Jetzt müssen die Killerzellen nur noch in der Leber überleben

Werbung
Powered by
Seiten-Adresse:
https://www.gesundheitsindustriebw.de/de/fachbeitrag/aktuell/jetzt-muessen-diekillerzellen-nur-noch-in-der-leber-ueberleben/
Jetzt müssen die Killerzellen nur noch in der Leber
überleben
Den Körper zu schützen, nachdem das Virus die Abwehrlinien des Körpers durchbrochen
und eine chronische Infektion etabliert hat, ist keine leichte Aufgabe. Sie wird noch
schwieriger im Fall von viralen Hepatitis -Erregern, die die immunologisch auf ToleranzInduktion programmierte Leber befallen. Die Ulmer Jörg Reimann (Mediziner) und Reinhold
Schirmbeck (Biologe) entwickeln T-Zell-vermittelte therapeutische Vakzinestrategien, um
chronische Virusinfektionen der Leber zu unterdrücken. Ihr Ansatz führt sie in das
unwegsame Gelände immunologischer Grundprinzipien von Regulation und Dominanz.
Im transgenen Mausmodell versuchen beide Forscher, das komplexe Regelwerk des
menschlichen Abwehrsystems zu verstehen, um über CD8 T-Zellen nicht nur die
Immuntoleranz zu überwinden, sondern eine Antwort auszulösen, die permanenten Schutz vor
Hepatitis-Erregern verspricht. Dass ihr Unterfangen nicht unmöglich ist, zeigen die seltenen
Fälle von spontaner Heilung chronischer, viraler Leberinfektionen. Diese spontanen
Remissionen sind nicht das Werk von Zufällen, sind beide Wissenschaftler überzeugt. Hinter
dieses Geheimnis zu kommen, treibt die beiden an und gibt ihnen die Zuversicht, nicht einem
Gespenst nachzujagen.
Das Problem der verschiedenen Gestalt
Damit Antigene von T-Zellen erkannt werden können, müssen sie zuvor aufbereitet und auf die
vom MHC (Major Histocompatibility Complex) kodierten Klasse-I- und Klasse-II-Rezeptoren auf
der Zelloberfläche präsentiert werden. Diese haben einen extrem variablen Polymorphismus.
Über den MHC-Klasse-I-Weg werden befallene und entartete Zellen, die körperfremde Proteine
herstellen, gezielt von den (CD8) T-Killerzellen identifiziert und anschließend eliminiert. Diese
MHC-Membranproteine sind von zentraler Bedeutung in der spezifischen Aktivierung von
T-Zellen .
Das extrem verschiedene Repertoire dieser zytotoxischen CD8 T-Lymphozyten ist so
selektioniert, dass diese aggressiven Killerzellen in der Regel mit ihrem antigenspezifischen TZell-Rezeptor nicht an Zellen binden, die ein Peptid körpereigener Proteine präsentieren. Diese
Selbsttoleranz schützt den Körper vor autoaggressiven Angriffen des eigenen Immunsystems.
1
Ist aber eine Zelle beispielsweise mit Viren befallen oder von Mutationen betroffen und
exprimiert neuartige, das heißt fremde/unbekannte Antigene, werden diese Peptide als Teil
der MHC-Klasse-I-Komplexes präsentiert und zytotoxische T-Lymphozyten aktiviert, die die
betroffenen Zellen vernichten.
Sehr individualistische Immunantworten
Das Hepatitis-B-Virus befällt ein immunologisch höchst delikates Organ. © NCI
Warum die Erreger der viralen Hepatitiden die körpereigene Abwehr häufig überlisten und eine
anhaltende Infektion etablieren können, versucht das Forscherteam herauszufinden. Hierfür
werden vakzineinduzierte T-Zellen unter verschiedensten Bedingungen in einem transgenen
Mausmodell (in dem ausgewählte Antigene hepatotroper Viren oder komplette, replizierende
virale Genome selektiv in der Leber exprimiert werden) in vivo restimuliert.
Infolge der MHC-eingeschränkten Peptidpräsentation, die T-Zellen spezifisch aktiviert, muss für
jeden MHC Haplotyp (z.B. H-2d, H-2b) ein Spektrum antigener Peptide, die T-Zellen spezifisch
aktivieren können, kartiert werden. Dies erschwert die Charakterisierung der T-Zellen im
Menschen, da jedes Immunsystem im Fall eines viralen Angriffs sehr individuell reagiert. Die
körpereigene Abwehr pickt sich jeweils ein bestimmtes Antigen-Bruchstück ( Epitop) heraus.
Diese Selektion nehmen sogenannte HLA (humane Leukozyten-Antigene)-Moleküle vor. Jeder
Mensch exprimiert drei bis sechs verschiedene HLA-Moleküle. Diese binden an das passende
Epitop, präsentieren es auf der Zelloberfläche und stimulieren dadurch CD8 T-Zellen . Die
Bindung von Epitopen an MHC Klasse I Moleküle, können sehr individualistische
Immunantworten erzeugen. „Da sind wir leider erst ganz am Anfang“, sagt Reinhold
2
Schirmbeck. Bislang gibt es nur wenige humanisierte Maussysteme, die humane Klasse-IMoleküle exprimieren wie zum Beispiel HLA A2, das die Hälfte der europäischen Bevölkerung
besitzt.
Eine wichtige Beobachtung der Gruppe war, dass nur T-Zellen mit Spezifität für wenige der
identifizierten ‚Epitope’ eine protektive, antivirale T-Zell-Immunität vermitteln können.
Maßgeschneiderte Epitope in die Modelltiere zu transferieren, ist für die Forscher kein Problem.
Schwieriger gestaltet sich schon die Antwort auf die Frage, welches Epitop den größten
(immunologischen) Erfolg garantiert? Grundsätzlich sind Viren wie das HBV aber ziemlich groß.
Ebenso groß ist die Zahl der Möglichkeit zu präsentierender Epitope, die leicht in den
siebenstelligen Bereich kommen.
Immunundominanz und Effekthascherei
Verwickelte Immundominanz: Zellen mit dem MHC Typ A können fünf Epitope (A1 – A5) präsentieren. Nicht alle
Epitope sind simultan aktiv und wirken antiviral. Die Analyse der antiviralen T-Zell-Antwort in MHC-A-Tieren zeigt,
dass es normalerweise nur eine ‚immundominante’ Antwort gegen A1 während der Infektion gibt; die Antworten
gegen die ‚subdominanten‘ Epitope A2-A5 können nicht detektiert werden. Erst die Deletion von Epitop A1 macht die
‚subdominanten Epitope A2 und A3 (aber nicht A4 und A5) für die T-Zellen sichtbar. Es bedarf der Deletion der
Epitope A1, A2 und A3, um T-Zellen spezifisch für die Epitope A4 und A5 zu generieren. Nur einige ausgewählte
Epitope können T-Zellen spezifisch aktivieren. Die Hierarchie potenziell interessanter Epitope wird erst durch ein
maßgeschneidertes virales Antigen deutlich. © Prof.es Schirmbeck/Reimann/Uniklinikum Ulm
Die Ulmer Forscher haben mit dem nur unzureichend erforschten Phänomen der
Immundominanz zu tun. Wie sie herausgefunden haben, sorgt zwar das dominante Epitop für
eine tolle immunologische Antwort, bleibt indessen aber ohne biologische Wirkung, anders als
Epitope auf einer darunter liegenden zweiten, subdominant genannten Ebene.
Diese subdominanten und nicht die dominanten Epitope erzeugen möglicherweise die
gewünschte immunologische Wirkung. Dazu ist es jedoch nötig, die „effekthascherischen“
dominanten Epitope zu entfernen, damit die zuvor unterdrückten subdominanten Epitope ihre
Wirkung entfalten können. Was die Epitope zu dominanten oder subdominanten macht und
welche MHC Klasse-I-Moleküle in diese regulierenden Prozesse eingebunden sind, ist nach wie
vor unklar. Im Mausmodell bekommen Jörg Reimann und Reinhold Schirmbeck allmählich eine
Vorstellung der molekularen Grundlage des Phänomens.
3
Und dann auch noch die Leber…
Wechselwirkungen zwischen der Antigen-päsentierenden Leberzelle und CD8 T-Zellen: (1) Virusinfizierte Zellen
präsentieren virale Epitope über MHC Klasse-I-Moleküle auf der Zelloberfläche. Diese Komplexe werden spezifisch von
CD8 T-Zellen erkannt. (2) Kostimulatorische und/oder (3) koinhibitorische Ligand/Rezeptor-Wechselwirkungen
vermitteln zusätzliche Signale, die die Viabilität und Funktionalität der CD8 T-Zellen beeinflussen. © Prof.es
Schirmbeck/Reimann/Uniklinikum Ulm
Als ob die Interaktionen von Virus und CD8 T-Zellen nicht verwickelt genug wären, erschwert
das immunologisch heikle Organ der Leber die Forschung der beiden Ulmer. Hat der HepatitisErreger die Leber befallen, beginnt die Leber mit den T-Zellen zu kommunizieren, was für diese
meist tödlich endet. Schirmbeck und Reimann haben es hier mit einer neuerlichen
Regulationswelle von kostimulatorischen und koinhibitorischen Molekülen der Leberzelle zu
tun.
Mit therapeutischen Ansätzen versuchen die beiden Forscher, das Gleichgewicht zugunsten der
T-Zellen zu verschieben, sei es durch Reduzierung der Antigenfracht in der Leber, sei es durch
Interferon- und antivirale Therapien, die den T-Zellen dauerhafte Vorteile verschaffen, um eine
stabile Immunität zu erreichen.
Regulatorzellen machen T-Zellen das Leben in der Leber schwer
Die Methoden der Vakzinierung ( DNA-Vakzine, rekombinante Viren, Peptidvakzine) haben
Reimann und Schirmbeck erfolgreich gelöst. Im Tiermodell ist es ihnen auch gelungen,
immundominante und subdominante Epitope zu definieren und die T-Zellen entsprechend zu
’tunen’, damit sie in das Zielorgan gelangen, die Interferon-Produktion lokal hochzufahren und
die Virusreplikation damit zu reduzieren. Bislang gelang dies dem Forscherduo nur für die
Dauer einer Woche. Regulatorzellen vom angeborenen Immunsystem, vermutet Jörg Reimann,
machen den T-Zellen in der Leber das Leben schwer, sorgen dafür, dass das spezifische
Immunsystem nach wenigen Tagen bereits an Wirkkraft einbüßt.
Nachdem die beiden Forscher die Regulationsebenen definiert haben, können sie die richtigen
Fragen stellen: Wie und wo muss in den Regulationsprozess des Erkennens sowohl der T-Zelle
als auch der Leberzelle eingegriffen werden, woher und von welchem Molekül kommt das
4
Signal, das die T-Zellen ausschaltet, sie funktionell eliminiert. Reimann und Schirmbeck hoffen,
dieses Signal mit Boost-Immunisierungsstrategien ‚aufzufangen’.
Um diese Regulationsmechanismen zu entschlüsseln, bedarf es der Basisbiologie (Reimann:
„Hier muss man reduktionistisch vorgehen“) und präklinischer Mausmodelle. Dass es hieb- und
stichfeste präklinische ‚Beweise’ braucht, um an Translation zu denken, wissen Reimann und
Schirmbeck nur zu gut. Ebenso klar ist auch, dass die T-Zell-vermittelte, über Impfstoffe
ausgelöste Immunantwort für Millionen HBV-Infizierte und HCV-Infizierte die schonendere
Therapie wäre als die mit antiviralen Medikamenten, die mit zahlreichen Nebenwirkungen
einhergeht.
Literatur:
Riedl, P., Wieland, A. et al.: Elimination of Immunodominant Epitopes from Multispecific DNA-based Vaccines Allows
Induction of CD8 T Cells That Have a Striking Antiviral Potential), in: Journal of Immunology, 2009, 183:370-380.
Fachbeitrag
26.03.2010
Walter Pytlik
BioRegionUlm
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Lebererkrankungen: Fortschritte in Therapie und Forschung
Impfstoffentwicklung
5
Herunterladen