J.B. Schulz Metabolische und toxische Enzephalopathien ISBN 978-3-17-024537-2 Kapitel D9 aus T. Brandt, H.C. Diener, C. Gerloff (Hrsg.) Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen 6., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2012 Kohlhammer BDG_neu.book Seite 297 Mittwoch, 15. August 2012 9:16 09 D9 Metabolische und toxische Enzephalopathien von J. B. Schulz Metabolische Enzephalopathien sind Folge einer Beeinträchtigung des zerebralen Stoffwechsels und nicht auf strukturelle Läsionen zurückzuführen. Einzelne metabolische Enzephalopathien können jedoch sekundär zu strukturellen Läsionen führen. Klinisches Leitsymptom der metabolischen Enzephalopathie ist das akute oder chronische hirnorganische Psychosyndrom mit Störungen des Bewusstseins, der Persönlichkeit und der Hirnleistung. Begleitend können neurologische Symptome, z. B. Myoklonien, Asterixis, Schwäche oder zerebral-organische Anfälle, auftreten. Die metabolischen Enzephalopathien umfassen im Wesentlichen alle Erkrankungen mit Beeinträchtigung des Bewusstseins, die nicht mit einer psychiatrischen, infektiösen oder einer makroskopisch strukturellen Ursache erklärbar sind. Die Liste metabolischer Enzephalopathien ist dementsprechend umfangreich (Tab. D 9.1). Tab. D 9.1: Mechanismen der metabolischen Enzephalopathien hypoxisch/ischämische Enzephalopathie und Hypoglykämie, die zu einer irreversiblen Hirnschädigung führen können. Beispiele für die Freisetzung zirkulierender Substanzen sind metabolische Enzephalopathien, die mit einer Schädigung von Organsystemen oder einer systemischen Infektion einhergehen. Die so bedingten Symptome sind bei adäquater Behandlung der Grunderkrankung größtenteils rückbildungsfähig. In diesem Kapitel werden die metabolischen Enzephalopathien infolge von Leber- und Nierenerkrankungen, Hyperkalzämie und mitochondrialen Energiestoffwechselstörungen, die pontine Myelinolyse sowie toxische Enzephalopathien nach chronischer Schwermetallexposition besprochen. Weitere Ursachen metabolischer und toxischer Enzephalopathien werden an anderer Stelle abgehandelt: Alkoholfolgekrankheiten (Kap. G 6), akute Intoxikationen (Kap. G 5) und Vitaminstoffwechselstörungen (D 10). Gestörte Substratzufuhr • Hypoxie/ischämie • Hypoglykämie D 9.1 Hepatische Enzephalopathie Organversagen • Hepatische Enzephalopathie • Nierenversagen • Pankreatische Enzephalopathie • Kohlendioxid Narkose D 9.1.1 Klinik Zirkulierende Zytokine (hypothetisch) • Sepsis • Multiorganversagen Elektrolytstörungen • Hyponatriämie • Hypernatriämie • Hyperkalzämie • Hypophosphatämie Autoantikörper • Paraneoplastische Syndrome (Kap. H 5) • Vaskuläre Kollagenerkrankungen (Kap. E 3) Exogen toxische Substanzen • Alkohol (Kap. G 6) • Akute Medikamentenintoxikation (Kap. G 5) • Blei • Quecksilber • Thallium • Mangan Die metabolischen Enzephalopathien lassen sich drei wesentlichen Ätiologien zuordnen: 1. einem verminderten Substrattransport (Glukose oder Sauerstoff) ins Gehirn, 2. der durch systemische Erkrankung bedingten Freisetzung zirkulierender Substanzen, die die Blut-Hirn-Schranke überwinden und zu neuronaler und zellulärer Dysfunktion führen, und 3. exogenen Intoxikationen. Beispiele für einen verminderten Substrattransport sind die Klinisch ist die hepatische Enzephalopathie nur schwer von anderen metabolischen Enzephalopathien zu unterscheiden. Die Anamnese und Laboruntersuchungen, die auf eine Lebererkrankung hindeuten, wie erhöhte arterielle Ammoniakspiegel, sind Grundlage der Diagnose. Selten sind die Ammoniakspiegel im arteriellen Blut im Normbereich (Fraser und Arieff 1985). Bei diagnostisch schwierigen Fällen können paroxysmale triphasische Wellen im EEG zur Diagnosesicherung dienen. Die klinische Manifestation einer hepatischen Enzephalopathie ist variabel. Die hepatische Enzephalopathie wird als latent bezeichnet, wenn noch keine klinischen Symptome bestehen, psychomotorische Tests jedoch bereits pathologisch ausfallen. Die manifeste hepatische Enzephalopathie wird nach ihrem Schweregrad in die Stadien 1 bis 4 eingeteilt (Conn 1994). Die psychischen Störungen reichen von Konzentrationsstörungen, Verstimmtheit, Ruhelosigkeit in Stadium 1 über Persönlichkeitsveränderungen, zunehmende Lethargie und zeitliche Desorientiertheit bis zur Somnolenz oder Koma in den Stadien 3 und 4. Parallel entwickeln sich neurologische Symptome in Form eines zunehmenden »flapping tremor« (Asterixis, negativer Myoklonus), bei dem es im Gegensatz zu den Myoklonien um ein intermittierendes Zusammenbrechen des Haltetonus handelt. Im Stadium 2 treten Ataxie, im Stadium 3 schließlich Rigor und Hyperreflexie hinzu (Tab. D 9.2; Conn 1994). Epileptische Anfälle werden nur selten beobachtet. 297 D 9 BDG_neu.book Seite 298 Mittwoch, 15. August 2012 9:16 09 Kognitive und Verhaltensstörungen Tab. D 9.2: Enzephalopathie-Index Symptom Gewichtungsfaktor Grad 0 1 2 3 4 Psychischer Befund 3 normal Störungen von Aufmerksamkeit und Konzentration, Euphorie, Angst Lethargie, Desorientiertheit, inadäquates Verhalten, Persönlichkeitsänderungen Somnolenz, Stupor, völlige Desorientiertheit Koma Zahlen-Verbindungs-Test 1 < 30 sec 30–50 sec 51–80 sec 81–120 sec > 120 sec Asterixis 1 0 selten häufig ständig (1–2/30 sec) gelegentlich irregulär (3–4/30 sec) (5–30/30 sec) EEG 1 normal 7–8/sec 5–7/sec 3–5/sec < 3/sec Arterieller Ammoniakspiegel (nüchtern) 1 < 150 μg/dl 151–200 μg/dl 201–250 μg/dl 251–300 μg/dl > 300 μg/dl (modifiziert nach Conn 1994) Maximaler Index: 28 Punkte D 9.1.2 Verlauf Die chronische hepatische Enzephalopathie ist durch chronische Leberinsuffizienz bedingt, deren Hauptursache in Westeuropa und Nordamerika der Alkoholismus mit Zirrhose ist. Verlauf und Prognose der chronischen hepatischen Enzephalopathie hängen von der zugrundeliegenden Lebererkrankung ab. Die latente hepatische Enzephalopathie kann durch gastrointestinale Blutungen, übermäßige Proteinzufuhr, Obstipation, Infektion, Alkohol, Sedativa, Analgetika, Diuretika und Narkose dekompensieren. Bei der chronischen hepatischen Enzephalopathie kann es auch ohne fassbare Auslöser zu rezidivierenden Verschlechterungen kommen. Die Prognose der komatösen Patienten (Stadium 4) ist unabhängig von der zugrundeliegenden Lebererkrankung schlecht: Nur 35 % erholen sich innerhalb eines Jahres und erlangen wieder die Fähigkeit zu unabhängigem Leben, während alle übrigen keine Besserung zeigen und ggf. schwere Behinderungen behalten (Levy et al. 1981). Die akute hepatische Enzephalopathie entwickelt sich im Verlauf eines akuten Leberversagens, bedingt durch eine virale Hepatitis oder eine Intoxikation mit z. B. Pilztoxinen, Paracetamol, Acetaminophen oder Ethylen-Glykol (Worthley 1994). In den Stadien 3 und 4 tritt bei 50–85 % der Patienten mit akuter hepatischer Enzephalopathie als Komplikation ein zerebrales Ödem auf. Die Prognose ist schlecht. Ohne Lebertransplantation sterben 80 % dieser Patienten (Smith und Ciferni 1993). Besser scheint die Prognose bei Patienten mit akutem Leberversagen infolge von Hepatitis A und Acetaminophen-Toxizität zu sein (Conn und Lieberthal 1978). In seltenen Fällen kann die Behandlung mit Valproinsäure zu einem akuten, fulminanten Leberversagen führen. Dies wurde besonders, aber nicht ausschließlich, bei Kindern mit angeborenen Stoff298 wechseldefekten berichtet (Koenig et al. 1994). Häufiger wird auch eine Hyperammonämie als Ursache einer Valproinsäure-assoziierten Enzephalopathie gefunden, ohne dass ein fulminantes Leberversagen nachweisbar ist. Sie beruht dann auf einem angeborenen Enzymdefekt der Ornithintranscarbamylase, die sich bei heterozygoten Merkmalsträgerinnen in vielen Fällen das erste Mal unter der ValproinsäureTherapie manifestiert (Honeycutt et al. 1992, Legras et al. 2002). Diese X-chromosomale Ornithintranscarbamylase-Defizienz ist die häufigste erbliche Störung des Harnstoffzyklus. Die Valproinsäure-assoziierte hyperammonämische Enzephalopathie tritt bei normalen Valproinsäurespiegeln und ohne Veränderung anderer Laborparameter der Leberfunktion auf. Die klinische Verdachtsdiagnose wird durch Bestimmung des Ammoniaks und durch den EEG-Befund erhärtet. Die Therapie besteht aus dem Absetzen der Valproinsäure. Weitere Medikamente, die ein akutes Leberversagen auslösen können, sind u. a. Paracetamol, Isoniazid, Phenytoin, Nitrofurantoin, Ketokonazol, Disulfiram, Halothan und Statine (Bernal et al. 2010). D 9.1.3 Therapeutische Prinzipien Als Folge des portosystemischen Shunts und der ausgefallenen Leberzellfunktion kommt die Leber ihren metabolischen Funktionen nicht nach. Dadurch steigen die Konzentrationen bestimmter im Darm gebildeter neurotoxischer Substanzen (Ammoniak, Merkaptane, Phenole, kurzkettige Fettsäuren) im Serum und sekundär im Gehirn (Hazell und Butterworth 1999). Diese Toxine werden gastrointestinal durch die bakterielle Zersetzung von Proteinen und Lipiden gebildet. Erhöhte Ammoniakkonzentrationen führen im Gehirn zu einer Reduktion der Energiesubstrate Phosphokreatin und ATP, zu einer Verminderung der lokalen Glukoseutilisation BDG_neu.book Seite 299 Mittwoch, 15. August 2012 9:16 09 Metabolische und toxische Enzephalopathien und des lokalen Blutflusses sowie zur vermehrten Produktion von Glutamin (Pulsinelli und Cooper 1994). Die Konzentration von Mangan, das normalerweise hepatobiliär eliminiert wird, steigt im Plasma und im Gehirn (Butterworth et al. 1995, Krieger et al. 1995). Bei chronischem Leberversagen kommt es zur Manganablagerung im Globus pallidus, die als Hyperintensität auf T1-gewichteten Kernspintomographien sichtbar wird und möglicherweise für die extrapyramidalen Symptome verantwortlich ist (Hazell und Butterworth 1999). Ferner tragen Veränderungen der GABAergen und monoaminergen Neurotransmission im Gehirn zur klinischen Manifestation der hepatischen Enzephalopathie bei. Dabei sollen 1. als Folge einer Störung der Blut-Hirn-Schranke GABA und Benzodiazepinrezeptor-Liganden vermehrt in das Gehirn übertreten (Mullen et al. 1990) und 2. durch verminderte Oxidation aromatischer Aminosäuren das Gleichgewicht zwischen aromatischen und verzweigtkettigen Aminosäuren zugunsten der aromatischen Aminosäuren verschoben werden. Durch erhöhte Konzentration aromatischer Aminosäuren im Gehirn kommt es zur Hemmung der Synthese von Noradrenalin und Dopamin und zur Bildung »falscher« Transmitter, z. B. Oktopamin, mit verminderter Aktivität (Fraser und Arieff 1985). Der Astrozyt ist die empfindlichste Zelle im Nervensystem beim Leberversagen. Beim akuten Leberversagen kommt es zu einem Anschwellen der Astrozyten mit daraus resultierendem erhöhten intrakraniellen Druck. Die reduzierte Expression des astrozytären Glutamattransporters (GLT–1) führt zu erhöhten extrazellulären Glutamatkonzentrationen. Auch beim chronischen Leberversagen werden typische Veränderungen der Astrozyten beobachtet, die als Alzheimer-Typ–II-Astrozytose bezeichnet werden. Bei der portalen Enzephalopathie zeigen die Astrozyten eine veränderte Expression verschiedener Schlüsselproteine und -enzyme, einschließlich der Monoaminoxidase A und der neuronalen Stickoxidsynthase. D 9.1.4 Pragmatische Therapie Die einzige gesicherte therapeutische Maßnahme bei der akuten hepatischen Enzephalopathie ist die Notfall-Lebertransplantation. Durch sie wird die Mortalität von über 80 % auf weniger als 20 % gesenkt (Bernal et al. 2010). Zur Zeit erhalten jedoch nur etwa 10 % aller Patienten mit akutem Leberversagen eine Spenderleber. Hochvolumige Plasmapherese mit frischem Spenderplasma verbessert vorübergehend den klinischen Zustand von Patienten mit akutem Leberversagen, ist jedoch nicht kurativ. Der Plasmaaustausch kann helfen, den Kranken bis zur Durchführung einer Notfall-Lebertransplantation zu stabilisieren (Riviello et al. 1990). Um die Zeit zwischen akutem Leberversagen und Lebertransplantation zu überbrücken, werden zunehmend unterstützende Verfahren eingesetzt. Der transjuguläre intrahepatische portosystemische Shunt (TIPS) dient der Senkung des Pfortaderhochdrucks (Ganger et al. 1999, Perello et al. 2002). Unter radiologischer Kontrolle wird mit einem Stent eine Verbindung zwischen einer Lebervene und einem Pfortaderast geschaffen. TIPS wurde auch in zwei Studien zum hepatorenalen Syndrom erfolgreich verwendet (Brensing et al. 2000, Guevara et al. 1998). Nach einer prospektiven und randomisierten Studie wurde ein neues Verfahren empfohlen: Patienten mit einem hepatorenalen Syndrom aufgrund eines Leberversagens wurden über 30 Tage mit einem molekular adsorbierenden rezirkulierenden System (MARS) zur Entfernung Albumin-gebundener Substanzen behandelt (Mitzner et al. 2000). Die Letalität konnte in diesen 30 Tagen von 100 % auf 75 % gesenkt und die mittlere Überlebensdauer von 4,6 Tage in der Kontrollgruppe auf 25,2 Tage erhöht werden. Eine Metaanalyse artifizieller und bio-artifizieller Leberunterstützungssysteme bestätigt diese Effekte für Patienten mit primärem oder sekundärem akuten Leberversagen (Kjaergard et al. 2003) (, A). Das bei vielen Patienten im Stadium 3 und 4 der Enzephalopathie auftretende Hirnödem bedarf – bei begrenzten Therapiemöglichkeiten – einer intensivmedizinischen Behandlung (Davies et al. 1994). Die Therapie besteht aus der raschen intravenösen Infusion von 100–200 ml einer 20 %igen Mannitollösung und der Induktion einer Hyperkapnie durch Hyperventilation und Thiopenton (Davies et al. 1994, Strauss et al. 1999). Dexamethason zeigt wenig Effekt. Der Oberkörper sollte 20 hochgelagert werden. Eine stärkere Hochlagerung ist jedoch zu vermeiden, da sie bei hepatischer Enzephalopathie die zerebrale Perfusion kritisch reduzieren kann (Davenport et al. 1990). Eine Behandlung mit Hypothermie hat derzeit noch experimentellen Charakter. Zur Behandlung des akuten Leberversagens bei Paracetamolintoxikation hat sich die Therapie mit NAcetylcystein etabliert (Harrison et al. 1991, Keays et al. 1991) (, A). N-Acetylcystein fördert die Synthese des antioxidativ wirkenden Glutathions. Dabei werden zunächst 150 mg/kg Körpergewicht gelöst in 250 ml über einen Zeitraum von 15 Minuten intravenös verabreicht, dann 50 mg/kg Körpergewicht gelöst in 500 ml über einen Zeitraum von vier Stunden und dann nochmals 100 mg/kg über einen Zeitraum von 16 Stunden (Wallace et al. 2002). Diese Therapie ist nur effektiv, wenn sie innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Ingestition von Paracetamol angewendet wird. Sie ist besonders effektiv, wenn sie innerhalb der ersten acht Stunden begonnen wird. Ob eine Gabe von N-Acetylcystein auch bei der Therapie des akuten Leberversagens anderer Ätiologie indiziert ist, ist umstritten. Die Behandlung der chronischen hepatischen Enzephalopathie ist konservativ. Eine Reihe klar definierter Ursachen (gastrointestinale Blutungen, übermäßige Proteinzufuhr, Obstipation, Infektion und Elektrolytstörungen) kann bei gefährdeten Patienten zur akuten Exazerbation der chronischen Enzephalopathie führen. Diese sollten diagnostiziert und schnell behandelt werden. Die weiteren Empfehlungen basieren auf Studienergebnissen mit kleinen Fallzahlen und Expertenmeinungen und nicht auf den Ergebnissen doppelblinder, placebokontrollierter Studien. Das wesentliche Therapieprinzip besteht in der Erniedrigung der Ammoniakkonzentration, verbunden mit der Hypothese, dass das Kolon das primäre Organ der Ammoniakproduktion ist. Die Ammoniakproduktion soll durch die Verwendung nicht absorbierbarer An299 D 9 BDG_neu.book Seite 300 Mittwoch, 15. August 2012 9:16 09 Kognitive und Verhaltensstörungen tibiotika, durch Disaccharide, Verwendung verzweigtkettiger Aminosäuren und kontrollierte Proteinzufuhr eingeschränkt werden. Tab. D 9.3 gibt einen Überblick über das von vielen Hepatologen, Fachgesellschaften und in internistischen Therapiebüchern und Leitlinien (Plauth et al. 1997) empfohlene pragmatische Vorgehen bei dekompensierter chronischer hepatischer Enzephalopathie. Die Wirksamkeit dieser Vorgehensweise ist durch kürzlich publizierte Metaanalysen jedoch infrage gestellt und wird somit nicht durch die derzeitige Studienlage gestützt (Als-Nielsen et al. 2003, 2004a, 2004b) (, C). Bei akuter Exazerbation einer chronischen hepatischen Enzephalopathie wird die orale Proteinzufuhr für maximal zwei bis drei Tage auf täglich 20–30 g reduziert, danach täglich um 10 g gesteigert, bis wieder eine Proteinzufuhr von 1 g/kg Körpergewicht/ die erreicht ist. Während der Proteinrestriktion muss die ausreichende Kalorienzufuhr (mindestens 1 600 kcal) durch Infusion hochprozentiger Glukoselösungen gewährleistet sein. In einer neuen randomisierten Studie wurde allerdings gezeigt, dass eine Proteindiät keine Auswirkung auf den Verlauf und das Endergebnis der heptischen Enzephalopathie nach Exazerbation hatte und Diäten mit einem normalen Proteingehalt ohne unerwünschte Wirkungen verabreicht werden konnten (Cordoba et al. 2004). Da Proteinrestriktion einen katabolen Zustand herbeiführen kann, sollte aufgrund dieser Studienergebnisse die Proteinrestriktion kritisch abgewogen werden. Lactulose (z. B. Bifiteral®) und Laktitol (z. B. Zyma®) führen im Darm zu einer pH-Verschiebung in den sauren Bereich, wodurch die vermehrte Fixierung und Ausscheidung von Stickstoff möglich wird. Lactulose und Laktitol haben außerdem einen osmotisch laxierenden Effekt. Bei akuter Verschlechterung einer hepatischen Enzephalopathie werden Lactulose oder Laktitol daher stündlich in einer Dosis von 20–30 g gegeben, bis die Darmreinigung erzielt ist. Zur längerdauernden Behandlung ist die Dosis (zwischen 3 × 10 g und 4 × 50 g/die) individuell so zu wählen, dass zwei bis drei weiche, geformte Stuhlgänge abgesetzt werden. In einer kürzlich publizierten Metaanalyse wurden 30 Studien mit nicht resorbierbaren Disacchariden (Lactulose und Laktitol) zur Behandlung der hepatischen Enzephalopathie ausgewertet. Dabei zeigte die Behandlung mit Disacchariden in methodisch guten Studien keinen Einfluss auf den Verlauf und die Mortalität der Erkrankung (Als-Nielsen et al. 2004c). »Nicht resorbierbare« Antibiotika vermindern durch Reduktion der intestinalen Bakterienflora die Produktion toxischer Abbauprodukte. Neomyzin (Bykomycin®) oder Paromomyzin (Humantin®) sollten heute wegen Oto- bzw. Nephrotoxizität nicht mehr verwendet werden. Demgegenüber ist Rifaxamin (Xifasan®) gut verträglich und zeigt bisher keine Interaktionen mit anderen Medikamenten. Eine randomisierte, placebokontrollierte Studie mit 2 × 550 mg/Tag zeigte bei Patienten mit chronischer hepatischer Enzephalopathie eine deutliche Reduktion für das Risiko einer erneuten Episode der Enzephalopathie und für einen erneuten stationären Aufenthalt (Bass et al. 2010). Als Reserveantibiotikum kommt Metronidazol (Clont®, 2–3 × 200–400 mg/ die) infrage. 300 Kommt es in schweren Fällen unter konventioneller Therapie mit Restriktion der Proteinzufuhr, Gabe von Disacchariden und Antibiotika zu keiner ausreichenden Besserung, kann ein Behandlungsversuch mit parenteral verabreichten verzweigtkettigen Aminosäuren (500–1 000 ml Comafusin Hepar®/ die) durchgeführt werden (Alexander et al. 1989). Bei chronischer hepatischer Enzephalopathie kann zusätzlich eine orale Langzeittherapie mit verzweigtkettigen Aminosäuren (Falkamin®, 0,3 g/kg Körpergewicht/die) erfolgen (Marchesini et al. 1990). Die Empfehlung einer Behandlung mit verzweigtkettigen Aminosäuren wird jedoch nicht durch Metaanalysen gestützt (Als-Nielsen et al. 2003). Eine Reihe von Studien weist auf eine Wirksamkeit des Benzodiazepin-Antagonisten Flumazenil (Anexate®) bei akuter oder dekompensierter hepatischer Enzephalopathie hin. In einer Metaanalyse von 13 randomisierten Studien mit insgesamt 805 Patienten erbrachte die Therapie mit Flumazenil während des Behandlungszeitraums selbst nur einen geringen Vorteil, jedoch ohne Effekt auf die Mortalität und die Rate der Erholung von der hepatischen Enzephalopathie (Als-Nielsen et al. 2004a). Eine generelle Behandlungsempfehlung für Flumazenil kann daher nicht ausgesprochen werden. Lediglich bei Verdacht auf eine Benzodiazepin-induzierte Intoxikation sollte Flumazenil eingesetzt werden. D 9.2 Zentrale pontine Myelinolyse/ Osmotisches Demyelinisierungssyndrom Die zentrale pontine Myelinolyse ist eine im Zentrum der Pons gelegene akute Entmarkungszone. Sie wurde erstmals von Adams und Mitarbeitern als »(...) eine einzelne, scharf begrenzte Läsion mit Myelindestruktion ohne Bevorzugung eines bestimmten Fasersystems« beschrieben (Adams et al. 1959). Perikaryen und Axone sind jedoch zunächst nicht betroffen. Einige Patienten weisen auch demyelinisierende Läsionen außerhalb des Pons auf, diese sind dann aber ebenfalls symmetrisch. Zu den klassischen klinischen Symptomen zählen eine pseudobulbäre Paralyse und eine spastische Tetraparese. An zusätzlichen Symptomen können bestehen: Lockedin-Syndrom, Dysarthrie, Hirnnervenparesen (insbesondere Abducenz- und Fazialisparesen) oder andere diskrete neurologische Schädigungen (z. B. milde Okulomotorikstörung). Werden zur Diagnose strikte klinische und radiologische Kriterien herangezogen, zeigen nahezu alle Patienten assoziierte medizinische Probleme, z. B. Alkoholismus, fortgeschrittene Lebererkrankung, umfangreiche Verbrennungen, Hodgkin-Lymphome oder andere maligne Erkrankungen (McKee et al. 1988, Messert et al. 1979, Sullivan und Pfefferbaum 2001). Neuropathologisch und bildgebend lassen sich häufig klinisch asymptomatische zentrale pontine Myelinolysen in Form kleiner Läsionen nachweisen (Chason et al. 1964, Sullivan und Pfefferbaum 2001).