TIERGESUNDHEIT In der Mast äußert sich die chronische APP häufig in Form von Kümmerern und auseinandergewachsenen Gruppen. APP: Immer häufiger trifft es auch die Mast Wie äußern sich die APP-Probleme in der Mast? Und wie lassen sie sich behandeln? Es berichtet Tierarzt Dr. Erwin Sieverding aus Lohne. H erbst- und Winterzeit ist Hustenzeit – besonders dann, wenn extreme Tag/Nacht-Temperaturschwankungen auftreten. Auslöser für die Hustenprobleme können eine Vielzahl von bakteriellen und viralen Erregern sein. Wobei APP-Infektionen (Actinobacillus pleuropneumoniae) unter den bakteriellen Erkrankungen inzwischen mit Abstand die größten wirtschaftlichen Schäden verursachen. Weltweit gibt es mehr als ein Dutzend verschiedene Serotypen des Erregers. Nicht alle Serotypen machen jedoch krank. Über die Virulenz entscheiden die von den Erregern produzierten Giftstoffe, die so genannten Exotoxine (siehe Kasten rechts). Seit einiger Zeit verschieben sich die APP-Probleme zunehmend in die Mast. Das Erscheinungsbild reicht von plötzlichen Todesfällen bis hin zum chronischen bzw. subklinischen Verlauf, der äußerlich S4 top agrar 12/2005 kaum auffällt. Die wirtschaftlichen Schäden können jedoch enorm sein. Denn die erkrankten Tiere nehmen weniger oder gar kein Futter mehr auf, und die Gruppen wachsen auseinander. Plötzliche Todesfälle und chronisches Kümmern In der Praxis unterscheidet man vier Verlaufsformen der APP: ■ Bei der perakuten Form breitet sich die Erkrankung sehr schnell und vor allem spontan im Bestand aus. Die Tiere haben bis 42,5 ºC Fieber, verweigern die Futteraufnahme, stehen teilnahmslos herum und atmen über das Maul. Je nach Schwere der Lungenentzündung sind Husten oder giemende Lungengeräusche zu hören. Aufgrund der Sauerstoffarmut sind die Ohren und die Rüsselscheibe der betroffenen Tiere bläulich verfärbt. Unbehandelte Tiere sterben innerhalb von zwölf bis 24 Stunden. Bei plötzlich verendeten Tieren ist in den Nasenlöchern häufig blutiger Schaum zu sehen. ■ Bei der akuten Form atmen die betroffenen Tiere sehr intensiv, haben bis zu 41 ºC Fieber, fressen wenig bzw. gar nichts und verhalten sich insgesamt ruhig. Beim Stalldurchgang hört man stoßweises, schmerzliches Husten. Unbehandelte Tiere sterben entweder innerhalb weniger Tage oder die Erkrankung geht in die chronische Verlaufsform über. ■ Schweine mit chronischer APP sind demgegenüber eher unauffällig. Ihre Körpertemperatur ist allenfalls leicht erhöht, sie atmen schneller und weisen einen unspezifischen Husten auf, der sich oftmals nicht behandeln lässt. Außerdem ist die Futteraufnahme vermindert, die Tiere kümmern und die Gruppen wachsen auseinander. Die chronische Verlaufsform der APP ist häufig in geschlossenen Systemen und Mastbetrieben mit mehreren Altersstufen (Kammstall) oder mehreren Herkünften anzutreffen. ■ Subklinischer Verlauf: In Zuchtbetrie- Bei der perakuten und akuten Verlaufsform der APP können plötzliche Todesfälle auftreten. Fotos: Nienhoff (2), Schmidt, Sieverding ben mit sehr guten Haltungsbedingungen kommt es nach der Erregereinschleppung und einer kurzen (oft unerkannten) akuten Phase oft zu einer latenten Infektion. Die Schweine weisen keinerlei Symptome auf, können den Erreger als stumme Überträger aber jederzeit ausscheiden. Werden APP-negative Tiere in diese Betriebe eingestallt, kann es bei den zugestallten Schweinen zu einer akuten Infektion kommen. Deshalb ist es wichtig, dass die Jungsauen zunächst mindestens drei Wochen in der Quarantäne verbringen und sich anschließend mindestens drei Wochen an das Keimspektrum des Betriebes gewöhnen können. Erreger „schlummert“ auf den Mandeln Schweine, die die Infektion überstanden haben, entwickeln eine belastbare Immunität, die allerdings nur vor dem jeweiligen Serotyp schützt. Infiziert sich das Tier mit einem anderen Serotyp, kommt es erneut zur Erkrankung. Sauen können die nach einer Infektion gebildeten Antikörper über die Biestmilch an ihre Ferkel weitergeben. Je nach Antikörpertiter reicht der Schutz drei bis acht Wochen. Nach der Infektion zieht sich der Erreger auf die Mandeln zurück und bleibt hier für lange Zeit ansteckend. Bei Stress ge- Nicht alle Serotypen machen krank Weltweit werden mindestens 15 verschiedene Serotypen des Erregers unterschieden, wobei in Europa vornehmlich die Serotypen 2, 3, 4, 9 und 11 vorkommen. Allerdings machen nicht alle Serotypen krank. Es gibt auch schwach pathogene und avirulente Stämme. Gerade in hygienisch vorbildlich geführten Betrieben können allerdings auch diese schwach pathogenen Serotypen große Probleme bereiten. Die krank machende Wirkung des Actinobacillus pleuropneumoniae beruht auf seiner Fähigkeit, Giftstoffe zu bilden, so genannte Exotoxine. Sie langt er jedoch auf die Schleimhäute und wird in Form einer Tröpfcheninfektion von Tier zu Tier weitergereicht. Über die Stallluft kann er als Aerosol aber auch von Abteil zu Abteil oder über den gesamten Betrieb weitergetragen werden. Als Stressfaktoren kommen Schwankungen beim Stallklima, das Umstallen der Tiere und Überbelegung in Betracht. Die Ferkel von positiven Sauen infizieren sich meistens bereits während der Säugephase, sie erkranken aber erst während der Mast. Beim Einstallen unterschiedlicher Ferkelherkünfte ist die Gefahr der Einschleppung verschiedener Serotypen besonders groß. Auf den Mandeln eines einzigen Schweines ließen sich im Labor schon bis zu sechs verschiedene APP-Serotypen nachweisen. Das erklärt, warum Tiergruppen eines Bestandes gelegentlich mehrmals erkranken. Die Übertragung über die Luft (bis zu 400 m) ist zwar nachgewiesen, spielt bei der Infektion nach neuesten Erkenntnissen aber nur innerhalb des Betriebes eine Rolle. Das Einschleppen des Erregers über äußerlich gesunde aber latent infi- Übersicht: Virulenz in Europa vorkommender APP-Serotypen Serotyp Apx I – – – + + Exotoxin-Bildung Apx II Apx III Apx IV + + + + + + + + + + – + + – + Virulenz zerstören die Abwehr●● 2 zellen in der Lunge und ● 3 die roten Blutkörper● chen. Wobei ein Serotyp 4 durchaus mehrere Gift● ●● 9 stoffe bilden kann. Die ● ●● 11 Exotoxine sind von + = Toxinbildung; – = keine Toxinbildung; Apx I bis Apx IV durch● = nicht pathogen; ● ● = gering- bis mittelgradig pathogen; nummeriert. ● ● ● = mittel- bis hochgradig pathogen Das Entscheidende ist: Nicht das Einzeltoxin macht die Virulenz der unterschiedli- Europa gängigen APP-Serotypen prochen APP-Stämme aus, sondern erst die duzieren und welche Gesamtvirulenz Kombination verschiedener Giftstoffe. sich aus dem Zusammenwirken der Die Übersicht zeigt, welche Toxine die in Giftstoffe ergibt. top agrar 12/2005 S5 TIERGESUNDHEIT zierte Schweine kommt dagegen bei weitem die größte Bedeutung zu. Der Zeitpunkt des Ausbruchs und der Schweregrad des Verlaufes hängen dabei wesentlich von folgenden Faktoren ab: ■ Serotyp (Welche Toxine werden produziert?); ■ Produktionssystem (Rein-Raus oder kontinuierlich); ■ Haltungsbedingungen (Besatzdichte, Fütterung, Lüftung); ■ Vorhandensein bakterieller (Mykoplasmen, Pasteurellen, Bordetellen) und viraler (PRRS, PCV 2, Influenza) Begleiterreger. Eine eindeutige Diagnose aufgrund der sichtbaren Krankheitsanzeichen ist nur bei der perakuten bzw. akuten Verlaufsform möglich. Zur Absicherung sind daher in jedem Fall weiterführende Untersuchungen erforderlich. Erregernachweis ist schwierig Der direkte Erregernachweis durch kulturelle Anzüchtung im Labor gelingt nur in der perakuten bzw. akuten Erkrankungsphase. Dabei ist eine Typisierung und Prüfung des Erregers auf Resistenzen möglich. Der Erregernachweis per Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) ist zwar sensibler, ermöglicht jedoch nur eine grobe Serotypisierung in vier Gruppen. Außerdem können bei der PCR keine Resistenzen bestimmt werden. Auch der indirekte Nachweis über das Blut hat nur eine bedingte Aussagekraft. Zwar lassen sich zwei bis drei Wochen nach einer APP-Infektion Antikörper im Blut per KBR-Test (Komplementbindungsreaktion) oder per ELISA-Test nachweisen. Beim KBR-Test ist sogar eine Serotypisierung möglich, während die beiden verfügbaren ELISA-Tests sensibler, dafür jedoch Serotypen-unspezifisch arbeiten. Die Antikörper weisen jedoch nur darauf hin, ob das betreffende Tier irgendwann einmal Kontakt mit dem Erreger hatte. Sinnvoll einsetzen lässt sich das sensible ELISA-Verfahren hingegen beim Testen von Zuchtsauen. Viele Zuchtunternehmen nutzen das Verfahren, um das APP-Gefährdungspotenzial ihrer Bestände zu überprüfen. Allerdings muss man dann mindestens 20 Sauen beproben und sollte zudem keine Altsauen bluten, da positive serologische Ergebnisse hier schwerer zu interpretieren sind. S6 top agrar 12/2005 Perakute Verlaufsform der APP: Lunge mit abgestorbenen Blutungsherden und fibrinösen Auflagerungen. Bei der Sektion verendeter Tiere kann man beetartig abgegrenzte, dunkelrote Herde in den Lungenhautlappen erkennen. Und auf den ihnen gegenüber liegenden Bereichen des Brustfells finden sich häufig fibrinöse Beläge. Beim perakuten Verlauf können die einzelnen entzündeten Lungenbereiche ineinander übergehen. Und in der Brusthöhle der verendeten Tiere findet man häufig eine wässrig-blutige Flüssigkeitsansammlung. Liegt die Erkrankung bereits längere Zeit zurück, sind die Anschnittsflächen der entzündeten Lungenbereiche nicht mehr dunkelrot gefärbt, sondern grau-rot bzw. grau-weiß. Die Lungenoberfläche ist mit dem Brustfell verwachsen, und beim Lösen bleiben deutlich sichtbare Anhaftungen am Brustfell zurück. Da sowohl der direkte Erregernachweis über die Anzüchtung bzw. per PCRVerfahren als auch der indirekte Nachweis per KBR-Test oder ELISA keine sicheren Aussagen liefern (siehe Kasten links) bleibt als verlässlichste Methode zum Nachweis von APP-Infektionen nur der Lungencheck auf dem Schlachthof. Dabei sind auch Partien mit einzubeziehen, die keine typischen Symptome aufweisen. Akute Fälle sofort antibiotisch behandeln! Bei einer akuten APP-Infektion muss die gesamte Gruppe sofort antibiotisch behandelt werden, denn erste Todesfälle können bereits innerhalb weniger Stunden auftreten. Da die Tiere beim perakuten und akuten Verlauf in der Regel weder fressen noch trinken, behandelt man sie am besten mehrere Tage lang per Injektion. Dazu stehen eine Reihe von Wirkstoffen zur Verfügung, z. B. Amoxicillin oder Florfenicol. Fressen oder trinken die Tiere, kann auch mit der Futter- bzw. Wassermedikation gearbeitet werden. Für die Therapie eignen sich Amoxicillin-, Doxycyclin-, Tilmicosin- oder Trimethoprim-SulfonamidPräparate. Antibiotische Behandlungen zu Beginn der Mast in Form einer so genannten Einstall-Metaphylaxe führen in der Regel nicht zum Erfolg. Denn der Ausbruch der APP-Infektion findet häufig erst in der zweiten Masthälfte statt. Anders sieht es aus, wenn die gesamte Altersgruppe unmittelbar vor einem zu erwartenden APP-Ausbruch eine antibiotische Injektionsbehandlung bekommt. Denn Antibiotika aus der Gruppe der Gyrasehemmer oder der Cephalosporine (Ceftiofur, Cefquinom) sind in der Lage, den Erregerdruck so stark zu reduzieren, dass eine spätere Erkrankung ausbleibt. Es ist jedoch fraglich, ob eine derartige antibiotische Behandlung, die zudem ins Geld geht, aus Verbrauchersicht wirklich wünschenswert ist. Wie kann ich meinen Bestand schützen? Um dauerhaft die APP in den Griff zu bekommen, eignen sich antibiotische Behandlungen nicht. Sinnvoller ist es, den Infektionsdruck im Betrieb nachhaltig zu senken. Hygiene und Management sollten dabei als erstes unter die Lupe genommen werden. Entscheidend ist, dass die Ställe konsequent im Rein-Raus belegt und möglichst nur Ferkel einer Herkunft eingestallt werden. Zudem sollte die Besatzdichte reduziert, die Mindestluftrate eingehalten und für kranke Tiere eine Krankenbucht eingerichtet werden. In Risikobetrieben ist eine Impfung sinnvoll. Wobei alle Impfmaßnahmen jedoch nur das Auftreten der Krankheits- Brustfellverwachsungen bei einem Mastschwein infolge einer chronischen APP-Infektion. symptome unterdrücken können. Eine immunologische Erregerverdrängung mit anschließender Erreger-Freiheit lässt sich leider nicht erreichen. Zwei Impfstoffe stehen zur Verfügung: Eine Serotyp-2spezifische Ganzkeimvakzine (Haeppovac) und eine Serotyp-übergreifende SubunitVakzine (Porcilis APP). Bei der Ganzkeimvakzine können sich beim zeitgleichen Vorhandensein von mehreren Serotypen oder durch den Wechsel von Serotypen Defizite in der Wirksamkeit ergeben. Von der Serotypen-übergreifenden Vakzine hingegen werden alle bis heute bekannten APPStämme erfasst. Beim Einstallen von APPfreien Jungsauen in latent infizierte Ferkelerzeugerbetriebe kommt es bei fehlender Eingliederungsphase häufig zu einer akuten Infektion. Eine zweimalige Impfung im Abstand von vier Wochen während der Aufzucht oder Quarantäne gibt einen sicheren Schutz für den aufnehmenden Ferkelerzeuger. Nach der Kontaktaufnahme ist häufig zusätzlich eine siebentägige orale Antibiotikagabe (z. B. Doxycyclin) notwendig. Eine Mutterschutzimpfung vor jeder Abferkelung führt zu einer deutlichen Verringerung des Erregereintrags in die Ferkelaufzucht und die Mast. Betriebe mit einem hochgradigen APP-Infekti- onsgeschehen in der Mast müssen ihre Tiere zusätzlich durch eine Ferkelimpfung schützen. Die vom Hersteller empfohlene Doppelimpfung in der sechsten und zehnten Woche bietet hier den besten Schutz, ist jedoch nicht immer praktikabel. Nach unseren Erfahrungen ist auch eine einmalige Impfung im Alter von acht Wochen sehr wirksam. Wir fassen zusammen Die APP-Problematik verschiebt sich zunehmend in die Mast. Neben subklinisch infizierten und chronisch erkrankten Tieren beobachtet man in der Mast vor allem akute und perakute Erkrankungen. Die antigenetische Vielfalt von mindestens 15 unterschiedlichen Serotypen erschwert vorsorgliche Impfungen. Nur Impfstoffe mit Serotyp-übergreifender Wirkung ermöglichen eine wirkungsvolle Eindämmung der wirtschaftlichen Schäden. Deshalb sollte die Forschung in seroübergreifende Impfstoffe intensiviert werden. Orale antibiotische Behandlungen vor dem klinischen Ausbruch verschieben das Problem häufig nur weiter in die Endmastphase. Lediglich Injektionsbehandlungen der gesamten Altersgruppe unmittelbar vor dem zu erwartenden Ausbruch zeigen Wirkung, sind jedoch teuer. top agrar 12/2005 S7