Flügel Kommandant: Ein Muskelgen ermöglicht Insekten das

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Jahrbuch 2012/2013 | Schnorrer, Frank; Schönbauer, Cornelia | Flügel Kommandant: Ein Muskelgen ermöglicht
Insekten das Fliegen
Flügel Kommandant: Ein Muskelgen ermöglicht Insekten das Fliegen
Wing commander: Muscle gene makes insects fly
Schnorrer, Frank; Schönbauer, Cornelia
Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Fliegende Insekten stehen vor der Herausforderung, ihren Körper in die Luft zu befördern. Um genügend
Auftrieb zu erzeugen, müssen ihre Flügel bis zu 1000 Mal pro Sekunde schlagen. Diese schnellen Oszillationen
w erden von Flugmuskeln angetrieben, deren kontraktiler Apparat einen besonderen fibrillären Aufbau besitzt,
der sich von den anderen Muskeln unterscheidet. Die Forscher haben in Taufliegen (Drosophila) ein
Schaltergen, spalt, identifiziert, das die Ausbildung der fibrillären Flugmuskeln steuert. Spalt Mutanten sind
fluglos: Deren Flugmuskeln haben ihre besondere Struktur verloren.
Summary
Flying insects face the challenge to be up in the air. To stay airborne they need to oscillate their w ings at
frequencies up to 1000 times per second. These fast oscillations are pow ered by specialized flight muscles
that contain a particular fibrillar organisation of their contractile apparatus and hence differ from all other
muscles. In vinegar flies (Drosophila) the researchers identified a developmental sw itch gene, spalt, w hich
induces the formation of these specialised flight muscles. Spalt mutants are flightless: their flight muscles have
lost all their special properties.
Insektenflug und Flugmuskeln
Die ersten Insekten sind vor 400 Millionen Jahren entstanden und haben sich im Verlauf der Evolution mit
vielen Hunderttausend verschiedenen Spezies zur artenreichsten Klasse aller heute auf der Erde lebenden
Tiere entw ickelt. Die meisten besitzen Flügel und sind eindrucksvoll gute Flieger, w as maßgeblich zu ihrer
zahlenmäßigen Dominanz und Artenvielfalt beigetragen haben könnte. Die Körpergröße der meisten heute
lebenden Insekten ist jedoch relativ gering, entsprechend sind ihre Flügel oft nur w enige Millimeter groß, in
manchen Fällen sogar noch kleiner. W ie können solch w inzige Flügel den nötigen Auftrieb erzeugen, um den
Insektenkörper in die Luft zu befördern und ihn mit mehreren Metern pro Sekunde in die gew ünschte Richtung
zu bew egen? Das Geheimnis liegt in den Flugmuskeln der Insekten. Die meisten Insekten besitzen extrem
schnell schlagende Flugmuskeln, die bis zu tausend Mal pro Sekunde kontrahieren können und dadurch die
schnellen Oszillationen der Flügel antreiben (Abb. 1).
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A bb. 1: Drosophila melanogaster in volle m Flug und ihre
Musk ula tur: Ein Q ue rschnitt durch die Flie ge (re chts) ze igt die
Flugm usk e ln (bla u).
© Ma x -P la nck -Institut für Bioche m ie /Schnorre r
Im Gegensatz zu den Körpermuskeln von Säugetieren und den normalen Körpermuskeln der Insekten,
beispielsw eise der Beinmuskulatur, die synchron von den ankommenden Nervenimpulsen zur Kontraktion
stimuliert w erden, reagieren die schnellen Flugmuskeln asynchron. Das bedeutet, jedes einzelne Nervensignal
löst eine Serie von Flugmuskelkontraktionen aus. Dies w ird durch die paarige Anordnung der Flugmuskeln
ermöglicht; eine Muskeleinheit kontrahiert und zieht die Flügel nach unten, gleichzeitig dehnt sie indirekt die
zw eite Muskeleinheit. Dieser mechanische Zug löst die Kontraktion der zw eiten Einheit aus, w as den Flügel
w ieder nach oben zieht und w iederum die erste Muskeleinheit dehnt und so zur Kontraktion antreibt. Mit Hilfe
dieser mechanisch ausgelösten Stimulation erreicht das Insekt eine sehr hohe Flügelschlagfrequenz, und der
Insektenkörper inklusive der Flügel vibriert w ie bei einem Oszillator.
Der durch mechanischen Zug ausgelöste Kontraktionsmechanismus der Flugmuskeln hat einen besonderen
Aufbau ihres Kontraktionsapparats zur Folge. Flugmuskeln besitzen eine fibrilläre Struktur mit großen, deutlich
voneinander abgetrennten Myofibrillen, die die kontraktilen Einheiten beinhalten. Im Gegensatz dazu ist alle
übrige Muskulatur, w ie zum Beispiel in den Beinen, quergestreift und zeigt einen röhrenartigen Aufbau ( Abb.
2).
A bb. 2: Flug- und Be inm usk ula tur von Drosophila melanogaster.
Thora x que rschnitt (obe n) m it norm a le n fibrillä re n
Flugm usk e ln und que rge stre ifte n Be inm usk e ln in W ildtype n
von Drosophila (link s). In spalt-m uta nte r Drosophila bilde n sich
sta ttde sse n nur que rge stre ifte Flugm usk e ln (re chts).
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Systematische Suche nach Flugmuskelgenen
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Um die Entw icklung der oszillierenden, asynchronen Flugmuskeln und ihrer besonderen Struktur zu verstehen,
haben die Forscher in jahrelanger Arbeit gezielt nahezu jedes Gen der Taufliege (Drosophila melanogaster) in
den Muskeln ausgeschaltet und dann die Fliegen auf ihre Flugfähigkeit geprüft. Nach Testen von über 10000
Genen in rund 25000 Flugtests w ar es fast geschafft: Etw a 300 Gene w aren identifiziert, die für die Funktion
der Flugmuskeln w ichtig sind [1]. Mittels detaillierter histologischer Analyse der Flugmuskeln der flugunfähigen
Tiere w urde der entscheidende Schalter für die Flugmuskelbildung identifiziert. Ein Drosophila Stamm, in dem
das Gen spalt ausgeschaltet ist, hat den fibrillären Aufbau seiner Flugmuskeln vollständig verloren und bildet
stattdessen quergestreifte Muskeln mit einem röhrenartigen Aufbau, charakteristisch für die Beinmuskulatur,
aus (Abb. 2). Diese Muskeln können nicht mehr durch mechanischen Zug zur Kontraktion angeregt w erden;
deshalb sind die Tiere fluglos. Das bedeutet, spalt ist für die Entw icklung der asynchronen, fibrillären
Flugmuskeln unabdingbar [2].
Das Schaltergen spalt steuert die Flugmuskelentwicklung in Insekten
Das von spalt kodierte Protein ist ein Transkriptionsfaktor. Transkriptionsfaktoren befinden sich im Zellkern und
binden dort an die DNA, also die Erbinformation. Sie agieren als molekulare Schalter, die entscheiden, w elche
Teile der in allen Zellen vorhandenen DNA abgelesen und somit in Proteine übersetzt w erden. Dieser Vorgang
ist das A und O für die Entw icklung aller Zellen und Organe, da immer die richtigen Proteinkombinationen
vorhanden sein müssen, um einen bestimmten Zelltyp bilden zu können. Flugmuskeln bilden sich w ährend der
Metamorphose von Drosophila im Puppenstadium aus. In diesem Stadium befindet sich das Spalt-Protein nur in
den Zellkernen der sich bildenden Flugmuskeln, jedoch nicht in den sich bildenden Beinmuskeln (Abb. 3).
Erstaunlicherw eise
kann
Spalt
sogar
Beinmuskulatur
in
flugmuskelartige,
fibrilläre
Muskulatur
umprogrammieren, w enn es experimentell in die sich entw ickelnden Beinmuskeln eingebracht w ird. Das zeigt,
dass Spalt als molekularer Schalter w irkt, dessen Aktivität in Zellkernen ausreichend ist, um fibrilläre
Flugmuskulatur zu erzeugen.
A bb. 3: Da s von spalt k odie rte Ge nproduk t im Flugm usk e l.
Spa lt-P rote in wird nur in de n sich e ntwick e lnde n Flugm usk e ln
(link s), nicht a be r in de n Be inm usk e ln de r P uppe (re chts)
ge bilde t.
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Die Aktivität von Spalt verändert die Bildung einer ganzen Reihe von Muskelproteinen, die w iederum selbst
eine Veränderung der Flugmuskelmorphologie und deren Kontraktionseigenschaften zur Folge haben. Das
bedeutet, Spalt kontrolliert die Flugmuskelbildung zu einem frühen Zeitpunkt und schaltet so alle
untergeordneten Proteine ein, die dann das Programm w eiterführen, einen funktionierenden fibrillären
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Flugmuskel zu bilden, dessen schnelle Kontraktionen durch mechanischen Zug ausgelöst w erden können [2].
Die Funktion von Spalt ist nicht beschränkt auf Drosophila. Experimente mit W espen und Käfern zeigen, dass
die fibrilläre Morphologie der Flugmuskeln sow ie die Funktion von Spalt in den meisten Insektenarten schon
seit rund 300 Millionen Jahren evolutionär konserviert und damit für die Flugfähigkeit der meisten Insekten
verantw ortlich ist: W ird Spalt in Käfern ausgeschaltet, verlieren auch deren Flugmuskeln die charakteristische,
fibrilläre Morphologie und w erden zu Beinmuskeln umprogrammiert.
Interessanterw eise haben Säugetiere, also auch der Mensch, vier Spalt ähnliche Gene. Auch w enn deren
Funktion noch nicht genau studiert ist, so ist bekannt, dass drei von ihnen im Herzen gebildet w erden. Da das
Säugetierherz eine gew isse Ähnlichkeit zum Flugmuskel der Insekten besitzt - seine Kontraktion w ird auch
mechanisch, und zw ar ebenfalls auf Zug, beeinflusst -, spekulieren die Forscher über eine mögliche Funktion
von Spalt im Herzen des Menschen.
Ausblick
Der Aufbau eines funktionieren Muskels muss w ährend der Entw icklung sehr genau gesteuert w erden. Die
W issenschaftler w ollen zukünftig besser verstehen, w ie ein einziger Faktor, nämlich Spalt, eine ganze Kaskade
von Genen anw erfen kann, sodass am Ende ein funktionierender Flugmuskel entsteht. Dazu w erden
modernste Methoden der Mikroskopie angew andt, um die Muskelbildung in der lebenden Puppe zu verfolgen.
Zusätzlich sollen die verschiedenen Stadien der Muskelbildung mithilfe neuer Hochdurchsatzverfahren
genauestens analysiert w erden. Anhand der Ergebnisse soll der Mechanismus verstanden w erden, w ie ein
komplexes Organ, der Flugmuskel, in jedem Individuum reproduzierbar gebildet w ird.
Literaturhinweise
[1] Schnorrer, F.; Schönbauer, C.; Langer, C.; Dietzl, G.; Novatchkova, M.; Schernhuber, K.; Fellner, M.;
Azaryan, A.; Radolf M.; Stark, A.; Keleman, K.; Dickson, B. J.
Systematic genetic analysis of muscle morphogenesis and function in Drosophila
Nature 464, 287-291 (2010)
[2] Schönbauer, C.; Distler, J.; Jährling, N.; Radolf, M.; Dodt, H. U.; Frasch, M.; Schnorrer, F.
Spalt mediates an evolutionarily conserved switch to fibrillar muscle fate in insects
Nature 479, 406–409 (2011)
© 2013 Max-Planck-Gesellschaft
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