smo osm Schweizer Mathematik-Olympiade Geometrie II Daniel Sprecher Aktualisiert: 21. September 2016 vers. 2.2.0 Inhaltsverzeichnis 1 Ähnliche Dreiecke 2 2 Working Backward 4 3 Die Potenz eines Punktes 5 4 Die Potenzlinie 6 5 Die Simson-Gerade 8 6 Ceva und Menelaos 9 7 8 6.1 Ceva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 6.2 Menelaos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Spezielle Punkte des Dreiecks 13 7.1 Der Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 7.2 Der Inkreismittelpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 7.3 Die Ankreismittelpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 7.4 Der Umkreismittelpunkt und der Höhenschnittpunkt 15 Tangentenvierecke . . . . . . . . . . . 15 Einleitung Dieser zweite Teil beschäftigt sich mit den wichtigsten Techniken, die zur Lösung von geometrischen Aufgaben an Mathematik-Olympiaden gebraucht werden. Ich empfehle euch sehr, dass ihr auch die Beweise zu den Sätzen Schritt für Schritt durchgeht und euch in groben Zügen merkt. Dies gibt einem ein besseres Verständnis für die Geometrie und zeigt wie alles zusammenhängt. Zentral ist aber zugegeben der Inhalt der Sätze. Im Vergleich zum ersten Teil enthält dieses Skript weniger Abbildungen und weniger Beispiele. Die Idee ist, dass ihr anhand von eigenen Skizzen und selbständigem Lösen von Aufgaben die Techniken lernt. 1 Ähnliche Dreiecke Die beiden Strahlensätze sind wohl allen aus der Schule bekannt. Wir werden sie darum hier nur kurz ohne Beweis und Beispiele wiederholen. Ihr könnt die Strahlensätze mit den ersten beiden Aufgaben zu diesem Kapitel sonst nochmals üben. Satz 1.1 (Erster Strahlensatz). Gegeben seien zwei parallele Geraden Punkt S , der auf keiner dieser Geraden liegt. Ein A und b in B . Ein zweiter Strahl schneide a in A0 SB SA = 0 SA SB 0 ⇔ SA SA0 = SB SB 0 beliebiger Strahl von und ⇔ b in B0. a und b und ein S schneide a in Nun gilt SA SA0 = 0 0. AB AB Satz 1.2 (Zweiter Strahlensatz). Bei der gleichen Anordnung wie oben gilt ebenfalls AA0 SA = . 0 BB SB Wichtig ist, dass beim ersten Strahlensatz auch die Umkehrung gilt. Um sie richtig zu formulieren müssen wir jedoch gerichtete Strecken benutzen. Dabei können Verhältnisse auch negativ werden. Seien X, Y und Z drei verschiedene Punkte, die in dieser XY Reihenfolge auf einer Geraden liegen. Dann ist das Verhältnis positiv, weil die VekYZ −−→ −→ XZ toren XY und Y Z in die gleiche Richtung zeigen. Jedoch ist negativ, da hier die ZY entsprechenden Vektoren in entgegengesetzte Richtung weisen. Immer wenn gerichtete Verhältnisse oder Produkte auftreten werden wir das in Klammer vermerken. Satz 1.3 (Umkehrung des ersten Strahlensatzes). Liegen S, A, B einer Geraden und gilt SA SA0 = SB SB 0 (gerichtete Strecken) 2 und S, A0 , B 0 je auf so sind die Geraden AA0 und BB 0 parallel. Die Umkehrung des zweiten Strahlensatzes gilt nicht. Man kann sich dies überlegen, 0 indem man den Kreis um A mit Radius AA konstruiert. Im Allgemeinen wird dieser 0 0 Kreis SB ein zweites Mal in einem Punkt P 6= A schneiden. In dieser Anordnung gilt AP SA = 0 BB SB die Geraden AP und BB 0 sind aber nicht parallel. Um von den Strahlensätzen auf die Ähnlichkeit zu kommen, verschiebt man einfach die 0 0 Dreiecke 4SAA und 4SBB beliebig in der Ebene (dabei entstehen aus S die Punkte S1 und S2 ). Die Seitenlängen ändern sich dadurch nicht und die Beziehungen von oben sind immer noch gültig. Als Voraussetzung für die Ähnlichkeit genügt es, dass die beiden Dreiecke einen identischen Winkelsatz besitzen. Man schreibt auch 4S1 AA0 ∼ 4S2 BB 0 . Bei der Umkehrung des Ähnlichkeitssatzes muss man etwas vorsichtig sein. Am besten überlegt man sich anhand der Umkehrung der Strahlensätze, welche Umkehrung gültig ist und welche nicht. Gerichtete Strecken machen hier keinen Sinn. Immer richtig seid ihr, wenn ihr zuerst zeigt, dass bei den beiden Dreiecken ein Winkel gleich gross ist und dann das Verhältnis der Seiten überprüft, die an diesen Winkel grenzen (SWS = Seite-Winkel-Seite, im Gegensatz zu SSW). Dazu gerade ein Beispiel. Beispiel 1. Im Quadrat ABCD sei M der Mittelpunkt der Seite AB . Die RechtwinkM schneide AD in K . Zeige, dass die beiden Dreiecke 4CM B und lige zu M C durch 4CKM ähnlich sind. Lösung. Dass zwei Dreiecke ähnlich sind, kann man entweder direkt über Winkeljagd zeigen (indem man zeigt, dass alle drei Winkel gleich gross sind) oder man benutzt die Umkehrung des Ähnlichkeitssatzes. Letzteres machen wir hier. ◦ Nach Vorraussetzung gilt ∠M BC = ∠KM C = 90 . Wir müssen nun noch zeigen BM MK = . MC BC Kurze Winkeljagd zeigt, dass die beiden Dreiecke 4M BC und 4KAM ähnlich sind. Daraus folgt Dabei benutzten wir beim MK MA BM = = . MC BC BC letzten Schritt, dass M der Mittelpunkt Noch eine letzte Bemerkung. Für die Ähnlichkeit von von AB ist. n-Ecken mit n > 3 genügt es nicht, dass alle Winkel übereinstimmen. Nimm zur Veranschaulichung ein Trapez und strecke es entlang seiner parallelen Seiten. Die Winkel bleiben dabei gleich, jedoch ändern sich die Seitenverhältnisse. 3 2 Working Backward Working Backward ist eine wichtige Beweisstrategie, die man oft anwenden kann, wenn man mit Winkeljagd nicht mehr weiterkommt. Weil einige Beweise in diesem Skript diese Methode nutzen (z.B. auch schon der des Satzes über Sehnenvierecke, Satz 6 in Geometrie I), führen wir es bereits an dieser Stelle ein und lösen zwei typische typische Beispiele dazu vor. Die Vorgehensweise bei Working Backward ist etwa so: Angenommen man muss zeigen, dass ein Punkt P eine gewisse Eigenschaft besitzt. Man 0 konstruiert als erstes einen Punkt P , von dem man weiss, dass er diese Eigenschaft hat. 0 Dann zeigt man, dass es nur einen solchen Punkt geben kann und somit P und P immer zusammenfallen. Damit ist man fertig! Als Beispiel ein Satz, der sehr oft Anwendung ndet: Satz 2.1 (Winkehalbierende-Umkreis-Mittelsenkrechte (WUM)). Sei 4ABC ein Dreieck mit AB 6= AC und S der Schnittpunkt der Winkelhalbierenden von ∠BAC und der Mittelsenkrechten von BC . Dann liegt S auf dem Umkreis des Dreiecks 4ABC . Lösung. Wenn man versucht, die Aufgabe wie vorgegeben zu lösen, dann merkt man schnell, dass man nicht besonders weit kommt. Der Trick ist hier, dass man den Punkt S 0 als Schnittpunkt der Winkelhalbierenden von ∠BAC und dem Umkreis des Dreiecks 4ABC deniert. Der Vorteil ist nun, dass wir alles anwenden können, was wir über Winkel im Kreis wissen. Mit dem Peripheriewinkelsatz und unter Verwendung der Winkelhalbierenden erhalten wir: ∠S 0 BC = ∠S 0 AC = ∠BAS 0 = ∠BCS 0 . 4BS 0 C ist somit gleichschenklig, woraus folgt, dass S 0 auf der Mittelsenk0 rechten von BC liegt. Nun liegt S aber gleichzeitig auf der Winkelhalbierenden von ∠BAC und der Mittelsenkrechten von BC , was natürlich bedeutet, dass S = S 0 gilt. Da S 0 per Denition auf dem Umkreis des Dreiecks 4ABC liegt, sind wir fertig. Das Dreieck 4AB 0 C 0 seien zwei ähnliche Dreiecke mit demselben Umlaufsinn und einer gemeinsamen Ecke A. Zeige, dass dann A, B , C und der Schnittpunkt der beiden Geraden BB 0 und CC 0 auf einem Kreis liegen. Beispiel 2. 4ABC und Lösung. Wir benennen den Schnittpunkt von Dreiecke wie immer mit von α, β und γ. BB 0 und CC 0 mit P Das Ziel ist es zu zeigen, dass 4ABC und die Winkel der P auf dem Umkreis liegt. Direkt mit Winkeljagd kommt man nicht so weit, jedoch liegt eine B, C und B 0 , C 0 vor und P muss, wenn er auf dem 0 0 Umkreis von 4ABC liegt, auch auf dem Umkreis von 4AB C liegen. Dies motiviert sich 0 einen Punkt P als Schnittpunkt der beiden Umkreise zu konstruieren. Wir sind fertig, 0 0 0 0 wenn wir jetzt noch zeigen können, dass B, P , B und C, P , C je auf einer Geraden 0 0 0 liegen. Dann ist nämlich P auch der Schnittpunkt von BB und CC und es kann ja nur 0 einen solchen geben, was bedeutet P = P . Symmetrie zwischen den Punkten 4 Dass B, P 0 und B0 auf einer Geraden liegen, zeigen wir mit Winkeljagd: ∠BP 0 B 0 = ∠BP 0 A + ∠AP 0 C 0 + ∠C 0 P 0 B 0 = ∠BCA + ∠AB 0 C 0 + ∠C 0 AB 0 =γ+β+α = 180◦ . Weil auch Symmetrie zwischen den Punkten B, B 0 und C, C 0 vorliegt, liegen auch C, P 0 , C 0 auf einer Geraden. Abschliessend zu diesem Kapitel noch zwei Bemerkungen. Was wir an diesen Beispielen beobachten können, gilt sehr allgemein. Wenn wir mit Winkeln zu tun haben, sind Punkte auf Kreisen sehr viel praktischer als Punkte, die mit Geraden deniert sind. Mit Working Backward kann man Punkte so denieren, dass man die ganze Winkelmaschinerie in den Kreisen benutzen kann. Die zweite Bemerkung bezieht sich auf die Symmetriebegründungen, die wir in der zweiten Aufgabe verwendet haben. Wenn ihr bei euren Lösungen schreibt '...aus Symmetriegründen folgt...', sagt bitte unbedingt auch, zwischen was denn Symmetrie vorliegt, das 0 0 geht oft vergessen. 'Es liegt Symmetrie zwischen den Punkten B, B und C, C vor' heisst 0 0 übrigens, dass wenn wir B mit C und B mit C vertauschen, immer noch eine Anordung vorliegt, die den Voraussetzungen der Aufgabe entspricht. 3 Die Potenz eines Punktes Schon Euklid hat in seinem Werk Die Elemente diesen wichtigen Satz erwähnt und bewiesen. Satz 3.1 (Potenzsatz). Gegeben ein fester Punkt k . Betrachte die beiden Schnittpunke A und B von k mit einer beliebigen Gerade g durch P . Das Produkt P A·P B wird die Potenz von P bezüglich k genannt und ist unabhängig von der Wahl von g . P und ein Kreis Beweis. Betrachte Abb. 1, AB und A0 B 0 seien zwei beliebige Geraden durch den Punkt P , 0 der sich ausserhalb des Kreises bendet. Die Dreiecke 4P AA und 0 ◦ 0 0 0 weil ∠B BA = 180 − ∠B A A = ∠P A A. Daraus folgt 4P B 0 B sind ähnlich, P B0 PA = P A0 PB und damit das Gewünschte. Der Fall, wenn P im Innern des Kreises liegt, funktioniert analog. Punkte auf der Kreislinie haben die Potenz 0. P an den Kreis. P A · P B = P T 2. Sehr oft verwendet man den Potenzsatz mit der Tangente durch der Tangentenberührungspunkt, es gilt dann selbstverständlich 5 Sei T A B’ α α A’ E P B P C α A S k B Abbildung 1: Der Potenzsatz Abbildung 2: Lösung zu Beispiel 3 Beispiel 3. Seien P A und P B die beiden Tangenten von einem beliebigen Punkt P ausserhalb des Kreises k , wobei A und B Berührungspunkte sind. C sei der Schnittpunkt der Parallelen von P B durch A mit k . Der zweite Schnittpunkt von P C mit k wird E genannt. Zeige, dass AE die Strecke P B halbiert. Lösung. (Abb. 2) Wir zeigen SB 2 = SP 2 . Dazu betrachten wir die Potenz von S an k. Es gilt nach Potenzsatz SB 2 = SE · SA. Wir haben das Beispiel bewiesen, wenn wir noch zeigen SP 2 = SE · SA ⇔ SA SP = . SE SP 4P SE ∼ 4ASP , also wenn ∠SP E = ∠P AS . Um dies zu zeigen, . denieren wir α = ∠SP E . Weil P B und AC parallel sind, ist ∠ACP = α und nach Tangentenwinkelsatz auch ∠P AS = α. Dies ist der Fall, wenn Ähnlich wie beim ersten Strahlensatz existiert auch für den Potenzsatz eine nützliche Umkehrung. Beachte, dass auch hier wieder gerichtete Strecken im Spiel sind (siehe Kapitel 1). Dies hat zur Folge, dass die Potenz eines Punktes im Innern des Kreises negativ ist. Satz 3.2 (Umkehrung des Potenzsatzes). Die Geraden 0 P und es gilt P A · P B = P A · P B A, B, A0 , B 0 auf einem Kreis. 4 0 AB und A0 B 0 schneiden sich in (als gerichtete Strecken), dann liegen die Punkte Die Potenzlinie Gegeben seien zwei Kreise k1 , k2 mit Mittelpunkten M1 , M2 und Radien r1 , r2 . Ein Punkt hat im Allgemeinen zwei verschiedene Potenzen zu den beiden Kreisen. Für welche Punkte 6 ist die Potenz zu beiden Kreisen gleich gross? Die Antwort ist die Potenzlinie, welche senkrecht auf M1 M2 steht und bei sich schneidenden Kreisen durch die Schnittpunkte geht. X M1 P r1 S1 M2 r2 S2 k2 k1 Abbildung 3: Die Potenzlinie Beweis. Seien S1 und S2 die Schnittpunkte von (Abb. 3). Auf der Strecke Punkt P S1 S2 k1 , k2 respektive mit der Strecke M1 M2 muss es aus Gründen der Stetigkeit der Potenz einen geben, der zu den beiden Kreisen die gleiche Potenz hat. Wir zeigen nun, dass X , die auf der Senkrechten von M1 M2 durch P liegen die gleiche Potenz Kreisen haben. Die Potenz von P zu den beiden Kreisen ist auch alle Punkte zu den beiden (P M1 − r1 )(P M1 + r1 ) = (P M2 − r2 )(P M2 + r2 ) ⇔ P M12 − r12 = P M22 − r22 ⇔ P M12 − r12 + P X 2 = P M22 − r22 + P X 2 ⇔ XM12 − r12 = XM22 − r22 ⇔ (XM1 − r1 )(XM1 + r1 ) = (XM2 − r2 )(XM2 + r2 ) Dabei haben wir zu der zweiten Zeile auf beiden Seiten P X2 addiert und in der dritten 4P XM1 , bzw. 4P XM2 angewendet. Auf der letzten Zeile steht die Potenz der Punkte X zu den beiden Kreisen. Zeile den Satz von Pythagoras in den rechtwinkligen Dreiecken Unsere Intuition sagt uns, dass es wohl keine weiteren Punkte geben kann, die diese Eigenschaft erfüllen. Dies ist auch so und wir wollen das ohne Beweis akzeptieren. Schneiden sich die Kreise nicht, konstruiert man die Potenzlinie, indem man eine der vier gemeinsamen Tangenten konstruiert. Die Potenzlinie geht dann durch den Mittelpunkt der Berührungspunkte. Beispiel 4 (Finalrunde 2009, 7). Die Punkte folge auf einer Geraden. Sei k1 A, M1 , M2 der Kreis mit Mittelpunkt 7 und M1 C liegen in dieser Reihen- durch A und k2 der Kreis mit Mittelpunkt M2 durch C. Die beiden Kreise schneiden sich in den Punkten Eine gemeinsame Tangente an k1 die Geraden in einem Punkt schneiden (Abb. 4). AB , CD und EF und k2 Beweis. Wir stellen zunächst fest, dass berühre EF k1 in B und k2 in D. E und F. Zeige, dass sich gerade die Potenzlinie der beiden Kreise S der Geraden AB und CD die gleiche Potenz an beide Kreise hat, also dass SA · SB = SC · SD gilt. Dies ist nach dem Potenzsatz aber äquivalent dazu, dass ACDB ein Sehnenviereck ist. Dies wollen wir nun ist. Es genügt also zu zeigen, dass der Schnittpunkt mit Winkeljagd beweisen. ∠CM1 B = 2∠CAB . Da die Radien M1 B und M2 D beide senkrecht auf der Tangenten BD stehen, sind sie parallel und es gilt ∠CM2 D = ∠CM1 B = 2∠CAB . Das Dreieck 4M2 CD ist gleichschenklig, also folgt nun: Wegen dem Zentriwinkelsatz gilt 1 ∠BDC = 90◦ + ∠M2 DC = 90◦ + (180◦ − ∠CM2 D) = 180◦ − ∠CAB. 2 Damit sind wir fertig. E P y C y x D x A Abbildung 4: Beispiel 4 5 B F Abbildung 5: Die Simson-Gerade Die Simson-Gerade Bei einigen Aufgaben hat man es mit Projektionen von Punkten auf Geraden zu tun. Die Projektion gilt P Q⊥g . Q des Punktes P auf die Gerade g ist derjenige Punkt auf g, für den Der folgende Satz sagt uns, wann die Projektionen eines Punktes auf die verlängerten Seiten eines Dreiecks auf einer Geraden liegen. Theorem 5.1 (Simson). Gegeben ein beliebiges Dreieck 4ABC und ein Punkt P . D, E und F seien die Projektionen von P auf die Geraden BC , CA, bzw. AB . Die Punkte D, E, F liegen dann und nur dann auf einer Geraden, wenn P auf dem Umkreis von 4ABC liegt. 8 Beweis. Wir führen den Beweis für den Fall, der in Abb. 5 dargestellt ist. Für alle anderen Fälle funktioniert es völlig analog. Zuerst die Denitionen: y = ∠EDC . α = ∠BAC , x = ∠F DB und Es gilt nun ∠F DE = ∠BDC + y − x = 180◦ + y − x ∠F DE ist also genau dann 180◦ wenn y = x gilt. Wegen den rechten Winkeln sind BP DF und CDP E Sehnenvierecke und es gilt somit ∠F P B = x und ∠EP C = y . Ausserdem ◦ ist AF P E ein Sehnenviereck und es gilt ∠F P E = 180 − α. P liegt also genau dann ◦ auf dem Umkreis von 4ABC , wenn ∠BP C = 180 − α gilt, d.h. wenn ebenfalls x = y ist. 6 Ceva und Menelaos Bei allen bisher behandelten Themen spielten Winkel eine zentrale Rolle. In diesem Kapitel behandeln wir zwei Sätze, die ausschliesslich Streckenverhältnisse enthalten und überhaupt keine Aussage über Winkel machen. Dies ist dann ein grosser Vorteil, wenn kein linearer Zusammenhang zwischen den Winkeln besteht. Zur Veranschaulichung ein einfaches Beispiel. Sei ABC ein Dreieck und M der Mittelpunkt von AB . α, β, γ wie üblich die Eckwinkel von 4ABC . Es ist = ∠BCM und seien eindeutig aus zwei der Bezeichne klar, dass Eckwinkel berechnet werden kann, aber wie? Da kein linearer Zusammenhang zwischen den Winkeln besteht, muss ein trigonometrischer Zusammenhang gesucht werden (Winkeljagd geht nicht). Mit dem Sinussatz kann man eine Formel nden, die man dann mit Hilfe der Additionstheoreme mühsam umformen kann ⇒ sin(α) sin(α + γ − ) = 2 · sin() sin(γ) 2 sin(γ) · sin(α + γ)2 sin()2 = . (2 sin(α) + cos(α + γ))2 + sin(γ)2 · sin(α + γ)2 Sich mit einer solchen Formel zu quälen, empfehle ich niemandem. Es ist hier klar einfaAM cher den Punkt M über ein Streckenverhältnis festzusetzen ( = 1). MB Wann man nun eine Aufgabe besser mit Winkeln löst, und wann Verhältnisse besser geeignet sind, ist oft nicht klar. Vielfach braucht man beides (z.B. im Zusammenhang mit Ähnlichkeit). Als Faustregel kann man sich merken, dass bei Schnittpunkten auf Kreisen Winkeljagd funktioniert bei Schnittpunkten von Geraden sind die Sätze von Ceva und Menelaos nötig. 6.1 Ceva Der italienischer Ingenieur und Mathematiker Giovanni Ceva veröentlichte 1678 diesen schönen Satz. 9 Satz 6.1 (Ceva). Sei ABC ein BC, CA bzw. AB . Die beliebiges Dreieck und seien Geraden Geraden einem Punkt, wenn AP, BQ, CR P, Q, R Punkte auf den schneiden sich genau dann in BP CQ AR · · = 1. P C QA RB (1) Beweis. Wir nehmen als erstes an, die drei Geraden schneiden sich im Punkt U und V die Projektionen von B bzw. C AP . auf T. Seien Nach dem Strahlensatz und anschlies- sendem Erweitern des Bruches gilt 1 AT · BU [AT B] BP BU = = = 21 , PC VC [CT A] AT · V C 2 wobei das letzte Verhältnis negativ ist, wenn 4AT B und 4CT A verschiedenen Umlauf- sinn haben. Macht man dasselbe für alle drei Verhältnisse, kürzt sich alles weg [AT B] [BT C] [CT A] BP CQ AR · · = · · = 1. P C QA RB [CT A] [AT B] [BT C] Für den Beweis der Umkehrung führen wir einen typischen Beweis mit Working Backward. Wir nehmen an (1) gelte und benennen den Schnittpunkt von AP und BQ mit T . 0 Die Gerade CT schneide AB in einem Punkt R . Wenn wir zeigen können, dass daraus 0 folgt R = R , sind wir fertig. Da wir die andere Richtung von Ceva schon bewiesen haben 0 und sich die Geraden AP, BQ, CR nach Konstruktion in einem Punkt schneiden, wissen wir BP CQ AR BP CQ AR0 · · 0 =1= · · , P C QA R B P C QA RB das zweite Gleichheitszeichen steht wegen (1). Nach dem Kürzen haben wir somit AR AR0 = 0 RB RB AR0 AR ⇔ +1= +1 0 RB RB AR0 + R0 B AR + RB ⇔ = R0 B RB AB AB ⇔ = R0 B RB ⇔ R0 B = RB ⇔ R0 = R Beim Satz von Ceva sollte man sich auch den Beweis merken, Ähnliches kommt immer mal wieder vor. Als Anwendung beweisen wir die Existenz des Schwerpunktes und des Höhenschnittpunktes. 10 Beispiel 5. Die Schwerlinien eines Dreiecks schneiden sich in einem Punkt, dem Schwer- punkt. Die Höhen schneiden sich im Höhenschnittpunkt. Lösung. Seien AP, BQ, CR die Schwerlinien des Dreiecks ABC . Es gilt BP CQ AR · · = 1 · 1 · 1 = 1. P C QA RB Nach Ceva schneiden sich die Schwerlinien somit in einem Punkt. Für den Höhenschnittpunkt muss man etwas mehr tun. Im Dreieck Projektionen von A, B bzw. C auf ABC seien P, Q, R die BC, CA bzw. AB . Wir klären als erstes das Vorzeichen von BP CQ AR · · . P C QA RB Der erste Faktor ist genau dann negativ, wenn dies ist genau dann der Fall, wenn ∠ABC oder P ausserhalb der Strecke BC liegt und ∠BCA grösser als 90◦ ist. Da höchstens einer der Eckwinkel stumpf sein kann, unterscheiden wir zwei Fälle. Ist das Dreieck spitzwinklig, sind alle drei Faktoren grösser als 0, andernfalls sind genau zwei Faktoren negativ und das Produkt somit in jedem Fall positiv. Wir müssen uns jetzt also nicht mehr um das Vorzeichen kümmern und verwenden für den Rest des Beweises ungerichtete Verhältnisse. Die Dreiecke ABP und CBR sind rechtwinklig und haben einen weiteren gemeinsamen Winkel, sie sind also ähnlich. Es gilt somit BR BP = BA BC ⇔ BP BA = . BR BC Mit analogen Überlegungen erhalten wir BP CQ AR BP CQ AR BA CB AC · · = · · = · · = 1. P C QA RB BR CP AQ BC CA AB Nach Ceva schneiden sich die Höhen also in einem Punkt. 6.2 Menelaos Dieser Satz geht auf den Griechen Menelaos zurück und ist schon viel älter als der Satz von Ceva. Satz 6.2 (Menelaos). Sei BC, CA bzw. AB . P, Q, R ABC ein beliebiges Dreieck und seien P, Q, R Punkte auf liegen genau dann auf einer Geraden, wenn BP CQ AR · · = −1. P C QA RB 11 (2) Beweis. Wir nehmen an P, Q, R seien kollinear. a, b, c seien die gerichteten Abstände von A, B bzw. C zu der Gerade P QR. Nach dem Strahlensatz gilt BP/P C = −b/c und somit b c a BP CQ AR · · = − · − · − = −1. P C QA RB c a b Der Beweis der Umkehrung funktioniert genau gleich wie bei Ceva. Als Anwendung von Menelaos möchten wir noch ein kleines Beispiel betrachten. Beispiel 6 (Finalrunde 2013, 7). Sei 4ABC ein Dreieck mit AB 6= AC und Umkreismittelpunkt O . Ferner seien S und T Punkte auf den Geraden AB beziehungsweise AC , sodass ∠OSA = ∠ACO und ∠AT O = ∠OBA gelten und sodass S und T näher bei B beziehungsweise C liegen als bei A. Zeige, dass ST die Strecke BC halbiert (Abb. 6). Beweis. Sei ST BC . M der Schnittpunkt von und Bei dieser Aufgabe ist es auf jeden Fall mal eine gute Idee, Menelaos anzuwenden. Die Punkte Seiten des Dreiecks 4ABC S, M und ausserdem sind wir am Verhältnis und T liegen auf den BM/M C interessiert. Es gilt: Wir möchten beweisen, dass AS BM CT · · = −1. SB M C T A BM/M C = 1 gilt, also genügt es, die folgende Gleichung zu zeigen: AS CT · = −1. SB T A Da O der Umkreismittelpunkt ist, gelten folgende Beziehungen: ∠BAO = ∠OBA = ∠AT O, ∠OAC = ∠ACO = ∠OSA. Nach dem Aussenwinkelsatz an den Dreiecken 4SBO und 4COT gilt zudem ∠SOB = ∠OSA − OBA = ∠ACO − ∠AT O = ∠T OC. Wir stellen fest, dass die beiden Dreiecke 4SBO und 4COT 4ASO und 4T AO sowie die beiden Dreiecke ähnlich sind. Hieraus folgt: AS SO = , TA AO CT CO = . SB SO Multiplizieren wir die beiden Verhältnisse miteinander, so erhalten wir, ohne Beachtung des Vorzeichens: AS CT AS CT SO CO CO · = · = · = = 1. SB T A T A SB AO SO AO Wir überlegen uns noch kurz, dass wir bei Beachtung des Vorzeichens tatsächlich auch −1 T und der Bedingung AB 6= AC AB und T auf der Verlängerung der Seite AC , oder S liegt auf der Verlängerung der Seite AB und T innerhalb der Seite AC . In beiden Fällen ist je eines der Verhältnisse AS/SB , CT /T A positiv und das andere negativ, also ist das Produkt immer −1. erhalten. Wegen der Denition der Punkte gibt es zwei Fälle: Entweder liegt S S und innerhalb der Seite 12 Abbildung 6: Beispiel 6 7 7.1 Spezielle Punkte des Dreiecks Der Schwerpunkt Die Schwerlinie verbindet den Mittelpunkt einer Seite mit der gegenüberliegenden Ecke. Der Schnittpunkt der drei Schwerlinien wird Schwerpunkt genannt und teilt die Schwerlinien im Verhältnis 2 : 1. Beweis. Die Existenz des Schwerpunktes haben wir bei Beispiel 5 mit Ceva bewiesen, man kann es sich auch physikalisch überlegen. Seien nun der Seiten parallel zu BC , respektive CA. Nach AB und halb so lang. Wir D und E die Mittelpunkte der Umkehrung des ersten Strahlensatzes ist wenden nun den zweiten Strahlensatz bei S DE an SD DE 1 = = . SA AB 2 7.2 Der Inkreismittelpunkt Jeder Punkt auf einer Winkelhalbierenden hat zu den beiden Schenkeln den gleichen Abstand. Die drei Winkelhalbierenden in einem Dreieck schneiden sich im Inkreismittelpunkt. Dies überlegt man sich leicht, indem man zwei Winkelhalbierenden schneidet. Der Schnittpunkt hat dann zu allen drei Seiten den gleichen Abstand und liegt dashalb auch 13 auf der dritten Winkelhalbierenden. Im Zusammenhang mit dem Inkreismittelpunkt hier drei wichtige Eigenschaften: I der Inkreismittelpunkt und P der Schnittpunkt von AI mit dem Umkreis von 4ABC . P liegt dann auf der Mittelsenkrechten von BC . Dies haben wir in Satz 2.1 (i.) Sei bereits bewiesen. (ii.) Weil die Seiten tangential zum Inkreis sind, lassen sich die Seitenlängen in natürli- AB = x+y , BC = y+z und CA = z+x. BC+CA+AB = x + y + z beoft mit s = 2 cher Weise aufteilen (Siehe Abb. 7). Es gilt Der halbe Umfang eines Dreiecks wird A x = x + (y + z) − (y + z) = s − a. zeichnet. Für den Abstand von zum Berührungspunkt des Inkreises gilt dann (iii.) Satz 7.1 (Winkelhalbierendensatz). kelhalbierenden in A gilt Beweis. Wir benutzen Punkt Umkreis von Wir betrachten die innere und äussere Win- und die Schnittpunkte 4ABC . D, D0 mit der Strecke BD BD0 AB = = 0 . AC DC DC (i.). Sei also P der Schnittpunkt BC . Genau dann von AI mit dem Mit mehrmaliger Anwendung des Peripheriewinkelsatzes am Umkreis nden wir zwei Paare von ähnlichen Dreiecken: 4ABD ∼ 4CP D 4ACD ∼ 4BP D und daraus folgen die beiden Beziehungen CP AB = AD CD Mit BP = CP AC BP = . AD BD erhalten wir daraus AB CP · AD · BD BD = = . AC CD · BP · AD DC 7.3 Die Ankreismittelpunkte Jedes Dreieck hat drei Ankreise, einer ausserhalb jeder Seite. Betrachte Abb. 8, interessant sind die Abstände der Berührungspunkte zu den Ecken. Die Abstände von A zu AB und AC sind beide gleich gross und müssen daher beide x + y + z sein. Daraus folgt, dass der Mittelpunkt der zwei Berührungspunkte auf der Seite BC gleichzeitig der Mittelpunkt der Seite BC ist. Eine Anwendung ndest du im den Berührungspunkten mit Kapitel 8. 14 C y z C z y x I y A Ia x+z x z B y A Abbildung 7: Der Inkreismittel- x+y Abbildung 8: z B Ia , einer der drei Ankreismittelpunkte punkt I 7.4 Der Umkreismittelpunkt und der Höhenschnittpunkt Jeder Punkt auf der Mittelsenkrechten der Seite AB hat zu A und B den gleichen Ab- stand. Dass sich die drei Mittelsenkrechten eines Dreiecks im Umkreismittelpunkt Die Existenz des Höhenschnittpunktes haben wir beim Satz von Ceva gezeigt. (???) Die interessanten Eigenschaften dieser Punkte werden wir ausschliesslich in den Übungen behandeln. 8 Tangentenvierecke Ähnlich wie für die Sehnenvierecke gibt es auch für die Vierecke mit Inkreis ein einfaches Kriterium, das diese vollständig charakterisiert. Das konvexe Viereck Inkreis, man sieht schnell, dass dann gilt AB + CD = BC + DA ABCD habe einen (die Abstände einer Ecke zu den Berührungspunkten auf den beiden benachbarten Seiten, sind jeweils gleich gross). Erstaunlicher ist, dass auch die Umkehrung gilt. Beispiel 7. Das konvexe Viereck wenn ABCD hat genau dann und nur dann einen Inkreis, AB + CD = BC + DA. Lösung. Wir nehmen an AB + CD = BC + DA. Ist das Viereck ein Parallogramm, ist es wegen der Voraussetzung ein Rhombus und hat somit einen Inkreis (der Diagnalenschnittpunkt ist der Inkreismittelpunkt). Andernfalls gibt es zwei gegenüberliegende Seiten, die sich in einem Punkt schneiden. OBdA schneiden sich dass A zwischen B und P 4P BC und der Ankreis von stimmen. Weil beide diese Kreise tangential an 15 und CD in P, so ABCD genau dann einen Inkreis 4P AD gegenüber P übereinP B und P C liegen, stimmen die Kreise liegt. Wir beobachten, dass besitzt, wenn der Inkreis von AB genau dann überein, wenn sie Sei X PB im gleichen Punkt berühren. der Berührungspunkt des Inkreises von 4P BC auf P B. Es gilt somit 1 1 1 P X = (P B +BC +CP )−BC = (P B −BC +CP ) = (P A+AB −BC +P D +DC). 2 2 2 1 (P A + P D + AD). Sei 2 gegenüber P auf P B . Es gilt Nach der Voraussetzung ist dies gleich des Ankreises von 4P AD Y der Berührungspunkt 1 1 P Y = P A + (P A + AD + DP ) − P A = (P A + AD + DP ). 2 2 Dies bedeutet PX = PY und somit X =Y. 16