Wechsellied der Zaunkönige

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„Männer beziehen ihr Wissen über
Frauen oft von ebenfalls
schlecht informierten Freunden.“
ner zeigen, was er tun soll. Und allein wird
er es nie herausfinden.“
Oft erlebe er unerwartete Offenbarungen, bisweilen aber auch Haarsträubendes,
wenn Paare in seiner Praxis zum ersten
Mal versuchten, miteinander über ihre Sexualität zu sprechen. „Im Sexuellen ist ja
der eine das Werkzeug des anderen. Man
muss sich gegenseitig dirigieren und anleiten lassen. Vor allem Männern fällt das
schwer.“ Manche kommen deshalb erst gar
nicht mit.
Dabei hängen viele Sexualprobleme
nach Sievers’ Beobachtung damit zusammen, dass den meisten Männern ein grundlegendes Verständnis der weiblichen Sexualität fehle. Ihr Wissen beziehen die
meisten von ebenfalls schlecht informierten Freunden oder aus Pornofilmen. „Und
da“, sagt Sievers, „werden ja komplett
falsche Vorstellungen über die sexuellen
Bedürfnisse von Frauen vermittelt.“
Als Mensch mit Pioniergeist denkt Sievers deshalb schon darüber nach, eine entsprechende Fortbildung anzubieten, beim
Frauenarzt, von Mann zu Mann.
Beate Lakotta
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B. COLE / WILDLIFE
reits ein kleiner Tupfer eines testosteronhaltigen Gels, aufzutragen auf die Klitoris.
Viel hängt auch davon ab, wie gut das
Gewebe während der Erregung durchblutet
ist: je stärker, desto mehr Flüssigkeit tritt
aus den Gefäßen. Bei älteren Patientinnen
mit Bluthochdruck und Arteriosklerose
oder bei Raucherinnen nimmt die Durchblutung ab. Klitoris und Schamlippen können nicht mehr so gut anschwellen, weniger
Feuchtigkeit tritt aus. Rührt das Orgasmusproblem einer Frau daher, kann es sinnvoll
sein, den Einsatz von Viagra zu testen –
wenn sie möchte, in der Arztpraxis.
Für Frauen, die keine Medikamente
nehmen wollen, wurde in den USA eine
Vakuumpumpe entwickelt, mit der sich die
feinen Gefäße in der Klitoris trainieren lassen. Dazu wird ein weicher Saugnapf auf
die Klitoris aufgesetzt. Das medizinische
Hilfsmittel, etwa so groß wie ein Rasierapparat und ähnlich geräuschvoll, ist beim
Liebesspiel zu benutzen, oder die Patientin trainiert morgens die Gefäße mit der
Pumpe und abends mit dem Partner.
Die meisten Frauen, sagt Sievers, gingen sehr mutig und pragmatisch mit all diesen Dingen um. Es seien nur wenige, die
gar nicht wüssten, wie sie sich selbst zum
Orgasmus bringen können, dies aus religiösen Gründen ablehnten oder keine Vorstellung davon hätten, wie ihre Genitalien
aussehen. In solchen Fällen empfiehlt Sievers entsprechende Lektüre: „Wenn eine
Frau nicht bereit ist, ihren Körper selbst zu
erforschen, kann sie unmöglich ihrem Part-
Pottwal-Gruppe: Rhythmisches Geklicke der Ozeanriesen
TIERE
Wechsellied der Zaunkönige
Auch Tiere musizieren: Vögel, Affen und Wale
singen in Chören oder im Duett. Forscher vermuten, dass
die Konzerte Pärchen enger zusammenschweißen.
D
as erste Gezwitscher, das an jenem
nebligen Oktobermorgen auf 3500
Meter Höhe in den ecuadorianischen Anden erklang, kam vom Band.
Doch wenige Minuten später sah sich der
Ornithologe Nigel Mann von höchst realen
Vögeln umzingelt: Überall plusterten sich
auf den Zweigen ringsum rotbraune
Zaunkönige und tirilierten sich die Seele
aus dem Leib.
In furiosem Presto flöteten die aufgeregten Tiere ein Lied in vier Strophen,
ohne jede Pause wechselten sich dabei die
Chöre der Männchen und der Weibchen
ab. So präzise waren Tonhöhe und Tempo
abgestimmt, dass es klang, als sänge ein
einziger Vogel. Die Revierinhaber versuchten mit ihrem Konzert die vermeintlichen Eindringlinge zu vertreiben, die der
Vogelkundler Mann ihnen auf dem Band
vorgespielt hatte.
Der Forscher konnte sein Glück kaum
fassen: „Es war der wohl komplexeste
Gruppengesang, der aus dem Tierreich bekannt ist.“ Nun verblüfft Mann die Fachwelt mit einem Aufsatz, in dem er das makellose Wechsellied der Fraser-Zaunkönige
vorstellt. Das Interesse seiner Kollegen ist
ihm gewiss, denn koordinierte Gesänge
im Tierreich ziehen immer mehr Wissenschaftler in ihren Bann.
Nach derzeitigem Forschungsstand sind
einzig Vögel, Affen und Wale fähig zu konzertanten Darbietungen. Nur drei Prozent
aller Vögel, das sind gut 200 Arten, singen
im Duett. Nur von einer Hand voll ist bed e r
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kannt, dass sie sich auch zu Chören formieren. Kein anderer Vogel erreicht dabei
die perfekte Synchronisation der FraserZaunkönige.
Doch auch Affen haben musikalisches
Talent. Immerhin zwölf Prozent aller Arten
stimmen Duette an. Die schönsten stammen aus den Kehlen der Gibbons, die oft
betörende Pfeifkonzerte hervorbringen.
Die Musikalität der Wale wiederum war
den Forschern lange entgangen. Erst vor
wenigen Jahren stießen sie auf Hinweise
auf koordinierte Klänge im Ozean.
„Hinter der Erforschung der Tiergesänge steht ein bisschen der alte Traum, die
Kommunikation der Tiere zu entschlüsseln“, sagt der französische Bioakustiker
Michel André, der an der polytechnischen
Hochschule Barcelona die Signale von
Pottwalen untersucht. Vor allem aber gehe
es darum, die soziale Funktion der Tierkonzerte zu verstehen, fügt Ornithologe
Mann hinzu, der an der New York State
University lehrt.
Zunächst fällt auf, dass fast alle duettierenden Vögel in den Tropen leben. Das
liegt schon daran, dass in gemäßigten Klimazonen meist nur die Männchen verantwortlich für Revierverteidigung und Partnerwerbung sind. In den Tropen dagegen
verteidigen auch viele Weibchen mit eigenem Gesang ihr Revier. Zudem singen die
Weibchen im monotonen Tropenklima, das
keine Frühlingsgefühle weckt, wohl auch,
um mit den Männchen das Paarungsverhalten zu synchronisieren. Denn das An-
Wissenschaft
stimmen. Das schweißt zusammen, denn:
„Einen Partner zu verlassen scheint nicht
sehr attraktiv, weil Duette neuer Paare
weithin hörbar schlecht koordiniert sind“,
sagt Gibbon-Experte Geissmann. Und wer
beim Zwiegesang patzt, muss um Partner
oder Revier fürchten.
Wie eng Duettkunst und Partnerbindung
zusammenhängen, wollen Mann und seine
Kollegen jetzt auch an den rund 30 Zaunkönigarten Lateinamerikas untersuchen.
Tatsächlich deuten die Befunde bisher darauf hin, dass Arten, bei denen Männchen
und Weibchen sich gleichermaßen um Revierverteidigung, Brüten und Futtersuche
kümmern, mit besonders gut abgestimmten Zwiegesängen brillieren. Arten dagegen, bei denen die Geschlechterrollen eher
getrennt sind und das Männchen sich
wenig um den Nachwuchs schert,
duettieren weniger harmonisch:
„Mehr Pausen, mehr Strophenüberlappungen, weniger synchron“,
moniert Mann.
Nur wenig beforscht wurde bisher die Lautkoordination bei Pottwalen. Auffällig jedoch ist, dass
gerade diese Wale in besonders festen sozialen Verbänden leben. Jedes
Mitglied sendet einen nicht angeborenen und individuellen Rhythmus von Klicklauten. Lange vermochten die Forscher im Geklicke
der Ozeanriesen nichts als wirre
Kakophonie zu erkennen. AkustiFraser-Zaunkönig: Vier Strophen in furiosem Presto ker André aber hat bei der Beobachtung einer Zwölfergruppe vor
rungssuche, Jungenaufzucht und Revier- den Kanaren herausgefunden, dass alle
markierung.“ Oft zeigen sich die Paare in Tiere ihren Rhythmus nach dem erfahromantischer Pose: nebeneinander auf ei- rensten Herdenmitglied ausrichten. „Je
nem Ast sitzend, die langen Schwänze um- älter Pottwale werden, desto mehr vereinandergeringelt und obendrein einträch- langsamt sich ihr Lautausstoß“, erläutert
der Wissenschaftler.
tig im Duett singend.
Der gemächlichste Rhythmus gebe den
Ihr Gesang besteht vor allem aus Bellen,
Schreien und Hecheln. Männchen und Takt für alle anderen vor. Durch diese
Weibchen verfügen dabei über das gleiche Signalabstimmung gelinge es dem VerRepertoire. Anders als Vögel erlernen sie band, den Standort aller Gruppenmitgliees nicht durch Imitation. Es ist ihnen of- der zu orten und Richtungswechsel gefenbar, wie allen singenden Affen, ange- meinsam vorzunehmen – ein schwieriges
boren. Ein Springaffen-Duett geht etwa so: Unterfangen, da Pottwale sich bei der FutDie Eröffnung besteht aus einem lautstar- tersuche auf 15 Kilometer und bis zu 3000
ken Stöhnen des Männchens. Dann bellt Meter tief in den Weiten des Meeres verdas Weibchen Strophe A, während das teilen. Dass auch andere Walarten ihre
Männchen gleichzeitig Strophe B intoniert. Laute ähnlich aufeinander ausrichten, hält
Es folgt ein kurzes Intermezzo, während André für wahrscheinlich.
Nur eine Gruppe von Tieren ist der Wisdessen beide gemeinsam hecheln, bis
schließlich das Weibchen Strophe B er- senschaft bekannt, die im Duett singt, ohne
schallen lässt und das Männchen Strophe dass damit komplexe soziale Strukturen
A. Die rund dreiminütige Darbietung er- einhergehen: Einige Heuschrecken zirpen
folgt regelmäßig und oft mehrfach im Mor- mitunter in wohlgeordnetem Wechsel. Das
gengrauen an der Reviergrenze. „Damit Ziel ist hier offenbar schlicht einmalige
will das Paar gleich bei Tagesanbruch klar- Kopulation.
Warum da vorher musizieren? Ein
stellen: Wir sind noch da und bewachen
Grund könnte die gute Tarnung der Heuunser Areal“, erklärt Dingess.
Duettmeister im Affenreich aber sind schrecken sein, meint der Göttinger Zoodie Siamang-Gibbons. Männchen und loge Andreas Stumpner. „Wenn sie nicht
Weibchen beherrschen ein unterschiedli- sängen, würden sie ihren Partner wahrches Repertoire. Frischgepaarte Siamangs scheinlich gar nicht sehen.“
müssen ihre Strophen erst aufeinander abKatharina Kramer
Affenwelt zusammen. „Die Evolution des
Gesangs und des Duettierens geht bei den
Primaten mit der Evolution der Monogamie einher“, konstatiert Thomas Geissmann vom Anthropologischen Institut der
Universität Zürich. Sämtliche singenden
Affenarten nämlich sind monogam: von
den Gibbons in Südostasien über die Indris
auf Madagaskar, die Springaffen in Südamerika bis zu den nachtaktiven riesenäugigen Koboldmakis auf der indonesischen Insel Sulawesi.
Eine besonders innige Zweierbeziehung
pflegen die Weißohrigen Springaffen.
„Männchen und Weibchen machen fast
alles zusammen“, berichtet Anthropologin
Kimberly Dingess von der Indiana University, die den Tieren in der Natur nachspürt. „Das gilt gleichermaßen für Nah-
KIMBERLY DINGESS
NIGEL MANN
stimmen von Duetten stimuliert offenbar
die Sexualhormone.
Vor allem aber scheint der gemeinsame
Wechselgesang den Zusammenhalt von
Paaren und Gruppen zu stärken – und dies
ist besonders in den Tropen von Bedeutung. Die Fraser-Zaunkönige etwa leben
ganzjährig in Gruppen. Und auch die
Männchen und Weibchen vieler anderer
Arten verbringen das ganze Jahr oder sogar das ganze Leben zusammen, während
in den gemäßigten Breiten die meisten
Vogelpartnerschaften nur für einen Sommer währen.
Die lange Gemeinsamkeit gibt den Tropenvögeln viel Zeit, komplexe Gesänge
einzuüben – und das ist beispielsweise bei
den Fraser-Zaunkönigen auch nötig: Sie
singen abwechselnd, synchron und vier
Weißohriges Springaffen-Paar
Erst stöhnen, dann bellen, dann hecheln
Strophen pro Lied. Obendrein hat jedes
einzelne Tier rund 20 Strophen im Repertoire. Welche Strophe an der Reihe ist, gibt
derjenige Vogel vor, der als erster singt;
danach halten sich seine Artgenossen an
die eingeübte Strophenabfolge. Mit ihrem
einträchtigen Massenchor wollen die
Zaunkönige offenbar nachdrücklich Einheit demonstrieren und Eindringlinge einschüchtern.
Noch offensichtlicher als bei den Vögeln
hängen Gesang und Sozialstruktur in der
d e r
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