Zum Verhältnis von Glaube und Vernunft »Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.« [1Petr 3,15] 1 Worum geht’s eigentlich? −→ Begriffsklärung 1.1 Was bedeutet »Glaube«? Hier: Glaube = religiöser Glaube + kognitive Dimension non-kognitive Dimension Für-wahr-Halten (fides qua creditur ) Vertrauen (credere Deo) + + Inhalt des Für-wahr-Haltens (fides quae creditur ) Orientierung (credere in Deum) ↓ ↓ Glaube als (inhaltliche) Überzeugung Glaube als Haltung/Habitus → Interdependenz beider Dimensionen! 1.2 Was bedeutet »Vernunft«? Wirklichkeit V ERNUNFT Überzeugungen −→ erkenntnistheoretischer Begriff Definitionklassisch Definitionmodern ↔ Substanz Disposition/Fähigkeit ↓ ↓ bei richtigem Gebrauch bei Verwirklichung ↔ ermöglicht sichere Wahrheitserkenntnis (= Wissen) ermöglicht rationales Verhalten ↓ ↓ ↔ Organ sicherer Wahrheitserkenntnis Potential rationalen Verhaltens 1 1.3 Wie wird das Verhältnis von Glaube und Vernunft bestimmt? Verhältnisbestimmung hängt vom jeweiligen Vernunftbegriff ab! → substantialistisches Vernunftsverständnis dispositionelles Vernunftsverständnis ↓ ↓ → klassische Modelle moderne Entwürfe 2 Die klassischen Modelle: Klassischer Rationalismus contra Fideismus substantialistisches Vernunftsverständnis =⇒ 2.1 Klassischer Rationalismus Annahme #1: Menschen können die Wahrheit erkennen. Annahme #2: Menschen können mit Sicherheit erkennen, dass sie die Wahrheit erkannt haben. −→ die Vertretung einer Überzeugung gilt genau dann als rational, wenn für die Überzeugung ein Beweis erbracht werden kann. −→ der Glaube an die Existenz Gottes ist genau dann rational, wenn für die Existenz Gottes ein Beweis erbracht werden kann. −→ rational vertretbarer Glaube = Wissen Scheitern der klassischen Gottesbeweise (−→ 2. Sitzung) 2.2 Fideismus Glaube muss sich nicht vor der Vernunft rechtfertigen −→ Glaube ist übervernünftig (moderate Version) / widervernünftig (radikale Version) −→ (Über)Betonung der non-kognitiven Dimension 2.3 ... und was sagt die Katholische Kirche? »weder - noch«/»sowohl - als auch« −→ Dogmatische Konstitution Dei Filius: klassischer Rationalismus Fideismus Verurteilung, weil ... Befürwortung, weil ... Aufhebung der Theologie Gott kann gewiss erkannt werden in Philosophie mit dem natürlichen Licht der Vernunft. Trennung von Theologie Offenbarungswahrheiten und Philosophie haben übernatürlichen Charakter. Muss angesichts der Nicht-Beweisbarkeit die Irrationalität des Glaubens eingeräumt werden? 2 3 Erkenntnistheorie als »Rettung« Annahme #2: Menschen können mit Sicherheit erkennen, dass sie die Wahrheit erkannt haben. ←− sog. Münchhausen-Trilemma des Begründungsdenkens (Hans Albert) =⇒ dispositionelles Vernunftsverständnis: »Unsere Situation ist immer die eines schwarzen Mannes, der in einem schwarzen Keller nach einem schwarzen Hut sucht, der vielleicht gar nicht dort ist. Das ist unsere Situation: ganz ernst. Wir sind dauernd Nicht-Wisser. [...] Was wir haben, bestenfalls haben, ist Vermutungswissen: Das ist alles, was wir haben können.« [K. Popper] ⇓ 4 alternative/moderne Entwürfe für »Rationalität« Kreisen um Annahme #1: Menschen können die Wahrheit im Sinne der Übereinstimmung mit den Tatsachen erkennen. Menschen können nur niemals mit Sicherheit erkennen, d.h. wissen, ob sie die Wahrheit erkannt haben. (= Unhaltbarkeit von Annahme #2 bedeutet nicht die Unhaltbarkeit von Annahme #1, d.h. Gewissheit ist nicht konstitutiv für Wahrheitserkenntnis.) Ja Nein = = erkenntnistheoretischer Realismus erkenntnistheoretischer Anti-Realismus ↓ ↓ universale Rationalitätskriterien Verabschiedung universaler Rationalitätskriterien Redefinition von Wahrheit Probabilismus, Kritischer Rationalismus Pragmatismus, Relativismus 5 Das kritizistische Rationalitätsmodell Wirklichkeit Annahme #0: ? Überzeugungen Eine Überzeugung ist genau dann wahr, wenn sie mit den Tatsachen übereinstimmt. (Korrespondenztheorie der Wahrheit) Annahme #1: Menschen können die Wahrheit erkennen. (Erkenntnistheoretischer Realismus) 3 Annahme #2: Menschen können niemals mit Sicherheit erkennen, ob sie die Wahrheit erkannt haben. (Fallibilismus) Neu! =⇒ neues Kriterium für Rationalität: Bewährung in der Kritik »Die richtige Antwort auf meine Frage: ›Auf welche Weise haben wir Aussicht, Irrtum zu erkennen und auszuschalten?‹ scheint mir zu sein: ›Durch Kritik an den Theorien und Vermutungen anderer und durch Kritik an unseren eigenen Theorien und Lösungsversuchen.‹ Diese Antwort fasst eine Einstellung zusammen, die man ›Kritischen Rationalismus‹ nennen könnte.« [K. Popper] Prinzip #1 Wir können nie wissen, ob wir die Wahrheit erkannt haben. Wenn du aber willst, dass ich deine Überzeugung für rational vertretbar, d.h. für möglicherweise wahr, halte, zeig mir, dass diese Überzeugung (1) nicht überflüssig ist, d.h. dass sie die Lösung eines gegebenen Problems darstellt (explikatives Kriterium) und (2) in sich schlüssig ist (Kriterium der logischen Konsistenz ) und (3) der Erfahrung nicht widerspricht (Kriterium der logischen Kohärenz )! Prinzip #2 Ich kann mich grundsätzlich irren. Um der objektiven Wahrheit näher zu kommen, brauche ich also dich, damit du mir hilfst, meine Irrtümer aufzudecken. Fazit oder Warum eine kritisch-rationale Theologie? Pro Contra 3 Beweislast entfällt (→ Prinzip #1) 7 Gewissheit geht verloren Wenn die Theologie zeigen kann, dass der Glaube (→ Annahme #2) (1) eine Erklärungskraft besitzt und Man kann nicht gleichzeitig (2) in sich schlüssig ist und Kritischer Rationalist sein (3) der Erfahrung nicht widerspricht, und gilt der Glaube an Gott grundsätzlich als rational. auch nur in einem bestimmten Bereich → Theologie hat Anspruch auf Wissenschaftlichkeit die Möglichkeit des Irrtums 3 Notwendigkeit des Dialogs wird ausschließen! theoretisch begründet (→ Prinzip #2) 4 Prüfungsfragen Unterrichtsfach - Ist die Existenz Gottes beweisbar? Diskutieren Sie Argumente für die Existenz Gottes im Hinblick auf die Frage nach der Vernünftigkeit des Glaubens an Gott! (H2004) - Rationalismus und Fideismus. Die Auseinandersetzung des Ersten Vatikanischen Konzils mit der Moderne (H2005) - Erläutern Sie, inwiefern der christliche Glaube vernünftig ist und wie Glaube und Wissen aufeinander bezogen werden können! (F2006) - Erläutern Sie den Begriff »Glauben« unter Bezugnahme auf das Erste und Zweite Vatikanische Konzil, und beschreiben Sie das Verhältnis von Glaube und Wissen! (H2006) - Im Christentum geht es um »die Begegnung zwischen Glaube und Vernunft« (Papst Benedikt XVI. in Regensburg 2006). Welche Bedeutung hat die Vernunft für den Glauben? (H2007) - Warum hat der christliche Glaube vernünftig zu sein? Welche methodische Konsequenzen ergeben sich hieraus für Theologie und Verkündigung? (H2008) - Rationalität und Gottesglaube - Ist es vernünftig, an Gott zu glauben? (F2009) LA vertieft - Fundamentaltheologie ist Verantwortung des Glaubens vor der Vernunft. Erläutern Sie diese Aufgabe vor allem auch im Blick auf neuere kirchliche Dokumente (z.B. Fides et ratio von Johannes Paul II.)! (F2005) - Wie beschreibt die Enzyklika Fides et ratio das Verhältnis von Glaube und Wissen? (F2006) - »unvernünftig zu handeln, das ist dem Wesen Gottes zuwider« (Papst Benedikt XVI. in Regensburg 2006). Wie wird die Theologie dieser Aussage gerecht? (H2007) 5