Depression und Suizidalität eine zentrale klinische Herausforderung H. P. Kapfhammer Klinik für Psychiatrie u. Psychotherapeutische Medizin Medizinische Universität Graz Was ist ein depressives Syndrom? Affektive Symptome Kognitive Symptome Somatische Symptome Bedrücktheit Traurigkeit Affektlabilität verminderte Reagibilität ziellose Angst, Panik Scham, Zurückweisung Schuldgefühle Selbstwertverlust Interesse-, Freudlosigkeit Entfremdung, Gefühllosigkeit Irritabilität Aggressivität Verlangsamung – Hemmung Einengung, Merkfähigkeitsstörung Konzentrationsstörung „negative Trias“ Schuld - Sünde Krankheit – Hypochondrie Verarmung Tod – Nihilismus psychomotorische Gehemmtheit psychomotorische Agitiertheit Suizidalität Ein-, Durchschlafstörungen frühmorgendliches Erwachen Hypersomnie Inappetenz, Gewichtsverlust Hyperphagie Libidoverlust Vitalitätsverlust – Müdigkeit Erschöpfbarkeit leibliche Missempfindungen lokalisierte Schmerzen Tagesschwankungen Depression: Psychopathologische Phänotypen Phänotypen – Endophänotypen – neurobiologische Systeme Major Depression Depressive Stimmung negative Emotionen Anhedonie gestörte Belohnung Kognitiv: Lernen/Gedächtnis Exekutiv-F. Neurovegetative / somatoforme Störungen Psychomotorik Hemmung / Agitiertheit Stresssensitivität Tagesschwankungen Biorhythmusstörungen Typische depressive Episode Diagnosestellung nach ICD-10 Depression - Epidemiologie Depressive Episode (Major Depression) Lebenszeitprävalenz: Punktprävalenz: Hausarztpraxen: 4 – 18 % 1.5 – 5 % ca. 10 % Dysthymie Lebenszeitprävalenz: Punktprävalenz: 3–6% 1–4% Bipolar affektive Störung ca. 1 % Depression – Epidemiologische Grunddaten 25 % 20 % 15 % 10 % 5% 0% USA Edmonton Puerto Rico Frauen Paris BRD Florenz Beirut Korea New Zealand Männer [Weissman et al. 1994] Theorien zur Erklärung der Geschlechtsunterschiede depressiver Störungen Artefakt Hilfesuchverhalten Symptombericht Diagnostischer Bias Biologisch Gehirnstruktur Gehirnfunktion Genetische Transmission Reproduktive Funktion Psychosozial Sozialer Status Rollenstress/Life events Traumatisierung Coping Stile Depression - Geschlechtsdifferenzen stressvolle Lebensereignisse Saisonalität Menstruationszyklus Schwangerschaft Wochenbett Menopause exogene Hormontherapie Depression Depression - Komorbidität Major Depression Panikstörung [40-80%] Major Depression Generalisierte Angststörung [ > 50%] Major Depression Zwangsstörung [3 - 30%] Major Depression Alkohol-/ Medikamentenmissbrauch [ > 30 %] Depression – klinische Ausgangslage – psychobiologische und psychosoziale Konsequenzen breites heterogenes Spektrum klinische Syndrome Schweregrad - Zeit Polarität: uni-, bipolar weibliche – männliche Depression Epidemiologie - Lebenszeitprävalenz Frauen: ca. 20% Männer ca. 12% Verlauf hohe Rezidivrate, ca. 20% chronisch bedeutsame Therapieresistenz bedeutsames Suizidrisiko psychiatrische Komorbidität (Angst, Sucht) somatische Krankheitsrisiken (metabolisches Syndrom, Adipositas, Diabetes mellitus, KHK) Kosten – Burden of Disease psychologisch, psychosozial, sozioökonomisch Was sind gesundheitspolitisch relevante Krankheitskosten? Lebensjahre mit Behinderung infolge Krankheit / Störung Was sind gesundheitspolitisch relevante Krankheitskosten? Gesundheitskosten in Milliarden US-Dollar / Jahr Multifaktorielle Ätiopathogenese depressiver Störungen – komplexes biopsychosoziales Stressmodell Aktuelle / chronische psychosoziale Belastungen fehlende soziale Unterstützung Disharmonie in Partnerschaft u. Familienkonflikte Rollenkonflikte Genetische Prädisposition Persönlichkeitsfaktoren Introversion, Neurotizismus Angstneigung, Attributionsstil Typus melancholicus gelernte Hilflosigkeit typische Psychodynamik Neurobiologische Vermittlung Neurotransmitter-Hypothese Genetische-Hypothese Neuroendokrinologische Hypothese Neuroinflammatorische Hypothese Neurotoxische Hypothese Physikalische Einwirkungen z.B. Lichtentzug z.B. somatische Erkrankungen Traumatische Erfahrungen z.B. Verlusterlebnisse andere negative Life-events Depression Depression, eine rezidivierende Erkrankung – psychosoziale Stressoren versus allostatische Mechanismen Kendler et al. (2001) Genetic risk, number of depressive episodes, and stressful events in predicting the onset of major depression. Am J Psychiatry 158: 582-586 Welche neurobiologische Mechanismen findet man konsistent bei der Depression als einer paradigmatischen Stresserkrankung? Zufallsentdeckung antidepressiver Wirkprinzipien Imipramin Wirkung eines Pharmakons Verständnis/Konzeptualisierung einer psychischen Störung Entwicklung differenzieller pharmakologischer Wirkprinzipien differenzierte neurobiologische Untersuchungsebenen Noradrenalin / Serotonin-Dysbalance-Hypothese der Depression Noradrenalin Serotonin emotionale/traumatische Konditionierung: Angst erste akute Stressantwort -Initiator der Stresskaskade Fight – Flight-Mechanismus Kognition - Verhaltenskontrolle rasche Sensitivierung unter chronischem Stress unter unkontrollierbarem Stress rasch dysfunktional Schlaf, Appetit, Sexualität, Schmerz betroffen inadäquate Informationsverarbeitung Nicht-Vermeidung aversiver Stimuli - Hilflosigkeit 5-HT u. NA dysfunktional in deszendierenden hemmenden Schmerzbahnen Dopamin-Dysbalance-Hypothese der Depression Dunlopp & Nemeroff (2007) Dopamin gestörtes Belohnungssystem: Motivation, Exploration, Interesse, Motorik betroffen Neurotransmission von im 5-HT-, NA- u. DA-System als Voraussetzung einer antidepressiven Wirkung Wiederaufnahmehemmung von 5-HT-, NA- u. DA-Transportermechanismen: vermehrtes Angebot von 5-HT, NA u. DA im synaptischen Spalt – längere Interaktion an postsynaptischen Rezeptoren – adaptive Mechanismen an diesen postsynaptischen Rezeptoren mit antidepressiver Wirkung zwar korreliert, aber Epiphänomene Molekulare Hypothese der Depression entscheidende Bedeutung der glutamatergen Neurotransmission für synaptische Plastizität (LTP) u. auch antidepressive Wirksamkeit NMDA: Ca-Einfluss in die Zelle: Aktivierung einer Reihe von second-messengers: - Calzium-Calmodulin- abhängige Kinase II rasche Phosphorilierung – Einbau von AMPA – Aktivierung von „silent synapses“ - cAMP unter Kontrolle von 5-HT, NA, DA u. Ca - Aktivierung einer Transduktionskaskade – Induktion von Genen und Proteinneusynthese - cAMP-abhängige Proteinkinase A - Mitogen-aktivierte Proteinkinase - Calzium-Calmodulin-abhängige Kinase IV - Aktivierung von Transkriptionsfaktor CREB - Induktion von Effektorgenen: Produktion von Neurotrophinen: BDNF, VEGF [Pittenger & Duman 2008] Wachstumsfaktoren – Neuroplastizität molekulare Voraussetzung von Lernen u. Gedächtnis – antidepressive Wirksamkeit Neuroendokrine Hypothese der Depression Dysfunktion der HPA-Achse grundlegende biologische Mobilisierung antinflammatorische Effekte Cortisol bindet an MR und GR: Transkriptionsfaktoren: Kodierung von Neuropeptiden + Wachstumsfaktoren mit Noradrenalin synergistisch bei emotionaler Gedächtnisbildung, aber hemmend auf Wiedererinnerung reguliert und beendet Stress-Kaskade Major Depression: - erhöhtes ACTH und Cortisol - mangelnde Suppression nach Dexamethason - erhöhtes ACTH + Cortisol im DEX/CRH-Test [nach: Yehuda 2001 Holsboer & Ising 2010] - erhöhte CRH- + Vasopressin = Subsensitivität des Kortikosteroid -Rezeptors Hypothese der Neurotoxizität der Depression Pittenger & Duman (2008) a. chronischer Stress (Depression) reduziert der dendritischen Spines b. chronischer Stress (Depression) reduziert Länge u. Komplexität apikaler Dendriten c. chronischer Stress (Depression) behindert / blockiert Neurogenese entscheidend vermittelt u.a. über erhöhtes Cortisol und Glutamat Hypothese der Neurotoxizität der Depression Stress reduziert die Expression von neurotrophen Wachstumsfaktoren (BDNF) in limbischen Strukturen der Stimmungsregulation: Atrophiezeichen in der Hippocampusformation u. reduzierte Neurogenese (Gyrus dentatus) Duman &. Monteggia (2006) Was hat Depression / Angst mit Inflammation zu tun? 3 empirische Beobachtungen: MDD geht mit erhöhten inflammatorischen Markern einher Inflammatorische somatische Krankheiten weisen höhere Raten komorbider Depressionen auf Patienten unter medizinischer Behandlung mit Zytokinen haben ein höheres Risiko für eine MDD Sickness-Behaviour = Depression? Inflammatorische und neurotoxische Hypothese [Maes et al. 2009] Hypothese der dynamischen Diskonnektivität kortikaler und subkortikaler Systeme der Depression [Maletic et al. 2007] Hypothese gestörter Biorhythmen der Depression Thalamus 3. Ventrikel Epiphyse charakteristisch für Lebewesen Suprachiasmatische nuclei (SCN): “ Master clock ” Licht PVN Modulation von biologischen, physiologischen und Verhaltens-Parametern: Chiasma opticum − − − − − − − Hypophyse Körpertemperatur Blutdruck Hormon-Sekretion (Kortisol, TSH, etc.) Immunantwort motorische Aktivität, kognitive Leistung Schlaf-Wach Rhythmus Stimmung . SCN Medulla SCN: suprachiasmatischer Nucleus PVN: paraventriculärer Nucleus Hypothese gestörter Biorhythmen der Depression Corpus callosum Cingulärer Cortex Frontaler Cortex Fornix Chiasma opticum Thalamus Nucleus suprachiasmaticus Hypophyse Mammillarkörper MT1 MT2 5-HT2C Amygdala Hippocampus Cerebellum zwei Subtypen von melatoninergen Rezeptoren im SCN : MT1 und MT2 regulieren zirkadiane Rhythmen hohe Dichte von 5-HT2c Rezeptoren im SCN induzieren Tiefschlaf (slow wave sleep) [Mignot E. et al. 2002; Turek FE, et al. 2001] Schlafarchitektur in Depression und Euthymie [Nutt 2008] Genetische und Umweltfaktoren tragen zum Depressionsrisiko entscheidend bei Depression Mahan & Ressler (2012) Depression und metabolisches Syndrom Depression Hypercortisolämie Sympatho-vagale Dysbalance OR:2.0 Kinder et al, Psychosom.Med.,2004 Metabolisches Syndrom OR:3.6 Wannamethee et al, Arch.Intern.Med,2005 Diabetes mellitus II Morbidität bei Depression OR:2.0 Eaton et al, Diabetes Care, 1996 OR:1.6 Wannamethee et al, Arch.Inter.Med.,2005 Koronare Herzerkrankung Morbidität bei Depression OR:2.7 Mortalität bei Depression OR:2.6 Rugulies et al, Psychosom.Med., 2004 van Melle et al, Psychsom.Med., 2004 Herzinfarkt und Depression – psychobiologische Vermittlungsmechanismen HPA-Dysfunktionalität CRF, ACTH, Cortisol kardiale Risikofaktoren: Hypercholesterinämie, Hypertriglyceridämie, Hypertonus, Atherosklerose-induzierende Effekte, verzögerte Wundheilung SAA-Dysfunktionalität Verringerte Herzratenvariabilität CRF stimuliert sympathische Aktvität = Adrenalin und Noradrenalin koronare Ischämie / Herzinsuffizienz: ebenfalls sympthikoadrenale Hyperaktivität: Herzrate, orthostatische Regulation, Gefäßreaktionen, Thrombozytenfunktionen sympathisches, parasympathisches, R-A-System - HRV bei koronaren KHK reduziert,Risiko plötzlichen Herztodes signifikant erhöht; analog bei Depression, prädisponiert für ventrikuläre Arrhythmien, sekundär zu Exzessmortalität Thrombozytenfunktionen Myokardiale Ischämie – ventrikuläre Instabilität, Kammerflimmern: wahrscheinlicher Mechanismus für plötzlichen Herztod Psychologischer Stress: Senkung der Schwelle der Vulnerabilitätsperiode des Ventrikels; PVC Risiko plötzlichen Herztods Kardiotoxizität Hämostase, Thrombosenbildung, Atherosklerose, IA mit subendothelialen Gefäßkomponenten / Gerinnungsfaktoren im Plasma (Thrombin) T: adrenerge, serotonerge, dopaminerge Rezeptoren Depression u. KHK: Thrombozytenaktivierung , vermehrte Plättchenfaktor 4 / β -Thromboglobulin Serotonin: Aktivierung / Sekretion von T Inflammatorisches System MD u. Myokardinfarkt: Aktivierung proinflammatorischer Zytokine: Immunkomplexe (Extravasation) – „Hypercortisolismus“, erhöhtes SNS, verringerte HVR aktivierte IDO: Tryptophan - vermehrte Quinolinsäure, verringerte Serotoninsynthese: depressive Symptome, Verschlussereignisse reduzierte vielfach-ungesättigte Fettsäuren (PUFA, z.B. Omega-3-FS) Depression – Versorgungssituation durch Internisten / Allgemeinmediziner Versorgungsrealität – spezifische Therapie von Depressionen (n = 732) Behandlungsstatus behandelt unerkannt unerkannt/unbehandelt [n = 211] [n = 196] [n = 521] 14 – 24 Jahre 24 – 44 45 + 12.9 % 40.2 % 46.6 % 34.1 % 21.1 % 19.1 % 87.1 % 59.8 % 53.4 % gesamt 28.8 % 26.8 % 71.1 % Männer Frauen 11.7 % 34.4 % 43.0 % 21.5 % 88.3 % 65.5 % Wittchen et al. (1999) Depressionsbehandlung - multimodal Depressionstherapie Psychologische Therapieverfahren Kognitive Verhaltenstherapie Interpersonelle Psychotherapie Psychodynamisch-tiefenpsychologisch Therapie Partner- / Familientherapie Psychosoziale Interventionen (Angehörige, Hilfen) Biologische Therapieverfahren Pharmakotherapie (Antidepressiva) Schlafentzugsbehandlung Lichttherapie Elektrokonvulsionstherapie Psychotherapeutisches Basisverhalten Stützendes ärztliches Gespräch Pharmakotherapie der Depression Rolle von Noradrenalin, Serotonin und Dopamin in der Stimmungs- und Antriebsregulation Noradrenalin Serotonin Dopamin Healy et al. J Psychopharmacol 1997; 11: S25-S31 Depressionsbehandlung mit Medikamenten – allgemeine Beurteilung In den allermeisten Fällen sind Depressionen medikamentös mit recht gutem Erfolg und mit großer Sicherheit zu behandeln. Antidepressiva machen nicht abhängig. Sie verändern auch die Persönlichkeit nicht. Es ist kein Widerspruch, Medikamente und Psychotherapie bei der Behandlung einer Depression miteinander zu kombinieren. Die langfristige Perspektive in der Depressionsbehandlung Kognitives Behandlungsmodell der Depression gründet wesentlich im kognitiven Modell von A. Beck zentraler Stellenwert negativer Urteile über Selbst, Welt im Allgemeinen, Zukunft im Besonderen - kognitive Störungen - Verhaltensebene: verringerte Selbstwirksamkeit, reduzierte Initiative zu positiv verstärkenden Handlungen - symptomatologisch: emotionale Dysregulation, Impulskontrollstörung Bedeutung einer entwicklungspsychopathologischen Dimension: zentrale Schemata in Selbstorganisation u. Beziehungsfähigkeit - „verlassenes u. missbrauchtes Kind“ - „ärgerliches u. impulsives Kind“ - „distanzierter Beschützer“ - „strafendes Elternteil“ automatischer innerer Monolog Kognitive Dysfunktionen Schemata Klinische Herausforderungen: depressive Störungen im Vergleich zur Medikamentengruppe Kognitiv-behaviorale Therapie (CBASB) gleichwertig bei nicht-psychotischen, unipolaren Depressionen in Akutphase „endogenes“ Symptompattern Schweregrad ! Abbruch-Quote: Überlegenheit unterschiedliche Wirkzeit günstige Langzeitprophylaxe Friedman u. Thase (2005) Interpersonale Psychotherapie der Depression Pathogenetischer Fokus: depressive Vulnerabilität vorrangig im Bedingungskontext psychosozialer Stressoren aktiviert aktuelle psychosoziale Stressoren: • partnerschaftliche / familiäre Disharmonie • fehlende psychosoziale Unterstützung • konflikthafte Rollenanforderungen • pathologische Trauerprozesse Wahl eines zentralen Behandlungsfokus Klinische Herausforderungen: depressive Störungen im Vergleich zur Medikamentengruppe Interpersonale Psychotherapie gleichwertige Effizienz breiteres psychosoziales Wirkspektrum auch bei schwereren Depressionen in Langzeitperspektive wiederkehrende IPT-Kontakte notwendig Markowitz (2005) Psychodynamische Entwicklungsreihe zur Depression: äußerer Anlass – innere Reaktion Äußere Anlässe: - Verlust einer wichtigen persönlichen Beziehung - Verlust von hochgeschätzten Selbstattributen: Körper, Gesundheit, Fertigkeiten, Werte, Ziele, Ideale, Heimat, Beruf, Besitz = äußeres Verlusterlebnis = innerer Konflikt = innere Bedrohung = Selbstverlust Innere Verarbeitung: Selbst auf Objekt angewiesen, große Ambivalenz: - Gefühle der Verlassenheit, Verlorenheit, des Verletzung, der Kränkung - passive Wünsche nach Umsorgung, Anklammerung, Vorwürfe, Ärger/Wut/Hass - konfliktträchtige aggressive Gefühle = unbewusst: gefährden / vernichten „gutes“ Objekt - Idealisierung des „guten Objekts“, objektbezogene Aggression – Wendung gegen das Selbst - objektbezogene Wünsche / Gefühle zunehmend durch selbstzentrierte Emotionen ersetzt - äußeres Rückzugsverhalten – innere Regression - frühe emotionale, triebhafte Themen, dysfunktionale Ich-Funktionen (Hilflosigkeit), unreife Gewissensreaktionen, Selbstbestrafung, reduziertes Selbstwertgefühl, - Circulus vitiosus: Hoffnungslosigkeit, Suizidalität Psychodynamik – zentrale Konfliktthemen bei depressiven Störungen Narzisstische Vulnerabilität Frühe Erfahrungen / Wahrnehmungen von Verlust, Zurückweisung, Ineffektivität Sensitivität gegenüber realen / subjektiv angenommenen Verlusten, Zurückweisungen Konflikthafter Ärger / Wut Ärger, Wut auf mangelnde emotionale Reagibilität anderer auf eigene Wünsche / Bedürfnisse Ärger / Wut aus der Anschuldigung anderer für eigene Verletzlichkeit, Neid Andere: unempathisch, feindselig, bedrohlich, vernichtend Schuld / Scham (Über-Ich / Ich-Ideal) Wendung gegen die eigene Person / Selbst, verinnerlichte „strafende“ Elternbilder, Wünsche: Ärger, Neid, Gier: „falsch, böse“ Negatives Selbstbild, Selbstkritik, niedriger Selbstwert Idealisierung/ Entwertung von Selbst / Andere Bestreben, niedrigen Selbstwert zu mildern: hohe Selbstansprüche, andere idealisiert in der von ihnen erwarteten Bedürfnisbefriedigung Entwertung anderer, um eigenen Selbstwert zu heben hohe Enttäuschung- / Kränkungsempfindlichkeit charakteristische innerseelische Mechanismen - Verleugnung - Projektion - passive Aggression - Reaktionsbildung Klinische Herausforderungen: depressive Störungen im Vergleich zur Medikamentengruppe Psychodynamische Verfahren insgesamt geringere Datenlage keineswegs geringere Effizienz (Leichsenring 2001) Erkenntnisse über Subgruppen /Verläufe wenngleich keine kontrollierten, doch bedeutsame Erkenntnisse über psychoanalytische Langzeittherapien (Leunzinger-Bohleber et al. 2001; Sandell et al. 2000) Zur Kombination von medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung Kombinationstherapien sind häufig angezeigt und auch am wirksamsten: - bei schweren Depressionen mit hohem Rückfallrisiko - besonders Frauen und auch ältere Patienten profitieren davon Grunddaten zur Suizidalität • WHO – Schätzung: ca. 500 000 Suizidtote / Jahr • Europäische Union: > 45.000 Suizidtote / Jahr • Deutschland: 13 000 – 15 000 Suizidtote / Jahr • Österreich (2004): 1.418 Suizidtote (1.073 Männer und 345 Frauen) • Suizidversuche: ca. 10-fache Anzahl der Suizide Europäische Suizid-Statistik Suizidrate in Abhängigkeit von Geschlecht und Alter Suizidrate in Österreich / Steiermark Suizidrate in Österreich im europäischen Vergleich - Frauen: 13.2 (SR) - Männer: 38.0 (SR) Steiermark: signifikant über österreichischem Durchschnitt 1999: 280 Suizidtote 2000: 273 Suizidtote höhere Mortalität durch Suizide als durch Verkehrsunfälle Suizidalität – Begrifflichkeit Suizid Suizidversuch Suizidgedanken, -phantasien Todeswunsch - eng gefasst - parasuizidale Geste (Appell) - parasuizidale Pause (Ruhe) Abschätzung von Suizidalität Risikogruppen Krisen, Krisenanfälligkeit Suizidale Entwicklung Präsuizidales Syndrom Suizid - Risikogruppen Hohes Risiko: 50-500mal höher als in Normalbevölkerung 1. Depressive aller Art 2. Alkohol-,Medikamenten-, Drogenabhängige 25% aller SV (60-120mal höheres Risiko) 3. Alte und Vereinsamte 4. Personen, die Suizidankündigungen machen: 80% unternehmen einen SV (Pöldinger 1989) 5. Personen, die bereits einen SV gemacht haben (Wiederholungsgefahr bei Depressiven: 21,2%;Wedler1992) 6. 20-30% neuerlicher SV innerhalb von 10 J.: 10% tödlicher Ausgang Suizidrisiko im ersten halben Jahr nach SV am höchsten Suizidalität und psychische Erkrankung Suizid psychische Krankheit Psychologische Autopsie-Studien: Diagnosen [aus: Bronisch u. Hegerl 2010] Suizidalität – Krisen, Krisenanfälligkeit Krise: individuell nicht mehr sinnvoll / erfolgreich zu bewältigende Erlebnisse oder Ereignisse Krisen aus Lebensveränderungen: Verlassen des Elternhauses Heirat, Geburt eines Kindes Wohnungswechsel Arbeitslosigkeit „Lebensmitte“ Pensionierung Tod einer nahen Person Krankheit, Invalidität Soziale, persönliche Niederlagen Äußere Katastrophen Individuelle Krisenanfälligkeit: Persönlichkeit + Lerngeschichte + soziales Netz Situativ steigendes Suizidrisiko Die situativen Anforderungen übersteigen die Bewältigungsfähigkeiten einer Person. subjektive Einschätzung: aktuelle Lage, grundlegende Wertvorstellungen subjektive Einschätzung der Ressourcen zentraler Prädiktor: Hoffnungslosigkeit „ich will nicht mehr kämpfen“ wenig Vertrauen, in eigene Problemlösungsfähigkeit Suizidalität – suizidale Entwicklung – präsuizidales Syndrom Subjektiv nicht mehr lösbare Krise Selbstmord als Lösungsmöglichkeit Vorstellbar - Suggestive Momente Einengung Hoffnungslosigkeit Entschluss Ambivalenzstadium - „Hilferufe“ - Kontaktsuche Aggressionsumkehr - „Ruhe vor dem Sturm“ Suizidphantasie Suizidhandlung nach: Pöldinger, Ringel