2015_11_08 NZZaSo Brustkrebs

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Mensch& Medizin
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STEVE GSCHMEISSNER / SPL / KEYSTONE
Blasige Haut
Diagnose
Andrea Six
E
twas stimmt nicht mit der 15-Jährigen. Sosehr sich die Ärztin auch
bemüht, auf die Patientin einzugehen – der Teenager will mit der
Wahrheit nicht herausrücken. Das Mädchen beteuert im Beisein der Mutter, dass
es absolut nicht wisse, woher die Wunden
an ihrer Flanke stammen.
Grosse gelbe Blasen auf tiefroten Flecken ziehen sich über die Körperseite des
Mädchens. Eigentlich sehen die Wunden
eindeutig nach einer Verbrennung aus.
Die Patientin und die Mutter bestehen
jedoch darauf, dass es keinen Unfall gegeben habe, bei dem sich die 15-Jährige
hätte verbrühen, verätzen oder anderweitig schaden können.
Die Ärztin ist besorgt und stanzt ein
winziges Stückchen Haut aus einer der
Wunden. Denn bei bestimmten Krankheiten des Immunsystems können sich ähnliche Blasen auf der Haut bilden. Doch die
Gewebeuntersuchung ergibt, dass keine
derartige Erkrankung vorliegt. Schliesslich wird die Patientin mit Hautsalben
versorgt und heimgeschickt.
Bei einem Kontrolltermin nach einigen
Tagen sind die Wunden fast verheilt. Die
Ärztin spricht noch einmal intensiv mit
der Patientin die Vorgeschichte durch. Ob
es nicht doch eine Verbrennung gewesen
sei? Endlich rückt der Teenager mit der
Sprache raus. Bei einer Mutprobe habe sie
Salz und Eiswürfel auf die Haut legen und
den entstehenden Schmerz möglichst
lange ertragen müssen. Weil sich Salz im
schmelzenden Eis löst, wird der Haut
zeitgleich schlagartig Wärme entzogen.
So sind Frostschäden auf der Haut entstanden, die ein Eiswürfel allein nicht
hätte bewirken können.
Aus eins mach zwei: Sich teilende Brustkrebszelle im Rasterelektronenmikroskop.
Doppelter Angriff
Brustkrebs im Frühstadium lässt sich mit einer Doppeltherapie besser behandeln,
zeigt eine neue Studie. In der Schweiz will man abwarten. Von Felicitas Witte
O
15
So viele Frauen
erkranken in der
Schweiz pro Tag an
Brustkrebs. Das
sind etwa 5500 pro
Jahr. 8 von 10 Frauen,
die an Brustkrebs
erkranken, sind über
50 Jahre alt.
dem ‹kennzeichnet› Pertuzumab die Tumorzellen, so dass das körpereigene Immunsystem sie zerstören kann.» Mit der Doppelblockade lebten Frauen mit fortgeschrittenem Brustkrebs mehr als ein Jahr länger.
2012 wurde die Doppeltherapie in der
Schweiz für diese Patientinnen zugelassen.
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b die Forscher 1987 in der
Biotech-Firma in Kalifornien
geahnt haben, was für einen
einschlagenden Erfolg ihre
Entdeckungen haben
würden? Sie legten damals
den Grundstein für eine
Doppeltherapie gegen fortgeschrittenen
Brustkrebs. Nun zeigen Forscher, dass die
Doppeltherapie möglicherweise auch bei
Frauen mit frühem, heilbarem Stadium der
herkömmlichen Chemotherapie überlegen
ist. Einige Experten sind begeistert, andere
noch kritisch: «Das tönt zwar vielversprechend, aber zuerst muss gezeigt werden,
dass damit mehr Frauen geheilt werden und
länger leben», sagt Roger von Moos, ChefOnkologe am Kantonsspital Graubünden.
Die Entdeckung der kalifornischen Forscher war die Grundlage für eines der ersten
sogenannten personalisierten Medikamente,
die gezielt gestörte Signalwege in den Krebszellen unterbrechen. Kurz zuvor hatten Wissenschafter ein Eiweiss auf der Oberfläche
von Körperzellen entdeckt, das eine wichtige
Rolle beim Wachstum von Zellen spielt, sie
nannten es HER2. Bei bis zu 25 Prozent der
Brustkrebspatientinnen liess sich eine
erhöhte Anzahl HER2 auf der Oberfläche der
Tumorzellen nachweisen. Dies hat zur Folge,
dass die Tumorzellen sich rasch teilen und
der Tumor wächst. Frauen mit HER2-positiven Tumoren haben eine äusserst schlechte
Prognose.
Pärchenbildung verhindert
Die Forscher in der Biotech-Firma entwickelten daraufhin Antikörper, die an HER2
binden, es damit blockieren und das Tumorwachstum stoppen sollten. Mit Erfolg: 1998
kam der erste HER2-Antikörper auf den
Markt, das Medikament Trastuzumab. Plötzlich konnten Frauen mit fortgeschrittenem
Brustkrebs wieder Hoffnung schöpfen: Mit
dem HER2-Blocker kam der Krebs nicht so
schnell wieder, und die Frauen lebten länger.
Doch bei einigen Patientinnen wuchs der
Tumor trotzdem weiter. HER2-Eiweisse
können sich nämlich untereinander verbinden, und diese «Pärchen» senden weiterhin
Wachstumssignale an die Zelle aus. Kurzerhand entwickelten die Forscher einen weiteren Antikörper mit dem Namen Pertuzumab,
der die Pärchenbildung verhindert. «Durch
diese Doppelblockade werden auf verschiedene Weise Wachstumssignale in den Krebszellen gehemmt», sagt Andreas Schneeweiss,
Onkologe am Nationalen Centrum für
Tumorerkrankungen in Heidelberg. «Ausser-
80
%
beträgt der Anteil der
Erkrankten, die fünf
Jahre nach Diagnose
noch am Leben sind.
25
%
So hoch ist der Anteil
der Patientinnen,
deren Tumorzellen
auf der Oberfläche
eine erhöhte Anzahl
von HER2 aufweisen.
Gabe vor der Operation
In der neuen, am amerikanischen Krebskongress in Chicago vorgestellten Studie wurde
die Doppeltherapie nun auch bei Krebs in
einem frühen, heilbaren Stadium getestet.
Die Medikamente wurden vor der Operation
gegeben. In Gewebeproben liessen sich
danach keine Krebszellen mehr in der Brust
oder in der Achsel nachweisen. Mit der Kombinationstherapie war das Risiko, dass der
Krebs erneut auftauchte, um 30 Prozent
geringer. «Wenn ohne Pertuzumab 3 von 10
Frauen innerhalb von fünf Jahren einen
Rückfall erleiden, sind es mit Pertuzumab
2 von 10», sagt Schneeweiss. Die Zulassungsbehörden in Europa und den USA zeigten
sich von den Ergebnissen beeindruckt und
erteilten grünes Licht für die Behandlung
von Frauen mit Brustkrebs im Frühstadium.
In der Schweiz ist dies noch nicht der Fall.
Schneeweiss hält viel von der Gabe der
Doppeltherapie vor der Operation. «Von
anderen Medikamenten wissen wir, dass
Frauen länger leben, wenn ihr Tumor besser
auf die Therapie anspricht.» Er verabreicht
wie viele seiner Kollegen in Deutschland die
Kombinationstherapie vor der Operation und
untersucht regelmässig Brust und Achsel per
Ultraschall, um zu sehen, ob der Tumor kleiner wird. «Wenn wir zuerst operieren und
erst danach die Medikamente geben, können
wir das nicht messen. Dass die Therapie
nicht gewirkt hat, würden wir erst sehen,
wenn der Krebs wiederkommt.»
Seine Kollegen in der Schweiz sind noch
skeptisch: «Es ist noch nicht bewiesen, dass
die Frau auch länger lebt, wenn ihr Tumor
besser auf eine vor der Operation gegebene
Therapie anspricht», sagt Daniel Fink, Direktor der Gynäkologie am Universitätsspital
Zürich. Für Fink wäre aber auch noch wichtig
zu wissen, ob die Doppeltherapie grosse
Tumoren zum Schrumpfen bringt und so die
Notwendigkeit einer Brustentfernung
senken kann. Fink wartet wie Roger von
Moos, Onkologe am Kantonsspital Graubünden, die Ergebnisse einer weiteren Studie ab,
die 2016 veröffentlicht werden soll.
Eine wichtige Frage, die für von Moos im
Vordergrund steht, ist die Bedeutung der
Chemotherapie bei diesen Patientinnen. «Da
die Chemotherapie wesentlich für die Nebenwirkungen verantwortlich ist, wäre es super,
zeigen zu können, dass die Antikörperkombination alleine gleich gut ist wie die
Kombination mit dem Standard-Chemotherapeutikum.» Dies wird zurzeit bei Frauen
mit fortgeschrittenem Krebs in einer Studie
der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Klinische Krebsforschung (SAKK) untersucht.
«Patientinnen können mitmachen», sagt von
Moos – «ein Anruf oder eine E-Mail genügt.»
Quelle: «Kinder- und Jugendarzt», 2015,
Bd. 2, S. 37.
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