Einleitung: Die populistische Herausforderung I. Den Pudding an

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Einleitung: Die populistische Herausforderung
Seit Mitte der achtziger Jahre ist es in zahlreichen westeuropäischen Ländern zur
Herausbildung einer neuen und zugleich neuartigen Parteienfamilie gekommen, für die sich in
der Wissenschaft und im journalistischen Sprachgebrauch der Begriff "rechtspopulistisch"
eingebürgert hat. Als die Neuankömmlinge am rechten Rand (Front National, Lega Nord,
Vlaams Blok, FPÖ) in ihren Ländern auf den Plan traten und die ersten spektakulären
Wahlerfolge erzielten, war man noch geneigt, sie als flüchtige Protesterscheinungen abzutun,
wie es sie in den westlichen Demokratien – auch in populistischer Gestalt – schon immer
gegeben hatte. Es herrschte also die Erwartung, dass die Herausforderer über kurz oder lang
wieder auf Normalmaß zurückgestutzt und aus den Parteiensystemen ganz verschwinden
würden. Die weitere Entwicklung sollte dies gründlich widerlegen. Nicht nur, dass die
Rechtspopulisten ihre Stellung verteidigen und sogar noch weiter ausbauen konnten. Das
Phänomen begann sich nun auf andere westeuropäische Länder auszudehnen und machte auch
vor den neuen Demokratien Mittel- und Osteuropas nicht halt.
Dass sich die Wahlergebnisse der rechtspopulistischen Parteien ab 1999 im Durchschnitt
leicht verschlechterten, hat mehr mit deren Erfolgen als mit einer nachlassenden
Empfänglichkeit der Wähler für die populistischen Botschaften zu tun. Dies zeigt sich vor
allem darin, dass der Populismus auf die etablierten Parteien des politischen "Mainstreams"
immer stärker übergriffen hat. Diese machen sich nicht nur die Themen der
rechtspopulistischen Akteure zu eigen, sondern auch deren Techniken in der
Wähleransprache. Gleichzeitig können wir in Europa seit einigen Jahren einen Aufschwung
linkspopulistischer Parteien und Bewegungen beobachten, die vieles von dem, was die
Wähler heute umtreibt, offenbar glaubwürdiger adressieren können als ihre rechten
Kontrahenten. Die etablierte Politik befindet sich also gleichsam im populistischen
Zangengriff von links und rechts.
I. Den Pudding an die Wand nageln oder: Was ist
Populismus?
Populismus ist ein schillernder Begriff, der in der Alltagssprache und im Journalismus
genauso verwendet wird wie in der Wissenschaft. Die inhaltliche Bedeutung ist dabei aber
nicht immer dieselbe. Alltagssprachlich wird der Populismus häufig mit einer
popularitätsheischenden, den Stimmungen des Volkes nachlaufenden und nachgebenden
Politik gleichgesetzt. Die Bewertung ist hier in der Regel negativ. Der Populist, so heißt es,
verhält sich "billig", streitet nicht um der Sache, sondern um der vordergründigen Gunst des
Publikums willen. Den wissenschaftlichen Inhalt des Begriffs trifft das nur zum Teil. Hier
wird mit Populismus in erster Linie eine Haltung umschrieben, die für das sogenannte
"einfache" Volk und gegen die herrschenden gesellschaftlichen und politischen Eliten Partei
ergreift. Hauptwesensmerkmal des Populismus ist mithin seine Anti-EstablishmentOrientierung. Träger einer solchen Orientierung können einzelne Personen, Bewegungen,
Parteien oder auch ganze Regime sein.
Für die wissenschaftliche Analyse des Populismus bietet es sich an, drei Bedeutungsebenen
voneinander zu unterscheiden. Die erste Bedeutungsebene fragt danach, wie der Populismus
entsteht, welche gesellschaftlichen Ursachen ihm zugrunde liegen. Die zweite
Bedeutungsebene bezieht sich auf die ideologischen Inhalte des Populismus und die dritte
Bedeutungsebene auf dessen formale und stilistische Merkmale.
Gesellschaftliche Entstehungshintergründe
Populistische Parteien und Bewegungen sind ein Phänomen gesellschaftlicher
Modernisierungskrisen; sie treten auf, wenn infolge zu raschen Wandels oder zu großer
Verwerfungen bestimmte Bevölkerungsgruppen Wert- und Orientierungsverluste erleiden.
Diese Verluste, die ökonomische Ursachen haben können, in der Regel aber kulturell
vermittelt sind, gehen mit Statusangst, Zukunftsunsicherheit und politischen
Entfremdungsgefühlen einher. Schon zu früheren Zeiten hat es populistische Bewegungen
gegeben, die sich dies zunutze machten – man denke nur an die ausgangs des 19. Jahrhunderts
in den USA entstandene Populist Party (der das Phänomen seinen Namen verdankt) oder die
Poujadisten in der IV. Französischen Republik. Dabei handelte es sich freilich um räumlich
und zeitlich versetzte Erscheinungen, während die heutigen Modernisierungsprozesse gerade
dadurch charakterisiert sind, dass die Gesellschaften in ihrer ökonomischen, kulturellen und
politischen Problembetroffenheit immer mehr zusammenrücken. Hier liegt der Hauptgrund
für das gleichzeitige Auftreten der populistischen Herausforderer in den einzelnen Ländern
und zugleich eine Erklärung für deren Dauerhaftigkeit.
Selbstverständnis und Ideologie
Charakteristisch für die politischen Inhalte des Populismus sind das Zusammentreffen von
Personalismus und Gemeinschaftsdenken und sein "gespaltenes" Gleichheitsverständnis.
Einerseits bringen die Populisten das Volk in Stellung gegen die herrschende Elite, die sie in
verschwörungstheoretischer Manier als Verräter des eigentlichen Volkswillens brandmarken.
Andererseits grenzen sie das "einheimische" Volk von den vermeintlich Nicht-Zugehörigen
anderer Nationen oder Kulturen ab. Es ist nicht in erster Linie die Rückwärtsgewandtheit,
sondern das anti-egalitäre Moment, das solche Abgrenzungen als ideologisch "rechts"
qualifiziert. Dies schließt die Möglichkeit eines linken Populismus nicht aus. So wie die
rechten pflegen auch die linken Populisten das anti-elitäre Ressentiment, die Gegnerschaft
zum System und die Parteinahme für den kleinen Mann. Im Gegensatz zu diesen grenzen sie
sich allerdings nicht von anderen gesellschaftlichen Gruppen – etwa den "Ausländern" – ab,
sondern treten in wertebezogenen Fragen eher liberal auf. Hier bilden sie den genauen
Gegenpol zur populistischen Rechten.
Auftreten und Organisation
In formaler Hinsicht treten als Hauptmerkmale rechtspopulistischer Parteien ihr
Bewegungscharakter und das Prinzip der charismatischen Führerschaft hervor. Darüber
hinaus kennzeichnet den Populismus eine bestimmte Art und Weise, wie er sich zu den
umworbenen Wählern in Beziehung setzt. Manche Autoren behaupten, dass diese formalen
Merkmale das Wesen des Populismus besser umschreiben als die ideologischen Inhalte, die
flexibel gehandhabt werden könnten, wenn nicht sogar beliebig seien. Dabei wird jedoch
übersehen, dass beides in engem Zusammenhang steht. So wie die Ausrichtung auf eine
Führerfigur etwas über das inhaltliche Selbstverständnis der Partei aussagt, so kommt in den
Techniken der Wähleransprache die Anti-Establishment-Orientierung des Populismus zum
Vorschein.
II. "Die da oben, wir hier unten" – Identität und
Feindbilder
Populismus basiert auf einer romantisierten Vorstellung des "Volkes", das als eine mehr oder
minder homogene Masse angesehen wird. Das "Volk", von dem Populisten sprechen, ist nicht
mit der realen »Bevölkerung« zu verwechseln, sondern stellt ein Idealbild dar, das Identität
schaffen und Zugehörigkeit vermitteln soll. Der komplexe Aufbau moderner Gesellschaften in
Form von Schichten und Milieus und die damit zusammen hängenden unterschiedlichen
Interessenlagen werden geleugnet. Stattdessen schreiben Populisten dem nicht näher
bestimmbaren "Volk" moralische Werte und Tugenden zu – so kommen die Chiffren vom
"anständigen Bürger" und vom hart arbeitenden "kleinen Mann" zustande. Welche Tugenden
dem »kleinen Mann« zugeschrieben werden, hängt deshalb auch immer davon ab, wie das
Programm der populistischen Partei weiter ausgestaltet ist. Rechte Parteien werden eher auf
die nationale Identität, etwa den "deutschen Familienvater" abstellen, während linke
Gruppierungen stärker an den sozialen Status der Arbeitnehmer und Arbeitslosen appellieren.
Wie auch immer der Volksbegriff gefüllt wird – die Identitätspolitik des Populismus schließt
die Ausgrenzung anderer Gruppen mit ein. Populismus ist immer auch eine
Abgrenzungsideologie. Dem "guten" Volk wird die politische Elite gegenüber gestellt, die
sich durch Eigeninteressen dem eigentlichen demokratischen Souverän entziehe. Die
politische Klasse wird mit dem Generalverdacht belegt, sich vom Willen des "Volkes"
entfernt zu haben. Politische Entscheidungen werden daher aus komplexen Zusammenhängen
gelöst und der Verantwortung einzelner oder dem »Establishment« als Ganzes zugeschrieben.
Dabei werden die politischen Eliten an den moralischen Maßstäben gemessen, mit denen auch
das "Volk" belegt wird: Dort, wo sich demokratische Prozesse als langwierig erweisen oder
keine Idealergebnisse produzieren, mangelt es aus Sicht der Populisten an Arbeitswillen oder
demokratischem Bewusstsein.
Populisten propagieren deshalb nicht nur den verstärkten Einsatz direktdemokratischer
Elemente als unmittelbaren Ausdruck des homogenen Volkswillens. Sie setzten vor allem auf
charismatische Führungspersönlichkeiten, die mittels brachialer Rhetorik als "Sprachrohre des
Volkes" inszeniert werden. Solche Politiker stellen Identifikationsfiguren dar, die
vermeintlich das ausdrücken, was der "kleine Mann" denkt.
Der Populismus grenzt das "gute" Volk gegenüber den politischen Eliten ab, aber nicht nur:
Er schließt auch diejenigen aus, die nicht in seine kulturellen Maßstäbe passen. So werden, je
nach Spielart, religiöse oder sexuelle Minderheiten oder Migranten ausgegrenzt. Populismus
hat daher immer auch eine anti-pluralistische Komponente, die sich bis zur offenen
Fremdenfeindlichkeit steigern kann.
III. Appell an die "Verlierer": Populismus und
Modernisierung
Es ist eine Binsenwahrheit, dass alle Gesellschaften Entwicklungsprozesse durchmachen, die
tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen können. Den Übergang vom alten Zustand in
einen neuen bezeichnen wir als Modernisierung. Modernisierungsprozesse bringen
strukturelle Veränderungen mit sich: Arbeitsverhältnisse verändern sich, ganze
Wirtschaftszweige entfallen, traditionelle Bindungen lösen sich auf. Nicht alle können mit
diesen Ereignissen Schritt halten: Möglicherweise fehlt ihnen der Bildungshintergrund, der
mangelnde Wille zur Anpassung, oder ihre berufliche Qualifikation wird nicht mehr oder nur
zu geringen Löhnen nachgefragt. Dabei muss jedoch nochmals zwischen zwei Gruppen
unterschieden werden: Einerseits zwischen jenen, denen durch Modernisierungsprozesse
objektiv Nachteile in Form von Armut oder Arbeitslosigkeit entstehen (objektive Deprivation)
und solchen, die nicht objektiv betroffen sind, aber Angst vor dem sozialen Abstieg haben
oder sich bereits abgestiegen wähnen (subjektive Deprivation).
Populisten zielen in der Regel genau auf diese Gruppen ab. Sie kanalisieren Ängste und
Befürchtungen, indem sie komplexe soziale und ökonomische Prozesse auf vermeintlich
Verantwortliche reduzieren. Dabei wird nicht nur auf die "untätigen Politiker" abgestellt. Es
werden Schuldige für die Krise ausgemacht, indem gezielt gängige Klischees und Vorurteile
aufgegriffen werden: So ist die Rede von "zu vielen Ausländern", die "deutsche
Arbeitsplätze" für sich einnähmen oder "geldgierigen Managern", die die "Misere" zu
verantworten hätten. Dabei werden völlig unterschiedliche Elemente scheinbar plausibel
miteinander in Zusammenhang gebracht: Der "deutsche Steuerzahler" muss für "die
Asylanten" bezahlen, die "wie die Maden im Speck" lebten und damit den Staatshaushalt
schröpften.
Mit der Reduktion von Modernisierungsprozessen auf "Sündenböcke" werden strukturelle
Veränderungen personalisiert. Dadurch bieten Populisten einfache Erklärungsmodelle an, die
den Unmut derjenigen bedienen, die von diesen Problemen betroffen sind. Abgesehen davon,
dass Populismus in dieser Form Wut lediglich kanalisiert, aber keine Lösungen formuliert, ist
dieses Vorgehen auch immer politisch bedenklich, weil es dazu tendiert, feindliche Gefühle in
der Bevölkerung zu aktivieren und für sich zu nutzen.
Populismus und Modernisierung sind "zwei Seiten einer Medaille". Das bedeutet jedoch
nicht, dass dort, wo soziale Umwälzungen stattfinden, auch immer populistische Parteien
Erfolg haben müssen. Es heißt lediglich, dass diese Prozesse immer ein Gelegenheitsfenster
öffnen, das solche Gruppierungen entstehen lassen und von ihnen genutzt werden kann.
IV. Populistische Agitationstechniken
In aufsteigender Reihenfolge ihrer Radikalität lassen sich folgende "Stilmittel" des
Populismus zusammenfassend unterscheiden:
Rückgriff auf common sense-Argumente
Eine typische Argumentationsfigur besteht in der Gleichsetzung von individueller und
kollektiver Moral nach dem Motto: was sich im privaten Bereich bewährt und als richtig
erwiesen hat, kann im öffentlichen Bereich nicht falsch sein! Dieser Logik folgen z.B. ein
Großteil der populistischen Aussagen zur Wirtschaftspolitik (Forderungen nach Sparsamkeit,
stärkerer Eigenvorsorge, individueller Haftung bei Unternehmenspleiten und ähnliche).
Die Vorliebe für radikale Lösungen
Populisten halten nichts von einer Politik kleiner Schritte, sondern verlangen stets das
beherzte Durchgreifen, den großen Wurf. Weil sie die Tugend der Kompromissfähigkeit als
Untugend erachten, geraten sie fast zwangsläufig in den Status einer Fundamentalopposition.
Entsprechend schwer tun sie sich, wenn sie selbst politische Verantwortung übernehmen
sollen. Die Anti-Haltungen des Populismus in ein konstruktives Programm umzumünzen,
kommt der sprichwörtlichen Quadratur des Zirkels gleich.
Verschwörungstheorien und das Denken in Feindbildern
Das populistische Bild der Gesellschaft entspricht einer klaren Frontstellung: hier das Volk
und seine Fürsprecher, dort der innere und äußere Feind. Die Konstruktion des Feindbildes
erfolgt zum einen durch Personifizierung – gesellschaftliche Probleme werden auf bestimmte
Personengruppen projiziert, um diese als Schuldige zu entlarven –, zum anderen durch
verschwörungstheoretische Begründungen. Dabei wird auch die eigene Partei oder Bewegung
gerne als "Opfer" hingestellt.
Provokation und Tabubruch
Die Parteinahme für den "kleinen Mann" bedeutet nicht, dass der Populismus dessen
Stimmungen hinterherläuft und immer nur solche Meinungen vertritt, die besonders populär
sind. Der Zwang, sich von der herrschenden Elite abzugrenzen, verlangt im Gegenteil nach
kalkulierten Entgleisungen, die an Tabus rühren und damit provozierend wirken. Gerade
dadurch, dass die Populisten auf die Zustimmung relevanter Bevölkerungsteile verzichten und
sich selbst als Außenseiter hinstellen, gewinnen sie Glaubwürdigkeit unter ihren Anhängern.
Verwendung von biologistischen und Gewaltmetaphern
Um die Feindlage glaubwürdig zu vermitteln, greift der Agitator zu drastischen
Formulierungen, bedient er sich einer Sprache, die an Gewalt und Krieg erinnert. Die
Ablehnung des Fremdartigen und "Widernatürlichen" wird durch sexuelle, medizinische oder
Tiermetaphern zum Ausdruck gebracht, die das Bild einer kranken, von Zerfall und
Zersetzung bedrohten Gesellschaft zeichnen sollen (Volkskörper, Geißel, Schmarotzer,
Raubtierkapitalismus und ähnliche).
Emotionalisierung und Angstmache
Wortwahl und Diktion tragen dazu bei, Stimmungen in der Bevölkerung emotional
anzuheizen. Der populistische Akteur spielt mit Ressentiments und Vorurteilen, die sich in
aggressiver Form gegen den angeblichen Feind entladen. Vorhandene Unsicherheiten und
Statusängste werden nicht argumentativ entkräftet, sondern im Gegenteil als "Malaise"
bewusst geschürt, um das Publikum für die populistische Botschaft empfänglich zu machen.
Die Gegenüberstellung von Freund und Feind gibt dem Agitator die Möglichkeit, sich selbst
als Auserwählten und Retter hinzustellen.
V. Populismus und Extremismus
Populistische Parteien können zugleich extremistisch sein, wenn sie die Schwelle zur offenen
Systemfeindlichkeit überschreiten. Unter den europäischen Vertretern gilt dies z. B. für den
französischen Front National oder den – vor einigen Jahren in Vlaams Belang umbenannten –
belgischen Vlaams Blok. Als historisches Beispiel könnte man den Nationalsozialismus
nennen. Innerhalb der populistischen Parteienfamilie bleiben die extremistischen Vertreter
allerdings die Ausnahme. Der Mainstream des Rechtspopulismus – von den skandinavischen
Fortschrittsparteien über Berlusconis Forza Italia bis hin zur österreichischen FPÖ – ist nicht
oder nur in eingeschränktem Sinne (FPÖ) extremistisch. Umgekehrt kann es auch
rechtsextreme Parteien geben, denen die typischen Elemente des Populismus fehlen. Dies gilt
z. B. für die bundesdeutsche NPD.
Vergleicht man innerhalb Europas die Wahlergebnisse der nicht extremistischen
rechtspopulistischen Parteien mit denjenigen der nicht populistischen extremen Rechten, so
ziehen die letztgenannten klar den Kürzeren. Der Populismus stellt also den eigentlichen
Erfolgsgaranten der Rechtsparteien dar. Der Extremismus steht solchen Erfolgen eher im
Wege, weil er ideologisch gemäßigte Wähler abschreckt und die Entwicklung einer
populistischen Strategie der Wähleransprache behindert. Der Zusammenhang hat allerdings
zugleich eine aus Sicht der gemäßigteren Vertreter unschöne Kehrseite: Sind die Populisten
im Wählerwettbewerb erfolgreich, könnten extremistische Kräfte versuchen, auf deren
Trittbrett aufzuspringen. In der Bundesrepublik wurden auf diese Weise eine Reihe von
Rechtsaußenparteien unterwandert (Republikaner, Bund Freier Bürger, Schill-Partei), die
daraufhin prompt an Wählerzuspruch verloren bzw. an innerparteilichen Richtungskonflikten
zugrunde gingen.
VI. "Daham statt Islam": Populismus und
Fremdenfeindlichkeit
Populismus identifiziert Feindbilder und baut auf gesellschaftlich vorhandenen Vorurteilen
auf. Die Abgrenzung richtet sich immer gegen die politischen Eliten. Sehr viele Spielarten des
Populismus bedienen aber vor allem auch Ressentiments gegenüber kulturellen, religiösen
oder sozialen Minderheiten. Um Ängste und Unmut über politische Entscheidungen und
soziale wie ökonomische Wandlungsprozesse zu kanalisieren, konstruiert er Gruppen, die in
Gegnerschaft zum "guten Volk" stehen und den dort angeblich verankerten sittlichen und
moralischen Wertvorstellungen widersprechen oder diese offen bekämpfen wollen. Die
aggressivste Form machen hierbei rechtspopulistische Parteien aus, die offen gegen
Migranten vorgehen. Insbesondere geschlossene religiöse und kulturelle Gruppen bieten sich
als Feindbilder an, die sich vermeintlich offensichtlich von der »Mehrheitsgesellschaft«
abgrenzen.
In den letzten Jahren haben rechtspopulistische Parteien in Europa ihre Agitationen zunehmen
auf den Islam konzentriert. Dabei wird der Islam mit Islamismus als dessen politischer
Ausprägung gleichgesetzt und künstlich eine Brücke zum Terrorismus geschlagen.
Antiislamischer Populismus profitiert von vorhandenen Ängsten, die nach den
Terroranschlägen des 11. September 2001 gewachsen sind. Muslimische Gemeinden werden
häufig als "Parallelgesellschaften" wahrgenommen, die sich der Integration verweigerten.
Parteien wie die FPÖ in Österreich oder auch PRO NRW machen sich diese Sorgen zunutze,
indem sie Misstrauen vor den "Fremden" schüren, und Muslime unter Generalverdacht
stellen. Selbst, wenn Populisten auf offen fremdenfeindliche Aussagen verzichten: Mit dem
Hinweis, dass man nicht wisse, was in den Moscheen gepredigt werde, werden
verfassungsfeindliche Umtriebe automatisch assoziiert.
Die Perfidie des antiislamischen Populismus besteht darin, dass er durchaus auf real
existierende Probleme hinweist, etwa in Form mangelnder Integration, sprachlicher Barrieren
und sozialer Ausgegrenztheit. Er agiert nicht offen rassistisch, sondern appelliert an die
»deutsche Leitkultur« und warnt vor einer Übernahme des »christlichen Abendlandes« durch
einen aggressiven Islam. Die Forderungen des antiislamischen Populismus bestehen aber
nicht in Verständigung und Integration, sondern in der Ablehnung muslimischer Gotteshäuser
und die Ausgrenzung der muslimischen Kultur bis hin zur offenen Forderung nach
Massenabschiebung.
VII. Rechtspopulistische Parteien in Europa
Als die neuen Rechtspopulisten in den achtziger Jahren die ersten spektakulären
Wahlergebnisse erzielten, gerieten die Namen ihrer Anführer – Jean Marie Le Pen, Filip
Dewinter, Umberto Bossi, Jörg Haider – bald in aller Munde. In Dänemark und Norwegen
hatten vergleichbare Neugründungen schon in den siebziger Jahren Erfolge verbucht; an diese
konnten sie jetzt mit einer veränderten programmatischen Agenda ebenfalls anknüpfen.
Anderswo entpuppten sich die populistischen Vertreter als erfolgreiche Nachzügler, so z. B.
in der Schweiz. Hier vollzog die Volkspartei unter Christoph Blocher ihre Wandlung zum
Populismus erst in den neunziger Jahren und stieg in der Folge zur stärksten Partei des Landes
auf. In Italien war Silvio Berlusconi dieses Kunststück schon vorher gelungen. Die von ihm
1994 gegründete Sammlungsbewegung Forza Italia traf freilich auf besonders günstige
Bedingungen, nachdem das italienische Parteiensystem kurz zuvor vollständig
zusammengebrochen war. Besonders spektakulär geriet des weiteren der Aufstieg des
Niederländers Pim Fortuyn, dessen neu gegründete Partei bei den nationalen
Parlamentswahlen im Jahre 2002 aus dem Stand 17 Prozent der Stimmen erzielte – in einem
Land, das sich vor rechtsextremen oder -populistischen Herausforderern sicher glaubte.
Die Verwerfungen des Systemwandels und eine noch ungefestigte Parteienlandschaft sorgten
schließlich dafür, dass populistische Parteien auch in den neuen Demokratien
Mittelosteuropas aus dem Boden sprossen und vom Unmut der Wählerschaft profitierten.
Neben der Partei "Recht und Gerechtigkeit" der polnischen Kaczynski-Brüder sind hier vor
allem die "Bewegung für eine demokratische Slowakei" des langjährigen Premierministers
Vladimír Meiar oder die "Kleine Landwirte-Partei" von Jószef Torgyán in Ungarn zu nennen.
Die rechtspopulistischen Wahlerfolge haben nicht nur einen sozialen Nährboden, sondern sind
zugleich ein Produkt günstiger politischer Gelegenheitsstrukturen. Die Herausforderer haben
ihre Unterstützung dabei vorrangig aus drei Themen bezogen: wohlfahrtsstaatliche
Verteilungsprobleme, Parteienherrschaft und Migration. Am erfolgreichsten sind diejenigen
Vertreter gewesen, denen es gelungen ist, aus allen Themen gleichzeitig Kapital zu schlagen
und sie zu einer programmatischen Gewinnerformel zu verbinden – wie z. B. die
österreichische FPÖ. Auch die Europäische Integration ist aus diesem Grund in den letzten
Jahren zu einem immer wichtigeren Mobilisierungsthema der neuen Rechtsparteien
geworden. Folgt man deren Argumentation, dann steht die EU stellvertretend für sämtliche
Negativfolgen, die den Modernisierungsprozess tatsächlich oder angeblich begleiten:
materielle Wohlfahrtsverluste, multikulturelle Überfremdung und Krise der politischen
Repräsentation. Hier liegt zugleich ein Grund dafür, warum die Rechtspopulisten auf der
europäischen Ebene über alle nationalen Orientierungen hinweg inzwischen gut
zusammenarbeiten.
VIII. Rechtspopulismus in der Bundesrepublik
Anders als in den meisten europäischen Ländern haben sich rechtspopulistische und –
extremistische Parteien in der Bundesrepublik bislang nicht flächendeckend etablieren
können. Dennoch rechtfertigen es die einzelnen, teilweise spektakulären Wahlerfolge in
Ländern und Kommunen, von einer dritten Welle des Rechtsextremismus in Deutschland zu
sprechen (nach der ersten Welle in den frühen fünfziger und der zweiten Welle in den späten
sechziger Jahren). Diese Welle, die Ende der achtziger Jahre anhob und bis heute nicht
abgerissen ist, hat die 1983 als CSU-Abspaltung entstandenen Republikaner drei Mal, die
1987 neu formierte DVU des Münchner Verlegers Gerhard Frey sieben Mal und die
neonationalsozialistische NPD zwei Mal in die Landesparlamente gespielt. Hinzu kamen
Wahlerfolge von nicht-extremistischen rechtspopulistischen Vertretern wie der Schill-Partei,
die aber ebenfalls über die regionale Ebene nicht hinausreichten. Auch der Versuch, eine
bereits bestehende Partei auf rechtspopulistische Pfade zu führen, den man dem verstorbenen
FDP-Politiker Jürgen Möllemann unterstellt hat, war zum Scheitern verurteilt.
Für die relative Erfolglosigkeit gibt es eine Reihe von Gründen, von denen der wichtigste
sicher im ungünstigen öffentlichen und medialen Umfeld der Rechtsparteien zu suchen ist.
Aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit haben diese kaum eine Chance, der
Stigmatisierung zu entrinnen. Dies wirkt sich auch in organisatorischer Hinsicht nachteilig
aus, weil es ihnen dadurch erschwert wird, verschiedene Strömungen in einer gemeinsamen
schlagkräftigen Formation zu bündeln. Zwar lassen sich die Organisationsprobleme durch
eine charismatisch begabte Führerfigur zumindest zeitweilig überwinden, doch hat es den
Rechtspopulisten in der Bundesrepublik auch daran bezeichnenderweise bis zuletzt gefehlt
(von vorübergehenden Ausnahmen wie Schönhuber und Schill abgesehen).
Dabei mangelt es weder am sozialen Nährboden für den rechten Protest noch an populistisch
ausbeutbaren Themen. Von der Einwanderungspolitik über die Kriminalitätsbekämpfung bis
hin zur Kritik an der Europäischen Union handelt es sich dabei um dieselben Probleme, die
den Rechtspopulisten auch andernorts in Europa die Wähler zutreiben. Anders als dort
wurden die Themen von den Mainstream-Parteien hierzulande bisher jedoch soweit
neutralisiert bzw. abgedeckt, dass für die potenziellen Herausforderer wenig Raum blieb.
Ausnahmen bestätigen die Regel: So verbuchten die Republikaner ihre größten Wahlerfolge
Anfang der neunziger Jahre im Umfeld der ungelösten Asylfrage, während die Schill-Partei in
Hamburg 2001 von der sträflichen Vernachlässigung des Kriminalitätsproblems durch die
regierenden Sozialdemokraten profitierte. Dauerhafte Gelegenheiten sind den Populisten
durch diese Themen aber nicht entstanden.
Ob dies auch in Zukunft so bleibt, ist keineswegs ausgemacht. Die Mobilisierbarkeit des
Protests hängt in erster Linie von den Parteien selbst ab. Die verschiedenen Akteure bieten
hier ein sehr uneinheitliches Bild. Republikaner und DVU sind zur Zeit kaum noch
wahrnehmbar, während die aufgrund ihrer Militanz immer selbstzerstörerischer auftretende
NPD alles daran setzt, eine Fortsetzung ihrer Erfolgsserie im Osten selbst zu verhindern.
Gleichzeitig schicken sich jedoch neu entstandene Protestgruppierungen auf der kommunalen
Ebene an, an die Erfolgsformeln des europäischen Rechtspopulismus anzuschließen, indem
sie dessen Mobilisierungsthemen mit einen gemäßigter wirkenden Auftritt verbinden.
Eine prominente Stellung unter diesen Gruppierungen nehmen zur Zeit die nordrheinwestfälischen "PRO"-Bewegungen ein. Bei den Kommunalwahlen konnte die
"Bürgerbewegung PRO KÖLN" 2004 einen Achtungserfolg erzielen und mit 4,7 Prozent in
den Kölner Stadtrat einziehen. Ihr Erfolg gründete sich auf eine geschickte
Wahlkampfführung, indem sie Kritik an der Vetternwirtschaft der Kölner Politik mit
antiislamischer Stimmungsmache gegen den geplanten Bau einer Moschee im Stadtteil
Ehrenfeld verknüpfte. Damit ahmte die Partei die für die erfolgreichen europäischen Vertreter
des Rechtspopulismus charakteristische programmatische Gewinnerformel nach. Im Stadtteil
Poll erreichte PRO KÖLN mit 12,4 Prozent ihr bestes Ergebnis.
Die Strategie der PRO-Bewegungen besteht darin, offene Fremdenfeindlichkeit durch
vermeintlich moderate Islamkritik zu ersetzen und damit weit ins bürgerliche Lager
vorzustoßen. Das Stigma des Nationalsozialismus, das rechtsradikalen Gruppierungen in
Deutschland anhaftet, konnte die Partei dadurch umgehen, obwohl deren führende Mitglieder
vor der Gründung von PRO KÖLN in der rechtsextremen "Deutschen Liga für Volk und
Heimat" (DLVH) aktiv waren. Am 7. Februar 2007 gründete sich der Verein "PRO NRW"
mit dem versucht werden soll, durch eine ähnliche Themenbesetzung wie bei PRO KÖLN an
deren Erfolge anzuknüpfen. PRO NRW will einerseits als Netzwerk zur Koordination
verschiedener PRO-Gruppierungen in anderen Städten fungieren, gleichzeitig aber auch mit
einer dezidiert antiislamischen Strategie bei den Landtagswahlen 2010 auftreten.
X. Heuschrecken und Hartz IV – Populismus von links
Die vergleichsweise Schwäche des Rechtspopulismus in der Bundesrepublik könnte auch
daher rühren, dass durch die Existenz der postkommunistischen PDS eine Protestalternative
auf der linken Seite des politischen Spektrums bereitsteht. Bis zum Jahre 2005 handelte es
sich dabei freilich um ein rein ostdeutsches Phänomen, das zudem nicht durchgängig als
"populistisch" apostrophiert wurde. "Linkspopulismus" wird als Thema erst seit jüngerer Zeit
intensiv diskutiert, nachdem es zur Entstehung einer gesamtdeutschen Linkspartei gekommen
ist. Die Wahlerfolge der Partei DIE LINKE in den Altbundesländern, die sich zu einem
Gutteil der Person und medialen Wirkung ihres Vorsitzenden Oskar Lafontaine verdanken,
sind freilich kein bundesdeutsches Spezifikum. Sie fügen sich in einen allgemeinen Trend, der
auch in anderen europäischen Ländern zum Erstarken bestehender oder neue gebildeter
Linksparteien jenseits der Sozialdemokratie geführt hat.
Die Entstehungsgeschichte der deutschen LINKEN beginnt 2004, als sich aus Protest gegen
die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung eine neue Partei bildete, die maßgeblich von
ehemaligen SPD-Mitgliedern und Gewerkschaftern aufgebaut wurde: Die Wahlalternative
Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG). Zu den Neuwahlen des Bundestages im Herbst 2005
kandidierte Personal der WASG auf einer offenen Liste der ehemaligen DDR-Staatspartei, der
Linkspartei.PDS. Im Sommer 2007 schlossen sich die beiden Parteien zur Partei DIE LINKE
zusammen. Kernthema der LINKEN war der Widerstand gegen "Hartz IV" und die damit
verbundenen Zumutungen für Arbeitslose. Die ehemalige PDS, zuvor faktisch eine
ostdeutsche Regionalpartei, weitete dadurch ihr Betätigungsfeld erfolgreich auf die alten
Bundesländer aus. Linkspopulisten stilisieren sich als Sprachrohr des "Volkes", füllen diesen
Begriff aber mit anderen Inhalten als Vertreter des Rechtspopulismus. Sie beziehen sich nicht
auf die nationale, sondern die soziale Identität. Dabei bedienen sie sich ähnlicher Sprache und
Stilmittel: Sie suchen den Rekurs auf das "einfache Volk", den "kleinen Mann" oder den
"Arbeitnehmer", der durch die Interessen der Banker, der Konzerne oder ganz allgemein der
"Wirtschaft" bedroht werde.
Eine Kerneigenschaft des Linkspopulismus ist die Forderung nach Umverteilung
gesellschaftlichen Reichtums. Das ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal des
Linkspopulismus, sondern wird bereits in Form des progressiven Steuersystems praktiziert
und findet sich in verschiedenen Formen in den Programmen der meisten Parteien. Der
Unterschied liegt in der politischen Bedeutung: Für linke Populisten ist Umverteilung ein
Selbstzweck, der nicht nur der Herstellung sozialer Gleichheit dient, sondern auch ein
subjektives Gerechtigkeitsempfinden gegenüber "denen da oben bedienen soll. Im Gegensatz
zu originär populistischen Ad-hoc-Parteien können linke Gruppierungen in der Regel auf eine
lange Entstehungsgeschichte und gewachsene Weltanschauungen zurückblicken. DIE LINKE
entstand als Nachfolgepartei der DDR-Staatspartei SED und steht in der Tradition des
Marxismus-Leninismus. Sie verfügt über eine pluralistische Binnenstruktur und eine durchaus
lebendige innerparteiliche Demokratie. Die herausgehobene Stellung ihres Vorsitzenden
Lafontaine wird in der Partei nicht widerspruchslos hingenommen, sondern führt dort immer
wieder zu Konflikten.
Linke Parteien bemächtigen sich einer populistischen Strategie, um diejenigen Wähler besser
zu erreichen, die von der Wirtschafts- und Sozialpolitik der etablierten Parteien enttäuscht
sind. Tatsächlich gewinnt die Partei DIE LINKE vor allem bei ehemaligen Stammwählern der
SPD und sogenannten "Modernisierungsverlierern", also Personen, deren NettoHaushaltseinkommen im unteren Drittel der gesamtdeutschen Einkommenspyramide liegt.
Auch bei den bevorstehenden Wahlen sind den Linkspopulisten gute Chancen einzuräumen.
Insbesondere in den vom Strukturwandel betroffenen Regionen dürfte die LINKE potenzielle
Protestwähler besser erreichen als die diversen Rechtsparteien. Die LINKE profitiert immens
von den populistischen Begabungen ihres Vorsitzenden Lafontaine, der sich als Sprachrohr
des "kleinen Manne" hervorragend zu inszenieren weiß. Die Partei konnte inzwischen auch in
solchen Regionen der alten Bundesrepublik Fuß fassen, die sozialökonomisch ein für sie
weniger günstiges Terrain darstellen als Ostdeutschland. Auf diese Herausforderung haben
die anderen Parteien – insbesondere die SPD – bisher weder programmatisch noch strategisch
eine adäquate Antwort gefunden.
X. Der schöne Schein der Politik: Populismus und Medien
Politik ist zu einem großen Teil Kommunikation. Politiker und Parteien müssen versuchen,
die Wähler möglichst effektiv anzusprechen, wenn sie sie davon überzeugen wollen, bei der
nächsten Wahl für sie zu stimmen. Die Kommunikation findet aber immer weniger auf
direktem Wege statt. Das hat zwei Gründe: Erstens hat mit der zunehmenden Auflösung der
einstmals parteibildenden sozialen Milieus und dem Bedeutungsverlust hergebrachter
Ideologien auch die Organisationskraft der Parteien nachgelassen. Zweitens haben die
Massenmedien, insbesondere das Fernsehen, an Bedeutung gewonnen. Beides führt dazu,
dass die – gemessen an den Mitgliederzahlen – kleiner werdenden Parteien immer weniger
direkt miteinander kommunizieren, sondern sich die der Medien bedienen, um ihr Programm
und ihr Personal zu vermitteln.
Medien übersetzen Ereignisse in Nachrichten. Sie sind aber nicht einfach nur Vermittler,
sondern funktionieren nach ihren eigenen Logiken. Das liegt daran, dass die
Medienlandschaft inzwischen weitgehend privatisiert ist: Da private Fernsehsender auf hohe
Einschaltquoten und entsprechend üppige Werbeeinnahmen angewiesen sind, müssen sie ein
Programm entwickeln, das möglichst viele Zuschauer anspricht. Im Regelfall können reine
Informationsformate dieses Ziel nicht erreichen. Unterhaltungssendungen sind sehr viel mehr
in der Lage, große Zuschauerzahlen zu binden. Ob ein Ereignis zur Nachricht wird, hängt also
davon ab, inwiefern es unterhaltsam ist oder unterhaltsam gestaltet werden kann. Ist das
Ereignis nicht schon von sich aus aufregend, dramatisch oder skandalös, muss es medial
entsprechend "aufgepeppt" werden.
Auch Fernsehprogramme mit politischem Inhalt sind daher so konzipiert, dass sie den
Unterhaltungserwartungen des Publikums entsprechen. Politische Ereignisse werden nicht
»eins zu eins« wiedergegeben, sondern mit einer Dramaturgie versehen. Dadurch treten die
politischen Inhalte gegenüber den handelnden Personen in den Hintergrund. Diese wiederum
müssen so agieren, dass sie den medialen Formaten, in denen sie sich bewegen, gerecht
werden. Aufgrund der knapp bemessenen Sendezeit gilt es für sie, politische Inhalte nicht nur
auf Wesentliches, sondern auf Interessantes zu reduzieren, auf kurze, prägnante Wortbeiträge,
die beeindrucken und im Gedächtnis haften bleiben: so genannte "sound bites". Dabei treten
sie auch als Privatpersonen in Erscheinung, deren persönliche Sympathiewerte über Erfolg
oder Misserfolg maßgeblich mitentscheiden.
Die Parteien reagieren auf diese Entwicklung, indem sie sich der medialen Verwertungslogik
anpassen. Die Parteizentralen werden gestärkt, um schnell und effizient auf mediale Trends
reagieren zu können. Der pluralistische Meinungsbildungsprozess innerhalb der Parteien wird
nicht ausgehebelt, aber unter Maßgabe der "guten Außenwirkung" stärker gesteuert. Dies
betrifft nicht nur die Wahlkampagnen selbst, sondern den gesamten politischen Prozess: Da
innerparteiliche Konflikte von den Medien nicht als demokratische Meinungsbildung, sondern
als Zerrissenheit inszeniert würden, versuchen die Parteizentralen, Konflikte so gering wie
möglich zu halten, harmlos erscheinen beziehungsweise gar nicht erst nach außen dringen zu
lassen.
XI. Populistischer Mainstream?
Populismus finden wir nicht nur an den Rändern des Parteiensystems. Auch die Parteien der
politischen "Mitte" übernehmen bestimmte Stilformen, rhetorische Mittel und
Kommunikationstechniken, die wir als "populistisch" bezeichnen. Solche Versatzstücke
begegnen uns immer dann, wenn Parteien und Politiker versuchen, möglichst effektiv mit
einer möglichst breiten Masse von Bürgern zu kommunizieren – denn dann müssen sie sich
den Logiken der Massenmedien anpassen.
Der "Mainstream-Populismus" ähnelt den rechts- oder linkspopulistischen Parteien also
weniger in den politischen Inhalten als ihm Stil. Wir können ihn uns als einen Pool vorstellen,
aus dem sich die politischen Akteure bedienen, ohne jedoch gänzlich zu populistischen
Parteien im eigentlichen Sinne zu mutieren.
Allerdings hat der Mainstream-Populismus einige besondere Eigenschaften – er ist nicht
lediglich "Populismus light". Vielmehr handelt es sich um eine Entwicklung, die wir in
nahezu allen großen Parteien westlicher Industrienationen beobachten können:
Priorität der Darstellungspolitik
Die zunehmende Komplexität der realen Entscheidungsprozesse zwingt die politischen
Akteure, in der Wähleransprache statt auf den Inhalt verstärkt auf die "Verpackung" zu
achten. Durch ihre Themenwahl, Rhetorik, äußerliche Erscheinung u.ä. versuchen sie, die
Politik auf das Niveau des einfachen Bürgers herunterzubrechen. Zwischen notwendiger
Problemvereinfachung und gezielter Irreführung besteht dabei nur ein schmaler Grat.
Personalisierung
Die Darstellung der Politik konzentriert sich auf Personen: Programme treten gegenüber
Charakteren und deren Attributen in den Hintergrund. Partei- und Regierungsspitzen geben
sich betont "volksnah" und konzentrieren sich auf die Schaffung eines bestimmten medialen
Abbilds ihrer Person – ihr Image.
Permanente Kampagne
Der Prozess des Regierens ist auf seine öffentliche Wirkung ausgerichtet. Nicht nur werden
Entscheidungen unter der Maßgabe der Popularität getroffen. Auch die Strukturen werden
stärker auf die mediale Kommunikation ausgerichtet. Regieren wird damit zur "ständigen
Kampagne". Parteilose Demokratie. Die Regierenden geben sich als überparteiliche
Staatsmänner, die keinen Einzelinteressen, sondern dem Wohle des Volkes verpflichtet seien.
Sie grenzen sich nach außen hin bewusst von der eigenen Partei ab und wollen mit dieser
nicht identifiziert werden.
Mainstream-Populismus ist aber keine pathologische Erscheinung. Dort, wo Demokratie ist,
wo also Parteien auf Wählerstimmen angewiesen sind, wird immer auch Populismus sein. Die
Massenmedien und ihre Funktionslogiken wirken als Katalysatoren für die immer
professionellere und personalisierte Form der Wähleransprache. All diese Entwicklungen sind
jedoch nicht von der immer geringeren Bindung der Bürger an Parteien und politische
Überzeugungen zu trennen: Mainstream-Populismus ist die rationale Anpassung der Parteien
an eine Wählerschaft, die immer weniger aufgrund langfristiger Parteiüberzeugungen,
sondern aufgrund situativer Interessenlagen entscheidet und sich nicht über Parteiorgane,
sondern über das Fernsehen und das Internet informiert.
XII. Gefahr für die Demokratie oder nützliches
Korrektiv?
Die Wirkungen der neuen rechtspopulistischen Parteien unter Demokratiegesichtspunkten
sind zweischneidig. Einerseits artikulieren diese Parteien ein Unbehagen am politischen IstZustand, das auf berechtigten Gründen (etwa der sozialen Benachteiligung) beruhen kann. Die
etablierten Kräfte werden so gezwungen, sich der zuvor offenbar vernachlässigten Probleme
anzunehmen – und sei es nur symbolisch. Insofern handelt es sich beim Populismus um ein
Protestphänomen, von dem auch positive Wirkungen ausgehen können. Dies gilt zumal, wenn
die populistischen Parteien Unzufriedenheitsgefühle bündeln, die sich ansonsten vielleicht bei
noch extremeren Kräften sammeln oder gar auf gewaltsamen Wege Bahn brechen würden.
Selbstbewusste Demokratien bräuchten den Populismus von daher eigentlich nicht zu
fürchten. Auf der anderen Seite bleibt der Populismus ein schleichendes Gift. Indem er zu
einer Banalisierung des politischen Diskurses führt, höhlt er die institutionellen und
kulturellen Prinzipien aus, auf denen die heutige Demokratie beruht.
Diese betonen den »deliberativen«, auf Beratung abzielenden Charakter der politischen
Entscheidungsprozesse und sind deshalb auf eine möglichst breite Interessenberücksichtigung
hin ausgerichtet. Die populistische Demokratiekonzeption setzt demgegenüber anstelle des
geduldigen Aushandelns und Argumentierens die "Dezision". Sie möchte die vorhandene
Interessenvielfalt in einer mehrheitsdemokratischen Entscheidungsbefugnis aufgehoben
sehen, die auf Ausgrenzung beruht und damit polarisierend wirkt. Von daher erklärt sich der
Drang, das "Volk" als vorgestellte Einheit nicht nur im Inneren gegen die herrschenden
Eliten, sondern auch nach außen hin von anderen Völkern und Nationen zu unterscheiden;
eben dies weist den Populismus als eine im Kern anti-liberale Ideologie aus.
Solange die Herausforderer in der Opposition verharren und als reine Protestparteien
auftreten, dürfte von ihnen für die verfassungsmäßige Ordnung keine unmittelbare Bedrohung
ausgehen. Bedenklich wird es erst, wenn sie über Regierungsmacht verfügen und ihre
fragwürdigen Demokratievorstellungen aktiv betreiben können. Die Erfahrungen nach der
Machtbeteiligung bzw. -übernahme rechtspopulistischer Parteien in Österreich und
insbesondere Italien haben gezeigt, dass diese Befürchtungen keineswegs aus der Luft
gegriffen sind und auch durch das wahrscheinliche Scheitern der Populisten an der Regierung
nicht zerstreut werden können. Denn auch dort, wo die etablierten Vertreter einig sind, sie von
der Macht fernzuhalten, erzeugen die Populisten Wirkung. Bemächtigen sich Parteien und
Medien ihrer Themen und bedienen sie sich in der Wähleransprache derselben Techniken,
tragen diese selbst dazu bei, dass das populistische Gift in die Politik einsickert. Die
Versuchung, sich in Populismus zu üben, dürfte besonders in den Systemen mit
gegnerschaftlichem Parteienwettbewerb gegeben sein, zu denen auch die Bundesrepublik
zählt.
Dies wirft natürlich die Frage nach Gegengewichten auf. Vielleicht sollte man die Diskussion
um die Einführung oder den Ausbau direktdemokratischer Beteiligungsformen unter dem
Gesichtspunkt des Populismus noch einmal neu aufnehmen. Gewiss stellen die Plebiszite kein
Allheilmittel gegen die Schwächen der Parteiendemokratie dar. Indem sie den Wettbewerb
von der allgemeinen Sphäre der auf Wahlen bezogenen Parteipolitik in die Sphäre konkreter
Sachfragen und Gesetzesentscheidungen verlagern, könnten sie jedoch dazu beitragen, den
Populismus zumindest zu kanalisieren. Um gegen die populistischen Gefährdungen zu
bestehen, müsste die demokratische Politik also zur Selbstkorrektur bereit sein und sich ein
Stückweit neu erfinden.
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