DOSSIER VOLL FETT! Öle, Butter, Speck & Co. 50 Slow Food | 06/2016 FETTE UND ÖLE Braune Butter über dem Gemüse, ein feines Nussöl für den Salat, etwas Apfelschmalz auf frisch gebackenem Brot – so einfach kann Genuss sein! Dass Fett der Geschmacksträger Nummer Eins ist, wissen wir schon länger. Dass uns aber nicht nur kalt gepresste Pflanzenöle gut tun, sondern auch tierische Fette wichtig sind, das mochte Jahr­zehnte lang kaum jemand glauben. Fot t o: S ock Fo o d _G rab lew sk i _A lex and ra Slow Food | 06/2016 51 DOSSIER Fett Geschmacksträger Nummer Eins Unentbehrliches & köstliches 52 Slow Food | 06/2016 Schmalz nicht nur vieles besser schmeckt, wie wichtig es ist und uns sogar glücklich macht, weiß die Oecotrophologin Ulrike Gonder. vermittlung von Fetten angewiesen. Auch wirken Fette als eine Art Geschmacksverstärker, indem sie die Aromen anderer Lebens­ mittel aufnehmen und miteinander verbinden. Doch auch das Gegenteil kommt vor: Fette bilden im Mund einen Film (der im Übrigen auch vor Karies schützt), der saure und bittere Speisen harmonischer macht und sie »runder« schmecken lässt. Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse Unter Säugetieren ist die Präferenz für fettreiche Speisen weit verbreitet. Das zeigen nicht nur Versuche mit Mäusen: Sofern sie die Wahl haben, entscheiden sie sich meist für das fettreichere Futter. Das ist biologisch sinnvoll, denn Fett ist energiereich, es liefert lebens- und zufuhrnotwendige (essenzielle) Fettsäuren sowie die fettlöslichen Vitamine A, D, E und K. Da wir Menschen ebenfalls nicht ohne Fett leben können, verwundert es nicht, dass die Natur auch uns mit einer Vorliebe für diesen wichtigen Nähr­ stoff ausgestattet hat. Schon die Entwicklung zum Homo sapiens mit seinem enormen Gehirn wäre ohne Fett nicht möglich gewe­ sen. Wie Fossilien belegen, waren schon vor 160 000 Jahren die fettreichen Teile der Beute wie Hirn und Knochenmark sehr begehrt. Das ist im Prinzip bis heute so. Unter kontrollierten Bedingun­ gen werden fettarme Speisen von Testpersonen als unbefrie­ digend wahrgenommen. Fettreiche Lebensmittel, von der Nuss über die Schokolade bis zum Bauchspeck, von Sahne und Käse bis zur Buttersauce, empfinden die meisten Menschen dagegen als äußerst wohlschmeckend. Allerdings galt das Fett selbst bis vor Kurzem noch als völlig geschmacklos. Der eigentliche Geschmackssinn basiert auf den Signalen, die von rund 2 000 Geschmacksknospen auf der Zunge identifiziert Foto: StockFood_Rüther_Manuela Foto: ? F ett lässt alles, was wir essen, besser schmecken, Fett zu essen macht zufrieden, sodass wir insgesamt weniger essen und unser Verlangen nach Naschwerk sinkt. Unsere Mahlzeiten zu genießen, macht glücklich und reduziert Stress.« Ach, wenn es doch mehr so unbe­ fangene und lässige Zeilen über das Fett gäbe! Diese hier stammen von der preis­ gekrönten australischen Köchin Jennifer McLagan, die ein wunderbares Kochbuch über die Vorzüge tierischer Fette verfasste, »weil es neben den ungezählten Kochbü­ chern zum Thema Fettsparen, Abnehmen und Kochen ohne Fett keines gibt, das uns erzählt, wie wir Fette genießen können.« Wie recht sie hat. In den medialen Botschaften rund ums Fett dominiert bis heute die Vorstellung, es sei grundsätzlich schlecht, und zwar auch deshalb, weil uns Fetthaltiges so gut schmeckt. Wie absurd! Das findet auch die lipophile Köchin McLagan: Es brauche einen Gegenpol zu alldem, denn »Fett ist unentbehrlich und köstlich. Wir sollten es feiern, unser Essen damit zubereiten und es ohne Schuld genießen.« Unstrittig verbessert Fett den Ge­ schmack der Speisen. Viele Aromen sind fettlöslich und somit auf die Geschmacks­ Warum mit Öl, Butter und D ie b e s t e n Komkeon svornaDrs. Gpo el ko m e rg ERNTEFRISCHE PREMIUM BIO-QUALITÄT. Echte Rohkost. 100 % Kokosnuss. Ohne Zusätze und ungebleicht. Eine Gaumenfreude – nicht nur zur Weihnachtszeit! Bis 180 Grad ist gutes Olivenöl durchaus für viele hitze­ relevante Aufgaben in der Küche zu gebrauchen. werden. In jeder dieser Knospen liegen bis zu hundert Sinnes­ zellen mit Rezeptoren für je eine der fünf bislang bekannten Geschmacksqualitäten: süß, sauer, salzig, bitter und umami. »Bimmelt« der Umami­Rezeptor, weiß der Körper, dass sich ein eiweißreiches Lebensmittel wie etwa Fleisch oder reifer Käse im Mund befindet. Nun können die entsprechenden Verdauungssäfte vorbereitet werden. Ähnliches geschieht, wenn die anderen Rezeptoren aktiviert werden: Süß signalisiert dem Organismus die baldige Ankunft kalorienreicher Kohlenhydrate – sofern die Süßstoffindustrie ihre Finger nicht im Spiel hatte. Eine Meldung der Bitterrezeptoren ans Gehirn dient seit Urzeiten als Warnung, denn viele Gifte schmecken bitter. Rätselraten um den Fettgeschmack Aber gibt es auch einen Rezeptor für »fettig«? Die Antwort dar­ auf hieß lange Zeit: nein! Intensive Forschungen mit Mäusen, Ratten und am Menschen haben zwar das Rätsel noch nicht völlig lösen können, neue Erkenntnisse sprechen jedoch dafür, dass »fettig« ein eigenständiger, sechster Geschmack ist. So konnte an Ratten gezeigt werden, dass in der Bauchspeicheldrüse der Tiere Sekrete zur Fettverdauung gebildet werden, und zwar unmittelbar nachdem man ihnen Öl auf die Zunge geträufelt hatte. Damit war klar, dass es eine spezifische Fetterkennung in der Mundhöhle geben muss, denn die Verdauungssäfte flossen schon, bevor das Öl im Magen oder Darm der Tiere ankam. Die Informa­ tion, dass sich Fett im Mund befindet, musste also über Nerven­ bahnen direkt ins Gehirn gelangt sein und von dort aus eine Reak­ tion in der Bauchspeicheldrüse ausgelöst haben. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Existenz eines echten Fettge­ schmacks. Slow Food | 06/2016 53 Dr. Goerg GmbH · Tel. +49 (0) 2602 934690 · drgoerg.com Krachende Schwei­ neschwarte – Reiz für alle Sinne. Inzwischen konnte gezeigt werden, dass dies auch beim ­Menschen funktioniert. Allerdings sind es nicht die kompletten Fette (Tri­ glyzeride), die den Reiz auslösen. Sie werden vorwiegend über ihre Textur identifiziert, nicht geschmacklich. Mit der Zunge kön­ nen wir jedoch nur freie Fettsäuren schmecken. Ein Enzym im Mund, die orale Lipase, »knipst« während des Kauens einzelne Fettsäuren aus den Speisefetten ab, manche gelangen auch direkt mit der Nahrung in den Mund. So werden einzelne Fettsäuren den Geschmacksrezeptoren zugänglich macht. Erst seit fünf Jahren ist gesichert, dass es auch auf der mensch­ lichen Zunge eigenständige Rezeptoren für fettige Geschmacks­ noten gibt, bislang sind es drei (DC36, GPR40 und GPR120). 2015 gelang dann der Nachweis, dass der Mensch auch unabhängig von der Viskosität und vom Mundgefühl einer Testlösung die Geschmacksqualität »fettig« von anderen Geschmäckern unter­ scheiden kann. Streng wissenschaftlich genügt das noch nicht, um »fettig« als sechsten Grundgeschmack anzuerkennen. Es spricht jedoch immer mehr dafür, dass es so ist. Es gibt sogar schon einen Namen dafür: Oleogustus. Kratzige Note Das klingt zwar hübsch, allerdings weisen freie Fettsäuren einen eher kratzigen Geschmack auf. Dem Lebensmittelchemiker ­dienen sie sogar als Kennzeichen des Fettverderbs. Wir befinden uns also in einer etwas paradoxen Situation: Der Fettgeschmack ­im enge­ 54 Slow Food | 06/2016 ren Sinn beruht auf der Wahrnehmung von »kratzigen« freien Fettsäuren in der Mund­ höhle, was eher dazu führen dürfte, ­die weitere Aufnahme zu verhindern – was im Falle ranziger Fettsäuren jedoch sinnvoll ist. Gleichzeitig lieben wir fetthaltige Spei­ sen aufgrund ihres sensorischen Gesamt­ eindruckes leidenschaftlich, obwohl wir die intakten Fette »oral« gar nicht schme­ ­ önnen. cken k Wenn wir Fett dennoch sensorisch so intensiv wahrnehmen, liegt es auch daran, dass das, was wir landläufig als »Ge­ schmack« oder »Aroma« bezeichnen, eine komplexe Wahrnehmung ist, die durch das Zusammenwirken mehrerer Sinneswahr­ nehmungen entsteht: Neben dem reinen und relativ profanen Geschmacks­eindruck auf der Zunge stimulieren Lebensmittel auch Geruchs-, Geräusch-, Temperaturund Berührungsrezeptoren. Und bekannt­ lich isst ja auch das Auge mit. Fette verlei­ hen dem Essen eine bestimmte Textur, man denke an die rösche Kruste von Gebacke­ nem. Fette halten das Essen in der Ofen­ hitze saftig, sie verhindern das Anhängen in der Pfanne und sorgen für eine aroma­ tische, knusprige Kruste. Sie erhöhen die Viskosität der Speisen, sie geben der Ma­yonnaise ihre Konsistenz und sorgen im Dessert für Cremigkeit. Fette vermitteln ein spezielles Mundgefühl und Aussehen und alles das trägt zum sensorischen Gesamteindruck der Speisen bei. Zudem werden, wenn uns etwas gut schmeckt, im Gehirn auch jene Zentren angeregt, die uns mit angenehmen Gefüh­ len belohnen. Nicht nur Zucker, auch Fette stimulieren die Belohnungszentren. Aus Versuchen mit Nagetieren ist bekannt, dass schon wenige Minuten, nachdem sie etwas Fett zu essen bekamen, in ihrem Gehirn Beta-Endorphine und Dopamin freigesetzt wurden. Beides sind körpereigene Boten­ stoffe, die Stress erträglich machen und Foto: StockFood_ Blomfield_George DOSSIER FETTE UND ÖLE angenehme Gefühle (Beta-Endorphin) ver­ mitteln oder dafür sorgen, dass wir uns belohnt fühlen (Dopamin) und das auslö­ sende Signal (hier Fett) gerne mögen und immer wieder genießen wollen. Interessanterweise essen Menschen eher weniger Fett, wenn sie das Fett im Essen besonders gut schmecken können, wenn ihre Belohnungszentren besonders gut darauf reagieren und wenn sie viele Fettsäurerezeptoren auf ihrer Zunge haben. Zudem sind sie schlanker. Umge­ kehrt ist bei stark Übergewichtigen die Geschmacks- und Belohnungsschwelle für Fett oft erhöht. Das heißt, sie benötigen mehr davon, um die gleichen Effekte zu erleben wie schlanke Menschen. Keine weiteren Täuschungs­ manöver Fett und freie Fettsäuren werden auf viel­ fältigen Wegen sensorisch wahrgenom­ men. Die Informationen gelangen in diverse Hirnregionen und von dort auch in den Magen-Darm-Takt, um die Verdauung der zu erwartenden Fette vorzubereiten. Spätestens hier erhebt sich die Frage, wel­ che Auswirkungen durch kalorienarme oder -freie Fettersatzprodukte zu erwar­ ten sind. Geschmack und Nährwert hän­ gen in der Natur stets eng zusammen. Wel­ che Störungen im Essverhalten entstehen, wenn am Geschmack manipuliert, aber der Nährwert reduziert wird? Wer glaubt, man müsse kalorienarmen Ersatzstoffen lediglich die Textur von Fett verpassen, um die Mensch­ heit am Über­essen zu hindern, irrt. Fettersatz- und andere Light-Produkte haben die Menschen bislang weder schlanker noch gesünder gemacht, nur das Essen unphysiologischer und weniger schmackhaft. Nicht nur für die Köchin McLagan ist die Sache daher klar: »Fett ist fundamental für den Geschmack unseres Essens und unabdingbar, um es zuzubereiten. Lasst uns also unsere Pommes frites in Schmalz frittieren, unser Brot mit But­ ter bestreichen ... und ein marmoriertes Steak grillen und alles das genießen.« ● Zum Weiterlesen Warum und wofür wir Fette brauchen, welche Aufgaben sie im Körper haben, wie sie uns dabei helfen, in Form und gesund zu bleiben: Gonder, U, Worm, N: Mehr Fett! systemed-Verlag, Lünen 2010, 224 Seiten, 13,99 Euro. Wissenswertes und mehr als 100 Rezepte wider die Fettphobie: Jennifer McLagan: Fett. Loblied auf eine verrufene Ingredienz, Rotpunkt 2012, 240 Seiten, 33 Euro. Es reicht! – 50 Jahre Gesetzgebung gegen Verbraucher und Kleinerzeuger (Oliviers) sind genug … Unterstützen Sie mit der Olivenöl-Petition bei change.org drei Forderungen an das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Abt. 2 und 6: 1. Setzen Sie sich für die Abschaffung der EU-Olivenölverordnung in Brüssel ein. 2. Berufen Sie dazu einen runden Tisch ein, um auch Verbraucher und Oliviers zu Wort kommen zu lassen und Alternativen zu diesem Gesetz zu formulieren. 3. Laden Sie dazu Verbraucher und Verbraucherschutzorganisationen und -medien wie Slow Food, Food Watch, Merum, Öko-Test, Stiftung Warentest, auch kommunale Lebensmittel-Aufsichtsbehörden und weitere thematische Fachexperten ein. Weiterhin Oliviers, weil das Gesetz sie in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung einschränkt und sie damit in ihrer Existenz gefährdet sind. Hintergründe lesen und unterstützen: www.petition.artefakt.eu Eine Initiative von Conrad Bölicke und der arteFakt Olivenölkampagne (www.artefakt.eu) Slow Food | 06/2016 55