Thema 2b

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Einführung in die Sprachwissenschaft
Teil 2b:
Sprachbeziehungen: typologisch
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Typologische Klassifizierung
Ausgangspunkt bei der Gliederung nach Sprachtypen = Sprachstruktur (Morphemstruktur der
Wörter) → strukturelle/morphologische K.
Mit Hilfe deskriptiver (beschreibender) Methoden: die Strukturen der
einzelnen Sprachen beschrieben u.
miteinander verglichen.
Die Sprachtypen
(1) Isolierender Sprachtyp: Grammatik soz.
vom Wort isoliert,
Form d. Wörter verändert sich nicht → amorphe
S. (ohne Morphologie),
nur syntakt. Mittel, dazu sog. Leerwörter (keine
selbst. Bed., nur Beziehungen zw. bedeutungstragenden Elementen (Tempuszeichen des
Verbs) – Dt. ich habe gegessen
Vollwörter/Wurzelwörter → Wurzelsprache
Wörter = unveränderlich → analytische Spr.
Intonation: untersch. Intonation verändert Funktion u. Bedeutung → Tonhöhensprache
Beispiel Vietnamesisch:
Beispiel Chinesisch
1. Ton
mā
2. Ton
má
3. Ton
mă
4. Ton
mà
Beispiel Chinesisch
wŏ de mā (= meine Mutter)
wŏ jiăo má (= mein Bein ist eingeschlafen)
wŏ de mă (= mein Pferd)
wŏ mà (= ich schimpfe)
Wŏ wèn nĭ (= ich frage dich)
↕
Wŏ wĕn nĭ (= ich küsse dich)
(2) Agglutinierender Sprachtyp: die gramm.
Funktion (z.B. Person, Zeit, Kasus) = durch
das Anfügen v. Affixen kenntlich gemacht →
Agglutination.
Einfach: zusammenklebende (anfügend) Verbindung von Wortstämmen + eindeutige,
gleichbleibende Affixe (zur Angabe der Beziehungen zwischen Wörtern im Satz)
Affix = Wortbildungsmorphem, fasst Präfix,
Suffix u. Infix zusammen
(3) Flektierender (fusionierender) Sprachtyp: Flexion anwenden
• Sprachen, die die Tendenz haben, die syntakt. Beziehungen im Satz durch stammverändernde Elemente auszudrücken.
Flexion: Änderung der Gestalt eines Wortes
zum Ausdruck seiner gramm. Merkmale bzw.
der gramm. Funktion im Satz
• äußere + innere F. (= Änderung der Wortstämme) → einfach: Affixe verschmelzen
miteinander und mit dem Wortstamm.
Zusammenfassend:
Die Wörter eines Satzes ordnen sich
- durch Flexion (Beugung) und
- durch vielfältige Affigierung (Hinzufügung
von Partikeln)
- in gramm. Kategorien, wodurch ein Beziehungsgefüge von Abhängigkeiten hergestellt
wird.
(2/AG = agglutinierende Sprachen) ↔ (3/FL =
flektierende Sprachen) in einer Gegenüberstellung
•
(2/AG) ein Affix hat immer nur eine Funktion: ungarisch ember|ek|nek = -ek: Plural,
-nek: Dativ
↕
(3/FL) ein Affix kann mehrere Funktionen
gleichzeitig haben: dt. den Mensch|en = Pl.
+ Dativ
•
(2/AG) eine bestimmte gramm. Funktion = im
Satz nur einmal: a szép házak (Pl. nur an -k
erkennbar)
↕
(3/FL) eine bestimmte gramm. Funktion kann
mehrmals bezeichnet werden („Übercharakterisierung“, Wortgruppenflexion):
die schönen Häuser
•
(2/AG) Aneinanderreihung vieler Affixe im
Bereich der Wortbildung + in Gramm. möglich u. häufig: hű|tlen|ség|em|ről
↕
(3/FL) Aneinanderreihung von Affixen im Bereich der Wortbildung möglich, in Gramm.
selten: über meine Un|treu|e
•
(2/AG) Affixe unabhängiger vom Stamm, lassen s. immer vom Stamm u. von den Wortelementen lösen: kert – kert|et (Akk.)
↕
(3/FL) Affixe können mit dem Stamm zu einer
unlösbaren Einheit verschmelzen (Fusion),
sie können die Lautform des Stammes beeinflussen, sogar Morphemgrenzen aufheben:
Garten < ahd. garto,
mhd. garte – Akk. den garten
•
(2/AG) Form der Wurzel = stabil, Affixe werden der Wurzel angepasst („Vokalharmonie“): három|szor, négy|szer, öt|ször
↕
(3/FL) Form d. Wurzel kann d. Form des Affixes angepasst werden: Dorf + lich → dörflich
Veränderlichkeit der Wurzel = phonologischer Wechsel. Wenn dieser Wechsel zum
Ausdruck gramm. Beziehungen → innere
Flexion (Ablaut, Umlaut, Brechung).
Yagua: (gesprochen im peruanischen AmazonasGebiet, NW + Kulumbien),
Agglutinierend; gramm. extrem kompliziert,
z.B.
• 5 Grade d. Vergangenheit, nach denen s.
die Endungen d. Verben unterscheiden:
Jeder Sprecher muss differenzieren, ob
seit einem Ereignis Stunden, Tage,
Monate oder noch längere Zeitspannen
vergangen sind.
(4) Inkorporierender Sprachtyp: polysynthetisch
• wenig erforscht; keine Satzglieder in unserem
Sinne → morphol. Struktur ihrer Elemente
außerhalb eines „Satzes“ nicht erkennbar
• keine festen Wortformen, sie erhalten ihre
endgültige Form erst im „Satz“ → ≠ Wörter,
sond. „polysynthetische/inkorporierende Komplexe“ (Satzwörter)
• Inkorporierung (Aufnahme versch. Elemente
in einen „Körper“) geht meist vom Verb aus:
vom Prädikat alles einverleibt
z.B. Tschinuk-Spr. (Oregon, Washington)
i-n-i-á-l-u-d-am
i: Vergangenheit, n: 1. Pers.
Sing., i: direktes Obj., á: sie,
l: indir. Obj. (ihr), u: vom Sprechenden fortbewegend, d: = Kernstück (Themamarker: Markierung, dass das Wort zu diesem Zeitpunkt
Fokus der Unterhaltung ist): geben, am: Ziel/
Zielorientiertheit
ich bin gekommen, um ihr dies zu geben
(5) Klassifizierender Sprachtyp: agglutinierend?
Bantusprachen, 500 Eingeborenensprachen
südl. des Äquators bis
nach Kapland
• Wörter, die Personen, Dinge od. Tätigkeiten bezeichnen: in best. logische Kategorien eingeordnet
• Klassen z.B.: Person, Lebende, Ding,
Stück, Organismus, Individuelles, Beschaffenheit, Richtung, Oberfläche, Inneres
• Zugehörigkeit zu einer Klasse: an den Wörtern durch ein „Klassenpräfix“ kenntlich gemacht
Klassenpräfix
= auch grammat. Beziehungsmittel: alle Wörter
des Satzes, die syntaktisch zu einem präfigierten Substantiv gehören, durch dasselbe Präfix
gekennzeichnet; auch Verben,
Adjektive → so: wichtiges Mittel
zur Organisation der Rede.
Beispiel: Kisuaheli
kile kisu kikukuu kimevikhata vile vidole wya
mtoto mdogo
das Messer, alt, {hat geschnitten}, die, Finger,
das, Kind, klein
kisu = Messer, Klassenpräfix für Geräte,
Pl. = vi; kimevikhata: Prädikat: beide Präfixe,
m = Klassenpräfix für Personen.
austral. Dalabon
Hierarchie- und Verwandtschaftsverhältnisse
d. Personen, über die geredet wird:
→ ein kompliziertes System v. Silben, die den
Wörtern vorgeschaltet werden
„Weltatlas der Sprachstrukturen“
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig → Sprachkarten: ttp://wals.info
Deutsch: fast alle typologischen Merkmale
• flektierend (Änderung der
Wortstämme): Mutter →
Mütter, nehmen → nahm → genommen
• agglutinierend (Suffixe verändern Inhalte
u. Funktionen): Halt|bar|keit, Hilf|los|ig|keit
• klassifizierend (Kennz. f. Pers., Sachgruppen): Berufe: Lehrer, Bauer; best. Tierbezeichnungen: Fuchs, Dachs, Lachs, Luchs
• inkorporierend („Klammereffekt“): der in
seiner Ohnmacht verzweifelt aussehende
Mann
• isolierend (unveränderte Wörter ohne
Funktionszeichen): Frauen lieben Mode.
– od. untersch. Intonation verändert Funktion u. Bedeutung (Tonhöhensprachen):
Inge ist glücklich verheiratet.
Inge ist glücklich verheiratet.
Ach so! ↔ Ach so?
Heute:
• Typologische Fragen → bei d. Suche nach
sprachl. Universalien.
• Kritik: genet. + typol. Klassif.: lassen die Bedeutung kultureller Verbindungen zw. Sprachen außer Acht (Wort-, Struktur- u. Modellentlehnung).
• Neu: Kategorisierung nach einzelnen strukt.
Kriterien, z.B. Anzahl d. Morpheme pro Wort
→ „Synthese-Index“.
Die Schulkinder sahen den Hund.
5 Wörter, aber 9 Morpheme → Synthese-Index = 1,8.
• für d. Englische: 1,68
• für d. Deutsche: 1,57
• für d. Annamitische: 1,06
• für d. Eskimo: 3,72
Joseph H. Greenberg
(1915-2001)
Literaturempfehlungen zum Thema
• AUER, Peter (Hrsg.): Sprachwissenschaft.
Grammatik − Interaktion − Kognition. Stuttgart/Weimar: Metzler 2013.
• CRYSTAL, David: Cambridge-Enzyklopädie
der Sprache. Frankfurt a.M. [etc.]: Campus
1995.
• HAARMANN, Harald: Kleines Lexikon der
Sprachen. Von Albanisch bis Zulu. München:
Beck 2001 (Beck'sche Reihe; 1432).
• HUTTERER, Claus Jürgen: Die germanischen
Sprachen. Ihre Geschichte in Grundzügen.
4., ergänzte Aufl. Nachdr. Wiesbaden: Albus
2002.
• ROELCKE, Thorsten: Sprachtypologie des
Deutschen. Historische, regionale und funktionale Variation. Berlin/New York: De Gruyter 1997 (Sammlung Göschen; 2812).
• STÖRIG, Hans-Joachim: Abenteuer Sprache.
Ein Streifzug durch die Sprachen der Erde.
5. Aufl. Berlin [etc.]: Langenscheidt 1997.
• ULRICH, Winfried: Wörterbuch. Linguistische
Grundbegriffe. 5., völlig neu bearb. Aufl. Berlin/Stuttgart: Borntraeger 2002 (Hirts Stichwortbücher).
• WUNDERLICH, Dieter: Sprachen der Welt. Warum sie so verschieden sind und sich doch
alle gleichen. Darmstadt: Wiss. Buchges.
2015.
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