Drucksache 16/00113 - Hessischer Landtag

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16. Wahlperiode
HESSISCHER LANDTAG
Kleine Anfrage
der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
vom 07.05.2003
betreffend Verstöße gegen tierschutz- und/oder artenschutzrechtliche
Bestimmungen in Zirkussen
und
Antwort
des Ministers für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz
Vorbemerkung des Ministers für Umwelt, ländlichen Raum und
Verbraucherschutz:
Da die Bundesregierung es bislang versäumt hat, von der Ermächtigung in
§ 16 Abs. 5 Nr. 5 des Tierschutzgesetzes Gebrauch zu machen und endlich
ein Zirkuszentralregister einzurichten, gestaltet sich der Vollzug tierschutzrechtlicher Vorschriften schwierig. Die betroffenen Unternehmen wechseln
schnell und ständig ihren Gastspielort und von Bundesland zu Bundesland.
Für die Veterinärbehörden vor Ort zeigt sich der Betrieb also nur in einer
Momentaufnahme, vorangegangene Verwaltungsmaßnahmen sind häufig
unbekannt. Selbst das Aushändigen von Verwaltungsverfügungen und Bußgeldbescheiden scheitert oft an der Mobilität der Betriebe und fehlenden
Winterquartieren bzw. korrekten Heimatadressen.
Die in Hessen eingerichtete Zirkusdatei kann und will das Bundeszentralregister schon aus Kapazitätsgründen nicht ersetzen. Außerdem kann sie aus
Datenschutzgründen wichtige personenbezogene Daten nicht erfassen.
Die Auswertung der Vollzugserfahrungen der letzten Jahre zeigt überdies,
dass einige Wildtierarten im Zirkus systemimmanent nicht gehalten werden
können: Affen, Bären und Elefanten. Innerhalb der Wildtierarten, die ja
ganz anders als unsere domestizierten Haustiere nicht entwicklungsgeschichtlich an ein Leben in menschlicher Obhut angepasst sind, stellen diese
vorgenannten besonders hohe Ansprüche an Unterbringung, Pflege, Betreuung und Sachkunde. Dem können Zirkusse nicht gerecht werden, umso
mehr, als auf vielen Plätzen, auf denen sie gastieren, aus räumlichen Gründen überhaupt keine Tierausläufe aufgebaut werden können. Wissenschaftliche Erkenntnisse stützen diese Erfahrungen.
Deshalb wird die Hessische Landesregierung im September einen Entschließungsantrag zum Verbot der Haltung von Affen, Elefanten und Bären im
Zirkus und zur Einrichtung eines Zirkuszentralregisters im Bundesrat einbringen.
Diese Vorbemerkung vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie
folgt:
Frage 1.
Wird jedes mit Tieren gastierende Zirkusunternehmen von den zuständigen Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsämtern der Landkreise auf Einhaltung der tierschutz- und artenschutzrechtlichen Bestimmungen kontrolliert?
Grundsätzlich wird jedes Zirkusunternehmen von den zuständigen Veterinärund Lebensmittelaufsichtsämtern der jeweiligen Landkreise auf Einhaltung
der tierschutz- und artenschutzrechtlichen Bestimmungen kontrolliert. Lediglich in Ausnahmefällen, bedingt durch personelle Engpässe, bei Erledigung
vordringlicherer Aufgaben oder wenn es den Staatlichen Ämtern für Lebensmittelüberwachung, Tierschutz und Veterinärwesen nicht oder nicht
Eingegangen am 12. September 2003 · Ausgegeben am 23. September 2003
Druck und Auslieferung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden
Drucksache
16/113
12. 09. 2003
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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · Drucksache 16/113
rechtzeitig bekannt ist, dass Zirkusse in ihrem Zuständigkeitsbereich gastieren (Kleinzirkusse), erfolgen keine Kontrollen.
Frage 2.
Wenn nicht, nach welchen Kriterien werden Kontrollen veranlasst und wie oft
gehen die zuständigen Behörden Hinweisen aus der Bevölkerung nach?
Hinweisen von Kommunen und anderen Behörden wird weitestgehend nachgegangen. Anlassbezogenen Hinweisen aus der Bevölkerung, auch anonymen Hinweisen, wird grundsätzlich immer nachgegangen, da hier sehr oft
mit massiven Verstößen gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen gerechnet
werden muss.
Frage 3.
Für wie viele und welche Wildtierarten war zwischen den Jahren 1997 und 2002
die behördliche Sicherstellung aufgrund tierschutz- und artenschutzrechtlicher Bestimmungen notwendig?
Zwischen den Jahren 1997 und 2002 (siehe hierzu auch Antwort zu Frage 4)
wären folgende behördliche Sicherstellungen aufgrund tierschutz- und artenschutzrechtlicher Bestimmungen notwendig gewesen:
- 2 Löwen (Tierschutz)
- 1 Tiger (Tierschutz)
- 3 Braunbären (Tierschutz)
- 2 Lamas (Tierschutz)
- 3 Kamele (Tierschutz)
- 1 Känguru (Tierschutz)
- 1 Schimpanse (Tierschutz)
- 1 Pavian (Tierschutz)
- 1 Rhesusaffe (Tierschutz)
8 Alligatoren (Tierschutz)
- 7 Tiger (Artenschutz)
- 1 afrikanischer Elefant (Artenschutz)
Frage 4.
Bei wie vielen dieser Tiere konnte wegen fehlender Unterbringungsmöglichkeiten,
insbesondere einer Auffangstation für exotische Wildtiere, die Sicherstellung nicht
erfolgen und was ist stattdessen mit den Tieren geschehen?
Mangels Unterbringungsmöglichkeiten konnte keines der aus tierschutzrechtlichen Gründen sichergestellten Tiere untergebracht werden. Sie verblieben
bei den jeweiligen Zirkusunternehmen. Die für den folgenden Gastspielort
zuständige Veterinärbehörde wurde entsprechend informiert.
Dies macht deutlich, dass ein länderübergreifendes Handeln dringend erforderlich ist.
Bei zwei der aus artenschutzrechtlichen Gründen sichergestellten Tiere
konnte die Einziehung nicht vollzogen werden, da es an geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten fehlte. Die Tiere mussten dem Halter - allerdings
unter strengen Auflagen - belassen werden. Bei den übrigen zunächst sichergestellten Tieren erübrigte sich eine Einziehung, weil der Grund hierfür
entfiel (es wurden z.B. fehlende Dokumente nachgereicht).
Frage 5.
In welcher Form wird gegenwärtig bei festgestellten Verstößen gegen das Tierschutzgesetz oder gegen Artenschutzbestimmungen vorgegangen?
Bei festgestellten Verstößen gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen erfolgen in der Regel zunächst eine mündliche Belehrung vor Ort und gegebenenfalls ein Eintrag in das vom Zirkus mitzuführende Tierbestandsbuch. Je nach
Schwere des Verstoßes wird auch die Beseitigung der Mängel mündlich oder
schriftlich und gegebenenfalls unter Androhung von Zwangsmitteln angeordnet.
In Einzelfällen wird alternativ oder zusätzlich ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet.
Darüber hinaus werden die für das Winterquartier und die für den nächsten
Gastspielort zuständige Veterinärbehörde informiert. Das Ergebnis der
Überprüfung wird außerdem an die bei der Hessischen Landesbeauftragten
für Angelegenheiten des Tierschutzes geführte hessische Zirkusdatei weitergeleitet.
Sofern es sich um schwerwiegende Verstöße handelt, erfolgt zudem eine
Sicherstellung, sofern es eine entsprechende Unterbringungsmöglichkeit für
die Tiere gibt. Beim Verdacht des Vorliegens eines Straftatbestandes wird
der Vorgang an die zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben. In diesen Fällen erfolgt zudem eine Meldung an die obersten für das Veterinärwesen
zuständigen Behörden der anderen Bundesländer sowie direkt an die Behörde, die die Erlaubnis nach § 11 Tierschutzgesetz erteilt hat.
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Rechtsverstöße gegen artenschutzrechtliche Bestimmungen werden mit den
im Bundesnaturschutzgesetz dafür vorgesehenen Folgen geahndet.
Frage 6.
Wie viele und welche Verstöße wurden insgesamt in den letzten fünf Jahren festgestellt und in wie vielen Fällen wurde ein Ordnungsgeld verhängt?
Für das Führen einer solchen Statistik gibt es keine Rechtsgrundlage. Aus
dem Regierungsbezirk Darmstadt liegen dementsprechend keine Zahlen vor.
In den Regierungsbezirken Kassel und Gießen wurden in den letzten fünf
Jahren 129 Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen festgestellt.
Ordnungsgelder wurden keine festgesetzt. Hierbei spielt überwiegend die
schwierige finanzielle Situation der Zirkusbetriebe eine Rolle.
Die häufigsten Verstöße nach dem Tierschutzrecht sind:
- fehlerhafte Tierbestandsbücher,
- Mängel an den Transportfahrzeugen,
- fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere,
- unzulässige Anbindehaltung von Pferden und Hunden,
- längeres Zurschaustellen von Tieren (Ponys, Ziegen, Lamas) auf Märkten o.Ä., zum großen Teil in Anbindehaltung,
- schlechte Huf-, Klauen- und Zahnpflege,
- nicht artgerechte Unterbringung durch
- zu kleine Haltungseinrichtungen für Raubkatzen, Kamele, Pferde und
Zebras,
- fehlende Freigehege für Elefanten, Kamele, Raubkatzen,
- unzulässige Einzeltierhaltung von Affen, Elefanten und Bären,
- Mängel bei der Haltung von Emus und Kängurus,
- keine tierschutzgerechten Transportfahrzeuge (insbesondere Nichterfüllen
der vorgeschriebenen Mindestgrößen),
- Fehlen oder Nichtmitführen der Erlaubnis nach § 11 Tierschutzgesetz,
Nichtführen des Tierverzeichnisses,
- fehlerhafte Auskünfte durch das Zirkuspersonal, wie z.B. unrichtige
Angabe des nächsten Gastspielortes oder Verstecken bestimmter Tiere
vor dem amtlichen Überwachungspersonal.
In dem angefragten Zeitraum wurden bei Zirkusunternehmen insgesamt 13
Verstöße gegen die artenschutzrechtlichen Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes und der Bundesartenschutzverordnung festgestellt. Daraus
resultierten zwei Strafverfahren. Bei den übrigen Verstößen handelte es sich
um Mängel in der Nachweisführung oder um die Nichtbeachtung von Kennzeichnungspflichten, die abgestellt wurden, sodass auf die Verhängung von
Bußgeldern verzichtet werden konnte.
Frage 7.
Wie wird sichergestellt, dass Zirkusse nach einer Überprüfung die behördlichen
Auflagen bezüglich Sicherheit sowie Tier- und Artenschutz erfüllen, wenn diese
nur kurze Zeit in Hessen gastieren?
Bei Zirkusbetrieben, die nur kurze Zeit in Hessen gastieren, wird bei schwereren Verstößen gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen die für den nächsten Gastspielort sowie die für das Winterquartier zuständige Veterinärbehörde über die bestehenden Mängel und die angeordneten Maßnahmen informiert.
Zudem erfolgt grundsätzlich immer eine Meldung an die hessische Zirkusdatei und in Fällen schwerer Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen auch an die für den Tierschutz zuständigen obersten Behörden der anderen Bundesländer.
Soweit möglich wird die für den nächsten Gastspielort zuständige Artenschutzbehörde über angeordnete Auflagen unterrichtet.
Frage 8.
Wie viele und welche Zirkusse sind in Hessen mit ihrem Winterquartier gemeldet
und an welchen Standorten überwintern sie mit welchen Tierarten?
Die meisten Zirkusbetriebe wechseln häufig ihre Winterquartiere. Eine Angabe, welche Tiere in den Winterquartieren gehalten werden, ist nicht immer möglich, da der Tierbestand sehr häufig wechselt.
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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · Drucksache 16/113
In Hessen waren folgende Zirkusbetriebe mit ihrem Winterquartier gemeldet:
- Zirkus Bachmann in Hessisch Lichtenau mit Pferden, Kamelen, Rindern
und Ziegen,
- Zirkus Frankelli (1999/2000) in Heringen mit Pferden, Ponys, Esel,
Trampeltier und Ziege,
- ein Zirkus (2000/2001) in Gießen mit Pferden, Eseln, Ziegen, Lamas
und Hunden,
- Zirkus Rebecca Trumpf (1999/2000) in Kirchheim mit Ponys, Lama,
Esel, Alpaka, Ziegen, Kaninchen, Tauben und Hunden,
- Zirkus Baldini (2001/2002) in Kassel mit Trampeltieren, Pferden, Esel
und Hunden,
- Zirkus Liberty (2001/2002) in Kassel mit Kamelen, Lamas, Groß- und
Kleinpferden, Ponys, Kaltblutpferden, Zwergziegen und Trampeltieren,
- 3 Zirkusse (2002/2003) in Gießen mit Lamas, Guanakos, Eseln, Maultieren, Pferden, Ponys, Ziegen, Schafen, Hunden, Kamelen, Yaks, Geflügel und Tigern,
- Zirkus Sarrassani in Wiesbaden mit 2 Tigern,
- Zirkus Igen in Wiesbaden mit mehreren Ziegen und Hunden,
- Zirkus Peter Bügler im Landkreis Groß-Gerau mit Pferden, Ponys, Zeburind, Lamas, Schafbock, Ziegen, Hängebauchschweinen, Waschbär
und Hunden,
- Zirkus Renato (auch Zirkus Atlanta genannt) in Darmstadt mit Pferden,
Trampeltieren, Zeburindern und Hunden,
- Zirkus Orssee (auch La Luna genannt) in Darmstadt mit Pferden,
Trampeltieren, Zeburindern und Hunden,
- Zirkus Universal Renz im Wetteraukreis,
- Zirkus Amadeo und Adrianna Folco im Main-Kinzig-Kreis mit Pferden,
Elefanten und Kameliden,
- Zirkus Renado Kübler im Main-Kinzig-Kreis mit Pferden, Esel und
Ziegenbock,
- Zirkus Harald Levy im Main-Kinzig-Kreis mit Pferden, Esel, und Ziegen,
- ein Zirkus in Frankfurt am Main mit Pferd, Hund, Ziege, Lama, Gans
und Dromedar.
Wiesbaden, 26. August 2003
Wilhelm Dietzel
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