend der entscheidenden
Schlacht zwischen dem zweifelnden Arjuna und
seinem Wagenlenker Krishna (8. Inkarnation
Vishnus).
Läßt verschiedene philosophische Auffasungen
(oft unvermittelt) nebeneinander stehen.
Vertritt ein ausgesprochen weltliches Ethos, um
sich aus dem Geburtenkreislauf zu befreien.
Drei klassische Wege zum Heil:
Weg der Erkenntnis (jnana-marga): zur Überwindung der Unwissenheit (durch Meditation,
Yoga, Philosophie),
Weg der Werke (karma-marga): nicht nur rituell-brahmanisches, sondern auch soziales und
religiöses Handeln,
Weg der Gottesliebe (bhakti-marga), der allen
Menschen offen steht: »Mein gedenkend, mich
verehrend, mir opfernd, beuge dich vor mir! Zu
mir dann kommst du!« (18,65)
CD-ROM „Spurensuche“
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Lebensstadien und Lebensziele
Für viele Hindus besteht bis heute das Wesen des
Hinduismus in »varnashramadharma«: dem Glaube
an vier von Gott gegebene Menschenklassen
(varna) und vier Lebensstadien (ashrama), denen
wiederum ganz bestimmte Lebensziele und pflichten (dharma) entsprechen.
Vier Lebensstadien (ashrama)
Studium der Heilgen Schriften (brahmacharya)
bei einem authorisierten Lehrer (guru).
◗ Als Familienvater (grihasta) Kinder zeugen,
einen Beruf ausüben und Wohlstand anstreben.
◗ Mit der Geburt des ersten Enkels sich als Einsiedler (vanaprastha) unter Begleitung der Ehefrau zum erneuten religiösen Studium zurückziehen.
◗ Auf alle weltlichen Bedürfnisse verzichten und
als Entsager (samnyasin) ein mönchisches Leben
führen.
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CD-ROM „Spurensuche“
Vier Lebensziele (dharma)
Das Streben nach Angenehmen und Sinnengnuß
(kama).
◗ Das Streben nach Nützlichem und der Erwerb
von Wohlstand (artha).
◗ Das Bemühen um Rechtschaffenheit und
Tugend (dharma).
◗ Das Streben nach Befreiung und Erlösung (moksha) aus dem Kreislauf von Geburt, Tod und
Wiederverkörperung.
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Die heilige Silbe OM
Mantras sind Heilige Worte und Silben in denen
– richtig rezitiert – die Wirkmacht der angebeteten Gottheit präsent wird. Eines der bedeutendsten
Mantras ist die Gayatri zur allmorgentlichen Verehrung des Sonnengottes: sie gilt als Quintessenz
der vedischen Offenbarung.
Die Heilige Silbe »OM« – genauer AUM – »ist
für gläubige Hindus das umfassendste Symbol hinduistischer spiritueller Erkenntnis und Kraft.
»OM« ist zusammengesetzt aus einem »A«
(links), einem »U« (rechts) und einem »M« (oben):
Nach indischem Verständnis symbolisieren ihre
vier geometrischen Formen das Körperliche (1), das
Geistige (2), das Unbewußte (3) und das Höchste
Bewußtsein (4)
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Ramakrishna (1836-1886)
(aus: H. Küng, Spurensuche, S. 91f)
Im 19. Jahrhundert entsteht eine ethisch orientierte religiöse Erneuerungsbewegung, ohne die es
kaum je zu einer nationalen indischen Kultur und
zur nationalen Unabhängigkeit gekommen wäre.
Es waren zunächst die vielfältigen Bewegungen
für soziale Reformen, besonders in Bengalen, die –
angefangen von Raja Rammohun Roy – eine Antwort auf die unter britischer Herrschaft hereingebrochene Moderne zu geben versuchten. Aber
ohne die gleichzeitige spirituelle Erneuerung hätten ihr Tiefgang und Durchhaltekraft gefehlt. Die
Hindu-Renaissance führte zum modernen Reform-Hinduismus.
Und da gab es nun einen ungehobelten,
kaum gebildeten, kindlichen Bauernjungen aus
einer armen dörflichen Brahmanenfamilie, der
schließlich nach Widerstreben Priester in einem
ganz neuen Tempel Kalkuttas wurde. Er begann
mit der Zeit auch der englisch-modern erzogenen
Intelligenzia zu zeigen: Der Hinduismus ist nicht
am Absterben, ist keineswegs erledigt. Vielmehr
kann er wieder neu eine unerschöpfliche Quelle
spiritueller Erneuerung werden! Ramakrishna
(1836-1886), so jetzt sein Name, hatte von Jugend
an tranceartige Erlebnisse und Visionen, Ausdruck
einer übergroßen Gottessehnsucht und Gottesliebe.
In der von einer reichen, aber aus der untersten Kaste stammenden Witwe 1855 gestifteten
großen Tempelanlage von Dakshineshvara, die der
Muttergottheit Kali gewidmet ist, erlebte Ramakrishna die vom Bild her häßliche, furchterregende
schwarze Kali visionär als junge, schöne, gnadenvolle »Mutter« (ma). Ein Erlebnis nicht ganz un-
CD-ROM „Spurensuche“
ähnlich dem, wenn Christen die Mutter Jesu als
»Himmelskönigin« oder »Mutter des Universums«
bezeichnen. Später wird er Kali sogar mit dem
Brahman, dem Absoluten identifizieren. Den
Tantrismus freilich verabscheute er, und die Ehe
mit seiner ihm schon im Alter von vier Jahren
angetrauten Frau, die er später mit der Muttergottheit mystisch identifizierte, vollzog Ramakrishna nicht.
Kein Zweifel: Ramakrishna war durchaus ein
traditioneller Hindu und hat doch die »Neo-Hinduisten«, die allenthalben eine Modernisierung anstrebten, wesentlich inspiriert. Er war kein Sozialreformer und hat doch viele Sozialreformer beeindruckt. Darunter war der Begründer der neohinduistischen Vereinigung Brahmo Samaj, Keshab
Chandra Sen, der mit rationalen Argumenten gegen Idolatrie, abergläubische Praktiken und soziale
Übel wie Witwenverbrennung und Zwangsmitgift
ankämpfte. Für Ramakrishna und seine immer
zahlreicheren Schüler aber waren Meditation, Lobpreis des Gottesnamens und emotionale Liebe zu
einem persönlichen Gott (ob als Kali oder wie immer verehrt) entscheidend: der Bhakti-Marga also,
der »Weg der Hingabe«.
So gelangte Ramakrishna zur Überzeugung,
daß alle Religionen wahr seien, auch wenn sie von
Irrtümern nicht frei sind. Ob es nun die primitive
Bilderverehrung ist, die ja schließlich nicht dem
Bild, sondern der Gottheit gilt, oder aber die Betrachtung des bildlosen Brahman, die gewiß eine
höhere Form von Religion darstellt: Sie sind doch
allesamt unterschiedliche Wege zu der einen, allumfassenden Gottheit.
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Swami Vivekananda (1863-1902)
(aus: H. Küng, Spurensuche, S. 92f)
Ramakrishnas prominentester Schüler war Swami
Vivekananda, geboren 1863 in Kalkutta, das von
der Göttin Kali seinen Namen hat. Hier, wo er 1902
auch starb, gründete er ein Zentrum für spirituelle
Übungen und die Kultur des Wissens: Belur Math
mit Namen, gelegen am Ganges. Es ist das Hauptquartier der internationalen Ramakrishna-Bewegung Vivekanandas, wo heute noch Vivekanandas
Arbeitszimmer hoch in Ehren gehalten wird. Er war
es, der das Erbe Ramakrishnas in die sich jetzt entwickelnde nationale Bewegung einbrachte.
In einer christlichen Schule erzogen, hatte er
wie viele dieser modern gebildeten jungen Männer
den Glauben an den traditionellen Hinduismus
verloren und war zu einem rationalistischen Skeptiker geworden. Aber der Jurastudent wurde zunehmend von Ramakrishna angezogen und
schließlich von ihm zum geistigen Erben bestimmt.
Im Jahr nach dessen Tod legte Vivekananda mit
acht bis zehn Gefährten ebenfalls das Mönchsgelübde ab und studierte intensiv die religiöse
Sanskrit-Literatur. Dann wanderte er fast drei Jahre mühselig als Bettelmönch durch ganz Indien,
von Osten nach Westen und vom Fuß des Himalaja
bis zur Südspitze Indiens. Doch weder die blinde
Starrheit der orthodoxen Hindus noch der einseitige Rationalismus der Sozialreformer des »Brahmo
Samaj« konnten ihn befriedigen.
Mehr zufällig hörte er von einem Parlament
der Weltreligionen, das in Chicago im Rahmen der
Weltausstellung im September 1893 tagen sollte.
Kurz entschlossen reiste er nach Chicago, ein
obskurer unbekannter Hindu-Mönch, der einige
Schwierigkeiten hatte, als Delegierter zugelassen
zu werden. Aber schon am ersten Kongreßtag
stellte er mit einer inspirierenden Rede ohne
Manuskript, in perfektem Englisch, alle anderen
CD-ROM „Spurensuche“
Redner in den Schatten. Und er blieb die geistesmächtigste Figur in diesem Parlament, wo sich
zum erstenmal in aller Form Christentum und
östliche Religionen getroffen haben. Er war seiner
Zeit weit voraus, wenn er statt der bisherigen Konflikte und Konfrontationen eine Harmonie der Religionen von Ost und West forderte.
Voraussetzung für das Ethos ist Vivekananda
zufolge die auf viele Weisen mögliche Ausrichtung
auf das Göttliche: »Jede Seele ist potentiell göttlich. Das Ziel ist, diese Gottheit im Inneren zu
manifestieren, indem man die Natur, äußerlich und
innerlich, kontrolliert. Tue dies durch Werke oder
durch Gottesdienst oder durch psychische Kontrolle oder durch Philosophie – durch eines oder
durch alle von ihnen –, und sei frei. Dies ist die
ganze Religion; Lehren oder Dogmen oder Rituale
oder Bücher oder Tempel oder Formen sind alles
nur zweitrangige Details.« Damit hat sich Vivekananda als guter Hindu nicht nur gegen die Überbewertung von Doktrin, Dogma und Ritus gewandt,
sondern zugleich für die Ergänzungsfähigkeit
(Kompatibilität und Komplementarität) der drei
oder vier praktischen Hindu-Wege zum Heil
plädiert: Ob es der Weg der Meditation (yoga) oder
der der Erkenntnis (jnana), ob jener der Werke
(karma) oder der der Gottesliebe (bhakti), sie
führen alle zum einen Ziel, zum einen Gott.
Diese Auffassung bestimmt nun auch Vivekanandas Einstellung zu den anderen Religionen:
»Ich bin stolz darauf, zu einer Religion zu gehören«, erklärte Vivekananda vor den Delegierten,
»welche die Welt Toleranz und allumfassende
Annahme gelehrt hat. Wir glauben nicht nur an
die universale Toleranz, sondern wir nehmen an,
daß alle Religionen wahr sind.«
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Mahatma Gandhi (1869-1948)
Mohandas Karamchand Gandhi, geboren am 2.
Oktober 1869 in Porbandar im westlichen Indien,
ist eine der bedeutendesten Persönlichkeiten des
modernen Indiens.
Aus wohlhabendem Hause stammend, besuchte Gandhi zunächst seiner gesellschaftlichen
Stellung entsprechende Schulen und absolvierte
dann, mäßig begabt, in London am Inner Temple
ein Jurastudium. Berufliche Mißerfolge und private
Enttäuschungen verhinderten, daß der junge
Gandhi in London Fuß faßte. Er stellte sich in den
Dienst einer Firma, die ihn als Rechtsbeistand zu
einer Filiale nach Südafrika entsandte. Aus der
Erfahrung, in Südafrika selber zur diskriminierten
Minderheit zu zählen, entwickelte Gandhi den
festen Willen, allen Ungerechtigkeiten zu widerstehen, und wurde so bald zum Führer der indischen Einwanderer.
In dieser Zeit begegnete Gandhi auch jenen
westlichen Autoren, die ihn in seinen gewalfreien
Aktionen bestärkten und seinen politischen Ideen
eine Basis lieferten: Lew Tolstoi mit seiner Lehre
der gewaltfreien Aktionen, John Ruskin, dessen
Schriften in Gandhi das Bewußtsein für den Zusammenhang des Wohles des Einzelenen mit dem
der Allgemeinheit weckten, und Henry David
Thoreau, von dem Gandhi die Theorie des »zivilen
Ungehorsams« übernahm. Für seinen Einsatz in
Südafrika wurde Gandhi 1907 im indischen Nationalkongreß öffentlich gewürdigt, 1913 erhielt er
von Rabindranath Tagore den Ehrentitel »Mahatma« – die »große Seele« Indiens.
Zu Beginn des 1. Weltkriegs kehrte Gandhi
nach Indien zurück. Die Nationalbewegung war
gespalten – in Radikale und Gemäßigte gegenüber
der britischen Politik. Gandhi forderte die Selbstregierung (homerule) Indiens und propagierte
Svadeshi, den Gebrauch indischer und damit den
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Boykott englischer Waren. In Reaktion auf britische Notstandsgesetze im Jahre 1919 rief Gandhi
einen landesweiten Generalstreik aus, den die Briten am 13.4.1919 mit dem Massaker von Amritsar
beantworteten. Wegen zunehmender Gewalt und
Polarisierung der Reformbewegung zog sich Gandhi auf die Dörfer zurück und setzte dort seine
Kampagnen gegen die Unberührbarkeit und für die
Verbreitung des Baumwolltuches fort. Höhepunkt
seiner Agitation war 1930 der »Salzmarsch«, der
öffentliche Protest gegen das britische Salzmonopol.
Gandhi setzte sich vehement – vor allem mit
mehrmaligem längeren Fasten – für die Beibehaltung der Einheit Indiens unter Respektierung aller
Minoritäten ein (»vivisect me before you vivisect
India!«) – ohne Erfolg. Vom Fasten geschwächt und
politisch an den Rand gedrängt konnte Gandhi der
Teilung Indiens und der Schaffung eines eigenen
Muslim-Staates Pakistan nichts mehr entgegensetzen. Sein Einsatz für eine gerechte Teilung der
Staatskasse wurde von radikalen Hindus schließlich als Hochverrat gewertet: auf dem Weg zum
Gebet wurde er am 30.1.1948 von einem Brahmanen erschossen. Gandhis letzte Worte: »he ram«, »o
Gott!«.
Gandhi glaubte zeitlebens an die Reformierbarkeit des Hinduismus. Das Kastenwesen sei an
sich keine schlechte Sache, nur die Ausgrenzung
der Unberührbaren sei ein verwerflicher Mißbrauch. Gandhis Kriterien für Authentizität und
Wahrhaftigkeit von Religion waren ethische Prinzipien wie Aufrichtigkeit, Gewaltlosigkeit, Selbstbeherrschung, Besitzlosigkeit, Askese … Allen Religionen zollte er Respekt und Toleranz, solange sie
diesen ethischen Prinzipien entsprachen.
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