FETT - Slow Food

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DOSSIER
VOLL FETT!
Öle, Butter, Speck & Co.
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Slow Food | 06/2016
FETTE UND ÖLE
Braune Butter über dem Gemüse,
ein feines Nussöl für den Salat,
etwas Apfelschmalz auf frisch
gebackenem Brot – so einfach
kann Genuss sein! Dass Fett
der Geschmacksträger Nummer Eins ist, wissen wir schon
länger. Dass uns aber nicht
nur kalt gepresste Pflanzenöle gut tun, sondern
auch tierische Fette
wichtig sind,
das mochte Jahr­zehnte lang
kaum jemand
glauben.
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DOSSIER
Fett
Geschmacksträger Nummer Eins
Unentbehrliches & köstliches
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Schmalz nicht nur vieles
besser schmeckt, wie wichtig
es ist und uns sogar glücklich
macht, weiß die Oecotrophologin Ulrike Gonder.
vermittlung von Fetten angewiesen. Auch wirken Fette als eine
Art Geschmacksverstärker, indem sie die Aromen anderer Lebens­
mittel aufnehmen und miteinander verbinden. Doch auch das
Gegenteil kommt vor: Fette bilden im Mund einen Film (der im
Übrigen auch vor Karies schützt), der saure und bittere Speisen
harmonischer macht und sie »runder« schmecken lässt.
Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse
Unter Säugetieren ist die Präferenz für fettreiche Speisen weit
verbreitet. Das zeigen nicht nur Versuche mit Mäusen: Sofern sie
die Wahl haben, entscheiden sie sich meist für das fettreichere
Futter. Das ist biologisch sinnvoll, denn Fett ist energiereich, es
liefert lebens- und zufuhrnotwendige (essenzielle) Fettsäuren
sowie die fettlöslichen Vitamine A, D, E und K. Da wir Menschen
ebenfalls nicht ohne Fett leben können, verwundert es nicht, dass
die Natur auch uns mit einer Vorliebe für diesen wichtigen Nähr­
stoff ausgestattet hat. Schon die Entwicklung zum Homo sapiens
mit seinem enormen Gehirn wäre ohne Fett nicht möglich gewe­
sen. Wie Fossilien belegen, waren schon vor 160 000 Jahren die
fettreichen Teile der Beute wie Hirn und Knochenmark sehr
begehrt.
Das ist im Prinzip bis heute so. Unter kontrollierten Bedingun­
gen werden fettarme Speisen von Testpersonen als unbefrie­
digend wahrgenommen. Fettreiche Lebensmittel, von der Nuss
über die Schokolade bis zum Bauchspeck, von Sahne und Käse bis
zur Buttersauce, empfinden die meisten Menschen dagegen als
äußerst wohlschmeckend. Allerdings galt das Fett selbst bis vor
Kurzem noch als völlig geschmacklos.
Der eigentliche Geschmackssinn basiert auf den Signalen, die
von rund 2 000 Geschmacksknospen auf der Zunge identifiziert
Foto: StockFood_Rüther_Manuela
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ett lässt alles, was wir essen, besser
schmecken, Fett zu essen macht
zufrieden, sodass wir insgesamt
weniger essen und unser Verlangen nach
Naschwerk sinkt. Unsere Mahlzeiten zu
genießen, macht glücklich und reduziert
Stress.« Ach, wenn es doch mehr so unbe­
fangene und lässige Zeilen über das Fett
gäbe! Diese hier stammen von der preis­
gekrönten australischen Köchin Jennifer
McLagan, die ein wunderbares Kochbuch
über die Vorzüge tierischer Fette verfasste,
»weil es neben den ungezählten Kochbü­
chern zum Thema Fettsparen, Abnehmen
und Kochen ohne Fett keines gibt, das uns
erzählt, wie wir Fette genießen können.«
Wie recht sie hat.
In den medialen Botschaften rund ums
Fett dominiert bis heute die Vorstellung,
es sei grundsätzlich schlecht, und zwar
auch deshalb, weil uns Fetthaltiges so gut
schmeckt. Wie absurd! Das findet auch die
lipophile Köchin McLagan: Es brauche
einen Gegenpol zu alldem, denn »Fett ist
unentbehrlich und köstlich. Wir sollten es
feiern, unser Essen damit zubereiten und
es ohne Schuld genießen.«
Unstrittig verbessert Fett den Ge­
schmack der Speisen. Viele Aromen sind
fettlöslich und somit auf die Geschmacks­
Warum mit Öl, Butter und
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Bis 180 Grad ist gutes Olivenöl durchaus für viele hitze­
relevante Aufgaben in der Küche zu gebrauchen.
werden. In jeder dieser Knospen liegen bis zu hundert Sinnes­
zellen mit Rezeptoren für je eine der fünf bislang bekannten
Geschmacksqualitäten: süß, sauer, salzig, bitter und umami.
»Bimmelt« der Umami­Rezeptor, weiß der Körper, dass sich ein
eiweißreiches Lebensmittel wie etwa Fleisch oder reifer Käse im
Mund befindet. Nun können die entsprechenden Verdauungssäfte
vorbereitet werden. Ähnliches geschieht, wenn die anderen
Rezeptoren aktiviert werden: Süß signalisiert dem Organismus
die baldige Ankunft kalorienreicher Kohlenhydrate – sofern die
Süßstoffindustrie ihre Finger nicht im Spiel hatte. Eine Meldung
der Bitterrezeptoren ans Gehirn dient seit Urzeiten als Warnung,
denn viele Gifte schmecken bitter.
Rätselraten um den Fettgeschmack
Aber gibt es auch einen Rezeptor für »fettig«? Die Antwort dar­
auf hieß lange Zeit: nein! Intensive Forschungen mit Mäusen,
Ratten und am Menschen haben zwar das Rätsel noch nicht
völlig lösen können, neue Erkenntnisse sprechen jedoch dafür,
dass »fettig« ein eigenständiger, sechster Geschmack ist. So konnte
an Ratten gezeigt werden, dass in der Bauchspeicheldrüse der
Tiere Sekrete zur Fettverdauung gebildet werden, und zwar
unmittelbar nachdem man ihnen Öl auf die Zunge geträufelt hatte.
Damit war klar, dass es eine spezifische Fetterkennung in der
Mundhöhle geben muss, denn die Verdauungssäfte flossen schon,
bevor das Öl im Magen oder Darm der Tiere ankam. Die Informa­
tion, dass sich Fett im Mund befindet, musste also über Nerven­
bahnen direkt ins Gehirn gelangt sein und von dort aus eine Reak­
tion in der Bauchspeicheldrüse ausgelöst haben. Dies ist eine
wichtige Voraussetzung für die Existenz eines echten Fettge­
schmacks.
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Krachende Schwei­
neschwarte – Reiz
für alle Sinne.
Inzwischen konnte gezeigt werden, dass dies auch beim ­Menschen
funktioniert. Allerdings sind es nicht die kompletten Fette (Tri­
glyzeride), die den Reiz auslösen. Sie werden vorwiegend über
ihre Textur identifiziert, nicht geschmacklich. Mit der Zunge kön­
nen wir jedoch nur freie Fettsäuren schmecken. Ein Enzym im
Mund, die orale Lipase, »knipst« während des Kauens einzelne
Fettsäuren aus den Speisefetten ab, manche gelangen auch direkt
mit der Nahrung in den Mund. So werden einzelne Fettsäuren den
Geschmacksrezeptoren zugänglich macht.
Erst seit fünf Jahren ist gesichert, dass es auch auf der mensch­
lichen Zunge eigenständige Rezeptoren für fettige Geschmacks­
noten gibt, bislang sind es drei (DC36, GPR40 und GPR120). 2015
gelang dann der Nachweis, dass der Mensch auch unabhängig
von der Viskosität und vom Mundgefühl einer Testlösung die
Geschmacksqualität »fettig« von anderen Geschmäckern unter­
scheiden kann. Streng wissenschaftlich genügt das noch nicht, um
»fettig« als sechsten Grundgeschmack anzuerkennen. Es spricht
jedoch immer mehr dafür, dass es so ist. Es gibt sogar schon einen
Namen dafür: Oleogustus.
Kratzige Note
Das klingt zwar hübsch, allerdings weisen freie Fettsäuren einen
eher kratzigen Geschmack auf. Dem Lebensmittelchemiker ­dienen
sie sogar als Kennzeichen des Fettverderbs. Wir befinden uns also
in einer etwas paradoxen Situation: Der Fettgeschmack ­im enge­
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ren Sinn beruht auf der Wahrnehmung von
»kratzigen« freien Fettsäuren in der Mund­
höhle, was eher dazu führen dürfte, ­die
weitere Aufnahme zu verhindern – was im
Falle ranziger Fettsäuren jedoch sinnvoll
ist. Gleichzeitig lieben wir fetthaltige Spei­
sen aufgrund ihres sensorischen Gesamt­
eindruckes leidenschaftlich, obwohl wir
die intakten Fette »oral« gar nicht schme­
­ önnen.
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Wenn wir Fett dennoch sensorisch so
intensiv wahrnehmen, liegt es auch daran,
dass das, was wir landläufig als »Ge­
schmack« oder »Aroma« bezeichnen, eine
komplexe Wahrnehmung ist, die durch das
Zusammenwirken mehrerer Sinneswahr­
nehmungen entsteht: Neben dem reinen
und relativ profanen Geschmacks­eindruck
auf der Zunge stimulieren Lebensmittel
auch Geruchs-, Geräusch-, Temperaturund Berührungsrezeptoren. Und bekannt­
lich isst ja auch das Auge mit. Fette verlei­
hen dem Essen eine bestimmte Textur, man
denke an die rösche Kruste von Gebacke­
nem. Fette halten das Essen in der Ofen­
hitze saftig, sie verhindern das Anhängen
in der Pfanne und sorgen für eine aroma­
tische, knusprige Kruste. Sie erhöhen die
Viskosität der Speisen, sie geben der
Ma­yonnaise ihre Konsistenz und sorgen im
Dessert für Cremigkeit. Fette vermitteln
ein spezielles Mundgefühl und Aussehen
und alles das trägt zum sensorischen
Gesamteindruck der Speisen bei.
Zudem werden, wenn uns etwas gut
schmeckt, im Gehirn auch jene Zentren
angeregt, die uns mit angenehmen Gefüh­
len belohnen. Nicht nur Zucker, auch Fette
stimulieren die Belohnungszentren. Aus
Versuchen mit Nagetieren ist bekannt, dass
schon wenige Minuten, nachdem sie etwas
Fett zu essen bekamen, in ihrem Gehirn
Beta-Endorphine und Dopamin freigesetzt
wurden. Beides sind körpereigene Boten­
stoffe, die Stress erträglich machen und
Foto: StockFood_ Blomfield_George
DOSSIER
FETTE UND ÖLE
angenehme Gefühle (Beta-Endorphin) ver­
mitteln oder dafür sorgen, dass wir uns
belohnt fühlen (Dopamin) und das auslö­
sende Signal (hier Fett) gerne mögen und
immer wieder genießen wollen.
Interessanterweise essen Menschen
eher weniger Fett, wenn sie das Fett im
Essen besonders gut schmecken können,
wenn ihre Belohnungszentren besonders
gut darauf reagieren und wenn sie viele
Fettsäurerezeptoren auf ihrer Zunge
haben. Zudem sind sie schlanker. Umge­
kehrt ist bei stark Übergewichtigen die
Geschmacks- und Belohnungsschwelle für
Fett oft erhöht. Das heißt, sie benötigen
mehr davon, um die gleichen Effekte zu
erleben wie schlanke Menschen.
Keine weiteren Täuschungs­
manöver
Fett und freie Fettsäuren werden auf viel­
fältigen Wegen sensorisch wahrgenom­
men. Die Informationen gelangen in
diverse Hirnregionen und von dort auch in
den Magen-Darm-Takt, um die Verdauung
der zu erwartenden Fette vorzubereiten.
Spätestens hier erhebt sich die Frage, wel­
che Auswirkungen durch kalorienarme
oder -freie Fettersatzprodukte zu erwar­
ten sind. Geschmack und Nährwert hän­
gen in der Natur stets eng zusammen. Wel­
che Störungen im Essverhalten entstehen,
wenn am Geschmack manipuliert, aber der
Nährwert reduziert wird?
Wer glaubt, man müsse kalorienarmen Ersatzstoffen
lediglich die Textur von Fett verpassen, um die Mensch­
heit am Über­essen zu hindern, irrt. Fettersatz- und
andere Light-Produkte haben die Menschen bislang
weder schlanker noch gesünder gemacht, nur das Essen
unphysiologischer und weniger schmackhaft. Nicht nur
für die Köchin McLagan ist die Sache daher klar: »Fett
ist fundamental für den Geschmack unseres Essens und
unabdingbar, um es zuzubereiten. Lasst uns also unsere
Pommes frites in Schmalz frittieren, unser Brot mit But­
ter bestreichen ... und ein marmoriertes Steak grillen
und alles das genießen.« ●
Zum Weiterlesen
Warum und wofür wir Fette brauchen, welche
Aufgaben sie im Körper haben, wie sie uns dabei
helfen, in Form und gesund zu bleiben:
Gonder, U, Worm, N: Mehr Fett!
systemed-Verlag, Lünen 2010, 224 Seiten,
13,99 Euro.
Wissenswertes und mehr als 100 Rezepte
wider die Fettphobie:
Jennifer McLagan: Fett. Loblied auf eine
verrufene Ingredienz, Rotpunkt 2012, 240 Seiten,
33 Euro.
Es reicht! – 50 Jahre Gesetzgebung gegen
Verbraucher und Kleinerzeuger (Oliviers)
sind genug …
Unterstützen Sie mit der Olivenöl-Petition bei change.org drei
Forderungen an das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Abt. 2 und 6:
1. Setzen Sie sich für die Abschaffung der EU-Olivenölverordnung
in Brüssel ein.
2. Berufen Sie dazu einen runden Tisch ein, um auch Verbraucher
und Oliviers zu Wort kommen zu lassen und Alternativen zu
diesem Gesetz zu formulieren.
3. Laden Sie dazu Verbraucher und Verbraucherschutzorganisationen und -medien wie Slow Food, Food Watch, Merum, Öko-Test,
Stiftung Warentest, auch kommunale Lebensmittel-Aufsichtsbehörden und weitere thematische Fachexperten ein. Weiterhin
Oliviers, weil das Gesetz sie in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung
einschränkt und sie damit in ihrer Existenz gefährdet sind.
Hintergründe lesen und unterstützen: www.petition.artefakt.eu
Eine Initiative von Conrad Bölicke und der arteFakt Olivenölkampagne (www.artefakt.eu)
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