Tantrischer YOGA des Non-Dualismus: DER DIREKTE WEG E ric Baret, ein ehemaliger Boxer, kam durch den Unterricht von Jean Klein mit der Tradition der Non-Dualität in Berührung. Eric hat die non-dualistische Tradition des kaschmirischen Shivaismus nach Jean Klein über dreißig Jahre erforscht. Er hat mehrere Bücher geschrieben („Le seul désir. Dans la nudité du tantra”, „Corp de silence, corp de vibration“, “De l’abandon“ und „Les crocodiles ne pensent pas“). Er teilt sein, wie er sagt, „Nicht-Wissen“ bei informellen Zusammenkünften und bei Yoga-Fortbildungen in Europa, Kanada und den USA. Vom 04. bis 06. September wird er in Berlin bei seinem ersten Deutschlandbesuch Vorträge halten und eine Yoga-Weiterbildung geben. D ie folgenden Antworten gab er Teilnehmern seiner Gesprächsrunden auf ihre Fragen. 110 Ich habe Sie bei einem Talk mit dem Titel „Das Wasser fließt nicht“ kennengelernt. Was bedeutet dieser Titel? Eric Baret: Das ist ein poetischer Ausdruck. Im Grunde genommen soll es gar nichts bedeuten. Auf mentaler Ebene ausgedrückt, heißt es, dass das Bewusstsein in seine eigene Manifestation nicht involviert ist. Was ist Yoga für Sie? Er ist eine Öffnung. Man sagt dir nicht, wohin du dich ausrichten sollst, sondern vielmehr, wie deine Wahrnehmung sich vollkommen ausdrücken kann. Mit Ihnen hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, zu spüren, was Yoga ist. Darin liegt eine solche Süße. Die Hatha-YogaPraktiken, die ich kannte, zielen darauf ab, Spannungen zu beseitigen, Stress abzubauen etc. Aber der Yoga der NonDualität, den Sie unterrichten, hat mit den im Westen August | September 2015 Yo g a A k t u e l l ÜBERSETZUNG n NINA HAISKEN Eric Baret entdeckte den nondualistischen Yoga durch den bekannten Tantriker Jean Klein und zählt heute selbst zu den erfahrensten Vertretern dieses Weges. In YOGA AKTUELL spricht er über die Kunst der Offenheit in einem Feld ohne Wissen, über den Unsinn des Ankämpfens gegen innere Spannungen und über die menschliche Angst vor den eigenen Empfindungen Yogaphilosophie a Der direkte Weg unterrichteten Formen des Yoga wenig zu tun, oder? Die Tendenz, die Betonung auf die Spannungen zu legen, ist Teil dessen, was man in Indien als den „progressiven Weg“ bezeichnet, d.h. als den Weg der Reinigung. Auf den progressiven Wegen verfolgt man gewissermaßen die Idee, dass die Schöpfung vom Schöpfer getrennt ist. Bei einer direkten Vorgehensweise hingegen kann man den Blickpunkt für den Moment auf gewisse Knoten, gewisse Widersprüche lenken. Den Fokus darauf zu legen, bedeutet in diesem Fall, die Knoten aus einer Perspektive des Lauschens heraus, aus der Stille heraus aufzulösen. Körper und Geist jedoch systematisch reinigen zu wollen, ist Gewalt, ist eine Projektion der Zukunft. Der Yoga vollzieht sich ganz im Gegenteil dazu im gegenwärtigen Augenblick. Es gibt weder etwas zu erwarten Bhairava aus Ton, 16. Jh., Nepal, Private Sammlung. Solche Bhairava-Köpfe findet man am Eingang kleiner Pashupati-Tempel. Sie haben einen Ausdruck des Erstaunens, der Verblüffung und der Innenschau. noch zu finden. Das, was man ist, war schon immer da. Man blickt den Gegebenheiten ins Angesicht, die allmählich ihren isolierten, begrenzenden Charakter verlieren. In dieser Sichtweise, die nichts erwartet, lassen dich die beobachteten Gegebenheiten, ob es sich nun um körperliche Empfindungen oder um andere Elemente handelt, Verbindungen mit ihrer Umgebung entdecken, die du bislang noch nicht erkannt hattest. Eine Spannung oder Blockade, die sich mit ihrer Umgebung vernetzt, ist keine Blockade mehr, weil Blockaden Trennungen sind. Gegen eine Spannung anzukämpfen, hat nur eine Verschiebung zur Folge. Das ist ein Teufelskreis. Man verbringt dann das ganze Leben damit, sich zu entspannen. Das ist ein Fehler in der Wahrnehmung. Im klassischen Sinne ist Yoga die Kunst, von sich selbst aus zu sterben. Heutzutage wird er aber häufiger als eine Technik beschrieben, besser zu leben. Einen Knoten zu lösen, um die Empfindsamkeit zu erhöhen, ist in manchen Fällen gerechtfertigt. Aber um jeden Preis und mittels einer Disziplin zu versuchen, sämtliche Widerstände des Körpers und des Geistes aufzuheben, ist nichts als Gewalt. Nur ein Gewahrwerden ohne jegliche Gewalt kann eine Spannung wahrhaft auflösen, und nicht ein willkürliches Eingreifen, das durch eine Absicht genährt wird. Die Kunst, unsere wahre Natur durch eine rituelle körperliche Praxis zu zelebrieren, sprich: Asana, ist nur wenig bekannt. Oft reduziert sich die Praxis der Haltungen auf eine mehr oder weniger intelligente Gymnastik. Man versucht, dem Körper ein externes, willkürliches Schema aufzuzwängen, und denkt, man würde ihn damit reinigen. Diese Haltung, die in der Vorstellung besteht, dass man von einem auf alle schließen kann, ist eigentlich nichts als eine Schutzvorkehrung und bleibt immer auf der Ebene des Erinnerns, im Bereich des schon Bekannten. Die kaschmirische Kunst hingegen erkennt die Priorität des Archetypen für den Körper an. Es geht also nicht darum, etwas zu „schaffen“ und in einer relativen Domäne endlich diese oder jene Pose zu halten, sondern vielmehr darum, sich aller Einschränkungen und Blockaden sowie des uns innewohnenden Mangels an Sensibilität, der unsere echte Körperlichkeit verdeckt, bewusst »Vergiss das „Warum“ und gib dich einzig der Empfindung hin.« Chamunda, Stein, 10. Jh., Madhya Pradesh, Indien, Private Sammlung. Die Meditation über diese Form ist den Asketen und Weltentsagenden vorbehalten, denn Chamunda zerstört mit ihrer schrecklichen Stimme alles, was sich anhaftet. Ein Hindu trägt niemals eine Chamunda bei sich, es sei denn, er ist durch das Verbrennen aller Fesseln an die Frequenz der großen Zerstörerin gewöhnt. zu werden. Eine Haltung öffnet eine Türe zu höheren Ebenen der Wahrnehmung, wo es möglich wird, bestimmte subtile Ausdrücke des Bewusstseins deutlich zu erahnen. Die Kreativität des Augenblicks, die sich in traditionellen Gesten kanalisiert, zieht eine nachhaltige „Leerung“ von allen Ausdrucksformen, von allen Verteidigungsmechanismen nach sich, bis die natürliche Transparenz des Körpers wiedergefunden ist. Yo g a A k t u e l l Welchen Zweck haben die Körperübungen? Wenn du dich von der Erforschung des Körperlichen angezogen fühlst, dann folg dieser Anziehungskraft. Wenn nicht, dann zwäng dir nichts auf. Das Wichtige ist die Entdeckung – allerdings gibt es nichts zu entdecken. Der Zweck des Yoga ist, sich in dieser Offenheit zu befinden, ohne zu wissen. Die erwachende Energie, die sich beim Üben zeigt, ist dafür da, um das Lauschen zu enthüllen. Für sich selbst genommen hat das Üben wenig Wert. Das Entscheidende ist, vollständig auf der Ebene der Empfindung zu bleiben. Das ist die einzige Art und Weise, die mentale Funktion hinter sich zu lassen. Die mentale Aktivität behindert nämlich die Öffnung. Das körperliche Üben hilft, die Gedanken zu reduzieren. In dem Maße, wie Gedanken vorhanden sind, gibt es Einschränkungen. Wenn du dich dem körperlichen Empfinden hingibst, denkst du nicht mehr. Den Körper in einem Gefühl von Schwere, von Beengung, von Angst zu halten, ist mental. Sich der Entspannung hinzugeben, ist organisch. Um sich zu entspannen, gibt es nichts zu tun. Das Tun oder „Machen“ führt ja gerade zu Spannung. Zu fühlen, ist keine Handlung. Es handelt sich dabei um ein Beobachten dessen, von dem wir permanent ergriffen werden. Schon seit einigen Jahren bin ich mir über meine inneren Spannungen bewusst. Aber wie kann man sich ihnen nähern? Bleib ohne psychologische Beziehung zur Spannung. Eine Spannung ist eine Empfindung. Beseitige jegliche persönliche Verbindung mit der Spannung, andernfalls bleibt sie ein Konzept. Wenn du nicht in Erklärungen, in Rechtfertigungen, August | September 2015 111 Yogaphilosophie a Der direkte Weg in Verurteilungen oder in das Bedürfnis, die Spannung zu verstehen, eintauchst, bleibt nur eine Wahrnehmung, eine Empfindung übrig. Konzentriere dich nicht auf die Spannung; spüre vielmehr die Offenheit, die der Spannung Stück für Stück erlaubt, sich auszudrücken. Wenn du einer Spannung lauschst, dann findet sie Ausdruck und verändert sich. Wenn sie oberflächlich ist, wird sie sich sehr schnell an der Oberfläche zeigen und verschwinden. Wenn es sich um einen tiefen Knoten handelt, wird das Lauschen vielleicht nicht ausreichen. Man muss dann also zu einer aktiveren Vorgehensweise übergehen, indem man sich einer der Spannung gegenüberliegenden Region gewahr wird. Du kannst Klang, Farbe, Geschmack und Gefühl nutzen. Du kreierst eine große Plastizität in der Wahrnehmung dieser Region. Bei einer Spannung in der Lendengegend beispielsweise lenkst du die Aufmerksamkeit auf den Bauch. Du fühlst seine strahlende Schwingung, und von dort aus erlangst du Zutritt zur angespannten Region. Eine Spannung wird permanent neu erzeugt. Sie hat sich nicht einmal aufgebaut und bleibt dann so. Wenn sich die körperliche Empfindsamkeit entwickelt, geht die Spannung früher oder später weg. 1/2 Warum fürchten sich Menschen davor, ihren Empfindungen zu lauschen? Empfindungen stellen das Bild in Frage, das man von sich selbst hat – das in Sicherheit wiegende Konzept von jemandem, der etwas „erfährt“, wird durch das tägliche Leben in Frage gestellt. Da ist die Angst, zu entdecken, dass die Person, die man zu sein vorgibt, gar nicht real ist. In einem Zustand der Öffnung existiert keine Person, die offen ist. Vergiss das „Warum“ und gib dich einzig der Empfindung hin. Wie stellt sich die Beziehung zwischen Empfindungen und 112 Yo g a A k t u e l l Mahakala, vergoldetes Kupfer, 6. Jh., Nepal, Private Sammlung. Ähnlich wie die Darstellung auf dem Durbar-Platz in Kathmandu (bis auf die Ausrichtung: Der dortige Bhairava zeigt nach links, diese Statue jedoch nach rechts). Die buddhistische Kreativität hat Bhairava, die schreckliche Form Shivas, den Zerstörer des Todes, adaptiert. Liebe dar? Ist die Empfindung die Präsenz selbst? Die Liebe ist der Raum, in dem die Empfindung frei werden kann; der Raum, in dem sie empfangen wird. Die Liebe ist kein Konzept, sondern der ultimative Beweis des NichtVerschiedenseins. Die Liebe ist Nicht-Trennung, das Sich-einsFühlen mit der Wahrnehmung. Ist es korrekt, dass der Ansatz, den Sie zum Ausdruck bringen, durch Ihren langjährigen Lehrer Jean Klein zu Ihnen gekommen ist, also dass Sie ihn sozusagen durch seinen Einfluss geformt haben? Sagen wir, dass die Formulierung, die ich aus seinem Munde gehört habe, mir so angebracht, so geprägt von der Stille erschien, dass ich ihr nicht widerstehen konnte. Termin: Vom 04. bis 06. September ist Eric Baret zu Gast in Berlin. Infos und Reservierung über: [email protected] www.bhairava.ws