transfer - Fakultät WiSo Uni Hamburg

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02/2013 |
transferWerbeforschung & Praxis
PRAXIS
Prädiktions-Monitoring am PoS:
Adressierung von Shopper-Unzufriedenheit
durch Frühindikatoren
Michael J. Capone, PhD
Research Fellow am
Arbeitsbereich Marketing
und Innovation, Universität
Hamburg
✉ [email protected]
Prof. Dr. Thorsten Teichert
Leiter des Arbeitsbereichs
Marketing und Innovation,
Universität Hamburg
✉ [email protected]
Für die meisten Unternehmen wird Kundenunzufriedenheit nach dem Kauf ein
Problem, wenn Kunden ihre Erwartungen durch die Konsumerfahrung nicht
erfüllt sehen: In diesen Fällen wird die Unzufriedenheit meistens ausgedrückt.
Die heutigen Investitionen in CRM-Systeme und Kundenbetreuung werden
durch den Umgang mit dieser Art der Beschwerde motiviert. Die Reaktion der
Unternehmen auf Kundenunzufriedenheit ist dennoch oft zu spät. In der Zeit
von Social Media und Hyperkonnektivität können verärgerte Kunden ihre
schlechten Erfahrungen innerhalb weniger Minuten mit hunderten und z. T.
tausenden Freunden, Folgern und Fans teilen. Anstatt auf Unzufriedenheit zu
reagieren, können Firmen Konsumentenverhalten vor dem Kauf „monitoren“.
Auf diese Weise können sie zwischen zufriedenen, unsicheren und frustrierten
Käufern unterscheiden und rechtzeitig sowie angemessen reagieren, sodass
die Unzufriedenheit oder die Bekundung dieser Unzufriedenheit komplett vermieden werden kann.
Schlagworte:� PoS-Monitoring � Unzufriedenheit am PoS � Stress am PoS � Prädiktions-Monitoring
1Einführung
Viele Investitionen in Systeme des Customer-Relation­shipManagements (CRM) zielen auf die systematische Hand­
habung von Kundenbeschwerden. Interaktionen mit verärgerten Kunden werden umfassend analysiert und genutzt,
um Ursachen von Kundenunzufriedenheit zu ermitteln.
Typologien emotionaler Reaktionen stehen bereit, um enttäuschte Kunden gezielt anzusprechen (Schoefer/Diaman­
topoulos 2009). In den meisten Fällen erfolgt jedoch die
Reaktion auf geäußerte Unzufriedenheit zu spät. Im Zeit­
alter sozialer Medien und Hyperkonnektivitäten können
verärgerte Kunden ihre schlechten Erfahrungen mit hunderten und oft auch tausenden Freunden, Fans und Folgern in
nur wenigen Minuten austauschen. Die späte Besänftigung
eines unzufriedenen Kunden kann hier kostspielig sein und
nur wenig dazu beitragen, um den Schaden auf das Produkt
oder Unternehmen abzuwenden.
Anstelle auf im Nachhinein artikulierte Unzufriedenheit zu
reagieren, sollten Unternehmen Unzufriedenheit bereits im
transfer Werbeforschung & Praxis, 59 (2), 23-29
Abstract
For most companies, customer dissatisfaction becomes an
issue after a customer purchases a product or service and per­
ceives a gap between expectation and use experience, because
this is when most cases of dissatisfaction are expressed. The
investments in CRM systems and customer care centers today
are geared for handling this sort of customer complaint. The
company’s response to dissatisfaction is often too late, though,
because in an age of social media and hyper-connectivity, dis­
gruntled customers can share their bad experiences with hun­
dreds and sometimes thousands of friends, followers, and fans
in a few minutes. Instead of responding to dissatisfaction, com­
panies can monitor pre-purchase consumer behavior, differenti­
ate content from confused or frustrated shoppers, and respond
deliberately to at-risk customers and prevent dissatisfaction or
the expression of dissatisfaction altogether.
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Abb. 1: Spektrum möglicher Zufriedenheitszustände am PoS
artikulierte
Zufriedenheit, zufrieden positiv
gestimmt
Empfehlung
verwirrt,
neutral
verstimmt
Prozess der Entstehung verhindern (Tronvoll 2011). Hier ist
eine bedeutende Unterscheidung zu ziehen zwischen (a)
Unzufriedenheit und (b) Artikulation von Unzufrie­denheit.
So können artikulierte (Un-)Zufriedenheiten als Endpunkte
eines Spektrums an möglichen Zufriedenheits­zuständen von
Konsumenten verstanden werden (� Abbil­dung 1). So ist
vorstellbar, dass Konsumenten mit positivem Grundzustand
in den Kaufprozess eintreten und sukzessive ihre Stim­
mungslage anhand von Informationen bzw. Erlebnissen im
Prozess aktualisieren. Eine derartige Prozessbetrachtung
zum Entstehen von Unzufriedenheit hat sich bislang lediglich in Randbereichen – wie der Analyse von Wartezeiten –
durchgesetzt (Durrande-Moreau 1999).
Beim Eintritt in das System des Einzelhandels sind die Ein­
stellungen und Absichten von anonymen Shoppern per se
unbe­kannt. Das innerhalb der Verkaufsfläche gezeigte Verhal­
ten kann jedoch schnell Aufschluss über ihre Motiva­tion und
Stimmungslage liefern. So mögen einige Konsu­
men­
ten im
Geschäft herumzustöbern und durch Verkaufs­zeilen schlendern, was auf Gefallen und Zufrie­denheit deuten kann. Andere
Shopper hingegen befinden sich hektisch auf der gezielten
Suche nach Produkten, die ein spezifisches Bedürfnis adressieren. Wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden, zeigen
diese Shopper schnell Zeichen von Unsicherheit und von
Stress. Somit besteht das Risiko, dass sie zunehmend unzufrieden werden und ihren Kaufprozess abbrechen. Durch das
Monitoring von beobachtbaren In-Store-Verhalten und
Se­quenz­­analysen (Steinmann/Silbe­rer 2009) können Händ­
ler derartige Shoppertypen frühzeitig unterscheiden, Ant­
worten auf verschiedene Risikotypen vorab spezifizieren
und so verhindern, dass sich Unsicher­heit in Frustration und
schließlich artikulierter Unzufrieden­heit niederschlägt.
Die Idee, das Aufkommen von artikulierter Unzufriedenheit
zu verhindern, basiert auf dem Wissen, dass perfekte
Systeme nicht geschaffen werden können. Konsumenten­
artikulierte
unzu- Unzufriedenheit,
frieden Beschwerde,
Abkehr
erwartungen sind äußerst heterogen und dynamisch. Unter­
nehmen werden daher stets mit einem gewissen Maß an
Unzufriedenheit leben müssen. Wann und wie sie hingegen
auf diese Unzufriedenheit eingehen, kann zu nachhaltigen
Wettbewerbsvorteilen führen.
Für die meisten Unternehmen wird Konsumenten­unzu­frie­­­
denheit erst ein Thema, nachdem der Kunde ein Produkt
erworben hat und sich eine Diskrepanz zwischen Erwar­
tungen und Erfahrungen offenbart (Anderson/Sullivan
1993). Dann wird in den meisten Fällen offen Unzufrie­
denheit artikuliert. Bevor der typische enttäuschte Kunde
sich negativ artikuliert, hat er bereits mehrere Stufen des
Kaufentscheidungsprozesses durchlaufen. So ist bei einem
typischen Kauftrichter die Anzahl von Zielpersonen in den
frühen Phasen (Eintritt des Trichters) stets exponentiell
größer als die Anzahl der Käufer (Ende des Trichters
�  Abbil­dung 2).
Anstelle sich auf die relativ wenigen Fällen von ex-post artikulierter Kundenunzufriedenheit zu beschränken, können
Unternehmen die viel häufiger vorkommenden Fälle von
Vorkauf-Unzufriedenheit adressieren. Wir nennen dies prädiktierte Unzufriedenheit, weil diese vor der Artiku­lierung
von Unzufriedenheit eintritt: Kunden, die in der Frühphase
des Kaufentscheidungsprozesses eine Diskre­
panz zwischen
ihren Erwartungen und den ersten Erleb­nissen am PoS wahrnehmen, beschweren sich in der Regel nicht. Entweder bleiben Sie in der jeweiligen Entschei­dungsphase stehen oder
verlassen diesen Prozess gänzlich. Die Identifizierung derartiger latenter Unzufriedenheit kann dazu beitragen, mehr
Kunden in dem Trichter zu behalten, Konversionsraten zu
steigern und somit die ganzheitliche Konsu­men­tenerfahrung
und langfristig erzielbare Umsatz­erlöse zu steigern.
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Abb. 2: Trichtermodell von
Kaufentscheidungsverhalten am PoS
10.000
Aktivierung
10.000
Zielpersonen
5.000
Produktentdeckung
2.500
Produktinteresse
1.000
Berücksichtigung
1 % Konversionsrate (total)
250
100
Präferenz Kauf
100
Käufe
stützung anbot. Dies führte in der Gruppe der „Suchenden“
zu einer Konversion von 50 Prozent in Spieler, indem ihnen
geholfen wurde, die richtige Slotmaschine bzw. einen passenden Spieltisch zu finden. Wenn ein Gast als „Student“ identifiziert wurde, wurde der Saalmanager via Headset informiert.
Er stellte sich vor, erklärte das Spiel und bot auch einen 10
bis 20 Dollar-Token des Casinos als Startkapital an. In den
meisten Fällen führte diese Maßnahme dazu, den Studenten­
typus zu einem Spieler zu wandeln.
Die Ergebnisse des Horseshoe-Casinos zeigen klar, wenn
auch nicht wissenschaftlich fundiert: Konsumenten­verhal­
ten am PoS kann kategorisiert und dazu genutzt werden,
gezielte Marketingmaßnahmen einzuleiten, um Interessen­
ten (Prospects) in Kunden zu überführen.
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Proof of Concept
Als sich Las Vegas von einem Spielermekka in ein Reiseziel
des Entertainments wandelte, bemerkte das Horse­shoe-Casino
eine wachsende Anzahl von Besuchern, die durch das Casino
schlenderten, aber niemals selbst spielten. Das Casino­
management fragte sich, warum diese Gäste keine Einsätze bei
den Geldspielautomaten, Blackjack oder Rou­lette tätigten.
Spielcasinos haben stets große Summen an Bargeld vor Ort.
Daher verfügen sie über Sicherheits­systeme, welche denen
der größten Banken ebenbürtig sind. Diese Überwachungs­
systeme konnten zur Beobachtung genutzt werden, um das
Verhalten der nicht-spielenden Besucher zu verstehen. Nach
ein paar Wochen wurde das Verhalten transparent, und es
konnten drei Verhaltensmuster identifiziert werden:
Der „Suchende“ hielt offensichtlich nach etwas Ausschau,
fand es aber niemals. Sie oder er umrundeten langsam und
mehrfach die Slotmaschinen oder die Blackjack-Tische, um
dann weiterzugehen. Der zweithäufigste Typ war der
„Student“, der sich offensichtlich bemühte, das Spiel zu
verstehen. Dieser stand für etliche Minuten ruhig hinter
anderen Spielern und beobachtete diese, bevor er oder sie
weiterging. Im klassischen Sinne waren diese Kunden nicht
verärgert, da sie sich nicht beschwerten, aber auf einer tieferen Ebene waren sie wohl unzufrieden. Der dritte Typ war
der „Sprinter“, ein Besucher, der mit Eifer durch das Kasino
marschierte. Dieser Gast zeigte offensichtlich kein Interesse
an den Spielen und war lediglich bemüht, möglichst schnell
zum Pool oder zum Buffet zu gelangen.
Verschiedene Maßnahmen wurden für diese Besuchertypen
entwickelt und getestet. Sobald jemand als Suchender erkannt
wurde, wurde eine Textnachricht an eine Kellnerin verschickt, die dem Gast ein kostenloses Getränk und Unter­
Interventionen am PoS
Das Kasinobeispiel zeigt, dass eine Intervention in Echtzeit
durch geschultes Verkaufspersonal am PoS möglich ist.
Hier ist auf eine empathische Ansprache des Kunden
(Wieseke et al. 2012) zu achten: Stehen Vertrauenseigen­
schaften beim Produkt im Vordergrund, deutet eine Orien­
tierungslosigkeit des Shoppers mit hoher Wahrschein­
lichkeit auf fehlendes Vertrauen bzw. auf Defizite in der
Produktinformation. Hier kann eine zeitnahe Intervention
des Verkaufspersonals dazu beitragen, dass sich keine negativen Einstellungen herausbilden.
Produkte mit Such- und Erfahrungseigenschaften bedürfen
oft einer vertieften Betrachtung und des Austestens durch
den Konsumenten. Hier kann eine gewisse Zeit der
Eigenbeschäftigung vor einer Intervention hilfreich sein.
Dann sollte ein Austesten ermöglicht werden, indem das
intervenierende Verkaufspersonal Verpackungen öffnet oder
Proben bereitstellt. Bei komplexen Produkten, wie z. B.
Wohnungseinrichtungen, sind schließlich oft mehrere
Schleifen zu durchlaufen, bevor der Shopper eine Ent­
scheidung treffen möchte. Hier soll und kann eine Inter­
vention nur begrenzt auf einen Abverkauf hinwirken, ohne
den Shopper zu bedrängen. Hingegen ist es hilfreich,
gezielt persönliches Informationsmaterial auszuhändigen.
Es bedarf nicht stets Interventionen durch Verkaufs­
personal, auch können in Echtzeit eingesteuerte sensorische
Erlebnisse, wie z. B. Musik oder Licht, zu einer Behebung
aufkommender Unzufriedenheit am PoS beitragen (Anto­
nides et al. 2002). Bei entsprechender Wahrnehmung können sogar Wartezeiten als Qualitätssignal empfunden werden (Jones/Peppiatt 1996; Giebelhausen et al. 2010).
Unabhängig von Interventionen in Echtzeit birgt die kumulierte Analyse tausender von Shoppern ein hohes Potential,
da sie offenlegt, wo und wann Shopper am PoS ärgerliche
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Gesichtsausdrücke zeigen, sich orientierungslos verhalten
oder einen erhöhten Pulsschlag aufweisen. Selbst wenn
diese Informationen nicht genutzt werden, um individuelle
Shopper zu lokalisieren und sie zu unterstützen, können sie
doch helfen, das Layout der Verkaufsfläche zu verbessern,
Wegweiser anzubringen, Personal zu schulen und zu posi­
tionieren oder bessere PoS-Displays zu gestalten.
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Wirtschaftlicher Nutzen
von Prädiktions-Monitoring
Durch aktive Unterstützung von Konsumenten, die erste
Anzeichen zeigen, ihren Kaufprozess bald abzubrechen, kann
ein Prädiktions-Monitoring dazu beitragen, den Kauf­prozess
erfolgreich zu Ende zu führen. Wesentlich ist die Hebel­
funktion einer frühen Beeinflussung: So kann eine einprozentige Verbesserung der Konversionsrate in frühen Phasen des
Entscheidungsprozesses zu einer zehnfachen Steigerung der
final erzielten Kundenzahlen führen. Weitere Umsatzpotentiale
ergeben sich durch Mehrumsätze mit Kunden. So können
Käufer durch Intervention darin gestärkt werden, weitere
Produkte zu erwerben. Dies kann eine Steigerung des „wallet
share“ (Bedarfsdeckung bzw. Anteil eines Händlers am
Kundenbudget für alle Händler) von Shoppern erbringen.
Der direkte, monetäre Nutzen von Prädiktions-Monitoring
lässt sich somit aus Umsatzerlösen aus höheren Konver­
sionsraten sowie aus Mehrverkäufen an Kunden berechnen.
Der Ergebnisbeitrag von Prädiktions-Monitoring steigt entsprechend
(a) mit dem Anteil von Shoppern, die den Kaufvorgang
am PoS abbrechen (würden),
(b) mit dem Gesamtwert des möglichen Einkaufskorbs in
Euro sowie
(c) dessen Differenz zum real realisierten Umfang in Euro.
Diese drei Rahmenparameter beeinflussen die Rentabilität
von Investitionen des Prädiktions-Monitoring:
(ad a)In kleinem und vertrautem Kaufumfeld sinken der
Anteil unsicherer Kunden. Zudem ist die Berüh­rungs­
schwelle für eigenes Nachfragen beim Verkaufs­­
personal gering. Hier werden Systeme wenig zur
Steigerung von Konversionsraten beitragen. Anders
hingegen in Umgebungen, bei denen Größe und
Komplexität des Leistungsangebotes auf oft geringe
Expertise und fehlende Vertrautheit des Shoppers treffen – wie z. B. in Baumärkten.
(ad b)Ceteris paribus lohnen sich Monitoringsysteme umso
mehr, wenn das durchschnittliche Einkaufsvolumen in
Euro hoch ist – wie z. B. in Elektronik­fach­geschäf­ten.
(ad c)Zugleich erhöhen Komplementärprodukte und nicht
ausgeschöpfte Cross-Selling-Potentiale, z. B. bei
Be­klei­dungsgeschäften, die Attraktivität von Inter­
ventionen am PoS.
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Weitere Vorteile können eine Investition in PrädiktionsMonitoring interessant machen: So kann Prädiktions-Moni­
toring dazu beitragen, begrenzte Ressourcen zuzuweisen. In
verschiedenen Bereichen übertrifft die Anzahl der Shopper
in jeder Stufe des Kaufentscheidungsprozesses die verfügbaren Servicekapazitäten der Unternehmung. Wenn sich z. B.
über 100 Shopper in einem großen Supermarkt oder
Elektronikfachgeschäft aufhalten und nur zehn Verkäufer
vor Ort verfügbar sind, dann sollte das Verkaufspersonal
statt der Betreuung von zufrieden wirkenden Shoppern diejenigen Shopper unterstützen, welche Zeichen der Unsicher­
heit oder von Stress zeigen.
Schließlich kann Prädiktions-Monitoring helfen, Probleme
in der Kundenerfahrung entlang von Touchpoints zu identifizieren. Gestalter von Webseiten nutzen Instrumente wie
Google Analytics, um die Navigation von Seitenbesuchern
und deren Ein- und Austrittspunkte zu analysieren. Prädik­
tions-Monitoring kann analog hierzu die Shopper-Erfah­
rungen am PoS in klassischer „brick & mortar“-Umgebung
verbessern.
5 Technologien des PrädiktionsMonitoring
Wissenschaftliche Forschung zeigt, dass Körpersprache,
Verhalten und Biometrie zugleich messbare Symptome von
Stress, einer Form von Unzufriedenheit, liefern können
(Wang/Minor 2008). Das Beispiel des Horseshoe-Casinos
demonstrierte, dass Interventionen auf Basis von Prä­
diktions-Monitoring einen Besucher in einen Käufer wandeln können. Jedoch werden skalierbare Technologien für
einen großzahligen, ökonomischen Einsatz benötigt. Es gilt,
Tausende von Shoppern in Echtzeit passiv zu beobachten
und Interventionen automatisch einzuleiten, sobald Stress­
indikatoren ermittelt werden.
Lösungen des Prädiktions-Monitorings müssen somit fünf
Bestandteile umfassen: Messung, Übertragung, Analyse,
Lokalisierung und Benachrichtigung. Die Messkomponente
erfasst Daten auf Ebene von Körpersprache (K-Indikator),
Navigation (N-Indikator) und Biometrie (B-Indikator).
Unabhängig vom Indikatortyp müssen die Daten von der
Messstelle zum Computersystem übertragen werden.
Verfügbare Software kann leicht konfiguriert werden, um
eine Echtzeitdatenanalyse vorzunehmen. Wird anhand der
Stressanalyse bei einem Shopper Handlungsbedarf diagnostiziert, so sind sofortige Interventionen am PoS einzuleiten.
Z. B. kann ein Mitarbeiter per Textnachricht instruiert oder
es können digitale Displays am PoS angesteuert werden.
Die Technogien für Übertragung, Analyse und Benach­rich­
tigung sind vorhanden und bewährt. Sie müssen nur kombiniert werden. Lediglich die Messung und Lokalisierung
bedürfen je nach Indikatortyp besonderer Handhabung.
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K-Indikatoren: Zur Analyse von Körpersprache sind Techno­
logien der Gesichtserkennung ausgereift und können am
Verkaufsstand, am PoS-Terminal und im Kassenbereich sehr
gut eingesetzt werden. Hier ist der Konsument relativ stationär
und nimmt einen engen Fokuspunkt ein, was eine genaue
Messung ermöglicht. Zugleich ist die Ortung bereits erfolgt.
Die Ermittlung von K-Indikatoren bei der Produkt­suche am
PoS ist hingegen schwierig: Hier müsste der Händler hunderte
Kameras in verschiedenen Winkeln anbrin­gen, um die Gestik
und Gesichtsausdrücke von Shop­pern zu erfassen. Somit sind
diese eher für räumlich begrenzte Analysen, z. B. bezüglich
der Wirkung von PoS-Displays, einsetzbar.
N-Indikatoren decken ein breites Spektrum an Aktivitäten
ab. Am einfachsten ist das Monitoring von Kunden­
bewegungen im Geschäft bzw. auf der Webseite. Online
steht Web Analytics-Software zur Verfügung. Offline können Funktechnologien wie RFID genutzt werden (Blecker
et al. 2011). RFID-Tags sind z. B. so klein und so günstig,
dass diese in Einkaufskörben oder -wagen, aber auch in
Mitgliedskarten oder Einkaufcoupons integriert werden
können. So lässt sich das Suchverhalten des Shoppers am
PoS in Echtzeit bestimmen und zugleich dessen Lokali­
sierung vornehmen.
B-Indikatoren der Biometrie können bereits auf einfache
Pulsmessungen basieren, welche z. B. durch einen Sensor
am Griff des Einkaufswagens zu erfassen sind. Derartige,
bspw. bei Trainingsfahrrädern eingesetzte Sensoren müssen
mit Lokalisierungsdaten, z. B. RFID, kombiniert und
gemein­sam ausgewertet werden. Dann ermöglichen sie eine
differenzierte Analyse von Weg- und Aufenthaltsverläufen.
So kann ein längeres Verweilen bei attraktiven Design­
produkten im Sinne eines „Nur mal gucken“ bei dem
Betrachter auch gewollt sein und Glücksgefühle auslösen,
die nicht durch eine Intervention gestört werden sollten.
6
Umsetzung eines Programmes
des Prädiktions-Monitoring
Wissenschaftliche Überlegungen und erste Fallstudien zeigen das Potential von Prädiktions-Monitoring am PoS. Die
technischen Komponenten existieren, um Prädiktions-Moni­
toring im Verkaufsumfeld großflächig einzusetzen. Alter­
native Technologien stehen zur Verfügung und machen eine
Anpassung an die jeweilige Rahmenbedingung möglich. So
eignet sich bspw. Gesichterkennungssoftware perfekt für
Selbstbedienungsautomaten wie Check-Ins am Flughafen
oder Geldautomaten. Einkaufswagen mit RFID-Chips eignen sich für Supermärkte, während sich mit RFID-Chip ausgestattete Clubkarten für Kaufhäuser anbieten.
Grundlage jeder Investitionsentscheidung müssen Berech­
nungen des erzielbaren Return-on-Investments sein. Auf der
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Ertragsseite sind Effekte eines verbesserten Kundenservices
oder einer optimierten Allokation von Personalressourcen
schwierig im Voraus abzuschätzen. Erträge durch erzielbare
Mehrumsätze lassen sich jedoch gut vorhersagen und kon­
trollieren. Die Kosten für die Systeme des PrädiktionsMoni­torings sind ebenfalls bekannt, variieren jedoch deutlich nach Anzahl und Umfang zu betrachtender Indikatoren.
Während Kosten­
degressionen mit zunehmender System­
größe zu erwarten sind, können Kosten bei höherer Komple­
xi­
tät auch überproportional steigen. So ist eine einfache
Tracking-Software von Webseiten deutlich weniger aufwändig als eine Software zur Gesichtserkennung, kann jedoch –
anders als letztere – das Verhalten tausender Besucher
simultan verfolgen.
Als erste Orientierung für praktische Umsetzungen werden
in � Tabelle 1 wesentliche Parameter aufgelistet.
Auch außerhalb des PoS lassen sich Systeme des Prädik­
tions-Monitoring zur Gestaltung des Kunden­kontak­tes nutzen. So hat ein Automobilhersteller für seine Webseiten ein
System entwickelt, das auf Basis der Dauer und des
An­klickens bestimmter Elemente dem Betrachter anbietet,
eine persönliche Beratung in Anspruch zu nehmen.
Schließlich werden Analysen von Stimmlagen bei TelefonHotlines genutzt, um das Stressniveau von in der Warte­
schleife befindlichen Kunden zu ermitteln und gestresste
Kunden bevorzugt einem (anderen) Berater zuzuweisen.
Bevor Unternehmen in die Implementierung dieser Systeme
investieren, sind folgende Themenfelder unbedingt zu
beachten:
-
Offenlegung und Opt-Out: Immer wenn Über­
wachungs­­
systeme genutzt werden, müssen Infor­
ma­
tionen an die Konsumenten kommuniziert werden. Oft
reichen Displays, die Besucher darauf hinweisen, dass
Überwachungssysteme benutzt werden. Um negativer
Mundpropaganda vorzubeugen, ist jedoch eine proaktive Kommunikation angezeigt. Zugleich sollten Shop­
per die Möglichkeit haben, den Tracking-Mecha­nismus
– wie im Internet – von sich aus zu deaktivieren.
-
Privatsphäre: In Deutschland, einem Land mit besonders strikten Gesetzen zur Privatsphäre (Silberer/
Friedemann 2011), ist z. B. die räumliche Verfolgung
von Einkaufswagen mittels RFID erlaubt, solange
keine persönlichen Daten gesammelt und gespeichert
werden. Ähnlich argumentiert mag das Monitoring
von biometrischen Indikatoren zugelassen sein, solange der Nutzer anonym bleibt. Hingegen dürfte das
Verfolgen an ATM-Maschinen oder von Kunden­karten
verboten sein, wenn diese Daten in Beziehung zu
einem einzelnen Individuum gebracht werden können.
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Tab. 1: Morphologischer Kasten zur Umsetzung von Prädiktum-Monitoring
Rahmen
Primäre Produkteigenschaften
Kauftyp
Technische
Komponenten
Indikatoren zur
Prozessmessung
Erfassung von
Navigationsdaten
Einsatzbedingungen
Ø Gesamtwert des
Einkaufskorbes
% der Shopper mit Abbruch des
Kaufprozesses am PoS
Sucheigenschaften
Komplementärprodukte und
Cross-Selling-Potentiale
Erfahrungseigenschaften
Vertrauenseigenschaften
Einfacher linearer Kaufprozess
(z. B. AIDA)
Parameter der technischen Umsetzung
Impuls- und Habitualisierungskäufe
Messung
Übertragung
Analyse
Navigation
Produktverpackung
Mehrstufiger Kaufentscheidungsprozess
Lokalisierung
Biometrie
Einkaufskorb
Kundenkarte
oder -wagen
Implikationen für das PoS-Management
Potenziale für
Echtzeit-Reaktionen
Ansprache durch
Verkaufspersonal
Langfristmaßnahmen
Layout der Verkaufsfläche,
z. B. Ruhe- und Rennzonen
Mobiles Couponing
In unserer Fallstudie beobachteten wir einen spezifischen
Anwendungsfall. Die Ergebnisse des Horseshoe-Casinos
belegen, dass Prädiktions-Monitoring erfolgreich zur Diag­
nose und Verhaltenssteuerung am PoS eingesetzt werden
kann. Unsere Beobachtungen waren kleinzahlig auf wenige
hundert Konsumenten beschränkt und die Daten wurden
manuell unter nicht-wissenschaftlichen Bedingungen erhoben. Wissenschaftliche Forschung kann standardisierte
Indikatoren der Stressmessung bereitstellen.
Damit Prädiktions-Monitoring eine praktische Relevanz für
Handelsunternehmen, Kaufhäuser und Online-Shops einnehmen kann, muss das System in Echtzeit tausende Shopper
beobachten und gezielte Interventionen anstoßen. Ein derartiges System existiert noch nicht, auch wenn die Komponenten
vorhanden sind. Ein wesentlicher Schritt ist somit die
Integration der Komponenten in ein schlüsselfertiges System.
Hier bietet sich eine strategische Forschungs­kooperation zwischen Handel, Hersteller und Universität an.
Die Diskussion über die Zukunft von Monitoring wäre
un­vollständig ohne die Erwähnung von innovativen Mess­
ansätzen z. B. der Retina, Thermographie, EMG wie EEG
sowie elektrischen Potentialsensoren. Diese Technolo­gien
werden noch lange auf Probanden von Marktfor­schungs­
studien beschränkt bleiben, könnten jedoch besonders
Körpersprache
Coupon oder
Willkommenskarte
multisensorische
Interventionen
(Licht, Ton und Duft)
Inszenierung ganzheitlicher
Konsumerlebnisse
(vor und nach Kauf)
Digitale Displays und
Augmented Reality
Optimierung von Personaleinsatz
und Sortimentsgestaltung
7 Nächste Schritte und Ausblick
Benachrichtigung
umfangreiche Daten zum Kauferlebnis beisteuern. Sie sollten beobachtet werden, da sie ergänzend helfen können, die
großzahlig in der Praxis erhebbaren Stressindikatoren zu
verstehen und zu interpretieren.
Ein aufkommendes Geschäftsfeld des Prädiktions-Monito­
rings wird schließlich Chancen für verschiedenste Organi­
sationen bieten, sich als Anbieter strategisch zu positionieren: IT-Firmen, die Hardware bereitstellen und Daten mit
CRM-Systemen synchronisieren; Software-Unternehmen,
die Anwendungsprogramme und Web-Dienstleistungen
anbieten, um Daten zu analysieren und Muster zu identifizieren; Wissenschaftler, die Indikatoren interpretieren und
erklären können sowie Berater, die geeignete Maßnahmen
ableiten und Training anbieten können.
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