Patienteninformation - Institut für Allgemeinmedizin der

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 Liebe Patientinnen und Patienten, liebe Angehörige, Sie nehmen den Gerinnungshemmer Phenprocoumon ein (z.B. Macumar®, Falithrom®, Phenpro.‐ratiopharm®, Marcuphen‐CT®, Phenprogamma®) oder sind pflegender Angehöriger eines Patienten, der Phenprocoumon einnimmt. Ziel der Broschüre ist es, die Therapie mit Phenprocoumon sicherer und wirkungsvoller zu machen, sowie häufig auftretende Fragen zu beantworten. 1
Inhalt 1. Weshalb nehme ich Phenprocoumon ein? 2. Welches Risiko soll die Einnahme von Phenprocoumon für mich senken? 3. Wie lange muss ich voraussichtlich Phenprocoumon einnehmen? 4. Wie häufig sollte die Blutgerinnung in der Regel kontrolliert werden? 5. In welchem Bereich sollte meine Blutgerinnung liegen? 6. Muss ich bei der Einnahme von Phenprocoumon eine spezielle Ernährungsvorschrift einhalten? 7. Welche Lebensmittel enthalten in üblicher Verzehrmenge besonders viel Vitamin K? 8. Wie lange sollte ich eine vergessene Einnahme von Phenprocoumon nachholen? 9. Woran merke ich, wenn meine Blutgerinnung nicht ausreichend gehemmt ist? 2 10. Was kann die Wirkung von Phenprocoumon wesentlich verstärken oder abschwächen? 11. Welches freiverkäufliche Schmerzmittel ist bei Einnahme von Phenprocoumon am sichersten? 12. In welchen Situationen sollte ich am selben Tag noch eine Ärztin/einen Arzt kontaktieren? 13. Wann sollte ich darauf hinweisen, dass ich Phenprocoumon einnehme? 3
1. Weshalb nehme ich Phenprocoumon ein? Blut fließt durch unseren Körper und transportiert Sauerstoff und Nährstoffe. Dazu muss es flüssig sein. Wenn man sich verletzt, blutet die Wunde bis das Blut gerinnt und die Wunde verschließt. Könnte das Blut nicht gerinnen, würde man verbluten. Andererseits können sich spontan Blutgerinnsel bilden, die schlimme Folgen haben können; beispielsweise einen Schlaganfall (Verschluss eines Blutgefäßes im Gehirn). Bei bestimmten Herz‐Rhythmus‐
Störungen (Vorhofflimmern), künstlichen Gefäßprothesen und künstlichen Herzklappen ist das Risiko zur Bildung von Blutgerinnseln erhöht. Phenprocoumon beugt dem vor. Zweithäufigster Grund für den Einsatz von Phenprocoumon sind Thrombosen (Verschlüsse von Venen), meist der Beinvenen oder Lungenembolien (Verschluss der Lungenarterie). Hier soll die Gerinnungshemmung verhindern, dass erneut eine Thrombose auftritt. 2. Welches Risiko soll die Einnahme von Phenprocoumon für mich senken? Die Einnahme von Phenprocoumon verhindert die Bildung von Blutgerinnseln und senkt das Risiko eines Schlaganfalls, einer Thrombose/Lungenembolie oder eines Herzinfarktes. 3. Wie lange muss ich voraussichtlich Phenprocoumon einnehmen? Das hängt davon ab, weshalb Sie Phenprocoumon einnehmen. Patienten mit Vorhofflimmern, künstlichen Herzklappen oder mehreren Thrombosen müssen Phenprocoumon ein Leben lang einnehmen. Bei Patienten mit einer Thrombose reicht in der Regel eine Einnahme von 6 Monaten bis zu einem Jahr. 4 4. Wie häufig sollte die Blutgerinnung in der Regel kontrolliert werden? Im Allgemeinen sollte die Blutgerinnung alle 4 bis 6 Wochen kontrolliert werden. Wenn Ihre Werte stark schwanken, empfiehlt es sich Ihre Blutgerinnung häufiger kontrollieren zu lassen. Auch in speziellen Situationen, wie z. B. bei akuten Erkrankungen, ist es ratsam, häufigere Kontrollen durchzuführen. Dabei wird die sogenannte INR (International Normalized Ratio) gemessen. Sie gibt an wie viel länger als normal das Blut braucht, um zu gerinnen. Eine ältere, aber noch verbreitete Einheit ist der sogenannte Quick‐Wert, bei dem die Gerinnungsfähigkeit in Prozent angegeben wird. Welche Einheit bei Ihnen verwendet wird, entscheidet Ihre Ärztin/Ihr Arzt. 5. In welchem Bereich sollte meine Blutgerinnung liegen? Das hängt ganz davon ab, aus welchem Grund Sie Phenprocoumon einnehmen müssen. Der Zielbereich wird je nach vorliegender Erkrankung festgelegt. Meist wird ein INR‐Wert zwischen 2,0 und 3,0 angestrebt, das entspricht in etwa einem Quick‐Wert von 25 bis 35%. Patienten mit künstlichen Herzklappen profitieren oft von höheren INR‐Werten, (also niedrigeren Quick‐Werten). Aber auch hier gibt es weitere Ausnahmen: Ihren INR‐Zielbereich sollten Sie unbedingt kennen. Ihre Ärztin/Ihr Arzt teilt Ihnen diesen zu Beginn der Behandlung mit. Steigende Thrombosegefahr Therapeutischer Bereich Medikamentös richtig eingestellt Steigende Blutungsgefahr INR 1,1 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 4,5 5,0 INR Quick % 100 45 28 20 16 13 11 9 8 Quick % 5
6. Muss ich bei der Einnahme von Phenprocoumon eine spezielle Ernährungsvorschrift einhalten? Vitamin K wird vom Körper zur Herstellung von Gerinnungsfaktoren benötigt. Phenprocoumon hemmt die Bildung von Gerinnungsfaktoren und führt so zu einer verzögerten Gerinnung. Früher wurde angenommen, dass eine Vitamin‐K‐arme Ernährung bei der Einnahme von Phenprocoumon notwendig ist. Heute weiß man, dass eine besondere Diät nicht erforderlich ist. Durch eine einmalige Mahlzeit mit Vitamin‐K‐reichen Lebensmitteln, z.B. Grünkohl, wird der INR‐Wert nur weniger Patienten wirklich beeinflusst. Vitamin‐K‐haltige Lebensmittel gehören zu einer gesunden und ausgewogenen Ernährung. Deshalb empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung Patienten, die Phenprocoumon einnehmen, keine Einschränkung bei grünem Gemüse und Salaten. Entscheidend ist es, regelmäßig etwa dieselbe Menge an Vitamin‐K zu sich zunehmen. Anders sieht es aus, wenn Sie über einen längeren Zeitraum Vitamin‐
K‐reich oder Vitamin‐K‐arm essen. Beispielsweise bringen die Kohlsaison oder die Erntezeit im eigenen Gemüsegarten viel Vitamin K mit sich, wogegen Diäten wie Fasten, Ramadan, „FDH“ oder eine Woche Urlaub im Hotel zu einer verminderten Vitamin‐K‐Aufnahme führen können. Diese Schwankungen in der Vitamin‐K‐Aufnahme können die Wirkung von Phenprocoumon beeinträchtigen. Dies ist aber kein Grund, vollständig auf Gemüse zu verzichten, ganz im Gegenteil: • Essen Sie regelmäßig etwa gleich viel Salat und Gemüse. Damit ernähren Sie sich sinnvoll und ausgewogen. • Lassen Sie regelmäßig Ihren INR‐/Quick‐Wert kontrollieren. • Bevor Sie in den Urlaub fahren, sollten Sie vorher mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt das weitere Vorgehen absprechen. 6 7. Welche Lebensmittel enthalten in üblichen Verzehrmengen viel Vitamin K? Lebens‐
mittel Petersilie Mangold Zwiebeln Spinat Vitamin K in µg pro 100 g Lebens‐
mittel Vitamin K in µg pro 100 g 790,0 414,0 310,0 288,0 Blattgemüse Rosenkohl Grünkohl Poree 280,0 250,0 225,0 224,0 Vitamin K Lebens‐
in µg pro mittel 100 g Blumenkohl
221,0 Chicoree 200,0 Broccoli 129,0 Wirsingkohl 102,0 8. Wie lange sollte ich eine vergessene Einnahme von Phenprocoumon noch nachholen? Am sichersten ist es, keine Einnahme zu verpassen und Phenprocoumon nach Plan immer zur selben Zeit einzunehmen. Aus praktischen Gründen empfiehlt sich bei Langzeittherapie die Einnahme am Abend. Leider gibt es bisher keine guten Untersuchungen, wie bei einer vergessenen Einnahme vorzugehen ist. Aus Erfahrung empfehlen Hersteller und Experten die 12‐
Stunden‐Regel. Fällt Ihnen innerhalb von 12 Stunden auf, dass Sie Ihre Dosis vergessen haben, nehmen Sie sie einfach nach. Liegt der ursprünglich vorgesehene Einnahmezeitpunkt länger als 12 Stunden zurück, dann lassen Sie die Dosis weg. Nehmen Sie Ihre nächste Dosis nach Plan weiter, so als ob Sie die vergessene Dosis eingenommen hätten. 7
9. Woran merke ich, wenn meine Blutgerinnung nicht ausreichend gehemmt ist? Ein besonderes Problem! Sie merken es gar nicht. Sie würden es erst merken, wenn es zu spät ist, zum Beispiel wenn Sie eine Thrombose oder einen Schlaganfall bekommen. Das ist ein äußerst wichtiger Grund, den INR‐/Quick‐Wert regelmäßig zu kontrollieren. 10. Was kann die Wirkung von Phenprocoumon wesentlich verstärken oder abschwächen? Neben Medikamenten können akute Erkrankungen wie Fieber oder ein Magen‐Darm‐Infekt Ihre Gerinnung bei Einnahme von Phenprocoumon stark beeinflussen. Auch Alkohol kann die Blutgerinnung beeinflussen. Das heißt aber nicht, dass Sie auf Alkohol verzichten müssen, denn mit dem Alkohol ist es wie mit den meisten Dingen: In Maßen ist in Ordnung. Kaffee hat keinen Einfluss auf die Wirkung von Phenprocoumon. 8 Wirkungsverstärkung Entzündungshemmende Medikamente
z.B. Acetylsalicylsäure (Aspirin®) Ibuprofen Diclofenac Antibiotika z.B. Tetracycline Co‐trimoxazol Makrolide Cephalosporine Harnsäuremedikamente z.B. Allopurinol Antiarrhythmika z.B. Amiodaron Propafenon Schilddrüsenhormone Antibabypille Trizyklische Antidepressiva z.B. Amitriptylin Wirkungsabschwächung Antiepileptika z.B. Carbamazepin Antibiotika z.B. Rifampicin Diabetesmedikamente z.B. Metformin Kortisonpräparate z.B. Prednisolon Diuretika (Wassertabletten) z.B. Hydrochlorothiazid (HCT) Furosemid Vitamin‐K‐haltige Präparate Johanniskrauthaltige Präparate 11. Welches freiverkäufliche Schmerzmittel ist bei Einnahme von Phenprocoumon am sichersten? Paracetamol ist für Sie das sicherste Schmerzmittel. ASS, also Azetylsalizylsäure, auch bekannt unter dem Markennamen Aspirin®, sollten Sie unbedingt vermeiden. Es wird nicht nur als Schmerzmittel, sondern auch zur Blutverdünnung eingesetzt und kann sich 9
gravierend auf Ihre Blutgerinnung auswirken. In Kombination mit Phenprocoumon führt es zu einem erhöhten Blutungsrisiko. ASS findet sich auch in vielen Mischpräparaten (z.B. Thomapyrin®) und Grippemitteln. Fragen Sie, bevor Sie ein neues Medikament einnehmen, auf jeden Fall Ihren Arzt oder Apotheker und schauen Sie auf die Packungsbeilage. Auch kleine Dosen ASS können ihre Blutgerinnung beeinflussen und Sie so gefährden. Achtung auch bei anderen Medikamenten: Medikamente beeinflussen sich gegenseitig. Freiverkäufliche Medikamente haben oft wenige Nebenwirkungen. Zusammen mit Phenprocoumon können sie jedoch starke Auswirkungen haben, gerade zu Beginn der Einnahme oder beim Absetzen eines neuen Medikaments. Pflanzliche Arzneimittel wie beispielweise Ginkgo oder Johanniskraut können in Kombination mit Phenprocoumon starke Blutungen hervorrufen. Selbst Kräutertees aus der Drogerie können einen Einfluss haben. Fragen Sie vor jeder Einnahme eines neuen Medikamentes, auch wenn dieses freiverkäuflich ist, Ihren Arzt oder Apotheker und lassen Sie begleitend Ihren INR‐/Quick‐Wert messen. 12. In welchen Situationen sollte ich noch am selben Tag eine Ärztin/einen Arzt kontaktieren? Eine Ärztin/einen Arzt sollten Sie immer dann aufsuchen, wenn Sie Bedenken haben oder unsicher sind. Kleine Schnittverletzungen bluten jetzt länger. Sie müssen deshalb nicht gleich ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Durch längeres Abdrücken kommen auch bei Einnahme von Phenprocoumon die meisten Blutungen zum Stillstand. 10 Es gibt aber Warnzeichen bei denen Sie unbedingt eine Ärztin/einen Arzt aufzusuchen sollten: • Schwarzer Stuhlgang kann auf Darmblutungen hinweisen. • Schmerzhafte Schwellungen mit und ohne Verfärbung können auf innere Blutungen hinweisen. • Plötzliche Sprachstörungen oder eine Schwäche in den Armen sind Hinweise auf einen Schlaganfall. Rufen Sie sofort den Notarzt ( 112). 11
13. Wann sollte ich darauf hinweisen, dass ich Phenprocoumon einnehme? Weisen Sie Ihren Zahnarzt vor einer Behandlung darauf hin, dass Sie Phenprocoumon einnehmen. Auch der Apotheker sollte Bescheid wissen, um abgleichen zu können, ob neu verordnete Medikamente zu Wechselwirkungen mit Phenprocoumon führen können. Vor Injektionen und vor jeder Operation sollte auf die Einnahme von Phenprocoumon hingewiesen werden, damit die Behandelnden wissen, dass durch die Gerinnungshemmung eine erhöhte Blutungsneigung besteht. In bestimmten Fällen kann es sinnvoll sein, kurzzeitig die Dosis von Phenprocoumon zu reduzieren, es abzusetzen oder vorübergehend einen anderen Gerinnungshemmer zu verwenden. Dies muss jedoch der jeweilige Arzt entscheiden. Auch Angehörige und Verwandte sollten von der Einnahme von Phenprocoumon in Kenntnis gesetzt werden. Der Einnahmeausweis Alle Patienten, die Phenprocoumon einnehmen, sollten einen Einnahmeausweis bei sich tragen in dem die Gerinnungswerte und der Einnahmeplan eingetragen sind, damit im Notfall die richtige Behandlung erfolgt. 12 Für weitere Informationen empfehlen wir die jeweiligen Fachinformationen und folgende Internetseiten: • Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. „Vitamin K und Therapie mit Antikoagulantien“: www.dge.de/modules.php?name=News&file=article&sid=279 • Eine detaillierte Übersicht zu Phenprocoumon von Dr. Alfred Goldinger: www.staff.uni‐mainz.de/goldinge/cumarine.htm • Eine Auflistung der Selbsthilfegruppen für antikoagulierte Patienten finden Sie unter: www.die‐herzklappe.de/index.php?id=7 Auswahl Literatur • Hua TD, Vormfelde SV, Abu Abed M, Schneider‐Rudt H, Sobotta P, Chenot JF. Orale Antikoagulation in der Hausarztpraxis. Z Allgemeinmed. 2010; 86: 382‐89. • Franco V, Polancysk CA, Clausell N, Rohde LE. Role of dietary vitamin K intake in chronic oral anticoagulation: prospective evidence from observational and randomized protocols. Am J Med 2004; 116: 651‐6 • De Assis MC, Rabelo ER, Ávila CW, Polanczyk CA et al. Improved oral anticoagulation after a dietary vitamin K–guided strategy: a randomized controlled trial. Circulation 2009 120: 1115‐22 • Reese AM, Farnett LE, Lyons RM, Patel B et al. Low‐dose vitamin K to augment anticoagulation control. Pharmacotherapy 2005; 25: 1746‐51 • Penning‐van Beest F, Erkens J, Petersen KU, Koelz HR, Herings R. Main comedications associated with major bleeding during anticoagulant therapy with coumarins. Eur J Clin Pharmacol. 2005;61: 439‐44 • Kagansky N, Knobler H, Rimon E, Ozer Z et al. Safety of antikoagulation therapy in well‐informed older patients. Arch Intern Med 2004; 164: 2044‐50 13
Autoren: Priv. Doz. Dr. med. Stefan Viktor Vormfelde1, Facharzt für klinische Pharmakologie Prof. Dr. med. Jean‐François Chenot, MPH2, Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. med Thanh Duc Hua2, Arzt Manar Abu Abed1, Pharmazeutin 1
Abteilung Klinische Pharmakologie Universitätsmedizin Göttingen Robert‐Koch‐Straße 40 37075 Göttingen 2
Abteilung Allgemeinmedizin Universitätsmedizin Göttingen Humboldtallee 38 37073 Göttingen Diese Broschüre wurde 2010 unter Zuhilfenahme verschiedener wissenschaftlicher Quellen erstellt und orientiert sich an den DISCERN Kriterien zur Erstellung von Patienteninformationen. Die Erstellung der Broschüre wurde im Rahmen eines vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projekts zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit erstellt. Die Autoren können keinerlei Gewähr für die Aktualität, Korrektheit, Vollständigkeit oder Qualität der bereitgestellten Informationen und externen Links übernehmen. Haftungsansprüche gegen die Autoren bei Schäden, die durch die Nutzung oder Nichtnutzung der dargebotenen Informationen bzw. durch die Nutzung fehlerhafter und unvollständiger Informationen verursacht wurden, sind grundsätzlich ausgeschlossen. 14 
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