Skript zur Vorlesung Theoretische Mechanik Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt 8. Mai 2015 Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Inhaltsverzeichnis 1 Kinematik eines Massenpunkts 5 1.1 Bahnkurve, Geschwindigkeit und Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Krummlinige Koordinatensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.3 Grundtypen der Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.4 Harmonischer Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2 Newtonsche Mechanik 2.1 2.2 2.3 5 33 Die Newtonschen Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.1.1 Das Trägheitsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.1.2 Das Grundgesetz der Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.1.3 Das Wechselwirkungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.1.4 Superposition von Kräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.1.5 Bewegte Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Dynamik eines Massenpunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2.1 Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2.2 Impulsbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.2.3 Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.2.4 Drehimpulsbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2.2.5 Erhaltungssätze und Integration der Bewegungsgleichungen . . . . 57 2.2.6 Spezielle Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Dynamik eines MP-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2.3.1 Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2.3.2 Impulsbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2.3.3 Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2.3.4 Virialsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2.3.5 Drehimpulsbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 2.3.6 Spezielle Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3 Lagrangesche Mechanik 3.1 3.2 98 Das d’Alembertsche Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.1.1 Bedingungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.1.2 Das d’Alembertsche Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.1.3 Bilanzgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3.1.4 Spezielle Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.1.5 Starrer Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Lagrangesche Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3.2.1 Lagrangesche Gleichungen 1. Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3.2.2 Lagrangesche Gleichungen 2. Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3.2.3 Erhaltungssätze und Symmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4 Hamiltonsche Mechanik 145 4.1 Prinzip der kleinsten Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 4.2 Hamiltonsche Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 4.3 Poisson-Klammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5 Spezielle Relativitätstheorie 5.1 5.2 5.3 158 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 5.1.1 Michelson-Experiment - Lorentzkontraktion . . . . . . . . . . . . . 158 5.1.2 Zeitdilatation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5.1.3 Lorentz-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 5.2.1 Meßvorschriften und Gleichzeitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 5.2.2 Kausalität von Ereignissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Relativistische Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 5.3.1 Masse und Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 5.3.2 Geschwindigkeitsabhängigkeit der trägen Masse . . . . . . . . . . . 188 4 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 1 Kinematik eines Massenpunkts 1.1 Bahnkurve, Geschwindigkeit und Beschleunigung Kinematik ≡ geometrische Bewegungslehre, interessieren uns zunächst nicht für Ursachen der Bewegung Im kinematischen Sinne ist die Bewegung eines Körpers bestimmt, wenn die Lage des Körpers relativ zu einem anderen Körper zu jedem Zeitpunkt angebbar ist. Wir idealisieren einen Körper zunächst durch einen Massenpunkt. Wir wählen in dem Bezugskörper (z.B. Erde) einen Ausgangspunkt O (Koordinatenursprung), durch den die Achsen eines rechtwinkligen Koordinatensystems verlaufen. ~ ≡ ~r charakterisiert. ⇒ Die Lage des Massenpunktes P ist durch den Ortsvektor OP Die Bewegung des Massenpunktes ist bekannt, wenn der Ortsvektor ~r als Funktion der Zeit bekannt ist: ~r = ~r(t) 5 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Speziell in kartesischen Koordinaten: ~r(t) = x(t)e~x + y(t)e~y + z(t)e~z Die Funktionen x(t), y(t) und z(t) seien eindeutig und mindestens zweimal differenzierbar. Die Raumkurve ~r(t) ist die Bahnkurve des Massenpunkts. Zum Zeitpunkt t ist der Massenpunkt bei ~r(t), nach der Zeitspanne ∆t bei ~r(t + ∆t) = ~r + ∆~r. Die auf die Zeiteinheit bezogene mittlere Verrückung ist durch den Vektor ~r(t + ∆t) − ~r(t) ∆~r = ∆t ∆t gegeben, der von der Zeit t und der Zeitspanne ∆t abhängt. Den von ∆t unabhängigen Vektor der Geschwindigkeit ~v (t) findet man als Grenzwert ~v (t) ≡ ~r˙ (t) ≡ d~r ~r(t + ∆t) − ~r(t) = lim ∆t→0 dt ∆t 6 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Speziell in kartesischen Koordinaten gilt ~r˙ = ẋe~x + ẏ e~y + ż e~z Geometrisch ergibt sich der Vektor der Geschwindigkeit als Grenzlage der Sekante durch die Vektoren ~r(t + ∆t) und ~r(t) pro Zeitintervall ∆t in der Grenze ∆t → 0, d.h. die Richtung der Geschwindigkeit zur Zeit t ist durch die Richtung der Tangente im Punkt P der Bahnkurve ~r(t) gegeben. ~v = v T~ mit T~ . . . Tangenteneinheitsvektor und v = |~v | Beweis: Definieren Bogenlänge der Bahnkurve zwischen P und dem zur geeignet gewählten Anfangszeit t0 zugehörigen P0 durch Zt s = s(t) = Zt |d~r| ds = t0 7 t0 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wegen ~r = ~r [s(t)] gilt ~v = d~r d~r ds · = dt ds |{z} dt |{z} v T~ ~v (t) wird als Hodograph bezeichnet. Die Beschleunigung ~a(t) ist definiert als zeitliche Änderung des Geschwindigkeitsvektors: d~v d2~r ≡ 2 dt dt ~a(t) ≡ ~v˙ (t) ≡ ~r¨(t) ≡ k ~ v (t+∆t)−~ v (t) ∆t ∆t→0 lim Speziell in kartesischen Koordinaten ~r¨ = ẍe~x + ÿ e~y + z̈ e~z d~v d ~ ˙ ~a = = v T = v̇ T~ + v T~ dt dt dT~ dT~ ds dT~ ˙ gilt T~ = = · =v dt ds |{z} dt ds v d ~ ~ T~ · T~ = 1 ⇒ T ·T =0 ds k 2 · T~ · ⇒ dT~ ~ ⊥T ds 8 ~ dT ds Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wir definieren den Hauptnormaleneinheitsvektor ~ dT~ d T dT~ ~ = N / = R ds ds ds wobei wir den lokalen Krümmungsradius R eingeführt haben. Der Krümmungsradius R ist der Radius des Kreises, der die Bahnkurve am betrachteten Punkt am besten approximiert, siehe Abbildung unten: Für ∆t → 0 gilt offensichtlich: ds ~ dϕ = = dT R dT~ 1 ⇒ = ds R ⇒R=| dT~ −1 | ds ~ Mit R = | ddsT |−1 erhalten wir für die Beschleunigung ~a = d~v dT~ = v̇ T~ + v 2 dt ds = v̇ T~ |{z} Anteil an Beschleunigung infolge Betragsänderung der Geschwindigkeit v2 ~ N |R{z } + infolge Richtungsänderung der Geschwindigkeit 9 ~ mit T~ ⊥N Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 1.2 Krummlinige Koordinatensysteme In kartesischen Koordinaten sind die Koordinatenlinien Geraden. Oft sind aber auch krummlinige Koordinaten zielführend. Dann ändern die Koordinatenlinien ihre Richtung, so daß die Einheitsvektoren ortsabhängig werden. Stehen die Koordinatenlinien senkrecht aufeinander spricht man von rechtwinkligen (krummlinigen) Koordinaten. Beispiel sind Zylinder- und Kugelkoordinaten. Der allgemeinste Fall sind schiefwinklige krummlinige Koordinaten. Dafür lassen sich zwei Arten von Koordinaten und Basisvektoren definieren. Wir betrachten schiefwinklige Koordinaten xi = xi (x, y, z) i = 1, 2, 3 mit den Umkehrtransformationen x = x x1 , x2 , x3 y = y x1 , x2 , x3 z = z x1 , x2 , x3 Wir definieren kovariante Basisvektoren ∂~r g~i := = ∂xi ∂x ∂y ∂z , , ∂xi ∂xi ∂xi ∂xi ∂xi ∂xi , , ∂x ∂y ∂z und kontravariante Basisvektoren ~ i= g~i := ∇x 10 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Für rechtwinklige Koordinatensysteme gilt: g~i k~ gi (Begründung später: weil dann der metrische Fundamentaltensor diagonal ist) Die Skalarprodukte gik = g~i · g~k = gki g ik = g~i · g~k = g ki hängen von den gewählten Koordinaten ab, da die Basisvektoren von ihnen abhängen. Invariant sind hingegen Skalarprodukte von kovarianten und kontravarianten Basisvektoren ∂~r ~ k ∂xk gik = g~i · g~k = · ∇x = = δik ∂xi ∂xi 1 k = i k mit dem Kroneckersymbol δi = 0 k 6= i Kovariante und kontravariante Basisvektoren bilden jeweils eine Entwicklungsbasis für einen beliebigen Vektor ~q: ~q = q k g~k = qk g~k (Hier gilt die Einstein’sche Summenkonvention: über zwei gleiche ko- und kontravariante Indizes ist zu summieren) Bestimmung der Koeffizienten q k bzw. qk ? ~q = q k g~k | · g~i ⇒ q i = g~i · ~q 11 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik analog: ~q = qk g~k | · g~i ⇒ qi = g~i · ~q Ko- und kontravariante Komponenten lassen sich einfach ineinander umrechnen: q i = g~i · ~q = g ik qk k g~k qk analog: qi = gik q k Skalarprodukt zweier Vektoren ~q und p~? ~q · p~ = qi pk g~i g~k = qi pi |{z} δki k = q i pi gik q k pi k g ik qk pi Die Größe gik heißt metrischer Fundamentaltensor, er bestimmt die Länge des Bogenelements in dem jeweils gewählten Koordinatensystem. Aus der Definition g~i := ∂~ r ∂xi folgt mittels Kettenregel unmittelbar die Metrische Fundamentalgleichung d~r = g~i dxi = g~i dxi deren rechte Seite die dxi einführt. Für das Quadrat des Differentials der Bogenlänge ergibt sich ds2 = d~r · d~r = gik dxi dxk = g ik dxi dxk 12 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Bemerkung: In der "flachen"Raum-Zeit des Minkowski-Raumes mit ⇒ Vierervektoren x = (x0 , ~r) = (ct, x, y, z) gilt für das unter Lorentztransformationen invariante Abstandsquadrate zweier Erreignisse ds2 = (dx0 = cdt)2 − (dx1 = dx)2 − (dx2 = dy)2 − (dx3 = dz)2 , entsprechend folgt g00 = 1, g11 = g22 = g33 = −1, gij = 0 i 6= j. Anwendungen bei Integration und Differentiation: Als Volumenelement (im dreidimensionalen Raum) kann das von den Vektoren dr~1 = g~1 dx1 dr~2 = g~2 dx2 dr~3 = g~3 dx3 aufgespannte Spatprodukt angesehen werden, d.h. 1 2 3 dV = |g~1 · (g~2 × g~3 )| dx dx dx = ∂(x, y, z) 1 2 3 ∂ (x1 , x2 , x3 ) dx dx dx | {z } Betrag der Funktionaldeterminante Entsprechend können die Flächen des vektoriellen Flächenelements angegeben werden dA~1 = g~2 × g~3 dx2 dx3 usw. Wir können auch Differentialoperatoren in beliebigen Koordinaten angeben. 13 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik ~ einer Funktion f , nach Definition gilt: Beispiel: Gradient ∇ ~ df = d~r · ∇f k ∂f dxi i ∂x k g~i dxi ~ = ∂f dxi ⇒ g~i dxi · ∇f ∂xi ~ = ∂f |g~i g~i · ∇f ∂xi ∗ ~i ∂f ~k = δ k ~ = ∇f g ∗ : g ~ · g i i ∂xi ∂f ∗∗ = g~i g ik k ∗∗ : q i = g ik qk ∂x Anwendung in Mechanik: Geschwindigkeit und Beschleunigung eines Massenpunkts in beliebigen Koordinaten. Wir starten mit der metrischen Fundamentalgleichung d~r = g~i dxi ⇒ d~r dxi = ~r˙ = g~i dt dt Geschwindigkeit ~r˙ = ẋi g~i d dt | → Beschleunigung ~r¨ = ẍi g~i + ẋi g~˙i Speziell in rechtwinkligen Koordinaten ist der metrische Fundamentaltensor diagonal gik = λ2i δik (keine Summenkonvention) 14 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik → Basisvektoren g~i und g~i sind parallel g~i = λ2i g~i kg~i (keine Summenkonvention) Die orthogonalen Einheitsvektoren erhalten wir aus e~i = g~i = λi g~i λi damit Geschwindigkeit ~r˙ = 3 X ẋi λi e~i i=1 und Beschleunigung ~r¨ = 3 n o X ẍi λi e~i + ẋi λ̇i e~i + ẋi λi e~˙i i=1 Berechnung von e~˙i aus der Definition e~i = g~i 1 ∂~r = (keine Summenkonvention) λi λi ∂xi Beispiel: Zylinderkoordinaten x1 = ρ x2 = ϕ x3 = z 15 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik bzw. ρ = Umrechnung x = x (ρ, ϕ) = ρ cos ϕ p x2 + y 2 y = y (ρ, ϕ) = ρ sin ϕ ϕ = arctan z=z z=z y x ∂~r = (cos ϕ, sin ϕ, 0) ∂ρ ∂~r g~2 = = (−ρ sin ϕ, ρ cos ϕ, 0) ∂ϕ ∂~r g~3 = = (0, 0, 1) ∂z ⇒ g~1 = x p ~ =∇ ~ x2 + y 2 = g~1 = ∇ρ y ! p ,p , 0 = (cos ϕ, sin ϕ, 0) x2 + y 2 x2 + y 2 y y x sin ϕ cos ϕ ~ 2 ~ =∇ ~ arctan = − g = ∇ϕ , ,0 = − , ,0 x x2 + y 2 x2 + y 2 ρ ρ ~ = (0, 0, 1) g~3 = ∇z Der metrische Fundamentaltensor gik 1 0 0 2 = g~i · g~k = 0 ρ 0 0 0 1 ist, wie für rechtwinklige Koordinaten erwartet, diagonal. λρ = 1 gik = λ2i δik λϕ = ρ λz = 1 Jetzt berechnen wir die orthogonalen Einheitsvektoren. 16 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik e~i = g~i λi e~ρ = (cos ϕ, sin ϕ, 0) ⇒ e~ϕ = (− sin ϕ, cos ϕ, 0) e~z = (0, 0, 1) Wir können jetzt den Gradienten in Zylinderkoordinaten ausdrücken: ∂f ∂f 1 cos ϕ − sin ϕ ∂ρ ρ ∂ϕ ∂f ~ ∂f ∂f ~ = gi ∇f = sin ϕ ∂ρ + ρ1 cos ϕ ∂ϕ i ∂x ∂f ∂z Diese Gleichung ist noch in kartesischen Komponenten ausgedrückt, zu „echter“ Zylinderkoordinatendarstellung kommen wir durch Projektion auf e~ρ , e~ϕ und e~z . ~ · e~ρ = ∂f ∇f ∂ρ 1 ~ · e~ϕ = ∂f ∇f ρ ∂ϕ ~ · e~z = ∂f ∇f ∂z 1 ∂f ∂f ∂f e~ρ + e~ϕ + e~z ⇒ gradf = ∂ρ ρ ∂ϕ ∂z Volumenelement in Zylinderkoordinaten dV = |g~1 · (g~2 × g~3 )| dx1 dx2 dx3 = ρdρdϕdz k | {z } dxdydz ρ Geschwindigkeit in Zylinderkoordinaten ~r˙ = 3 X ẋi λi e~i = ρ̇e~ρ + ϕ̇ρe~ϕ + ż e~z i=1 17 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Beschleunigung in Zylinderkoordinaten ~r¨ = 3 n o X ẍi λi e~i + ẋi λ̇i e~i + ẋi λi e~˙i = ρ̈e~ρ + ρ̇e~˙ρ + ϕ̈ρe~ϕ + ϕ̇ρ̇e~ϕ + ϕ̇ρe~˙ϕ + z̈ e~z + ż e~˙z i=1 Wie sehen e~˙ρ , e~˙ϕ und e~˙z aus? e~ρ = cos ϕe~x + sin ϕe~y e~˙ρ = −ϕ̇ sin ϕe~x + ϕ̇ cos ϕe~y = ϕ̇e~ϕ e~ϕ = − sin ϕe~x + cos ϕe~y e~˙ϕ = −ϕ̇ cos ϕe~x − ϕ̇ sin ϕe~y = −ϕ̇e~ρ e~z = e~z ⇒ e~˙z = 0 Damit ~r¨ = e~ρ ρ̈ − ρϕ̇2 + e~ϕ (ρϕ̈ + 2ρ̇ϕ̇) + z̈ e~z Beispiel: Kugelkoordinaten x = r sin θ cos ϕ y = r sin θ sin ϕ z = r cos θ 18 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Offensichtlich (Beweis Übung) gilt: gik 1 0 0 2 = 0 0 r 0 0 r2 sin2 θ e~r = (sin θ cos ϕ, sin θ sin ϕ, cos θ) e~θ = (cos θ cos ϕ, cos θ sin ϕ, − sin θ) e~ϕ = (− sin ϕ, cos ϕ, 0) ~r˙ = ṙe~r + θ̇re~θ + ϕ̇r sin θe~ϕ 1 d 2 2 2 2 2 ¨ θ̇r − ϕ̇ r sin θ cos θ e~θ ~r = r̈ − θ̇ r − ϕ̇ r sin θ e~r + r dt 1 d ϕ̇r2 sin2 θ e~ϕ + r sin θ dt 1.3 Grundtypen der Bewegung Die einfachste Bewegung eines Massenpunktes ist die geradlinige gleichförmige Bewegung, für die ~r˙ = ~v = const. gilt. ⇒ ~r¨ = 0 19 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Die Bahnkurve folgt offensichtlich einer Geraden, deren Richtung durch ~v bestimmt wird: ~r(t) = ~v (t − t0 ) + r~0 Die gleichförmig beschleunigte Bewegung ist durch ~r¨ = ~a = const. definiert. ⇒ ~v = ~r˙ = ~at + ~b Bahnkurve: 1 ~r(t) = ~at2 + ~bt + ~c 2 mit beliebigen Vektoren ~b und ~c. Für die Anfangsbedingungen t = t0 ~r(t0 ) = r~0 ~r˙ (t0 ) = v~0 gilt offensichtlich ~r˙ (t0 ) = v~0 = ~at0 + ~b ⇒ ~b = v~0 − ~at0 1 ~r(t0 ) = r~0 = ~at20 + ~bt0 + ~c k 2 v~0 − ~at0 1 ⇒ ~c = r~0 + ~at20 − v~0 t0 2 20 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Damit ergibt sich für die Bahnkurve: 1 1 1 ~r(t) = ~at2 + v~0 t − ~at0 t + r~0 + ~at20 − v~0 t0 = (t − t0 )2~a + (t − t0 )v~0 + r~0 2 2 2 D.h. die Bahnkurve liegt in einer durch ~a und v~0 aufgespannten Ebene, die gleichförmig beschleunigte Bewegung ist somit eine ebene Bewegung: Die Bewegung setzt sich zusammen aus einer geradlinig gleichförmigen Bewegung und einer geradlinig gleichförmig beschleunigten Bewegung. Ohne Verlust an Allgemeinheit liegen ~a und v~o in der x-y-Ebene, es gelte ~a = ae~y v~0 = v0x e~x + v0y e~y dann gilt x − x0 = v0x (t − t0 ) 1 y − y0 = a(t − t0 )2 + v0y (t − t0 ) 2 21 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Durch Eliminierung der Zeit erhält man die Bahngleichung: y − y0 = v0y 1 a (x − x0 ) (x − x0 )2 + 2 2 v0x v0x ⇒ Parabel, deren Achse parallel zur Beschleunigungsrichtung (d.h. e~y ) ist. Falls v~0 parallel zu ~a ist oder v~0 = 0, entartet die Bewegung in eine geradlinige Bewegung. Beispiel: Wurf im Schwerefeld Die y-Achse zeige nach oben, d.h. ~a = −g e~y v0x = v0 cos α v0y = v0 sin α Für x0 = y0 = 0 = t0 gilt dann: x = v0 t · cos α 1 y = v0 t · sin α − gt2 2 • Wurfparabel ergibt sich zu y = x tan α − 22 g x 2v02 cos2 α 2 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik • Steigzeit ergibt sich aus ! ẏ = 0 ⇒ v0 sin α − gts = 0 ts = v0 sin α g • Wurfdauer 1 ! y = 0 ⇒ v0 td sin α − gt2d = 0 2 2v0 sin α td = = 2ts g ! (y = −h falls der Wurf aus der Höhe h erfolgt) • Wurfhöhe y(ts ) = 1 v02 sin2 α v02 sin2 α 1 v02 sin2 α − g = g 2 g2 2 g • Wurfweite x(td ) = v0 cos α 2v0 sin α ∗ v02 sin(2α) = g g (∗ : sin(2α) = 2 sin α cos α) ⇒ maximale Wurfweite für α = 45◦ , kleinere Weiten können im Steilwurf und im Flachwurf erzielt werden. 23 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Ein Massenpunkt führt eine gleichförmige Kreisbewegung aus, wenn er sich mit konstanter Bahngeschwindigkeit v = |~v | = const. auf einem Kreis mit festem Radius R = const. bewegt. Beschreibung mit ebenen Polarkoordinaten x = ρ cos ϕ y = ρ sin ϕ vgl. Zylinderkoordinaten (1.2) ~r˙ = ρ̇e~ρ + ϕ̇ρ e~ϕ |{z} q vρ = 0 vϕ = ωR = v = const. wobei ω = ϕ̇ die Winkelgeschwindigkeit bezeichnet. ϕ̇ = ω = v = const. ⇒ ϕ(t) = ω(t − to ) + ϕ0 R früher (1.2) ~r¨ = ρ̈ − ρϕ̇2 e~ρ + (ρϕ̈ + 2ρ̇ϕ̇) e~ϕ d.h. aρ = ρ̈ − ϕ̇2 ρ = −ω 2 R = − aϕ = ρϕ̈ + 2ϕ̇ρ̇ = 0 k k 0 0 24 v2 R Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik ⇒ Beschleunigung zeigt zum Mittelpunkt des Kreises (Radialbeschleunigung) und hat den Betrag ω 2 R ~a = −ω 2 Re~ρ = − v2 e~ρ R betrachten Zeitabhängigkeit ϕ = ω(t − t0 ) + ϕ0 ! ∆ϕ = ω∆t = 2π Mit ∆t = T (Umlaufzeit) ergibt sich: ω= mit Frequenz ν = 2π = 2πν T 1 T Die Winkelgeschwindigkeit ω wird auch als Kreisfrequenz bezeichnet. In kartesischen Koordinaten gilt: x = ρ cos ϕ ⇒ x(t) = R cos (ωt + α) π y = ρ sin ϕ ⇒ x(t) = R sin (ωt + α) = R cos ωt + α − 2 (mit α = ϕ0 − ωt0 ) Die Projektionen der Kreisbewegung auf die x- und y-Achse sind harmonische Schwingungen. Genauer: Die gleichförmige Kreisbewegung kann als Überlagerung zweier zueinander senkrecht stehender harmonischer Schwingungen angesehen werden, deren Phasendifferenz π 2 ist. 25 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 1.4 Harmonischer Oszillator Wir betrachten eine periodische, lineare Bewegung eines Massenpunktes längs der xAchse um den Ursprung. x(t + T ) = x(t) mit Periodendauer T . Die periodische Bewegung ist eine harmonische Schwingung, wenn die Auslenkung aus dem Ursprung eine Kosinus- oder Sinusfunktion der Zeit ist. x(t) = A cos(ωt + α) A. . . Amplitude, α. . . Phase, Kreisfrequenz ω = 2π T , Frequenz ν = 1 T Offensichtlich gilt: ẋ(t) = −ωA sin(ωt + α) |ẋ(t)| ist maximal für ωt + α = (2n+1)π , 2 d.h. bei den Durchgängen x(t) = 0. |ẋ(t)| = 0 für ωt + α = nπ, d.h. bei maximaler Auslenkung. ẍ(t) = −ω 2 A cos(ωt + α) = −ω 2 x(t) Die Beschleunigung ist proportional zur Auslenkung und ist ihr entgegengesetzt gerichtet. 26 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Die Auslenkung einer harmonischen Schwingung genügt der Differentialgleichung ẍ + ω 2 x = 0 Die Umkehrung gilt ebenfalls: Falls für die Bewegung eines Massenpunktes die Differentialgleichung oben gilt, dann führt der Massenpunkt eine harmonische Schwingung aus, da x(t) = A cos(ωt + α) = A1 sin(ωt) + A2 cos(ωt) die allgemeine Lösung dieser DGL ist. Oft ist die komplexe Schreibweise zweckmäßig x(t) = Aeiωt , A = |A| eiα wobei der Realteil die physikalische Schwingung repräsentiert. Überlagerung harmonischer Schwingungen Sei x1 (t) = A1 eiωt , A1 = |A1 | eiα1 x2 (t) = A2 eiωt , A2 = |A2 | eiα2 x(t) = x1 (t) + x2 (t) = (A1 + A2 ) eiωt = Aeiωt | {z } A ⇒ Die Überlagerung harmonischer Schwingungen gleicher Richtung und Frequenz ω ist wieder eine harmonische Schwingung mit Frequenz ω. 27 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik A = |A| eiα ergibt sich aus den Rechenregeln für komplexe Zahlen q |A| = |A1 |2 + |A2 |2 + 2 |A1 | |A2 | cos (α2 − α1 ) tan α = |A1 | sin α1 + |A2 | sin α2 |A1 | cos α1 + |A2 | cos α2 Die Amplitude |A| hängt für festes |A1 | und |A2 | von der Phasendifferenz δ = α2 − α1 ab. • δ = 2nπ ⇒ |A| = |A1 | + |A2 | maximaler Wert, konstruktive Interferenz • δ = (2n + 1)π ⇒ |A| = ||A1 | − |A2 || minimaler Wert, destruktive Interferenz Für die Überlagerung von Schwingungen gleicher Richtung, aber unterschiedlicher Frequenz ist x(t) = A1 eiω1 t + A2 eiω2 t keine harmonische Schwingung, sondern ein komplizierterer Vorgang. Falls ω1 ω2 = m n mit m, n ∈ N, dann liegt ein periodischer Vorgang vor, dessen Kreisfre- 28 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik quenz ω durch ω1 = mω, ω2 = nω bestimmt ist: x(t) = A1 eimωt + A2 einωt ! x(t + T ) = x(t) ⇒ T = 2π ω Für |A1 | = |A2 | , ω1 ≈ ω2 ergibt sich ein wichtiger Spezialfall: A1 = |A1 | eiα1 A2 = |A1 | eiα2 h i x(t) = |A1 | ei(ω1 t+α1 ) + ei(ω2 t+α2 ) h = |A1 | ei[(ω1 −ω2 )t+α1 −α2 ]/2 ei[(ω1 +ω2 )t+α1 +α2 ]/2 + . . . i . . . + e−i[(ω1 −ω2 )t+α1 −α2 ]/2 ei[(ω1 +ω2 )t+α1 +α2 ]/2 z =:2ω }| { z =:2α }| { ω1 − ω2 α1 − α2 i[(ω1 + ω2 )t+α1 + α2 ]/2 x(t) = 2 |A1 | cos[( )t + ( )]e 2 } 2 } | {z | {z =:∆ω = 2 |A1 | cos(∆ωt + ∆α)e =:∆α i(ωt+α) Für ω1 ≈ ω2 ist ∆ω ω und es liegt eine sogenannte Schwebung vor. 29 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Harmonische Schwingungsanalyse Oft liegen periodische Vorgänge vor, die nicht in einige wenige harmonische Schwingungen zerlegt werden können. Hier ist eine Fourierzerlegung oft hilfreich. x(t) sei eine periodische Funktion mit x(t + T ) = x(t), T = 2π ω mit höchstens endlich vielen Unstetigkeitsstellen. ⇒ x(t) kann in eine Fourier-Reihe entwickelt werden: ∞ X x(t) = An einωt n=−∞ Bestimmung der Fourierkoeffizienten An ? 1 T tZ 0 +T −imωt x(t)e t0 ∞ X 1 dt = An T n=−∞ | ⇒ An = 1 T Z tZ 0 +T ei(n−m)ωt dt t0 {z δnm } x(t)e−inωt dt T Oft nähern die Grundschwingung ∼ eiωt und wenige Oberschwingungen ∼ einωt , n > 1 eine periodische Funktion bereits gut an. Für T → ∞ geht die Fourier-Reihe in ein Fourier-Integral über Z x(t) = q(Ω)eiΩt dΩ 1 mit q(Ω) = 2π Z 30 x(t)e−iΩt dt Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Senkrecht zueinander stehende harmonische Schwingungen Sei x(t) = A cos(ωt + α) y(t) = B cos(ωt + β) = B cos(ωt + α + |{z} δ ) β−α Mit cos(x + y) = cos x cos y − sin x sin y folgt: y(t) = B(cos(ωt + α) cos δ − sin(ωt + α) sin δ) | | r {z {z } } x(t) A 1− y 2 x ⇒ − cos δ = B A x2 1− 2 A x(t)2 A2 sin2 δ x2 y2 2xy + − cos δ = sin2 δ 2 2 A B AB ⇒ Der resultierende Vektor [x(t), y(t)] beschreibt eine Ellipse. Spezialfälle: • δ = 0, π ⇒ x A ∓ y 2 B =0 y(t) = ± B A x(t) Ellipse geht in Gerade über • δ = π2 , 3π 2 und A = B ⇒ x2 + y 2 = A2 elliptische Schwingung geht in Kreisschwingung über 31 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Für A = B entstehen folgende Figuren: y x Senkrecht zueinander stehende harmonische Schwingungen verschiedener Frequenz geben Anlaß zu sogenannten Lissajous-Figuren. Die Bewegung ist dabei nur dann streng periodisch und die Bahnkurve nur dann geschlossen, wenn das Frequenzverhältnis rationale Zahl ist, siehe Beispiele unten: 32 ω1 ω2 eine Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 2 Newtonsche Mechanik 2.1 Die Newtonschen Axiome Die Newtonschen Axiome sind keine mathematisch beweisbaren Sätze, sondern Erfahrungstatsachen, aus denen alle weiteren Sätze über die Dynamik (Bewegung von Körpern unter Einfluß von Kräften) abgeleitet werden können. 2.1.1 Das Trägheitsgesetz ∧ = 1. Newtonsches Axiom: Jeder Körper beharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, diesen Zustand zu ändern. Bemerkungen: • ist Extraktion vieler Erfahrungen für einen idealen Grenzfall • Ist nicht unmittelbar experimentell überprüfbar, da wir einwirkende Kräfte nicht vollständig abschirmen können • Axiom hat nur dann einen Sinn, wenn es ein Bezugssystem gibt, in dem das Trägheitsgesetz gilt →Ein solches Bezugssystem heißt Inertialsystem • Erfahrungsgemäß kann ein im Fixsternhimmel befestigtes Bezugssystem als Inertialsystem betrachtet werden 33 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 2.1.2 Das Grundgesetz der Dynamik ∧ = 2. Newtonsches Axiom Es sei m die träge Masse und F~ die Kraft auf einen Körper. Dann gilt: Die auf einen Massenpunkt wirkende Kraft ist gleich dem Produkt aus Masse und Beschleunigung des Massenpunkts m~r¨ = F~ Die ursprüngliche Formulierung von Newton ist etwas anders, für den Impuls p~ = m~r˙ gilt: Die Änderung des Impulses ist der einwirkenden Kraft proportional und geschieht in Kraftrichtung p~˙ = F~ Die beiden Formulierungen sind identisch, falls sich die Masse m während der Bewegung nicht ändert d ˙ p~˙ = m~r = m~r¨ = F~ dt Für sehr große Geschwindigkeiten (v → c) gilt dies nicht mehr, dann m0 m= q 1− v2 c2 mit m0 . . . Ruhemasse (Masse für v = 0) In diesem Fall m~r¨ 6= F~ , p~˙ = F~ bleibt gültig. Auch für nichtrelativistische Probleme kann m veränderlich sein (Bsp. Rakete) und m~r¨ 6= F~ , so dass p~˙ = F~ zur Anwendung kommt. 34 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Dynamische Kraft- und Massenmessung Wir lassen die gleiche Kraft auf zwei Massenpunkte wirken ⇒ m1 r~¨1 = m2 r~¨2 ¨ r~2 m1 = m2 r~¨1 Aus dem Verhältnis der gemessenen Beschleunigungen kann auf das Massenverhältnis geschlossen werden. Wir wählen eine Referenzmasse (z.B. das Pariser Urkilogramm). ⇒ Wir können jede Masse eindeutig bestimmen. Mit der Masseneinheit wird über das Grundgesetz dann die Krafteinheit festgelegt. 1 Newton ist die Kraft, die der Masse 1 kg die Beschleunigung 1 ms−2 erteilt. 1N=1 kg m s2 Statische Kraft- und Massenmessung Erfahrungsgemäß ist an einem festen Ort die Fallbeschleunigung ~r¨ = ~g für jeden Körper die gleiche, g ≈ 9, 81 m . s2 Das Gewicht eines Körpers der Masse m ist gegeben durch F~ = m~g Das Gewicht des Urkilogramms an dem Ort, wo g = 9, 81 gewählt 1 kp = 9, 81 N 35 m s2 ist, wird als Kilopond (kp) Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wenn man (mit Hilfe einer beliebigen Waage) bei einer statischen Kraftmessung feststellt, daß die Gewichte zweier Körper an einem Ort gleich groß sind, dann sind die Massen ebenfalls gleich m1 g = m2 g ⇒ m1 = m2 Bei dieser Messung spielt die Trägheit des Körpers keine Rolle, sondern die Schwere ist entscheidend. ⇒ Wir können zwischen schwerer Masse und träger Masse unterscheiden Nichttriviale Erfahrungstatsache: beide Arten der Massenbestimmung ergeben dasselbe Resultat, d.h. schwere Masse = träge Masse. Bemerkung: • Grundgesetz der Mechanik gibt Meßvorschrift für Kraft und Masse. Wir können Kraft- und Massemessungen auf Beschleunigungsmessungen, d.h. Längen- und Zeitmessungen zurückführen. • Wir können bei bekannter Bahnkurve ~r(t) durch zweimaliges Differenzieren nach der Zeit für bekannte Masse die wirkende Kraft bestimmen F~ = m~r¨ • Wir können umgekehrt aus bekannter Kraft F~ die Beschleunigung des Massenpunktes ~r¨ und damit die Bahnkurve gewinnen. → typisches Problem der theoretischen und auch der technischen Mechanik 36 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 2.1.3 Das Wechselwirkungsgesetz ∧ = 3. Newtonsches Axiom (actio=reactio) Kraftwirkungen sind immer gegenseitig, genau gilt Die von einem Massenpunkt auf einen zweiten Massenpunkt ausgeübte Kraft F~21 ist gleich groß und entgegengesetzt der Kraft F~12 , die der zweite Massenpunkt auf den ersten Massenpunkt ausübt F~12 = −F~21 2.1.4 Superposition von Kräften Eine weitere wesentliche Erfahrungstatsache ist der Sachverhalt, daß sich Kräfte vektoriell addieren. Kräfte F~1 , F~2 ,. . . auf einen Massenpunkt können durch die Einzelkraft F~ = F~1 + F~2 + . . . ersetzt werden, d.h. m~r¨ = F~1 + F~2 + . . . 2.1.5 Bewegte Bezugssysteme Die Grundgleichung m~r¨ = F~ ist zunächst in einem Inertialsystem Σ gültig. Welche Form nimmt die Grundgleichung in einem Bezugssystem Σ0 an, das sich bezüglich Σ bewegt? 37 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Es gilt: ~r = r~0 + r~0 k x0 e~0x + y 0 e~0y + z 0 e~0z de~0y de~0 de~0 d dr~0 dx0 ~0 dy 0 ~0 dz 0 ~0 ~r˙ = ~r = + x0 x + y 0 + z0 z + ex + ey + e dt dt dt dt dt dt{z dt }z |dt ˙ r~0 ˙ mit r~0 ≡ d0 r~0 dt als Geschwindigkeit des Massenpunktes für einen Beobachter in Σ0 , für den die Achsenrichtungen fest scheinen d0 r~0 dt → Differentiation in Σ0 bei fester Lage der Koordinatenachsen. d~r . . . Absolutgeschwindigkeit dt d0 r~0 v~0 ≡ . . . Relativgeschwindigkeit dt dr~0 v~tr ≡ . . . Translationsgeschwindigkeit, Geschwindigkeit von O’ in Σ dt ~v ≡ Die zeitliche Änderung der Basisvektoren e~0x , e~0y und e~0z resultiert aus einer möglichen Drehung des Systems Σ0 um eine Achse durch O0 . 38 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wir betrachten die Drehung um eine Achse: # » # » # » d AB = CB dϕ = AB sin θdϕ # » d AB dt # » dϕ = AB sin θ dt k ω ω . . . momentane Winkelgeschwindigkeit Wir definieren den Vektor der Winkelgeschwindigkeit ω ~ durch die Richtung der Achse einer Rechtsschraube und den Betrag |~ ω | = ω = |ϕ̇|. Damit gilt # » dAB # » =ω ~ × AB dt Speziell folgt de~0x =ω ~ × e~0x , dt de~0y =ω ~ × e~0y , dt 39 de~0z =ω ~ × e~0z dt Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik und damit x0 de~0y de~0x de~0 + y0 + z0 z = ω ~ × r~0 dt dt dt Das bedeutet für die Geschwindigkeit d~r d0 r~0 = + dt dt dr~0 +ω ~ × r~0 dt | {z } (∗) „Führungsgeschwindigkeit“ gilt ~r − r~0 = r~0 ⇒ dr~0 d0 r~0 = +ω ~ × r~0 dt dt (∗∗) Offensichtlich gilt obige Beziehung für jeden Vektor ~b = b0x e~0x + b0y e~0y + b0z e~0z in Σ0 d.h. d0~b d~b = +ω ~ × ~b dt dt (∗ ∗ ∗) Speziell für ~b = ω ~ gilt dann d~ ω d0 ω ~ = dt dt d.h. der Vektor der Winkelgeschwindigkeit spielt eine besondere Rolle, seine zeitliche Änderung ist in beiden Bezugssystemen die gleiche. Wir berechnen jetzt die Beschleunigung durch Differentiation von (∗): d~v dv~0 dv~tr dr~0 d~ ω ~0 = + +ω ~× + ×r dt dt dt dt dt Mit dv~0 (∗∗∗) d0 v~0 = +ω ~ × v~0 dt ~b=v~0 dt 40 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik und dr~0 (∗∗) d0 r~0 = +~ ω × r~0 dt dt |{z} v~0 ergibt sich d~v d0 v~0 dv~tr d~ ω ~0 = +ω ~ × v~0 + +ω ~ × v~0 + ω ~ × (~ ω × r~0 ) + ×r dt dt dt dt d.h. d~v d0 v~0 dv~tr d~ ω ~0 = + + ×r +ω ~ × (~ ω × r~0 ) + 2~ ω × v~0 dt dt dt dt dv~tr dt . . . Translationsbeschleunigung dv~tr dt + d~ ω dt (∗ ∗ ∗∗) × r~0 + ω ~ × (~ ω × r~0 ) . . . Führungsbeschleunigung (ist gerade die zeitliche Ableitung der Führungsgeschwindigkeit für verschwindende Relativgeschwindigkeit v~0 = 0) −2~ ω × v~0 . . . Coriolisbeschleunigung −~ ω × (~ ω × r~0 ) . . . Zentrifugalbeschleunigung In Σ gilt die Grundgleichung der Mechanik m~r¨ = F~ . ~r¨ = d~v dt haben wir gerade berechnet (∗ ∗ ∗∗). 0 ~0 ¨ In Σ0 messen wir die Beschleunigung r~0 = ddtv , dafür gilt nach (∗ ∗ ∗∗) eine modifizierte Grundgleichung: ¨ ˙ mr~0 = F~ −mr~¨0 − mω ~˙ × r~0 − m~ ω × (~ ω × r~0 ) − 2m~ ω × r~0 | {z } 4 Trägheitskräfte Ist speziell F~ = 0 so wird mittels der Trägheitskräfte gerade der Effekt der Trägheit eines Massenpunkts beschrieben, wonach ein sich selbst überlassener Massenpunkt sich (im Inertialsystem Σ) beschleunigungsfrei bewegt. 41 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik ⇒ Die Grundgleichung der Mechanik kann in jedem Bezugssystem angewendet werden, wenn zu der Kraft, die am Massenpunkt im Inertialsystem angreift, die Trägheitskräfte addiert werden. Beispiele Zentrifugalkraft Corioliskraft 42 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Trägheitskräfte sind nicht wirkliche Kräfte in dem Sinne, daß sie von umgebenden materiellen Körpern ausgehen, sondern sind durch die Wahl des Bezugssystems bestimmt. ⇒ Sie werden daher auch als „Scheinkräfte“ bezeichnet, im Unterschied zu den als „eingeprägte Kräfte“ bezeichneten wirklichen Kräften. In Σ0 sind Scheinkräfte genauso meßbar wie eingeprägte Kräfte. Sei speziell Σ ein Inertialsystem und Σ0 führe bezüglich Σ eine gleichförmig geradlinige Bewegung aus, d.h. ~r = r~0 + r~0 , r~˙0 = const., ω ~ =0 (G) Dann verschwinden offensichtlich die Trägheitskräfte und es gilt in Σ : m~r¨ = F~ ¨ in Σ0 : mr~0 = F~ D.h. Σ0 ist ebenfalls ein Inertialsystem. Weiters ist jedes System Σ0 , das relativ zu Σ eine unbeschleunigte Translationsbewegung ausführt, ein Inertialsystem. Mit keinem mechanischen Experiment kann zwischen Σ und Σ0 unterschieden werden. ⇒ Wir können keine absolute Ruhe und keine absolute Geschwindigkeit feststellen. Die zwischen Σ und Σ0 vermittelnde Transformation (G) wird als Galilei-Transformation bezeichnet und der obige Sachverhalt als Galilei’sches Relativitätsprinzip: Die Grundgleichung der Mechanik ist unter Galilei-Transformationen beim Übergang von einem Inertialsystem zu einem anderen forminvariant. Bemerkung: Charakteristisch für die Galilei-Transformation ist, daß die Zeit nicht transformiert wird (t = t0 ) Diese Forderung ist nicht trivial und auch nicht universell gültig, gilt nur solange die Translationsgeschwindigkeit vtr c . . . Lichtgeschwindigkeit 43 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 2.2 Dynamik eines Massenpunktes 2.2.1 Bewegungsgleichungen Die Masse m des Massenpunktes und die auf ihn wirkende Gesamtkraft F~ seien bekannt, die gesuchte Bahnkurve genügt der Grundgleichung m~r¨ = F~ (~r, ~r˙, t) (Die Kraft F~ ist im Allgemeinen eine Funktion von Ort, Geschwindigkeit und Zeit) In Komponenten zerlegt ergeben sich die Bewegungsgleichungen des Massenpunktes mẍ = Fx (x, y, z, ẋ, ẏ, ż, t) mÿ = Fy (x, y, z, ẋ, ẏ, ż, t) mz̈ = Fz (x, y, z, ẋ, ẏ, ż, t) D.h. es ergeben sich 3 gekoppelte Differentialgleichungen. Die allgemeine Lösung enthält 6 Integrationskonstanten. Diese können z.B. durch Anfangsbedingungen r~0 = ~r(t0 ), v~0 = ~r˙ (t0 ) festgelegt werden. Bei bekanntem Kraftgesetz F~ = F~ (~r, ~r˙, t) und bekannten Anfangsbedingungen ist der Ablauf der Bewegung des Massenpunktes eindeutig bestimmt. → „Kausalität im mechanischen Geschehen“ Die Integration der Bewegungsgleichungen kann durch die Einführung geeigneter Größen wie Impuls, Drehimpuls, Energie und den dafür geltenden Erhaltungssätzen erleichtert werden. 44 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 2.2.2 Impulsbilanz Impuls des Massenpunktes: d p~ = m~r˙ | dt p~˙ = m~r¨ = F~ ⇒ Die zeitliche Änderung des Impulses ist gleich der einwirkenden Kraft. F~ = 0 ⇒ d~ p =0 dt ⇒ p~ = const. Bereits bekanntes Ergebnis: Ein kräftefreier Massenpunkt ruht oder bewegt sich gleichförmig entlang einer Geraden. Bemerkung: Für Systeme aus mehreren Massenpunkten ist die Impulsbilanz nicht trivial. 2.2.3 Energiebilanz Für eine hinreichend kleine Verschiebung ist die infinitesimale Arbeit dW definiert als dW = F~ · d~r = |F~ ||d~r| cos ϕ 45 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Die gesamte Arbeit W , die von F~ bei Verschiebung eines Massenpunktes längs der Kurve C von P1 nach P2 zu verrichten ist, hängt i.A. von Anfangs- und Endpunkt sowie der Wegführung ab: Z F~ · d~r W = C Die Leistung P ist definiert als Arbeit pro Zeiteinheit: P = dW d(F~ · ~r) = = F~ · ~r˙ dt dt Wir multiplizieren die Bewegungsgleichung m~r¨ = F~ mit ~r˙ : m~r¨ · ~r˙ = F~ · ~r˙ d dt mit k 1 m ~ r˙ 2 k ·~ r˙ P 1 ˙ ˙ 1 ˙2 m~r · ~r = m|~r| := T 2 2 T . . . Bewegungsenergie oder kinetische Energie. ⇒ Damit erhalten wir die Bilanzgleichung für die kinetische Energie: dT =P dt Die zeitliche Änderung der kinetischen Energie ist gleich der Leistung der einwirkenden Kraft. Integration der Bilanzgleichung Z2 Z2 dT = 1 Z2 P dt = 1 1 F~ · |{z} ~r˙ dt = d~ r k T2 − T1 46 Z2 1 F~ · d~r = W Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Konservative Kraftfelder Eine Kraft heißt konservativ, wenn F~ = F~ (~r) ist und es eine skalare Funktion U (~r) gibt, so daß gilt ~ (~r) F~ = −∇U ~ (~r) = ∂U g~i , d.h. (vgl. 1.2) ∇U ∂xi ⇒ Fi = − F~ = Fi g~i ∂U ∂xi Speziell in kartesischen Koordinaten Fx = − ∂U , ∂x Fy = − ∂U , ∂y Fz = − ∂U ∂z Für konservative Kraftfelder gilt also für die Leistung i ~ · ~r˙ = − ∂U dx = − dU P = F~ · ~r˙ = −∇U k ∂xi dt dt dT dt ⇒ d (T + U ) = 0 dt Damit erhalten wir den Energieerhaltungssatz 1 T + U = m|~r˙ |2 + U (~r) =: E = const. 2 U heißt potentielle Energie oder auch Potential und E ist als Summe aus kinetischer und potentieller Energie die mechanische Gesamtenergie des Massenpunktes. 47 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wann besitzt eine Kraft ein Potential? ~ (~r) |∇× ~ F~ = −∇U ~ × F~ = −∇ ~ × ∇U ~ =0 ∇ ~ × F~ = 0, d.h. die Wirbelfreiheit des Kraftfelds ist notwendige Bedingung für die ⇒∇ Existenz eines Potentials. ~ gilt Falls F~ = −∇U ZP2 P1 F~ · d~r = − ZP2 ~ · d~r = − ∇U ZP2 dU = U1 − U2 (Ui = U (Pi )) P1 P1 d.h. die Arbeit ist wegunabhängig. Speziell für eine geschlossene Kurve gilt Z F~ · d~r = I F~ · d~r = 0 C Nun gilt für einfach zusammenhängende Gebiete der Stokes’sche Satz Z C F~ · d~r = Z ~ × F~ · dA ~ ∇ A wobei A eine beliebige, von C umrandete Fläche bedeutet. 48 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik D.h. Unabhängigkeit des Wegintegrals der Kraft von der durchlaufenen Kurve (und damit die Existenz eines Potentials) ist äquivalent zur Wirbelfreiheit der Kraft. ⇒ Die Wirbelfreiheit der Kraft ist notwendige und hinreichende Bedingung für die Existenz eines Potentials. Wir bestimmen U (~r) aus dem Wegintegral der Kraft ZP U (~r) = U (r~0 ) − F~ (r~0 ) · dr~0 P0 ~ (~r) = −F~ (~r) gilt. Zu zeigen, daß dann ∇U Beweis: Wir können wegen der Wegunabhängigkeit des Integrals eine spezielle Streckenführung wählen (C → C 0 ): Zx U (x, y, z) = U (x0 , y0 , z0 ) − 0 0 Zy Fx (x , y0 , z0 )dx − x0 ∂U = −Fx (x, y0 , z0 ) − ∂x 0 y0 ∂Fy (x, y 0 , z0 ) 0 dy − ∂x | {z } ∂Fx (x,y 0 ,z0 ) ∂y 0 Zz Fy (x, y , z0 )dy − y0 Zy 0 Fz (x, y, z 0 )dz 0 z0 Zz z0 ∂Fz (x, y, z 0 ) 0 dz ∂x | {z } ∂Fx (x,y,z 0 ) ∂z 0 ~ × F~ = 0) (Die Ausdrücke unter den geschweiften Klammern ergeben sich mit ∇ ∂U = −Fx (x, y0 , z0 )−Fx (x, y, z0 ) +Fx (x, y0 , z0 )−Fx (x, y, z)+Fx (x, y, z0 ) = −Fx (x, y, z) :::::::::: :::::::::: ∂x 49 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Analog läßt sich zeigen ∂U = −Fy (x, y, z) ∂y ∂U = −Fz (x, y, z) ∂z ~ (~r) = −F~ (~r) d.h. ∇U Damit haben wir eine Rechenvorschrift für das Potential gefunden. Das Potential ist nur ! bis auf eine Konstante bestimmt, wir setzen U (r~0 ) = 0 und erhalten ZP U (~r) = − F~ (r~0 ) · dr~0 = P0 ZP0 F~ (r~0 ) · dr~0 P häufig P0 = P (r~0 ) = P (∞) ∧ „Äquipotentialflächen“ = Flächen gleichen Potentials ~ U = const. ⇒ dU = 0 ⇒ d~r⊥∇U k ~ · d~ ∇U r ~ steht senkrecht auf der Äquipotentialfläche, es gibt keine Kraftd.h. der Gradient ∇U komponenten in dieser Fläche. ⇒ auf Äquipotentialflächen bewegt sich der Massenpunkt kräftefrei Wir betrachten speziell eine Kraft F~ , die orthogonal zu ~r˙ steht: P = F~ · ~r˙ = 0 ⇒ T = const. k dT dt 50 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Hier ist die potentielle Energie ebenfalls konstant, da die Ortsänderung senkrecht zur Kraft, d.h. der Potentialänderung verläuft. Typisches Beispiel: Lorentzkraft auf elektrische Ladung q im Magnetfeld B. ~ ⇒ F~ · ~r˙ = 0 F~ = q~r˙ × B nichtkonservative Kräfte Sei F~ ein zeitabhängiges Kraftfeld, F~ = F~ (~r, t) ~ × F~ (~r, t) = 0 ∀t Sei ∇ ⇒ wir finden ein zeitabhängiges Potential U (~r, t) mit ~ (~r, t) F~ (~r, t) = −∇U Ist das Kraftfeld energieerhaltend? Wir untersuchen i dT ~ · ~r˙ = − ∂U dx − ∂U + ∂U = F~ · ~r˙ = −∇U i dt ∂t} ∂t {z | ∂x dt − dU dt ⇒ d ∂U (T + U ) = dt ∂t d.h. die zeitliche Änderung der mechanischen Energie ist bestimmt durch die Zeitableitung von U . Kräfte, die die Energie eines Massenpunktes nicht erhalten, werden als „dissipative Kräfte“ bezeichnet • Kräfte, die von Zeit oder Geschwindigkeit abhängen • ortsabhängige Kräfte, die nicht wirbelfrei sind 51 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Im Allgemeinen unterliegen Massenpunkte sowohl konservativen als auch dissipativen Kräften F~ = F~ (cons) (~r) +F~ (diss) (~r, ~r˙, t) | {z } ~ (~ −∇U r) und es gilt die verallgemeinerte Energiebilanz d (T + U ) = P (diss) = F~ (diss) · ~r˙ dt die z.B. die Umwandlung mechanischer Energie in Reibungswärme umfaßt. Beispiel: Schwerkraft Oberflächennah ist das Gravitationsfeld der Erde homogen F~ = −mg e~z Zz zugehöriges Potential: U (x, y, z) = − 0 0 Zz dz Fz (x, y, z ) = 0 dz 0 mg = mgz 0 damit Energieerhaltung 1 mv 2 + mgz = E = const. 2 k ẋ2 + ẏ 2 + ż 2 Bewegt sich der Massenpunkt in Luft, kommt noch eine dissipative Reibungskraft F~ (diss) hinzu, approximativ gilt F~ (diss) = −γ~r˙ γ . . . Reibungs-, Dämpfungskoeffizient 52 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik dann gilt für die mechanische Energie 1 E = mv 2 + mgz 2 die Bilanzgleichung dE = −γv 2 dt ⇒ Die mechanische Energie nimmt ständig ab, wird in Wärme umgewandelt. Beispiel: Linearer harmonischer Oszillator Für kleine Auslenkungen gilt für die rücktreibende Kraft F~ = −kxe~x k > 0 . . . Federkonstante Damit folgt die Bewegungsgleichung mẍ = −kx ẍ + ω 2 x = 0 mit ω 2 = k m (Die Differentialgleichung wurde in 1.4 bereits gelöst) Zx U (x) = 1 dx0 kx0 = kx2 , 2 0 53 konservative Kraft Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik damit Energieerhaltung 1 1 mẋ2 + kx2 = E = const. 2 2 Für eine reale Feder kommt es zu dissipativen Effekten (innere Reibung) F~ (diss) = −γ ẋe~x damit Bewegungsgleichung mẍ = −kx − γ ẋ und Bilanzgleichung dE = −γ ẋ2 dt d.h. das System kommt zur Ruhe. Verallgemeinerung auf einen isotropen 3D-Oszillator: F~ = −k~r m~r¨ = −k~r 1 1 U (~r) = k|~r|2 = kr2 2 2 2.2.4 Drehimpulsbilanz Wir starten von der Bewegungsgleichung m~r¨ = F~ |~r× m~r × ~r¨ = ~r × F~ , wegen d ~r × ~r˙ = ~r˙ × ~r˙ +~r × ~r¨ | {z } dt 0 folgt d m~r × ~r˙ = ~r × F~ dt | {z } | {z } ~ =:L ~ =:M 54 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik ~ . . . Drehimpuls L ~ . . . Drehmoment M ⇒ Die zeitliche Änderung des Drehimpulses ist gleich dem einwirkenden Drehmoment ~ dL ~ =M dt ~ = 0 gilt die Drehimpulserhaltung Für M ~ dL ~ = const. =0⇒L dt ~ = 0 gilt M • offensichtlich immer für den trivialen Fall F~ = 0 • für F~ 6= 0, falls F~ und ~r parallel oder antiparallel stehen, derartige Kräfte heißen Zentralkräfte, in allgemeinster Form ~r F~ = f (~r, ~r˙, t) |~r| Die Drehimpulserhaltung gilt also genau dann, wenn sich der Massenpunkt unter dem Einfluß einer Zentralkraft bewegt. Betrachten Bewegung eines Massenpunktes entlang einer Bahnkurve: ⇒ Die zeitliche Änderung der „Flächengeschwindigkeit“ 55 ~ dA dt ist proportional zum Dre- Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik himpuls. ~ ~ = const. ⇒ dA = const. L dt (bekannt als „Flächensatz“) D.h. für einen Massenpunkt unter Wirkung einer Zentralkraft gilt: • die Bewegung erfolgt in einer Ebene senkrecht zum Drehimpuls • der Radiusvektor („Fahrstrahl“) überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen ~ = m~r × ~r˙ = Le~z , d.h. die Bewegung vollziehe sich in der x-y-Ebene. Dann ist Sei L ~ = m(xẏ − y ẋ)e~z L und für die Drehimpulserhaltung gilt xẏ − y ẋ = const. Wir gehen über zu Polarkoordinaten ~r = ρe~ρ ~r˙ = ρ̇e~ρ + ρϕ̇e~ϕ (vgl. 1.2) ~ = m~r × ~r˙ = mρ2 ϕ̇e~z L 56 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Flächengeschwindigkeit dA 1 ~ 1 2 ~ = L = ρ ϕ̇ = const. dt 2m 2 Bemerkung: Als Zentralkräfte im engeren Sinne bezeichnet man Kräfte der Form ~r F~ = f (r) r Ein solches Zentralkraftfeld ist konservativ und besitzt das Potential Zr U (r) = − dr0 f (r0 ) r0 Speziell für f (r) = − rα2 (Gravitations-, Coulombkraft) lautet das Potential (r0 → ∞) U (r) = − α r ⇒ Für die Bewegung eines Massenpunktes unter dem Einfluß einer Zentralkraft im engeren Sinne gelten Drehimpuls- und Energieerhaltung. 2.2.5 Erhaltungssätze und Integration der Bewegungsgleichungen Wir betrachten zunächst eine eindimensionale Bewegung entlang x. Offensichtlich gilt ~ = 0 (L ~ = m~r × ~r˙ ). L Für eine konservative Kraft F~ = F (x)e~x gilt die Energieerhaltung 1 mẋ2 + U (x) = E = const. 2 57 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Zx mit U (x) = − dx0 F (x0 ) x0 2 [E − U (x)] m r dx 2 ẋ = = [E − U (x)] dt m dx dt = p 2[E − U (x)]/m ẋ2 = Z t= dx p + const. 2[E − U (x)]/m Energie und Integrationskonstante bestimmen die beiden freien Konstanten in der Bewegungsgleichung mẍ = F (x). Die Gleichung oben liefert t(x), deren Umkehrung x(t). Wegen ẋ2 ≥ 0 muss E − U (x) ≥ 0 gelten, d.h. Bewegung nur in solchen Gebieten, wo U (x) ≤ E Für Punkte, in denen U (x) = E gilt, kehrt die Geschwindigkeit ihr Vorzeichen um. → „Umkehrpunkte“, hier x1 , x2 , x3 Wenn das erlaubte Gebiet durch Umkehrpunkte begrenzt wird, ist die Bewegung „finit“. 58 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Oben erfolgt eine finite Bewegung zwischen x1 und x2 . Dort findet eine periodische, aber im Allgemeinen nicht harmonische Bewegung statt. Im Bereich x > x3 ist die Bewegung „infinit“, der Massenpunkt kommt aus dem Unendichen, wird bei x3 reflektiert und läuft wieder ins Unendliche. Mögliche Ruhelagen sind die Stellen, wo keine Kraft auf den Massenpunkt wirkt dU = 0, dx also die Extrema des Potentials. Minimum von U → stabile Ruhelage Maximum von U → labile Ruhelage Wir betrachten jetzt eine dreidimensionale Bewegung im Zentralkraftfeld ⇒ Drehimpulserhaltung und Energieerhaltung ~r F~ = f (r) r Die vektorielle Bewegungsgleichung lautet: m~r¨ = f (r) ~r r Das Potential erhalten wir aus Zr U (r) = − dr0 f (r0 ) r0 59 (vgl. 2.2.4) Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik ~ = const. erfolgt eine Bewegung in einer Ebene. Ohne Beschränkung der AllgeFür L meinheit verlaufe die Bewegung in der x-y-Ebene, wir gehen dort zu Polarkoordinaten über ~r = ρe~ρ ~r˙ = ρ̇e~ρ + ρϕ̇e~ϕ (vgl. 1.2) Die Erhaltungssätze liefern mρ2 ϕ̇ = L 1 2 2 2 + U (ρ) = E 2 m ρ̇ + ρ ϕ̇ ϕ̇ = damit 1 mρ̇2 + 2 L mρ2 L2 + U (ρ) 2mρ2 | {z } =E Ueff ... effektives Potential Damit erhalten wir eine analoge Gleichung wie vorhin für die eindimensionale Bewegung (x → ρ) 1 E = mρ̇2 + Ueff (ρ) 2 2 2 ρ̇ = [E − Ueff (ρ)] m r 2 dρ ρ̇ = = [E − Ueff (ρ)] dt m dρ dt = p 2 [E − Ueff (ρ)] /m 60 (∗) Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Z t= dρ p + const. 2 [E − Ueff (ρ)] /m ⇒ aus t(ρ) erhalten wir die Umkehrfunktion ρ(t) und daraus ϕ(t) wie folgt: Wegen ρ = ρ[ϕ(t)] gilt dρ dϕ dρ L dρ = = dt dϕ dt dϕ mρ2 r dρ mρ2 dρ ∗ mρ2 2 = ⇒ = [E − Ueff (ρ)] dϕ L dt L m L dρ p ⇒ dϕ = 2 mρ 2[E − Ueff (ρ)]/m L ⇒ϕ= m Z dρ p + const. ρ2 2[E − Ueff (ρ)]/m ⇒ ϕ(ρ) → ϕ(t) k ρ(t) Damit sind die Bewegungsgleichungen in allgemeiner Form gelöst. ϕ ändert sich monoton mit der Zeit, da ϕ̇ = L mρ2 niemals das Vorzeichen wechselt. für L = 0 ⇒ ϕ̇ = 0 ⇒ Spezialfall einer eindimensionalen Bewegung Der Radialteil der Bewegung kann immer als eindimensionale Bewegung im effektiven Potential Ueff (ρ) = U (ρ) + L2 2mρ2 | {z } „Zentrifugalenergie“, „Zentrifugalbarriere“ aufgefaßt werden. 61 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Die Grenzen des Bewegungsbereichs sind bestimmt durch ρ̇ = 0 ⇒ Ueff (ρ) = U (ρ) + L2 =E 2mρ2 Dort ist die radiale Geschwindigkeit ρ̇ = 0, aber der Massenpunkt hält nicht an, da ϕ̇ = L mρ2 6= 0 für L 6= 0 Falls der Bewegungsbereich durch ρmin und ρmax eingeschränkt ist, ist die Bewegung finit, die Bahn verläuft in einem ringförmigen Gebiet. 62 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Die Bahn muß nicht geschlossen sein! Es gibt nur 2 Typen von Zentralfeldern, in denen alle Bahnen finiter Bewegungen geschlossen sind, nämlich U (ρ) ∼ 1 ρ U (ρ) ∼ ρ2 Falls der zulässige ρ-Bereich Ueff (ρ) ≤ E nur durch ρ ≥ ρmin eingeschränkt wird, ist die Bewegung des Massenpunktes infinit. Der Massenpunkt kommt aus dem Unendlichen und geht wieder ins Unendliche. 2.2.6 Spezielle Probleme A) Bewegung auf der rotierenden Erde Im rotierenden Bezugssystem wirken auf Massenpunkte zusätzlich zur eingeprägten Kraft noch die Zentrifugalkraft Fcen = −m~ ω × (~ ω × ~r) und Corioliskraft Fcor = −2m~ ω × ~r˙ (vgl. 2.1.5) Dabei ist ω die Winkelgeschwindigkeit der Erde gegenüber dem Fixsternhimmel ω = |~ ω| = 2π s−1 86164 Wir betrachten einen Körper, auf den im Inertialsystem nur die Gravitation der Erde wirkt. Für den irdischen Beobachter wirkt die Schwerkraft, die die Gravitationskraft der Erde und die Zentrifugalkraft zusammenfaßt. 63 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wir müssen noch die Corioliskraft separat berücksichtigen, damit m~r¨ = m~g + 2m~r˙ × ω ~ ~g enthält den Einfluß der Zentrifugalkraft: Offensichtlich ändert sich ~g infolge der Zentrifugalkraft mit der geographischen Breite θ Äquator |~g | = 9, 78 ms−2 Pol |~g | = 9, 83 ms−2 Bemerkung: Es existieren weitere Einflüsse auf ~g infolge der Asymmetrie der Erde, der inhomogenen Dichte der Erde und anderer Himmelskörper. 64 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wir wählen als Bezugssystem ein kartesisches Koordinatensystem bei der geographischen Breite θ In diesem Koordinatensystem gilt ~g = −g e~z (näherungsweise) ~r˙ = ẋe~x + ẏ e~y + ż e~z ω ~ = −ω cos θe~x + ω sin θe~z aus m~r¨ = m~g + 2m~r˙ × ω ~ wird ẍ = 2ω sin θẏ ÿ = −2ω sin θẋ − 2ω cos θż z̈ = −g + 2ω cos θẏ Wir lösen diese Gleichungen jetzt für den freien Fall. Anfangsbedingungen: t = 0, x = y = 0, z = h, 65 ẋ = ẏ = ż = 0 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik ẋ ∼ ω wegen ω klein können wir Terme ẏ ∼ ω quadratisch in ω vernachlässigen d.h. ẍ ∼ ω 2 → 0 ÿ → −2ω cos θż z̈ → −g Jetzt mit den Anfangsbedingungen: x(t = 0) = 0, ẋ(t = 0) = 0, ẍ = 0 ⇒ x(t) = 0 z(t = 0) = h, ż(t = 0) = 0, z̈ = −g ⇒ ż = −gt 1 ⇒ z = h − gt2 2 damit in ÿ = −2ω cos θż = 2gtω cos θ mit ẏ(t = 0) = 0 ⇒ ẏ = gt2 ω cos θ 1 mit y(t = 0) = 0 ⇒ y = gt3 ω cos θ 3 y zeigt nach Osten, d.h. der fallende Körper erfährt eine Ostabweichung. Die Ostablenkung ist eine Folge der höheren Rotationsgeschwindigkeit der Erde in der Abwurfhöhe gegenüber der Rotationsgeschwindigkeit an der Erdoberfläche. Mit entsprechenden Fallexperimenten kann ab etwa 1800 die Drehung der Erde um ihre eigene Achse empirisch nachgewiesen werden. 66 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wirkung der Corioliskraft Wir zerlegen den Vektor der Winkelgeschwindigkeit in Vertikal- und Horizontalkomponenten Bewegt sich ein Körper horizontal, so gibt ω ~ v Anlaß zu einer horizontalen Kraft orthogonal zu ~v F~cor = −2m~ ω × ~v (Rechte-Hand-Regel anwenden) ⇒ Bahnabweichung nach rechts/links auf nördlicher/südlicher Halbkugel Weiters gibt ω ~ h Anlaß zu einer Kraft, die bei horizontaler Bewegung nach oben oder unten zeigt ⇒ Gewichtsänderung des Körpers (Eötvös-Effekt). Dieser Effekt wurde von Baron Roland von Eötvös um 1900 bei der Auswertung von Gravitationsmessungen mittels bewegter Schiffe im Atlantik festgestellt und erklärt. 67 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik B) Kepler-Problem Wir betrachten die Bewegung einer Punktmasse m im Gravitationsfeld einer als raumfest angenommenen Punktmasse M (Approximation der Planetenbewegung um die Sonne). Die Gravitationskraft bestimmt die Bewegungsgleichung m~r¨ = F~ = −γ mM ~r r3 γ . . . Gravitationskonstante, γ = 6, 67 · 10−11 m3 kgs2 F~ . . . konservativ, Zentralkraft ⇒ Energie- und Drehimpulserhaltung Ueff = −γ mM L2 + (vgl. 2.2.5) r 2mr2 Wir suchen das Minimum von Ueff : mM L2 1 dUeff L2 = 0 = γ − = γmM − dr r=r0 mr0 r02 mr03 r02 ⇒ r0 ≡ k = 68 L2 γm2 M Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Ueff (r = k) = −γ mM L2 γ 2 m3 M 2 2 2 4 2 · γm M + · γ m M = − L2 2mL4 2L2 finite Bewegung für Ueff (k) ≤ E < 0 γ 2 m3 M 2 ≤E<0 2L2 γmM mit L2 = kγm2 M → − ≤E<0 2k 2Ek −1 ≤ < 0 (*) γmM ⇒− infinite Bewegung für 0 ≤ E Die Umkehrpunkte erhalten wir aus Ueff (r) − E = 0 γmM L2 − −E =0 2mr2 r 1 γm2 M 1 2mE − 2 − =0 2 2 r2 L r L | {z } d.h. 1 k 1 21 1 L2 2mE − − k · · =0 r2 k r k2 γm2 M L2 | {z } k 21 1 2Ek 1 − − =0 r2 k r k 2 γmM 1 1 = ± r k s 1 1 2Ek 1 + 2 = 2 k k γmM k s := 1+ mit (*): finite Bewegung für 0 ≤ < 1 infinite Bewegung für E ≥ 0, d.h. ≥ 1 69 s 1± 2Ek γmM 2Ek 1+ γmM ! Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Umkehrpunkte 1 = rmin 1+ k 1 rmax 1− k = ( < 1) für → 1 ⇒ rmax → ∞ Bahngleichung r(ϕ)? 2 m {E Erinnerung 2.2.5: ṙ2 = − Ueff (r)} dr = ⇒ ṙ = dt r 2 {E − Ueff (r)} m r ist abhängig vom Bahnwinkel ϕ: r = r(ϕ(t)) dr dϕ dr L dr = = dt dϕ dt dϕ mr2 (mit L = mr2 ϕ̇ (2.2.4)) dr mr2 dr mr2 ⇒ = = dϕ L dt L r 2 {E − Ueff (r)} m L dr p 2 mr 2{E − Ueff (r)}/m Z L dr p ϕ= + const. 2 m r 2{E − Ueff (r)}/m dϕ = spezielle Anfangsbedingung: ϕ = 0 für r = rmin , damit L ϕ= m Zr rmin Zr dr0 p = r0 2 2{E − Ueff (r0 )}/m rmin dr0 r0 2 q 2m {E L2 − Ueff (r0 )} Wir ersetzen L und E durch und k s = 1+ 2Ek 2 − 1 2E 2E γm2 M ⇒ = = γmM k2 γmM k γmM L2 70 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik D.h. 2 −1 k2 = 2mE . L2 Damit: 2m 2 − 1 2m γmM 2m L2 0 − 2 {E − U (r )} = + 2 eff 0 02 L2 k2 |L {zr } |L 2mr {z } 2 kr 0 1 r0 2 2 − 1 2 1 1 + − k2 k r0 r0 2 2 1 1 2 = 2− − k r0 k ( ) 2 k 1 1 2 = 2 1− − k r0 k = Zr damit ϕ = rmin r0 2 k q 1− dr0 k 1 r0 − k = 1 2 k Zr rmin dr0 r0 2 )− 21 k 1 1 2 1− − r0 k ( Variablensubstitution k 1 1 − r0 k =z⇒ z(rmin ) = dz k 1 = − 02 dr0 r 0 dr 2 = − k dz 0 r k 1 1 − =1 rmin k | {z } 1+ k k (Zr1 − k1 ) damit ϕ = − 1 √ dz k 1 1 = arccos − r k 1 − z2 k ⇒ cos ϕ = ⇔ 1 1 = (1 + cos ϕ) r k 1 1 − r k Kegelschnittgleichung 71 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik • Kreis = 0 ⇔ E = −γ mM 2k • Ellipse 0 < < 1 ⇔ −γ mM <E<0 2k • Parabel =1⇔E=0 • Hyperbel >1⇔E>0 Bahnkurve ~r(t)? Wir kennen die Bahngleichung r = r(ϕ) = k . 1 + cos ϕ Mit L = mr2 ϕ̇ = mr2 72 dϕ dt Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik m m folgt dt = r2 dϕ ⇒ t − t0 = L L Zϕ dϕ0 r2 (ϕ0 ) ϕ0 d.h. t = t(ϕ) → Umkehrfunktion ϕ = ϕ(t). Damit r = r[ϕ(t)], d.h. ~r = ~r(t) zugänglich! Problem im Prinzip gelöst. Keplersche Gesetze Wenden wir diese Ergebnisse auf die Planetenbewegung an, erhalten wir eine Ellipse. b2 . . . Scheitelkrümmungsradius a √ a2 − b2 = . . . numerische Exzentrizität a p e = a2 − b2 . . . lineare Exzentrizität k= a2 − b2 b2 damit (1 − )a = 1 − a = =k a2 a k k ⇒a= = = − γmM 2E = a 2Ek 1 − 2 1 − 1 − γmM 2 73 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik ⇒ Für gegebene Massen ist die große Halbachse nur durch die Energie bestimmt! b2 = a · k = − γmM L2 L2 · = − 2E γm2 M 2mE d.h. b = √ L −2mE ⇒ Die kleine Halbachse ist durch Drehimpuls und Energie bestimmt A z}|{ πab dA L = = T dt 2m (Flächensatz, 2.2.4) T . . . Periodendauer, Umlaufzeit T = 3 3 √ 2πm · γmM · L 2mπab √ = = πγm 2 M (−E)− 2 / 2 L −L · 2E · −2mE ⇒ Bei gegebenen Massen ist die Periodendauer nur durch die Energie bestimmt. Die große Halbachse ist ebenfalls durch die Energie festgelegt, damit 3 πγm 2 M √ T = 2 2a γmM ⇒ T2 = 3 r 2 = 2π 1 3 a2 γM 4π 2 3 a γM D.h. für zwei Planeten (m1 und m2 ), die um die Sonne (M ) umlaufen, gilt T1 T2 2 = 74 a1 a2 3 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Damit wurden die Keplerschen Gesetze abgeleitet: 1. Planeten bewegen sich auf Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. 2. Der Fahrstrahl Sonne-Planet überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. 3. Ti Tj 2 = 3 ai aj Die historische Reihenfolge ist umgekehrt: Keplersche Gesetze empirisch gefunden (Astronomie) ↓ Gravitationsgesetz (Newton); allgemeiner, höhere Stufe der Erkenntnis Wir skizzieren die historische Ableitung: Kepler (2.) ⇒ Drehimpulserhaltung ⇒ Die Kraft ist eine Zentralkraft, sie hat nur eine radiale Komponente, d.h. F~ = Fr e~r mit Fr = m(r̈ − rϕ̇2 ) (vgl. 1.2) L = mr2 ϕ̇ = const. Kepler (1.) ⇒ Ellipsengleichung 1 1 = (1 + cos ϕ) r k d dt d dt 1 ṙ L = − 2 = − ϕ̇ sin ϕ = − sin ϕ ↑ r r k kmr2 ϕ̇ = L mr 2 L sin ϕ km L L2 d.h. r̈ = ϕ̇ cos ϕ = cos ϕ (∗) ↑ km2 r 2 km ⇒ ṙ = ϕ̇ = 75 L mr 2 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik damit in Fr = m(r̈ − rϕ̇2 ) ↑ (∗) Fr = m L2 L2 cos ϕ − km2 r2 m2 r3 L2 = mr2 ↑ L mr 2 2 L2 1 =− (∗∗) cos ϕ − k r kmr2 | {z } − k1 Kepler (2.) dA L = const. = dt 2m |{z} πab T ⇒ π 2 a2 b2 = ⇔ L2 2 T 4m2 2 2 2 T2 2m b 2m k = 4π = 4π a3 L2 a 2 ↑ L2 b = ka Kepler (3.) Ti2 a3i = const. für alle Planeten i ⇒ L2 := σ = const., m2 k kann nur noch von Sonnenmasse abhängen damit in (∗∗) Fr = − L2 σm =− 2 kmr2 r 3. Newtonsches Axiom: Fr ∼ M ⇒ σ = γM Fr = −γ mM r2 Das Gravitationsgesetz ist aus der Planentenbeobachtung abgeleitet! 76 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Kosmische Geschwindigkeiten Wir wollen einen Satelliten in die Umlaufbahn bringen, ausgehend von einem Punkt mit Abstand R vom Erdmittelpunkt. Die Umlaufbahn r(t) soll außerhalb der Entfernung R liegen. d.h. R ≤ rmin = ↑ k L2 = 2 M (1 + ) 1 + ↑ γm 2 vorhin k= L γm2 M ⇒ L2 = m2 R4 ϕ̇2 = m2 R2 vϕ2 ≥ γm2 M R(1 + ) ⇒ vϕ2 ≥ (1 + ) Für einen Kreis, d.h. = 0 gilt vϕ2 ≥ γM R γM R Andererseits soll die Bewegung finit sein, d.h. E<0 ⇒ v2 < k 1 mv 2 2 − k γmM R 2 + v2 vϕ r 77 2γM R Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik graphische Veranschaulichung: r γM km = 7, 9 R s r E 2γM km = = 11, 2 RE s R = RE ⇒ 1. kosmische Geschwindigkeit vI = 2. kosmische Geschwindigkeit vII 78 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 2.3 Dynamik eines MP-Systems 2.3.1 Bewegungsgleichungen Wir betrachten N diskrete Körper, approximiert als frei bewegliche Massenpunkte. Bewegungsgleichungen des MP-Systems mν r~¨ν = F~ν (ν = 1, 2, . . . , N ) Wir klassifizieren die Kräfte auf die Massenpunkte in • äußere Kräfte, stammen von außerhalb des MP-Systems • innere Kräfte, wirken zwischen den MP des Systems (ext) F~ | ν{z } F~ν = N X + F~νµ µ=1 µ6=ν Resultante aller äußeren Kräfte auf MP ν | {z } Kraft vom MP µ auf MP ν innerhalb des Systems 3. Newtonsches Axiom ⇒ F~νµ = −F~µν damit Bewegungsgleichungen (ext) mν r~¨ν = F~ν + N X F~νµ µ=1 µ6=ν Annahme: innere Kräfte sind Zentralkräfte r~ − r~µ F~ νµ = ± ν ~ |r~ν − r~µ | Fνµ (plausibel für punktförmige Körper) 79 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 2.3.2 Impulsbilanz Wir summieren über die Bewegungsgleichungen N X mν r~¨ν = ν=1 N X (ext) F~ν + ν=1 N X N X ν=1 N X F~νµ = (ext) F~ν ν=1 µ=1 µ6=ν {z | =0 } (F~νµ =−F~µν ) Mit dem Gesamtimpuls des Systems p~ = N X p~ν = ν=1 N X mν r~˙ν ν=1 und der Resultante aller äußeren Kräfte F~ (ext) = N X (ext) F~ν ν=1 Impulsbilanz des Gesamtsystems d~ p = F~ (ext) dt Die zeitliche Änderung des Gesamtimpulses eines MP-Systems ist gleich der Resultante der äußeren Kräfte. (ext) abgeschlossenes System ⇔ F~ν = 0 ⇒ F~ (ext) = 0 ⇒ d~ p dt = 0, d.h. p~ = const. Für ein abgeschlossenes System gilt die Erhaltung des Gesamtimpulses. Wir definieren den Massenmittelpunkt: N r~c = 1 X mν r~ν m mit m = ν=1 N X ν=1 80 mν Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Offensichtlich gilt p~ = N X mν r~˙ν = mr~˙c ν=1 d.h. mr~¨c = F~ (ext) Der Massenmittelpunkt bewegt sich so, als ob in ihm die gesamte Masse des Systems vereinigt wäre und an ihm die Resultante aller äußeren Kräfte wirkte. d~ p ∧ F~ (ext) = 0 ⇒ = 0 = r~¨c = 0 ⇒ r~˙c = const. dt Bei fehlender äußeren Kraft ruht der Massenmittelpunkt des Systems oder vollführt eine gleichförmig geradlinige Bewegung. Bemerkungen: • Die Bewegungsgleichung für den Massenmittelpunkt ist die nachträgliche Rechtfertigung für das Modell des Massenpunktes. • Innere Kräfte spielen keine Rolle für die Bewegung des Massenmittelpunktes. Beispiel: explodierendes Geschoß; der Massenmittelpunkt der Splitter setzt die Flugbahn fort. • Der Massenmittelpunkt wird oft als Schwerpunkt bezeichnet: Wenn sich die Massenpunkte im homogenen Schwerefeld der Erde befinden, gilt F~ (ext) = k mr~¨c N X mν ~g = m~g ⇒ r~¨c = ~g ν=1 D.h. der Massenmittelpunkt (oder Schwerpunkt) bewegt sich wie ein Massenpunkt der Masse m unter dem Einfluß der Erdbeschleunigung ~g . 81 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik • Für Körper mit kontinuierlicher Masseverteilung kommt es zum Grenzübergang von der Summation zur Integration: Z 1 1 X r~ν ∆mν → r~c = ~rdm r~c = m ν m Z X ∆mν → m = dm m= ν Falls ρ(~r) die Massendichte des Körpers ist, gilt: dm = ρd3~r, damit folgt R 3 R 1 r~c = m d ~r ρ(~r)~r mit m = d3~r ρ(~r) 2.3.3 Energiebilanz Bewegungsgleichung für den ν-ten Massenpunkt mν r~¨ν = F~ν | · r~˙ν d dt 1 ˙ ˙ mr~ν · r~ν = r~˙ν · F~ν | {z } 2 {z } | Pν Tν Tν . . . kinetische Energie des ν-ten Massenpunkts Pν . . . am ν-ten Massenpunkt umgesetzte Leistung Durch Summation über ν erhalten wir: dT = P (∗) dt Die zeitliche Änderung der kinetischen Energie des Massenpunktsystems ist gleich der Gesamtleistung. 82 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik mit der kinetischen Energie des Gesamtsystems T = N X Tν = ν=1 N X 1 ν=1 2 mν|r~˙ν |2 und der am Gesamtsystem erbrachten Leistung P = N X Pν = ν=1 N X r~˙ν · F~ν ν=1 F~ν , ν = 1, 2, . . . , N seien konservative Kräfte, d.h. ~ ν × F~ν = 0. F~ν = F~ν (r~1 , r~2 , . . . , r~N ) ≡ F~ν (r~µ ) und ∇ ~ νU. Dann existiert ein Potential U = U (r~1 , r~2 , . . . , r~N ) ≡ U (r~µ ), so daß F~ν = −∇ Damit ergibt sich für die Gesamtleistung P = N X ν=1 Pν = N X ν=1 F~ν · r~˙ν = − N X ~ ν U · r~˙ν = − ∇ ν=1 N X X dU ∂U dxiν · =− i ∂xν dt dt ν=1 i Damit wird aus der Bilanzgleichung (∗) d (T + U ) = 0 dt Für konservative Systeme gilt die Erhaltung der Gesamtenergie T + U = E = const. Im Allgemeinen unterliegt ein Massenpunkt konservativen und dissipativen Kräften (cons) (diss) F~ν = F~ν (r~µ ) + F~ν (r~µ , r~˙µ , t) 83 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Dann nimmt die mechanische Energiebilanz die Form d (T + U ) = P (diss) dt an, wobei P (diss) = N X (diss) F~ν · r~˙ν ν=1 die Gesamtleistung der dissipativen Kräfte ist. Erinnerung 2.3.1: Kräfte auf Massenpunkte können in innere und äußere Kräfte klassifiziert werden, innere Kräfte sind Zentralkräfte. Oft hängen die inneren Kräfte nur vom gegenseitigen Abstand ab ~ rνµ F~νµ = fνµ (rνµ ) rνµ mit ~rνµ = r~ν − r~µ , rνµ = |~rνµ | Dann haben die inneren Kräfte ein Potential Uνµ Zrνµ = Uνµ (rνµ ) = − drfνµ (r) = Uµν (rµν ) ↑ ∞ fνµ (r) = fµν (r) ~ ν Uνµ (rνµ ) F~νµ = −∇ ~ µ Uνµ (rνµ ) =∇ ~ µ Uµν (rµν ) = −F~µν =∇ Das Gesamtpotential der inneren Kräfte lautet dann U (int) = N 1 X Uνµ (rνµ ) 2 ν,µ=1 ν6=µ 84 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Beweis: Wir berechnen die Kraft auf den Massenpunkt ν ~ ν U (int) = − −∇ =− N N µ=1 µ=1 1X~ 1X~ ∇ν Uνµ (rνµ ) − ∇ν Uµν (rµν ) 2 2 | {z } N X ~ ν Uνµ (rνµ ) = ∇ N X µ=1 Uνµ (rνµ ) F~νµ µ=1 µ6=ν Sind die äußeren Kräfte konservativ (ext) (ext) ~ ν Uν (r~ν ) F~ν = F~ν (rν ) = −∇ so existiert ein Gesamtpotential der äußeren Kräfte U (ext) = N X Uν (r~ν ) ν=1 Damit ist das Gesamtpotential N N X 1 X U= Uνµ (rνµ ) + Uν (r~ν ) 2 ν,µ=1 ν=1 ν6=µ Bemerkung: Für abgeschlossene Systeme gibt es nur innere Kräfte, die in der Regel als konservativ angesehen werden können. Für abgeschlossene Systeme gilt also erfahrungsgemäß der Energieerhaltungssatz. 85 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 2.3.4 Virialsatz Bewegungen in Massenpunktsystemen sind ständig mit einer Umwandlung zwischen kinetischer und potentieller Energie verbunden. Wie groß sind im zeitlichen Mittel die Beiträge von kinetischer und potentieller Energie zur Gesamtenergie? Bewegungsgleichung für einen Massenpunkt: mν r~¨ν = F~ν | · r~ν mν r~ν · r~¨ν = F~ν · r~ν d (mν r~ν · r~˙ν ) − mν |r~˙ν |2 = r~ν · F~ν |Σ dt N N N X X X d 2 ˙ ˙ (mν r~ν · r~ν ) − mν |r~ν | = r~ν · F~ν dt ν=1 ν=1 ν=1 Die Kräfte sollen ein Potential besitzen ~ νU r~ν · F~ν = −r~ν · ∇ N N N X X X d 2 ˙ ˙ ~ νU mν |r~ν | = − r~ν · ∇ (mν r~ν · r~ν ) − damit dt ν=1 ν=1 ν=1 Wir definieren den zeitlichen Mittelwert einer Funktion f (t) als 1 hf (t)i = lim T →∞ T t+ T2 Z dt0 f (t0 ) t− T2 Wir mitteln jetzt obige Gleichung *N + + *N X d X 2 (mν r~ν · r~˙ν ) = mν |r~˙ν | − dt ν=1 ν=1 | {z } | {z } =0 (s.u.) 2hT i 86 *N X + ~ νU r~ν · ∇ ν=1 | {z } Virial des MP-Systems Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik *N + X d 1 ˙ (mν r~ν · r~ν ) = lim T →∞ T dt ν=1 N X mν r~ν · r~˙ν t− 2 ν=1 | t+ T 2 T {z } endlich für fin. Bew. ⇒ hT i = *N 1 X 2 + ~ νU r~ν · ∇ ν=1 Der zeitliche Mittelwert der kinetischen Energie ist gleich dem halben Virial des MPSystems. Oft hängt das Potential homogen von den Auslenkungen ab. Dann ist eine weitere Vereinfachung möglich. Einschub: Eine Funktion mehrerer Variablen mit der Eigenschaft f (λx1 , . . . , λxN ) = λm f (x1 , . . . , xN ) heißt homogene Funktion m-ten Grades. Für solche Funktionen gilt N X i=1 xi ∂f = mf ∂xi (Satz von Euler) Beweis: N X d ∂f | ⇒ (λx1 , . . . , λxN ) = mλm−1 f (x1 , . . . , xN ) xi dλ ∂xi i=1 speziell λ = 1 Anwendung im Falle z.B. des harmonischen Oszillators: Jetzt ist die potentielle Energie eine homogene Funktion zweiten Grades in den {r~ν }, und entsprechend gilt N X ~ ν U = 2U r~ν · ∇ ν=1 87 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik d.h. der Virialsatz nimmt die Form hT i = hU i an. In diesem Fall stimmen die Zeitmittel von potentieller und kinetischer Energie überein! Bem.: Für Probleme der Himmelsmechanik ist das Gravitationspotential relevant, es ist homogen vom Grad −1, entsprechend gilt 2 hT i = − hU i. Der Virialsatz erlaubt es, recht gute Abschätzungen für die Gesamtmassen dynamisch gebundener Systeme wie Sternhaufen oder Galaxienhaufen zu finden. Die Gesamtmasse eines solchen Haufens kann dann vollständig durch Beobachtungsgrößen wie Radialgeschwindigkeiten der Einzelobjekte ausgedrückt werden. 2.3.5 Drehimpulsbilanz Bewegungsgleichung für den ν-ten Massenpunkt: mν r~¨ν = F~ν |r~ν × mν r~ν × r~¨ν = r~ν × F~ν | {z } ~ν M mit r~˙ν × r~˙ν = 0 gilt d mν r~ν × r~¨ν = mν r~ν × r~˙ν dt | {z } =r~ν ×p~ν =L~ν 88 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik damit X dL~ν ~ν | =M dt ν N X dL~ν dt ν=1 = N X ~ν M ν=1 ~ dL ~ =M dt mit Gesamtdrehimpuls X ~ = L L~ν = X ν r~ν × p~ν ν und Gesamtdrehmoment ~ = M X ~ν = M ν X r~ν × F~ν = X ν r~ν × F~ν (ext) ν ! + X µ Es gilt X ν,µ 1 X r~ν × F~νµ = r~ν × F~νµ + r~µ × F~µν 2 ν,µ 1 X = r~ν × F~νµ − r~µ × F~νµ ↑ 2 ν,µ 3. NA = 1X (r~ν − r~µ ) × F~νµ 2 ν,µ Die inneren Kräfte sind Zentralkräfte, d.h. F~µν r~ν − r~µ ∼ ~ |r~ν − r~µ | |Fµν | damit X (r~ν − r~µ ) × F~νµ = 0 ν,µ ~ = d.h. M N X (ext) ~ (ext) r~ν × F~ν =M ν=1 89 F~νµ Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Damit ergibt sich die Drehimpulsbilanz ~ dL ~ (ext) =M dt Die zeitliche Änderung des Gesamtdrehimpulses eines MP-Systems ist gleich dem Gesamtdrehmoment der äußeren Kräfte, wenn die inneren Kräfte Zentralkräfte sind (praktisch immer erfüllt). ~ ~ (ext) = 0 ⇒ dL = 0 ⇒ L ~ = const. M dt D.h. für abgeschlossene Systeme gilt die Drehimpulserhaltung. Drehung um eine feste Achse Ohne Beschränkung der Allgemeinheit betrachten wir eine Drehung um die z-Achse. Lz = X mν (xν ẏν − yν ẋν ) kartesische Koord. ν = X ↑ vgl. mν ρ2ν ϕ̇ν Zylinderkoord. ν 2.2.4 Für Mz = 0 gilt Lz = const.. Falls die Massenpunkte untereinander starr verbunden sind (starrer Körper), besitzen alle Massenpunkte die gleiche Winkelgeschwindigkeit ϕ̇ν = ϕ̇ = ω ∀ν 90 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik damit Lz = ω X mν ρ2ν ν | {z } θ Lz = θω θ . . . Trägheitsmoment des Systems bezüglich der z-Achse Grenzübergang für einen ausgedehnten Körper mit kontinuierlicher Massenverteilung: θ= X mν ρ2ν → Z dm · ρ2 = Z d3~r n(~r)ρ2 ν mit Massendichte n(~r) = dm(~ r) dV Bei konstantem Lz kann die Winkelgeschwindigkeit durch Änderung von θ variiert werden (Bsp. Eiskunstlauf). Rolle des Bezugspunkts Der Drehimpuls hängt von der Wahl des Bezugspunkts ab. O und O0 seien zwei Bezugspunkte. r~ν = r~0 + r~ν0 Sei r~˙0 = 0 91 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik ~0 = L X = X = X mν r~ν0 × r~˙ν ν mν (r~ν − r~0 ) × r~˙ν ν mν r~ν × r~˙ν − r~0 × X mν r~˙ν ν ν | {z } mr~˙c =~ p (2.3.2) ~0 = L ~ − r~0 × p~ d.h. L Der Drehimpuls ist also von der Wahl des ruhenden Bezugspunkts O0 dann unabhängig, wenn der Massenmittelpunkt ruht (~ p = 0). Jetzt bewege sich O0 bzgl. O, r~0 = r~0 (t). ~0 = L X = X mν (r~ν − r~0 ) × (r~˙ν − r~˙0 ) ν mν r~ν × r~˙ν − ν X mν r~0 × r~˙ν − ν X mν r~ν × r~˙0 + X ν mν r~0 × r~˙0 ν ~ − r~0 × p~ − m(~ =L rc − r~0 ) × r~˙0 woraus ~0 ~ dL d~ p dL = − r~˙0 × p~ − r~0 × −m(r~˙c − r~˙0 ) × r~˙0 −m(~ rc − r~0 ) × r~¨0 {z } dt dt dt | −~ p×r~˙0 , da r~˙0 ×r~˙0 =0 d.h. ~0 ~ dL dL d~ p = − r~0 × − m(~ rc − r~0 ) × r~¨0 dt dt dt Für das Gesamtdrehmoment gilt andererseits ~0 =M ~ 0 (ext) = M X ν (ext) r~ν0 × F~ν = X (r~ν − r~0 ) × F~ν ν 92 (ext) ~ (ext) − r~0 × =M d~ p dt Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik damit ~0 ~ dL d~ p dL = − r~0 × −m(~ rc − r~0 ) × r~¨0 dt dt dt k ~ (ext) M | {z ~ 0 (ext) M } ~0 dL ~ 0 (ext) − m(~ =M rc − r~0 ) × r~¨0 dt d.h. ~0 dL dt ~0 =M (ext) gilt für • r~¨0 = 0, d.h. O0 ruht oder bewegt sich gleichförmig • r~c (t) = r~0 (t), d.h. O0 ist der Massenmittelpunkt 2.3.6 Spezielle Probleme A) Zweikörperproblem Bewegungsgleichungen m1 r~¨1 = −f (r21 ) m2 r~¨2 = f (r21 ) Transformation auf Massenmittelpunktsvektor und Abstandsvektor m1 r~1 + m2 r~2 = r~c m1 + m2 m2 r~1 − m2 r~2 m2 r~10 = r~1 − r~c = =− ~r21 m1 + m2 m1 + m2 m1 r~2 − m1 r~1 m1 r~20 = r~2 − r~c = = ~r21 m1 + m2 m1 + m2 93 ~r21 (∗) r21 ~r21 (∗∗) r21 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik −(∗) · m2 + (∗∗) · m1 n o ~ r21 ⇒ m1 m2 (r~¨2 − r~¨1 ) = f (r21 ) m2 ~rr21 + m 1 r21 21 | {z } ~ r¨21 ⇒ m1 m2 ¨ ~r21 = f (r21 ) ~rr21 21 m1 + m2 | {z } µ...reduzierte Masse Damit ist das Zweikörperproblem auf ein Einkörperproblem reduziert, die Bewegung der beiden Massen relativ zueinander ist äquivalent zur Bewegung eines Massenpunktes mit Masse µ im konservativen Zentralfeld f (r) ~rr . Aus ~r21 (t) und dem Massenmittelpunkt r~c können dann r~1 (t) und r~2 (t) bestimmt werden. Wegen der Impulserhaltung gilt für den Massenmittelpunkt r~¨c = 0 ⇒ r~c (t) = c1 t + c2 (gleichförmig geradlinig bewegt oder in Ruhe) Bemerkung: Das Kepler-Problem ist eigentlich ein Zweikörperproblem, da die Sonne nicht raumfest ist. Sowohl die Sonne als auch die Erde bewegen sich auf Ellipsen. Die Ellipse der Sonne / Erde ist m m ≈ kleiner M +m M / M ≈ 1 größer M +m als die in 2.2.6 berechnete Ellipse. Die Sonnenmasse beträgt etwa das 330’000 94 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik fache der Erdmasse, so daß die Korrektur klein ist. Anders sieht es beim Mond aus, dessen Masse ist immerhin 1/80 der Erdmasse. B)Raketengleichung Besonderheit bei einer Rakete: Es handelt sich um die Bewegung eines Körpers mit veränderlicher Masse. ∧ Rakete + ausgestoßene Masse = MP-System ↑ Massenerhaltung Bilanzgleichung für den Gesamtimpuls: p~˙ = F~ (ext) Impuls zur Zeit t: p~ = m~v Impuls zur Zeit t + ∆t: p~ + ∆~ p = [m + ∆m][~v + ∆~v ] + [−∆m][~v + ∆~v + ~u] = |{z} m~v +m∆~v − ∆m~u p ~ 95 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik ∆~ p = m∆~v − ∆m~u |· 1 , lim ∆t ∆t→0 p~˙ = m~v˙ − ṁ~u k ~ (ext) F ⇒ Raketengleichung m~v˙ = F~ (ext) + ṁ~u ⇒ Impulsbilanz für Rakete d (m~v ) = F~ (ext) + ṁ(~v + ~u) | {z } dt Schubkraft Eine Änderung des Raketenimpulses erfolgt durch eine äußere Kraft und die Schubkraft. Bsp.: geradliniger Aufstieg einer Rakete im homogenen Schwerefeld der Erde ~v = ż e~z ~u = −ue~z F~ (ext) = −mg e~z Damit ergibt sich die Raketengleichung z̈ = −g − ṁ mu Rt 0 ṁ ⇒ ż = −g(t − t0 ) − dt m u t0 z(t) = − 12 g(t − t0 )2 − Rt dt0 t0 mit ṁ < 0 Raketengeschw., ż(t0 ) = 0 Rt0 t0 ṁ dt00 m u Bahnkurve Speziell für u = const. folgt m(t0 ) ż = −g(t − t0 ) + u ln m(t) 96 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Ist für t = tf der Treibstoff verbraucht, hat die Rakete die Geschwindigkeit m(t0 ) vf = −g(tf − t0 ) + u ln m(tf ) und für t > tf unterliegt sie den Gesetzen des senkrechten Wurfes ż = −g(t − tf ) + vf u ln h m(t0 ) m(tf ) i . . . Endgeschwindigkeit ohne äußere Kraft, hängt vom Massenverhältnis ab. ⇒ Bei festem Massenverhältnis ist die maximal erreichbare Geschwindigkeit umso größer, je schneller die Masse ausströmt. 97 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 3 Lagrangesche Mechanik 3.1 Das d’Alembertsche Prinzip 3.1.1 Bedingungsgleichungen Vom mechanischen Standpunkt kann man die Welt als Massenpunktsystem auffassen, mit Kräften zwischen den MP. Das ist praktisch nicht durchführbar, da makroskopische Systeme typischerweise ∼ 1023 Teilchen besitzen. Wir versuchen daher, das Gesamtsystem näherungsweise als Objekt + Umgebung zu beschreiben. Beispiel: Körper, der eine schiefe Ebene hinabgleitet Die Umgebung (der schiefen Ebene) kann durch eine Zwangskraft beschrieben werden, die den Körper zwingt, sich ausschließlich auf der schiefen Ebene zu bewegen. Der Körper kann sich nicht frei bewegen, sondern nur gebunden bzw. eingeschränkt. Die Einschränkung der Bewegung kann in Form von Bedingungsgleichungen formuliert werden. Im Fall der schiefen Ebene ist die Bedingungsgleichung x(t) sin α − z(t) cos α = 0 Für komplexere Systeme aus mehreren (N ) Massenpunkten verwenden wir im Folgenden die Notation von 3N kartesischen Koordinaten und 3N Kraftkomponenten. Ebenfalls betrachten wir 3N Massen, wobei die Massen, die zu einem MP gehören, jeweils gleich sind. 98 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Damit lauten die Newtonschen Bewegungsgleichungen: mi ẍi = Fi (i = 1, 2, . . . , 3N ) Bindungen zwischen den MP (innere Bindungen) bzw. Bindungen an feste Kurven oder Flächen im Raum (äußere Bindungen) formulieren wir als Nebenbedingungen. Wir unterscheiden 4 Typen von Nebenbedingungen Holonome NB lassen sich in Form von Gleichungen folgender Art formulieren: fk (xj , t) = 0 (k = 1, 2, . . . , r) [fk (xj , t) ≡ fk (x1 , x2 , . . . , x3N , t)] bzw. in der Form 3N X ∂fk i=1 ⇔ 3N X ∂fk i=1 ∂xi ∂xi ẋi + dxi + ∂fk =0 ∂t ∂fk dt = 0 ∂t r . . . Anzahl der Nebenbedingungen, r ≤ 3N f = 3N − r . . . Anzahl der Freiheitsgrade des Systems Anholonome NB lassen sich nur in Form von Differentialgleichungen formulieren 3N X fki (xj , t)ẋi + fk0 (xj , t) = 0 i=1 3N X fki (xj , t)dxi + fk0 (xj , t)dt = 0 i=1 99 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik wobei der obige Ausdruck kein vollständiges Differential ist, im Unterschied zu holonomen Nebenbedingungen. Beispiel: Bewegung eines Schlittschuhs auf der Eisfläche (x-y-Ebene) Die Bewegung kann nur in Richtung der Schneide erfolgen, d.h. ẏ − tan ϕẋ = 0 Die Bedingung ist anholonom, da sie nicht als vollständiges Differential von f (x, y, ϕ) formulierbar ist. dy − tan ϕdx + 0dϕ = 0 {z } | 6=df Zu den anholonomen Bedingungen werden auch Bedingungen in Form von Ungleichungen gezählt. Beispiel: Massenpunkt, der in einem bestimmten Volumen gebunden ist: (x − x0 )2 + (y − y0 )2 ≤ R2 100 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Skleronome NB hängen nicht explizit von der Zeit ab, d.h. für holonome Bedingungen ∂fk =0 ∂t und für anholonome Bedingungen ∂fki =0 ∂t (i = 1, 2, . . . , 3N ) fk0 = 0 Rheonome NB sind explizit zeitabhängige Bedingungen. Für Systeme, die mehreren NB genügen, können diese unterschiedlicher Art sein, holonom, anholonom, teils skleronom, teils rheonom. 3.1.2 Das d’Alembertsche Prinzip Ein System von N MP unterliege r Nebenbedingungen, z.b. holonom 3N X ∂fk i=1 ∂xi dxi + ∂fk dt = 0 ∂t Diese Nebenbedingungen haben zur Folge, daß die Massenpunkte nicht nur den eingeprägten Kräften Fi ausgesetzt sind, sondern auch noch Zwangskräften F̃i , die die Bewegungsfreiheit der Massenpunkte einschränken. Damit ergeben sich modifizierte Bewegungsgleichungen mi ẍi = Fi + F̃i (i = 1, 2, . . . , 3N ) 101 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wie können die Zwangskräfte durch die Nebenbedingungen ausgedrückt werden? Wir betrachten zunächst virtuelle Verrückungen δxi (i = 1, 2, . . . , 3N ), d.h. infinitesimal kleine Auslenkungen des Systems, die mit den Nebenbedingungen vereinbar sind und momentan geschehen sollen, d.h. δt = 0. D.h. für holonome Bedingungen 3N X ∂fk i=1 ∂xi dxi + ∂fk dt = 0 ∂t sind virtuelle Verrückungen solche, die folgende Gleichung erfüllen: 3N X ∂fk i=1 ∂xi δxi = 0 Analog gilt für virtuelle Verrückungen unter anholonomen Bedingungen 3N X fki δxi = 0 i=1 Für bilaterale Bindungen (d.h. Bindungen, die durch Gleichungen - im Unterschied zu Ungleichungen - beschrieben werden) lautet das d’Alembertsche Prinzip 3N X F̃i δxi = 0 i=1 Zwangskräfte leisten bei virtuellen Verrückungen keine Arbeit. D.h. die Zwangskräfte stehen senkrecht auf den erlaubten Bewegungsrichtungen. Hierbei handelt es sich um eine Erfahrungstatsache, es kann nicht bewiesen werden. 102 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Aus F̃i = mi ẍi − Fi folgt 3N X (mi ẍi − Fi )δxi = 0 i=1 Für unilaterale Bindungen, d.h. einseitige Bindungen, wo z.B. Massenpunkte auf ein bestimmtes Volumen eingeschränkt sind, zeigt die Zwangskraft auf die Seite, in der die Massenpunkte sich bewegen können. D.h. dann gilt 3N X F̃i δxi ≥ 0 ⇔ 3N X (mi ẍi − Fi )δxi ≥ 0 i=1 i=1 Im mechanischen Gleichgewicht sind die Massenpunkte in Ruhe, d.h. ẍi = 0 ∀i Dann gilt das Prinzip der virtuellen Arbeit 3N X Fi δxi ≤ 0 i=1 Ein MP-System ist dann und nur dann im Gleichgewicht, wenn die gesamte virtuelle Arbeit der am System angreifenden eingeprägten Kräfte verschwindet bzw. nicht positiv ist. 103 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Beispiel: Hebel im Schwerefeld der Erde Einzig mögliche virtuelle Verrückung ist eine kleine Drehung virtuelle Arbeit F (a) aδϕ − F (b) bδϕ = 0 ⇔ (F (a) a − F (b) b)δϕ = 0 ↑ beliebig ⇒ Gleichgewichtsbedingung F (a) a = F (b) b (Hebelgesetz) 3.1.3 Bilanzgleichungen Die Bilanzgleichungen für MP-Systeme aus 2.3.2, 2.3.3 und 2.3.5 bleiben natürlich gültig, wenn alle wirkenden Kräfte, d.h. eingeprägte und Zwangskräfte berücksichtigt werden. Wir können auch die Zwangskräfte in innere und äußere Zwangskräfte einteilen N X˜ ˜ ˜ F~ν = F~ν(ext) + F~νµ µ=1 Die Impulsbilanz lautet dann d~ p ˜ = F~ (ext) + F~ (ext) dt 104 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Entsprechend lautet die Drehimpulsbilanz ~ dL ~ (ext) + M ~˜ (ext) =M dt Für die kinetische Energie gilt dT = P + P̃ dt P + P̃ . . . Leistung aller am System angreifenden eingeprägten und Zwangskräfte Wir betrachten speziell skleronome Bedingungen der Form 3N X fki dxi = 0 i=1 Dann gibt es keinen Unterschied zwischen virtuellen und realen Verrückungen dxi = δxi und das d’Alembertsche Prinzip lautet 3N X F̃i δxi = 3N X i=1 F̃i dxi = 0 i=1 Dann gilt für P̃ = 3N X F̃i ẋi = 0 i=1 und die Bilanzgleichung für T geht in die Bilanzgleichung für freie Systeme über dT =P dt d.h. die mechanische Energiebilanz ist durch die eingeprägten Kräfte bestimmt. 105 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Falls diese ein Potential besitzen Fi = − ∂U ∂xi gilt wie für freie Systeme d ∂U (T + U ) = dt ∂t ∂U ∂t (vgl. 2.2.3) = 0 für konservative Systeme 3.1.4 Spezielle Probleme A) Massenpunkt auf schiefer Ebene Ein Massenpunkt bewege sich reibungsfrei unter Einfluß der Schwerkraft eingeprägte Kraft: F~ = −mg e~z Nebenbedingung: z = x tan α bzw. δz = δx tan α 1 Teilchen, 1 Nebenbedingung → 3 − 1 = 2 Freiheitsgrade 106 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik d’Alembertsches Prinzip 3N X (mi ẍi − Fi )δxi = 0 i=1 → mẍδx + mÿδy + (mz̈ + mg)δz = 0 k δx tan α ⇒ [ẍ + (z̈ + g) tan α] δx + ÿδy = 0 δx und δy sind frei wählbar ⇒ ẍ + (z̈ + g) tan α = 0 (∗) ÿ = 0 Die Bewegung in y ist geradlinig gleichförmig. Es ergeben sich 2 Gleichungen, die zusammen mit der Nebenbedingung z = x tan α zu lösen sind. z̈ = ẍ tan α → (∗) ⇒ ẍ (1 + tan2 α) +g tan α = 0 {z } | 1 cos2 α ⇒ ẍ = −g sin α cos α Die Bewegung in x ist gleichförmig beschleunigt. Für s = s̈ = −g sin α = − x cos α gilt |F~k | m Die Bewegung längs der s-Achse erfolgt unter Einfluß der Projektion der Schwerkraft auf diese Achse. 107 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik ˜ Die Zwangskraft F~ = m~r¨ − F~ lautet in Komponenten F˜x = mẍ = −mg sin α cos α = −|F~⊥ | sin α F˜y = mÿ = 0 F˜z = mz̈ + mg = m(ẍ tan α + g) = −mg (sin2 α − 1) = |F~⊥ | cos α | {z } − cos2 α ˜ D.h. F~ = −F~⊥ , die Zwangskraft ist entgegengesetzt gleich der Komponente der Schwerkraft, die orthogonal zur schiefen Ebene wirkt. B) Mathematisches Pendel Ein Massenpunkt befindet sich an einer massenlosen, drehbar aufgehängten Stange. Eingeprägte Kraft: F~ = mg e~x = mg cos ϕe~ρ − mg sin ϕe~ϕ Nebenbedingungen: z = 0, ρ = l bzw. δz = 0, δρ = 0 1 Teilchen, 2 Nebenbedingungen → 3 − 2 = 1 Freiheitsgrad 108 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik virtuelle Verrückung δ~r = δρe~ρ + ρδϕe~ϕ + δz e~z = ρδϕe~ϕ k k 0 0 d’Alembertsches Prinzip: 0 = (m~r¨ − F~ ) · δ~r = (m~r¨ · e~ϕ − F~ · e~ϕ )ρδϕ = m(ρϕ̈ + 2ρ̇ϕ̇ + g sin ϕ)ρδϕ ↑ ~ r¨ in Zylinderkoord. (1.2) Da δϕ frei wählbar ist, folgt ρϕ̈ + 2ρ̇ϕ̇ = −g sin ϕ Diese Gleichung ist zusammen mit den Nebenbedingungen zu lösen: ρ = l, d.h. ρ̇ = 0 g ⇒ ϕ̈ = − sin ϕ l Für kleine Auslenkungen (ϕ 1) gilt sin ϕ ≈ ϕ Damit ergibt sich die Bewegungsgleichung für eine harmonische Schwingung (vgl. 1.4) ϕ̈ + ω 2 ϕ = 0 mit ω = ⇒T = q 2π ω g l = 2π q l g Z.B. erfolgt die Eichung von Pendeluhren über die Pendellänge. 109 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Jetzt betrachten wir beliebige Auslenkungen Wir nutzen die Energieerhaltung bei skleronomen Bedingungen aus: T + U = E = const. T = 21 m|~r˙ |2 = 21 m(ρ̇2 + ρ2 ϕ̇2 + ż 2 ) = 12 ml2 ϕ̇2 k k 0 0 U = −mgρ cos ϕ = −mgl cos ϕ 1 ⇒ E = ml2 ϕ̇2 − mgl cos ϕ 2 1 E g = ϕ̇2 − cos ϕ 2 ml 2 l |{z} =: k ω2 1 = ϕ̇2 − ω 2 cos ϕ 2 dϕ dt 2 = 2( + ω 2 cos ϕ) Z dϕ p t= + const. 2( + ω 2 cos ϕ) Wir betrachten U (ϕ) = −ω 2 cos ϕ 110 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Die Bewegung ist finit für −ω 2 < < ω 2 . Die Umkehrpunkte (ϕ̇ = 0) folgen aus U (ϕ0 ) = −ω 2 cos ϕ0 = Wir integrieren für eine finite Bewegung mit den Anfangsbedingungen ωt = t = 0, ϕ = 0 Rϕ dϕ0 q 0 2(cos ϕ0 −cos ϕ0 ) | {z } − 2 ω Wir integrieren numerisch bis ϕ = ϕ0 , dann offensichtlich t = T 4 s ϕ20 l ⇒ T ≈ 2π 1+ + ... g 16 Für ϕ0 → 0 ergibt sich wieder ein harmonischer Oszillator, für ϕ0 > 0 hängt die Schwingungsdauer auch von der Amplitude ϕ0 ab. ˜ Die Zwangskraft F~ = m~r¨ − F~ lautet in Komponenten F˜ρ = m(ρ̈ − ρϕ̇2 ) −Fρ = −ml(ϕ̇2 + ω 2 cos ϕ) {z } k | −mlϕ̇2 mg cos ϕ F˜ϕ = m(ρϕ̈ + 2ρ̇ϕ̇) −Fϕ = ml (ϕ̈ + ω 2 sin ϕ) = 0 | {z } k {z } | mlϕ̈ −mg sin ϕ =0 (Bewegungsgl.) F˜z = mz̈ − Fz = 0 k 0 k 0 D.h. die Zwangskraft hat nur eine Komponente ˜ F~ = −ml(ϕ̇2 + ω 2 cos ϕ)e~ρ Diese muß die ρ-Komponente der Schwerkraft kompensieren und die Radialkraft realisieren, die die Kreisbewegung erzwingt. 111 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 3.1.5 Starrer Körper Ein starrer Körper entspricht einem System von Massenpunkten mν , deren Abstände sich nicht ändern sollen. Die festen Abstände reduzieren die Freiheitsgrade des Systems auf typischerweise 6: Drehachse d’Alembertsches Prinzip: N X (mν r~¨ν − F~ν )δ r~ν = 0 ν=1 Nebenbedingungen: r~ν = r~1 + r~ν 0 δ r~ν = δ r~1 + δ r~ν 0 wobei δ|r~ν 0 | = 0 wobei m1 ein willkürlich herausgegriffener Massenpunkt ist. 112 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Für einen festen Abstand δ|r~ν 0 | = 0 kann der Massenpunkt mν nur eine Drehung um eine Achse durch den Massenpunkt m1 ausführen: δ r~ν 0 = δ ϕ~ν × r~ν 0 (vergleiche Drehung um eine Achse in 2.1.5) damit δ r~ν = δ r~1 + δ ϕ~ν × r~ν 0 Bei einem starren Körper müssen bei einer Drehung alle Winkel gleich sein, d.h. δ ϕ~ν = δ ϕ ~ damit δ r~ν = δ r~1 + δ ϕ ~ × r~ν 0 ⇒ r~˙ν = r~˙1 + ω ~ × r~ν 0 Die beliebig wählbaren δ r~1 und δ ϕ ~ sind die 6 Freiheitsgrade des starren Körpers (3 Translationen, 3 Rotationen). Jetzt mit δ r~ν ins d’Alembertsche Prinzip: N N X X ¨ ~ ⇒ δ r~1 · (mν r~ν − Fν ) + δ ϕ ~× r~ν 0 · (mν r~¨ν − F~ν ) = 0 ν=1 ν=1 | δϕ ~· N P {z (mν r~ν 0 ×r~¨ν −r~ν 0 ×F~ν ) ν=1 113 } Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Anmerkung: Für das Spatprodukt gilt (~a × ~b) · ~c = (~b × ~c) · ~a = (~c × ~a) · ~b Beweis über Komponentendarstellung (~a × ~b)i = εijk aj bk (Summenkonvention) wobei für das Permutationssymbol gilt εijk = +1 (i, j, k) gerade Permutation von 1, 2, 3 −1 (i, j, k) ungerade Permutation von 1, 2, 3 0 mindestens zwei Indizes gleich Wichtige Rechenregel εijk εimn = δjm δkn − δjn δkm εijk εijn = 2δkn εijk εijk = 6 (Summenkonvention) Wegen r~ν 0 = r~ν − r~1 folgt weiters δ r~1 · N X ν=1 (mν r~¨ν − F~ν ) + δ ϕ ~· N h X i mν r~ν × r~¨ν − r~ν × F~ν − r~1 × (mν r~¨ν − F~ν ) = 0 ν=1 114 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Da δ r~1 und δ ϕ ~ frei wählbar sind, folgt: N X mν r~¨ν = ν=1 N X mν r~ν × r~¨ν = ν=1 N X ν=1 N X F~ν r~ν × F~ν ν=1 Das entspricht gerade der Impulsbilanz d~ p = F~ = F~ (ext) dt und der Drehimpulsbilanz ~ dL ~ =M ~ (ext) =M dt Gesamtkraft und Gesamtdrehmoment sind nur durch die eingeprägten äußeren Kräfte bestimmt, da die Zwangskräfte als innere Kräfte keinen Beitrag leisten. Ist der starre Körper nicht frei beweglich, sondern durch Nebenbedingungen eingeschränkt, so treten noch äußere Zwangskräfte und Zwangsdrehmomente auf. Dann gilt d~ p ˜ = F~ (ext) + F~ (ext) ; dt ~ dL ~˜ (ext) ~ (ext) + M =M dt 115 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Beispiel: Um feste Achse drehbarer Körper o.B.d.A entspreche die Drehachse der z-Achse, r~1 fixiere einen Punkt auf der Achse. Damit δ r~1 = 0, δ ϕ ~ = δϕe~z und es gilt die Drehimpulsbilanz für die z-Komponente dLz = Mz = Mz(ext) dt (vgl. 2.3.5) Lz = θϕ̇ mit θ = N X mν ρ2ν = Z dmρ2 ν=1 wobei θ das Trägheitsmoment des starren Körpers bezogen auf die Drehachse (z-Achse) ist. ρ ist dabei der senkrechte Abstand des jeweiligen Massenpunktes von der Drehachse. Damit lautet die Bewegungsgleichung θϕ̈ = M Für skleronome Bedingungen gehen in die Energiebilanz nur eingeprägte Kräfte ein. Falls diese ein Potential besitzen gilt d ∂U (T + U ) = dt ∂t hier ist U = U (ϕ, t) T = N X 1 ν=1 2 mν |r~˙ν |2 = N X 1 ν=1 2 2 mν (ρ˙ν + ρ2ν ϕ˙ν 2 2 + z˙ν ) = k k k 0 ϕ̇2 0 116 N X 1 ν=1 1 mν ρ2ν ϕ̇2 = θϕ̇2 2 2 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Damit lautet die Energiebilanz d 1 2 θϕ̇ + U (ϕ, t) = dt 2 ∂U ∂U θϕ̇ϕ̈ + ϕ̇ + = ∂ϕ ∂t ∂ U (ϕ, t) ∂t ∂U ∂t ∂U θϕ̈ = − |{z} ∂ϕ M ⇒M =− ∂U ∂ϕ D.h. die Drehung eines starren Körpers um eine feste Achse ist analog zur eindimensionalen Translationsbewegung mit den Entsprechungen x↔ϕ Gilt die Energieerhaltung, d.h. ∂U ∂t m↔θ F ↔M = 0, können wir die Bewegungsgleichung integrieren Z θϕ̈ = M → t = dϕ p 2[E − U (ϕ)]/θ (analog zum Vorgehen in 2.2.5 mit den oben genannten Ersetzungen) 117 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Steinerscher Satz Das Trägheitsmoment ist abhängig von der Wahl der Achse θ= = N X ν=1 N X mν ρ2ν = N X 2 0 0 mν (ρ02 ν + ρc − 2ρc ρν cos ϑν ) ν=1 2 mν ρ02 ν +mρc − 2ρc ν=1 | N X mν ρ0ν cos ϑ0ν ν=1 {z θc } | {z mxc =0 } θ = θc + mρ2c Ist das Trägheitsmoment bezüglich der durch den Massenmittelpunkt gehenden Achse bekannt, so ist es (bei bekannter Gesamtmasse) bezüglich jeder dazu um ρc parallel verschobenen Achse bekannt. 118 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Freie Achsen Die Zwangskräfte und Zwangsdrehmomente sind gegeben durch d~ p ~ (ext) ˜ F~ (ext) = −F dt ~ ~˜ (ext) = dL − M ~ (ext) M dt (wichtig für die Fixierung der Drehachsen) Wir betrachten einen Körper, der im Schwerefeld der Erde um eine Achse, welche senkrecht auf der Erdoberfläche steht, rotiert. Dafür gilt: ˜ F~ (ext) = mr~¨c + mg e~z = −mρc ϕ̇2 e~ρ + mg e~z ↑ ρ̇ = 0 = ϕ̈ ~˙ + mg r~c × e~z = (L˙x + mgyc )e~x + (L˙y − mgxc )e~y ~˜ (ext) = L M (Annahme: M̃z (ext) = 0, d.h. Lz ändert sich nicht) ˜ Die Zwangskraft F~ (ext) ist gerade die Kraft, die den Körper (Massenmittelpunkt) auf eine Kreisbahn vom Radius ρc in fester Höhe über der Erdoberfläche zwingt. ~˜ (ext) ist das zur Achsenfixierung nötige Zwangsdrehmoment, wir betrachten die entM sprechenden Drehimpulskomponenten: Für eine Kreisbewegung gilt: xν = ρν cos ϕ ⇒ yν = ρν sin ϕ x˙ν = −ϕ̇yν y˙ν = ϕ̇xν x¨ν = −ϕ̈yν − ϕ̇y˙ν = −ϕ̇2 xν k 0 gleichförmige Bewegung y¨ν = ϕ̈xν + ϕ̇x˙ν = −ϕ̇2 yν k 0 119 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik damit N N N ν=1 ν=1 X X d X L˙x = mν (yν z˙ν − zν y˙ν ) = − mν zν y¨ν = mν zν ϕ̇2 yν dt k ν=1 0 N N N ν=1 ν=1 X X d X mν (zν x˙ν − xν z˙ν ) = mν zν x¨ν = − mν zν ϕ̇2 xν L˙x = dt k ν=1 0 mit dem Deviationsmoment (auch „dynamische Unwucht“) θij = N X mν (xν )i (xν )j i 6= j ν=1 ergibt sich L˙x = ϕ̇2 θyz L˙y = −ϕ̇2 θxz Anstelle zeitabhängige Deviationsmomente zu benutzen ist es oft sinnvoll, in ein körperfestes Koordinatensystem zu wechseln. (x’ und y’ sind körperfest) 120 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik es gilt xν = x0ν cos ϕ − yν0 sin ϕ yν = x0ν sin ϕ + yν0 cos ϕ zν = zν0 damit ergibt sich θxz = θx0 z 0 cos ϕ − θy0 z 0 sin ϕ θyz = θx0 z 0 sin ϕ + θy0 z 0 cos ϕ wobei die körper- und achsenspezifischen Deviationsmomente θx0 z 0 und θy0 z 0 jetzt zeitunabhängig sind. Verschwinden für eine gewählte, durch den Massenmittelpunkt des Körpers gehende Drehachse die Deviationsmomente, so ist kein Zwangsdrehmoment notwendig, um ein Kippen der Drehachse zu verhindern. Ein um eine solche Achse nach einem Anstoß in Drehung versetzter Körper kann um diese Achse frei weiterrotieren, da die Achse ihre Lage beibehält. Eine solche Achse wird freie Achse genannt, bzw. Hauptträgheitsachse oder Hauptachse. Hauptachsen verlaufen durch den Massenmittelpunkt und sind Symmetrieachsen. 121 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Physisches Pendel Das physische Pendel entspricht einem starren Körper, der um eine Achse parallel zur Erdoberfläche frei beweglich ist. Die Bewegungsgleichung lautet θϕ̈ = Mz = −yc Fx = −ρc sin ϕ · mg ⇒ ϕ̈ = − ρc mg sin ϕ θ analog zur Bewegungsgleichung des mathematischen Pendels (3.1.3): g ϕ̈ = − sin ϕ l Wir definieren eine reduzierte Pendellänge l= θ ρc m und können alle Ergebnisse aus 3.1.3 übertragen. 122 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Mit dem Steinerschen Satz θ = θc + mρ2c erhalten wir θc θc l= + ρc = ρc 1 + 2 ρc m ρc m d.h. für ein festes l (bzw. für eine vorgegebene Schwingungsdauer) gibt es zwei mögliche ρc , d.h. zwei mögliche Aufhängungspunkte. D.h. speziell für die Wahl des Schwingungsmittelpunkts zum Aufhängungspunkt ergibt sich die selbe Schwingungsdauer (Beweis: Übung). Die minimale Pendellänge ergibt sich aus dl dρc =0 ⇒ − ρθ2cm + 1 = 0 ⇒ ρc = q c diese gibt Anlaß zur kleinstmöglichen Schwingungsdauer. 123 θc m Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 3.2 Lagrangesche Gleichungen 3.2.1 Lagrangesche Gleichungen 1. Art Wir starten vom d’Alembertschen Prinzip 3N X (mi ẍi − Fi )δxi = 0 i=1 mit bilateralen, anholonomen Bedingungen 3N X fki dxi + fk0 dt = 0 (k = 1, 2, . . . , r) i=1 (für holonome Bedingungen fki → ∂fk ∂xi , fk0 → ∂fk ∂t ) Wir multiplizieren die k-te Bedingung für dt = 0 mit λk und summieren über k: r X 3N X λk fki δxi = 0 k=1 i=1 Wir subtrahieren das Ergebnis vom d’Alembertschen Prinzip ⇒ 3N X mi ẍi − Fi − i=1 r X ! λk fki δxi = 0 k=1 Von 3N virtuellen Verrückungen δxi sind 3N − r = f frei wählbar, r sind durch Nebenbedingungen festgelegt. Wir wählen die Lagrangeschen Multiplikatoren λk so, daß für die nicht frei wählbaren δxi (i = 1, ..., r) die Vorfaktoren mi ẍi − Fi − r X k=1 124 ! λk fki Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik verschwinden (r Gleichungen für r Unbekannte λk ). Für die verbleibenden f virtuellen Verrückungen δxi (i = r + 1, ..., 3N ) verschwinden die Vorfaktoren automatisch, da diese frei wählbar sind, und die Gesamtsumme nach Konstruktion verschwinden muß Damit erhalten wir die Lagrangeschen Gleichungen 1. Art mi ẍi = Fi + r X λk fki i = 1, 2, . . . , 3N k=1 (3N Gleichungen) die zusammen mit den r Nebenbedingungen 3N X fki ẋi + fk0 = 0 k = 1, 2, . . . , r i=1 zu lösen sind. D.h. wir haben 3N + r Gleichungen zur Bestimmung von 3N Koordinaten xi und r Lagrangeschen Multiplikatoren λk . Aus den Lagrangeschen Gleichungen 1. Art liest man unmittelbar die Zwangskräfte F̃i = r X k=1 ab. Speziell für holonome Bedingungen gilt: F̃i = r X λk k=1 125 ∂fk ∂xi λk fki Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Lösungsstrategie: (i) ẍi aus LG 1. Art in die nach der Zeit differenzierten Nebenbedingungen einsetzen (ii) aus diesen r Gleichungen erhält man die λk (iii) λk in die LG 1. Art einsetzen (iv) resultierende Bewegungsgleichungen lösen → xi = xi (t) Beispiel: Massenpunkt auf schiefer Ebene (vgl. 3.1.3) eingeprägte Kraft: F~ = −mg e~z Nebenbedingung: f (x, y, z) = z − x tan α = 0 ⇒ ∂f = − tan α ∂x ∂f =1 ∂z Lagrangesche Gleichungen 1. Art: mẍ = −λ tan α mÿ = 0 mz̈ = −mg + λ 126 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik (i) Wir differenzieren die Nebenbedingung nach der Zeit: z̈ − ẍ tan α = 0 und setzen die ẍi aus den LG 1. Art ein: λ λ −g + + tan α tan α = 0 m m | {z } | {z } −ẍ z̈ (ii) λ bestimmen: λ m (1 + tan2 α) = g {z } | 1 cos2 α λ = mg cos2 α (iii) λ in LG 1. Art eliminieren ẍ = −g sin α cos α ÿ = 0 z̈ = g(−1 + cos2 α) = −g sin2 α (iv) Resultierende Bewegungsgleichungen lösen: x = s cos α s̈ = ẍ = −g sin α cos α (bekanntes Ergebnis aus 3.1.3) Zwangskraft für holonome Bedingungen: F̃i = r P k=1 k λk ∂f ∂xi ˜ ~ = mg cos2 α∇(z ~ − x tan α) → F~ = λ∇f 127 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Komponentenweise ausgedrückt: F˜x = mg cos2 α(− tan α) = −mg sin α cos α F˜y = 0 F˜z = mg cos2 α (bekanntes Ergebnis aus 3.1.3) ~ bringt unmittelbar zum Ausdruck, daß die Zwangskraft senkrecht Bemerkung: F̃ ∼ ∇f auf der schiefen Ebene steht. Energiebilanz Aus 3.1.3 wissen wir dT = P + P̃ dt wobei 3N X P̃ = F̃i ẋi i=1 die Leistung der Zwangskräfte ist. Mit F̃i = r X λk fki k=1 folgt P̃ = r X k=1 λk 3N X fki ẋi i=1 Wobei für die Nebenbedingungen 3N X fki ẋi + fk0 = 0 i=1 gilt. 128 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Damit P̃ = − r X λk fk0 k=1 und die Energiebilanz lautet r X dT =P − λk fk0 dt k=1 Speziell für holonome Bedingungen gilt r X ∂fk dT =P− λk dt ∂t k=1 Besitzen die eingeprägten Kräfte ein Potential, so gilt (vgl. 2.3.3) r d ∂U X (T + U ) = − λk fk0 dt ∂t k=1 bzw. speziell für holonome Bedingungen r d ∂U X ∂fk (T + U ) = − λk dt ∂t ∂t k=1 D.h. die aus rheonomen Bindungen resultierenden Zwangskräfte tragen i.A. zur Leistung bei und verändern die Energie des MP-Systems. Ist das System konservativ und skleronom, so gilt die Energieerhaltung. 129 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 3.2.2 Lagrangesche Gleichungen 2. Art Für Systeme mit vielen Massenpunkten und vielen Nebenbedingungen sind die Lagrangeschen Gleichungen 1. Art oft nicht wirklich zielführend, da 3N +r Gleichungen zu lösen sind. Effizienter wäre es ein Verfahren zu benutzen, das von vornherein auf die f = 3N − r Freiheitsgrade abstellt. Wir betrachten N Massenpunkte mit r Nebenbedingungen der Form fk (xj , t) = fk (x1 , x2 , . . . , x3N , t) = 0 k = 1, 2, . . . , r Diese r Nebenbedingungen bilden ein Gleichungssystem in den xj , das für r < 3N unterbestimmt ist, d.h. f = 3N − r Koordinaten bleiben unbestimmt. Wir können die xi als Funktion der Freiheitsgrade xj darstellen xi = xi (xj1 , . . . , xjf , t) i = 1, . . . , 3N j = 1, . . . , f Die Koordinaten xj sind dann durch keine Nebenbedingungen mehr eingeschränkt. Anstelle der beliebig wählbaren f Koordinaten xj können auch f beliebig wählbare (linear unabhängige) Kombinationen dieser Koordinaten verwendet werden qα = qα (xj1 , . . . , xjf , t) α = 1, . . . , f die dem System eventuell besser angepaßt sind. Wir schreiben allgemein xi = xi (qα , t) ≡ xi (q1 , q2 , . . . , qf , t) i = 1, 2, . . . , 3N α = 1, 2, . . . , f wobei die keinerlei Nebenbedingungen unterworfenen Koordinaten qα als generalisierte Koordinaten bezeichnet werden. 130 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Durch Zeitableitung ergeben sich die generalisierten Geschwindigkeiten q˙α . Es gilt f X ∂xi ∂xi q˙α + ẋi = ∂qα ∂t α=1 ⇒ ∂ ∂ q˙α ∂ ẋi ∂xi = ∂ q˙α ∂qα xi = xi (qα , t), daraus folgt für die virtuellen Verrückungen δxi = f X ∂xi δqα ∂qα α=1 Dieses setzen wir in das d’Alembertsche Prinzip ein: 3N X (mi ẍi − Fi )δxi = 0 i=1 f X ∂xi δqα = 0 bzw. ∂qα α=1 i=1 # " 3N f X X ∂xi δqα = 0 (mi ẍi − Fi ) ∂qα 3N X α=1 (mi ẍi − Fi ) i=1 Da die δqα frei wählbar sind, muß folgendes gelten 3N X i=1 (mi ẍi − Fi ) ∂xi =0 ∂qα 131 α = 1, 2, . . . , f Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wir schreiben diese Bewegungsgleichung noch etwas um. Es gilt: 3N X 3N mi ẍi i=1 3N d X ∂xi ∂xi X ∂ ẋi = mi ẋi − mi ẋi ∂qα dt ∂qα ∂qα i=1 k ∂ x˙i ∂ q˙α 3N = 3N d X ∂ ẋi X ∂ ẋi − mi ẋi mi ẋi dt ∂ q˙α ∂qα i=1 d ∂ = dt ∂ q˙α i=1 3N X i=1 | d.h. i=1 3N X mi ẍi i=1 3N 1 ∂ X1 2 mi ẋi − mi ẋi 2 2 ∂qα 2 i=1 {z } | {z } T T d ∂T ∂T ∂xi = − ∂qα dt ∂ q˙α ∂qα wobei die kinetische Energie als Funktion der generalisierten Koordinaten und Geschwindigkeiten angesehen wird T = T (qα , q˙α , t) 3N X i=1 Fi ∂xi =: Φα (qα , q˙α , t) . . . generalisierte Kraft ∂qα Damit lauten die Bewegungsgleichungen d ∂T ∂T − = Φα dt ∂ q˙α ∂qα α = 1, 2, . . . , f Besitzen die eingeprägten Kräfte Fi ein Potential U = U (xi , t) Fi = − 132 ∂U ∂xi Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik folgt für Φα Φα = 3N X i=1 3N X ∂U ∂xi ∂U ∂xi =− =− Fi ∂qα ∂xi ∂qα ∂qα i=1 wobei die potentielle Energie als Funktion der generalisierten Koordinaten und der Zeit angesehen wird: U = U (qα , t) ⇒ ∂U =0 ∂ q˙α Wir können daher schreiben Φα = − d ∂U ∂U + ∂qα dt ∂ q˙α | {z } 0 Wir definieren die Lagrange-Funktion des Systems L = L(qα , q˙α , t) = T − U und finden damit eine kompakte Notation für die Bewegungsgleichung in generalisierten Koordinaten. Lagrangesche Gleichungen 2. Art ∂L d ∂L − =0 dt ∂ q˙α ∂qα α = 1, 2, . . . , f Wir haben jetzt f gewöhnliche Differentialgleichungen 2. Ordnung zur Bestimmung der qα (t). Die Anzahl der Gleichungen ist gleich der Anzahl der Freiheitsgrade. Die Nebenbedingungen treten nicht mehr explizit auf. 133 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Lösungsstrategie: (i) formuliere die Zwangsbedingungen (ii) finde die verallgemeinerten Koordinaten (iii) stelle die Lagrange-Funktion L = T − U auf (iv) leite die Lagrange-Gleichungen 2. Art ab und löse sie (v) transformiere zurück auf die ursprünglichen (anschaulichen) Koordinaten (der letzte Schritt ist nicht immer notwendig und nicht immer möglich) Beispiel: Rollpendel m1 bewege sich reibungsfrei entlang x. Welche Bahnen beschreiben m1 und m2 unter dem Einfluß der Schwerefeldes? (i) 4 holonom-skleronome Zwangsbedingungen z1 = z2 = 0 y1 = 0 (x1 − x2 )2 + y22 − R2 = 0 damit verbleiben 6 − 4 = 2 Freiheitsgrade 134 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik (ii) generalisierte Koordinaten: x1 und ϕ Transformationsformeln x2 = x1 + R sin ϕ ⇒ x˙2 = x˙1 + ϕ̇R cos ϕ y2 = R cos ϕ ⇒ y˙2 = −ϕ̇R sin ϕ (iii) Lagrange-Funktion 1 1 1 m2 2 2 T = m1 x˙1 2 + m2 (x˙2 2 + y˙2 2 ) = (m1 + m2 )x˙1 2 + (R ϕ̇ + 2Rx˙1 ϕ̇ cos ϕ) 2 2 2 2 U = −m2 gR cos ϕ L=T −U = m1 + m2 2 m2 2 2 x˙1 + (R ϕ̇ + 2Rx˙1 ϕ̇ cos ϕ) + m2 gR cos ϕ 2 2 (iv) LG 2. Art lösen d ∂L dt ∂ x˙1 − ∂L ∂x1 =0 k 0 ⇒ ∂L ∂ x˙1 =: p1 = (m1 + m2 )x˙1 + m2 Rϕ̇ cos ϕ = const. (Gesamtimpuls des Systems in x-Richtung) p1 . . . verallgemeinerter Impuls zur Koordinate x1 Wir lösen nach x˙1 auf: x˙1 = p1 m1 +m2 x1 (t) = x1 (0) + − m2 m1 +m2 Rϕ̇ cos ϕ p1 m1 +m2 t − 135 m2 m1 +m2 R(sin ϕ(t) Rt dt0 0 − sin ϕ(0)) Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wir wählen die Anfangsbedingungen x1 (0) = 0, x˙1 (0) = − ϕ(0) = 0, ϕ̇(0) = ω0 | {z } m2 Rω0 m1 + m2 ⇒p1 =0 damit x1 (t) = − m2 R sin ϕ(t) m1 + m2 D.h. der erste Massenpunkt schwingt um seine Ruhelage. Aus den Transformationsformeln folgt für den zweiten Massenpunkt x2 (t) = x1 (t) + R sin ϕ(t) = m1 R sin ϕ(t) m1 + m2 y2 (t) = R cos ϕ(t) Es gilt x2 (t)2 m1 R m1 +m2 2 + y2 (t)2 =1 R2 D.h. der zweite Massenpunkt bewegt sich auf einer Ellipse mit horizontaler Halbachse a= m1 R m1 + m2 und vertikaler Halbachse b=R>a 136 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Das Problem ist noch nicht vollständig gelöst. Wir erhalten die Zeitabhängigkeit von ϕ(t) aus d ∂L ∂L − =0 dt ∂ ϕ̇ ∂ϕ ∂L = m2 R2 ϕ̇ + m2 Rx˙1 cos ϕ ∂ ϕ̇ d ∂L = m2 R2 ϕ̈ + m2 Rx¨1 cos ϕ − m2 Rx˙1 ϕ̇ sin ϕ dt ∂ ϕ̇ ∂L = −m2 Rx˙1 ϕ̇ sin ϕ − m2 gR sin ϕ ∂ϕ ⇒ Rϕ̈ + x¨1 cos ϕ + g sin ϕ = 0 Näherung für kleine Winkel: cos ϕ ≈ 1, sin ϕ ≈ ϕ. m2 R sin ϕ(t) m1 + m2 m2 x˙1 (t) = − R cos ϕ(t) · ϕ̇ m1 + m2 m2 m2 x¨1 (t) = − R(ϕ̈ cos ϕ − ϕ̇2 sin ϕ) ≈ − Rϕ̈ m1 + m2 m1 + m2 x1 (t) = − Damit gilt näherungsweise Rϕ̈ − m2 Rϕ̈ + gϕ = 0 m1 + m2 m1 ϕ̈ R + gϕ = 0 m1 + m2 g m1 + m2 ϕ=0 ϕ̈ + R m1 (Differentialgleichung des harmonischen Oszillators, vgl. 1.4) r Schwingungsfrequenz ω = 137 g m1 + m2 R m1 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Die gewählten Anfangsbedingungen führen auf ϕ(t) = ω0 sin ωt ω Generalisierter Impuls Generalisierte Impulse sind definiert durch pα := ∂L ∂T = ∂ q˙α ∂ q˙α Nach den Lagrangeschen Gleichungen 2. Art d ∂L ∂L − =0 dt ∂ q˙α ∂qα folgt p˙α = ∂T ∂L = + Φα ∂qα ∂qα ↑ generalisierte Kräfte Sei speziell ein freies System gegeben durch L= 3N X mi i=1 2 ẋi 2 − U (x1 , . . . , x3N , t) ∂L = mi ẋi = pi ∂ ẋi d.h. die generalisierten Impulse stimmen mit den gewöhnlichen Impulsen überein und Φi = − ∂U = Fi ∂xi die generalisierten Kräfte entsprechen den gewöhnlichen Kräften. 138 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Die Lagrangeschen Gleichungen 2. Art d ∂L ∂L − = p˙i − Fi = 0 dt ∂ ẋi ∂xi ergeben die bekannten Newtonschen Bewegungsgleichungen des freien Systems mẍi = Fi 3.2.3 Erhaltungssätze und Symmetrien Erhaltungssätze für physikalische Größen sind Ausdruck von Symmetrien Energieerhaltung ⇔ Homogenität der Zeit Die Lagrange-Funktion eines abgeschlossenen Systems L = L(qα , q˙α , t) ist invariant gegenüber einer zeitlichen Transformation t → t + δt, d.h. L(qα , q˙α , t + δt) = L(qα , q˙α , t) + δL mit δL = wobei wegen der Homogenität der Zeit ∂L ∂t ∂L δt ∂t = 0 gilt. 139 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Was bedeutet das physikalisch? f ∂L dL X ∂L ∂L q˙α + q¨α + = dt ∂qα ∂ q˙α ∂t α=1 f ∂L d X ∂L q˙α + = dt ∂ q˙α ∂t (∗) d ⇒ dt α=1 f X α=1 ∂L d ∂L = dt ∂ q˙α ∂qα (∗) : ! ∂L ∂L q˙α − L = − ∂ q˙α ∂t k 0 f X ∂L q˙α − L = const. ⇒ ∂ q˙α α=1 Nur die kinetische Energie hängt von der Geschwindigkeit ab, d.h. f f X X ∂L ∂T q˙α = q˙α ∂ q˙α ∂ q˙α α=1 α=1 Für skleronome Bedingungen ist die kinetische Energie eine homogene Funktion 2. Grades in den q˙α : T (qα , λq˙α ) = λ2 T (qα , q˙α ) Nach dem Eulerschen Theorem über homogene Funktionen gilt (vgl. 2.3.4) f X ∂T q˙α = 2T ∂ q˙α α=1 damit f X ∂L q˙α − L = 2T − (T − U ) = T + U = E = const. ∂ q˙α α=1 D.h. die Energieerhaltung ist Ausdruck der Invarianz der Lagrange-Funktion gegenüber zeitlicher Transformationen, d.h. Ausdruck der Homogenität der Zeit. 140 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Impuls ⇔ Homogenität des Raumes Die Lagrange-Funktion eines abgeschlossenen Systems hängt von den Abständen der Massenpunkte, aber nicht von deren absoluten Koordinaten ab. L ist invariant unter räumlichen Translationen. r~ν → r~ν + δ~r ⇒ L → L + δL N P ~ r~ L mit δL = δ~r · ∇ ν ν=1 Wegen der Homogenität des Raumes ist δL = 0 N X ⇒ ~ r~ L = 0 ∇ ν ν=1 Wir betrachten die Translationsvariable ~r als generalisierte Koordinate N X ∂L d ∂L ~ ~r L = ~ r~ L = 0 = =∇ ∇ ν dt ∂~r˙ ∂~r ν=1 ⇒ ∂L = const. ∂~r˙ N N N N ν=1 ν=1 ν=1 ν=1 X X ∂L X ~ (∗) X ~ ˙T = = ∇r~˙ν L = ∇ mν r~˙ν = p~ν = p~ r ~ ν ∂~r˙ (∗): in L hängt nur T von r~˙ν ab. Hieraus folgt die Erhaltung des Gesamtimpulses des Systems. p~ = const. ist Ausdruck der Homogenität des Raumes. 141 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Drehimpulserhaltung ⇔ Isotropie des Raumes Isotropie des Raumes bedeutet, daß sich die Physik eines abgeschlossenen Systems bei einer Drehung nicht ändert, d.h. unter der Transformation r~ν → r~ν + δ r~ν , δ r~ν = δ ϕ ~ × r~ν L → L + δL soll die Lagrange-Funktion unverändert bleiben, also δL = 0. δL = N X ~ r~ L = δ ϕ δ r~ν · ∇ ~ ν ν=1 N X ~ r~ L = 0 r~ν × ∇ ν ν=1 Wir betrachten für eine gewählte feste Achse den Drehwinkel ϕ als generalisierte Koordinate auf d ∂L ∂L ∂L = ⇒ = const. ∂ϕ dt ∂ ϕ̇ ∂ ϕ̇ 0= Differential von L unter der Transformation: dL = = N X ν=1 N X ~ r~ L + dr~ν · ∇ ν N X ~ ˙ L + ... dr~˙ν · ∇ r~ν ν=1 ~ r~ L + (d~ ϕ × r~ν ) · ∇ ν ν=1 = d~ ϕ· N X ~ ˙ L + ... (dϕ ~˙ × r~ν ) · ∇ r~ν ν=1 N X ~ r~ L + dϕ r~ν × ∇ ~˙ · ν ν=1 N X ν=1 r~ν × p~ν ↑ s.o. d.h. N N ν=1 ν=1 X X ∂L ~ = const. = e~ω · r~ν × p~ν = e~ω L~ν = e~ω · L ∂ ϕ̇ Die Invarianz der Lagrange-Funktion unter Drehung um eine beliebige Achse bedeutet also die Erhaltung des Gesamtdrehimpulses. 142 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Zyklische Koordinaten Systemangepaßte generalisierte Koordinaten qα Transformation: qα → qα + δqα L → L + δL = L + falls δL = 0 ⇔ ∂L δqα ∂qα ∂L =0 ∂qα k d ∂L dt ∂ q˙α ⇒ Erhaltungssatz ∂L = const. ∂ q˙α Generalisierte Koordinaten, von denen die Lagrange-Funktion nicht abhängt, heißen zyklische Koordinaten. Sie stellen Symmetriekoordinaten des Systems dar und geben Anlaß zu Erhaltungssätzen. Erinnerung: Rollpendel in 3.2.2; x1 war zyklische Variable, entsprach Erhaltung des Gesamtimpulses p1 Beispiel: Zwei-Körper-Problem (vgl. 2.3.6) Zwei Massenpunkte, die über eine abstandsabhängige Zentralkraft miteinander wechselwirken 1 1 L = m1 |r~˙1 |2 + m2 |r~˙2 |2 − U (|r~2 − r~1 |) 2 2 143 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wir führen Relativ- und Massenmittelpunktskoordinaten ein ~r = r~2 − r~1 m~ rc = m1 r~1 + m2 r~2 m2 ~r m m1 r~2 = r~c + ~r m ⇒ r~1 = r~c − (m = m1 + m2 ) (vgl. 2.3.6) damit m2 ˙ ˙ m2 r~c · ~r |r~˙1 |2 = |r~˙c |2 + 22 |~r˙ |2 − 2 m m m2 m1 ˙ ˙ |r~˙2 |2 = |r~˙c |2 + 21 |~r˙ |2 + 2 r~c · ~r m m m1 ˙ 2 m2 ˙ 2 1 1 m1 m22 + m2 m21 ˙ 2 |r~1 | + |r~2 | = m|r~˙c |2 + |~r| 2 2 2 2 (m1 + m2 )2 | {z } m1 m2 (m1 +m2 ) =µ (m1 +m2 )(m1 +m2 ) µ . . . reduzierte Masse Damit nimmt die Lagrange-Funktion die Form 1 1 L = m|r~˙c |2 + µ|~r˙ |2 − U (|~r|) 2 2 an, ist additiv in Massenmittelpunkts- und Relativbewegung. Die Massenmittelpunktskoordinate ist zyklisch ⇒ Impulserhaltungssatz 144 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 4 Hamiltonsche Mechanik 4.1 Prinzip der kleinsten Wirkung Bisher gelangten wir mit den Newtonschen Bewegungsgleichungen und dem d’Alembertschen Prinzip zu den Lagrangeschen Gleichungen 2. Art. Man kann jedoch zeigen, daß den Lagrangeschen Gleichungen ein fundamentales Prinzip, das Hamiltonsche Prinzip oder Prinzip der kleinsten Wirkung zugrunde liegt, das von allgemeiner und zentraler Bedeutung für die Physik ist. Wir betrachten die „Bahnkurve“ eines Massenpunktsystems mit f Freiheitsgraden im f -dimensionalen Konfigurationsraum der generalisierten Koordinaten qα qα = qα (t) Wir ordnen jedem Punkt P auf qα (t) einen infinitesimal benachbarten Punkt P 0 so zu, daß P und P 0 jeweils zum gleichen Zeitpunkt gehören. qα = qα (t) → qα0 = qα0 (t) δqα (t) = qα0 (t) − qα (t), δt = 0 d.h. die Variationen der generalisierten Koordinaten sind virtuelle Verrückungen. 145 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik d δqα (t) = q˙α0 (t) − q˙α (t) = δ q˙α (t) dt Wir betrachten die Funktion L(qα , q˙α , t) und deren Variation, d.h. die Differenz der Funktion auf der wirklichen Bahn und der variierten Bahn. δL = L(qα0 , q˙α0 , t) − L(qα , q˙α , t) = L(qα + δqα , q˙α + δ q˙α , t) − L(qα , q˙α , t) Für kleine Variationen δqα und δ q˙α folgt dann δL = f X ∂L ∂L δqα + δ q˙α ∂qα ∂ q˙α α=1 Erinnerung 3.2.2, aus dem d’Alembertschen Prinzip 3N X (mi ẍi − Fi )δxi = f X d ∂L ∂L − δqα = 0 dt ∂ q˙α ∂qα α=1 i=1 folgten die Lagrangeschen Gleichungen, da die δqα frei wählbar sind. Es gilt d ∂L dt ∂ q˙α d δqα = dt ∂L δqα ∂ q˙α − ∂L d δqα ∂ q˙α |dt{z } δ q˙α X f f X d ∂L d ∂L ∂L d.h. δqα = δq + δ q ˙ α α dt ∂ q˙α dt ∂ q˙α ∂ q˙α α=1 α=1 | {z } ∂L ∂qα = f X ∂L α=1 | ∂L δqα + δ q˙α ∂qα ∂ q˙α {z } δL(siehe oben) 146 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik D.h. die einer Variation der Bahnkurve entsprechende Variation der Lagrange-Funktion ist f X d ∂L δqα δL = dt ∂ q˙α α=1 Zt2 dt t1 t2 Zt2 dtδL = f X ∂L δqα ∂ q˙α α=1 t1 t1 Wir wählen die Vergleichsbahn so, daß Anfangs- und Endpunkte mit der wirklichen Bahnkurve übereinstimmen: δqα (t1 ) = δqα (t2 ) = 0 damit Zt2 Zt2 dtδL = δ t1 dtL = 0 t1 Wir definieren Wirkung Zt2 S= dtL t1 und erhalten δS = 0 Hamiltonsches Prinzip oder Prinzip der kleinsten Wirkung Die von einem MP-System im Konfigurationsraum tatsächlich durchlaufene Bahnkurve zeichnet sich gegenüber den zugelassenen Vergleichsbahnen dadurch aus, daß für sie die 147 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wirkung einen Extremwert - meistens ein Minimum - annimmt. Bemerkung: Hamiltonsches Prinzip in der Optik: Fermatsches Prinzip Zs2 ds · n(s) = Extremum ↑ s1 Brechzahl Wir können umgekehrt auch vom Hamiltonschen Prinzip starten und daraus die Lagrangeschen Gleichungen ableiten: Zt2 Zt2 dtL = 0 = δS = δ dt t1 t1 Zt2 = " dt d δqα + ∂qα dt t1 Zt2 f X ∂L dt t1 α=1 f X ∂L α=1 = f X ∂L α=1 ∂L δqα + δ q˙α ∂qα ∂ q˙α d ∂L − ∂qα dt ∂ q˙α ∂L δqα ∂ q˙α − # d ∂L dt ∂ q˙α f X ∂L δqα + δqα ∂ q˙α α=1 | δqα t2 t1 {z 0 } Da die δqα frei wählbar sind, folgt ∂L d ∂L − =0 ∂qα dt ∂ q˙α α = 1, 2, . . . , f Bemerkungen: • Mathematisch formuliert sind die Lagrange-Gleichungen die Lösung der EulerLagrangeschen Variationsaufgabe. • Falls keine holonomen Nebenbedingungen gegeben sind, erhalten wir gegebenenfalls andere Bewegungsgleichungen: Legen wir z.B. die ursprünglichen 3N Koordinaten des Systems zugrunde, so folgt 148 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik für das Variationsproblem Zt2 dt " 3N X ∂L d ∂L − ∂xi dt ∂ ẋi i=1 t1 Zt2 bzw. # δxi = 0 " 3N # X dt (Fi − mi ẍi )δxi = 0 i=1 t1 wobei nun die δxi nicht mehr frei wählbar sind, sondern gemäß 3N X fki δxi = 0 k = 1, 2, . . . , r i=1 mit den z.B. anholonomen Nebenbedingungen verträglich sein müssen. Wir können daher zunächst nur auf das d’Alembertsche Prinzip 3N X (Fi − mi ẍi )δxi = 0 i=1 schließen. 4.2 Hamiltonsche Gleichungen Die Lagrange-Gleichungen liefern uns Bewegungsgleichungen des Systems in der Form von f gewöhnlichen Differentialgleichungen 2. Ordnung. Manchmal ist es zweckmäßiger, stattdessen mit 2f gewöhnlichen Differentialgleichungen 1. Ordnung zu rechnen. Erinnerung 3.2.2: generalisierte Impulse pβ := ∂L β = 1, 2, . . . , f ∂ q˙β d.h. aus L = L(qα , q˙α , t) folgen die generalisierten Impulse pβ = pβ (qα , q˙α , t) Umstellen liefert q˙α = q˙α (qβ , pβ , t). 149 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wir untersuchen jetzt das totale Differential der Lagrange-Funktion dL = f X ∂L ∂qα |{z} α=1 d = dt = = f X dqα + ∂L ∂L dq˙α + dt ∂ q˙α ∂t |{z} pα ∂L =p˙α ∂ q˙α (p˙α dqα + pα dq˙α ) + α=1 f X ∂L dt ∂t [p˙α dqα + d(pα q˙α ) − q˙α dpα ] + α=1 ∂L dt ∂t d.h. f X d ! pα q˙α − L = α=1 | f X (−p˙α dqα + q˙α dpα ) − α=1 {z H ∂L dt ∂t } Offensichtlich hängt H von qα , pα und t ab, d.h. wir sind durch eine sogenannte LegendreTransformation zu einer neuen Funktion mit neuen Variablen gekommen, das ist die Hamilton-Funktion des Systems H = H(qα , pα , t) = f X pα q˙α − L α=1 Bemerkung: Erinnerung 3.2.3, dort wurde bereits gezeigt, daß für skleronome Bedingungen H gerade die Energie des Systems darstellt. 150 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Das vollständige Differential der Hamilton-Funktion ist gegeben durch dH = f X ∂H α=1 ∂H dqα + dpα ∂qα ∂pα + ∂H dt ∂t Koeffizientenvergleich liefert p˙α = − ∂H , ∂qα q˙α = ∂H ∂pα Hamiltonsche oder kanonische Gleichungen ∂H ∂L =− ∂t ∂t D.h. wir haben jetzt 2f gewöhnliche DGL 1. Ordnung als Bewegungsgleichungen für die 2f unbekannten Funktionen qα (t) und pα (t). Energieerhaltung: f X ∂H dqα dH ∂H dpα ∂H = + + dt ∂qα dt ∂pα dt ∂t α=1 = f X α=1 k k −p˙α q˙α ∂H (−p˙α q˙α + q˙α p˙α ) + | {z } ∂t 0 Hängt die Hamilton-Funktion nicht explizit von der Zeit ab, ist sie Erhaltungsgröße. ∂H dH =0 ⇒ = 0 ⇒ H = E = const. ↑ ∂t dt (3.2.3) 151 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Lösungsstrategie (i) formuliere die Zwangsbedingungen (ii) finde die verallgemeinerten Koordinaten (iii) drücke T und V durch die generalisierten Koordinaten und Geschwindigkeiten aus (iv) bestimme die generalisierten Impulse pj = ∂T ∂ q˙j (v) eliminiere damit die q˙j und bilde die Hamilton-Funktion H(q1 , . . . , qf , p1 , . . . , pf ) = T + V (vi) identifiziere eventuelle zyklische Koordinaten, die zugehörigen (zeitlich konstanten) Impulse können aus den Anfangsbedingungen bestimmt werden (vii) stelle für alle (nicht zyklischen) Variablen die Bewegungsgleichungen auf − ∂H = p˙j , ∂qj ∂H = q˙j ∂pj und löse sie (viii) transformiere zurück auf die ursprünglichen (anschaulichen) Koordinaten 152 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Beispiel: Gleiten auf schräger Schiene im Schwerefeld der Erde (i) y = 0, Nebenbedingung: z + x tan α = 0 (ii) generalisierte Variable: Weg s des Massenpunktes. Es gilt: x = s cos α, y = 0, z = −s sin α ẋ = ṡ cos α, ẏ = 0, ż = −ṡ sin α (iii) ⇒T = m m m 2 (ẋ + ẏ 2 + ż 2 ) = (ṡ2 cos2 α + ṡ2 sin2 α) = ṡ2 2 2 2 V = mgz = −mgs sin α (iv) generalisierter Impuls p= ∂T = mṡ ∂ ṡ (v) Hamilton-Funktion H =T +V = p2 − mgs sin α 2m (vi) In diesem Beispiel gibt es keine zyklischen Koordinaten, d.h. es gibt keine zeitlich konstanten Impulse 153 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik (vii) Bewegungsgleichungen − ∂H = ṗ ⇒ mg sin α = ṗ ∂s p ∂H = ṡ ⇒ = ṡ ∂p m Integration liefert: p(t) = p0 + (mg sin α)t Zt s(t) = s0 + p(t0 ) 0 dt m 0 = s0 + p0 t2 t + (g sin α) m 2 Wir wählen die Anfangsbedingungen p0 = s0 = 0, damit erhalten wir die Bahnkurve durch Rücktransformation ~r(t) = (x(t), y(t), z(t)) = (cos α, 0, − sin α)(g sin α) Bemerkung: Es gilt die Energieerhaltung H= p2 − mgs sin α 2m mit p = (mg sin α)t s = (g sin α) t2 (Spezielle Anfangsbedingungen) 2 154 t2 2 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik gilt H= m2 g 2 sin2 α 2 t2 t − mg 2 sin2 α = 0 = const. 2m 2 4.3 Poisson-Klammern Wir betrachten eine physikalische Größe A = A(qα , pα , t), wobei für qα , pα die kanonischen Gleichungen q˙α = ∂H , ∂pα p˙α = − ∂H ∂qα gelten, dann gilt: f dA X ∂A ∂A ∂A = q˙α + p˙α + dt ∂qα ∂pα ∂t α=1 f X ∂A ∂H ∂A ∂H ∂A = − + ∂qα ∂pα ∂pα ∂qα ∂t α=1 Wir definieren die Poisson-Klammer {A, B} zweier Größen A und B durch f X ∂A ∂B ∂A ∂B {A, B} = − ∂qα ∂pα ∂pα ∂qα α=1 damit lautet die Bewegungsgleichung für A dA ∂A = {A, H} + dt ∂t Speziell für A = qα bzw. A = pα gilt dann offensichtlich p˙α = {pα , H} , q˙α = {qα , H} kanonische Gleichungen in symmetrischer Form 155 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Für die Poisson-Klammern gelten folgende Regeln {A, B} = − {B, A} {(A + B), C} = {A, C} + {B, C} {AB, C} = A {B, C} + {A, C} B {A, pα } = ∂A , ∂qα {A, qα } = − ∂A ∂pα {A, {B, C}} + {B, {C, A}} + {C, {A, B}} = 0 (Jacobi-Identität) {qα , pβ } = δαβ {qα , qβ } = {pα , pβ } = 0 (Beweis: Übung) Falls A Erhaltungsgröße ist, gilt 0= dA ∂A = {A, H} + dt ∂t D.h. falls A nicht explizit von der Zeit abhängt, ist A Erhaltungsgröße, wenn {A, H} = 0. Wir betrachten d ∂ {A, B} = {{A, B} , H} + {A, B} dt ∂t 156 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik mit {{A, B} , H} + {{H, A} , B} + {{B, H} , A} = 0 ↑ Jacobi folgt {{A, B} , H} = {A, {B, H}} + {B, {H, A}} = {A, {B, H}} + {{A, H} , B} ferner gilt ∂ {A, B} = ∂t ∂A ,B ∂t ∂B + A, ∂t so daß insgesamt d ∂A ∂B {A, B} = {A, {B, H}} + {{A, H} , B} + , B + A, dt ∂t ∂t ( ) ( ) ∂A ∂B = {A, H} + , B + A, {B, H} + ∂t | {z } | {z ∂t } dA dt dB dt Daraus folgt das Poisson-Theorem d {A, B} = dt dA ,B dt dB + A, dt D.h. falls A und B Erhaltungsgrößen sind dB dA = =0 dt dt gilt dies auch für die Poisson-Klammer von A und B d {A, B} = 0 ⇒ {A, B} = const. dt Damit kann man gegebenenfalls neue Bewegungsintegrale für ein System finden. 157 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 5 Spezielle Relativitätstheorie 5.1 Grundlagen 5.1.1 Michelson-Experiment - Lorentzkontraktion ∧ 1864: theoretisches Fundament des Elektromagnetismus = Maxwell-Gleichungen, ~ mit dem Magnetfeld B, ~ der elektridiese verknüpfen im Vakuum das elektrische Feld E schen Ladungsdichte ρ sowie der elektrischen Stromdichte ~j: ~ ·B ~ =0 ∇ ~˙ = 0 ~ ×E ~ +B ∇ ~ ·E ~ = 1 ·ρ ∇ 0 ~ ×B ~ − 1 ·E ~˙ = µ0 · ~j ∇ c2 Vs wobei µ0 = 4π · 10−7 Am , 0 = 8, 854 · 10−12 VAs m , 0 · µ0 = 1 c2 mit c = 3 · 108 m s. Bemerkungen: • Die Maxwell-Gleichungen enthalten die Lichtgeschwindigkeit c als Naturkonstante! • spezielle Lösung der Maxwell-Gleichungen: elektromagnetische Wellen (Lichtwellen), die sich im Vakuum mit c ausbreiten 158 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Probleme: • Nach der Galilei-Transformation sollten sich Geschwindigkeiten linear addieren: t0 = t r~0 = ~r − ~v t ˙ r~0 = ~r˙ − ~v k k v~0 ~v˜ ~v . . . Geschwindigkeit des gestrichenen Systems v~0 . . . Geschwindigkeit im gestrichenen System ~v˜ . . . Geschwindigkeit um ungestrichenen System d.h. der Beobachter sollte die Lichtgeschwindigkeit in Abhängigkeit vom Bewegungszustand der Lichtquelle messen können • Medium, in dem sich Lichtquellen ausbreiten? ∧ (z.B. Schallwellen = Druckschwankungen) Hypothese: Licht breitet sich im „Äther“ aus, eine Substanz die den leeren Raum sowie andere Materie ausfüllt und durchdringt. 159 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Bewegung der Erde relativ zum Äther? → 1881 Michelson-Experiment in Potsdam (später genauer in den Zeiss-Werken in Jena) Zeit, die das Licht von P zu S1 braucht: t1 = l1 + x c In dieser Zeit bewegt sich das Interferometer um x (mit v) x v x l1 + x ⇒ = v c c x − 1 = l1 v l1 vc x= 1 − vc t1 = 160 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Beim Rückweg kommt P dem Licht um die Strecke x0 entgegen l1 − x0 c x0 0 t1 = v l1 vc x0 = 1 + vc t01 = Gesamtweg des Lichts: L1 = l1 + x + l1 − x0 l1 vc l1 vc = 2l1 + − 1 − vc 1 + vc 2 2 2l1 1 − vc2 + l1 vc + vc2 − l1 vc − = 2 1 − vc2 2l1 = 2 1 − vc2 Strahlengang senkrecht zu ~v : Die Zeit, die das Licht von P zu S2 braucht p l22 + y 2 t2 = c ist gleich der Flugzeit des Spiegels t2 = 161 y v v2 c2 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik l2 + y 2 y2 ⇒ 2 2 = 2 c v 1 l2 1 y 2 2 − 2 = − 22 c v c y2 = c2 l22 1 − v2 y = l2 q 1 c2 v c 1− v2 c2 Das Problem ist symmetrisch, d.h. der Gesamtweg lautet: v u q u 2 L2 = 2 l2 + y 2 = 2tl22 + l22 v2 c2 1− v2 c2 1 = 2l2 q 1− v2 c2 Damit ergibt sich die Wegdifferenz ∆S = Lk − L⊥ = L1 − L2 = 2l1 1− v2 c2 2l2 −q 1− v2 c2 Einschub: Taylorentwicklung Satz von Taylor: Eine Funktion f sei in (x0 −α, x0 +α), α > 0 (n+1)-mal differenzierbar. Dann gilt für x ∈ (x0 − α, x0 + α) f (x) = n X f (i) (x0 ) i=0 mit Rn (x) = i! (x − x0 )i + Rn (x) f (n+1) (x0 + β(x − x0 )) (x − x0 )n+1 (n + 1)! 162 β ∈ (0, 1) Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Beispiele: f (x) = 1 1+x x0 = 0 1 0 = −1 f (x0 ) = − (1 + x)2 x=x0 ⇒ f (x) = f (0) (x0 )x0 + f (1) (x0 )x1 + σ(x2 ) = 1 − x + σ(x2 ) d.h. für x 1 gilt 1 ≈1−x 1+x 1 x0 = 0 1+x 1 1 − 23 0 f (x0 ) = − (1 + x) =− 2 2 x=x0 f (x) = √ 1 ⇒ f (x) = f (0) (x0 )x0 + f (1) (x0 )x1 + σ(x2 ) = 1 − x + σ(x2 ) 2 d.h. für x 1 gilt 1 x √ ≈1− 2 1+x Anwendung hier: 1 1− v2 c2 1 q ∆S = 1− 2l1 1− v2 c2 v2 c2 ≈1+ v2 c2 ≈1+ 1 v2 2 c2 2l2 −q 1− v2 c2 für v c für v c ≈ 2(l1 − l2 ) + 2l1 163 v2 v2 − l2 2 2 c c Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wir rotieren den Versuchsaufbau um 90◦ (l1 ↔ l2 ) L1 → 2l2 1− 2l1 L2 → q 1− v2 c2 v2 c2 ∆S ⊥ = Lk − L⊥ = L2 − L1 2l1 =q 1− v2 c2 − 2l2 1− ≈ 2(l1 − l2 ) − 2l2 v2 c2 v2 v2 + l 1 2 c2 c (k, ⊥ bezogen auf Lichtwellen) ⇒ ∆(∆S) = ∆S − ∆S ⊥ ≈ l1 v2 v2 + l 2 c2 c2 Für v > 0 sollte daher eine orientierungsabhängige Interferenz auftreten. Problem: Das Experiment findet keine Orientierungsabhängigkeit! Lösungsmöglichkeiten: a) Erde nimmt Äther mit (Michelson) widerspricht der Fixsternaberration (damals mit Äther erklärt): Wir müssen ein Fernrohr um α = arctan Ll = arctan vt ct gegen die Senkrechte drehen, um einen Fixstern zu sehen. Nach einem halben Jahr: v → −v ⇒ α → −α 164 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik b) Geschosshypothese: c → c ± v widerlegt durch Doppelsternbeobachtung c) Kontraktion jedes Körpers in Bewegungsrichtung um einen Faktor x r 1− l= L1 = 2l1 1− v2 c2 v 2 (Lorentz 1892) c → 2l1 q 1− 1− v2 c2 v2 c2 2l1 =q 1− v2 c2 damit ∆S = L1 − L2 → q 2l1 1− v2 c2 2l2 −q 1− 2l1 ∆S ⊥ = L2 (l1 ) − L1 (l2 ) → q 1− v2 c2 v2 c2 2l2 −q 1− v2 c2 ⇒ ∆(∆S) = ∆S − ∆S ⊥ = 0 Übereinstimmung mit dem Experiment! D.h. wir können das Konzept des Äthers beibehalten, wenn wir die Lorentzsche Kontraktionshypothese akzeptieren. Das Michelson-Experiment zeigt, dass die Messung einer absoluten Geschwindigkeit, d.h. der Bewegung relativ zum absoluten System des Äthers nicht möglich ist. Die Ätherhypothese kann (muss aber nicht) fallengelassen werden! Relativitätsprinzip (Einstein 1905) Alle Naturgesetze behalten ihre Gültigkeit in beliebigen Inertialsystemen. (hier: Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, d.h. Maxwell-Gleichungen) 165 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 5.1.2 Zeitdilatation Die Galilei-Transformation ~r0 = ~r − ~v t gilt nicht wegen der Lorentzkontraktion. Was ist mit t0 = t? Ist die Zeit absolut? Lichtpulsuhr: jetzt bewegt sich die Uhr mit ~v : Zeit, die das Licht von S1 zu S20 braucht: p L2 + y 2 t= c in dieser Zeit bewegt sich der Spiegel um y t= y v 166 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik y2 L2 + y 2 = 2 v c2 2 1 L 1 y2 − 2 = 2 2 v c c ⇒ v y = Lq c 1− v2 c2 Periode der bewegten Uhr τ 0 = 2t = 2y 1 2L q = v c |{z} 1− τ v2 c2 τ =q 1− v2 c2 ⇒ Eine bewegte Uhr läuft langsamer! Gilt das auch für andere Bewegungsrichtungen? Wir untersuchen eine parallel bewegte Uhr: Lorentz-Kontraktion r 0 L =L 1− v2 <L c2 Lichtweg von S1 zu S20 ∆S = L0 + x 167 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Zeit für Hinweg L0 + x x t= = c v 1 1 L0 x =− − c v c L0 vc L0 x=− = 1 − vc 1 − vc Der Rückweg von S20 zu S10 verkürzt ∆S 0 = L0 − x0 Zeit für Rückweg x0 L0 − x0 = t0 = c v 0 1 1 L x0 + = v c c L0 vc L0 x0 = = 1 + vc 1 + vc Der Gesamtweg beträgt: S = 2L0 + x − x0 r v v v2 c c =L 1− 2 2+ − c 1 − vc 1 + vc r v2 v v v 2 2 1 − c2 + c 1 + c − =L 1− 2 · 2 c 1 − v2 c 2 = Lq 1− τ0 = v2 c2 s 2L 1 q = c |{z} c 1− τ v2 c2 τ =q 1− 168 v2 c2 v c 1− v c Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Bemerkungen: • Die Zeitdilatation ist unabhängig von der Bewegungsrichtung! • Die Lorentz-Kontraktion ist essentiell für die konsistente Beschreibung der bewegten Uhr • Zwillingsparadoxon Welcher Zwilling altert schneller, der auf der Erde oder einer im Raumschiff? Antwort: der auf der Erde (Achtung: Beschleunigung, ART) • Ist der Effekt im Flugzeug meßbar? v ≈ 1000 τ0 1 =q τ 1− v2 c2 v km ⇒ ≈ 10−6 h c ≈1+ 1 v 2 1 ≈ 1 + 10−12 2 c 2 Der Effekt ist mit einer Atomuhr leicht meßbar! Problem: Durch die Flughöhe kommt es zu einer veränderten Gravitation, wir brauchen daher die Allgemeine Relativitätstheorie. Abschätzung: 1 ! ∆Epot = mgh = ∆Ekin = mv 2 2 1 v 2 gh −12 ⇒ = 2 ≈ 10 2 c c ↑ h ≈ 10 km ⇒ Die gravitative Zeitdilatation ist von gleicher Größenordnung wie die durch die Bewegung verursachte. 169 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik • Höhenstrahlung Die Lebensdauer eines Myons beträgt ca. 2, 2·10−6 s. Das entspricht einer Fluglänge von maximal s = c · ∆τ ≈ 660 m. Der Nachweis erfolgt daher nur aufgrund der Zeitdilatation! 5.1.3 Lorentz-Transformation Die Lorentz-Kontraktion und die Zeitdilatation sind Ausdruck desselben Effekts! Beispiel: Myonenzerfall Im System der Erde ist die Fluglänge durch die Zeitdilatation verlängert: 1 x → xq 1− v2 c2 = x0 Im (bewegten) Ruhesystem des Myons ist x0 durch die Lorentzkontraktion verkürzt: r x0 → x0 1− v2 = x00 = x c2 Wir suchen eine Transformation, die konsistent vom bewegten ins ruhende Bezugssystem transformiert. 170 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Forderungen an die Transformation: a) Homogenität und Isotropie des Raumes b) Konstanz der Lichtgeschwindigkeit c) Relativitätsprinzip • Homogenität des Raumes: Falls ein Körper in S die konstante Geschwindigkeit ~u hat, ist u~0 in S 0 ebenfalls konstant. D.h. die Transformation ist linear: x0 = a11 x + a12 t + c1 t0 = a21 x + a22 t + c2 0 y =y o.B.d.A. wegen ~v k e~x z0 = z Ohne Beschränkung der Allgemeinheit gelten außerdem t00 = t0 = 0 x00 = x0 = 0 171 ⇒ c1 = c2 = 0 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Damit x0 = a11 x + a12 t t0 = a21 y + a22 t Speziell für die Bewegung des Koordinatenursprungs von S 0 ergibt sich: x0 = 0 = a11 x + a12 t ⇒− a12 x = = v ⇒ a12 = −a11 · v a11 t ⇒ x0 = a11 (v)x − a11 (v) · v · t = a11 (v)(x − v · t) (∗) • Relativitätsprinzip: Wir können auch annehmen, daß S 0 in Ruhe ist und sich S mit −v bewegt. Daher muß in Analogie gelten x = a11 (−v)(x0 − (−v)t0 ) t → −t Zeitspiegelung in S ~v → −~v (∗∗) ändert ~v = d~ x dt läßt x unverändert x →x d.h. x0 = a11 (v)x + a12 (v)t → t0 = a21 (v)x + a22 (v)t 172 x00 = a11 (−v)x − a12 (−v)t t00 = a21 (−v)x − a22 (−v)t Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Mit x00 = x0 , t00 = −t0 (Zeitspiegelung in S 0 ) folgt: a11 (−v) = a11 (v) a12 (−v) = −a12 (v) a21 (−v) = −a21 (v) a22 (−v) = a22 (v) ⇒ a11 = a11 (v 2 ), hängt nicht vom Vorzeichen von v ab. • Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: t = t0 = 0, S fällt mit S 0 zusammen. Wir senden einen Lichtblitz aus. Dieser erreicht in S zum Zeitpunkt t den Ort x x = ct und in S 0 zum Zeitpunkt t0 den Ort x0 x0 = ct0 Damit in (∗) v x0 = a11 (v 2 )(x − vt) = a11 (v 2 )x 1 − k c x c und in (∗∗) v x = a11 (v 2 )(x0 + vt0 ) = a11 (v 2 )x0 1 + k c 0 x c v v = a11 (v )a11 (v )x 1 + 1− c c 2 173 2 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik ⇒ a211 = 1 1− v2 c2 1 d.h. a11 = q 1− v a12 = −a11 v = − q 1− v2 c2 v2 c2 x − vt x0 = q 2 1 − vc2 Damit in (∗∗) x = a11 x0 + vt0 d.h. x 0 −x a11 r v2 1 x − vt 1− 2 ·x− q = 2 v c 1 − vc2 v2 1 − x − x + vt 2 1 c q = · 2 v 1− v 1 t = v 0 c2 t − v2 x t0 = q c 2 1 − vc2 Lorentz-Transformation mit ~v = v e~x x − vt x0 = q 2 1 − vc2 x0 + vt0 x= q 2 1 − vc2 t − v2 x t0 = q c 2 1 − vc2 t0 + v2 x0 t= q c 2 1 − vc2 y 0 = y, z 0 = z y = y0, z = z0 174 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik nichtrelativistischer Grenzfall v c: 1 q 1− → 1+ v2 c2 1 v2 3 v4 + + ... 2 8{zc4 |2 c } →0 es ergibt sich die Galilei-Transformation: x0 = x − vt t0 = t y 0 = y, z 0 = z Addition von Geschwindigkeiten? In S gilt: x = ut In S 0 gilt mit x0 = qx−vt 2 1− v2 c und t0 = t− v x q c2 2 1− v2 (∗) : c u0 = x0 x − vt = 0 t t − cv2 x 175 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Additionstheorem der Geschwindigkeiten (∗) u0 = u−v 1 − vu c2 Bemerkungen: • speziell u = c: u0 = c−v =c 1 − vc d.h. c ist die maximal erreichbare Geschwindigkeit (Ergebnis ändert sich nicht bei v → −v!) • speziell v c: u0 = u − v (Galilei-Transformation) 5.2 Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit 5.2.1 Meßvorschriften und Gleichzeitigkeit Galilei/Newton: absolute Zeit, wir können Gleichzeitigkeit festlegen mittels eines idealen starren Körpers (unendlich große Signalgeschwindigkeit) SRT: Lorentz-Transformation verknüpft Raum und Zeit Zeitpunkte −→ Ereignispunkte in der Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit Raumpunkte Es ist daher eine sorgfältige Definition von Meßvorschriften und des Begriffs „Gleichzeitigkeit“ erforderlich. 176 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik (i) Zeitmessung Wir betrachten eine bewegte Uhr, der Beobachter ruht in S. cot ϑ = v v ⇔ ϑ = arccot c c Wir betrachten das System S0 , in dem die Uhr ruht. Die t0 -Achse ist daher parallel zur Weltlinie der Uhr. Lorentz-Transformation: t − v2 x t0 = q c 2 1 − vc2 Die x0 -Achse ist definiert durch t0 = 0 ⇒ ct = v x c ⇒ tan ϕ = v v ⇔ ϕ = arctan c c 177 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Wir betrachten Ereignisse in S und S0 , z.B. zweimaliges Schlagen der Uhr (E1 , E2 ) Die Zeitdifferenz zwischen E1 und E2 hängt vom Bezugssystem und von der Meßvorschrift ab. • Annahme: synchronisierte Uhren bei xE1 und xE2 ruhen in S. LT: tE1 = t0,E1 + cv2 x0,E q 2 1 − vc2 tE2 = t0,E2 + cv2 x0,E q 2 1 − vc2 ⇒ tE2 − tE1 = t0,E2 − t0,E1 q 2 1 − vc2 ⇒ Zeitdilatation 178 (∗) Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik • Annahme: Rückmeldung von E2 bei xE2 an xE1 ist erforderlich Die Signallaufzeit ∆t = xE2 −xE1 c muß addiert werden. LT: xE1 = x0,E + vt0,E1 q 2 1 − vc2 xE2 = x0,E + vt0,E2 q 2 1 − vc2 ⇒ ∆t = v t0,E2 − t0,E1 c 1 − v22 c Damit ergibt sich die Zeitdifferenz für einen bei xE1 ruhenden Beobachter τE2 E1 = tE2 − tE1 + ∆t 1 + vc = (t0,E2 − t0,E1 ) q | {z } 1 − v2 (∗) c2 τ0,E2 E1 s = τ0,E2 E1 1+ 1− v c v c 6= (∗) Bemerkung: Wir betrachten eine Frequenz f0 = 1 τ0,E2 E1 τ0,E2 E1 f0 ⇒f = τE2 E1 f= 1 τE2 E1 relativistischer Dopplereffekt s f= 1 − vc f0 1 + vc f0 . . . Frequenz der ruhenden Quelle f . . . Frequenz, die dem Beobachter erscheint, wenn die Quelle sich mit v fortbewegt. 179 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Beispiel: Rotverschiebung der Spektren von Sternen, die sich von der Erde entfernen Wir betrachten den nichtrelativistischen Grenzfall: v 1 ⇒ c p 1− √1 1+ vc v c →1− →1− 1v 2 · f0 ≈ f ≈ 1− 2c 1v 2c 1v 2c + ... + ... v 1 v2 1− + c 4 |{z} c2 ! · f0 →0 Nichtrelativistische Ableitung: f= 1 f0 1 + vc Längenmessung (1D, Länge l) • Beobachter ruht in S • Körper bewegt sich mit v in S, ruht in S0 Variante a) Der Körper leuchtet kurz bei t0,E auf, d.h. die Messung ist gleichzeitig in S0 , aber nicht gleichzeitig in S. E1 , E2 . . . Endpunkte des Körpers 180 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik r LT: l0 = 1− v2 l c2 l0 < l Die gleichzeitig gemessene Länge ist kürzer. Variante b) Der Körper leuchtet ständig und wird im System S fotografiert, d.h. die Messung ist gleichzeitig in S, aber nicht gleichzeitig in S0 . 1 LT: l0 = q 1− Die gleichzeitig gemessene Länge ist kürzer. 181 v2 c2 l l0 > l Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Variante c) Der Körper wird mit einem Lichtblitz aus S angestrahlt und wir messen das gestreute Licht, d.h. die Messung ist weder in S noch in S0 gleichzeitig. Der Lichtblitz erreicht Anfangs- und Endpunkt des Körpers zu verschiedenen Zeiten. s LT: l0 = 1 − vc l 1 + vc l0 < l ⇒ Die gemessene Länge l ist von der Meßvorschrift abhängig! 182 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 5.2.2 Kausalität von Ereignissen Wir entsenden einen Lichtblitz bei x = 0, t = 0. (i) Bereich der Raum-Zeit, den wir beeinflussen können (ii) Ereignispunkte, von denen wir Nachrichten empfangen können (iii) Ereignispunkte, mit denen wir nicht kommunizieren können Der kausale Bereich wird beschrieben durch c2 t2 − ~x2 > 0 | {z } t>0 =:s2 s2 . . . Abstand in der Raum-Zeit s2 Lorentz-transformiert: o.B.d.A Lorentz-Transformation in ~x-Richtung (sonst Rotation des Koordinatensystems) s2 = c2 t2 − x2 183 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik mit x0 = qx−vt 2 1− v2 c und t0 = t− v x q c2 2 1− v2 folgt c s02 = c2 t02 − x02 = v 2 x2 c2 c2 t2 − 2tvx + 1− v2 c2 − (c2 − v 2 )t2 − x2 1 − = 1− x2 − 2tvx + v 2 t2 1− v2 c2 v2 c2 v2 c2 = c2 t2 − x2 = s2 ⇒ s2 ist Lorentz-invariant. ⇒ Der kausale Bereich ist Lorentz-invariant. ⇒ Die Kausalität der Welt wird durch die SRT nicht in Frage gestellt! 5.3 Relativistische Mechanik 5.3.1 Masse und Energie Wir betrachten ein Atom im angeregten Zustand: Es geht durch Emission von 2 Photonen (Annahme: kein Impulsübertrag auf das Atom) in den Grundzustand über. 184 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Energien der Photonen: L01 = ~ω1 L02 = ~ω2 ω . . . Kreisfrequenz ~ . . . Plancksches Wirkungsquantum (~ = 1, 05 · 10−24 Js) Im Ruhesystem des Atoms gelte ω1 = ω2 = ω Die Energiebilanz lautet daher: E0∗ = E0 + 2L0 mit L0 = ~ω E0∗ . . . Energie des angeregten Atoms E0 . . . Energie des Atoms im Grundzustand Bis jetzt haben wir das Ruhesystem des Atoms betrachtet. Betrachten wir nun das Atom aus Sicht eines bewegten Beobachters: Der Beobachter sieht die Dopplerverschiebung 1 ± vc ω ω± = q v2 1 − c2 1 ± vc 1 ± vc ⇒ L± = ~ω ± = |{z} ~ω q = L0 q 2 2 1 − vc2 1 − vc2 L0 185 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik Für einen bewegten Beobachter lautet die Energiebilanz: E ∗ (v) = E(v) + L+ + L− = E(v) + 1 + vc + 1 − vc q L0 2 1 − vc2 2L0 ⇒ E ∗ (v) − E(v) = q 2 1 − vc2 wir subtrahieren E0∗ − E0 = 2L0 1 ⇒ (E ∗ (v) − E0∗ ) − (E(v) − E0 ) = 2L0 q {z } | {z } | 1− ∗ (v) Ekin Ekin (v) v2 c2 − 1 ∗ (v) . . . kinetische Energie des angeregten Atoms Ekin Ekin (v) . . . kinetische Energie des Atoms im Grundzustand ∗ (v) − Ekin (v) = 2L0 q Ekin 1 1− v2 c2 − 1 ⇒ Die kinetische Energie ändert sich durch Emission der Photonen, trotz verschwindendem Impulsübertrag. Für v c 1 gilt: 1 Ekin ≈ m0 v 2 2 1 ∗ Ekin ≈ m∗0 v 2 2 1 q 1− v2 c2 ≈1+ 1 v2 2 c2 damit 1 v2 1 2 ∗ v (m0 − m0 ) = 2L0 · 2 | {z } 2 c2 ∆m 186 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik ∆m = E0∗ − E0 ∆E0 2L0 = = 2 2 2 c c c Interpretation als: E0 = m0 c2 . . . Energieinhalt des ruhenden Systems vorhin 2L0 m∗0 c2 − m0 c2 q E ∗ (v) − E(v) = q = 2 ↑ v2 1 − c2 2L0 = ∆mc2 1 − vc2 m∗ c2 ⇒ E ∗ (v) = q 0 2 1 − vc2 m0 c2 E(v) = q 2 1 − vc2 Taylorentwicklung: 1 q 1− v2 c2 =1+ 1 v2 3 v4 + +σ 2 c2 8 c4 v6 c6 3 v4 1 E(v) = m0 c2 + m0 v 2 + m0 2 + . . . 2 8 c m0 c2 . . . Ruheenergie 1 2 2 m0 v . . . v4 0 c2 3 8m nichtrelativistische kinetische Energie + . . . . . . relativistische Korrekturen 187 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik 5.3.2 Geschwindigkeitsabhängigkeit der trägen Masse m0 c2 vorhin: E(v) = q = m(v)c2 v2 1 − c2 m0 mit m(v) := q 1− v2 c2 Ist die Interpretation von m(v) als geschwindigkeitsabhängige träge Masse sinnvoll? dE = dW = F dx = ↑ ↑ IV.1 F = E = mc2 = k p v ⇒ EdE = c2 dp dx dx = dp = dp · v dt dt dp dt p 2 c v (∗) | · dE (= dp · v) p · vdp = c2 pdp v Integration liefert E 2 = c2 p2 + E02 E0 . . . Integrationskonstante mit p = Ev c2 (∗) ⇒ E2 = E 2v2 + E02 c2 v2 E 2 1 − 2 = E02 c E0 d.h. E(v) = q k 1− 2 mc v2 c2 E0 2 ⇒ m(v) = q c 1− 188 v2 c2 Prof. Dr. habil. Wolf Gero Schmidt Universität Paderborn, Lehrstuhl für Theoretische Physik speziell m(v = 0) = m0 = E0 : c2 geschwindigkeitsabhängige, träge Masse m0 m(v) = q 1− 189 v2 c2