www.annefrank.de/mensch Johann Meyer Schwerpunktthemen Deutsche Handwerker in Konstantinopel Vom Osmanischen Reich zur Türkischen Republik Deutsche Handwerker in Konstantinopel Schon Reiseberichte aus dem 16. Jahrhundert erwähnen deutsche Handwerker in Konstantinopel. Über ihre genaue Zahl wissen wir allerdings wenig. Während der Auswanderungswellen im 19. Jahrhundert kamen dann in größerer Zahl »Deutsche« ins Osmanische Reich. Einer von ihnen war Johann Meyer, der als Uhrmachermeister an den Hof des Sultans ging. »Deutsch« bezieht sich in vielen der damaligen Berichte auf die Sprache. So wurden auch Menschen aus der Schweiz oder Österreich zum Teil als »Deutsche« bezeichnet. Ohnehin gab es bis 1871 viele deutsche Einzelstaaten. Gründung von Vereinen und Zusammenkünften Eisenbahnbau der deutschen Firma Holzmann im Osmanischen Reich. 1837. Die Initiative zur Gründung der ersten »deutschen« Vereinigung in Konstantinopel, der Teutonia, ging auf eine Gruppe von Glashändlern aus Böhmen zurück, die sich regelmäßig in einem Lokal trafen. Böhmen ist ein Gebiet der heutigen Tschechischen Republik und gehörte damals zum Großreich Österreich-Ungarn. Laut Satzung des 1847 gegründeten Vereins Teutonia konnte jeder Mitglied werden, der deutsch sprach und älter als 18 Jahre war. Gründer der Teutonia waren ein Schuster und ein Schneider. Weitere Mitglieder waren zum Beispiel Tischler, Wagenbauer, Büchsenmacher, Messerschmiede und Glasbläser. Etwa 15 Jahre später wurde noch ein weiterer deutscher Verein in Konstantinopel gegründet, der sich Deutscher Handwerkerverein Alemania zu Konstantinopel nannte. Daraus können wir schließen, dass die »deutsche Community« in Konstantinopel damals vor allem aus Handwerkern bestand. Dies wird auch durch einen Bericht aus dem Jahr 1850 bestätigt, der die Zahl »der Deutschen« in Konstantinopel mit 1.000 angibt. »Die meisten sind Handwerker, höchstens ein paar Kaufleute und Beamte mögen darunter sein«. Allerdings, so heißt es in dem Bericht weiter, lebten die meisten dieser etwa tausend Menschen nicht dauerhaft in Konstantinopel. Es gab vielmehr ein ständiges Kommen und Gehen. So genannte Wanderjahre, in denen die Handwerker von Ort zu Ort zogen, waren nach der Gesellenprüfung die Regel. Johann Meyer > Schwerpunktthemen > Deutsche Handwerker in Konstantinopel 1 Deutsche in größerer Zahl gab es auch in Smyrna, dem heutigen Izmir. Bereits 1759 war hier eine evangelische Gemeinde gegründet worden. Bei den »Deutschen« in Smyrna handelte es sich aber vor allem um Seeleute und nur in geringerer Zahl um Handwerker. Die gegründeten Vereine und Kirchen waren ein wichtiger Anlaufpunkt für Neuankömmlinge und unterstützten auch in Not Geratene. In erster Linie aber dienten die Vereine dem »geselligen Beisammensein«. So nennt die Satzung des Handwerkervereins als Zweck des Vereins, »für Aufmunterung und gesellige Unterhaltung« zu sorgen. Im Vereinshaus der Teutonia gab es zum Beispiel ein Spielzimmer, eine Bibliothek und ein Lesezimmer. Daneben entstanden auch weitere Vereinigungen, Frauenvereine, Gesangsvereine, Laienspielgruppen und andere kulturelle Vereine. Schon 1843 hatten deutsche Handwerker in Konstantinopel eine evangelische Gemeinde gegründet. Diese rief einen Wohlfahrtsverein zur Auswandererhaus in Bremerhaven 1865. Viele Unterstützung Bedürftiger ins Leben. Menschen verließen im 19. Jahrhundert das Es entstand auch eine KrankenstaDeutsche Reich über die Hafenstädte. tion, aus der 1870 das deutsche Krankenhaus hervorging. 1868 wurde eine deutsche Schule gegründet, die allein der Schulausbildung der in Konstantinopel lebenden »deutschen« Kinder diente. Für osmanische Schüler, die eine Ausbildung in deutscher Sprache wünschten, gab es ab 1884 das İstanbul Erkek Lisesi als deutsche Auslandsschule. Mit eigener Schule, einem Krankenhaus, Kirchen und Vereinen hatten sich die Deutschen eine Art »Parallelwelt« geschaffen. In ihr sprachen sie Deutsch und lebten nach deutschen Sitten und Bräuchen. Auch die Vereinigungen Teutonia und der Handwerkerverein nannten in ihren Satzungen als oberstes Ziel »die Pflege deutscher Art und Sitten«. So wohnten in Konstantinopel eine ganze Reihe Deutscher, die kaum Kontakt zu Menschen außerhalb der deutschen Gemeinde hatten und nicht einmal richtig Türkisch sprechen konnten. Arbeitsbereiche Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 und den sich verstärkenden deutsch-osmanischen Beziehungen wuchs der wirtschaftliche und politische Einfluss Deutschlands in der Türkei. Ein Ausdruck dessen war die Entsendung deutscher Spezialisten ins Osmanische Reich. Dies waren in erster Linie Angehörige des Militärs, aber auch Ingenieure, Wissenschaftler und Handwerker, die auf Anforderung des Sultans gerufen wurden. Damit änderte sich auch die Zusammensetzung der deutschen Community sehr stark: So finden sich im Mitgliederverzeichnis der Teutonia von 1914 vor allem Kaufleute, Geschäftsleiter, Direktoren, höhere Offiziere und Firmenvertreter, aber kaum noch einfache Handwerker. Auch war die Entsendung als Spezialisten für manch einen mit einem sozialen oder beruflichen Aufstieg verbunden. Johann Meyer > Schwerpunktthemen > Deutsche Handwerker in Konstantinopel 2 Der Bahnbau Zu den wichtigsten deutschen Projekten im Osmanischen Reich, in denen zahlreiche Ingenieure, Architekten und Facharbeiter arbeiteten, gehörten die Bahnbauten: 1888 erhielt eine Gruppe deutscher Großbanken unter Führung der Deutschen Bank die Konzession zum Bau der Anatolischen Eisenbahn, die von Istanbul bis ins zentralanatolische Konya führte. Eine Konzession ist eine befristete behördliche Genehmigung, in diesem Fall für den Bau der Eisenbahn. Die Leitung erhielt der Eisenbahningenieur Heinrich August Meissner, der schon seit 1887 Ingenieur bei der staatlichen osmanischen Eisenbahn war. Im osmanischen Auftrag hatte er bereits den Bau der Hedschasbahn geleitet, die Damaskus mit Mekka verbinden sollte. Muslimischen Pilgern sollte so die Reise zu den heiligen Stätten erleichtert werden. Es wurde allerdings nur die Strecke bis Medina fertiggestellt. 1904 wurde Meissner vom Sultan zum Pascha (einer der höchsten Titel im Osmanischen Reich) ernannt. 1903 erlangten deutsche Firmen – wieder unter Leitung der Deutschen Bank – die Konzession zum Bau einer weiteren, noch größeren Bahnstrecke. Diese sollte von Konya bis Basra führen. Im Anschluss an die bereits fertiggestellte Linie der Anatolischen Bahn sollte sie Konstantinopel mit Bagdad und Basra verbinden. Die neue Linie bekam den Namen Bagdadbahn. Das Projekt der Bagdadbahn versprach den Deutschen gleich mehrere Vorteile. So erhielten sie zum Beispiel mit der Konzession das Recht, die Bahn auf 100 Jahre zu betreiben und durften über die Einnahmen verfügen. Die Bahnbauten der Anatolischen Bahn und der Bagdadbahn wurden fast ausschließlich von deutschen Firmen durchgeführt, ebenso der Bau der Bahnhöfe an der Strecke, wie zum Beispiel der berühmte Bahnhof Haydarpaşa in Istanbul. Zahlreiche Aufträge erhielt die Firma Phillip Holzmann, die bis 2002 das größte deutsche Bauunternehmen war. Lokomotiven, Schienen, Schwellen, Nieten, Wassertanks – alles kam aus dem Deutschen Reich. Für die deutsche Industrie war der Bau der Bagdadbahn ein riesiges Geschäft. Daneben nützte sie auch deutschen militärischen Interessen: Während des Ersten Weltkriegs diente die Bahn zum Transport der Truppen. Für das gigantische Bauprojekt waren etwa 35.000 Arbeiter im Einsatz. Darüber hinaus bot es auch weiteren deutschen Fachleuten Arbeit im Osmanischen Reich und lockte Händler und Abenteurer an, die sich zum Teil entlang der Bahnstrecke niederließen. So berichteten mehrere Reisende, die die Bahnstrecke zu jener Zeit besichtigten, von einem Herrn Cohn in Eskişehir. Dieser exportierte von dort Meerschaumpfeifen. Nach Ende des Ersten Weltkriegs 1918 mussten außer den deutschen Militärs, Politikern und Beratern auch die meisten der deutschen Handwerker und Geschäftsleute das Land verlassen. Einige konnten die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangen und bleiben. Manche kehrten mit Aufnahme der deutsch-türkischen Beziehungen 1924 in die Türkei zurück. Die zahlreichen Modernisierungs- und Aufbauprojekte in der »neuen« Türkei lockten in den Jahren zwischen den Kriegen erneut Handwerker aus Deutschland in das Land am Bosporus. Johann Meyer > Schwerpunktthemen > Deutsche Handwerker in Konstantinopel 3 Vom Osmanischen Reich zur Türkischen Republik Das Osmanische Reich war ein Vielvölkerstaat. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts erstreckte es sich fast über den gesamten Balkan, die heutige Ukraine und die meisten arabischen Gebiete. Religion spielte für die Gesellschaft eine wichtige Rolle. Aber auch Familie, Stammeszugehörigkeit, regionale Herkunft und Beruf bestimmten die Situation der Menschen. Absoluter Herrscher war der Sultan. Er hatte zwar ein Beratungsgremium und auch Minister, aber es gab kein Parlament und keine andere Vertretung der Bevölkerung. Die Reformperiode im 19. Jahrhundert Während des 19. Jahrhunderts verlor das Osmanische Reich große Gebiete an Österreich-Ungarn und das erstarkende Russische Reich. Die Osmanen wurden in elf Kriegen aus dem Kaukasus, von der Krim, aus der heutigen Ukraine sowie aus Südosteuropa verdrängt. Auch die arabischen Gebiete gingen verloren: Algerien und Tunesien fielen unter französische, Zypern und Ägypten unter britische Kontrolle. Parallel dazu kam es zu einem Niedergang der einheimischen Wirtschaft. Dies wiederum führte zu wachsender Verschuldung und schließlich 1875 zum Staatsbankrott. In diesem Jahr kam Johann Mayer an den Hof des Sultans, um dort als Uhrmachermeister zu arbeiten. Aufgeschreckt durch die militärischen Niederlagen leiteten die osmanischen Herrscher Reformen ein. Diese werden als »Tanzimat« (Neuordnung) bezeichnet. In den Erlassen von 1839 und von 1856 wurde allen Untertanen, egal welcher Religion sie angehörten, das Recht auf Unverletzlichkeit der Person und des Eigentums zugestanden. In Städten, Bezirken und Provinzen wurden regionale Vertretungsorgane eingerichtet. 1876 wurde ein Grundgesetz erlassen. Dieses sah die Gleichstellung aller Bürger und die Einführung einer eingeschränkten konstitutionellen Monarchie mit gesetzgebendem Parlament vor. Abdülhamid II. Sultan des Osmanischen Reichs 1876-1909 Darüber hinaus wurde die Verwaltung reformiert, wurden Verkehrswege neu gebaut, Schulen und Hochschulen gegründet und ein Pressewesen eingeführt. Allein während der Regentschaft von Sultan Abdülhamid II. von 1876 bis 1909 wurden 10.000 öffentliche Schulen gegründet. Diese Reformen lassen sich als Versuch begreifen, den Untergang des Reiches zu verhindern. Viele von ihnen wurden jedoch nur halbherzig ausgeführt oder wieder zurück genommen. Sultan Abdülhamid II. löste das neu gegründete Parlament nach nur zwei Sitzungsperioden auf. Es sollte erst 30 Jahre später erneut einberufen werden. Oppositionelle Politiker und Intellektuelle ließ er bespitzeln und ins Exil jagen. Johann Meyer > Schwerpunktthemen > Vom Osmanischen Reich zur Türkischen Republik 4 Nationalismus, die Ideologie des 19. Jahrhunderts Im 19. Jahrhundert setzte sich in Europa die Idee der Nation durch: Bevölkerungsgruppen, die die gleiche Sprache sprachen oder aber derselben Religion angehörten, erklärten sich zu Nationen und wurden auch von anderen als Nation betrachtet. Nationale Unabhängigkeitsbewegungen erkämpften die Gründung eigener Nationalstaaten. In einem Krieg von 1821 bis 1830 erkämpfte Griechenland, das bis dahin zum Osmanischen Reich gehörte, zunächst auf einem Teil seines heutigen Gebietes die Gründung eines unabhängigen Staates. Nacheinander setzten auch die Donaufürstentümer Moldawien und die Walachei (Rumänien), Serbien, Montenegro und Bulgarien ihre Autonomie durch. Innerhalb eines Jahrhunderts verlor das Osmanische Reich etwa die Hälfte seines Gebietes. Gleichzeitig wuchs unter den osmanischen Intellektuellen die Unzufriedenheit über die repressive Herrschaftsweise des Sultans. Territoriale Veränderungen des Osmanischen Reichs 1683 - 1922 Die Jungtürken Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts entstand im Osmanischen Reich sowie im Exil eine Oppositionsbewegung, die als Jungtürken bezeichnet wird. Die Jungtürken kämpften anfangs gegen den Absolutismus Abdülhamids. Angehörige verschiedener Volksgruppen, darunter Armenier, Kurden, Araber und Juden, unterstützten sie. Bald setzte sich jedoch die türkisch-nationalistische Strömung unter den Jungtürken durch. Das Selbstverständnis der Muslime als herrschende Gruppe und die von den Nationalisten propagierte Stellung der Türken als bestimmende Nation schloss eine Gleichberechtigung der übrigen Gruppen von vornherein aus. Zunehmend wurde die »rassische Überlegenheit« der Türken propagiert. Johann Meyer > Schwerpunktthemen > Vom Osmanischen Reich zur Türkischen Republik 5 Nationalistische Mobilisierung An die Stelle der Einheit aller osmanischen Untertanen trat die Einheit der Türken. Zur Durchsetzung der türkisch-nationalistischen Fraktion trugen die Brutalität der Balkankriege (1912 und 1913) sowie der Verlust der wirtschaftlich starken Gebiete bei. Eine wichtige Rolle spielten auch die Muslime, die als Flüchtlinge aus den Balkangebieten und aus Russland ins Reich strömten. Im Januar 1913 riss die Führung der Jungtürken um Enver Paşa und Talat Paşa durch einen Putsch die Alleinherrschaft an sich und übte bis 1918 diktatorisch die Macht im Staat aus. Erneut wurden Oppositionelle unterdrückt und das Parlament aufgelöst. Wirtschaftlicher Nationalismus Die Türkisierung der Wirtschaft wurde zu einem der wichtigsten Ziele der Jungtürken. Nichtmuslime sollten verdrängt und enteignet werden. So wurden zum Beispiel Boykottaktionen gegen nicht-türkische und nicht-muslimische Läden organisiert. Ab 1914 blieb es nicht beim Boykott: Im Frühjahr 1914 wurden Griechen terrorisiert und aus ihren Dörfern vertrieben. Rund 150.000 Griechen verließen das Land, 50.000 wurden ins Innere des Landes zwangsumgesiedelt. Die Katastrophe des Ersten Weltkriegs Im Schatten des Ersten Weltkriegs: Völkermord an den Armeniern Bis zum Frühsommer 1914 gab es keine einheitliche Haltung der jungtürkischen Führung zum sich abzeichnenden Krieg. Das änderte sich mit dem geheimen deutsch-türkischen Bündnisvertrag vom 2. August 1914 und der Neutralitätsverletzung durch die Aufnahme der deutschen Kriegsschiffe Breslau und Göben am 10. August 1914. Die deutschfreundliche Fraktion der Jungtürken setzte den Kriegseintritt des Osmanischen Reiches an der Seite Deutschlands durch. Der Krieg führte das Osmanische Reich in eine militärische Katastrophe, die seinen Untergang besiegelte. Die Armee von 800.000 osmanischen Soldaten kämpfte zeitweilig an allen Fronten zugleich: an den Dardanellen, an der Kaukasusfront, in Persien, in Arabien, im Irak, in Ägypten sowie in Rumänien und Mazedonien. Die katastrophale Ausrüstung und Versorgung der Soldaten ist von ausländischen Beobachtern ausführlich beschrieben worden. Zehntausende Soldaten starben nicht infolge von Kampfhandlungen, sondern erfroren an der Kaukasusfront oder verhungerten in den arabischen Gebieten. Die katastrophale Situation führte zur massenhaften Desertion: Ende 1917 schätzte General Liman von Sanders, der Leiter der deutschen Militärmission, die Zahl der Desertierten auf 300.000. Der Versuch der osmanischen Armee, gegen die russischen Truppen in den Kaukasus vorzustoßen, endete im Winter 1914/15 bei Sarıkamış in einer Tragödie. Hier starben etwa 78.000 Soldaten, das waren 90 Prozent dieser Armee. Die meisten Soldaten erfroren oder verhungerten. Um von der eigenen Verantwortung abzulenken, machte die Regierung die Armenier für die Niederlage verantwortlich. Sie würden desertieren und wurden als Verräter bezeichnet. Dabei war die Desertion keineswegs auf Armenier oder Nichtmuslime beschränkt. Doch sie wurden höher bestraft, oftmals mit der Zerstörung ganzer Ortschaften, wogegen sich die Armenier wehrten. Johann Meyer > Schwerpunktthemen > Vom Osmanischen Reich zur Türkischen Republik 6 Ein regionaler Aufstand sowie die Beschuldigung des »Vaterlandsverrats« diente den Machthabern als Vorwand für eine großangelegte Festnahmeaktion. Am 24. April 1915 wurden in Istanbul 235 bekannte armenische Persönlichkeiten festgenommen, darunter zahlreiche Schriftsteller, Journalisten, Ärzte, Rechtsanwälte, Lehrer, Musiker sowie mehrere Geistliche. Die meisten von ihnen wurden später ermordet. Die Armenier, die in der osmanischen Armee dienten, wurden entwaffnet, in Zwangsarbeitskommandos gesteckt oder umgebracht. In den folgenden 15 Monaten wurde die armenische Bevölkerung aus allen Teilen des Osmanischen Reiches in die Wüstengebiete Syriens deportiert. Lediglich die Armenier in Istanbul und Izmir blieben weitgehend verschont. Über 1,5 Millionen Armenier starben während der Todesmärsche oder gingen in den Todeslagern in der Wüste zugrunde. Im September 1915 wurde ein Gesetz erlassen, demzufolge der Besitz der Deportierten dem türkischen Staat zufiel. Betriebe, Läden und Landbesitz von je einer Million Armeniern und Griechen wurden von muslimischen Türken in Besitz genommen. Das Ende des Osmanischen Reiches – der Vertrag von Sèvres Der Vertrag von Lausanne und der Bevölkerungsaustausch Mit dem Waffenstillstand vom 30. Oktober 1918 unterschrieb der Vertreter des Osmanischen Reichs die bedingungslose Kapitulation. Bereits während des Kriegs hatten Großbritannien und Frankreich in einem Geheimvertrag die Aufteilung der arabischen Gebiete unter sich vereinbart. Im August 1920 wurde zwischen den Vertretern der Entente, dem Militärbündnis zwischen Frankreich, England und Russland und einem Bevollmächtigten des osmanischen Sultans der Vertrag von Sèvres geschlossen. Im Wesentlichen war er ein Diktat der Siegermächte und schrieb die bereits abgesprochene Aufteilung der osmanischen Gebiete fest. Die neu gebildeten arabischen Staaten wurden französischer und britischer Mandatsmacht unterstellt. Keine der Großmächte unternahm ernsthafte Schritte, um die den Armeniern und Kurden gemachten Versprechen durchzusetzen. Die USA lehnten die Übernahme eins Mandats über Armenien ab. Der Vertrag von Sèvres trat nie in Kraft, weil er von kaum einem der Vertragsstaaten ratifiziert wurde. Nach dem türkisch-griechischen Krieg wurde im Juli 1923 der Vertrag von Lausanne geschlossen. Den religiösen Minderheiten wurden zwar in den Artikeln 37–45 bestimmte Rechte zuerkannt, faktisch legitimierte der Vertrag jedoch nachträglich die Vertreibung und Ermordung der Griechen und Armenier. Bereits im Januar 1923 war ein »Bevölkerungsaustausch« zwischen der Türkei und Griechenland vereinbart worden. Danach wurden etwa 1,5 Millionen orthodoxe Christen aus Anatolien nach Griechenland und umgekehrt eine halbe Million Muslime aus Thrakien in die Türkei umgesiedelt. Da diese Umsiedlungen strikt nach religiöser Zugehörigkeit durchgeführt wurden, mussten auch etwa 50.000 Karamanlı, türkischsprachige orthodoxe Christen gegen ihren Willen Anatolien verlassen. Vor den Kriegen und der Vertreibung machten Griechen und Armenier auf dem Gebiet der heutigen Türkei mehr als zwanzig Prozent der Bevölkerung aus. Als Mustafa Kemal Paşa am 29. Oktober 1923 die Republik Türkei ausrief, hatten Krieg, Vertreibung und »Bevölkerungsaustausch« zu einer weitgehend neuen Zusammensetzung der Bevölkerung Anatoliens geführt. Johann Meyer > Schwerpunktthemen > Vom Osmanischen Reich zur Türkischen Republik 7 Impressum Herausgeber: Anne Frank Zentrum Rosenthaler Str. 39, 10178 Berlin Telefon: 030/2888 656-00 Fax: 030/2888 656-01 E-Mail: [email protected] Web: www.annefrank.de © Anne Frank Zentrum, Dezember 2012 Das vollständige Impressum finden Sie auf der Website zum Projekt: www.annefrank.de/mensch