nationalismus (12 f)

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Krimkrieg 1853-1856
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• beschränkter Stellungskrieg (vgl. auch amerikanischer Sezessionskrieg) → »merkwürdige Mischung aus
Kabinettskrieg (= mit begrenzter Zielsetzung und unter Schonung von Menschen und Sachwerten geführter
Krieg) und totalem Krieg«
• »entstanden aus gegenseitiger Furcht, nicht aus gegenseitigen Angriffsabsichten«
• hervorgegangen aus der Europäisierung der »Orientalischen Frage« → Schicksal des schwachen Osmanischen Reiches berührte die Frage des europäischen Gleichgewichts
• Interessen der involvierten Großmächte an der »Orientalischen Frage«:
→ Seeverbindungswege und Überlandrouten zu den indischen Besitzungen sollten nicht in
russische oder französische Hände fallen, sondern durch das schwache Osmananische
Reich ungehindert nutzbar sein. Außerdem war die Türkei ein extrem wichtiger Handelspartner (Export von britischen Fertigwaren + Import von Getreide aus den osmanischen
Donaufürstentümern) → Parallelität von steigendem Handelsinteresse und steigendem
politischem Interesse
ƒ Rußland → Gemisch aus machtpolitisch-strategischen, religiösen und wirtschaftlichen Interessen →
wollte durch das »Nesselrode-Memorandum« (1844) im Falle des Zusammenbruchs des
Osmanischen Reiches in gemeinsamer Abstimmung mit England an der Aufteilung des
Osmanischen Reiches partizipieren
ƒ Frankreich → Suche nach innenpolitischer Akzeptanz des Regimes Napoleons III. durch die Durchsetzung der Interessen der katholischen Kirche in der Türkei → Zugeständnisse des Sultans
an die Katholiken kollidierten mit denen, die er gleichzeitig den Orthodoxen im Interesse
Rußlands machte. Außerdem bestand eine allgemeine Antipathie seitens des Zaren gegenüber Frankreich (v.a. gegen Napoleon III.), dem er eine revolutionäre Gesinnung unterstellte
ƒ England
• Ausbruch des Krieges:
ƒ Seymour-Gespräche (ab Januar 1853): Unterredung des Zaren Nikolaus I. mit dem britischen Gesandten
Seymour über die »Orientalische Frage« (russische Aufteilungsplan für das Osmanische Reich, wobei
Rußland auf die Unterstützung Österreichs baute, da es 1848 geholfen hat, Aufstände in Österreich niederzuschlagen) → Anfangs generelle Zusage Englands, die aber später nicht eingehalten wurde (→ Fehleinschätzung des Zaren, der nicht erkannte, daß die Außenpolitik in England von einem komplizierten
Balanceverhältnis zwischen Krone, Kabinett und Parlament abhing und die Regierung alleine keine weitreichende Zusagen machen konnte. Verstimmung des Zaren wegen britischer Veröffentlichung der Gespräche in einem Blaubuch)
ƒ Mensikov-Mission (zeitgleich mit den Seymour-Gesprächen): Gespräche des russischen Admirals Mensikov in Konstantinopel, in denen es vordergründig um die Wiederherstellung der Religionsprivilegien
der Orthodoxen ging, dahinter verbargen sich aber weitreichende politische Forderungen (Abschluß eines russisch-osmanischen Protektoratsvertrags) → Ablehnung seitens des Sultans → Einmarsch russischer Truppen in die osmanischen Donaufürstentümer am 2. Juli, d.h. Versuch der militärischen Lösung
durch Rußland
ƒ türkische Kriegserklärung an Rußland am 4. Oktober 1853 (→ noch lokal begrenzter Krieg)
ƒ »Massaker von Sinope« am 30. November 1853: Versenkung der türkischen Schwarzmeerflotte von
russischen Schiffen im Hafen von Sinope (vgl. z.B. gleiche Aktion Englands gegen Kopenhagen in den
napoleonischen Kriegen) → Sturm der Entrüstung über den Vorfall in der englischen öffentlichen Meinung (war für den Kriegseintritt entscheidend mitverantwortlich)
ƒ Entsendung der französischen und britischen Flotten ins Schwarze Meer Ende Dezember 1853 und französisch/britische Kriegserklärung an Rußland am 27./28. März 1854 → europäischer Krieg (auch unter
Beteiligung des Kgr. Sardinien-Piemont [um die Westmächte für seine Italienpolitik zu gewinnen])
Krimkrieg 1853-1856
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⇒ Krimkrieg entsprang aus einer vielgliedrigen Kette von Fehlern, Fehlschlüssen, Mißverständnissen,
falschen Verdächtigungen und irrationalen Feindvorstellungen, weniger aus kühler Berechnung und
bösem Willen
• Preußen und Österreich hielten sich aus den Kampfhandlungen heraus:
ƒ Österreich fürchtete Unruhen und Revolutionen im Inneren bei einem großen europäischen Krieg
ƒ Preußen betrieb durch innere Schwäche und dem Gegensatz zweier sich in ihren Auffassungen widerstreitender Gruppen keine einheitliche Außenpolitik
⇒ deshalb regional begrenzter Krieg an der europäischen Peripherie und nicht auf breiter Front wie 1812
oder 1941
• Kriegsziele:
ƒ Rußland: 1. Wiedereinsetzung der orthodoxen Kirche im Osmanischen Reich, 2. Errichtung eines Protektorats über die Türkei, 3. im Falle der Aufteilung des Osmanischen Reiches die Annexion der Donaufürstentümer
ƒ Frankreich: 1. Sicherung der Interessen der katholischen Kirche im Osmanischen Reich (Streben nach
Unterstützung der Regierung Napoleons III. durch die Katholiken), 2. Revision der Ordnung von 1815
durch Europäisierung des lokalen Krimkriegs nach einem Sieg mit anschließender Neuordnung Europas
ƒ England: Stärkung der Türkei und Schwächung Rußlands (Wiederherstellung des europäischen Gleichgewichts als Vorwand)
⇒ Kriegsziele der Westmächte in den »Vier Punkten« am 8. August 1854 formuliert: 1. Aufhebung des
russischen Protektorats über die türkischen Donaufürstentümer, 2. Wiederherstellung der Freiheit der
Donauschiffahrt, 3. Zerschlagung der maritimen Macht Rußlands im Schwarzen Meer (Neutralisierung
des Schwarzen Meeres), 4. Unterstellung der Christen im Osmanischen Reich unter gemeinsamen
Schutz der europäischen Mächte
• Beendigung des Krieges:
ƒ militärische Entscheidung am 8. September 1855 durch die Erstürmung der Festung Sevastopol (Versenkung der russischen Flotte)
ƒ politische Entscheidung in 2 Kronratssitzungen des neuen Zaren Alexander II. Anfang Januar → Annahme der um einen weiteren Punkt ergänzten »Vier Punkte«
ƒ Friedenskongreß in Paris (März 1856): Friedenswerk auf der Grundlage der 5 Punkte → 1. Entmilitarisierung des Schwarzen Meeres, 2. Aufgabe des russischen Protektorats über die Donaufürstentümer (Garantie der Sicherheit durch alle Vertragstaaten), 3. Freiheit der Donauschiffahrt, 4. Gleichstellung aller
Christen mit den Muslimen, 5. Entfestigung der Årlandinseln (an der schwed. Westküste gelegen)
⇒ »auf einen begrenzten Krieg musste notwendigerweise eine begrenzte Friedensregelung folgen«
• Folgen des Pariser Kongresses:
1. Emanzipation der Donaufürstentümer (Serbien + Rumänien)
2. Weiterbestehen des Osmanischen Reiches bis 1918 durch die gegenseitige Überwachung der Großmächte
im vorderen Orient → es wird erstmals offiziell in das »Europäische Konzert« aufgenommen
3. Rußland war gezwungen, auf die militärische Niederlage zu reagieren (Schaffung einer modernen Wehrpflichtarmee → dazu Aufhebung der Leibeigenschaft)
4. Preußen profitierte von der Uneinigkeit der europäischen Mächte, von der Schwäche Österreichs und
Rußlands → Bismarck nutzte diese Konstellationen
5. Österreich geriet in der Folgezeit »zwischen alle Stühle« → 1. Interessenkollision mit Frankreich in Oberitalien, 2. Interessenkollision mit Rußland auf dem Balkan
6. England konzentrierte sich nach den geringen Erträgen des Krimkriegs vorrangig auf die Außenhandelspolitik (»splendid isolation« → Europapolitik geriet gegenüber der Durchsetzung der Interessen in den
Überseekolonien in den Hintergrund)
7. Gleichstellung von Christen und Muslimen durch das Osmanische Reich, um künftiger Einmischung der
europäischen Mächte bezüglich dieser Frage zu entgehen
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