Rheumatische Krankheiten in der hausärztlichen Praxis Entzündlich-rheumatische Erkrankungen zeichnen sich durch ein breites Symptomspektrum aus – sie zu erkennen ist nicht immer einfach. Dennoch sind eine frühe Diagnose und Therapie entscheidend für den weiteren Verlauf. Dieser Beitrag zeigt Vorgehensweise, Aufgabenteilung und die Kooperationen bei der Diagnose und Langzeitbetreuung von Rheumakranken. In Deutschland leiden etwa 1,5 Millionen Erwachsene – mehrheitlich Frauen – und etwa 15.000 Kinder an einer entzündlichrheumatischen Erkrankung. Einige der Krankheiten wie die Polymyalgia rheumatica beginnen im Alter, andere treten im Kindes- und Jugendalter auf (juvenile idiopathische Arthritis). Pathogenetisch liegen rheumatologischen Erkrankungen meist immunologische oder Stoffwechselstörungen zugrunde, die zu Entzündun­ gen und Gewebeschäden führen. Sie betreffen vorwiegend das Bewegungssystem, aber auch innere Organe, Haut oder Nervensystem können betroffen sein. Die Patienten leiden unter anhaltenden, chronischen Schmerzen, Schwellungen und Bewegungseinschränkungen durch funktionelle und strukturelle Schäden. In der Folge kommt es zu Behinderungen bei Alltagsaktivitäten, einer starken Einschränkung der Lebensqualität und hohen ökonomischen Belastungen. Wichtigste Adresse bei Krankheitsbeginn: Der Hausarzt ten, Rheumatologen, anderen Spezialisten, medizinischen Assistenzberufen und Betroffenen. Die frühe Diagnose und Therapie ist für den Verlauf entscheidend. Der Erfolg hängt dabei wesentlich von der Kompetenz, dem Aufgabenverständnis und der Kooperation aller Beteiligten ab. Der Hausarzt und Allgemeinmediziner mit seinem breiten Wissen über das Spektrum gesundheitlicher Störungen und ihrer seelischen und sozialen Hintergründe und Auswirkungen hat vor allem die Aufgabe des primären Problemmanagements. Ein Teil der Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises kann in primärärztlicher Kompetenz diagnostiziert und behandelt werden. Ein anderer Teil erfordert das kooperative Langzeitmanagement aller Beteiligten, insbesondere mit dem Rheumatologen. Primärärztliche Diagnostik rheumatischer Krankheiten Rheumatische Krankheiten sind vielgestaltig. Ihre Beschwerden sind anfangs Die Versorgung von Rheumapatienten ist oft uncharakteristisch, inkonstant und in eine Gemeinschaftsaufgabe von Hausärz- ihrer Bewertung vieldeutig. Die Kenntnis rheumatischer Die bekanntesten entzündlich-rheumatischen Krankheiten L e i t s y mp t o m e vRheumatoide Arthritis und Befundkon­ v Ankylosierende Spondylitis stellationen durch v Psoriasis-Arthritis den primär vervUndifferenzierte Spondyloarthritiden sorgenden Arzt vKristall-assoziierte Arthropathien, z. B. Harnsäure-Gicht, Calziumist entscheidend, Pyrophosphat-Ablagerungskrankheit („Chondrokalzinose“) da hier wichtige vErreger-induzierte Arthritiden (Borrelien-Arthritis, reaktive Weichen gestellt Arthritiden u. a.) werden. Bei der v Kollagenosen R h e u m a to i d e n v Vaskulitiden Arthritis (RA) |44 ärztliches journal reise & medizin Nr. 7-8/2008 Foto: DGRh © Arne Sattler schwerpunkt rheumatologie Prof. Dr. med. Ekkehard Genth, Aachen können schon nach kurzer Zeit funktionelle und strukturelle Schäden an Gelenken und anderen Strukturen entstehen. Eine frühe Diagnose und Therapie verhindert dies. Deshalb sollte innerhalb der ersten sechs Wochen eine diagnostische Klärung und bei gegebenem Verdacht eine Überweisung zum Rheumatologen erfolgen – letzterer sichert die Diagnose. In dieser Phase darf die evtl. notwendige symptomatische Therapie die spätere Diagnostik nicht beeinflussen. In der Regel unproblematisch sind Analgetika, nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) und niedrig dosierte Glukokortikosteroide. Rheumatische Leitsymptome Die hausärztliche Arbeitsweise ist in erster Linie problemorientiert und richtet sich auf das Erkennen der wesentlichen Primärsymptome (s. Kasten oben rechts). Je nach Befund folgt eine Überprüfung des gesamten Bewegungssystems auf entzündliche Schwellungen, Bewegungseinschränkungen und Kraftverlust beteiligter Muskeln unter Einschluss der Wirbelsäule. Das wichtigste Primärsymptom ist die entzündliche Gelenkschwellung, die Arthritis (Abb. 1). Es ist eine gelenkbezogene weiche Schwellung, ggf. mit Überwärmung und Rötung. Druck und Bewegung des Gelenks verursachen Schmer­zen. Oft lässt sich Erguss palpieren. Die Arthritis ist abzugrenzen von periartikulären weichen Schwellungen durch Tenosynovitiden, Ganglien, Pannikulitis und anderen Weichteilprozessen sowie von harten Gelenkschwellungen durch Osteo­ schwerpunkt vom Rheumatologen Diagnostische Leitsymptome und häufige Ersterscheinungen veranlasst werden, vSchmerzhaft geschwollene Gelenke da IndikationsstelvSehnenansatzentzündungen lung und Interpreta­ vEntzündliche Rückenschmerzen tion der Ergebnisse vGanzkörperschmerzen dessen spezielle vAllgemeinsymptome wie Müdigkeit, Gewichtsverlust und/oder Kenntnisse erforOrgansymptome an Haut, inneren Organen oder Nervensystem in Verbindung mit Symptomen am Bewegungsapparat dern. Aufgrund der hohen Rate antimikrobieller Antikörper im Serum der Be- Die Differenzialdiagnose anderer Arthrivölkerung kann sich z. B. ein hoher An- tiden ist umfangreich. Das Spektrum teil „falsch positiver Befunde“ ergeben reicht von den Arthritiden bei Kollageno– mit häufig falschen therapeutischen sen und Vaskulitiden bis zu Arthritiden Konsequenzen. durch oder nach Infektionen der Atemwege, des Magen-Darmtrakts und des differenzialdiagnosen urogenitalen Systems, durch ZeckenstiDer Verdacht auf eine Rheumatoide Ar- che oder durch Kristall-Ablagerungen thritis besteht, wenn mindestens drei Ge- (Gicht, Calzium-Pyrophosphat- oder Apalenke – insbesondere Hand-, Finger- titablagerungen). Nicht selten bleibt die grund- und Fingermittelgelenke – ent- nosologische Zuordnung einer Arthritis zündlich verändert sind und eine unklar (undifferenzierte Arthritis). morgendliche Gelenksteifigkeit von mehr Nur circa fünf Prozent der akuten oder als 60 Minuten vorliegt. Zur Sicherung rezidivierenden Rücken- oder Kreuzbzw. bei unklarer Diagnose sollte spätes- schmerzen sind durch eine Spondylo­ tens nach sechs Wochen zum Rheumato- arthritis bedingt. Der Verdacht besteht logen überwiesen werden. bei tief sitzenden entzündlichen RückenDer Verdacht auf eine Psoriasis-Arthritis schmerzen, die länger als drei Monate ergibt sich bei Arthritis mindestens eines andauern und vor dem 45. Lebensjahr Gelenks zusammen mit einer Psoriasis. beginnen. Die notwendige bildgebende Die Diagnose ist umso wahrscheinlicher, Diagnostik sowie die klinische Differenwenn ein typischer Gelenkbefall (Dakty- zialdiagnostik erfolgt beim Rheumatololitis, Transversalbefall der Finger-/Ze- gen. Die Untersuchung von HLA-B 27 henendgelenke, asymmetrischer Gelenk- eignet sich zur Ausschlussdiagnostik. befall) oder eine periphere Enthesitis Ein negativer Befund macht die Diagnose vorliegen. einer ankylosierende Spondylitis unwahrscheinlich (prädiktiver Wert des negativen Befundes > 99%). Die Diagnose der Fibromyalgie kann der Hausarzt stellen, ebenso wie die Betreuung im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung. Im Einzelfall müssen assoziierte rheumatische Krankheiten wie der systemische Lupus erythemato­ des, das Sjögren-Syndrom, eine Rheumatoide Arthritis oder andere Krankheiten (Osteomalazie, Hypothyreose, Schlafapnoe u.a.) ausgeschlossen werden. Beim Auftreten einer Raynaud-SymptoAbb. 1: Synovitiden der Hand- und Fingermatik muss primär eine beginnende Kolgelenke und der Strecksehnenscheiden lagenose, insbesondere eine systemische bei rheumatoider Arthritis. Foto: Genth phytose an den Gelenkrändern bei Arthrose. Ein weiteres wichtiges Leitsymptom ist die Sehnen- oder Gelenkkapselansatzentzündung, die Enthesitis. Sie findet sich bei verschiedenen Spondyloarthritiden insbesondere an den Sehnenansätzen des Calcaneus, des Sitzbeins oder des Trochanter major mit Schwellungen und spontanen oder auf Druck hervorgerufenen Schmerzen. Entzündliche Rückenschmerzen gehen meist mit frühmorgendlicher Steifigkeit einher. Sie können in die Glutäalregion und die dorsalen Oberschenkel ausstrahlen und bessern sich bei Bewegung und Einnahme von NSAR. Seit mehreren Monaten bestehende ausgedehnte muskuloskelettale Schmerzen oder Ganzkörperschmerzen mit multilokulärer Druckschmerzhaftigkeit weisen auf eine Fibromyalgie hin. Eine zunehmende Muskelschwäche, vor allem in der stammnahen Muskulatur, kann auf eine entzündliche Muskelerkrankung hindeuten. Sind die klinischen Zeichen nicht eindeutig, helfen bildgebende Verfahren (Skelettszintigraphie, Sonographie, MRT). Eine Vielzahl weiterer Primärsymptome kann in Verbindung mit muskuloskelettalen Beschwerden auf rheumatische Erkrankungen hinweisen. Hierzu zählen Psoriasis, photosensitive Hautveränderungen, geschwollene Hände, RaynaudSymptomatik, Iridozyklitis, Konjunktivitis, trockene Augen- und Mundschleimhäute, Schleimhautulzera, urogenitale Symptome (Urethritis, Cervizitis), Diarrhöen und andere Organsymptome sowie periphere und zentrale neurologische Symptome. Laborbefunde sind wesentliche Bausteine der Diagnostik rheumatischer Krankheiten. Allerdings ist ihre diagnostische Sensitivität für die Ausschlussdiagnostik nur selten ausreichend. So schließen z. B. normale Entzündungswerte im Blut eine frühe RA nicht aus. Die spezielle Auto­ antikörperdiag­nostik und die mikrobiologisch-serologische Diagnostik sollte ärztliches journal reise & medizin Nr. 7-8/2008 |45 schwerpunkt rheumatologie Sklerose, ausgeschlossen werden. Dauern die Beschwerden länger als zwei Jahre, erstrecken sich diese symmetrisch an den Fingern (evtl. auch an den Zehen) und finden sich keine trophischen Schäden an den Fingerkuppen, so kann von einem primären Raynaud-Phänomen ausgegangen werden. Eine definitive Klärung kann durch den Nachweis Sklerodermie-spezifischer Autoantikörper und die Kapillarmikroskopie der Nagelfalz erreicht werden. Rheumatologische Notfälle sind akut entzündete Gelenke mit Verdacht auf eine Infektion, aber auch Kollagenosen und Vaskulitiden mit schwerem Organbefall (Lunge, Herz, Nieren, Haut) oder vaskulitischer Gangrän, Amaurosis fugax oder neurologischen Symptomen. Diese erfordert die sofortige Einweisung in eine geeignete Klinik. Diagnostik durch den Rheumatologen Die Aufgabe des Rheumatologen besteht darin, die Diagnose einer rheumatischen Erkrankung zu stellen bzw. zu bestätigen. Dies schließt wegen der Vieldeutigkeit der klinischen Symptome und Befunde eine ausreichende Differenzialdiagnose ein. Zur rheumatologischen Diagnostik gehören auch die Beurteilung der Krankheitsaktivität, der funktionellen und strukturellen Schadensentwicklung sowie die Einschätzung der Prognose. Zur Messung der Krankheitsaktivität existieren heute für die meisten Krankheitsbilder valide Verfahren. Sie bestehen meist aus klinischen und labormedizinischen Befunden, ärztlichen Einschätzungen und der Selbstbewertung der Betroffenen. Zur Feststellung der Schadensentwick-lung dienen vor allem Selbstbeurteilungs­instrumente der funktionalen Gesundheit und FunktionskapaSehr gute Informationen zu Therapieempfehlungen finden Sie z. B. unter: www.dgrh.de/therapieempfehlungen.html |46 ärztliches journal reise & medizin Nr. 7-8/2008 Weiterbildung für Hausärzte Die Deutsche Rheuma-Liga, der Hausärzte­ verband und die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie haben gemeinsam eine Fortbildung für Hausärzte im Rahmen des Projektes „Gute Versorgung von Anfang an“ der Rheuma-Liga gestartet. Ziel ist es, dass entzündliche Gelenkerkrankungen früher diagnostiziert und eher als bisher an den Facharzt überwiesen werden. Das Besondere an dem Projekt: Patienten und Fachärzte sind in die Fortbildung der Hausärzte von Anfang an einbezogen und haben so einen ganz wesentlichen Anteil am Erfolg der Schulung. Informationen finden Sie unter: www.rheumaakademie.de www.rheuma-liga.de zität sowie Scores mit bildgebenden Verfahren. Letztere werden auch zur Verlaufsbeurteilung herangezogen. Therapie rheumatischer erkrankungen Der Rheumatologe erstellt den Therapieplan und leitet die Therapie ein. Er orientiert sich dabei an evidenzbasierten natio­ nalen oder internationalen Leitlinien oder Empfehlungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Das therapeutische Ziel ist die Reduktion der Krankheitsaktivität bis zur Remis­ sion und Beschwerdefreiheit. Bei vielen entzündlich-rheumatischen Krankheiten ist dies die entscheidende Voraussetzung, um Schadensentwicklungen und krankheitsbedingte Komorbiditäten zu verhindern sowie die erhöhte Mortalität zu vermindern. Therapieüberwachung Wesentlich sind die Beurteilung der Krankheitsaktivität und der Wirkung der Therapie sowie die Kontrolle der Schadensentwicklung mit folgenden Maßnahmen: v Anpassen der systemischen medikamentösen Therapie bzw. Ergänzung durch lokale Therapiemaßnahmen, wie z. B. intraartikuläre oder intraläsionale Injektionen, physikalische Therapie durch den Rheumatologen bei auftretenden Veränderungen. v Gezielte Verordnung von Krankengymnastik, Training- und Ergotherapie bei funktionellen Störungen. Von Seiten des Rheumatologen sollte der Bedarf an Information, Beratung, Schulung und Rehabilitation beim Patienten festgestellt werden. Hierzu sind neben dem persönlichen Gespräch evaluierte allgemeine (generische) und krankheitsspezifische Selbstbeurteilungsfragebögen hilfreich. Zusammenarbeit Grundlage der effektiven Kooperation ist die ausreichende Kommunikation von Befunden, Bewertungen und Einschätzungen zum Krankheits- und Therapieverlauf. Der aktuelle Mangel an Rheumatologen erschwert oft die zeitgerechte Überweisung. Viele Praxen und Ambulanzen haben Frühdiagnose-Sprechstunden eingerichtet, die unter Berücksichtigung der Dringlichkeit auf verschiedenen Wegen (persönliches Gespräch, Fax/EMail mit Fragestellung, Vorbefunden, bisheriger Therapie, weitere Erkrankungen, Risi­ken) diesem Problem Rechnung tragen. Die Kooperation mit dem orthopädischen Rheumatologen ist insbesondere zur recht­ zeitigen Planung und Durchführung präventiver, rekonstruktiver und endoprothetischer Operationen und gegebenenfalls zur Behandlung mit geeigneten Orthesen und Hilfsmitteln erforderlich. Die Abstimmung ist insbesondere auch in Bezug auf die Gestaltung der perioperativen medikamentösen Therapie sinnvoll. Prof. Dr. med. Ekkehard Genth Rheumaklinik und Rheuma-Forschungsinstitut Aachen Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V. E-Mail: [email protected] Literatur beim Verfasser.